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Als Joseph Haydns Entführung aus dem Serail galt den Zeitgenossen dessen Oper L’Incontro improvviso und war damit eines der vielen Musikwerke in orientalischem Milieu und/oder zumindest mit orientalischem Personal, die nach der Aufhebung der Belagerung der Stadt Wien durch die Türken unter Zurücklassung nicht nur eines Sackes Kaffee, sondern auch einer Janitscharenkapelle sich großer Beliebtheit erfreuten. Allerdings musste erst einmal ein Jahrhundert seit der Bedrohung vergangen sein, und der Geist der Aufklärung musste die Gehirne durchlüftet haben, ehe man im Fremden nicht mehr den Feind, sondern durchaus, siehe Bassa Selim, den an Toleranz sogar Überlegenen zu schätzen gelernt hatte. Die opera semi seria wie der Incontro ist dabei bereits die zweite Form der Türkenoper, die zuvor lediglich als opera seria anzutreffen war. Mit ihrem teilweise komischen Personal gehören Entführung wie Incontro zu dieser Gattung. Die reine opera buffa in orientalischem Milieu war erst einer späteren Zeit vorbehalten und fand mit Rossinis L’Italiana in Algeri oder IL Turco in Italia ihren Höhepunkt. In den meisten dieser Werke ging es um die Entführung und Befreiung europäischer oder einheimischer Frauen aus dem Harem.
Haydn komponierte seine Oper anlässlich eines Festes, dass sein Brotherr Fürst Esterhazy zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia und eines ihrer Söhne auf Schloss Eszterhaz gab. Wohl auch weil Haydns Werk ausschließlich orientalisches Personal hat, findet sich in ihm nicht der Kontrast zwischen „europäischer“ und an die türkischen Janitscharen erinnernder Musik, sondern eher eine an den Orient gemahnende Instrumentierung. Übrigens ging die Musik zu einigen wenigen Rezitativen verloren, so dass sie gesprochen werden.
Das Libretto ist eine Adaption eines bereits von Gluck verwendeten Textbuchs mit dem Titel La rencontre imprevue. Die persische Prinzessin Rezia ist von Seeräubern entführt und an den Sultan von Ägypten verkauft worden. In seinem Harem lebt sie in Gesellschaft zweier Gespielinnen, Balkis und Dardane. Ihr Verlobter Ali, Prinz von Basra, sucht sie verzweifelt. Er hat einen verfressenen Diener, Osmin, der vom Derwisch Calandro zum Eintritt in den reichen Essensprofit versprechenden Bettelorden überredet wird. Es wird die Flucht der Rezia und ihrer Gefährtinnen organisiert, sie scheitert, aber der Sultan vergibt allen und lässt sie ziehen.
L’Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg versetzt den Hörer unmittelbar in eine heitere Stimmung durch sei frisches, zupackendes Aufspielen, nicht zuletzt durch den leicht orientalischen Anstrich, den es der Musik verleiht. Vorwiegend hell, leicht und damit ein wenig eintönig wirkt das Gesangsensemble, denn erst ganz zum Schluss bringt der Sultan von Michael Wagner mit seinem dunklen Bass eine weitere Farbe ins musikalische Geschehen. Empfindsam geht Bernhard Berchtold seine Partie, den Prinzen Ali, an, sein langes Rezitativ singt er kultiviert und sensibel, leider nicht mit einer Stimme wie aus einem Guss, sondern mit recht flach klingender Mittellage. Im Duett „Son quest‘ occhi“ mit seiner Partnerin kann er sich enorm steigern. Diese ist Elisabeth Breuer mit kindlich klingendem soprano leggerissimo, der klar und silbrig, dazu höhensicher erklingt, koloraturgeläufig ist und nur in der absoluten Extremhöhe an seine Grenzen gerät. Ihre Gefährtinnen sind Annastina Malm als apart klingende Dardane, manchmal etwa scharf, aber angenehm agogikereich, und Anna Willerding als Balkis, licht und fein der Sopran, doch leider etwas verwaschen und unbestimmt. Es gibt ein sehr anmutiges Terzett der Damen, in dem alle drei reüssieren können, so wie auch das Duett Osmin/Calandra zu den Höhepunkten der Aufnahme gehört. Angenehm textverständlich ist der Osmin von Markus Miesenberger, der seinen Charaktertenor mit schöner Geläufigkeit einsetzt, auffallend textverständlich ist. Weniger kann damit der Calandra von Rafael Fingerlos glänzen, dafür aber mit einer auffallend süffigen Farbe aufwarten kann. Insgesamt lohnt die Bekanntschaft mit dieser anderen Entführung durchaus, ist die CD höchst empfehlenswert und das dazu gehörende Booklet höchst informationsreich ( 2 CD CPO 555 327-2). Ingrid Wanja