Ewiges Thema

 

Zwar wartet die Brunetti-Gemeinde bereits sehnsüchtig auf den 28. Fall des berühmten Commissario, dessen Schöpferin Donna Leon ihre Bücher in deutscher Übersetzung regelmäßig im Schweizer Diogenes-Verlag veröffentlichen lässt, doch es lohnt sich auch ein Blick in das restliche Bücher-Verzeichnis, sogar für Musikfreunde. Der Sänger heißt der Roman von Lukas Hartmann und widmet sich den letzten Lebenswochen des jüdischen Tenors Joseph Schmidt, der auf der Flucht vor den Nazis durch halb Europa schließlich die Schweiz erreichte und dort im Alter von nur 38 Jahren starb. Nun gibt es bereits zwei Biographien über den Sänger, eine sogar mit dem gleichen Cover, nur in Schwarz-Weiß und nicht koloriert wie auf dem neuen Buch. Es zeigt Schmidt sich aus dem Abteilfenster eines Zuges lächelnd hinauslehnend und lässt nichts von dem tragischen Inhalt des Buches ahnen. Der Autor muss mehr als den einfachen Wunsch, noch einmal eine Lebensgeschichte nachzuerzählen, gehabt haben, es geht ihm offensichtlich einmal um die Frage, wer die Verantwortung für den frühen Tod Schmidts trug, zum anderen aber auch um den Umgang mit Flüchtlingen zum einen in der Schweiz, zum anderen wohl auch ganz allgemein.

Das Buch bedient sich zweier unterschiedlicher Schrifttypen und verschiedener Erzählperspektiven. „Normal“ ist die Schrift, in der in der dritten Person vom vergeblichen und danach erfolgreichen Grenzübergang vom besetzten Frankreich in die Schweiz berichtet wird, von der Verbringung Schmidts in ein Lager, der Überführung in ein Hospital, das Zurückschicken in das Lager, die Aufnahme in einem Gasthaus und den Tod. Ein für alle Mal wird die Frage gelöst, ob der Sänger verheiratet war, die im Nachkriegsdeutschland die Gerichte beschäftigte, als eine Frau, die zwar die Mutter seines Sohnes, aber nicht seine Ehefrau war, Ansprüche gegenüber dem Produzenten eines Films über Joseph Schmidt geltend machte. Er war es nicht. Fast völlig ausgeblendet wird das ereignisreiche Leben auf dem Karrierehöhepunkt, kehrt nur in kleinen Traum- oder Erzählfetzen, in Fieberphantasien in das Buch ein, so wie auch die Jugend in Czernowitz und die innige Beziehung zur Mutter.

In kursiver Schrift äußern sich Personen in der Ich-Form, die auf den letzten Lebensabschnitt  Schmidts Einfluss nahmen oder Zeugen seines Leidens waren. Dazu gehören zwei junge Mädchen, die mehrfach zu Wort kommen, die, durch einen Illustriertenartikel animiert, versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen, ihn sogar zum Singen zu bewegen. Eine von ihnen behauptet als über Achtzigjährige, er habe für sie gesungen. Mehr am Herzen dürfte dem Autor der Mitverantwortliche für die harte Behandlung der Juden in der Schweiz gelegen haben. In einem Streitgespräch mit der mitfühlenderen Gattin gerät er, wohl wegen seines schlechten Gewissens, in Wut, beschließt danach, sich bei ihr zu entschuldigen, denn „das gehört sich so“, nicht aber eine Revidierung der Meinung über Flüchtlinge, 9000 an der Zahl und Schmidt unter ihnen derjenige, dessen bessere Behandlung den mächtigen Nachbarn, Hitler-Deutschland, hätte reizen können.  Diese Figur und die des Professor Brunner aus dem Hospital, der Schmidt für einen Simulanten hält, lassen vermuten, dass der Autor mit seinem Buch eine Diskussion über die Flüchtlingspolitik damals und heute der Schweiz und nicht nur dieser auslösen möchte.

Der Autor ist vorsichtig bei Behauptungen, so wenn er ein „hieß es“ der Behauptung, Goebbels habe die Ehrenarierschaft für Schmidt in Erwägung gezogen, hinzufügt, nicht richtig informiert, wenn er meint, die Arie des Vasco, „Land so wunderbar“, habe man damals in Deutschland in der Originalsprache gesungen, hat sich schlicht verrechnet, wenn er meint, 2012 habe man den achtzigsten Todestag Schmidts begangen. Auch hätte es dem Sänger nichts genutzt, wenn er Christ geworden wäre, wie im Buch unterstellt wird, und im letzten Akt von Trovatore ist  „Ai nostri monti“ keine Arie, sondern ein Duett. Aber das sind Kleinigkeiten, die den Wert des Buches kaum beeinträchtigen.

Das Buch liest sich sehr angenehm, die Sprache entbehrt nicht poetischen Glanzes, ist ein-, aber nie aufdringlich, so wie auch dem Leser nie der Verdacht kommt, er solle eine bestimmte Meinung zum Thema übernehmen, er lediglich zum Nachdenken darüber angeregt wird (290 Seiten, Diogenes Verlag 2019, ISBN 978 3 257 07052 1)Ingrid Wanja 

  1. jan neckers

    I liked the book though once more there is the old story of Schmidt being too small to appear in a theatre. I don’t know who is the source for it but the author keeps to the legend that Schmidt measured 1.54m. In prewar times this was not unusual; sopranos often had that length and with high heels Schmidt could easily have had a career. But during his Flemish years he often appeared at NIR; Flemish public radio. His accompanist was Leonce Gras, whom I later (being a television producer myself) got to know when in the sixties he was music director and conductor at what is nowadays Vlaamse radio en televisie. I asked him how tall Schmidt was and Gras said the tenor was at least half a head smaller than he. Now Gras measured exactly the heigt of my mother: 1.55 m. Therefore Schmidt probably measured between 1.40 and 1.45 m. Maybe a little bit too small though everyone who saw Tony Poncet (I did three times in Gent) noted he too scarcely measured 1.40 – 1.45 and still had an operatic career (his daughter who was too young to know him well pretends he was 1.59m which is utter nonsense)

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  2. Alfred Fassbind

    Sehr geehrte Frau Wanja,

    Sie mögen entschuldigen, wenn ich auf ebenso beckmesserische Art die Unzulänglichkeiten Ihrer Besprechung zum „Sänger-ROMAN“ von Lukas Hartmann heraushebe, wie Sie das mit den „Fehlern“ des Autors tun, was die musikalischen Stellen betrifft.

    Wenn Sie die beiden neuerschienenen ROMANE (auch der von Stefan Sprang) als BIOGRAFIEN bezeichnen, so scheint Ihnen der Unterschied zwischen Fantasie und Wahrheit nicht bekannt zu sein.

    Es ist keinesfalls der Verdienst von Lukas Hartmann, dass nun „ein für alle Mal“ die Frage gelöst sei, ob Joseph Schmidt verheiratet war oder nicht. Auch stützt sich die TATSACHE, dass Goebbels den Sänger zum „Ehrenarier“ ernennen wollte nicht auf die Fantasie eines Journalisten, sondern ist einem Fernseh-Interview mit dem Textdichter von „Ein Lied geht um die Welt“ – Ernst Neubach – zu entnehmen.

    Als Nachlassverwalter und Biograf von Joseph Schmidt seit über 30 Jahren reagiere ich zugegebenermassen empfindlich, was solche Darstellungen betrifft. Die Zusammenhänger um diese beiden Punkte habe ich in meiner Schmidt-Biografie(Erstausgabe 1992, erweiterte Fassung 2012) unmissverständlich beschrieben.

    Mein Verhältnis zu Lukas Hartmann ist unbelastet und frei von dem, was man vielleicht als Neid bezeichnen könnte. Wenn ich aber Episoden wie die „Frauen in Girenbad“ als reine Erfindung ablehne, so weiss ich auch weshalb: Niemand in dem kleinen Bauerndorf wusste VOR Schmidts Tod, wer da in den Mauern des Lagers lebte und ein Kontakt zu den Flüchtlingen war gar nicht möglich.

    Meine Emotionen mögen Sie erstaunen, aber – erst recht als Schweizer Bürger – bin ich das dem Künstler wie dem Menschen Joseph Schmidt schuldig.

    Aus meiner Biografie finden Sie im Anhang die entsprechenden Stellen zu „Goebbels / Ehrenarier, 1933“ (Seiten 82/83), bzw. „Heirat mit Lotte Kohn, 1942) (Seiten 216/217).

    Mit freundlichen Grüssen,

    Alfred Fassbind

    Kurator http://www.josephschmidt-archiv.ch

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