Erstaunlich oft eingespielt

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Jean-Marie Leclairs Tragédie-lyrique Scylla et Glaucus, seine einzige Oper, ist auf dem Markt in mehreren Einspielungen vertreten. 1986 nahm John Eliot Gardiner das Stück mit seinen English Baroque Soloists für Erato auf, 2016 kam bei Alpha eine neue Version unter Leitung von Sébastien D’Hérin heraus. Die letzte Produktion entstand im April 2021 in Warschau unter Stefan Plewniak als Bestandteil der Collection Château de Versailles Spectacles. Nun legt GLOSSA eine im März 2022 in Budapest entstandene Aufnahme mit dem Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi vor (GCD 924015, 2 CDs).

Auf diesen Seiten wurde die Version unter Plewniak bereits besprochen und in dieser Rezension auch die Handlung des Werkes sowie dessen musikalischer Umriss erläutert.

Vashegyi bringt die Höhepunkte der tragédie vom pastoralen Charme des 1. über die scène infernale mit dem Ausbruch des Ätna im 4. Akt bis zum tragischen Finale mit Scyllas Verwandlung in einen Felsen zu starker Wirkung. Auch ihre graziösen Tänze lässt er mit dem wunderbar musizierenden Orchester delikat ertönen.

Die drei Hauptrollen des Werkes sind idiomatisch besetzt. Mit leicht säuerlichem Sopran, aber musikalischem Gespür ist Judith van Wanroij eine gestandene Scylla. In Cyrille Dubois hat sie einen exquisiten Partner als Glaucus. Sein Tenor in der Nähe zum haute-contre schmeichelt bis in die Extremhöhe. Wunderbar harmonieren die Sänger der Titelrollen in beider Duo „Que le tendre Amour“ im 3. Akt. Als Circé wirkt mit Véronique Gens eine renommierte Spezialistin des französischen Barock mit und wieder überzeugt sie mit einer Ausnahmeleistung. Ihr Sopran klingt weich und gerundet, was ihre Soli zu kostbaren Momenten macht. Aber die Stimme verfügt auch über Koloratur-Attacke – zu hören beispielsweise in ihrem rasenden Air „Courons, courons à la vengeance“ am Ende des 2. Aktes. Nicht weniger als fünf Airs hat sie im 4. Akt, die vom flehentlichen „Reviens, ingrat mais cher amant“ über das furiose „Ah! que la vengeance“ und majestätische „Noires divinités“ bis zum erhabenen „Déesse redoutable“ reichen und die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Sängerin aufzeigen. Überwältigend endet das Werk mit der Symphonie pour les aboiements des monstres qui environnent Scylla.

Die Einspielung darf unter die besten des Jahres eingereiht werden und sei jedem Liebhaber des Genres empfohlen (31. 12. 23.). Bernd Hoppe