Ach ja, der Deutsche Wald

 

Schwer tun sich die Opernhäuser mit Webers vielschichtiger Oper Der Freischütz, wozu beitragen mag, dass das Werk als deutsche Nationaloper galt oder noch gilt, was es schon einmal schlimmem Verdacht aussetzt. Da wird dann gern die Neckerei nach dem Wettschießen in die Nähe von Lynchjustiz gestellt, sind die Brautjungfern eine albern kichernde, hämische Mädchenclique, fuchtelt der Jägerchor furchterregend mit den Gewehren, ist Kuno ein finsterer Patriarch und Ottokar ein mitleidloser Tyrann. Und wer die drei letzten Inszenierungen der drei Berliner Opernhäuser gesehen hat, schüttelt sich noch jetzt in Erinnerung an all die Scheußlichkeiten, die nicht nur Kennzeichen der Wolfsschlucht, und Albernheiten, die nicht nur die Sache Ännchens waren.

Von einer italienischen Bühne wie der Mailänder Scala hätte man 2017 ein unbefangeneres Herangehen an die Materie erwartet, aber leider war das Regieteam nicht wie noch 1998 oder gar 1955 ein italienisches, allerdings eines, deren ein Ärgernis darstellende Sichtweise ganz anderer Art als die bekannten und genannten war. Der Italiener legt viel Wert auf una bella figura, meinte man wohl, und so statteten die drei (!) Kostümbildner Susanne Bisovsky, Josef Gerger und Malte Lübben die nach Libretto gerade dem Dreißigjährigen Krieg entronnene Bauerngesellschaft mit Prachtroben aus einer dem Kitsch verschworenen Trachten-Boutique aus, mit viel Glitzer und so umfänglich, dass die arme Agathe wie eine Teepuppe über die Bühne stolzieren musste. Der Teufel gibt es nicht den einen, Samuel, sondern deren viele, die sich sogar an Agathe und an einer der Brautjungfern vergreifen. Ottokar ist eine lächerliche Figur, was allerdings übel hätte ausgehen können, weil er eine Kopfbedeckung wie die in Italien hoch geehrten penne nere trägt. So üppig die Kostüme sind, so kärglich ist die Bühne (Raimund Orfeo Voigt), wie mit weißem Stift hingekritzelt sind Försterhaus und Eremitenklause, die Wolfsschlucht allerdings kann auch wegen der guten Lichtregie (Marco Filibeck) gefallen. Regisseur Matthias Hartmann glaubt dankenswerterweise an den versöhnlichen Schluss, lässt das Brautpaar einander zugetan bleiben und verzichtet auf den Zweifel an das glückliche Ende wenn auch erst in einem Jahr.

Frisch oder innig, düster verhangen oder jubelnd, wie es die Komposition vorsieht, lässt Myung-Whun Chung die Professori der Scala spielen, ebenso ist der Chor mit seinen vielen Einsätzen eine Freude.

Zum Teil ganz ausgezeichnet sind die Sänger, allen voran Günther Groissböck als athletischer Kaspar, pure Dämonie und vokal mit einer so machtvollen wie koloraturgewandten Bassstimme entzückend.  Eine wunderschöne Agathe ist Julia Kleiter mit leuchtendem Sopran, variationsreich in der ersten Arie und von schöner, warmer, runder Innigkeit im Gebet. Durch eine grässliche Propellerschleife verunziert wird das Ännchen von Eva Libau, die nicht zu soubrettig, nur etwas zarter als die bräutliche Freundin klingt. Michael König fällt etwas aus dem optisch illustren Rahmen, seine Körperfülle wird durch ein knallgrünes Cape eher betont als kaschiert; aber er singt mit heldentenorhaftem Aplomb und sicherer Höhe. Stephen Milling gibt dem Eremiten die notwendige vokale Autorität. Angemessen sind die beiden Baritone Michael Kraus (Ottokar) und Frank van Hove, der nicht nur Kuno, sondern auch Samiel seine Stimme verleihen muss (Naxos 2.110597). Ingrid Wanja