Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Simone Mayrs „Cherusci“

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Operalounge-Lesern wird nicht entgangen sein, dass wir besonders den Deutsch-Italiener Simon(e) Mayr lieben, der es von Ingolstadt nach Bergamo geschafft hat und dort in großen Ehren im örtlichen Dom begraben liegt. Nur wenigen deutschen Komponisten ist eine solche Karriere vergönnt gewesen. Johann Christian Bach zumindest wurde Kirchenmusikdirektor am Dom zu Mailand, bevor er in London sein Zentrum fand. Und Otto Nicolai hatte ebenso wie Giacomo Meyerbeer eine italienischen Phase (und ersterer erfuhr auch die Liebe dort). Dieses musikalische Cross-over von handfester deutscher Kompositionsbasis mit viel Kontrapunkt und italienischer Melodik zeitigte bei allen das Beste.

Nun also aufregende Nachricht für Mayr-Fans:  Bei Naxos gibt es die Cherusker  (I Cherusci) von Simon(e) Mayr in dem Mitschnitt aus Neuburg an der Donau vom September 2016 unter der Leitung von Franz Hauk/ 8660399-400.

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Simone Mayr in Italien/OBA

Während Napoleons Truppen durch Europa zogen, verfasste Simon(e) Mayr eine Oper, die im alten Germanien angesiedelt ist, um Christi Geburt herum, und die vor einem bewegten Hintergrund der Germanen-Römer-Kriege den Fokus auf das Schicksal des Sklavenmädchens Tusnelda legt, die von ihrem Stamm als heiliges Opfer ausersehen wurde. Das universelle Thema der Freiheit und des Patriotismus durchdringt diese bemerkenswerte Geschichte von Familienbanden, Eifersucht und verzweifelten Befreihungsversuchen, die später Komponisten  wie Beethoven oder Verdi interessiert haben.

Diese nun auf CD als Mitschnitt eines Konzerts im bayerischen Neuburg 2017 festgehaltene moderne Erstaufführung verwendet zeitgenössische Instrumente, wie sie bei der römischen Premiere 1830 erklungen haben. Die operalounge.de-Lesern nur zu vertraute Musikwissenschaftlerin Iris Winkler weiss dazu im nachstehenden Text mehr.

Die Ausführenden unter Dirigent Franz Hauk  sind bewährte Mayr-Interpreten. Der Simon Mayr Chor wurde 2003 gegründet und bewährt sich in Musik von der Renaissance bis in die Neuzeit. Das Concerto de Bassus (mit einer namentlichen Hommage an die Schirmherrin, die Baronin de Bassus, und natürlich dem fundamentalen Element der Barockmusik verpflichtet, dem Bass) ist ein junges Ensemble mit zeitgenössischen Instrumenten für Musik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert – viele Mitglieder kommen von der Hochschule für Musik und Theater München. 

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Und nun Iris Winkler zu Mayrs Oper I Cherusci bei Naxos:Das italienische Wort „Cherusci“ entspricht dem lateinischen und benennt einen alten germanischen Stamm. Die Cherusker, auch Herusker genannt, siedelten im Harz, zwischen Weser und Elbe. Caesar erwähnte den Volksstamm in seiner Schrift über den gallischen Krieg. Die Römer standen mit den Cheruskern im Krieg. Arminius, Hermann der Cherusker, und die Varusschlacht 9 n. Chr. gingen in Geschichte und Literatur ein. Heinrich von Kleist schrieb sein Drama Die Hermannsschlacht 1808 in Dresden. „Wehe, mein Vaterland, dir! Die Leier, zum Ruhm dir, zu schlagen, / Ist, getreu dir im Schoß, mir deinem Dichter, verwehrt.“

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“:“Die Hermannsschlacht“ von Theodor Gunkel/ Wiki

Das Motto des Dichters ließe sich durchaus als Bekenntnis deuten. Verstanden wurde dieses Historiendrama als ein politisch motiviertes und durch die Rezeption tradiertes Freiheitsdrama gegen die napoleonische Besatzung. Die brisanten politischen Verhältnisse standen einer Aufführung am Wiener Burgtheater 1809 entgegen. Plakative Lesarten setzten die Cherusker mit den Preußen, die Sueven mit den Österreichern und die zu besiegenden Römer schließlich mit den Franzosen gleich. Nach der Revolution von 1848 schien dann die Zeit für Kleists Hermannsschlacht, die erst in der von Ludwig Tieck 1821 besorgten Gesamtausgabe vollständig im Druck Verbreitung fand, gekommen zu sein. Aktuelle politische Botschaften, Patriotismus, Nationalbewusstsein spiegelten Regie und Inszenierung im 19. und im 20. Jahrhundert wesentlich zwischen den Weltkriegen.

„Ein Knabe sah den Mondenschein“, singt Hermanns Gattin Thusnelda bei Kleist (II/7). Mehr als den Namen hat die markomannische Königstocher und Cheruskerbraut Tusnelda in Mayrs Oper mit ihr allerdings nicht gemein. Der Suevenfürst Marbod, der bei Kleist erscheint, stieg historisch zum Markomannenführer auf, ist aber keineswegs mit dem Markomannenführer Treuta bei Mayr „verwandt“. „La Poesia e tutta nuova“, die Dichtung ist gänzlich neu, ist im Libretto zu Mayrs Oper zu lesen, die zum Karneval 1808 in Rom am Teatro di Torre Argentina zur Aufführung gelangte.

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“:: Autorin Iris Winkler/KU

Durch das Jahr 1808, die Entstehungszeit des Dramas und die Aufführungszeit der Oper, während Napoleons Besatzungsmacht Europa „einigte“, ließe sich von Kleist zu Mayr eine Verbindung ziehen. Mayrs „neuer“ Operntext hatte allerdings noch eine Vorgeschichte: Denn Vermarktungsgründe einerseits, andererseits die Notwendigkeit, das „Monopol“ der für das Teatro La Fenice in Venedig komponierten Werke zu umgehen, dürften bei dieser Formulierung im Librettodruck mitgespielt haben. Bei dem von Mayr verwendeten Libretto für I Cherusci handelt es sich um eine Umarbeitung des Textes von Gaetano Rossi für Stefano Pavesi. Pavesis gleichnamige Oper ging ein Jahr zuvor zum Karneval in Venedig in Szene. Bereits Michele Calella hat auf den Zusammenhang beider Werke ausführlich hingewiesen.(…)

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“: Charlotte Henriette Häser war die erste Tusnelda/ junglekye.de

Ein erstes Indiz hinsichtlich Mayrs neuem Opernauftrag für das Teatro Argentina zum Karneval 1808 gibt der Theateragent Angiolo Bentivoglio in seinem Brief an Mayr (Bologna, 15. November 1806). Über seine Interpreten in Rom am Teatro Argentina wurde Mayr durch die Theaterleitung im Vorfeld informiert. Domenico Leofreddi teilte Mayr in Bergamo in seinem Brief vom 9. September 1807 aus Rom die Namen mit: „Madama Carlotta Hayser“: „Bella voce di Soprano perfetto, arte sublime di cantare [….]“ „il Tenore Tacchinardi Professore, di buoniss:[im]a voce, e soprattutto impegniato sempre a fare il suo dovere. La Verge anch’essa Soprano perfetto eseguirä la Parte di Primo Soprano.“ „II Basso e un tal Benincasa […]“

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“: Arminius/ rompedia

Leofreddi verwies in diesem Brief auch auf einen Dichter.  ohne allerdings einen konkreten Namen zu nennen, der das Libretto für Mayr einzurichten hätte. Im laufenden Arbeitsprozess ist der venezianische Librettist Gaetano Rossi über Mayrs römischen Opernauftrag durchaus im Bilde und konkret an den Umarbeitungen beteiligt gewesen, was sein Brief an Mayr in Rom am 12. Dezember 1807 belegt. Rossi erwähnte darin zudem eine französische Tragödienvorlage. Naheliegend ist, dass Rossi von Jean Gregoire Bauvin die Tragédie Les Cherusques (1772/1773) gekannt hat. Unter dem Titel Os cheruscos wurden Mayrs I Cherusci zudem 1817 am Teatro de S. Carlos in Lissabon aufgeführt.

Mayrs I Cherusci ist in Gestalt der tradierten Opera seria eine brisante Zeitoper. Ohne Beachtung der kulturgeschichtlichen Hintergründe und politischen Umstände wird ihr Gehalt und ihre Botschaft verkannt. Sie spiegelt inhaltlich die zeitgenössische Ossian-Rezeption wider, die vor Napoleon nicht haltgemacht hat und den Kaiser der Franzosen und König von Italien gleichsam selbst mit ins Spiel bringt. Es geht um einen nationalen Barden, der den griechischen Sängermythos Orpheus überhöht (Wikipedia schreibt: Ossian ist ein angeblich altgälisches Epos aus der keltischen Mythologie. Diese „Gesänge des Ossian“ hat tatsächlich der Schotte James Macpherson (1736–1796) geschrieben. Als namensgebendes Vorbild für die Titelfigur suchte er sich Oisín aus, den Sohn des Fionn mac Cumhail. Inhalt der Gesänge sind episch dargestellte Schlachten und die Schicksale auserwählter edler Helden, die sich meist um die Rettung von Königreichen bemühen.).

Der singende Cheruskeranführer Tamaro mit dem Attribut Harfe wurde in der Erstaufführung nicht von einem Kastraten gesungen, sondern ist als Hosenrolle, donna musico, von der Sopranistin Feiice (Felicita) Verge (Verger, Virge) interpretiert worden.

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“: Thusnelda/ Loggia dei Lanzi, Florenz/ Wikipedia

Die Oper greift zudem die Opferthematik auf, die das heutige Opernpublikum meist nur noch von Glucks Iphigenie oder Mozarts Idomeneo kennt. In der Kerkerszene im zweiten Akt trägt Tusnelda das Opfergewand. Trompetensignale und der Topos Kerkerszene gelangten also auch nicht erst oder gar nur mit Beethovens Fidelio auf die Bühne.

Neben den Opernkonventionen, dem zeittypischen Ambiente wird bei Mayr eine private Personenkonstellation fokussiert (die Vater-Tochter-Beziehung), die kein Geringerer als Giuseppe Verdi aufgreifen wird: „Perdei la figlia“ – „Ich verlor die Tochter“ (1/4, CD 1 [4]): Coro e sortita: „Fra noi ritorni il giubilo“, vgl, weiter Finale I, II/2 2 (CD 2 31) Nr. 25 Recitativo accompagnato, (CD 2 H) Nr. 26 Duetto, M/8 Nr. 33 (CD 2 02) Recitativo accompagnato, (CD 2 03) Nr. 34 Recitativo, 11/10 Nr. 37 (CD 2 M) Recitativo accompagnato, (CD 2 071) Nr. 38 Aria, 11/11 (CD 2 H) Nr. 39 Recitativo, 11/12 (CD 2 (201 > Nr. 40, Finale M.

Mayr hatte in Rom eine Starbesetzung zur Verfügung, insbesondere hinsichtlich der wesentlichen Vater-Tochter-Konstellation. Nicola Tacchinardi spielte die Rolle des Königs Treuta. Tacchinardi spielte zunächst Violoncello im Teatro della Pergola in Florenz, bevor er als Tenor in den Opern von Ferdinando Paer, Giovanni Paisiello, Antonio Salieri, Rossini, Mayr und Mozart international brillierte. Auch als Gesangslehrer machte Tacchinardi sich einen Namen (seine Tochter und Schülerin Fanny Tacchinardi Persiani wurde 1835 die berühmte Lucia di Lammermoor, später auch die Titelfigur der französischen Version 1839). Die Sängerin Charlotte Henriette Häser, die Interpretin der Tusnelda, stammte aus einer Musikerfamilie aus Leipzig. Nach Erfolgen in Leipzig und Dresden und vor allem auch in Wien wurde sie in Italien bekannt. „Dem. Häser von Leipzig ist jetzt in Rom engagirt, und findet auch dort ausgezeichneten Beyfall“, berichtete die Allgemeine Musikalische Zeitung im März 1808. In Rom heiratete sie den Juristen Giuseppe Vera.

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“: der berühmte Tenor Nicola Tacchardini war der erste Treuta in Rom/ Wiki

In I Cherusci geht es bei Mayr um die Vater-Tochter-Konstellation, um die familiäre Bindung von Treuta und Tusnelda, die als innere Entwicklungslinie die neue Oper über Politik und Zeitkolorit tragen wird. Iris Winkler  (Anmerkung:  Vergl. Michele Calella, I Cherusci: Mayr und Pavesi, in: Franz Hauk, Iris Winkler (Hrsg.), Werk und Leben Johann Simon Mayrs im Spiegel der Zeit. Beiträge des Internationalen musikwissenschaftlichen Johann-Simon-Mayr-Symposions, 1.-3. Dezember 1995 in Ingolstadt, Mayr-Studien 1, München, Salzburg 1998, S.69-82.)

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Dazu auch die Rezension der Aufnahme von Mattias Käther, operalounge-Lesern vertraut und rbb-Hörern in Berlin und Brandenburg wegen seiner Opernsendungen und – Kommentaren unverzichtbar: Das Schicksal der Cherusker im Kampf mit den Römern hat viele Schriftsteller und Komponisten inspiriert. Aber germanische Helden als Stoff einer italienischen Oper – das würde man nicht unbedingt erwarten. I Cherusci, eine Opera seria, uraufgeführt 1808 in Rom, ist nun auf CD bei Naxos zu haben.

Mayr war schlichtweg der wichtigste und einflussreichste europäische Opernkomponist zwischen Mozart und Rossini, ein Bayer, gründlich musikalisch ausgebildet, als junger Mann nach Italien ging. Inzwischen ist der produktive Komponist kein Unbekannter bei Klassikfans mehr und durchaus nicht nur ausgefuchsten Raritätenjägern bekannt, dank dem Label Naxos und dem Dirigenten Franz Hauk. Beide setzen sich seit Jahren erfolgreich für das Werk des hochbegabten Musikdramatikers ein.

Mayr überrascht immer wieder: Interessant an Mayr ist, dass er auch nach 200 Jahren immer noch überrascht und oft wendiger und experimentierfreudiger zu sein scheint als viele Zeitgenossen.

Zu Mayrs Oper „I Cherusci“: Poster zur Aufführung in Neuburg an der Donau 2916

Der Stil der Cherusker ist verblüffend. Wir erinnern uns: Napoleonische Kriege toben 1808, alle sind ziemlich aufgeregt. Mayr komponiert eine heroische Oper für Rom, zur Karnevalszeit. Da würden wir rasselnde Märsche, krachende Chöre, die große Geste erwarten – doch diese Oper gibt sich fast schockierend intim, vermeidet fast akribisch jegliche hohle martialische Geste  – die Instrumentierung hat ganz wenig Blech, fast gar keine Schlaginstrumente und bleibt trotzdem extrem farbig.

Auch die fast mozartsche Satztechnik in den Ensembles ist atemberaubend gut – manches erinnert an die Cosí, aber natürlich auch an Mayrs späteren Konkurrenten Rossini, der in Tancredi zeigt, wie viel er bei Mayr gelernt hat.

Mayr und sein Librettist Gaetano Rossi interessieren sich wenig für das Gerangel mit den Römern, sondern beschreiben Querelen von germanischen Stämmen untereinander, die sich über eine gefangene Sklavin böse zerstreiten, die den Göttern geopfert werden soll, um den Kriegsgott zufriedenzustellen. Das kann man durchaus auch als politische Botschaft lesen, die den zerstrittenen Italienern suggeriert – einigt euch, dann seid ihr stark. Rundum also ein äußerst spannendes Werk aus Mayrs bester Periode.

Hohes Niveau: Manch ein Mayr-Fan hat wohl schon nicht mehr daran geglaubt, dass Hauk sich jemals aus dem Frühwerk Mayrs lösen wird, das er fast bis zum Überdruss dirigierte. Aber vielleicht war das wichtig, um sich für die wirklich bedeutenden Sachen zu rüsten.

Das Warten hat sich gelohnt. Denn für eine Produktion, die nicht von einem großen Opernhaus kommt, sondern privat finanziert wurde, ist wird hier wirklich exzellent und  zufriedenstellend gesungen. Dies ist wahrscheinlich Franz Hauks beste Produktion überhaupt. Die Sänger sind durch die Bank exzellent, Markus Schäfer als Treuta ein nobler Tenor, sowohl Yvonne Prentki als auch Andrea Lauren Brown sind exquisite und stilsichere Interpreten, auch wenn sie manchmal an ihre Grenzen kommen. Zwar kann auch diese Einspielung den Hauch des Oratorischen, Konzertanten nie ganz abstreifen – auch in dieser Aufnahme kreist wenig Theaterblut, und es fehlt das Volle, Satte, Saftige, das eigentlich in diesen Belcanto-Opern steckt, aber das sind Kleinigkeiten; im Großen und Ganzen ist das eine wirklich schöne, inspirierte, anhörenswerte Aufnahme auf hohem Niveau (mit Markus Schäfer, Yvonne Prentki, Andrea Lauren Brown, Andreas Mattersberger | Chor der Bayerischen Staatsoper | Concerto de Bassus | Frank Hauk; Naxos, 2 CD 8.660399-400). Matthias Käther

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Thank Heaven for Little Girls

 

„Nature or nurture“ – also Erziehung oder erbliche Vorbestimmung? Diese Frage steht im Zentrum der charmanten Sozialexperimentoperette in drei Akten von André Messager, Les p’tites Michu, 1897 in Théâtre des Bouffes Parisiens uraufgeführt und nun in gewohnt luxuriöser Weise beim Palazetto Bru Zane im bekannten Buch-CD-Format festgehalten.

Das war nicht nur die ehemalige Bühne von Jacques Offenbach, wo seine durchgedrehten Farcen der neuen Form des musikalischen Unterhaltungstheaters ihren Stempel aufdrückten, sonders es war auch eine extrem elegante Bühne, wo man nur in Abendtoilette reinkam. Man darf also annehmen, dass die Geschichte um ein junges aristokratisches Mädchen, das in den Wirren der Revolution 1793 bei der Arbeiterfamilie Michu unterkommt und dort zusammen mit deren eigener Tochter absolut gleichberechtigt zum Teenager herangezogen wird, primär für das (geld)aristokratische Pariser Publikum gedacht war. Der Witz der Story: Vater Michu kann nach dem Baden der beiden Babys Marie-Blanche und Blanche-Marie nicht mehr auseinanderhalten, er weiß nicht, welches seine eigene leibliche Tochter ist, welches das Ziehkind, dessen Vater der berühmte Général des Ifs ist. Also tut Michu kurzerhand so, als seien beides seine Kinder, die er erst in den Markthallen von Paris herumtollen lässt, wo er einen Käseladen betreibt, dann in ein Internat schickt – was so lange gut geht, bis der General plötzlich vor der Tür steht und seine Tochter zurückhaben möchte. Weil er sie als „Belohnung“ seinem Kampfkameraden Gaston Rigaud – einem schmucken Offizier – zur Frau geben will. Das ist, mehr oder weniger, das einzige Interesse, das der hohe Herr an seinem Nachwuchs hat, nach 16 Jahren.

Die Handlung setzt ein im Mädchenpensionat von Mademoiselle Herpin, die mit strenger Hand versucht, den pubertierenden Nachwuchs Frankreichs zu heiratsfähigen Frauen und Müttern heranzuziehen. Es ist eine beliebte Situation, die man auch aus Franz von Suppés Operette Das Pensionat (1860) kennt. Sie erlaubt es den Autoren, Horden von hübschen jungen Dingern über die Bühne zu jagen, die davon träumen, die große Liebe in den Armen eines großen Helden zu finden. Gaston ist da genau der Richtige: „C’est un héros“ sagt Marie-Blanche voller Bewunderung als sie ihn das erste Mal sieht, als er bei seiner Tante Mademoiselle Herpin auftaucht, nicht ahnend, dass seine Zukünftige unter den Schülerinnen rumtollt. Die anderen Mädchen sind nicht minder kreischend entzückt von ihm. Die Hahn-im-Korb-Situation dürfte den „Theaterhabitués“ der Bouffes Parisiens gefallen haben, ist sie doch ein feuchter Altherrentraum.

Und dann? Da nicht auszumachen ist, welches der Mädchen eine Marquise ist, müssen die beiden Maries die Sache unter sich ausknobeln. In Akt 2 verzichtet Blanche-Marie mit nobler Geste auf den schönen Gaston und kehrt mit ihren Eltern in den Käseladen von Les Halles zurück, wo sie eine Zukunft als Ehefrau des einfältigen Ladenangestellten Aristide erwartet. Blanche-Marie wiederum muss sich im Schloss ihres Vaters „aristokratisch“ benehmen, was ihr schwer fällt.

Im dritten Akt stellen beide Mädchen kurz vor der Eheschließung fest, wie unglücklich sie mit ihren Lebensaussichten sind. Also tauschen sie, denn eigentlich ist Blanche-Marie die „wahre“ Aristokratin, deren ererbter Adel jetzt erst zum Vorschein kommt, während die vulgärere Marie-Blanche das „wahre“ Arbeiterkind ist und sich wohler zwischen Gemüse- und Käsehändlern fühlt. Sie mag auch den einfältigen Aristide viel lieber. Also: Ende gut, alles gut. Doppelhochzeit, Jubelchor, Vorhang. Man möchte sich lieber nicht fragen, was heutige Feministinnen wohl zu dieser Geschichte sagen würden. Oder doch?

Für die erste Operette in ihrer CD-Serie hat der Palazzetto Bru Zane mit der Theatergruppe Les Brigands zusammengearbeitet und das Stück live aufgenommen, während einer Aufführung im Théâtre Graslin in Nantes. Am Start sind durchweg junge Sänger, die in der Produktion aussehen wie ein Update von Les Demoiselles de Rochefort, was den Arbeiterklasse-vs.-Aristokratie-Stoff etwas kontrastarmer macht. Aber natürlich sehen Violette Polchi (Marie-Blanche) und Anne-Aurore Cochet (Blanche-Marie) charmant aus als Kopien von Catherine Deneuve und Françoise Dorléac, die im Film die Zwillingsschwestern Delphine und Solange spielen. Eine durchaus vergleichbare Konstellation, die einem cleveren Dramaturgen geradezu zwangsläufig aufgefallen sein muss.

Messagers „Les p´tites Michu“ in der Produktion der Opéra du Nantes/ Szene/ Foto wie auch oben Palazzetto Bru Zane/ youtube trailer

Letztlich lebt das Stück von Charaktertypen, die möglichst extrem kontrastieren. Das tun sie in dieser Produktion nur bedingt, auch akustisch gesprochen. Die einzige echte Charakterstimme hat Caroline Mang als Mademoiselle Herpin, die ihre Szenen zu schrägen Highlights der Aufführung macht. Und Romain Dayez als Hilfskraft des Generals, der die Mädchen aufspüren und heimbringen soll, schafft es gegen seinen Jeune-Premier-Typ eine durchgeknallte Slapstick-Figur zu zeichnen, die vor allem im ersten Akt grandiose Momente hat. Momente, bei denen man den Witz auch hört!

Aber alle anderen sind nicht wirklich individuell genug. Das gilt besonders für Boris Grappe als Général des Ifs und die beiden Heiratskandidaten: Artavazd Sargsyan als Aristide ist nicht „einfältig“ genug für die Rolle, Philippe Estèphe als Gaston hat kaum tenoralen Glanz und definitiv nicht genug Selbstverliebtheit, um die Rolle witzig zu gestalten. Den beiden „jungen Michus“ wiederum fehlt der Soprancharme, die Stimmen haben nicht das silberne Funkeln, das Soubretten einst als Grundvoraussetzung mitbringen mussten.

Allerdings klingen alle Beteiligten eindeutig „Französisch“ und auf Grund der Live-Situation auch sehr lebendig in den Dialogen. Ein enormes und (!) doppeltes Plus. Es fällt auf, dass es allen schwer fällt, die Dialoge und Gesangsnummern ineinander übergehen zu lassen, oder anders formuliert: niemand versucht in den Gesangsstücken etwas anderes zu tun, als nur zu singen. Da hat besonders Dirigent Adam Benwzi mit Leuten wie Dagmar Manzel und Katharine Mehrling in Berlin an der Komischen Oper gezeigt, wie das überzeugend anders geht. Der junge Pierre Dumoussaud am Pult des Orchestre National des Pays de la Loire ist offensichtlich nicht jemand, der sich für einen solchen „neuen“ Umgang mit Operette interessiert. Was ich persönlich schade finde. Denn es hätte die Gesamtwirkung des Stücks und dieser Aufnahme enorm gesteigert, wenn da in der Musik mehr Kontrast und Gestaltung zu hören wäre. Schmiss hat sie allerdings genug, auch hier.

Es kursieren etliche Videoclips von der Aufführung, auf denen man sieht, wie viel Spaß die Beteiligten auf der bonbonbunten Bühne haben. Sie tourten nach der Aufführung in Nantes monatelang durch Frankreich, im Sommer 2019 kommen sie mit Les P’tites Michu auch nach Paris. Da die Stimmen nur begrenzt auf Tonträger überzeugen, wäre eine DVD-Ausgabe eigentlich besser und wünschenswerter. Und das sage ich nicht nur, weil ich Romain Dayez unbedingt auch sehen möchte. (Wieso spielt er eigentlich nicht Gaston?)

Angesichts der Tatsache, dass aktuell keine alternative (historische) Aufnahme verfügbar ist, erlaubt diese Einspielung auf alle Fälle das Kennenlernen eines leichtfüßigen Stücks mit einem Libretto von Albert Vanloo und Georges Duval und koketter Musik von Messager, die im Vergleich zu Vorläufer Offenbach allerdings in den Finali niemals „durchdreht“ und in Overdrive schaltet.

Die Sozialdarwinismus-Story an sich bietet Regisseuren auch jenseits von Demoisellesde-Rochefort-Assoziationen interpretatorischen Spielraum, ohne dass das Ganze gleich in eine Pädophilie-Parabel à la „Thank Heaven for Little Girls“ kippen muss. Obwohl Maurice Chevalier sicherlich ein großartiger Général gewesen wäre.

Besonders lohnend ist die CD-Ausgabe wegen des einleitenden Essays meines Freundes Christophe Mirambeau, der wie kein Zweiter um die Besonderheiten der französischen Operette weiß und letztes Jahr eine Messager-Biografie herausgebracht hat, über die Operettenguru Kurt Gänzl in seiner Rezension auf der seite des Operaetta Research Center Amsterdam in Ekstase geriet. Was nicht allzu oft passiert. Außerdem kann man im Booklett Archivfotos von Uraufführungsproduktion sehen sowie Notendeckblätter, u.a. auch von einer deutschen Ausgabe, die Paul Lincke arrangiert hat.

Ich bin gespannt, wie die Operettenserie bei Palazzetto Bru Zane weitergeht, speziell in Bezug auf Hervé, dem die Firma Aufführungen aber keine Aufnahme gewidmet hat, jedenfalls keine, die bislang veröffentlicht wurde. Ein bisschen mehr Mut aus ausgetretenen Gesangspfaden herauszutreten würde ich Alexandre Dratwicki als künstlerischem Leiter bei Bru Zane schon wünschen. Denn wie cpo mehrfach bewiesen hat: Ausgrabungen alleine beleben vergessene Stücke noch nicht wieder, es braucht auch Originalität. Auf Catherine Deneuve zu rekurrieren ist allein noch nicht originell genug, besonders wenn solche Verweise keinerlei hörbare Konsequenzen haben. Da ist also noch Luft nach oben.

Was nichts daran ändert, dass ich diese CD-Ausgabe und die dazugehörige Bühnenproduktion einen gelungen Auftakt zum Operettenjahr 2019 finde, ein Jahr, das im weiteren Verlauf vermutlich eher von Jacques Offenbachs 200. Geburtstag dominiert sein wird. Von Offenbach gibt’s immerhin auch eine hinreißende Markthallenoperette, nämlich Mesdames de la Halle (1862). Auf der alten EMI-Aufnahme kann man noch all die einzigartigen französischen Charakterstimmen hören, von Mady Mesplé, Charles Burles, Michel Trempont et al, die heute schmerzlich fehlen. Ich glaube schon, dass es solche Stimmen nach wie vor gibt, aber sie werden entweder nicht in Operetten eingesetzt oder der Nachwuchs traut sich nicht, mit Individualität aus dem Rahmen zu fallen. Dabei geht es doch in Oper und Operette immer in Individualismus – ganz sicherlich in Les p’tites MichuKevin Clarke, Operetta Research Center Amsterdam

 

PS,.: Und für die Unkundigen – Kevin Clarkes Überschrift bezieht sich auf Maurice Chevalier und sein wunderbares gleichnamiges Lied, das er 1958 in dem Film Gigi sang. Wikipedia gibt erschöpfende Auskunft zum Film, zu den „Machern“ Alan Jay Lerner und Frederick Loewe und zur Geschichte des Liedes auf dem Broadway 1957 und danach. G. H.

LEONARDO CAIMI

 

“In drei Minuten zum hohen C” war der Titel der Süddeutschen Zeitung nach der Premiere von Les vêpres siciliennes an der Bayerischen Staatsoper. Der italienische Tenor Leonardo Caimi rettete diese Premiere in allerletzter Minute und sprang für einen plötzlich erkrankten Kollegen im fünften Akt, just vor der gefürchteten Arie “Le brise souffle au loin”, die mit einem hohen C endet, ein, und erntete Ovationen. Gern gesehener Gast an vielen internationalen Bühnen ist der Sänger in Deutschland besonders häufig zu erleben, 2018/ 2019  unter anderem als Don José und als Calaf  an der Oper Leipzig sowie als Cavaradossi am Aalto-Theater in Essen. Im Dezember 2018 rettete er, der eigentlich als Klarinettist angefangen hatte,  bereits eine Premiere an einem deutschen Haus, in Verdis Ballo in maschera am Staatstheater Darmstadt. Der Tenor mit Nerven aus Drahtseilen sprach mit Dieter Schaffensberger  über eben solche riskante Einspringsituationen, über die neue Carmen an der Oper Leipzig und warum seine Gesangskarriere eigentlich erst einmal eine Notlösung war.

 

Leonardo Caimi: „Carmen“/ Don José Oper Leipzig/ Foto Tom Schulze

Wann begannen Sie, sich für Gesang und Oper zu interessieren? Und wo wurden Sie ausgebildet? Der Gesang ist ein Geschenk, das aber zu Beginn eine Notlösung zu sein schien. Es mag nicht schön klingen, dieses Wort zu verwenden, aber im ersten Moment war es so. Ich habe später realisiert, dass der Gesang mich eigentlich begleitet hat, seit ich drei Jahre alt war und ich mit einer Plastikgitarre auf den Küchentisch sprang und italienische Lieder schmetterte. Später, vor meiner Gesangsausbildung und während ich Philosophie studierte, imitierte ich im Auto auf dem Weg zur Universität Sänger wie Del Monaco, Pavarotti, Gigli, Corelli und Di Stefano.

Ich war eigentlich Klarinettist, hatte ein abgeschlossenes Studium in der Tasche und besuchte die Akademie von Rom, um mich zu perfektionieren, als ich mich durch einen Autounfall an der linken Hand verletzte. Ich wurde operiert und konnte nach dem Eingriff meine Finger zwar wieder einigermaßen normal bewegen. Aber es war klar, dass meine Karriere als Instrumentalist keine Zukunft mehr hatte. Die Finger waren nicht mehr beweglich genug und es war nicht realistisch, in ein Orchester aufgenommen zu werden oder gar eine Karriere als Solist zu starten. Viele Jahre des Studiums lösten sich also in Rauch auf. Es war ein sehr trauriger Moment meines Lebens. Erst später verstand ich, dass das alles eigentlich eine glückliche Fügung war. Ich suchte nach einer Möglichkeit, weiterhin als Musiker tätig zu sein, konnte es aber aufgrund der Probleme mit meiner Hand mit keinem Instrument versuchen. Also begann ich ein Studium in Komposition, Harmonik und Kontrapunkt, um Dirigent zu werden. Irgendwie war das aber nicht wirklich befriedigend…

 

Leonardo Caimi als Don José am Teatro Real Madrid/ Foto Don José in Madrid, Javier del Real

Und deshalb haben Sie sich für ein Gesangsstudium entschieden? Ja, ich wollte, um jetzt ein paar meiner befreundeten Dirigenten etwas auf den Arm zu nehmen, eben zum wahren Hauptdarsteller einer jeden Opernvorstellung werden! (lacht) Mein Vater drängte mich dazu, Stunden bei einem Gesangslehrer zu nehmen, der mir sofort nachdem er mich hörte empfahl, alles zur Seite zu legen und mich nur dem Gesang zu widmen. Meine Entscheidung, Sänger zu werden, beruhte darauf, dass ich die Stimme als Instrument empfand, das ohne die Verwendung der linken Hand auskam. Wie einige Instrumentalisten mochte ich Sänger nicht besonders, ich empfand sie als ignorant und unfähig, das Tempo zu halten… Dass ich Sänger geworden bin ist also vielleicht auch eine Art göttliche Bestrafung, eine Vergeltung à la Dante! (lacht)

 

Es ist heute für Sie als Sänger sicher hilfreich, dass Sie ein abgeschlossenes Instrumental- und Kompositionsstudium in der Tasche haben… Man erhält als Instrumentalist und vor allem im Kompositionsstudium verglichen mit einem Gesangsstudium eine bessere musikalische Grundausbildung. Ich meine hier wirklich nur die musikalische Ausbildung. Ganz klar sind für einen Sänger auch andere Dinge wichtig, ich denke da vor allem an die Schauspielausbildung. Jedenfalls hat mir meine Ausbildung zum Klarinettisten und das Kompositionsstudium sehr geholfen, auch wenn das Philosophiestudium vielleicht noch wichtiger für mich war.

Meine Liebe zu dem magischen Ort “Theater” entstand, als ich während einer Reise mit meiner Klasse an der Pariser Opéra Garnier Schwanensee sah. Ich war 15 Jahre alt und wollte gar nicht mehr aus dem Theater gehen, ich wollte dort leben. Aber dass die Bühnenlaufbahn wirklich mein Weg sein sollte verstand ich erst, als ich als Rodolfo beim Puccini-Festival von Torre del Lago auftrat.

Und mein Bühnendebüt gab ich als Beppe/Arlecchino in den Pagliacci in Montalto Uffugo, in meiner Heimat Kalabrien. Montalto Uffugo ist der Ort, wo die  wahre Geschichte stattfand, die hinter den Pagliacci steckt und von der Leoncavallo inspiriert wurde, bevor er die Oper  schrieb. Er war der Sohn des Richters des Ortes. Ich sang also die Serenata des Arlecchino auf derselben Piazza, auf der sich das Drama damals wirklich abgespielt hatte. Mit der mittelalterlichen Kirche im Hintergrund, die der erste Zeuge des Verbrechens war. Und es handelte sich damals bereits um ein Einspringen, was sich als eine Art “Karma” für meine spätere Karriere erweisen sollte. Man rief mich damals morgens für die Vorstellung am selben Abend an. Es war wirklich eine Feuerprobe, ich hatte damals noch nie mit einem Orchester gesungen. Ich war so aufgeregt! Wer weiß, vielleicht half mir diese Erfahrung, später in sehr viel wichtigeren Momenten die Aufregung unter Kontrolle zu halten. Ich denke hier zum Beispiel an den Don Carlo, den ich an der Deutschen Oper Berlin sang und vor allem an das Einspringen in “Les vêpres siciliennes” an der Bayerischen Staatsoper letzte Spielzeit. Ich könnte hier aber noch viele andere Einspringsituationen nennen.

 

Leonardo Caimi als Henri in „Les Vêpres siciliennes“ mit Georges Petean/ Montfort/ Foto Winfried Hösl

Das Einspringen in der Premiere von Les vêpres siciliennes in München war aber eine besonders dramatische Situation, die viel Aufmerksamkeit erregte… Das war wirklich unglaublich: Man rief mich an, um für die Generalprobe einen wunderbaren Kollegen zu ersetzen, dem es nicht gut ging. Ich war gerade am La Monnaie in Brüssel, wo ich in Cavalleria Rusticana debütierte. Mein Debüt in Brüssel war am 7. März und am 8. war die Generalprobe in München. Das war eine meiner Feuerproben… Aber das war erst der Anfang. Ich war nur zur Sicherheit auch für die Premiere im Theater. Alles ging gut und in der Mitte des vierten Aktes ging ich in meine Garderobe, um meine Jacke zu holen, da ich dachte, dass man mich sicher nicht mehr brauchen würde. Zum Glück habe ich mir Zeit gelassen, denn als der Akt zu Ende ging, erreichte mich der Anruf des Theaters. Mein Kollege konnte nicht weitersingen und im 5. Akt nur szenisch agieren. Ich sollte wie schon bei der Generalprobe von der Seite singen. Nur, dass es sich natürlich nicht mehr um eine geschlossene Probe handelte, sondern um die Premiere einer Neuinszenierung der vollständigen Fassung der Vêpres! Das Theater war ausverkauft und das “Who is Who” der Opernszene war anwesend. Und der fünfte Akt der Vespri beginnt mit einer sehr hohen und schweren Serenata! Ich hatte noch nicht einmal Zeit, mich einzusingen, der vierte Akt ging zu Ende und es gab keine Pause vor dem fünften. Eine Zeitung schrieb am nächsten Tag “in drei Minuten zum hohen C”, aber ich hatte sogar weniger als drei Minuten Zeit. Zum Glück ging alles gut und das Theater bat mich im Anschluss darum, alle Vorstellungen dieser Serie zu singen und lud mich für La bohème in der Spielzeit 2020/21 ein. Auch diese Spielzeit kam es wieder zu Einspringsituationen in letzter Minute: Als Gustavo in der Ballo-Premiere in Darmstadt und ich gab als Don José einspringenderweise mein Covent Garden Debüt!

 

Leonardo Caimi als Rodolfo in „La Bohème“ in Catania/Foto privat

Diese Spielzeit treten Sie aber auch ganz “regulär” als Don José in der neuen Carmen an der Oper Leipzig auf. Was können Sie und über die Inszenierung in Leipzig und die Rolle des Don José sagen? Mit der Oper Leipzig fühle ich mich besonders verbunden. Dort habe ich vor zwei Jahren in einer Neuproduktion von Turandot debütiert und seitdem trete ich regelmäßig dort auf, dieses Jahr sogar in einer weiteren Neuinszenierung, eben die von Ihnen erwähnte Carmen. Premiere war am 30. November 2018, ein großer Erfolg. Es handelt sich um eine sehr schöne Inszenierung, klassisch was das Bühnenbild, die Kostüme und die Beleuchtung angeht.

Die Regie an sich kann jedoch nicht als klassisch bezeichnet werden, da die Geschichte der Oper auf ein leider sehr aktuelles Thema bezogen wird, dem des Stalkings und des Mordes an Frauen. Don José ist eine meiner Lieblingsrollen. Von einem stimmlichen Gesichtspunkt her ist es, als ob man zwei Tenöre benötigen würde: Einen lyrischen für den ersten und zweiten und einen Lirico spinto für den dritten und vierten Akt. Man muss eine gewisse technische Kontrolle haben, auch um die sehr dramatischen Momente der letzten beiden Akte ausfüllen zu können. Darstellerisch ist es eine der interessantesten Rollen überhaupt. Die Entwicklung von Don José, von einem mehr oder weniger braven Jungen vom Land, der seiner Familie sehr verbunden ist zum gewaltbereiten Gesetzlosen, der sogar eine Frau tötet, lässt Platz für eine breite Palette an interpretatorischen Möglichkeiten. Ich liebe das Theater und zu spielen, mindestens so sehr wie die Musik. Deshalb gibt mir die Rolle so viel.

 

Was halten Sie vom deutschen Repertoiresystem verglichen mit dem “Stagione” System in Italien? Es ist eine Ehre, so viel in Deutschland auftreten zu dürfen und ich bin sehr glücklich darüber. Man arbeitet wirklich sehr gut hier!

Die Ordnung, die Organisation der Proben während einer Produktion, das freundliche Klima, das mir in jedem deutschen Theater, an dem ich bisher gearbeitet habe, entgegen schlug, haben immer dazu beigetragen, dass ich das Beste geben konnte.

Leonardo Caimi als Henri in den „Vêpres siciliennes“ an der Bayerischen Staatsoper/ Foto Winfried Hösl

Das deutsche Theatersystem sieht oft wenige Tage für Wiederaufnahmen vor und das kann manchmal ein Problem sein. Ich erinnere mich beispielsweise an eine “Carmen”, bei der ich ohne Orchesterprobe und ohne szenische Probe auftreten musste. Aber ich kann sagen, dass das für mich fast schon stimulierende Situationen sind. Ich bin es ja gewohnt einzuspringen. Bei Neuinszenierungen probt man hingegen fünf bis sechs Wochen. Das kann erst einmal sehr lang scheinen, aber da man eigentlich immer mit großer Präzision arbeitet, auch was die darstellerische Seite angeht, vergeht diese Zeit dann doch immer recht schnell. Ich denke, dass das deutsche System sowohl von einem künstlerischen Blickwinkel als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, sehr produktiv und effizient ist. Italien sollte meiner Meinung nach dieses System übernehmen, sowohl die Wiederaufnahmen von Repertoirewerken als auch das System der Ensembles.

 

 Was sind Ihre drei Lieblingsrollen und warum? Es ist schwer, auf diese Frage zu antworten… Meine Lieblingsrolle ist immer die, die ich im Moment singe… Zweifellos sind es Rollen wie Don José, Cavaradossi oder Des Grieux in Manon Lescaut, die mir besonders nah sind. Aber es gibt auch viele Verdirollen, die ich liebe, wie zum Beispiel der Don Carlo! Eine Rolle, die Sie bereits gesungen haben, aber nie wieder singen werden. Der Conte d’Almaviva  von Rossini. Ich habe diese Partie ein Mal gesungen und glaube, es gibt Leute, die immer noch darüber lachen! Das ist eine Rolle, die wirklich nicht zu meiner Stimme passt. Ich würde gerne den Werther von Massenet singen und denke, dass das eine Rolle ist, die einem Tenor, der einen Abschluss in Philosophie hat, besonders gut liegen sollte! (lacht) Eine Rolle, die ich gerne singen würde, aber wohl nicht singen werde ist der Duca di Mantova. Aber man sollte niemals nie sagen!  Dieter Schaffensberger  

 

Der Künstler versichert über seine Agentur, im Besitz der Abdrucksrechte der hier verwendeten Fotos zu sein.Foto oben:Leonardo Caimi/ Foto Gianluca Moro

Zu früh, zu spät oder oder fehlgeleitet?

 

Das Beste an der CD von Olga Peretkyatko mit dem Titel Mozart+ ist das Plus, sind die Tracks mit den Kompositionen von Komponisten, die im Booklet mehr oder weniger überzeugend mit dem musikalischen Genie in Verbindung gebracht werden.  Am besten gelingt das mit Vicente Martin y Soler, für dessen Il burbero di buon cuore Mozart zwei Arien schrieb, weniger mit Giovanni Paisiellos Barbiere di Siviglia, der eher mit Rossini in Verbindung gebracht wird, und ganz und gar nicht mit Tommaso Traetta und dessen Antigona, die weit vor des Salzburgers Zeit liegen. Gegen die Gestaltung der drei Antigona-Arien kann man insofern nichts einzuwenden haben, als die Ansprüche, die sie an die Sängerinnenstimme stellen, durchaus vereinbar mit den Möglichkeiten des Soprans sind. Zwar stört auch hier etwas der soubrettige Charakter der Stimme, aber ein Piano kann sehr schön konstant gehalten werden, die Phrasierung kann überzeugen, die Stimme klettert ohne Mühe in die Höhe. Zu überhören sind allerdings auch nicht eine verwaschene Diktion, besonders bemerkbar bei schnellerem Tempo, und ein heikler Intervallsprung nach unten. Die Cavatina der Rosina bedarf nicht der Grinta der Rossini-Heldin und wird in schöner Angemessenheit dargeboten. Die drei Burbero-Arien bringen die obere Mittellage der Stimme gut zur Geltung, geht es einmal in die Tiefe, dann ist die Stimme kaum präsent und klingt dazu noch recht uneinheitlich.

Kommen wir zu Mozart, so stoßen wir auf einen grundlegenden Irrtum der Sängerin, die vielleicht kein Blondchen mehr, aber noch lange keine Konstanze, wohl eine gute Susanna, aber eine inakzeptable Contessa, eventuell eine Zerlina, aber (noch?) keine Donna Anna ist.

Die einzige deutsche Partie wird wenig idiomatisch gesungen, das Rezitativ fällt recht geschmäcklerisch aus, die beiden Arien entbehren der edlen vokalen Gestik des Charakters, ein schrilles Auffahren in die Höhe, ein verhuschtes Piano erwecken den Eindruck, aus dem Unvermögen solle durch ein manieriertes Singen der Eindruck von Raffinesse entstehen. So klingen die Koloraturen in der Martern-Arie sicher und schön, aber eher verspielt als entschlossen und viel zu beiläufig, wie Zierrat und nicht wie Ausdruck der Gemütsverfasssung. Ohne vokales Gewicht wird schließlich ein akustisch blässliches „zum Schluss befreit mich doch der Tod“ gesungen. Der Contessa mangelt es in beiden Arien an Wärme, an Rundung der Stimme, ganz einfach an corpo, dünn und larmoyant klingend, entsprechen die Arien  nicht dem Charakter der Figur und ihrer Musik. Auch die Donna Anna besticht nicht durch eine pathetische Anklage, sondern beschränkt sich eher auf ein Keifen ohne Nachdruck. Der Charakter der Vitellia schließlich kommt nicht in der Stimme der Peretyatko zum Ausdruck, auch meint man eher die leichtere der beiden Frauenfiguren innerhalb des Werks zu hören.

Vielleicht kommt diese CD zu früh, vielleicht aber nimmt die Stimme der noch jungen Sängerin einen ganz anderen Weg als den hier irrtümlicherweise beschrittenen. Das Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton begleitet rücksichtsvoll und ausgleichend (Sony 19075919052). Ingrid Wanja

Aus Moskauer Schatztruhen

 

Bereits nach wenigen Minuten des Hörens bemerkt man, dass man es mit der konzertanten Aufführung von Tschaikowskis Pique Dame am 25. Dezember 1989 aus Moskau nicht mit einer 08/15-Aufführung zu tun hat, sondern mit einem mitreißenden, außergewöhnlichen Abend, der von Anfang bis Ende in seinen Bann zieht. Zwei Namen sind auf der Kassette mit den drei CDs und dem äußerst mageren Booklet fett gedruckt, der von Bariton Dmitri Hvorostovsky und der von Mezzosopran Irina Arkhipova, doch sie sind nicht die Einzigen, die diesem Abend in Moskau das Besondere verleihen. Bereits die ersten Klänge von Orchester und Chor sind von einer ganz besonderen Eindringlichkeit, und es ist kein Wunder, dass der Dirigent Vladimir Fedoseyev  einer der bekanntesten Pique Dame-Dirigenten wurde. Er peitscht das Moskauer Radio Sinfonie Orchester in der Großen Halle des Moskauer Konservatoriums durch die wilden Seelenlandschaften, lässt kontrastreich eine Orchesterleistung von großer atmosphärischer Dichte entstehen, sicherlich nicht zimperlich, aber doch fein gespenstisch zu Beginn des dritten Akts oder ausgewogen zwischen wilder Ausgelassenheit und intimen Momenten im letzten Bild. Man hört einen ganz besonders frischen Kinderchor und auch die Yurlov Republikanische Akademische Chor Capella (Was für ein Name!) ist auf der Höhe des Ereignisses.

Für Dmitri Hvorostvsky war es sein Moskauer Debüt, der Yeletsky war eine der Partien, die am Anfang seiner Karriere seinen Erfolg begründeten, und das Publikum honoriert mit dem enthusiastischsten Beifall des Abends seine Liebeserklärung an Lisa, seinen weich klingenden, farbigen, äußerst geschmeidigen Bariton mit toller Höhe, agogikreichem Singen und einem sensationellen Schwellton auf der Fermate am Schluss. Trotz überschrittener 60 ist Irina Arkhipova keine alternde Sängerin am Ende ihrer Karriere  als Gräfin, aus deren Couplet eine unendliche Trauer um ein aus den Händen gleitendes Leben zu hören ist, der man den Schreckherztod nicht abnimmt, so präsent ist die Stimme, die aber auch mit fahlem Mezzo als Geist überzeugend sein kann.  Eine Schicksalsrolle sollte für den 89 noch recht jungen Tenor Vitaly Tarashchenko der Herman werden, dem man schon in der ersten Szene die Gefährdung anhört, nicht wegen einer etwa schwächlichen Stimme, sondern wegen einer intensiven Gestaltung, die bereits im ersten Arioso eine sehr gute Mittellage offenbart, der sich vom zarten Piano ins Leidenschaftliche zu steigern weiß, einen schwärmerischen Ton im Duett mit Lisa annehmen kann und der mit der kurzen Arie im letzten Bild trotz leicht gequetschter Höhe das Publikum wahrnehmbar bewegt. Natalia Datsko singt die Lisa mit klarem, stämmigem Sopran, farbiger Mittellage und einem melancholischen Timbre, der dem Arioso im letzten Akt einen Hauch unendlicher Wehmut verleiht. Leider neigt die Stimme in der angestrengten Höhe zur Schärfe. Einen bärbeißig-süffisanten Tomsky gibt Grigory Gritsyuk, mit Ironie in der kraftvollen Stimme und in seinen beiden Bravourstücken alle Register einer grandiosen Stimmbeherrschung ziehend. Abgrundtief schwarz ist der Bass von Alexander Vedernikov für den Surin, sattes, vollmundiges Material hat der Mezzosopran Nina Romanova für die Polina. Sollte Melodija noch mehr solcher Schätze besitzen, dann rufen sie nach Veröffentlichung (3 CD Melodya MEL CD 10 02549). Ingrid Wanja

Und noch eine englische Komödie

 

Alfred Cellier zum Zweiten: Bereits vor kurzem erschien bei Dutton die komische Oper The Mountbanks unter der der Leitung von John Andrews, die Kollege Matthias Käther für uns besprach Nun lässt Naxos Altmeister Richard Bonynge mit dem Victorian Orchestra eine weitere „pastoral comedy“ von Alfred Cellier, Dorothy,  auferstehen, ebenfalls eine veritable Ersteinspielung wie die Mountbanks. Dorothy hatte, wie der Klappentext bei Naxos anmerkt, die längste Bühnenlaufbahn, die eine viktorianische Oper je aufweisen konnte und stellte Dauerbrenner wie The Mikado oder Ruddigore von G & S in den Schatten – sogar in dem Maße, dass aus den Erlösen das Lyric Theatre in der Londoner Shaftsbury Avenue finanziert werden konnte. Und es muss auch gesagt werden, dass bis zu Noel Cowards Zeiten, noch bis in die Sechziger sich die Bezeichnung „Friends of Dorothy“ als gewisperter Begriff für Homosexuelle gehalten hat. Das nennt man Nachwirkungen.

Für eine britische operetta von 1886 haben wir uns einen britischen Fachmann geholt, John Groves, der bei den Kollegen vom Operetta Research Center Amsterdam seine Kritik an der neuen Aufnahme, die wir mit Dank übernehmen. Daniel Hauser besorgte wieder einmal die Übersetzung. Über John Groves heißt es im Netz (neben einem lustigen Foto in Polizistenuniform): Experienced Musical Director with a demonstrated history of working in the entertainment industry. Skilled in Musical Theatre, Choral, Dance, Jazz, and Music Composition. Strong arts and design professional with a Associate’s degree focused in Singing, theory from London College of Music. Das klingt doch gut. Danke an ORCA und John Groves. G. H.

 

John Groves, Musikkritiker und mehr/ OBA

Nun also John Groves über Celiers Dorothy bei Naxos (8.660447 mit Libretto digital): im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnstrecken zwischen London und dem Südosten Englands gebaut wurden und daraufhin am frühen Abend häufiger, zuverlässiger (!) Zugverkehr aus den Vororten in die Hauptstadt (mit Rückfahrt einige Stunden später) gewährleistet war, kannte man lange Serien der Produktionen der Theater im Londoner West End mitnichten. Mikado von Gilbert & Sullivan erzielte den längsten Durchlauf all dieser Produktionen und kam auf 672 Vorstellungen, doch wurde dies wenige Jahre später locker überboten durch den phänomenalen Erfolg von Dorothy, welche in drei verschiedenen Theatern gar auf 931 Vorstellungen kam. Das letzte dieser Häuser, das Lyric Theatre, wurde aus den Gewinnen von Dorothy bezahlt. Gleichzeitig tourten fünf Kompanien damit durch das Vereinigte Königreich wie auch nach Australien; aber als Dorothy Anfang des 20. Jahrhunderts in London wiederaufgenommen wurde, floppte dies zweimal. Seither wurde das Werk selbst von Amateuren selten aufgeführt, zumal die Partitur und die Orchesterstimmen in den frühen 1960er Jahren bei einem Brand beim Verleger Chappell verlorengingen.

Alfred Cellier war über viele Jahre hinweg musikalischer Leiter der D’Oyly Carte Opera Company am Savoy Theatre und komponierte für die Company Stücke für vor und nach dem jeweils gespielten Hauptwerk des Abends sowie Stücke in voller Länge. Seine letzte Bühnenarbeit, The Mountebanks, zusammen mit W. S. Gilbert geschrieben, wurde kürzlich ebenfalls erfolgreich eingespielt.

Hayden Coffin as Harry Sherwood in Cellier’s “Dorothy,” 1889. (Photo: Hayden Coffin’s Book / Alston Rivers, London 1930)/ ORCA

1876 schrieb Cellier Nell Gwynne, was allerdings als Misserfolg galt. Da er niemals Ideen verschwendete, bat er ein paar Jahre später B. C. Stephenson (den Autor von Sullivans The Zoo), ein neues Libretto zu schreiben, dessen Texte zur bereits komponierten Musik passten, wie es Lorenz Hart 50 Jahre später für Richard Rodgers tun sollte.

Dies mag erklären, wieso manche der Texte von Dorothy nicht sonderlich inspiriert wirken. Das CD-Booklet vermittelt uns, dass das Stück tatsächlich sehr amüsant ist. Stilmäßig erinnert es stark an Germans Merrie England, das etwas später veröffentlicht wurde. Cellier nannte es „eine pastorale komische Oper“, und das zurecht. Seinerzeit wurde die Musik als „hübsch, anmutig und charmant“ empfunden, was eine gute Sache ist; um ehrlich zu sein, ist sie dies alles, aber nicht sehr einprägsam.

Die Ouvertüre ist das sinfonischste Stück, dauert beinahe acht Minuten, aber selbst sie verwandelt sich ziemlich rasch in ein Potpourri verschiedener Melodien. Die bekannteste Nummer ist möglicherweise „Queen of my Heart“, tatsächlich nach der Premierenvorstellung aus dem früheren Werk Old Dreams eingefügt, und zwar für Hayden Coffin, einen der drei Stars der Uraufführung (die beiden anderen waren Ben Davies und Marie Tempest).

Der Komponist Alfred Cellier/ Wikipedia

Die Handlung dreht sich um Dorothy, die sich in ländliche Kleidung hüllt, ihren Namen in Dorcas ändert und dadurch ihren ungezogenen Vetter bezaubert, der sich weigert, sie zu heiraten.

Die Operngesellschaft Victorian Opera, die für diese CD verantwortlich zeichnet, hat in den letzten fünfzehn Jahren mehrere britische Opern eingespielt: Dorothy ist bei weitem die erfolgreichste. Man bedient sich für den superben Chor bei Studenten des Royal Northern College of Music: nicht zu groß und mit nahezu perfekter Diktion, sind besonders die Tenöre beeindruckend. Für die Hauptrollen nahm man hauptsächlich graduierte Sänger des RNCM sowie ein kleines Theaterorchester, welches sich ebenfalls aus Musikern des Colleges zusammensetzt.

Soweit ich verstehe, wurden Teile des Werkes in Australien gefunden, wo ein reduziertes Orchester verwendet wurde, um Geld zu sparen, basierend auf Celliers Original.

Der unermüdliche Richard Bonynge hat die Gesamtleitung inne und sorgt mit seinem Dirigat für Leichtigkeit und einen Stil, der völlig im Einklang mit dem ist, was Cellier beabsichtigte.

Die Sopranistin Majella Cullagh brilliert in der Titelrolle der Dorothy. Lucy Vallis singt ihre Cousine Lydia und Stephanie Maitland übernimmt Phyllis, die Tochter des Gastwirtes, mit einem erstaunlich ausgedehnten und attraktiven Vibrato.

Daniel Hauser hat für die Übersetzung gesorgt.

Die männlichen Rollen sind tadellos charakterisiert, wiederum mit exzellenter Aussprache. Michael Vincent Jones, der Lurcher, den Offizier des Sheriffs, mimt, versteht seine Partie ganz klar und sein Lied „I am the Sheriff’s faithful man“ darf als eines der Highlights angesehen werden.

Ebenso erfolgreich präsentiert sich der Tenor Matt Mears als Geoffrey („Though born a man“), den Dorothy schließlich heiratet, ebenso wie John Leuan Jones als Sherwood, einst die Rolle des Hayden Coffin. Edward Robinson als Dorothys Vater, Squire Bantam, überzeugt mit seinem sehr angenehmen Bariton in seinem einzigen Auftritt mit „Contentment I give you“, auch wenn er für diese Rolle womöglich etwas jung klingt. (Originaltext von John Groves/ Übersetzung Daniel Hauser)

 

More historical detail can be found in Kurt Gänzl’s Encyclopaedia of Musical Theatre, Victorian Opera publish an illustrated guide to the opera, available from their website. John Groves/ Operetta Research Center/ 20 January, 2019

DYNAMISCH DEKLAMIERT

 

La Doriclea ist kein verbreiteter Opernstoff. Francesco Cavalli komponierte eine Doriclea für Venedig (1645, Libretto von Giovanni Faustini), ebenso Pietro Andrea Ziani (1666) und Giovanni Porta (1729). Und auch Vivaldi nahm sich des Stoffes an (1716 in Venedig und 1732 in Prag). Alessandro Stradella schuf seine Doriclea in den 1670ern in Rom, wahrscheinlich für eine Privataufführung, einfach strukturiert, sängerisch nicht hochvirtuos, ohne aufwändige Szenenwechsel und ohne Regie-Hinweise. Das Beiheft bezeichnet diese Oper als Komödie in der spanischen Mantel-und-Degen Tradition, bei der es sich um galante Abenteuer und amouröse Verstrickungen des niederen Adels handelt, die ohne historische Kostüme in der Zeit spielten, zu denen sie aufgeführt wurden. Es geht um drei Paare, zwei aus gehobenen Umfeld – Doriclea und Fidalbo, Lucinda und Celindo – sowie ein Paar aus dem Volk: Delfina und Giraldo. Diese Paare durchleben Höhen und Tiefen, man schmiedet Heiratspläne und ist eifersüchtig, es gibt Verkleidungen, Verwechslungen, Verdacht und Versöhnung.

1938 wurde die Partitur wiederentdeckt, geriet in Vergessenheit und wurde erneut den Archiven entrissen. Die Ersteinspielung legte Estévan Vehardi mit dem Alessandro Stradella Consort 2017 bei Concerto Classics auf 4 CD vor, Rosita Frisani sang die Titelrolle. Die vorliegende Neuaufnahme vom September 2017 ist die fünfte Einspielung und erste Opernaufnahme der Stradella-Reihe des Labels Arcana. Sie erscheint auf drei CDs, durch schnelle Szenenwechsel enthalten diese 122 Track-Nummern – eine Handlungsfolge, der man beim Anhören nur konzentriert folgen kann. Jeder der drei Akte besteht aus durchschnittlich ca. 15 Arien und sechs Duetten sowie zahlreichen Rezitativen, statt einer musikalischen Einleitung beginnt diese Oper sogar mit einem Rezitativ. Man hat es in dieser Hinsicht mit einem Deklamationsmarathon zu tun, beim handlungsfolgenden Zuhören lässt sich eine gewisse Ermüdung nicht immer vermeiden.

Wer es hingegen versteht, nur zuzuhören und sich nicht um die Details des Librettos bemüht, der kann hier eine hochengagierte, lebendige, fast übermütige Interpretation verfolgen, in der sechs Sänger individuell timbriert lieben und klagen, besonders auf Ausdruck und Eloquenz geachtet wird und auch mal im Sinne der Komik übertrieben werden kann. Die ungarische Sopranistin Emőke Baráth ist in der Titelrolle eine starke Persönlichkeit und überzeugt erneut durch Fundament und Flexibilität, Countertenor Xavier Sabata singt den Fidalbo mit typisch gefühlvoller weicher Stimme. Als Lucinda hört man den warmen Mezzosopran der attraktiven Giuseppina Bridelli, Tenor Luca Cervoni als Celindo komplettiert stimmig die jungen Liebenden. Contralto Gabriella Martellacci singt als Delfina mit samtig-tiefer Stimme, zusammen mit Bariton Riccardo Novaro als Giraldo kommentieren sie teils bitter teils witzig das Geschehen. Andrea De Carlo dirigiert ein entsprechend klein besetztes Il Pomo d’Oro, neun Musiker (Streicher und Continuo) musizieren gut gelaunt und klingen nie dünn oder nebensächlich. Stradellas Oper ist melodiös und anschaulich, wer bspw. Cavalli schätzt, wird hier viel Schönes und Lohnenswertes entdecken können. Libretto und Beiheft sind in Italienisch, Englisch und Französisch verfügbar, am deutschen Markt scheint man bei Arcana kein primäres Interesse zu haben. (3 CDs, Arcana, A454) Marcus Budwitius

Dienst an Verdis Frühwerk

 

Nur I Lombardi und nicht mehr alla prima crociata tummelten sich im vergangenen Sommer bei den Heidenheimer Opernfestspielen auf der Bühne, die spärlich gefüllt mit vielen Stühlen und einem einsamen, hochkant gestallten Tisch bestückt war, weshalb man es auch verschmerzt, dass nur der Ton auf zwei CDs, nicht aber die Szene verewigt wurde. Den ganz frühen Werken Verdis, deren viertes nach Oberto, Un Giorno di Regno und Nabucco die Lombardi waren, hat man sich in Heidenheim gewidmet, wobei die Lombardi sich nicht nur mit dem Schauplatz Naher Osten eng anlehnen an den Nabucco, dessen Erfolg nach dem kurzlebigen Oberto und der Katastrophe der Buffa Verdi hörbar wiederholen wollte, am deutlichsten wahrnehmbar im Chor der Kreuzfahrer, der an Va pensiero erinnert. Immerhin war die Tenorarie immer ein beliebter Recital-Bestandteil, wurde mit der Giselda bereits ein Vorgriff auf die Violetta hörbar.

Die Stars der Aufnahme aus Heidenheim sind nicht die Gesangssolisten, sondern der Chor und das Orchester. Opernchöre aus den Ostblockstatten waren besonders auch in Italien auch wegen der finanziellen Vorteile für die Veranstalter  immer schon beliebt. Der hier tätige Czech Philharmonic Choir Brno ist einer der allerbesten, kaum übertreffbar, was die Aneignung des sprachlichen und musikalischen Idioms angeht, völlig unangefochten im Prestissimo, wahrlich überirdisch klingend als himmlische Geister und immer wie von innerer Spannung erfüllt. Nicht nach steht ihm das Orchester, die Cappella Aquileia, unter dem Dirigenten Marcus Bosch Garant für eine brio- und temporeiche, den Umtata-Rhythmus des frühen Verdi nicht verleugnende, aber veredelnde und ihm quasi seine volksnahe Naivität und damit Unschuld zurückgebende Aufführung.

Die Oper hat zwei fast gleichwertige Tenorrollen, wobei die des Vaters von Giselda, Arvino, durchaus Charaktertenorqualitäten haben darf, so dass mit León de la Guardia und seiner etwas larmoyant und trocken klingenden Stimme keine falsche Wahl getroffen wurde. Den Liebhaber und Konvertiten Oronte singt Marian Talaba zwar nicht mit ausgesprochen italienischem Timbre und nicht immer ganz frei, aber doch mit sicherer Höhe und kluger Phrasierung. Aus den himmlischen Sphären herunter allerdings klingt es etwas mühsam. Den sich zum Eremiten, wenn nicht gar Heiligen wandelnden Bösewicht Pagano verkörpert Pavel Kudinov mit angemessen schwarzem Bass, der schlank und gut konturiert, in allen Registern gleichmäßig gefärbt, auch die Cabaletta im ersten Akt mit viel slancio und mit Nachdruck bewältigt. Hörbar an Qualität weit unter dieser Leistung liegt die von Daniel Dropulja als Gefolgsmann Pirro.

Für die auch dramatische Anforderungen stellende Giselda hat Ania Jeruc weniger Kraft als viel Leichtigkeit und vokalen Liebreiz für die vielseitige Partie. Leider ist die Diktion verwaschen, und in der Höhe zeigen sich leichte Schärfen, den Cabaletten fehlt es an Nachdruck. Sehr schön klingt der Anteil des Soprans am Duett „Oh belle, a questa misera“. Eine sanfte Stimme für das Objekt der Begierde des verfeindeten Bruderpaars, die Viclinda, besitzt Anna Werle, interessant klingt die Sofia von Kate Allen (Coviello Classics COV91901). Ingrid Wanja      

Mager und ausgedünnt

 

Tatsächlich befinden sie sich auf dem Cover. Johann Heinrich Füsslis Hexen, an die man bei dieser MacbethAufnahme (Glossa GCD 923411) ständig denken muss, sind als raunende Schrecken der Nacht allgegenwärtig. Fabio Biondi schafft es mit dem von ihm 1990 gegründeten und auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble Europa Galante in Verdis Oper eine durchgehende Atmosphäre erbarmungsloser Düsternis und Trostlosigkeit zu erzeugen. Der magere und ausgedünnte Klang entspricht so ganz den hohlwangigen Frauen, wie sie der Schweizer Maler vor rund 200 Jahren als Verkörperung dunkler Ahnungen und Träume und schwarzromantischer Abgründe festhielt. Bei Biondi geraten die Hexenszenen knarzend ausdrucksvoll, geradezu geisterhaft schrecklich: ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Das klingt durchaus gelegentlich neu, rhythmisch präzise, in der Marcia des ersten Aktes und den orchestralen Darstellungen der Erscheinungen, die Macbeth und Banco ihre Zukunft weisen, geheimnisvoll. Doch die Düsternis lastet über dem Geschehen wie Mehltau, der Musik und den Figuren mangelt jegliche Entschlossenheit und Energie, der Aufnahme jegliche Italianità.

Die Hell-Dunkel-Effekte, die Füsslis Bildern ihre theatralischen Qualitäten geben, fehlen in dieser durchgehend trocken fahlen Wiedergabe völlig. Die Lady, das Energiezentrum der Oper, schleicht vorsichtig zur Tat. Nadja Michael singt mit ungenauer Tongebung, eiernden Koloraturen, grauem hohlem Klang, mit vagen angetippten Höhen, sie ist kurzatmig und zögerlich. Wir kennen Verdis Wünsche hinsichtlich der Besetzung der Lady. Kaum vorstellbar, dass er mit der Lady, die in der im August 2017 in Warschau entstandenen Aufnahme den Hörer das Fürchten lehrt, einverstanden gewesen wäre. Michaels Timbre ist noch immer interessant, doch bereits beim schlingernden „Or tutti sorgete“ würde man gerne weiterzappen, nach den wilden Klüften im ersten Finale ist man fast amüsiert, aber spätestens bei „Trionfai“ unwillig. Als ich erstmals die Fassung von 1847 auf der Bühne hörte, in den 1980er Jahren mit Olivia Stapp, war ich hingerissen vom Aplomb dieser großartigen Szene, die Verdi später durch „La luce langue“ ersetzte, wie u.a. auch die Cabaletta „Vada in Fiamma“ durch das Duett Lady/Macbeth „Ora di morte“. Biondi ist aufgrund ihrer stilistischen und dramatischen Kohärenz ein Verfechter dieser frühen Florentiner Fassung, die Verdi – wie auch Mussorgsky seinen Ur-„Boris“ – mit dem Tod des Titelhelden ausklingen lässt. Giovanni Meoni singt einen sehr achtbaren Macbeth. Sein heller, höhenstarker Bariton ist in den auffahrenden Passagen überzeugender als in den Momenten der Reflektion und Resignation, wo es der Stimme ein wenig an Fülle und Breite fehlt. Von den weiteren Sängern ist vor allem Fabrizio Beggis gediegen seriöser Banco zu nennen. Valentina Marghinotti ist als Dame der Lady korrekt, Giuseppe Valentino Buzza singt einen jugendlichen Macduff.. Am besten schlägt sich in dieser Aufnahme, die man schwerlich empfehlen kann, der ausgezeichnete Podlasie Opera and Philharmonic Choir.  Rolf Fath

Standard-Biographie

 

Das Offenbach-Jahr 2019 bringt auch seine Zeitgenossen erneut in den Fokus: André Messager hat gerade eine Würdigung mit der Veröffentklichung seiner Oprette Les P´tites michou beim Palazetto Bru Zane erfahren. Ein wichtiges Buch zu Messager ist Christophe Mirambeaus ultimative Biographie André Messager. Le passeur de siècle bei Actes Sud/ Palazetto, die der neuseeländische Operettenfachmann Kurt Gänzl (operalounge.de-Lesern kein Unbekannter spätestens seit seinem Kompendium über Victorianische Sängerinnen) bespricht – Dank an die Kollegen vom Operetta Research Center Amsterdam, wo seine englischsprachige Rezension im Juni 2018 erschien. Da noch keine deutsche Übersetzung des Buches in Sicht ist, bringen wir Kurt Gänzls Artikel ebenfalls in der Originalsprache, ein bisschen Bildung muss sein… G. H.

 

The Musical Theatre book of the decade. I sha’n’t gush. Well, I’ll try not to. But … I thought that it was unlikely, in this day and age, that a new book dealing with the 19th and/or 20th century musical theatre could surprise and enthuse me. I mean, it’s all been said and done, hasn’t it? Chuckle, much of it by me. But then there is the new: André Messager. Le passeur de siècle by Christophe Mirambeau.

The last time I was really grabbed by musical-theatre book, a book that really taught me something interesting and novel and wasn’t just a re-hash of told stories and opinions, was when I read John Kogel’s American Music in German Immigrant TheatreYes, that was 2009. It was sent to me for review by Kevin Clarke of the Operetta Research website and it consisted largely of a biography of Adolf Philipp, the half-forgotten ‘inventor of the American musical comedy’ (Americans don’t admit this!). Well, this week Kevin got in touch again (nine years on) with another book for me to review, and I was having a quiet, dawn-sunny (6.45 am) breakfast on my Australian seaside terrace, when bang! 500 pages (plus illustrations) landed on my desktop. Aw, gee. Tomorrow? But I peeped in, and I was lost. It’s now 5.42 pm. Eleven hours (with comfort stops). I’ve just read the entire book, cover to cover. So I shall pour a lime and gin, and tell you all about it.

The book is a biography of André Messager. Yeah. Him. Composer of ‘Trot here, trot there’? And some. And a heck of a lot of ‘some’. This new book is written by French author, Christophe Mirambeau, who has previously expended his talents on books about Luis Mariano, Barbra Streisand and Albert Willemetz. This one is in way, way up another league, even, than the Willemetz. Gold. Pure gold.

Messager is (I know now!) a wonderful subject for a biography. He begins with a success in the world of 1880s opérette, remakes himself – while carrying on a parallel career as a conductor and administrator – in the early 20th century with ‘gentille opérette’ and, all over again, after the war, with some dazzling musical comedies. He starts on a high, ends on a high … and even if there is the occasional bloop (and paramour) in between, well, everyone has them, and that makes for an interesting story, too.

And that’s what this book is: an enthralling story, set in a period and place in the world’s musical theatre which has largely missed proper coverage and investigation up to now. The tale of our man is peopled by such colleagues and friends as Fauré, Saint-Saëns, Massenet, Pierné, d’Indy (to drop but a few musical names) not to mention, latterly, the great Willemetz and Christiné, as we follow him through forty years of Parisian (mostly) musical history, with all its in-fighting, jiggery-pokery, cabals and ‘immorality’ …

Now, I know this era pretty well. I’ve splashed around in this Parisian music and theatre milieu for many, many years. And I’ve written quite a lot about some of its characters. But nothing like this!

Neu beim Palazzetto: Messagers Operette „Les p´tites Michou“

This is a seminal and will-be-standard book. It will be – it must be – translated into German, Japanese and English (it’s written in French) – it is a classic biography and also a picture of an opérettic era that (as far as I know) has not ever been thoroughly covered anywhere else. And with some great pictures!

I promised I wouldn’t gush, so here are my thoughts on modern (theatrical) biography. And you can fit this one in, on the scale, where it you seems fit.

My opinion. At the two ends of the biographer scale, it seems, we have two ‘styles’. Firstly, what I call the academic thesis. ‘Well, I didn’t know much about him/her at the start, but I researched (other people’s often incorrect books?) and I got my degree and the University press published it! This works fine, sometimes: see Mr Koger. Mostly, it doesn’t, and I don’t like it. The authors don’t know the milieu, names of supporting characters in the Life are chucked about mindlessly, it’s a biography without a background. But with copious footnotes … argggghhhhh! (‘It’s not my fault if it’s wrong, someone else said it first’, ‘primary sources … what are they?’).

On my own very first book (2 volumes), my editor said to me: ‘if it’s not worth putting in the text, leave it out, if it is of interest, put it in the text body.’ I have mostly followed his wise words for forty years. Footnotes are a whacker’s way out.

At the other end of the scale, there is the non-academic. The person who has just immersed themselves in the time and period on which they are writing. This person knows who all those subsidiary folk are, and can hopefully tell us, if it is relevant, in a phrase. And such people know the flavor of the era, the feeling, as well as the facts …   Enough, you can tell from which side I am coming!

Anyway, all this to say that Mons Mirambeau has pretty well achieved the impossible here. He has encompassed both ends of the scale.

Der Autor Kurt Gänzl/ OBA

However – I know it’s the French way, but – I would have cut the footnotes in this book very, very largely. We don’t need biographical data of well-known folk detailed in footnotes. This is not a reference book. If you feel you must quote source, do it in text. Because all those footnotes (on one page there are two lines of text – shades of Louis Schneider! – and all the rest bloody footnotes) break up your great story, and murder the flow of your engaging writing … I just skipped them. Mons. Christophe Mirambeau, sir, thanks for a grand day. Great read! Great adventure! Great book. What next? Without French footnotes please! Kurt Gänzl/ Operetta Research Cente Amsterdam

 

To order the book via the publisher Palazetto Bru Zane, click here. Palazetto Bru Zane is in the process of recording various Messager/Foto Wiki works and releasing them on CD and DVD. Christophe Mirambeau’s Messager biography is part of this project. André Messager. Le passeur de siècleChristophe Mirambeau; Collection : Actes Sud / Palazzetto Bru Zane; 512 pages | ISBN 978-2-330-10264-7 | 2018; Livre en français

Filigrane Durchsichtigkeit

 

Die renommierte katalanische Barock-Interpretin Núria Rial zählt erklärermaßen Luigi Boccherinis Stabat Mater zu ihren favorisierten Kompositionen. Umso erfreuter war sie, im April des vergangenen Jahres die Gelegenheit zu bekommen, das 1781 geschriebene Werk für Coviello CLASSICS aufnehmen zu können (COV 91813). Mit dem orchester le phénix hat sie ein kompetentes Ensemble zur Seite, das mit delikatem Spiel von filigraner Durchsichtigkeit aufwartet.

Boccherini, gefeierter Cellist und Komponist, verbrachte den größten Teil seines Lebens am königlichen Hof von Madrid. Schwerpunkt seines Schaffens war die Kammermusik, doch dehnte er das Spektrum bis zur geistlichen Vokalmusik und Sinfonik aus. Das Stabat Mater setzte er zunächst für Sopran und ein Streichquartett mit zusätzlicher Bassstimme, ca. zwanzig Jahre später arrangierte er es für drei Singstimmen und ein größeres Streichorchester. Für die  vorliegende Aufnahme wählten die Produzenten einen Mittelweg mit  nur einer Solistin und mehrfach besetzten Streichern.

Das Werk ist in elf Teile gegliedert und bietet eine Fülle an Melodien und eine reiche Farbpalette. Trotz der schmerzlichen Trauer dominiert die hoffnungsvolle Nächstenliebe. Mit ihrem noblen, klaren Sopran ist Núria Rial dafür eine ideale Interpretin. Von getragenem Ernst erfüllt ist der Eingangssatz „Stabat mater dolorosa“, den die Sängerin mit  dem Ausdruck von Traurigkeit und Leid wiedergibt. Im „ Quae moerebat“ gewinnt die Stimme an Leuchtkraft und Jubel. Koloraturen geben „Pro peccatis“ einen fast opernhaften Anstrich – Rial meistert sie makellos. „Eja mater“ ist ein Stück, in welchem die kristallklare Stimme der Sängerin und ihr beseelter Ausdruck zu schönster Wirkung kommen. Inbrünstige Sehnsucht, die Leiden mit Christi zu teilen, bestimmen die nächsten Teile. Die Stimme schwingt sich hier oft in exponierte Höhen auf, doch nie lässt die Sopranistin schrille Töne hören. Stets bleibt die Stimme leuchtend und gerundet. Der letzte Satz, „Quando corpus“, endet nach introvertiertem Beginn mit fahlen Akkorden der Streicher ganz verhalten – kein jubelndes, sondern ein nachdenkliches, fragendes „Amen“ ist da zu vernehmen.

 

Das Programm der CD wird ergänzt durch die Sinfonia in D-Dur – ein Frühwerk des Komponisten von 1767 in vier kurzen Sätzen. Es zählt zu den ersten Versuchen Boccherinis, sich mit der größeren Form auseinanderzusetzen. Sein Charakter wird geprägt von eingängigen Melodien und ist dem frühklassischen neapolitanischen Stil verpflichtet. Dem bewegten, stürmischen Allegro folgt ein delikates Andante. Der dritte Satz ist unterteilt in Menuetto primo und Trio – ersteres scheint mit seinen Hörnern ein munteres Jagdsignal zu sein. Das abschließende Presto ist das kürzeste Stück – ein Wirbel, in welchem noch einmal die Hörner brillant auftrumpfen. Mit feinsinnigem Musizieren erweist sich das orchester le phénix nochmals als stilistisch versierter Klangkörper. Bernd Hoppe

Frühwerk in später Fassung

 

Wer nach weitgehend vergessenen, aber durchaus hörenswerten Opern sucht, kann beim als Ein-Oper-Komponisten bekannten Pietro Mascagni fündig werden, und es müssen nicht die immerhin bereits einigen Rettungsversuchen unterzogenen Le Maschere, Iris oder L’Amico Fritz sein. Der Komponist aus Livorno hat außer der populären Cavalleria Rusticana immerhin fünfzehn weitere Opern geschrieben, nach Il Piccolo Marat im Jahre 1921 allerdings elf Jahre lang keine einzige, bis er 1932 auf die Cantata Finlanda, die er zufällig in einem Koffer wiedergefunden hatte, zurückgriff und daraus das zweiaktige Idillio Pinotta gestaltete. Die Librettisten waren  Targioni-Tozzetti und Menasei. Ein Idillio ist Pinotta in vielerlei Hinsicht. Zum einen wird es durch ein Terzett der Zeffiri, angenehm wärmender und schmeichelnder Winde, eingeleitet, zum zweiten spielt es zwar im industriellen Milieu, einer Spinnfabrik, aber mit einem Fabrikbesitzer mit fürsorglich väterlichen Gefühlen für seine Arbeiter, und zum dritten wird sehr viel zu sehr schöner Musik gebetet, ist das Anflehen des Himmels durch Pinotta, die Fabrikarbeiterin, das populärste Stück des kurzen Werks. Übrigens sang bei der Uraufführung in San Remo keine Geringere als Mafalda Favero diese Partie. Fabrikbesitzer Andrea ermuntert seinen schüchternen Arbeiter Baldo, um die noch zurückhaltenere Pinotta zu werden, dieser fast sich ein Herz, nachdem er sie beim Gebet beobachtet hat, und dem gemeinsamen Glück steht nichts mehr im Weg. So wie das Libretto in seiner Harmlosigkeit weit hinter die Themen des Verismo oder die im Umkreis von D’Annunzio beliebten Problemkreise  zurückgeht, auch zur Nummernoper zurückkehrt, so ist auch die Musik angenehm, aber vergleichsweise harmlos, einer Idylle angemessen. Typisch für die Musik ist, dass Andrea „l‘ angelica armonia“, offensichtlich das Lebensziel der Figuren, lobt. Parallelen zur Cavalleria gibt es mit dem Einsatz von Glocken und mit dem Preludio, das von Vokalem unterbrochen wird, mit Chören, die sich aus der Ferne kommend der Bühne nähern. Auf Pinotta folgte dann nur noch Nerone.

Felicia Bongiovanni/ FB

Die Sinfonietta di Milano unter Francesco Ledda nimmt sich des Werkleins liebevoll an, der Coro Quadriclavio di Bologna der für so ein knappes Werk recht reichlichen Chorszenen. Eine feine lyrische Stimme kristallinen Charakters, frisch und hell, hat Felicia Bongiovanni, die „O stella della sera“ mit schöner Innigkeit singt. Sie ist auch der spiritus rector dieser so liebevoll besorgten  Aufnahme – Felicia Bongiovanni ist zudem eine Musikwissenschaftlerin mit dem Gespür für das Seltene, wie ihre bisherigen Aufnahmen zeigen, von denen operalounge.de bereits einige lobend besprochen hat, Pavanellis Vanna zum Beispiel. Einen metallischen Tenor mit beachtlichem Squillo setzt Gianluca Zampieri für den Baldo ein. Sollte er der Wagner-Tenor aus Erl sein, und ein anderer dieses Namens ist nicht auffindbar, dann ist erstaunlich, wieviel Schmelz und Flexibilität sich die Stimme bewahrt hat. Marcello Lippi, der mittlerweile eher Regie führt als dass er singt, ist mit reifem, etwas steifem Bariton der Andrea. Warum führt ein Opernhaus nicht einmal an der Seite der Cavalleria die Pinotta anstelle der Pagliacci auf (itunes/apple)?  Ingrid Wanja

Dokument aus Göttingen

 

Händels Arminio aus dem Jahre 1737 stand auf dem Programm der letztjährigen Händelfestspiele Götttingen. Den Mitschnitt aus dem Deutschen Theater unter Leitung von Laurence Cummings am Pult des FestspielOrchester Göttingen hat ACCENT auf drei CDs herausgebracht (ACC 2609). Die Ausgabe folgt den Produktionen von Alan Curtis bei Virgin und George Petrou bei Decca.

Das Stück basiert auf historischen Tatsachen, nämlich der Niederlage von Varus gegen Hermann in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. Das Libretto nach  Antonio Salvi behandelt allerdings mehr die persönlichen Konflikte von Varo und seiner Liebe zu Tusnelda, die Inhaftierung Arminios durch Segeste und schließlich beider Versöhnung.

Für die Uraufführung am 12. Januar 1737 stand Händel eine attraktive Besetzung zur Verfügung mit den Kastraten Domenico Annibali als Titelheld und Gioacchino Conti als Sigismondo sowie der Sopranistin Anna Strada als Tusnelda. In Göttingen singt der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey den Etruskerfürsten Arminio. Seine Gattin Tusnelda ist die Sopranistin Anna Devin. Beide eröffnen den 1. Akt mit einem Duett („Il fuggir“), in welchem sich die Stimmen gut verblenden. Und sie finden sich auch am Ende der Oper noch einmal im Duett zusammen („Ritorna nel core“), das den glücklichen Ausgang preist. Die Sopranistin lässt in ihrem ersten Solo („Scagliano amore“)  eine in der Höhe limitierte Stimme hören, der zudem ein starkes Vibrato eigen ist. Danach folgt der Counter mit seinem ersten solistischen Auftritt („Al par della mia sorte“), der einen gemischten Eindruck hinterlässt. Die Stimme klingt larmoyant und im unteren Register schwach, was auch seine zweite Arie („Duri lacci“) bestätigt. In der nachfolgenden („Sì, cadrò“) kann er mit bravourösen Koloraturläufen und vehementem Aplomb imponieren. Störend sind hier die lauten Bühnengeräusche. Berührend gestaltet er das Solo im 2. Akt („Vado a morir“) mit entrückten Tönen, die den Tod ahnen lassen.  Mit reicher Klangfülle und auch mehr Substanz in der Tiefe überrascht er in der Arie des 3. Aktes („Fatto scorta al sentier“).

In ihrer zweiten Arie („E’ vil segno“) überzeugt auch Devin mehr mit innigem, beseeltem Gesang. Mit leuchtenden, verinnerlichten Tönen nimmt sie bei „Rendimi il dolce sposo“ am  Ende des 2. Aktes für sich ein. Entschlossen geht sie „Va’, combatti“ im 3. Akt an, lässt aber grelle Spitzentöne hören. Die Altistin Helena Rasker singt Arminios Schwester Ramise, die von Sigismondo geliebt wird. Sophie Junker leiht ihm ihren Sopran, kann aber einen jungen Helden nicht imaginieren – zu leichtgewichtig klingt die Stimme. In ihrer Arie „Posso morir“, die den 1. Akt beendet und ein Wechselbad darstellt mit introvertiertem Gefühl und furiosem Ausbruch, versucht sie ein größeres Ausdrucksspektrum. Rasker mit ihrem energischen, dunklen Ton könnte man sich eher in einer Hosenrolle vorstellen. Ihr beherzter Vortrag und das interessante Timbre erfreuen sehr. Und sie füllt auch eine so liebliche Arie wie „Niente spero“ voll aus. Reizvoll ist ihr Duett mit Tusnelda in wiegendem Rhythmus („Quando più minaccia“) und es ist auch ein musikalisch besonders gelungener Moment. Dazu zählt auch die Arie im 3. Akt („Voglio seguir“) in ihrem kraftvoll-resoluten Duktus.

Die Besetzung ergänzen der römische General Varo (Paul Hopwood mit charaktervollem, in der exponierten Lage bemühtem Tenor), der römische Volkstribun Tullio (der Counter Owen Willetts mit zittrigem Vibrato) und der Verbündete Varos Segeste (Cody Quattlebaum mit verquollenem und in der Höhe gequältem Bassbariton als schwächstes Glied der Besetzung).

Solide ist die orchestrale Leistung, wenngleich man sich gelegentlich einen strafferen, energischeren Zugriff mit mehr Affekten wünschte. Das Klangbild ist gepflegt, entbehrt aber zuweilen der Spannung. Bernd Hoppe

 

Verliebt in Hexen

 

Schelmisch blicken uns Elizabeth Montgomery, Agnes Moorehead und Dick Sargent aus Verliebt in eine Hexe an. Die amerikanische Fernsehserie aus den 1960er und 70er Jahren hat mit dieser Neuaufnahme von Hervé Niquet und Le Concert Spirituel so viel zu tun wie Warren Bakers Musik mit jener von Lully und seinen Zeitgenossen. Gar nichts. Zum 30jährigen Bestehen seines Ensembles zauberte sich Niquet mit seinen Protagonisten Karine Deshayes, Katherine Watson und Reinaud Van Mechelen eine Pasticcio-Oper, L’Opéra des Opéras,  in der Mezzosopran, Sopran und Tenor in die Rollen der jungen Prinzessin, des mutigen Prinzen und der intriganten Zauberin schlüpfen. Ein bisschen Bewitched. Na ja. Immerhin ein hübscher Hingucker, der manchen, wie den Dirigenten selbst, an Uralt-Serien erinnert. Eine solche Uraltserie ist auch die Folge der 33 Nummern aus Ouvertüre, Zwischenspielen, Arien, Chören, Szenen und Duetten, mit der Niquet im Oktober 2017 in der Königlichen Oper in Versailles an die große Zeit der Opéra Royal erinnerte, als Ludwig XIV. beispielsweise 1671 Lully bat, aus Ausschnitten von rund dreißig Balletten ein „Ballet des ballets“ zu kompilieren. Diesem Beispiel und dem beliebten Brauch der Pastiches folgendend, entwarf Niquet L’Opéra des Opéras als Gipfel aller höfischen Opernpracht um 1700. Es funktioniert. Keiner würde merken, dass es sich nicht um eine originale Oper vom Hof Ludwig XIV. handelt. Wir wollen uns nicht mit der unterlegten Story mit den Standardsituationen wie Sturm, Schlaf, Kampf und Anrufungen beschäftigen. Kein Flickwerk ist auf jeden Fall die Musik. Die Abfolgen aus virtuosen Arien, von Trommeln und Trompeten begleiteten Chören und prächtigen Ballettnummern wirken wie aus einer Hand, sind aber von Lully und Rameau, Campra, Bertin de La Doué, Destouches, Stuck, Rebel, Colin de Blamont, Francouer, Montéclair, Leclair und Dauvergne. Benoït Dratwicki vom Centre de Musique Baroque de Versailles, Zwillingsbruder von Palazzetto Bru Zanes Alexandre Dratwicki, schreibt im Beiheft dieser Alpha-Classics-CD (Alpha 442), „All diese Musikstücke hintereinander zu hören, zeugt vom Fortbestand und der Kohärenz des französischen Stils, wie in Lully vorgefunden hatte, und der mehr als 100 Jahre von fünf Komponistengenerationen gepflegt wurde. Selbst wenn die Musik in einem Abstand von mehr als einen halben Jahrhundert geschrieben wurde, stehen die Komponisten zueinander nicht im Kontrast, sondern ganz im Gegenteil miteinander im Einklang. Denn die rechte Deklamation, der Sinn für die Bühne und das Pulsieren der Choreographie sowie die Neigung für harmonische und orchestrale Färbungen sind Elemente, die im Großen und Ganzen alle französischen Autoren dieser Zeit charakterisieren“. Von Mondonvilles Ouverture zu Titon et L’aurore bis zur Prinzen-Arie aus Lullys Armide spannen Niquet und Le Concert Spirituel, die eigentlichen Protagonisten dieses Fest-Pastiches, einen großen Spannungsbogen, dabei flammend und leidenschaftlich in der Sturm-Szene aus Alcyone von Marais, großartig in der subtilen Orchesterkunst der Ausschnitte von Rameau, der dann doch etwas aus dem Kreis seiner Kollegen heraussticht. Schön, wie nahtlos die erwähnte Sturmszene mit den Einwürfen des Prinzen in eine Tenor-Arie aus Rameaus Dardanus übergeht. Reinaud Van Mechelen gibt mit feinem, geschmeidigem Tenor den liebend zurückhaltenden Prinzen, Karine Deshayes zeigt sich in der Rolle der Endora von außerordentlicher Allüre, einzig die zarte Katherine Watson ist nicht ganz so bezaubernd, wie wir es von Samantha erwarten würden (Alpha 442) Rolf Fath

Wegbereiterin der Musik

 

Erato legt eine Neuveröffentlichung von hohem Seltenheitswert vor (0190295632212). Voglio cantar nennt sich diese CD mit der Sopranistin Emöke Baráth, die das Programm rund um die italienische Komponistin Barbara Strozzi konzentriert. Jene war in der Musikgeschichte eine der ersten komponierenden und für ihr Schaffen auch anerkannten Frauen. Neben Kompositionen der Strozzi selbst finden sich in der Anthologie auch Stücke ihres Lehrers Francesco Cavalli und von Antonio Cesti sowie instrumentale Beiträge von Tarquinio Merula und Biagio Marini. Das Programm beginnt mit drei Nummern von Barbara Strozzi – der Arie „Che si può fare “, der Canzone „Mi fa rider la speranza“ und einem Lamento. Die Sopranistin imponiert sogleich mit ihrer klaren, in der Höhe leuchtenden Stimme. Das erste Stück in seiner traurigen Hoffnungslosigkeit fängt sie mit schmerzlich-empfindsamen Tönen plastisch ein. Der nächste Titel ist dagegen von kessem Übermut geprägt, während der dritte einen ernsten Klageton bereithält. Für all diese Stimmungen findet die Interpretin den passenden Ausdruck. Später folgen von Barbara Strozzi noch eine Kantate mit dem Titel „Il Lamento“, die Ariette „Amante loquace“ und die zweiteilige Komposition „L’Astratto“. Die Kantate ist die ausgedehnte balladeske Schilderung von Cinq-Mars, Günstling des französischen Königs Louis XIII., der als Kopf einer Verschwörung gegen Kardinal Richelieu 1642 in Lyon hingerichtet wurde. Das erfordert expressiv-deklamatorischen Gesang, was die Sopranistin beeindruckend erfüllt. Die Ariette ist von heiterem Charakter, der Zweiteiler  „L’Astratto“ gibt in seinem ersten Teil den Titel der CD vor und ist ein energisch-entschlossener Abschluss des Programms.

Cestis Komposition „Speranza ingannatrice“ und Cavallis „Statira, principessa di Persia“ ergänzen die Auswahl. Erstere schwankt zwischen quälender Eifersucht und trügerischer Hoffnung, die zweite besingt Glück und Liebe. Baráth erweist sich auch hier als kompetent und stilsicher.

Das inspirierend begleitende renommierte Barock-Ensemble Il Pomo d’Oro unter Francesco Corti kann in den Instrumentalnummern – der Sinfonia grave und einer Sonata von Marini sowie dem Balletto detto Eccardo von Merula ­– seinen Ruf als einer der führenden Klangkörper in der Pflege der Barockmusik eindrucksvoll bestätigen. Bernd Hoppe