Es gibt Opern, deren Titel den meisten Klassikliebhabern ziemlich geläufig sind, und die doch kaum jemand genau kennt. Zu ihnen gehört Susannas Geheimnis von Ermanno Wolf-Ferrari, einer der beliebtesten Einakter des frühen 20. Jahrhunderts. Die Oper ist nun bei Naxos erschienen. Il Segreto di Susanna ist eine geniale Minioper. Drei Personen – eine stumm, kleines Orchester, nur eine Dreiviertelstunde lang. Doch die großen Häuser tun sich schwer damit – zu Recht, denn das Werk gehört eigentlich auf kleine Studentenbühnen. Aber auch der Inhalt ist für uns heute schwierig zu verdauen, denn es geht ums Rauchen. Gil glaubt, seine Frau hätte einen Liebhaber, weil er immer Zigarettenrauch riecht, in Wirklichkeit raucht die Dame aber heimlich selbst. Was für Gil weniger schlimm ist. Die falsche Botschaft im 21. Jahrhundert.
Doch die Musik ist exquisit arrangiert und komponiert, dies ist ein kleines Juwel unter den Einaktern. Bei der Premiere 1909 war dieses Werk durchaus fortschrittlich. Rauchen galt als unweiblich, nicht so sehr wegen des Nikotins, sondern weil das eine Männerdomäne war. Gil riecht Zigarettenrauch und assoziiert das sofort mit einem anderen Mann, er kommt gar nicht auf die Idee, dass seine Frau rauchen könnte.
Doch heute, ungefiltert (im wahrsten Sinne des Wortes!) auf die Bühne gebracht, würde das Werk vermutlich einen Entrüstungssturm auslösen, spätestens, wenn Susanna in ihrer betörenden Arie „Oh gioia la nube leggea“ die Freuden des Rauchens beschwört – in der wohl aufwändigsten und genialsten musikalischen Zigarettenwerbung aller Zeiten (Celesta, Harfe, 3 Soloviolinen, gedämpfte Streicher).
Gute Musik genießen. Friedrich Haider, dem eingeschworenen Wolf-Ferrari-Fan, sind die unmodernen Konnotationen ziemlich egal – er bringt das Werk für ein erwachsenes Publikum zurück, das durchaus in der Lage ist, ohne Warnhinweise (Rauchen gefährdet Ihre Beziehung) die gute Musik zu genießen.
Die Aufnahme ist bereits 2006 bei einem winzigen Label erschienen, also nicht mehr ganz taufrisch, aber ich wette, dass sie erst jetzt einem größeren Publikum auffällt. Judith Howarth hat die Rolle schon 2003 an der Seite von Renato Bruson erfolgreich unter Haider live in München gesungen und agiert hier als verschmitzte und temperamentvolle Susanna ohne Fehl und Tadel. Endlich mal wieder eine Verismo-Sopranistin ohne Schärfen in den Höhen, die voll aufdrehen kann und auch in den größten emotionalen Strudeln ihre Gelassenheit behält (passt ja auch zum Rauchen)! Und Angel Odena ist sicher nicht von Kaliber eines Renato Bruson, aber ein solider und amüsanter Bariton-Buffo.
Kleiner Bonus. Außerdem gibt’s bei Naxos noch (im Gegensatz zur älteren CD) einen kleinen Bonus, der sich auf der CD von 2006 nicht findet. Immerhin 22 Minuten mehr Musik! Nämlich die Streicherserenade Es-Dur, ein Frühwerk des 17-jährigen Wolf-Ferrari. Allerdings finde ich, dass dieses Werk als Appendix gegen die reife Susanna doch sehr abfällt, das Jugendstück bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, die die Oper auslöst und verblasst dramatisch. Aber das mag auch Geschmackssache sein. Auf jeden Fall ist es schön, die umstrittene Susanna nun bei einem der großen Klassik-Labels präsent zu haben, damit man weiß, worüber man redet, wenn man sie lobt oder verdammt.
PS: Der Autor ist lebenslanger Nichtraucher und bezieht kein Geld von der Zigarettenindustrie für diese lobende Besprechung einer Oper, in der das Rauchen keine Probleme auslöst, die tödlich enden ( Naxos 8.660385). Matthias Käther,