Wer Théophile Gautiers Le Spectre de la rose-Verse von „Soulève ta paupière close“ bis „ci-git une rose que tous les rois vont jalouser“, („Hebe deine geschlossenen Lider“ bis „Hier liegt eine Rose“), jemals von Régine Crespin (1927-2007) gehört hat, ist für alle anderen Aufnahmen verloren.
Die im September 1963 in Genf unter Ernest Ansermet entstandene Einspielung von Berlioz’ Les Nuits d’ Été und Ravels Shéhérazade, über die im Beiheft der zehn CDs umfassenden Warner Classics-Würdigung der Sängerin berichtet wird, ist der Moment, dessentwegen Crespin unvergessen bleibt. Versammelt sind in der Warner-Box (0190295886714) Aufnahmen der EMI, Decca und Vega (!!!) aus den Jahren 1958 bis 1967 sowie Ausschnitte aus ihren Gesamtaufnahmen, darunter der Erato–Carmen unter Alain Lombard, die im Herbst ihrer Karriere entstand, welche mit Madame de Croissy in den Dialogues des Carmélites (CD 9 enthält Ausschnitte aus Pierre Dervaux‘ Aufnahme von 1958 mit Crespin als Nouvelle Prieure) und der Pique Dame-Gräfin gegen Ende der 80er Jahre ausklang. Also keine Walküre unter Herbert von Karajan (DG), aber auch keine Sieglinde und Marschallin unter George Solti (von der Decca). Begonnen hatte Crespin 1950 in Mulhouse als Elsa. Höhepunkte waren die Kundry in Bayreuth, die Brünnhilde unter Herbert von Karajan in Salzburg.
In drei bemerkenswerten englischen, französischen und deutschen Texten beleuchten André Tubeuf, Yeruda Shapiro und Thomas Voigt kenntnisreich das Phänomen Crespin, wobei Shapiro den schönen Vergleich mit ihren Nachfolgerinnen Francoise Pollet und Jessye Norman anstellt.
Crespins Karriere erscheint doch merkwürdig gebrochenen, weil sich die Sängerin auf wenige Häuser, vor allem die Met (1962-87), San Francisco und Buenos Aires, beschränkte, und die Laufbahn Lücken und Brüche aufweist, worüber Crespin 1982 in ihrer Autobiographie La vie et l’amour d’une femme berichtete .
Bei der Beschreibung der Stimme, die von den Aufnahmetechnikern als „The french cannon“ bezeichnete wurde, wobei sie auf ihrer ersten EMI-Aufnahme mit Airs d’opéras unter Otto Ackermann (1958) gar nicht so gewaltig erscheint, sind sich alle über die Leuchtkraft und Eleganz, ihren skrupulösen Umgang mit dem Wort einig. Sinnlichkeit, Leidenschaft, meisterhaft gemeißelte Phrasen, Pathos und eine parlierende Leichtigkeit bei manchen Liedern und Szenen. Da gilt für die italienischen Opernarien unter Edward Downes (1963) mit der sensiblen Desdemona, der hoheitsvollen tragischen Santuzza, die Verdi-Arien unter Georges Prêtre (1965), wo sie sowohl Elisabetta wie Eboli überzeugend gestaltet. Besonders eindrucksvoll und nobel sind Saphos „O ma lyre immortelle“ aus Gounods Sapho, Brunehildes „Salut, splendeur du jour“ aus Reyers Sigurd und Charlottes Briefszene aus der Vega-Aufnahme (1961) unter Jésus Etcheverry (Régine Crespin chante L´Opéra Francais).
Dennoch empfinde ich heute mancher dieser Opernaufnahmen – Crespin berichtete auch, wie unfrei sie sich im Studio fühlte – etwas steif und flach, darunter die Wagner-Einspielung unter Georges Prêtre u.a. mit den Wesendonck-Liedern, die klanglich von betörender Eleganz sind, aber nicht das Feuer von Germaine Lubin besitzen, bei der sie zeitweise lernte. Wirken einige der italienischen Arien-Aufnahmen gegenüber ihren Live-Aufnahmen, beispielsweise des Ballo in maschera-Duetts mit Corelli, etwas gesichtslos, zeigen sie die französischen Arien und Szenen, voran die Aufschnitte aus Les Troyens (Cassandre und Didon), als eminente Tragedienne.
1996 hatte sie auf die Frage, was sie bevorzuge, Oper oder Lieder, geantwortet, „I think I would have chosen recitals. I gave my first, ten years after my operatic debut, in America, and immediately loved it. … When an recital is sucessful, it’s even more rewrding than an opera. It was one of my abilities to sing lightly und quietly, although my voice was a big one and it was belssing to be able to sing both Wagner and intimate songs in recital.“
Neben den französischen Arien – die sie mit Grandeur und Glanz und exemplarischer Diktion und Distinktion erfüllt – sind es tatsächlich die beiden Lied-CDs mit John Wustman mit Schumanns Liederkreis mit dem wunderbaren „Im Walde“, Fauré, Duparc, Roussel auf der einen, Schumanns Gedichte der Königin Maria Stuart sowie Lieder von Wolf, Debussy und Poulenc auf der anderen, die am bewegendsten sind. Die Offenbach-Ausschnitte, vor allem die prickelnde Métella aus La Vie Parisienne, ein Ausschnitt aus Claude Bollings Soundtrack zu Dites-le avec des fleurs sowie zwei volkstümliche Chansons (from private recording) wie der Tango „La Tantina de Burgos“ zeigen die bedeutende Crespin von einer weniger bekannten Seite. Rolf Fath
Vielleicht noch ein PS.:Men Kollege Rolf Fath deutet oben die merkwürdig zerrissene Karriere von Régine Crespin bereits an. Wobei Kennern der Szene auch ihre tiefgreifenden Auseinandersetzungen mit der Pariser Oper und ihre Demütigungen während der Liebermann-Ära und danach einfallen, die in einer Entfremdung und subsequenten Verdrängung der Crespin aus dem Pariser Opernleben resultierten. Sie hatte an der Opéra kein Glück und wurde erst sehr spät wieder gerufen, ähnlich wie Alain Vanzo und viele andere nationale Künstler. Ersetzt durch Rita Gorr als Gräfin in der Pique Dame wurde sie noch ein letztes Mal gedemütigt, bevor sie zumindest mit Konzerten in der Hauptstadt Triumphe feiern konnte, während die Welt sie für ihre Bünnhilde in Salzburg oder Carmen an der Met und sehr (zu) spät in Strasbourg bewunderte, woher unter Alain Lombard einige reife Aufnahmen bei Erato stammen.
Es sind eigentlich für die Sammler ihre Livemitschnitte, die die Magie ihrer Stimme belegen. Berlioz´ Didon (und als Torso Cassandre) zum Beispiel, die sie in einer speziell für sie angefertigten und rabiat gekürzten Version in Buenos Aires unter Georges Sebastien und in Boston unter Sarah Caldwell sang (den ersteren Mitschnitt gibt es bei Malibran Records – die EMI folgte mit noch größeren Ausschnitten dieser Kurzfassung). Ich habe sie als Carmen an der Met erlebt, optisch ein wenig sehr üppig im traditionellen Stufenkleid, aber was für eine Erotik, was für eine Diktion, welcher Esprit! Dagegen hatten es Marilyn Horne oder auch Christa Ludwig (dann als Charlotte) mehr als schwer. Berühmt ist ihre Ballo–Amelia ebendort, Ihre Werther–Charlotte bleibt mir ebenfalls im Gedächtnis, wo sie eine Lektion in kontrollierter Leidenschaft und eben jenem unvergleichlichen französischen Flair vorführte. Dazu wie in der Carmen dann Corelli – Herz, was begehrtest du mehr. Desdemona gibt es gekürzt neben Luccioni bei Malibran oder auch neben dem virilen Albert Lance in Buenos Aires, später eine ihrer großen Partien auch an der Met.
Dem Seltenen widmete sie sich ebenso: eine frühe Iphigénie wie auch Faurés Penelope (Inghilbrecht) neben Jobin oder Pizettis Fedra von der RAI ebenso wie die Massenet-sche Marie Magdeleine (New York und Paris) oder Tommasis Sampiero Corso (Bordeaux 1966), die Berlioz´sche Marguerite und auch Menottis Madame Flora bereicherten halb-offiziell herausgegeben die Sammlung die Fans, bevor die Copright-Konditionen griffen. Aber es ist natürlich, neben der hinreißenden Kundry oder Tannhäuser-Elisabeth (San Francisco 1966 neben Thomas Stewart, unvergessen) ihre Marschallin, die sie neben vielen illustren Kollegen (so Wunderlich und Rothenberger in Buenos Aires 1961 und natürlich eingespielt) an vielen internationalen Häusern sang und die ihr eine solide Alterskarriere außerhalb von Paris bescherte. Diese gewisse Steifheit, gewisse Distanz, die Ihr Rolf Fath zu Recht in ihren Studioaufnahmen attestiert, gab es nicht auf der Bühne. Da war sie leidenschaftlich, hochpersönlich, unverkennbar. Live war die Crespin jeden der vielen Zentimeter toute franciaise, die große Dame nicht nur der französischen Oper und eine der wichtigsten Sängerinnen ihrer Zeit (dazu auch der Artikel in Wikipedia). G. H.