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Muss es denn noch eine Cavalleria Rusticana sein und dazu noch mit einem Orchester, das bisher nicht gerade als Spezialist für den italienischen Verismo aufgefallen ist? Muss es nicht, aber kann es gern, wenn es sich um die Urfasssung der Partitur des jungen Pietro Mascagni handelt, so wie er seinen Einakter hoffnungsvoll der Kommission, die über den Gewinner des vom Mailänder Verleger Edoardo Sonzogno zum zweiten Mal veranstalteten Wettbewerbs entscheiden sollte, vorgelegt hatte. Als Sieger stand der Komponist aus Livorno schnell fest, auch weil sein Konkurrent Leoncavallo keinen Ein-, sondern einen Zweiakter eingereicht hatte, aber die Proben erwiesen sich als schwierig, da der Chor des Teatro Costanzi in Rom Schwierigkeiten mit seiner umfangreichen und anspruchsvollen Partie hatte und Sopran und Tenor mit der Tessitura nicht zurechtkamen, eine Transposition um einen halben oder sogar ganzen Ton für Teile ihrer Rolle forderten. Mascagni kam den Forderungen nach, auch wenn es ihm, so berichtet er in einem Briefwechsel, schwer fiel, die geänderten Bruchstücke wieder sinnvoll in die Partitur einzubetten, er verkürzte das Auftrittslied des Baritons um eine der vorgesehenen drei Strophen, so dass am Ende mehr als zehn Prozent der Oper dem Rotstift zum Opfer fielen. Da die dritte Strophe von Alfios Arie eigentlich zum Verständnis des formalen Aufbaus des Stücks notwendig ist, war der Verzicht auf sie auch der für Mascagni schmerzlichste. Cavalleria Rusticana fällt auch durch die Besetzung aller drei Frauenpartien mit einer tiefen Frauenstimme auf. Zwar haben auch viele Soprane, darunter Callas, die Partie gesungen, aber die großen, unvergesslichen Santuzzas waren Mezzosoprane wie Simionato oder Cossotto. Auf der nun vorliegenden CD ist die Partie einem lyrischen Sopran anvertraut, nachdem die Transpositionen rückgängig gemacht worden sind. Außerdem ist das Auftrittslied des Alfio wieder dreistrophig, was eindeutig einen Gewinn darstellt.
Der Balthasar Neumann Choir und das gleichnamige Orchestra unter Thomas Hengelbrock geben sich im November 2022 in Baden Baden eher sanft melodisch als scharf akzentuierend, das Orchester gewinnt an Gewicht nach Turiddus Preislied, das sehr aus der Ferne erklingt, filigran zeichnet das Zwischenspiel die herrschende Stimmung nach.
Die Santuzza von Carolina López Moreno singt mit zartem, apartem, hellem Sopran, sehr delikat, auch spritzig, sanft verhauchend im „io son dannata“. Insgesamt ist sie verletzlicher, aber auch unbedeutender als Person, der man die leidenschaftliche sizilianische Bäuerin nicht recht abnimmt. Sie mag an Höhe gegenüber den traditionellen Santuzzas gewinnen, nicht aber an Glaubwürdigkeit, zumindest was die inzwischen entstandenen Hörgewohnheiten betrifft. Giorgio Berrugi ist ein italienischer Tenor mit dem entsprechend passenden Timbre, das er aber auch für den Siegmund einsetzt. Einen schlanken, zunächst gar nicht bärbeißigen Alfio singt Domen Križaj, geht auch mal im Chor unter, steigert sich aber im Verlauf des Geschehens zu dunkel tönender Tragik. Auch einmal eine gute Santuzza war Elisabetta Fiorillo, die nun als Mamma Lucia wesentlich zur angemessenen dichten akustischen Atmosphäre beiträgt und nicht nur Stimmreste anzubieten hat. Eva Zaȉcik tändelt als verführerische Lola durch die Musik.
Was einmal als Ergebnis des Unvermögens der ausführenden Kräfte dem jungen Mascagni Kopfzerbrechen bereitete, scheint doch, insbesondere die Stimmlage der Santuzza betreffend, die bessere, zumindest die lieb gewordene Lösung für den unsterblichen Einakter zu sein (Prosp0088). Ingrid Wanja