Futuristisch

.

Bei dieser Turandot gibt es vier Rätsel: Drei stellt Turandot an den Prinzen Calaf, eines stellt der Regisseur Franc Aleu (aus der Künstlergruppe La Fura dels Baus) an das Publikum. Denn diese Turandot vom Gran Teatre del Liceu in Barcelona aus dem Jahr 2019 ist reichlich futuristisch ausgefallen. Man wird eher in die Welt der Science-Fiction-Filme als in die der Oper versetzt. Dabei bleiben die Bezüge zur Oper Turandot oft rätselhaft. Aleu arbeitet überwiegend mit Projektionsmapping und 3D-Technik und erschafft eine an Phantasie kaum zu übertreffende Bilderwelt aus Formen und Farben. Das Geschehen findet oft in einer Art Glaskugel oder Blase statt. Häufig wird der Gaze-Vorhang bemüht. Bei den von Turandot aufgegebenen Rätsellösungen (Hoffnung, Blut, Turandot) taucht Aleu die Bühne in die korrespondierenden Farben Grün, Rot und Blau. Die finden sich auch in den Kostümen der drei Minister, die sich mitunter wie Roboter bewegen und aus fremden Welten zu kommen scheinen. Alle (außer Liu und Timur) tragen Argumented-Reality-Brillen, wie man sie inzwischen aus Bayreuth kennt. Auch Lichtschwerter gehören zur Ausstattung. Mit den sich ständig wechselnden Lichtstimmungen wird dem Auge viel geboten. Aleu sorgt für eine Orgie aus Licht und Farben. Wenn bei Lius Arie Tränen vom Himmel fallen, ist das nachvollziehbar, wenn aber Büsten herunterfallen und am Boden zerschellen, ist es nicht unbedingt so. Man hat mitunter den Eindruck, dass die Technik hier zum Selbstzweck wird und nicht unbedingt im Dienste des Werkes steht. Eines muss man aber zugeben: Interessant und faszinierend ist es allemal.

Ein paar Besonderheiten gibt es in der Inszenierung von Aleu. Liu begeht hier keinen Selbstmord sondern wird mit elektrischen Stromstößen gefoltert und hingerichtet. Die geschundene Leiche weckt das Mitleid von Turandot. Der Prinz Calaf interessiert sie eher nicht . Und Calaf? Der singt nur noch die bizarre Krone an, die er Turandot vom Kopf gerissen hat. Macht scheint wichtiger zu sein als Liebe.

Bei den sängerischen Leistungen ragt die von Ermonela Jaho als Liu heraus. Sie singt zartstimmig und mit schwebenden Tönen. Ihr Darstellung trifft ins Herz. Iréne Theorin punktet als Turandot vor allem mit ihrer messerscharfen und durchschlagskräftigen Höhe. Für ihr hässliches Kostüm kann sie nichts. Beim Calaf von Jorge De León braucht man um die hohen Töne und sein Durchhaltevermögen keine Angst zu haben. Er hat eine wuchtige, virile Stimme, mit der er seine Partie aber mitunter zum reinen Kraftakt werden lässt. Der Timur ist mit Alexander Vinogradov stimmig und zuverlässig besetzt. Ein Wiedersehen gibt es mit Chris Merritt, der als Altoum mit Helm und Brustpanzer immer noch mit altersgerechter Stimme beeindruckt.

Chor und Orchester unter der Leitung von Josep Pons sorgen für eine Ausgefeilte, aber auch wuchtige Wiedergabe. Fazit: Eine Turandot der besonderen Art, die durchaus faszinieren kann. (C-Major 763604 Blu-ray)Wolfgang Denker