Hinreissend

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Der zugegebenermaßen hochverdiente Erfolg mit Rimski-Korsakovs Die Nacht vor Weihnachten oder aber die vorausgegangene positive Aufnahme des Werks selbst in Lyon, Erfurt und Amsterdam  waren vielleicht für die Frankfurter Oper ein Anlass dafür, sich wieder einer unbekannten russischen Oper zuzuwenden, nämlich Tchaikovskys Die Zauberin (der englische Titel ist mit The Enchantress korrekter, weil um Verzauberung geht),derer sich inzwischen Naxos mit der Herausgabe einer Bluray angenommen hat. Es geht um eine eigentlich im 15. Jahrhundert spielende Geschichte um eine junge, schöne Witwe, in deren Gasthof sich das Volk, insbesondere die Männer, amüsiert, der zauberische Kräfte nachgesagt werden und in die sich fast gleichzeitig der Fürst des Landes am Ufer der vielzitierten Oka, unerwidert, und sein Sohn, erwidert, verlieben. Die Gattin des Fürsten fordert ihren Sohn auf, die Kuma genannte Nastasya zu töten, dieser verliebt sich aber in die schöne Frau und will mit ihr fliehen, woraufhin seine Mutter sie vergiftet, was wieder den Fürsten dazu veranlasst, Frau und Sohn zu töten und selbst in Wahnsinn zu verfallen. Bei all dem spielt die Geistlichkeit eine wenig lobenswerte Rolle.

Regisseur Vasily Barkhatov lässt zwar einiges volkstümlich Russisches, so in Form einer riesigen Matroschka, zu, versetzt aber ansonsten die Geschichte in die postsowjetische Zeit, in der  bekanntlich die Geistlichkeit nach schlechter russischer Tradition auch keine positive Rolle spielt, und stellt der Galerie (?) Kumas mit einer Wolfsplastik als Symbol ihres freien, ungebändigten Lebens, die recht luxuriöse Wohnung des Fürsten gegenüber, in der Frau und Tochter sich körperoptimierenden Übungen hingeben. Hier taucht auch ein wunderschöner Schäferhund auf, der zur Ruhigstellung vom Fürsten  mit Unmengen von Leckerli gefüttert wird. Stehen die beiden Tierchen für naturnahes und von Zivilisation beeinträchtigtes Leben? Modernisierungen des Ambientes in Richtung Soap Opera gibt es auch, wenn anstelle der Quelle, an der Kuma rastet und vergiftet wird, ein mit Dosen (Red Bull?) bestückter Kühlschrank fungiert oder der Prinz ein aufstrebender Boxer mit schon vielen Pokalen auf der Wohnzimmervitrine ist.  Über allem schweben in wechselnder Farbgebung die Umrisse eines Häuschens. Der Vorhang geht auffallend häufig hoch und runter, und wenn er trotz erklingender Musik unten ist, scheint  einem diese noch blühender, noch eindringlicher, noch schicksalsträchtiger zu sein, als wenn das Auge zusätzlich beschäftigt ist. Das ist natürlich auch das Verdienst des Frankfurter Oper- und Museumsorchesters unter Valentin Uryupin, während das Leid des unterdrückten russischen Volkes eindrucksvoll vom Chor des Hauses (Leitung Tilman Michael) zu Gehört gebracht wird.

So unangefochten die schöne Nastasya das Zentrum des Operngeschehens ist, so unbezweifelbar ist auch ihre Verkörperung durch Asmik Grigorian der Glanzpunkt der Aufführung. Sie macht die Figur nicht nur optisch glaubwürdig, sondern hat auch das klare, leicht melancholische Timbre, die farbige, fast mezzoartige Mittellage und die unangefochtene, nie scharfe Höhe dafür. Claudia Mahnke stellt ihren bruchlos ebenmäßigen, warmen Mezzosopran für die betrogene Fürstin zur Verfügung, ihr It-Girl von Töchterchen ist rollendeckend Zanda Švede. Einen urgesunden, farbigen Bariton hat Iain MacNeil für den Fürsten Nikita (Vater), einen oft gequetscht klingenden Tenor Alexander Mikhailov für den Prinzen Yuri (Sohn). Aus dem Ensemble ragen vokal wie darstellerisch Frederic Jost als Mamirow und Kudma und Božidar Smiljanić als Ivan Zhuran heraus, aber das gesamte Ensemble als solches ist phänomenal in seinem unbedingten Einsatz für das Werk, das so unbekannt nicht weiter bleiben sollte. (Naxos NBD0180). Ingrid Wanja