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Mit Spannung erwartet gab es 2024 ein bemerkenswertes Highlight auf den Aufführungsplänen der diesjährigen Festivals: Niccolò Piccinnis Didon (als Dido, Königin von Karthago einem weniger polyglotten Publikum annonciert, aber in der Originalsprache serviert). Das bezaubernde Ambiente des Rokkokko-Schlosses in Rheinsberg, Sitz von „Fritzes“ Bruder Heinrich, verfügt (bei gutem Wetter) über eine hinreißenden Spielstätte im Innenhof mit unvergleichlichem Bick über das Wasser.
In diesem Jahr also Piccinnis Oper Didon, die zwischen 1969 und 2021 einige Male in Italien, Frankreich und der Schweiz gegeben wurde (davon nachstehend mehr), eines seiner wichtigen Werke für Paris 1783, in Anwesenheit des Noch-Königs Louis XVI und seiner Frau Marie-Antoinette, 16 Jahre vor deren Ende. Nach zwei Wiederaufführungen in Fontainebleau wurde die Oper am 1. Dezember 1783 in Paris uraufgeführt. Sie erwies sich als der größte Erfolg des Komponisten und wurde bis 1826 fast jedes Jahr mit insgesamt 250 Aufführungen an der Pariser Oper (der Académie Royale) aufgeführt.
In Rheinsberg nun dirigierte Bernhard Forck in der modernen deutschen Erstaufführung (1802 zuletzt eben in Rheinsberg gegeben) die Akademie für Alte Musik (liebevoll in Berlin Akamus genannt), die Regie hat Andreea Geletu; es singt das Vokalsystem Berlin, und als Sänger werden genannt: Fanny Utiger/ Noemie Bousquet als Didon, Chen Li/ Ido Beit Halachmi als Enée, Maksim Andreenkov/Yiwei Mao als Iarbe, Alexandra Neason/Lyriel Benameur als Phénice sowie in der Doppelrolle des Araspe/Anchise dann Hyunseok Lee – alles Preisträger*innen des 33. Internationalen Gesangswettbewerbs der Kammeroper Schloss Rheinsberg.
.Zur Oper selbst Texte von Friederike Janott aus dem Programmheft zur Rheinsberger Aufführung sowie von Mariateresa Dellaborra aus der CD-Beilage zur ersten Aufnahme bei Dynamic aus Baris Teatro Petruzzelli 2001. Eine Rezension der Aufführung findet sich in unserer Rubrik Festivals 2024. Geerd Heinsen
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Friederike Janott: Von Intrigen, unerschöpflichem Schaffensdrang & Innovationsbewusstsein. Niccolò Piccinni. Es scheint die Krönung eines ebenso schaffens- wie erfolgreichen Komponistenlebens zu sein: Vom neapolitanischen Botschafter König Ludwig dem XV. empfohlen und auf Initiative des Pariser Künstlerkreises um den Literaten Jean-Francois Marmontel wurde der süditalienische Komponist Niccolo Piccinni mit der Zusage einer jährlichen Gratifikation, Einnahmen aus den Aufführungen seiner Opern sowie der Beschäftigung am Hof und beim Adel 1776 nach Paris geladen. Diesem Angebot folgte der 48-jährige gestandene Tonsetzer direkt, sollte aber schnell herausfinden, dass das Pariser Kulturleben, das gerade einmal fünf Jahre zuvor die Aufführung seiner Opera buffa »La buona figliuola« mit großer Begeisterung aufnahm, nicht nur glanzvolle Aussichten für ihn bereithalten sollte.
Im Geheimen führte ihn der Zirkel um Marmontel, dessen Mitglieder sich zu erbitterten Feinden des in Paris zu dieser Zeit dominierenden Komponisten Christoph Willibald Gluck erklärt hatten, nämlich als Kontrahenten desselben ins Feld – und schon kurze Zeit nach Piccinnis Ankunft entbrannte eine der größten Fehden der Musikgeschichte. Geführt wurde dieser Ästhetikkampf aber nicht von den Komponisten selbst, sondern von ihren jeweiligen Anhängern – es handelte sich also um eine Art Stellvertreterkrieg: Auf der einen Seite der 1714 in der Oberpfalz geborene Wahlwiener Gluck mit seinen sogenannten Reformopern, auf der anderen Seite der vierzehn Jahre jüngere und im süditalienischen Bari geborene Piccinni.
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Wie aber kam es dazu und wo verliefen die vermeintlichen Trennlinien? Glucks Auffassung zufolge hatte sich sowohl die ernste Opera seria als auch die komische Opera buffa zu weit weg vom >wirklichen Wesen< der Kunstform entwickelt. Diese bestand für ihn darin, dass die Musik im Dienst der Dichtung stehen soll. Keine Nummernoper, in der sich lediglich die Sängerinnen und Sänger produzieren, sondern ein durchkomponiertes Drama, das als Ganzes aus Text und Musik wirkt, war das von ihm angestrebte Ideal. Große Erfolge feierte er in Wien mit seinen beiden Reformopern »Orfeo ed Euridice« (1762) und »Alceste« (1767), die ihm auch international großen Ruhm einbrachten. Im Pariser Opernleben und damit der Hochburg der französischen Oper debütierte er wiederum mit seiner »Iphigenie en Aulide« (1774) und sicherte sich mit diesem und den beiden nachfolgenden Bühnenwerken »Orphee« (ebenfalls 1774) sowie einer französischen Überarbeitung seiner »Alceste« (1776) die Vormachtstellung im dortigen Adels- und Kulturkreis. In diesen Jubelsturm stimmten jedoch nicht alle mit ein und es formierte sich schnell eine Gruppe von »Anti-Gluckisten« geführt vom Literatenkreis um Marmontel, dem Dichter Jean-Frangois de La Harpe und dem Musikkritiker Jean-Benjamin de Laborde. Ihrer Auffassung nach habe Gluck mit seiner Reform die Schönheit der Musik zugunsten einer vermeintlichen »Natürlichkeit« im Ausdruck und letztlich den Genuss der Kunstform preisgegeben; die eigentliche Anmut, die melodiösen Einfälle und die Kantabilität seien aufgegeben worden. Sie wünschten sich eine Neuerung der französischen Oper in der die Musik zwar das Gemüt rührt, aber zugleich die Ästhetik der Gattung gewahrt wird – kurz: wo die Kunst ein untergeordnetes, schmückendes Faktum des Lebens darstellt. Ihr Vorbild fanden sie in der neapolitanischen Oper und suchten daher dort nach einem geeigneten Kandidaten, der für sie in Paris die französische Oper revolutionieren und Glucks Werke aus den dortigen Opernhäusern verbannen sollte.
Den glaubten sie in Piccinni gefunden zu haben, der sich mit schier unfassbarem Schaffensdrang und einem sicheren Gespür für kreative Innovationen auf dem Operngebiet einen internationalen Namen gemacht hatte. Über seine familiäre Herkunft und Kindheit ist wenig bis nichts bekannt; älteren Quellen zufolge soll sein Vater Musiker gewesen sein und bei seiner Mutter soll es sich um die Schwester des Opernkomponisten Gaetano Latilla gehandelt haben.
Die erste gesicherte Information ist sein Umzug an die westliche Küste Italiens in das von seinem Geburtsort etwa 260 Kilometer entfernte Neapel – zu dieser Zeit absolute Hochburg der italienischen Oper. Dort besuchte er ab 1742 im Alter von 14 Jahren das Konservatorium Sant’Onofrio und ging dort insgesamt zwölf Jahre lang bei den äußerst profilierten Komponisten Leonardo Leo und Francesco Durante in die Lehre, zu deren berühmten Schülern neben Giovanni Paisiello auch Giovanni Battista Pergolesi gehörte. Sein Operndebüt gab er 1754 am Teatro dei Fiorentini mit der Opera buffa »Le donne dispettose«, die in Neapel schnell Erfolg hatte und ihm innerhalb kurzer Zeit zahlreiche weitere Aufträge sowohl für komische als auch ernste Opern einbrachte.
Sein Ansehen wuchs schnell und auch der internationale Durchbruch blieb nicht aus. In Neapel hatte er zu dieser Zeit verschiedene Posten inne: So war er zweiter Kapellmeister an der Kathedrale und seit 1771 dort auch zweiter Organist in der königlichen Kapelle. Unglaublich erscheint, in welchem Tempo er aus scheinbar unerschöpflicher Inspirationsquelle Opernwerke schuf: Bis ihn 1773 eine Intrige am römischen Hof den Auftrag kostete, komponierte Piccinni für jede römische Karnevalssaison eine neue Oper; zur selben Zeit schuf er für Neapel über 30 Opern und weitere für die wichtigsten Städte Italiens. Bis zu seinem Wechsel an den Pariser Hof hatte Piccinni bereits 96 Opern und damit mehr als dreiviertel seines gesamten Oeuvres komponiert!
Als würdiger Nachfolger Pergolesis, als den ihn die Gluck-Gegner erachteten, erlangte er mit seiner ersten für Paris geschriebenen Oper »Roland«, die 1778 auf die Bühne kam, entgegen der Befürchtungen des Komponisten großen Erfolg. Das Libretto der dreiaktigen Tragedie lyrique schrieb dabei kein anderer als Marmontel selbst. Neben drei weiteren Opern verfasste er auch das Libretto zu Piccinnis fünf Jahre später auf Schloss Fontainebleau bei Paris uraufgeführten »Didon«, die mit Abstand das erfolgreichste Werk unter all seinen in Paris aufgeführten Opern wurde. Hierin verbindet Piccinni kunstvoll die klassischen dramaturgischen Insignien der französischen Tragedie lyrique wie die Chor- und Ballettszenen mit der italienischen Operntradition und schafft so ein innovatives enges Ineinandergreifen von Handlung und Musik durch Einfügung von Arien, hand- lungsorientierten Ensembles und Chören. Letztlich zeigt sich gerade in diesem Werk – so die Pointe um den in Paris für eine neue französische Oper geführten Zwist – dass die gegen Gluck gerichteten Forderungen sozusagen meisterhaft mit Glucks Ergebnissen verschmelzen und auf einer künstlerischen Ebene die vom Publikum und einigen eingeschworenen Zirkeln heraufbeschworenen Gegensätze in dieser Form gar nicht existieren.
Nachdem Piccinni infolge des Ausbruchs der Französischen Revolution für kurze Zeit nach Neapel zurückkehrte, zog es ihn ab 1798 erneut nach Frankreich, wo er zwei Jahre später im Alter von 73 Jahren in Passy bei Paris verstarb. Was er der Opernwelt mit seinem unfassbaren Schaffensdrang hinterließ, spricht für sich: Bis auf 16 Werke, deren Herkunft als zweifelhaft gilt, schuf er in seinem gesamten Leben insgesamt 114 Werke für die Opernbühne und widmete damit sein Leben hauptsächlich der Oper, denn daneben schrieb er lediglich einige wenige geistliche Werke und Instrumentalmusik. Friederike Janott.
Mariateresa Dellaborra schreibt: Der Erfolg einiger ab 1754 in Italien gespielten Opern, der einfache, elegante Stil, die immer sorgfältige, passende Orchesterbesetzung, die Um- und wesentliche Neubearbeitung einiger bereits erfolgreicher Titel wie Alessandro nelle Indie, Artaserse und Olimpiade lenken in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit nicht nur von Publikums und Kritik in Italien auf Piccinni, sondern auch einiger französischer Literaten und Geistesmenschen wie Jean-Benjamin de Laborde, Jean Frangois de La Harpe und Jean-Frangois Marmontel. Letztere sehen in ihm den Nachfolger Pergolesis und betrachten ihn für geeignet, als Anti-Gluck aufzutreten, der fähig sein würde, das Sprachrohr einer neuen Poesie (die sie selbst auf den Seiten des Journal de politique et de literature verfochten) zu werden und innerhalb des Dramas eine originelle Sicht der Musik zu schaffen. Die Polemik, die bereits seit dem ersten Erscheinen Glucks auf den Pariser Bühnen (1774 mit der französischen Fassung von Orfeo ed Euridice) tobte, war auf die Kritik an der Gluck’schen Schreibweise voller „Schmerzensschreie, krampfhaftem Stöhnen“ anstatt „vollständigen, zusammenhängenden und regelmäßigen“ Gesangs konzentriert.
Um – nach Meinung der Enzyklopädisten – die verschiedenen Seelenzustände zum Ausdruck zu bringen, war es sicherlich nötig, „schmerzliche“, „aber nicht unangenehme Akzente“ zu finden, die „dem Ohr, indem sie ins Herz eindrangen“ immer zu schmeicheln vermochten, und „der Zauber der Melodie“ sollte sich mit „dem erhaltenen Eindruck“ vermischen. Das heißt, es schien, als ob Gluck „jenes wirklich opernhafte System des Einschubs von Motiven in das Drama“ verlassen und eher das „Reich“ einer rauhen, trockenen „Melodie“ errichtet hätte, die keine cantabili hatte und nicht zur französischen Phrase passte. Die Kunst sollte hingegen die Seele rühren, dies aber mit Anmut und immer Genuss vermittelnd.
Genau dies schien Piccinnis (1728-1800) Musik zu tun, des in Bari geborenen, in Neapel aufgewachsenen und ausgebildeten Komponisten, eines Neffen jenes Gaetano Latilla, der damals als einer der erfolgreichsten Musiker auf komischem Gebiet gefeiert wurde. Piccinni tritt also mit dem kulturellen Kreis um de La Harpe und Marmontel in Kontakt und bietet deren Idealen die weiche Kantabilität der neapolitanischen Oper, die Leichtigkeit in der musikalischen Annäherung und die Typologie der dramatischen Verflechtungen, die die antiken Mythen evozieren, an griechische und römische Größe erinnern, dies aber aktualisieren und die Auffassung von einem Musiktheater widerspiegeln, wo die Kunst als untergeordnetes, schmückendes Faktum des Lebens betrachtet wird. Marmontel, ein ebenso fruchtbarer wie sorgfältiger Librettist, erinnerte nachdrücklich daran, dass „der Gegenstand der das Gemüt rührenden Künste nicht nur de Emotion ist, sondern der Genuss, der sie begleitet. Es genügt somit nicht, dass die Emotion eine starke ist, sie muss angenehm sein“. All dies stand sicherlich in völligem Gegensatz zu dem von Gluck verfochtenen strengen, tragischen Kunstideal und führte eher ein früheres Prinzip wieder ein, das in den ersten Jahrzehnten des 18. Jhdts. beliebt war. Demgemäß wurde die Musik als Ausschmückung eines süßlichen Dramas verstanden, in welchem die psychologische Introspektion fehlte, die dramatischeren Situationen zugunsten einer zarten, konventionellen Liebenswürdigkeit verbannt waren und die Chöre nur zu Ehren der französischen Traditionen beibehalten wurden. Der Bund zwischen den Literaten und Piccinni wird 1778 offiziell besiegelt, als der Komponist als Paladin der neuen Anschauungen Roland und Phaon schreibt, wird vom künstlerischen Standpunkt aus aber konkret mit den Kompositionen von Iphigenie en Tauride (1781) und Didon (1783) wirksam, bei denen die gegen Gluck gerichteten Forderungen sozusagen mit Glucks Ergebnissen verschmelzen.
Didon wird am 16. Oktober in Fontainebleau aufgeführt und hat einen derartigen Erfolg, daß sie im Dezember an der Pariser Academie Royale de Musique wiederaufgenommen wird. Geschrieben ist das Werk in der Form der tragedie lyrique mit Accompagnati, Ariosi, Arien, Chören, in die Geschichte gemäß einer Logik eingefügten Tänzen, sowie instrumentalen Zwischenspielen. Alle Teile sind perfekt untereinander verbunden und die Szenen eng miteinander verschmolzen.
Der von Marmontel geschriebene Text stellt die einzelnen Figuren äußerst klar vor und beleuchtet die ihre Handlungen bewegenden und bestimmenden Gefühle. Nicht nur Didon wird in ihrer zweifachen Haltung als gebieterische Königin und verliebte Frau dargestellt, sondern auch Enee und larbe weisen sowohl den politischen und öffentlichen, als auch den menschlichen und innerlichen Aspekt ihres Charakters auf. Ihr Handeln, das sie zu einer direkten Auseinandersetzung über beide Aspekte bringt, wirkt sich unvermeidlicher Weise auf die betreffenden Völker aus, wodurch es zu imposanten Chorszenen voller Emotion kommt. Der Chor (einmal homophon, dann wieder in kleine kontrapunktierende oder mit den Solisten abwechselnde Gruppen unterteilt) spielt in der ganzen Oper eine sehr bedeutende Rolle; seine direkte Teilnahme am Fortgang der Handlung ist eines der deutlichsten Zeichen dafür, wie sich Piccinni dem französischen dramaturgischen Ausdruck angepasst hat. Auch die Rezitative (alle mit Orchester) sind höchst dramatisch und mit theatralischer Empfindung durchtränkt. Ihre Anzahl liegt wesentlich höher als bei den Arien nach italienischem Vorbild, speziell nach dem Metastasios. Die Technik der „unitée de dessin – periode“ herrscht vor und wird in spezifischen emotionellen und berührenden Situationen angewandt, wo der lyrische, ununterbrochene Gesang das Drama bis zu höchsten Graden hervorstreicht.
Die Wirksamkeit dieses Singens entfaltet sich auf glänzende Weise, wenn es auf die szenische und interpretatorische Kunst des Ausführenden trifft und mit ihr verschmilzt. Im Falle von Didon war dies Antoinette Cecile-Clavel, genannt Saint-Huberty. Wie sie selbst sagte, war die Rolle der Didon auf sie zugeschnitten (Piccinni nannte sie „meine Didon“), da es sich um eine Partie handelte, in welcher das Spiel von größter Wichtigkeit war und „das Rezitativ so gut gemacht ist, dass es unmöglich ist, es zu singen“. Dieser Sängerin hat die Rolle der Didon somit ihre konkrete Realisierng zu verdanken, und noch heute heißt es, „Didon et Saint-Huberty sont immortelles“.
Weiters trägt das orchestrale Element dazu bei, die Szenen oder einzelnen Gesten zu unterstreichen. Das Orchester übernimmt äußerst geschickt in den entscheidenden kritischen Augenblicken der Handlung eine erstrangige Rolle, indem es um neue Farben bereichert wird, die es auf völlig originelle Weise einsetzt. Beispielhaft für beide Fälle ist die Szene der Erscheinung des Schattens des Anchises oder die Sturmszene, die Äneas und den Seinen die Flucht ermöglicht. Die Verwendung dreier Posaunen, die zum Quartett der Holzbläser kommen, zwei häufig zur Besiegelung einer Passage eingesetzte Pauken, der Reichtum der Streicher und die spezifische Typologie ihrer Passagen wirken auf entscheidende Weise an der Betonung und Charakterisierung der Dramatik des szenischen Moments mit. Schon ab der (dreigeteilten) Ouvertüre konnte man die der Instrumentalbesetzung zugewiesene Bedeutung ahnen, ist sie doch nicht so sehr mit der Vorwegnahme von Inhalt und Themen des Dramas beschäftigt, als darauf ausgerichtet, den einzelnen Sätzen eine außerordentliche klangliche Vielfalt und Intensität aufzuprägen. Von den drei Akten kann der letzte für die vollkommene Verschmelzung von Text und Musik als beispielhaft angesehen werden. Die Abfolge der vokalen und instrumentalen Teile erfolgt in Funktion der Handlung und der Worte, die auch durch einfache, aber sehr wirksame farbliche Kunstgriffe verstärkt werden. Die Schluss-Szene ist hochdramatisch mit der sich opfernden Didon, die „pour son bien-aimé Enee“ Worte der Liebe hat, dem Chor, der schwört, die Rasse Trojas verfolgen und vernichten zu wollen und den abschließenden Trompetenstößen, die teilweise das Gefühl der Verzweiflung und völligen Vernichtung mildern. Obwohl er da und dort italienischen Geist wehen lässt, gelingt es Piccinni also, musikalisch das Ideal der französischen Philosophen umzusetzen, und speziell den von Marmontel zum Ausdruck gebrachten Gedanken: „Mit Schreien, Gebrüll, durchdringenden oder schrecklichen Tönen werden Leidenschaften ausgedrückt; aber dies vermittelt, wird es in der Nachahmung nicht verschönt, nur den Eindruck des Leidens, wie in der Natur […]. Den wohlklingenden Gesang aus der Oper verbannen zu wollen, ist ein ebenso seltsamer Einfall, als wollte man die schönen Verse aus der Tragödie verbannen […]. Mariateresa Dellaborra (Übersetzung: Eva Pleus)
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Dokumente/Verbreitung: Ein Wort zur Verbreitung der Oper vor Rheinsberg, das mit einer deutschen Erstaufführung aufwarten kann. Als eines der wichtigen Werke Piccinnis erlebte sie der Hof 1783, in Anwesenheit des Noch-Königs Louis XVI und seiner Frau Marie-Antoinette, 16 Jahre vor deren End, vorgestellt wurde. Nach zwei Wiederaufführungen in Fontainebleau wurde die Oper am 1. Dezember 1783 in Paris aufgeführt. Sie erwies sich als der größte Erfolg des Komponisten und wurde bis 1826 fast jedes Jahr mit insgesamt 250 Aufführungen an der Pariser Oper gegeben. Ein riesiger Zeitsprung findet in den Dreißigern des 20. Jahrhundert die große Sopranistin Yvonne Brothier in der Titelrolle in Paris wieder, wovon einige Tondokumente zeugen, andere wie Félia Litvinne oder Jeanne Hatteau sind nicht belegt.
Aber es gibt sie auch vollständig in der allerersten (mehr oder weniger) modernen Gesamtaufnahme bei der italienischen RAI von 1969 (Arkadia u. a.) mit Gabriella Tucci in der Titelrolle aus Neapel unter dem vielseitigen Mario Rossi. Aus Baris Teatro Petruzzelli erschien die originale Fassung in CD-Aufnahme unter dem Pionier Arnold Bosman mit Sibongile Mngoma und Daniel Galvez-Vallejo auf dem Label Dynamic von 2003. Die jüngste Veröffentlichung kommt aus dem Hause Bongiovanni mit der für solche Rollen nicht nur heute m. E. absolut ungeeigneten Denia Mazzola-Gavazzeni sowie Yoshei Ushiroda unter Damiano Cerrutti von 2021.
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Sammler haben noch mehr. Live gab es Piccinnis Didon nach der RAI-Aufnahme von 1969 dann im selben Jahr in Paris und Tourcoing mit der bezaubernden Audrey Michael und Giles Ragon unter dem innovativen Jean-Claude Malgoire.; 2001 folgte wie erwähnt Bari; 2003 dann in Paris, Cité de la musique unter Antonio Florio mit der dünnstimmigen Roberta Invernizzi und Maria Ercolano (als Enée!), 2004 folgte Solothurn mit Liliane Schneider und Remì Garin unter Franco Trinca.
Soweit ein Blick in meine eigene kleine Sammlung; es gibt sicher weitere Dokumente. In moderner Zeit haben sich die wunderbare Véronique Gens oder Carol Bogard darum bemüht; in der 20 CD Box 200 Ans De Musique À Versailles von 2007 gibt es zudem drei Ausschnitte aus der Oper. Sogar die Ouvertüre gibt es als Transcript für zwei Gitarren bei der Musical Heritage Soiciety … Geerd Heinsen
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Der Artikel von Mariateresa Dellaborra stammt aus dem Beiheft zur der ersten „offiziellen“ Aufnahme der Oper, bei Dynamic von 2001 als Mitschnitt aus dem Teatro Petruzzelli, wo das Werk unter Arnold Bosman am Pult des Orchestra del Teatro Petruzzelli mit Sibongile Mngoma, Daniel Galvez-Vallejo, Davide Damiano, Teresa Di Bardi, Angelica Girardi und Antonio Signorile gegeben wurde (immer noch die beste aller drei verfügbaren Industrieaufnahmen). Dank an die Kammeroper Rheinberg für die Erlaubnis zur Übernahme des Artikels von Friederike Janott
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Inhalt A1: Dido, die Königin von Karthago, könnte nicht glücklicher sein, ist sie doch frisch verliebt. Ihr Auserwählter ist der junge Held Äneas, der gerade noch rechtzeitig aus dem brennenden Troja fliehen konnte und bei ihr an der nordafrikanischen Küste angespült wurde. Doch schwere Albträume plagen Dido: Des nachts erscheint ihr der verstorbene Ehemann und bezichtigt sie des Treuebruchs. Zugleich wird sie von Iarbas, dem König Numidiens, bedrängt. Der will sie zur Frau nehmen und ihr Land regieren. Diesen Antrag lehnt Dido wiederholt ab. Als Iarbas erfährt, dass Dido eine Hochzeit mit Äneas plant, schwört er Rache und fordert Äneas zum Kampf heraus.
A2: Äneas gesteht Didos Schwester seine Liebe für die Königin. Zugleich erzählt er ihr aber auch von seinem schweren Schicksal: Es zwingt ihn, Dido zu verlassen, denn die Götter haben ihm befohlen, mit den Trojanern nach Italien zu ziehen und dort ein neues Königreich zu gründen. Dido, die davon nichts ahnt, erklärt Äneas ihre Liebe und will ihn vor den Augen ihres Volks zum Gemahl nehmen. Iarbas hat noch nicht aufgegeben und berichtet Dido von Äneas‘ Plan, was sie jedoch nicht glauben will. Da der Druck auf Äneas wächst, gesteht er Dido letztlich, dass er sie verlassen muss. Währenddessen trifft die Nachricht ein, dass Iarbas mit seinem Heer in Richtung Karthago zum Angriff marschiert. Die Karthager und die Trojaner machen sich unter der Führung von Äneas zur Verteidigung Didos bereit für den Kampf. Iarbas erfährt, dass Dido eine Hochzeit mit Äneas plant, schwört er Rache und fordert Äneas zum Kampf heraus.
A3: Dass Äneas zu ihrer Verteidigung und für Karthago gegen Iarbas in den Krieg gezogen ist, nährt in Dido erneut die Hoffnung auf sein Bleiben. Die Numidier sind geschlagen und Äneas kehrt als Sieger zurück. Ihm erschien sowohl Jupiter als auch der Geist seines Vaters, die beide die Erfüllung seiner Pflicht und Gehorsam fordern. Dem leistet er Folge und verlässt Dido, die schwer verletzt und voller Trauer daraufhin ihren Freitod plant. Sie lässt einen Scheiterhaufen errichten, um dort Äneas‘ Kleider und Waffen zu verbrennen. Sie besteigt den Scheiterhaufen und nimmt sich mit einer der Waffen das Leben. Ihr karthagisches Volk schwört den Trojanern infolgedessen ewig währende Rache und Krieg. (Kammeroper Rheinsberg).
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier.