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Der Film Il Boemo des tschechischen Regisseurs Petr Vaclav erzählt die Geschichte des böhmischen Komponisten Josef Myslivecek, der von 1737 bis 1781 lebte, nach Italien ging und dort zu einem berühmten Opernkomponisten avancierte. In Bologna lernte er 1770 Mozart kennen, mit dem er sich anfreundete und in seiner Musik auch stilistische Verwandtschaft zeigt. Nach Jahren der Vergessenheit galt erst in jüngster Zeit seinem Werk wieder die verdiente Aufmerksamkeit der Musikliebhaber – auch dank dieses Films von 2022 als tschechisch-slowakisch-italienische Koproduktion.
Dankenswerterweise hat ERATO nun eine CD mit dem Soundtrack herausgebracht, so dass man auch rein akustisch die Vielfalt des Schaffens von Myslivecek nachhören kann (5054197238147). Die Aufnahmen der Opernszenen fanden bereits 2019 in der Prager St. Anna Kirche und im Teatro Sociale von Como statt. Es musiziert das im Barockgenre renommierte Prager Ensemble Collegium 1704 unter seinem Leiter Václav Luks. Es eröffnet die Anthologie mit der dreisätzigen Overture aus der Oper Ezio von 1777. Sie zeigt die Nähe zu Mozart schon im einleitenden lebhaften Allegro con spirito, zu dem das mittlere Andantino affettuoso in seinem graziösen Charakter einen schönen Kontrast bildet und das finale Presto einen turbulenten Ausklang bringt.
Prominente Gesangssolisten sind am Werk, darunter die ungarische Sopranistin Emöke Baráth und der französische Countertenor Philippe Jaroussky. Sie bringt den ersten Gesangsbeitrag zu Gehör – die Arie der Cleonice, „Mi parea del porto“, aus Demetrio (1779). Die noble Stimme lässt sogleich an die Figaro-Contessa denken, und auch die Arie in ihrer kantablen, wehmütigen Stimmung weckt die Erinnerung an diese große Figur in Mozarts Schaffen. Der Schlussteil ist gespickt mit Koloraturen und wird von der Interpretin glänzend bewältigt. Er folgt mit der Arie des Licida, „Gemo in un punto“, aus L’Olimpiade (1778), in der er wieder seinen infantilen Stimmklang hören lässt, und singt später daraus noch eine weitere Arie des Licida, „Mentre dormi“, auch diese in knabenhafter Manier. Auch die hierzulande noch weniger bekannte deutsche Mezzosopranistin Sophie Harmsen präsentiert mit der dramatischen Arie der Argene „Che non mi disse“ einen Titel aus diesem Werk. Sie sorgt damit für einen Höhepunkt in der Sammlung, trägt das aufgewühlte Stück mit erregtem Ausdruck vor. Schließlich endet die Anthologie mit drei Ausschnitten daraus, zwei Rezitativen zwischen Megacle und Licida sowie der Arie der Megacle „Se cerca, se dice“ mit der bekannten italienischen Sopranistin Raffaella Milanesi. Stilistisch versiert, trägt sie die Arie mit reicher Gefühlsempfindung vor und macht im Schlussteil den seelischen Aufruhr der Figur deutlich.
Sophie Harmsen singt vorher eine Arie der Eva, „Non so se il mio peccato“, aus der unbekannten Oper Adamo ed Eva (1771). Die reizvoll androgyne Stimme bietet den elegischen Titel mit feinen Konturen. Lohnend ist die Bekanntschaft mit dem polnischen Tenor Krystian Adam, der die Arie des Ariobate, „Pria ch’io perda“, aus Il Bellerofonte vorstellt. Die wohllautende Stimme von beherztem Ausdruck dürfte auch ein glänzender Tito sein, bringt das Stück des Böhmen mit perfektem stilistischem Einfühlungsvermögen zu Gehör. Es ist Mysliveceks zweite Oper aus dem Jahre 1767, komponiert für die Geburtstagsfeier des neapolitanischen Königs Karl III., mit der er im Teatro San Carlo von Neapel seinen Durchbruch in Italien errang. Daraus singt die slowakische Sopranistin Simona Saturovà die bravouröse Arie der Argene mit obligatem Horn „Palesar vorrei col pianto“, welche die längste Nummer des Programms darstellt und dem Horn reizvolle solistische Einsätze gewährt. Die Stimme ist im Klang etwas larmoyant., aber gebührend virtuos für das Zierwerk, die Kadenz allerdings in ihrer Ausdehnung überzogen. Später ist sie noch als Rinaldo aus Armida (1779) zu hören. Die Arie „Il caro mio bene“ ist ein anmutiges Andante, das wiederum an Mozart denken lässt. Beim Quartett „Deh in vita ti serba“ aus Romolo ed Ersilia (1776) werden Baráth und Jaroussky durch den deutschen Altus Benno Schachtner und den spanischen Tenor Juan Sancho ergänzt. Letzterer lässt durch den virilen Charakter seiner Stimme und die zupackende Gestaltung in Idomeneo-Nähe aufhorchen.
Die CD ist eine Fundgrube für die Musik des böhmischen Komponisten und eine Gelegenheit, sein Werk neu zu entdecken – sie sei allen Musikliebhabern empfohlen. Bernd Hoppe