Schloss zu gewinnen

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In dramatischer wie musikalischer Hinsicht verdiene La Princesse de Trébizonde so viel Aufmerksamkeit wie La Belle Hélène oder La Grande Duchesse de Gérolstein. Der das sagt, ist Jean-Christophe Keck, dessen Ausgabe von Offenbachs Baden-Badener Opéra-bouffe im Rahmen seiner Offenbach Edition Keck das Material der Uraufführung im Schwarzwälder Kurort im Sommer 1869 und der wenige Monate in Paris aufgeführten Version sichtete und herausgab. Opera Rara griff zu und präsentiert die Princesse als Dreiakter in der Form, wie sie im Dezember 1869 am Théâtre des Bouffe-Parisiens erstmals aufgeführt wurde, ergänzt um Passagen aus der zweiaktigen Baden-Badener Fassung, die aus dramaturgischen Gründen geopfert wurden (2 CD ORC63).

Vielleicht liegt die Missachtung der Prinzessin von Trapezunt daran, dass es sich bei der Prinzessin aus dem Kaiserreich am Schwarzen Meer im Gegensatz zu den beiden anderen Damen nur um eine Puppe handelt. Sie ist die Attraktion des Schaustellers Cabriolo, der mit seiner Schwester Paola und seinen beiden Regina und Zanetta sowie dem Diener Tremolini seine Künste auf einem Marktplatz darbietet. Durch einen Zufall, ein unter die Tageseinnahmen geratenes Lotterielos, verschlägt es die Schausteller auf ein Schloss, während sich die Adeligen unters Volk mischen. In seinem musikalischem Vexierspiel nimmt Offenbach spätere TV Container-Formate vorweg, löst Standesunterschiede auf und gab einen Typus vor, von dem die Operetten noch ein halbes Jahrhundert zehren konnte. Die große Unbekannte aus Offenbach Werkkatalog war vor wenigen Jahren im Rahmen der Osterfestspiele in Baden-Baden erstmals wieder in das Theater zurückgekehrt, wo sie 1869 unter Offenbachs Leitung erstmals erklungen war; damals allerdings bereits in der dreiaktigen Fassung, die seit Offenbachs Überarbeitungen de rigieur war.

Trapezunt mutiert bei Offenbach nicht zu einem Sehnsuchtsort der Musikbühne des 19. Jahrhunderts. Die Prinzessin ist die Attraktion im Wachsfigurenkabinett Cabriolos. Versehentlich bricht ihr seine Tochter Zanetta die Nase ab, weshalb sie selbst als Puppe posiert. Prompt verliebt sich Prinz Raphael in sie. Ebenso prompt gewinnen die Gaukler mit dem Lotterielos des Prinzen ein Schloss. Eine hübsche Idee der Librettisten Nuitter und Tréfeu und Offenbachs, der immerhin durch den Casino-Betreiber Bénazet an die Oos gelockt worden war und im mondänen Modebad Stoff für weitere Operetten gefunden haben sollte. Cabriolos zweite Tochter Regina verliebt sich in den Clown Tremolino, seine Schwester Paola in Raphaels Erzieher Sparadrap. Das alles lässt sich nicht erzählen, muss man auch nicht, ist pure Buffonerie, welcher Karl Kraus ein „buntes Raketenfeuer phantastischer Erfindung“ beschied und Offenbach in erstaunlich viele kleine Chansons und Couplets verpackte, die er im rasanten Tempo ins erste Finale treibt, bevor die Handlung auf das Schloss Cabriolos schwenkt, wo sich die Truppe schrecklich langweilt. Nun kommt die Handlung richtig in Fahrt, bis zum dritten Finale drei heiratswillige Paare zusammenfinden und Raphaels Vater Prinz Casimir das Schlusswort spricht „Allons! Mariez-vous tous“.

Das geht musikalisch alles schwuppdiwupp. Kaum hat sich Antoinette Dennefeld als Régina mit dunkel schwerem Mezzo, der gerade noch apart und nicht ordinär wirkt, vorgestellt, lässt Virginie Verrez als Prinz Raphael mit seiner Tauben-Romanze, Romance de tourterelles, die Herzen dahinschmelzen; Raphael ist ein Romanzen-Prinz, denn im dritten Akt hat Offenbach ihm eine nicht minder schmachtende Romanze zugedacht. Anne-Catherine Gillet ist in Frankreich eine Konstante in Aufführungen komischer Oper von Offenbach, Auber, Varney, Lecocq und Messager und gestaltet die Zanetta mit Witz, Eleganz und mit Geschmack. Der Kanadier Josh Lovell klingt als Raphaels Vater zweifellos zu jung, doch das muss nicht stören, denn er kann hinsichtlich Tempo, Schmelz und Charme, etwa in den Couplets de la canne, gut mit mithalten mit solchen Buffonisten wie dem drollig stimmlosen, aber erfahrenen Christophe Mortagne als Tremolini und Loïc Félix als Erzieher Sparadar oder Christophe Gay als Cabriolo. Sie erweisen sich alle als idiomatisch glänzende, spritzige Singakteure, die durch die Ensembles wippen. Nicht nur die perlenden Ensembles zeigen, welchen Spaß die Truppe bei den konzertanten Aufführungen im September 2022 in London hatte, wobei es Paul Daniel gelingt, anfängliche Bedenken, dass er und das London Philharmonic Orchestra vielleicht doch zu akademisch klingen könnten, in den Eskapaden des dritten Aktes mit den herrlichen Nummern, darunter die Couplets und das Rondo der Pagen, die irrwitzigen Ariette du mal de dents und das Brindisi et Grand galop, wegwischt. Das hat alles Witz und Tempo, ist nie vorlaut und überschäumend. Und dann gibt es quasi als Zugabe noch eine gute halbe Stunde Musik aus der ursprünglichen Fassung. Viele Stücke wurden in Paris durch nicht minder originelle Alternativen, etwa das Grand duo zwischen Zanetta und Raphael oder „Mal de dents“-Ensemble, ersetzt bzw. wurden, wie das Quartett „Oh les belles femmes“ in Fantasio, anderweitig wiederverwendet. Ein großer Spaß. Rolf Fath