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Armiden und Rinaldos gaben sich auf den Opernbühnen des 18. Jahrhunderts die Klinke in die Hand. Relativ mutig nahm sich Rossini für die dritte der neun großen Opern, die er für den Impresario Barbaja und Neapel schrieb, eines Themas an, das neben vielen anderen Lully und Händel, Haydn und Gluck hin- und hergewendet hatten und Jommelli vor mehr als einem Menschenalter 1770 im San Carlo zur Uraufführung gebracht hatte.
Für die dritte seiner Reformopern Armida nach der Elisabetta von 1815 und dem Otello 1816 nahm Rossini sich ein gutes Vierteljahr Zeit, um den mythischen, üppig barocken Stoff aus Tassos Gerusalemme liberata für das neue Zeitalter und das neue Teatro San Carlo maßzuschneidern. Der Aufbau des ersten Aktes ist in der Abfolge der Nummern vorhersehbar. Während die von Geoffredo, sprich Gottfried von Bouillon, zusammengerufenen fränkischen Ritter ihrem verstorbenen Anführer die letzte Ehre erweisen, erscheint die Zauberin Armida im Lager und bittet um Krieger. Sie sollen ihr helfen, den geraubten Thron zurückzuerobern. Rinaldo, den Armida einst vor Feinden rettete und in den sie sich verliebte, wird zum neuen Anführer der Paladine ernannt. Er folgt ihr. Bringt zuvor noch den eifersüchtigen Gernando um. Ganz und gar ungewöhnlich ist der zweite Akt, ein zauberisches Blumen- und Palastambiente mit Höllen- und Schutzgeistern und Nymphen, die Armidas große Arie „D’amore al dolce impero“ umranken. Im dritten Akt dringen die Ritter Carlo und Ubaldo in den Zaubergarten ein und überreden Rinaldo zur Rückkehr. Armidas Macht ist gebrochen. Sie schwankt zwischen Rache und Liebe, gibt sich letztlich ganz der Rache hin und zerstört ihr Zauberreich. Hervorzuheben ist im letzten Akt das umfangreiche Terzett der drei Tenöre. Vor allem die Aktionen um Armida auf der Liebesinsel mit herbeigezauberten prächtigen Palästen, Nymphen und Amoretten und schließlich dem Drachenwagen, in dem die Enttäuschte in die Lüfte entschwebt, boten hinreichend Kulissenzauber, um die Verwandlungsmöglichkeiten des durch Brand zerstörten und gerade wiedereröffneten Teatro San Carlo auszureizen.
Die Naxos-Aufnahme fängt das Zauberische und Festliche, das Kriegerische und Liebestolle des Dreiakters ein (2 CD 8.660554-55) ein. 2022 war Rossini in Wildbad nach Absage des Festivals und eingeschränktem Corona-Betrieb in den Jahren davor wieder zur Normalität zurückkehrt, weshalb über den Aufführungen am 15. und 20. Juli in der Trinkhalle lag eine besondere Spannung lag. Bereits in der Sinfonia zwingt José Miguel Pérez-Sierra martialische Kreuzritterzackigkeit und schwärmerische Liebeslyrik geschickt zusammen, gleicht durch draufgängerische Heftigkeit anfängliche Mattstellen und Ruppigkeiten des Orchesters aus und unterstreicht die Originalität der mitten ins Geschehen greifenden Introduzione, in der der Spanier Moisés Marin mit sensationeller Höhe, hell strahlendem Tenor und Autorität in den Rezitativen als Goffredo den Ton für das Liebesdrama zwischen der Zauberin Armida und dem Ritter Rinaldo vorgibt. Er ist einer der sechs Tenöre des üppig bestückten Männer-Ensembles, das bei der Uraufführung mit vier Tenören ausgekommen war, da die meisten Partien sehr überschaubar sind und nie zugleich auftreten oder wie Gernando frühzeitig gemeuchelt werden. Patrick Kabongo singt die einzige geschlossene Arie, in der Gernando seiner Eifersucht auf Rinaldo freien Lauf lässt, mit klein wenig enger Höhe, aber Leichtigkeit und Eleganz, in der seine souveräne Erfahrung mit dem Repertoire und kluge Gestaltungskraft zum Ausdruck kommen. Chuan Wang und César Arrieta stehen als Carlo und Ubaldo Rinaldo im hinreißenden Terzett im dritten Akt zu Seite, Manuel Amati macht als Eustasie nachdrücklich auf sich aufmerksam. Achtbar die Leistungen der beiden Bässe (Jusung Gabriel Park, Shi Zong).
Die einzige und zentrale durchgehende Tenorpartie ist der Rinaldo, für den der Amerikaner Michele Angelini alles gab, dabei sowohl zärtlich und draufgängerisch, sanft und wild und immer mit Inbrunst und Überzeugungskraft sang, durch präzise Triller und Koloraturen, saubere Höhen und metallische Strahlkraft überzeugte. Die drei Szenen und Duette mit Armida sind von großer Sinnlichkeit und Stimmzauber. Bereits im ersten Akt umgirren sich die beiden Stimmen, steigern sich im zweien Akt in einen Sinnestaumel und liefern sich im dritten ein kurzes leidenschaftliches Duell.
Die spanische Sopranistin Ruth Iniesta, die mittlerweile mit Violetta, Gilda, Amina, Liu und Thais gut beschäftigt ist, verfügt über einen opulent warmen, dunkel sinnlich timbrierten Sopran, mit dem sie alle Facetten der Zauberin bis ihn zum virtuosen Gaukelwerk in „D’amore al dolce impero“ und den kernigen Racheattacken ausspielen kann. Für den Philharmonischen Chor und vor allem das Philharmonische Orchester Krakau bedeutet das Stück mit seinen solistisch ausgeleuchteten Stimmungen, Zauber- und Gruselszenen ein Kraftakt. Pérez-Sierra lässt keine Langeweile aufkommen und fängt den romantischen Ton der Musik ein, wie er nicht nur in der langen, einem Flötenkonzert gleichenden Ballettmusik am Ende des zweiten Aktes zum Ausdruck kommt. Rolf Fath