Harte Arbeit

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„Laßt mich euch ihr menschenbrüder wie es war erzählen“, sagt Max, der ehemalige SS-Offizier Dr. jur Maximilian Aue. Was nun beginnt ist keine Märchenstunde, sondern bereits nach wenigen Augenblicken ein gellendes, schreiendes Chaos mit einem wütenden und kreischenden Akteur, der von Bach und Couperin erzählt, von seiner Homosexualität, „auf den Reisen sind es männer, die mich nehmen mich als frau“, von der Mechanik des Tötens „einer schließt die eisentür, einer dreht am hahn die hand“ und von seinem Tick, „Ich muss kotzen rasch verzeiht. Das begann im Krieg. Ein tick“. Nun ja. Der Text ist größtenteils nicht zu verstehen. Die Musik des seit 2002 in Paris lebenden spanischen, zeitweise am IRCAM lehrenden Komponisten Hèctor Parra fährt mit brachialer Gewalt und Wucht durch die von Händl Klaus aufgetürmten Textmassen, die dieser aus dem 1400-Seiten-Roman von Jonathan Littell als Libretto herausschnitt. Den Titel der 2006 erschienenen französischen Ausgabe des Romans, der zwei Jahre später in Deutschland als Die Wohlgesinnten herauskam, behielt Parra für sein größtenteils auf Deutsch gesungenes, sechstes großes Werk für das Musiktheater bei.

Die Uraufführung des von Aviel Cahn beauftragten Werks erfolgte 2019 in Gent, wo auch der Mitschnitt des Dreiakters entstand (3 CD b.records LBMU62). Inszeniert wurde die mit Nürnberg und Madrid koproduzierte Aufführung von Parras katalanischem Landsmann Calixto Bieto, der – den Bildern nach – die Bühne in drei Stunden in ein Schlachthaus verwandelte.

Der Roman verwendet fiktive und reale Personen, gegliedert ist er in Kapitel, deren Bezeichnungen einer barocken Suite entsprechen, was die Oper getreu übernimmt.  Im kurzen Anfangskapitel denkt Max Aue über sein Leben während des Kriegs und seine Schuld nach. Unter falscher Identität lebt er jetzt in Frankreich, leitet eine Spitzenfabrik und hat zwei Kinder, Zwillinge. Die folgenden Abschnitte spielen alle während der Kriegszeit: in Babi Jar, Stalingrad, Antibes, Auschwitz, Pommern und Berlin während des Zusammenbruchs, immer wieder trifft er auf seinen Freund und Förderer, den SD-Mann Thomas Hauser, seine Schwester Una, mit der ein inzestuöses Verhältnis unterhielt, deren Ehemann, den Komponisten Berndt von Üxküll, seine Mutter und deren neuen Gatte, die er während seines Besuchs mit einer Axt ermordet, weshalb forthin die Kriminalbeamten Weser und Clemens, die ihn für schuldig halten, verfolgen, sowie den uralten fanatischen Nationalsozialisten Dr. Mandelbrod. Der Titel des vielfach verschlungen und beziehungsreichen Romans bezieht sich auf die Eumeniden des Aischylos, die Orest wegen des Muttermordes jagen. Die Orte und die Handlung lassen sich kaum auf Anhieb erkennen, derart verschachtelt hat Händl Klaus den Romantext und offenbar kunstvoll neu zusammengesetzt.

Immerhin lassen sich einige Personen klanglich ausmachen, so der von dem lyrischen Bariton Günter Papendell gesungene Thomas, die Una der in extreme Bereiche singkreischenden, eisig exakten Schweizerin Rachel Hanisch, Natascha Petrinskys leicht hysterische Mutter, und immer wieder das aus zwei Frauen- und zwei Männerstimmen bestehende Quartett. Der amerikanische Tenor Peter Tantsits ist zu bewundern für die hochtenorale Kraft, Energie und das schiere Durchhaltevermögen, mit der er einerseits den hochkultivierten Ästheten und Bach-Bewunderer und andererseits den psychisch derangierten und manipulativen Mörder Max und dessen Perversionen darstellt und grenzüberschreitend von Falsett bis Schreien alle stimmlichen Extravaganzen ausreizt. Der Text ist auch bei ihm kaum zu verstehen. Peter Rundel bemüht sich um eine gewisse Durchsichtigkeit der Stimmen aus Chor und Nebenfiguren und ist sich mit Choeurs und Orchestre Symphonique de L‘Opera Ballett Vlaanderen offenbar bewusst, dass sie hier ein Werk zur Aufführung bringen, dessen Bedeutung sich vielleicht erst viel später herausstellt. Die flächigen, schrammenden und heulenden Orchestertutti, die Parra, in immer neuer sadomasochistischer Saftigkeit aufbaut, lassen an Strauss‘ Elektra denken: Mutter und Stiefvater von Max stehen für Klytämnestra und Aegisth. Nur sehr sparsam setzt Parra kurze schimmernde Nachtklänge mit Harfe, Celesta und Englischhorn ein, die von der Brutalität niedergemetzelt scheinen.               R.F.