Wohl nicht genau hingeschaut hat, wer dem Opernfilm Don Giovanni aus Macerata die Freigabe ab 0 Jahren zugestanden hat, denn da wird nicht nur ausgiebig an sekundären wie primären Geschlechtsteilen herumgefummelt, am Ende kommt noch eine Schar splitterfasernackter Teufel auf die Bühne, um den Sünder zunächst anzuknabbern und dann in die Hölle zu entführen. An sich gelingt dem Don in der Mozartoper ja nichts außer der Einladung, die vom Komtur angenommen wird, Pier Luigi Pizzi jedoch, sonst als Regisseur ganz Cavaliere ohne Skandalambitionen, vergönnt sogar Leporello einen eindeutigen Akt mit Donna Elvira während der Registerarie auf dem fast allgegenwärtigen und zunehmend zerwühlten Bett, so dass deren Entrüstung über den Rollentausch im zweiten Akt etwas übertrieben erscheint. Auch Donna Anna, und damit steht Pizzi in einer Reihe mit den meisten heutigen Regisseuren, vergnügt sich auf demselben mit dem Don, dem sie nicht den Überfall, sondern die schließliche Flucht übelnimmt. Damit wird Don Ottavio tatsächlich in seiner Ehrpusseligkeit zur lächerlichen Figur, das Werk jedoch dem Ruf des Schwerenöters eher gerecht als es das Libretto vorsah.
Wie jedes Jahr führte auch 2011 das Festival in Macerata in den Marken drei Operntitel im Sferisterio, einer Arena, die einst für „il gioco per la palla col bracciale“ gebaut wurde, und eines, intimeres im Teatro Lauro Rossi auf.
Pizzi, stets auch verantwortlich für Bühne und Kostüme, setzt bei der ersteren auf Sparsamkeit, verschiebbare Wände und Spiegel, ist dafür üppiger in den schönen Kostümen, so pompöse Trauerkleidung für Donna Anna. Riccardo Frizza ist der erfahrene Dirigent, der die Sänger auf Händen trägt. Puristen würden vielleicht die Nase rümpfen, da kein spezifischer Mozartklang vom vor allem im italienischen Fach geübten Orchestra Regionale delle Marche zu erwarten ist. Auch die Sängerschar ist vor allem eine das Vollmundige pflegende, so der damals noch am Anfang seiner Karriere stehende Ildebrando d’Arcangelo, optisch wie vokal in Saft und Kraft stehend mit geschmeidigem, farbigem Bassbariton. Sein Leporello ist Andrea Concetti mit derberem Stimmmaterial, aber durchaus rollendeckend. In jeder Hinsicht etwas blass bleibt der Masetto von William Corrò, angemessen dröhnend gibt sich Enrico Iori als Commendatore, ein wenig angenehmes Timbre hat Marlin Miller als Don Ottavio. Aber er weiß seinen Mozart angemessen zu singen. Carmela Remigio ist eine ausgezeichnete Donna Elvira mit warmem, rundem Sopran und freier Höhe. Heller, leichter, etwas spitzig ist die Stimme von Mirtó Papatanasiu, die koloratursicher ihre beiden Arien bewältigt und eine imponierende Erscheinung ist. Noch einen Deut leichter, silbriger und zarter ist die Stimme von Manuela Bisceglie für die Zerlina. Ausgesprochen attraktiv sind die Mitglieder der Hochzeitsgesellschaft, die sich auch vokal gut schlagen (Coro Lirico Marchigiana „Vincenzo Bellini“) Man bekommt beim Genuss der Blu-ray Lust, wieder einmal das Festival im Sferisterio zu besuchen (2019 Carmen, Macbeth, Rigoletto). (C Major 749404). Ingrid Wanja