Sohn der Stadt

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Das Schicksal  nicht allzu mutwillig herausfordern wollte wohl Dirigent Federico Maria Sardelli, als er 2022 bei der Aufführung von Jean-Baptiste Lullys pastorale heroique Acis et Galatée beim Maggio Musicale Fiorentino nur zu Beginn und zum Schluss mit dem zu Lebzeiten des Komponisten üblichen Dirigierstock hantierte, solange das Auge der Kamera auf ihm ruhte. Dem Komponisten war bei seiner letzten Amtshandlung die Spitze desselben in den Fuß eingedrungen, was zu Wundfieber und zum Tod von Lully geführt hatte. In der Sala Zubin Mehta beginnt das Werk  in der Regie von Benjamin Lazar als eine Art immer wieder von Tänzchen oder auch einmal einem Blinde-Kuh-Spiel unterbrochenes Picknick, eine riesige Videowand täuscht eine Lichtung im Wald  (Adelin Caron), zwei Gemälde  intimere Räume vor, und die Kostüme von Alain Blanchot wirken gewollt improvisiert. Insgesamt wird keinerlei Virtuosität vorgetäuscht, sondern eher der Eindruck erweckt, Amateure hätten sich mit einer ihre Möglichkeiten übersteigenden Aufführung etwas übernommen. Das hat alles einigen Charme, ermüdet mit der Zeit aber doch durch seine wohl gewollte Unbeholfenheit.

Das Werk beginnt mit der für die  Zeit  typischen Lobpreisung Ludwigs XIV., d.h. eher des Dauphin, der die Uraufführung als Gast aristokratischer Gastgeber auf Chateau d‘Anet, 80 Kilometer von Paris entfernt, erlebte. Erst nach einigen Aufführungen in der Provinz gelangte die Oper nach Paris, wo sie mit allem Bühnenzauber, dessen man damals fähig war, aufgeführt wurde. Auf diesen nun verzichtet man in Florenz bewusst, allerdings leider auch auf eine, was die Sänger betrifft, durchgehend zufriedenstellende Besetzung. Dabei handelt es sich schließlich um die italienische Erstaufführung eines Werks von Jeanbattista Lulli, der ein Sohn der Stadt war. Ganz anders und dem Anlass entsprechend verhält es sich mit dem Orchestra e Coro del Maggio Musicale, denen der Dirigent feierliche Pracht wie graziöse Detailverliebtheit entlocken kann. Die vier professionellen Tänzer Caroline Ducrest, Robert Le Nuz, Alberto Arcos und Gudrun Skamletz  heben sich unter Leitung der Letzteren nicht sonderlich von den tanzenden Sängern ab, was bei der immensen Bedeutung, die das Ballett hat, recht ärgerlich ist.

Insgesamt schlägt sich das weibliche Personal besser als vor allem die hohen Männerstimmen. Der haute-contre Jean-Francois Lombard hat für den Acis recht wenig vokale Substanz, gibt aber immerhin einen liebenswerten, seine Naivität glaubwürdig vermittelnden Hirten. Seinen Kollegen Teléme verkörpert Sebastian Monti mit Schwierigkeiten beim Registerausgleich, der sich stärker noch beim Apollon bemerkbar macht. Außerdem singt er den Priester der Juno. Erfreulich gut schlagen sich die dunkleren Stimmen, so der Polipheme von Luigi De Donato mit markantem Bass oder der Neptune mit götterwürdiger Präsenz von Guido Loconsolo. Eine zarte, aber zu virtuosem Einsatz fähige Sopranstimme hat Valeria La Grotta für Diane, Zweite Najade und Scylla, mehr Glanz und Fülle besitzt der Sopran von Francesca Lombardi Mazzulli, die zutreffend L’Abbondanza, dazu Aminte und Erste Najade singt. Der unangefochtene Star der Aufführung, und das nicht nur wegen ihres langen Solos am Schluss, ist Elena Harsány als Galatée mit lyrischem Feuer und anmutigem Spiel. Das war hoch professionell und stimmte versöhnlich gegenüber mancher Unzulänglichkeit im Geamtablauf (Dynamic 57971). Ingrid Wanja