Spurensuche

.

Nach Jéliote, haute-contre de Rameau und Dumesny, haute-contre de Lully vollendet Reinoud Van Mechelen bei Alpha Classics seine haute-contre-Trilogie mit Legros, haute-contre de Gluck (ALPHA 554). Joseph Legros  (1739 – 93) sang an der Pariser Opéra, renommierte Komponisten wie Gossec, Grétry, J. C. Bach und Piccinni schrieben Partien für ihn. 1774 traf Gluck in Paris ein, was einen Wendepunkt in der Karriere des Sängers markierte. Er trat als Orphée und in beiden Iphigénie-Opern auf. Gerühmt wurde er für seine Musikalität, den enormen Tonumfang, die ungewöhnliche Virtuosität und die spektakulären Spitzentöne.

Van Mechelen wird bei dieser Einspielung, die im Dezember 2022 in Antwerpen entstand, wieder von seinem Ensemble a nocte temporis begleitet und macht mit für Legros komponierten Opern bekannt. Am Beginn steht Jean-Benjamin de La Borde mit drei Ausschnitten aus Thétis et Pelée. Das Orchester stimmt die muntere, von den Bläsern dominierte Ouverture an und gefällt mit musikantischem Schwung. Das Air „Que mon destin est déplorable“ wird dominiert von trauernden Tönen. Auch im zweiten Air, „Ciel! En voyant  ce temple redoutable“, wird das Schicksal beklagt, was dem Sänger Gelegenheit gibt, mit empfindsamem, schmerzlichem Ausdruck aufzuwarten.

Es folgt Pierre-Montan Berton, aus dessen Sylvie drei Szenen zu hören sind. In ihrer Anlage sind sie graziös, die erste vokal, orchestral die beiden anderen. Van Mechelen, der eben erst in der Berliner Staatsoper als Jason in Charpentiers Médée reüssierte, lässt einen hellen, silbrigen Tenor mit feinen Nuancen hören. Mit Jean-Claude Trial und dem sanften Air „Amour, si tu te plais“ aus La Fête de flore kommt ein weiterer unbekannter Komponist zu Wort, bevor mit Gluck, Gossec, Grétry. Piccinni und J. C. Bach die bekannten an der Reihe sind. Die Gluck-Abteilung ist überschrieben „Gluck arrive à Paris – 1774“ und wird eingeleitet  mit der Ouverture zu Iphigénie en Aulide, in welcher das Ensemble Gelegenheit hat, mit kontrastierenden Affekten zu brillieren. Das Air des Achille „J’obtiens l’objet que j’aime“ gehört zu den Glanzstücken in Van Mechelens Interpretation, ähnlich wie das Air „Accablé de regrets“, mit dem die Gruppe aus Orphée et Eurydice eröffnet wird. Im folgenden „Ballet des ombres heureuses“ wartet das Orchester mit wunderbar kantablem Spiel auf. Nach „Quel nouveau ciel“, welches der Solist mit berührender Zärtlichkeit anstimmt, darf natürlich auch das vokale Highlight der Partie nicht fehlen: „J’ai perdu mon Eurydice“, das durch sein forsches Tempo gar nicht sentimental daherkommt. Auch jedes Pathos ist diesem introvertierten Vortrag fremd. Mit dem Air des Pylade, „Quel langage accablant“ aus Iphigénie en Tauride endet die Anthologie in feinsinnig erfasster Stimmung.

Von Gossec erklingen zwei Airs des Titelhelden aus Alexis et Daphné – ersteres kontemplativ, das zweite lebhaft und auftrumpfend. Abwechslungsreich ist die Auswahl aus Grétrys Céphale et Procris mit zwei Airs und zwei Instrumentalstücken. Der Block zählt zu den Glanzlichtern des Albums. In dem Air des Titelhelden „Ô funeste amitié“ aus Piccinnis Atys sind dramatische Deklamation und energische Attacke gefordert, was der Solist beeindruckend erfüllt. Auch a nocte temporis darf noch einmal mit seinem kultivierten Spiel erfreuen – im Largo aus J. C. Bachs Amadis de Gaule. Und es gibt sogar einen Titel von Legros selbst – das Air „C’est ici que j’ai vu“ aus Hylas et Églé, welches in seinem lieblichen Melos in der Erinnerung das Bild eines schönen  Wesens heraufbeschwört.

Das Album ist in seiner Konzeption – ähnlich wie die Vorläufer dieser Trilogie – vorbildlich und lässt deutlich die Mitwirkung des Centre de musique baroque de Versailles erkennen (28. 12. 23) . Bernd Hoppe