Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Wege zu Monteverdi

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Gerade in jüngster Zeit stapeln sich die Aufnahmen von Opern Claudio Monteverdis, ob nun als CDs oder als Live-DVDs. Man meint, dass sich beinahe jedes Kleinstfestival seiner drei Opern bemächtigt hat, von großen wie Salzburg, Aix oder Boston ganz abgesehen. Monteverdi-Zyklen werden von Berlin bis Buenos Aires gezeigt, mitgeschnitten und veröffentlicht. Vor allem aus Italien und namentlich Frankreich schwemmt es herüber, und auch Martina Franca oder San Francisco blieben nicht untätig. Total overexposure, würden die transatlantischen Freunde das nennen. Inzwischen wird Monteverdi fast so viel gespielt wie Puccini. Die nachstehenden Aufnahmen der letzten Zeit – und das sind nur einige – zeugen von dem beneidenswerten Vertrauen der Labels in seine Zugkraft. Monteverdi ovunque.

Das war nicht immer so, denn der Weg zu Monteverdi ist für den Berichterstatter mit Reminiszenzen an jene Jahre verbunden, als Monteverdi nur ein Name für erbitterte Fans war, selten und oft verfremdet aufgeführt und auf Dokumenten damals nur selten zu finden. Eben auf diese möchte ich einen Blick werfen, auch um zu beschreiben wie weit wir in unserer Wertschätzung gekommen sind und was wir zwar gewonnen, aber auch verloren haben.

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Hätte ich mir damals in den  Sechzigern diese heutige Übersättigung an Monterverdi-Aufnahmen vorstellen können, als ich in zitternder Erwartung die nach muffigen Kellern riechenden US-Pakete vom Sam Goodies oder Tower Records aus New York vom Zoll abholte? In der wie bis heute verbieterischen Baracke missgelaunte Beamte, die uns warten ließen, während sie Kaffee und Frühstück hin- und herschleppten. Egal. Diese Pakete enthielten Kostbarkeiten für uns Studenten. Darunter – und das werd´ ich nie vergessen – Monteverdis Ritorno d´Ulisse von 1966 unter Rudolf Ewerhart mit der wunderbaren Altistin Maureen Lehane und dem charaktervollen englischen Tenor Gerald English als Protagonisten (neben Eduard Wollitz und anderen), die Lehane mit der Klage der Penelope mir bis heute eine Gänsehaut der Ergriffenheit bereitend. Zudem Monteverdi pur, denn Ewerhart mit seinem Santini Kammerorchester bei Vox hatte sich auf die damals gesicherten Teile der Oper konzentriert und die lieti pezzi (also die heiteren Einschübe am Hofe Penelopes und vor allem auch den Prolog mit der Umana fragilità) fortgelassen. Diese meine erste Begegnung mit dieser Oper Monteverdis war einfach überwältigend und bleibt mir bis heute. Die Sinnlichkeit (und darum geht es mir in diesem Rückblick) der Stimmen voller natürlichem Vibrato, das unverstellte, mich direkt erreichende Pathos des Gesungenen, die sparsame, aber nicht dünne Begleitung schufen für mich ein Klangvorbild, an das für mich heutige Aufnahmen mit Gambe, Zither und Countertenören nebst dünnen Kirchen-Innenraum-Stimmen um Meilen nicht herankommen. Fans von Cencic & Co. werden entsetzt aufschreien, aber ich stehe nicht an zu behaupten, dass meine alten Aufnahmen (mir natürlich nur) mehr Spaß machen, mehr an Sinnlichkeit und Persönlichkeiten vermitteln, mehr Seele, mehr Empathie – weniger Akrobatik und Selbstverliebtheit der Dirigenten … So wie auch das Lamento der Arianna von Margarete Klose aus alten Rundfunk-/LP-Zeiten mich immer noch zu Tränen rührt …

Natürlich wurde damals auf modernen, in Teilen diskret historisch-angelehnten Instrumenten gespielt, wie schon der erste Orfeo bei Deutsche Grammophon Archiv, auf dem Fritz Wunderlich eine Mucke als Pastore machte. Dieser Aufnahme von 1957 (Wenziger, Hitzacker, Helmut Krebs) ging dem Ulisse bei Vox voraus, aber Vox hatte noch mit einer Poppea nachgelegt, ebenfalls unter Ewerhart. Der deutsche haute contre (singulär in seiner Zeit) Hans-Ulrich Mielsch sang den Nerone und Ursula Buckel, die damals Vielbeschäftigte, die Poppea mit flirrendem Sopran. Vor allem aber war dies meine erste Begegnung mit der eminenten ukrainisch-polnischen Altistin Eugenia Zareska, die eine erdene Ottavia hören ließ, sehr beeindruckend und bis heute eine der geheimnisvollsten Sängerinnen der Nachkriegszeit (man erinnert sich an ihre tolle Grand-Duchesse de Gerolstein bei Leibowitz oder ihre satte Marina neben Gedda; es wird zu ihr bei operalounge.de ein Porträt geben).

In der fernen Vergangenheit hatte es immer wieder Ansätze zu einer Monteverdi-Rehablitation gegeben. Namentlich Nadia Boulanger, Schwester der Komponistin Lilli, hatte sich vor dem Krieg seines Werkes angenommen und bei His Master´s Voice eine ganz erstaunliche LP mit Canzoni und Madrigali eingespielt (zu den Solisten gehörte auch der Schweizer haute-contre Hugues Cuenod, den man später immer wieder in der Alten Musik findet). Bei Vox kamen auch Madrigale und das Combattimento di Tancredi e Clorinda unter Günther Kehr und dem Süddeutschen Kammerorchester von ca. 1960 heraus (Rodofo Malacarne, Elisabeth Speiser und Laerte Malaguti), wie diese Firma sich überhaupt um manche frühe Musik kümmerte. Das amerikanische Label Nonesuch ebenso.

Orfeo war die häufigste der frühen Monteverdi-Anstrengungen. Carlo Felice Cillario nahm mit den Kräften des berühmten Angelicum Mailand (Sammler werden sich an die grünen LPs erinnern) einen solchen in den späten Fünfzigern auf. Der Alte-Musik-Pionier Helmut Koch spielte mit dem Kammerorchester Berlin bei der Eterna einen solchen mit Elfriede Trötschel, Max Meili und – erstaunlich – Gerda Lammers ein.

Es gab auch einen Orfeo in der Maderna-Fassung (1960 an der NYCO, Stokowski dirigierte – es gibt ein Dokument davon, wahnsinnig!), Carl Orff hatte sich um Monteverdi gekümmert, Respighi bei Claves, Hindemith 1954 bei der RAI (mit Sinimberghi, Graf und Gillesberger). Man traute dem Original nicht, vielleicht war auch die Forschung noch nicht soweit. Eine wüste Poppea kam von der RAI 1957 mit Maria Vitale, Carlo Bergonzi und Oralia Dominguez (veröffentlicht in dem schwarzen Hommage-LP-Kasten bei Cetra vom Ehemann der Sopranistin mit allen ihren Aufnahmen beim italienischen Rundfunk), absolut abgefahren und eher Mascagni als Monteverdi, aber immerhin kümmerte man sich auch in Italien um ihn, mit unterschiedlichem Erfolg, wie noch die riskanten Aufnahmen aus Martina Franca bis in die Neuzeit zeigen …

Eine absolute Rarität ist die Poppea aus Wuppertal in der substanziellen Bearbeitung von Erich Kraack 1961 in Wuppertal, italienisch zwar, aber doch drastisch verändert. Eduart Wollitz (den man aus der Ewerhart Aufnahme kennt), Annamaria Bessel, Peter Christoph Runge und andere aus der Region singen (Label Wuppertaler Bühnen). Auch die Buchclubs boten – oft in Übernahme – Monteverdi. Ich erinnere mich nicht an Walter Goehrs Aufnahme bei uns zu Hause, als mein Vater Mitglied in der Concert Hall war und wir jeden Monat eine LP abnehmen mussten. Goehrs Poppea fand ich im Katalog. Und Sylvia Graehwiller nebst Friedrich Brückner-Rüggeberg sowie das Tonhallenorchester Zürich lassen auf eine schweizerische Übernahme schließen. 1963 war´s. Sagt Discorps, wo man ganz wunderbar die alten Aufnahmen aufgelistet und zum Verkauf angeboten findet.

Ein anderer Annäherungs-Strang führt zu Michel Corboz und den Lausanner Kräften, darunter ebenfalls Eric Tappy. Ich erinnere mich genau an seinen ersten Orfeo bei Erato 1968 in der eleganten braunen, leinenbezogenen Box mit der dicken Einlage (ein weiterer folgte weniger nachdrücklich 1985, warum nehmen Dirigenten nur immer Doublettenauf?). Eric Tappys Klage des Orfeo gehört ebenfalls zu meinem unvergesslichen Eindrücken. Corboz brachte später eine dicke Box mit Madrigalen (Guerreri) und weiterer Vokalmusik heraus, zuerst in Form der mit herrlichen Blumen-Covers geschmückten, weißgrundigen Erato-LPs, später diese dann als CD-Box (alles nun bei Warner, die früh das Label aufkauften, als es nach Barenboims Mozart-Ausflügen in den Ruin wankte). Michel Corboz, der später noch bei Claves und anderen Monteverdi und Späteres einspielte, erreichte mit seinen ersten Aufnahmen für mich so etwas wie einen Prototyp der zeitgemäßen Monteverdi-Interpretation – diskret historisch, aber mit natürlichem Vibrato der gestandenen Sänger und der Instrumente. Lustvoll und sinnlich.

Es gibt weitere Stränge der Nachkriegsbemühungen um Claudio Monteverdi. Bevor wir von Nikolaus Harnoncourt hörten, der zu dieser Zeit noch als Geiger im Orchester anderer spielte, war es Edwin Loehrer beim italienischen Rundfunk der Schweiz in Lugano, der dort meterweise Madrigale aufnahm, die dann bei verschiedenen Firmen als LPs/später CDs erschienen. Weitgehend mit einem kleinen, historisch angehauchten Orchester. Dazu herausragende Solisten wie Eric Tappy oder Laerte Malagutti, Lucia Ticcinelli-Fattori, Maria Minetto oder Edward Loomis. Auch Loehrer und sein fabelhafter Chor blieben eher konventionell, sinnlich, vibratoreich. Eben Lustvoll.

Das lässt sich auch über die ersten Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt sagen, der sich in den Siebzigern zu einem Papst für Monteverdi und die Folgen entwickelte. Vor dem berühmten Ponnelle-Zyklus in Zürich und seiner Dokumentation als Film und CD (Teldec 1988, Hollweg, Schmidt, Esswood et al) hatte er bereits bei Teldec den ersten eingespielt, der mir stimmlich und instrumental-musikalisch überzeugender, konzentrierter sein will (Hansmann, Lehrer, Eliasson, Equiluz, Esswood). Beide Dreiteiler (Zürich besonders, weil Bühnenaufführung) besitzen noch diese Frische und pralle Sinnlichkeit, die man in späteren Monteverdi-Aufnahmen stark vermisst. Hier sangen noch „normale“ Sänger wie Werner Hollweg, Eric Tappy, Rotraud Hansmann und andere, die eben das „normale“ Repertoire bedienten. Ein Ulisse, der auch Idomeneo, Don Ottavio oder Max singt scheint mir bis heute geeigneter zu sein als einer, der nur mit Barockem auftritt.

Der Dirigent Jürgen Jürgens soll da nicht unerwähnt sein. Seine Sammlung von Madrigali bei Teldec, DG und anderen sind weitere Meilensteine.

Und dann schließlich war da noch René Jacobs. Selber ein nicht immer liebenswürdig klingender Counter (für mich  stets kneifend und grell), begann er zu dirigieren und stellte einen beachtlichen Monteverdi-Opernzyklus bei Harmonia Mundi France vor. Besonders der Ulisse von 1971 mit Bernarda Fink und Christoph Pregardien bleibt mir in Erinnerung. Aber auch er nimmt inzwischen Sänger mit zu kleinen, dünnen Stimmen und neigt zum „Schrappen“ im Orchester. Und verschmäht – wie sollte er auch, ein Counter selber – Falsettisten in leading roles nicht. Ein Irrtum.

Um Raymond Leppard bei EMI und Decca muss man einen weiten Bogen machen. Das war Monteverdi für Leute, die Brahms und Mahler mögen, vielleicht auch Holst und Vaughn Williams, denn Leppard war in erster Linie eine englische Angelegenheit mit kleinen Ausuferungen auf den Kontinent. Ein Irrtum der Rezeption. Seine schwammigen, aufgeblasenen Orchestrierungen erfreuten Glyndebournes rich patrons, und seine Sänger sind – bei allem Verdienst – woanders besser zu hören, Janet Baker als Penelope vielleicht ausgenommen. Andere wie Hans Werner Henze mit seiner spätromantischen UlisseBearbeitung in Salzburg, München und Köln in den Neunzigern fallen da in dieselbe Kategorie, trotz Thomas Allens (oder Thomas Hampsons) und Kathleen Kuhlmanns bewegender Darstellung.

Natürlich gab und gibt es bis heute viele, viele, die sich mit Monteverdi beschäftigten. Und auch ihnen will man Respekt, wenn nicht immer große Zuneigung zollen, sie finden nachstehend Gerechtigkeit in den Rezensionen meiner Kollegen, die Counter, Zink und „Katzendärme“ mögen.

Sinnlichkeit – nach meinem Verständnis – trat hinter dem überbordenden, oft verbissenen und diktatorischen Anspruch der historischen Korrektheit der Aufführungspraxis zurück, wie sie sich nun sowohl instrumental wie auch stimmlich ausbreitete. Counter und immer kleiner werdende Solistenstimmen soweit das Ohr reichte. Das unselige Alfred-Deller-Erbe schwappt aus Englands Kirchen zu uns auf den Kontinent herüber. Tacet mulier in ecclesiam, jajadas wird heute gerne als Entschuldigung für die Verwendung von Countern in männlichen Kastratenrollen zitiert, Unsinn! Counter in Kastratenpartien als Protagonisten einzusetzen, nur weil sie Männer darstellen sollen, ist beklagenswerter Usus. Falsch und unhistorisch. Das hätte jemand wie Monteverdi oder Händel nicht geduldet, die Altistinnen verwendeten, wenn kein Kastrat zur Verfügung stand, und die Falsettisten in die Reihe der Kleinstdarsteller verwiesen. Das Geschlecht des Sängers selbst spielte im Barock keine Rolle. Pure opera gendering. Die Mezzo-Sopranistin Cecilias Bartoli gibt eine Vorstellung von der Reichweite der Kastratenpartien auf ihrer Decca-CD Castrati. Kastraten klangen zudem – den Beschreibungen nach – wie eine Mischung aus Marilyn Horne und Joan Sutherland, waren kraftvoll in der Attacke und vor allem betörend schön im Klang, weiteiferten mit den großen Sopranen der Zeit, mit denen sie sich auch die Rollen teilten. Denn Sopran-Kastraten sangen auch weibliche Rollen so wie Altistinnen als Schwerter rasselnde Helden auftraten (da denke ich sofort an Marilyn Horne…).   

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Als der letzte Kastrat wird Alessandro Moreschi bezeichnet, der allerdings nie in Opern, sondern nur Geistliches gesungen hat; bei youtube gibt´s noch ein „Ave Maria“ und anderes mit ihm, Altersaufnahmen, die kaum Rückschlüsse auf seine spezifische Kunst zulassen/ Wikipedia

Unsere heutigen Counter (ob nun ehemals Tenor oder meist Bariton) sind ja Falsettisten, die ihre Kopfnoten nach oben in die Koloratur-Sopranlage trainiert haben, was selten gut klingt. Nur wenige schaffen einen Wohlklang wie Paul Esswood (ebenfalls ein Alto) oder Jeffrey Gall (dto), auch Philippe Jarrousky in seinen Anfängen. Das Problem ist, dass der menschliche Stimm-Apparat das nicht lange mitmacht. Und im Laufe der letzten Jahre sah man manchen ehrgeizigen Counter im Sänger-Nirwana verschwinden. Oder ins Grelle abdriften (no names)… Die für mich ideale heutige Verwirklichung einer Kastratenstimme bleibt das gelungene Beispiel der elektronischen Verschmelzung zweier Stimmen eines Alt/Derek Lee Ragin mit der eines hohen Soprans/Ewa Małas-Godlewska im Film Farinelli. So stell ich mir den alten Klang vor. Angesichts von so vielen Absurditäten auf der heutigen Bühne vielleicht eine Idee für Nur-Akustisches? 

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Es ist ja bezeichnend, dass die französische Oper keine Kastraten kannte, sondern haute contres, also sehr hohe Tenöre bevorzugte, zumal in den Kirchen des Landes auch Frauen singen durften. Man brauchte also keine Kastraten und fand sie lächerlich. Haute contres finden sich in den französischen Barockopern und der Musik der Zeit, und sind eine übliche Rollenbezeichnung bis in das neunzehnte Jahrhundert, wo selbst leichte Spieltenöre so bezeichnet werden. Rameaus Schlamm-Nymphe Platée (auf einer alten EMI-Einspielung köstlich von Michel Sénechal dargeboten) ist als haut contre ausgewiesen.  Hugues Cuenod, bereits bei Boulanger erwähnt, tritt auch bei Loehrer und Corboz auf. Und in Glyndebournes Calisto wieder mal als gemeine, lüsterne Nymphe.

Und einem ganz besonderen haute contre aus Amerika muss man unbedingt ein Denkmal errichten, das wie ein Monolith in karger Landschaft nicht nur der ameriklanischen Nachkriegszeit steht: Russell Oberlin. Seine wirklich vielen und im Repertoire so weit gestreuten Aufnahmen (dazu auch optische bei VAI) lassen ihn einen ganz ausgefallenen, einzigartigen Künstler sein. Von Händel bis zu Britten, von spanischer Renaissance bis zu Mahler spannt sich sein Repertoire und bestätigt seine künstlerische Bandbreite. Zudem ist seine Stimme einzigartig, modern und doch am Alten gebunden. Er hat unter Noah Greenberg und seiner New Yorker Musica antiqua eine ganz wundervolle Monteverdi-LP/CD bei Odyssee eingespielt, wo er im Verein mit Charles Bressler, einem weiteren hohen amerikanischen Tenor, einen absolut irrwitzigen „Zeffiro torna“ hinlegt, dessen accellerandi wie Pfeile durch den Raum schießen. Ungeheuer.  Diese Barock- und Monteverdi-Sammlung Greenberg gehört zu den absoluten Schätzen meiner Sammlung. So ist es doch ein weiter Weg von Mantua bis New York, woher meine erste Liebe zu Monteverdi kam. Geerd Heinsen

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Monteverdi und kein Ende: „Als erste Aufnahme überhaupt“ enthalten die vier CDs, die Rondeau auf den Markt gebracht hat, die vollständige, gegen über der aus Venedig umfangreichere Neapolitaner Fassung der Monteverdi-Oper L’incoronazione di Poppea und dazu noch eine Reihe kürzerer Orchesterstücke von Zeitgenossen des Komponisten, so „ein paar neue Nummern und einige sehr spannende harmonisch kühne Stellen“, weiterhin ist die Fassung aus Neapel vierstimmig, die aus Venedig lediglich dreistimmig. Dem Publikum, das auf Schloss Waldegg bei Solothurn im Sommer 2021 in den Genuss der Aufführung kam, wollte man allerdings das Stück in seiner vollen Länge nicht zumuten und kürzte um einiges.

Die historischen Instrumente  des cantus firmus consort unter Andreas Reize erfreuen durch einen vollen, warmen Klang, federnd und agogikreich, die zahlreichen Ritornelle zwischen den Gesangsnummern passen stimmungsmäßig nicht immer, sorgen aber für eine angenehme Abwechslung zwischen den Darbietungen der fast ausschließlich hohen Stimmen. Diese allerdings weisen feine, die jeweilige Figur exakt charakterisierende Farbunterschiede auf.

Die Götter spielen in diesem Werk schon keine bedeutende Rolle mehr, äußern sich nur zu Beginn und Schluss der Oper, und so ist Fortuna zugleich auch Pallade und Damigella und alle drei Damen bekommen mit der Stimme von Kathrin Hottinger einen neckischen Anstrich, während Julia Sophie Wagner nacheinander Virtù, Dusilla und Venere ist, vollmundiger als die Kollegin, als Drusilla zunächst etwas verhuscht, ehe sie zunehmend präsenter erscheint und mit „O felice Drusilla“ frisch und flirrend und damit interessant wirkt. Apart melancholisch hört sich Marion Grange als Amore an, die zudem ein spritziger Valetto ist. Erstaunen kann immer wieder das Libretto erregen, so der Sarkasmus der Soldati Michael Feyfar und Hans Jörg Mammel. Eine warme Altusstimme  setzt Jan Börner für den Ottone ein, zunächst etwas unmännlich  wehleidig klingend, mit „I miei subiti sdegni“ aber durch Empfindsamkeit erfreuend. Die Ottavia von Geneviève Tschumi verfügt über einen edlen Klageton, führt die Stimme angenehm instrumental, ehe sie in der Riesenarie „Eccomi quasi priva“ recht geschmäcklerisch wirkt. Lisandro Abadie ist Seneca, der nach raunzigem Beginn zu sanfter Resignation findet und mit „Solitudine amata“ Eindruck machen kann. Dabei steht ihm mit Tobias Wicky ein geschmeidig singender Mercurio mit guter Diktion zur Seite. Letztere lässt der Nerone von Elvira Bill leider weitgehend vermissen, vieles klingt verwaschen, erst bei der Androhung der Folterungen wird es schillernd und damit interessant. Weich, schmiegsam, schmeichelnd, dazu frisch und immer wieder aufblühend kann Pia Davilla als Poppea nicht nur Nerone verführen. Wenn sie zum Schluss das berühmte Liebesduett singen, mag man gar nicht glauben, dass ein Fußtritt in den Bauch der Schwangeren bald der Geschichte ein Ende setzen wird. Ein ganz besonderes Vergnügen bereitet Sebastian Monti dem Hörer mit seiner plärrenden Arnalta und seiner greinenden Nutrice. Insgesamt kann man sagen, dass das Hörvergnügen sicherlich dadurch erhöht wird, dass man es sich einteilen, ab und zu dazwischen eine Pause machen und mit neuer Kraft und wieder erwachtem Interesse dazu zurückkehren  kann (4 CD ROP623738-4). Ingrid Wanja    

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Weder für die Feier eines Namenstags noch eines Geburtstags taugt ein Orfeo, an dessen Ende, der kompromisslosen Tragik einer griechischen Sage angemessen, der Held von feiernden Bacchantinnen zerrissen wird. Bereits der Orfeo von Monteverdi, für die Geburtstagsfeier des Herzoges von Mantua komponiert , geht zwar nicht so weit wie später der Glucks, bei dem die Liebenden sich dank Amors noch eines langen glücklichen Erdenlebens erfreuen dürfen. Aber er lässt immerhin Orfeos Vater, den Gott der Künste Apollo, persönlich den Sohn in das griechische Himmelreich entführen, wo er sich wie einst an der Schönheit Euridices nun an der von Wolken und Himmelskörpern erfreuen kann.  

2021 führte die Pariser Opera Comique in Zusammenarbeit mit der Opera Royal-Chateau des Versailles Spectacles und der Opera Grand Avignon die nicht unumstritten erste Oper überhaupt mit Le Concert des Nations  unter Jordi Savall auf historischen Instrumenten auf. Die sorgte für einen straffen, durchsichtigen und energischen Klang, ideal passend zu den Stimmen von Chor und Solisten. Von blendender Akuratesse war auch der Chor La Capella Reial de Catalunya, eigentlich eine Gruppe von Solisten, die sowohl durch darstellerische Gemessenheit wie durch vokale Brillanz erfreuen können. Regie führte Pauline Bayle und sorgte für eine klassische Mischung aus „edler Einfalt und stiller Größe“. In sanftem Rot, Grün gelb sind die zeitlosen Kostüme gehalten, Schatten von Baumstämmen sorgen für die Düsternis des Totenreichs, knallrote Blüten feiern das Glück der Hochzeit wie sie, anders arrangiert, den Grabschmuck bildeten. Die Optik erzeugt, mit anderen Worten, den Eindruck des durch und durch Klassischen (Bühne Emmanuel Clolus, Kostüme Bernadette Villard).

Vorzüglich sind die Sängersolisten, allen voran der Orfeo von Marc Mauillon, den man auch aus Tenorpartien kennt und der seine hier als Bariton eingesetzte Stimme in deklamatorischem Stil einsetzt, sehr aufmerksam gegenüber dem Text ist, so in einem mit ebenmäßiger Stimmführung zelebriertem  „Tu sei morta“, während oft auch das Timbre gespreizt wird wie im 3. Akt. Das ungemein lange „Possente spirto“ wird nie langweilig, bleibt stets voller Spannung. Viel Sinn für die kleinen Notenwerte hat Furio Zanasi als Apollo, der zum Schluss des fünfaktigen Dramas ein Duett mit dem Sohn singen darf. Salvo Vitale hat einen tiefdunklen, geschmeidigen Bass für Caronte und Plutone, weitere Herren singen meistens zwei Partien, jeweils einen Pastore und einen Spirto. Aus der Reihe der Damen sticht besonders Sara Mingardo als Messaggiera hervor, sehr bewegend die traurige Botschaft verkündend mit schlanker und dabei farbiger  Altstimme. Als Speranza und Proserpina kann Marianne Beate Kielland auch in den berühmten Worten Lasciate ogni speranza, voi che entrate“ einen sanften Mezzosopran einsetzen. Im Hintergrund sind ab und zu Mitwirkende mit Maske zu erblicken, scheinen eine unbeabsichtigte Brücke zwischen dem Damals und dem Heute zu schlagen, die immer währende Bedrohung des Menschen und seine Verletzbarkeit anzudeuten (Naxos NBDO152V). Ingrid Wanja

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Und noch einer – diesmal bei Chateau de Versailles: Seit 2017, dem Jahr des 450. Geburtstages von Monteverdi, finden sich auf dem Musikmarkt immer wieder Neueinspielungen seiner Musikdramen. Jetzt hat das Label Château de VERSAILLES in einer Aufnahme vom Dezember 2021 Il ritorno d’Ulisse in patria herausgebracht, wie stets mit reich illustriertem und mehrsprachigem Booklet. Vor dem Hören empfiehlt sich die Lektüre des informativen Artikels von Stéphane Fuget, dem Dirigenten der Einspielung, die in der Salle des Croisades du Château de Versailles mit dem von ihm 2018 gegründeten Ensemble Les Épopées stattfand. In diesem Essay mit dem Titel „Von der Deklamation im Rezitativ“ analysiert er detailliert den Stil des recitar cantando (beim Singen zueinander oder zu sich selbst sprechen, zu deklamieren) welcher den Ulisse in hohem Maße auszeichnet. Die Dominanz des Wortes über die Musik bestimmt dann auch seine Interpretation.

Das Ensemble hat sich voll und ganz auf diesen Stil eingestellt, wie es sogleich die lebhafte Artikulation im Prologo zeigt. Hier erweist sich Die menschliche Zerbrechlichkeit (L’Humana fragilità) als der Vergänglichkeit (Tempo), dem Schicksal (Fortuna) und der Liebe (Amore) unterworfen. Der exzellente Altus Filippo Mineccia, der fabelhafte junge amerikanische Bass Alex Rosen, die aufstrebende französische Mezzosopranistin Ambroisine Bré und die reizende Sopranistin Marie Perbost machen aus dieser Eingangsszene einen spannenden Diskurs. Den wirklichen dramatischen Einstieg in die Handlung markiert jedoch Penelopes Auftritt im 1. Akt mit dem langen Monolog „Di misera Regina“. Lucile Richardot mit ihrem erdenen Alt formt die Worte in reinem Sprechgesang und mit deutlichen Vokalverfärbungen. Ihr „Torna, deh torna, Ulisse“ hört man mit Erschütterung. Gegenüber den Freiern ist sie voller Hohn  nach deren Versagen. Auf Telemacos anzügliche Erinnerungen an Helena reagiert sie als zornige Mutter, auf Eumetes Enthüllung, dass der alte Bettler, der die Freier besiegte, kein anderer ist als Ulisse, mit spöttischer Verachtung. Wenn sie schließlich selbst überzeugt ist, dass der Mann vor ihr wirklich ihr Gemahl ist, wandelt sich ihr Ton von scharfer Deklamation zu weicher Rundung und zärtlichem Ausdruck. Davon kündet auch ihr Schlussduett mit dem Geliebten („Sospirato mio sole“) in seiner Seligkeit

Der Tenor von Valerio Contaldo als Ulisse klingt etwas nasal, punktet aber mit einer charaktervollen Interpretation. Sein Auftrittsmonolog, „Dormo ancora“, ist zunächst von stockendem, gebremstem Redefluss, steigert sich später zum verzweifelten Aufschrei. Seine Szenen mit Minerva (lockend: Marieclou Jacquard), dem treuen Hirten Eumete (kompetent: Cyril Auvity) und seinem Sohn Telemaco (emphatisch: Juan Sancho) beeindrucken durch plastische Klangsprache. Ambroisine Bré  verdient es, noch einmal genannt zu werden, denn ihr Melanto mit kokettem, doch stets delikatem Ton entzückt. Auch Alex Rosen kann nach seinem Auftritt im Prologo als Nettuno noch einmal auf sein sattes Potential aufmerksam machen, ebenso wie Filippo Mineccia als Pisandro auf sein charakteristisches Timbre. Jörg Schneider gibt einen skurril meckernden oder heulenden Iro (CVS069, 3 CDs/ 17. 09-22). Bernd Hoppe       

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Monteverdi-Zyklus bei OPUS ARTE: Mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists produzierte John Eliot Gardiner im Juni 2017 anlässlich des 450. Geburtstages von Claudio Monteverdi dessen drei große Musikdramen. Aufführungsort dieser semi-konzertanten Vorstellungen, bei denen die Sänger in schlichten oder extravaganten Kostümen von Patricia Hofstede und Isabella De Sabata auftreten und auch gestisch agieren, war das Teatro La Fenice Venedig. Opus Arte hat den Zyklus auf drei DVDs bzw. Blu-ray Discs veröffentlicht. L’Orfeo hat mein Kollege Gerhard Eckels nachstehend besprochen.

Im Dramma per musica  ist Hana Blazíková in der Titelpartie zu erleben. Der Sopran ist energisch, mitunter gar keifend. In den Zwiegesängen mit Nerone findet die Sängerin aber auch zu schmeichelnden, verführerischen Tönen. Wunderbar innig beider Schlussduett „Pur ti miro“. Ein in unseren Breiten weniger bekannter Countertenor, Kangmin Justin Kim, singt den Nerone. In seiner androgynen Erscheinung ist er optisch ein Blickfang und auch die hohe Stimme, fast in der Region eines Sopranisten, besitzt Ausnahmerang. Sein Ausdrucksspektrum reicht von furiosen Ausbrüchen bis zur Hysterie. Stupend ist die Koloraturbravour in der homoerotischen Szene mit seinem Vertrauten Lucano (Zachary Wilder). Konkurrenz als Ottone macht ihm dennoch Carlo Vistoli, ein neuer Stern am Counter-Himmel, mit betörend schöner Stimme und prägnanter Artikulation. Mit Marianna Pizzolato, kompetent auch im Belcanto-Repertoire, ist die Ottavia prominent besetzt. Ihr würdevoller Auftritt als von ihrem Gatten verstoßene Kaiserin („Disprezzata regina“) profitiert von Wohlklang, aber auch starkem Ausdruck. Ähnlich eindrücklich die Szene vor ihrer Verbannung aus Rom („A Dio, Roma!“) mit stockendem Beginn und enormer Steigerung. Michal Czerniawski gibt ihre Nutrice mit farbreichem Altus. Gianluca Buratto ist ein Seneca mit profundem, resolutem Bass und autoritärer Ausstrahlung. Seine große Szene vor dem von Nerone verordneten Selbstmord („Solitudine amata“) ist von schlichter, ergreifender Größe und der Tod selbst von erhabener Würde, auch durch das vom Orchester bewegend musizierte Ritornello.

Der Prolog schildert den Götterstreit zwischen La Fortuna, La Virtù und Amore in ihrem Anspruch, die Herrschaft über die Sterblichen zu beanspruchen. Mit strengen Stimmen rivalisieren Anna Dennis (danach eine energisch reife Drusilla), Lucile Richardot (später eine fulminante Arnalta mit maskulinem Tonfall) und Silvia Frigato (danach ein munterer Valletto).

Der englische Dirigent John Eliot Gardiner ist mit dem Werk seit mehreren Jahrzehnten vertraut. Bereits 1993 produzierte er für die ARCHIV Produktion der DG eine Gesamtaufnahme mit seinem Chor und Orchester. Seine Interpretation ist nun noch reifer und wissender, findet die perfekte Balance in der Begleitung der deklamierten Passagen, der Ariosi und instrumentalen Teile. (OA 1346D). Bernd Hoppe

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2017 ging John Eliot Gardiner mit „seinem“ Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists zum 450. Geburtstag von Claudio Monteverdi auf eine internationale Tournee, bei der dessen drei wichtigsten Opern L’Orfeo, Il ritorno d’Ulisse in patria und L’incoronazione di Poppea halbszenisch aufgeführt wurden. Die Aufzeichnungen im La Fenice in Venedig hat nun OPUS ARTE als DVDs herausgebracht.

In L’Orfeo und Il ritorno d’Ulisse in patria (in der Wiener Fassung) gelingt den Solisten, dem zeitweise tänzerisch auftretenden, stets ausgewogen singenden Monteverdi Choir und den in allen Gruppen sowie den vielen Instrumentalsoli ausgezeichneten English Baroque Soloists, die auch vor lautmalerischen Effekten nicht zurückscheuen, eine beeindruckende Vielfarbigkeit des Gesamtklangs. Der vielseitige, besonders in der Musik des 17. Jahrhunderts überaus erfahrene  John Eliot Gardiner leitet das Ganze mit anspornender und präziser Zeichengebung, wobei er durchgehend dafür sorgt, dass der Gesang im Vordergrund steht. Auch für die im Ganzen unaufdringliche, manchmal auch den Zuschauerraum einbeziehende Regie, die für lebendiges Spiel aller Beteiligten gesorgt hat, ist er ebenfalls gemeinsam mit Elsa Rooke verantwortlich. Die schlichten, antikisierenden Kostüme von Isabella de Sabata und  Patricia Hofstede passen bei beiden Opern insofern zum Gesamtkonzept, als es die Musik immer ins Zentrum rückt.

Das internationale Solistenensemble besteht aus Sängerinnen und Sängern, die auf die so genannte „Alte Musik“ und darauf spezialisiert sind, fast durchweg nur begleitet durch Continuo-Akkorde zu singen. In L’Orfeo beginnt es mit der wunderbar schlanken Stimme der Tschechin Hana Blazikova als La Musica, die sich mit der Harfe teilweise selbst begleitet. Später verwandelt sie sich in Euridice, die sie ebenso wie Minerva und Fortuna in Il ritorno überzeugend darstellt und mit blitzsauberem, immer wieder schön aufblühendem Sopran adelt. Auch beim intensiv gestaltenden Sänger des Orfeo, dem Polen Krystian Adam, sind die überaus variablen Klangfarben auffällig; besonders die großen Szenen im 3. und 5. Akt gelingen eindrucksvoll, wenn Orfeo die Unterweltfürsten mit seinem Singen zu überwinden sucht und er später sein Scheitern beklagt. Sie reichen von machtvollem Auftrumpfen im Klagen über den großen Verlust bis zu kunstvoll verziertem, einschmeichelndem Gesang. Dieser ist auch als Telemaco in Il ritorno gefordert, den Adam mit seinem kräftigen, flexiblen Tenor differenzierend gestaltet.

Der italienische Bariton Furio Zanasi ist in der Titelrolle des Ulisses in Il ritorno zu erleben, den er mit prägnantem Bariton und zurückhaltender Darstellung ausfüllt. Auch als Apollo in L‘Orfeo erweist es sich, dass er gemeinsam mit Orfeo in der Schlussszene die geforderten virtuosen Koloraturen und anspruchsvollen Gesangslinien aufs Beste beherrscht. Lucile Richardot macht in Il ritorno ausdrucksstark deutlich, wie unerschütterlich Penelope in ihrer Standhaftigkeit ist. Ebenso als Botin in L’Orfeo spart die französische Mezzosopranistin nicht mit dramatischen Effekten. Sie widersteht eindrücklich den aufdringlichen Freiern, die von Antinoo angeführt werden. In dieser Partie, als Tempo und Nettuno in Il ritorno sowie als Coronte und Plutone in L’Orfeo setzt der Italiener Gianluca Buratto seinen mächtigen, profunden Bass ein, den er  auch ausgesprochen lyrisch und klar zu führen weiß. Sozusagen als das Buffo-Paar, wie sie in späterer Zeit gern in Opern auftauchen, agieren als Melanto und Eurimaco munter pure Lebensfreude ausstrahlend die englische Sopranistin Anna Dennis (auch Ninfa in L’Orfeo) und der amerikanische Tenor Zachary Wilder (auch Spirito II in L’Orfeo). Ein köstliches Kabinettstückchen mit Cola-Dose und Bockwurst bei mitreißender stimmlicher Ausgestaltung ist dem englischen Tenor Robert Burt als der verfressene Freier Iro gelungen.

Bei den Sängerinnen und Sängern in den weiteren Partien, die nicht so sehr im Vordergrund stehen, imponieren die Vielseitigkeit und die durchweg ausgezeichnete Beherrschung ihrer jeweils charaktervollen Stimmen. Deshalb wäre es  unangemessen, jemand zusätzlich hervorzuheben; sie sollen aber doch wenigstens genannt werden: Es singen und spielen die italienische Sopranistinnen Francesca Boncompagni (L’Orfeo: Proserpina; Il ritorno: Giunone) und Silvia Frigato (Il ritorno: Amore) sowie die italienische Altistin Francesca Biliotti (Il ritorno: Ericlea). Außerdem sind dabei der amerikanische Counter Kangmin Justin Kim (L’Orfeo: Speranza), der spanische Tenor Francisco Fernandez-Reieda (L’Orfeo: Pastore I; Il ritorno: Eumete), der walisische Tenor Gareth Treseder (L’Orfeo: Pastore II, Spirito I, Eco; Il ritorno: Anfinomo), der amerikanische Bariton John Taylor Ward (L’Orfeo: Pastore IV, Spirito III; Il ritorno: Giove), der polnische Counter Michal Czerniawski (L’Orfeo: Pastore III; Il ritorno: Pisandro) und schließlich der italienische Counter Carlo Vistoli (Il ritorno: Umana fragilita).

Insgesamt  sind beide halbszenisch aufgeführten Opern besonders wegen der packenden, tiefgehenden Interpretation durch den Altmeister der „alten Musik“ Sir John Eliot Gardiner und des herausragenden Niveaus aller Beteiligten nicht nur für die Freunde der Musik des 16./17. Jahrhunderts lohnend (OPUS ARTE OA1347D L’Orfeo, OA1348D Il ritorno d’Ulisse in patria). Gerhard Eckels

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Aus dem bezaubernden Teatro della Pergola in Florenz kommt eine Aufzeichnung von Monteverdis Il ritorno di Ulisse in patria, die Robert Carsen als Regisseur und Radu Boruzescu als Bühnenbildner verantwortet haben. Sie entstand im Juni 2021 im Rahmen des Maggio Musicale Fiorentino und wurde von Dynamic auf Blue-ray Disc veröffentlicht (57927). Die Wirkung der Aufnahme bezieht sich vor allem aus dem hinreißenden Ambiente des antiken Theaters, das permanent in die Optik einbezogen wird und sich mit seinen Rängen sogar auf der Bühne fortsetzt. In den Logen sind die Götter postiert, die dem Spektakel beiwohnen und es kommentieren. Die Inszenierung mixt virtuos Vergangenheit und Gegenwart, wozu auch Luis Carvalho mit seinen Kostümen beiträgt, welche gleichfalls in unterschiedlichen Zeitebenen pendeln. Historische Pracht ist da mit zeitgenössischer Alltagsprofanität konfrontiert.

Mit der Accademia Bizantina sorgt Ottavio Dantone, der nach der  kritischen Edition von Bernardo Ticci auch die praktische Fassung für die Aufführung erstellte, für ein vibrierendes Klangbild, das in seiner Kraft und Spannung bis zum Schluss des Werkes nicht nachlässt. In der Titelrolle ist Charles Workman ein reifer Interpret, der die menschliche Dimension der Figur beeindruckend umreißt. Delphine Galou gibt der Penelope sensible Züge und Arianna Venditelli, auf diesen Seiten soeben als Titelheld von Händels Serse besprochen, ist eine expressive und differenziert schattierende  Minerva. Aus der Besetzung ragen zudem Gianluca Marghelli als Giove und Miriam Albano als Melanto heraus. Bernd Hoppe

Fidi en bloc

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Dietrich Fischer-Dieskau – Complete Lieder Recordings on Deutsche Grammophon (00289 486 2073). Die neue DG-Box hat die Ausmaße eines Grundsteins. Des Grundsteins zu einem musikalischen Denkmal für einen der bedeutendsten Sänger nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Tat gibt es auch richtige plastische Darstellungen zum Ruhme von Vertreter der singenden Zunft in Parks und an Straßen. Sie lassen sich anfassen und taugen Touristen als Fotomotive. Neuerdings begegnet man Maria Callas lebensgroß am Fuß der Akropolis in Athen. Kirsten Flagstad, mit der Fischer-Dieskau als Kurwenal beim Tristan Furtwänglers noch im Studio zusammentraf, steht vor dem Opernhaus in Oslo. Als Büste findet sich Caruso in der Nähe seines Geburtshauses in Neapel. Kaum wiederzuerkennen ist Fritz Wunderlich in ebensolcher Darstellung in seinem Heimatort Kusel. Und Gottlob Frick grüßt mit Schlips und Kragen Spaziergänger von seinem Sockel in Mühlacker, wo er starb.

Es darf darüber gestritten werden, ob derlei stumme Abbilder, deren Existenzform die Erstarrung in Bronze oder Stein ist, Sängern gerecht werden können. Ich bezweifle das. Sie geben keinen Ton von sich. Gründet sich das Andenken nicht vielmehr auf die Zeugnisse ihre Wirkens – die Tonaufzeichnungen? Im Falle von Fischer-Dieskau ist daran kein Mangel. Auf dem Grundstein der neuen Edition – um im Bilde zu bleiben – türmen sich Berge von Tonträger aller Art und unterschiedlichster Provenienz. Filme sind auch dabei. Fischer-Dieskau war bei mehreren Firmen sehr aktiv. Nicht alles ist zugänglich. In Rundfunkarchiven und privaten Sammlungen hat sich angestaut, was so schnell nicht ans Licht gelangen dürfte. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, was es alles gibt. Die bislang umfangreichste Diskographie legte Monika Wolf vor, zuletzt 2005 erschienen bei Book on Demand. Audite kommt das Verdienst zu, anlässlich des 85. Geburtstages des Sängers Teile des Rias-Archivs erschlossen zu haben. Beim Rundfunk im amerikanischen Sektor der geteilten Stadt, wurden die Potenziale des politisch unbelasteten jungen Sägers sehr früh erkannt und dokumentiert. Er stand für den Neubeginn wie kaum ein anderer.

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Dietrich Fischer Dieskau Das Foto/DG (im Original schwarz-weiß) stammt aus dem Booklet der neuen Edition und zeigt den jungen Dietrich Fischer-Dieskau am Neujahrstag 1950. Kurz zuvor hatte die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon begonnen.

Die Edition bietet 107 CDs auf, dazu ein broschiertes Buch mit 238 Seiten, das erklärende Texte, die Tracklisten sowie zahlreiche Fotos enthält. Präferiert wird die Einteilung nach Komponisten. Musikalisch gesehen, stellen sie das höchste Ordnungsprinzip dar. Die Sammlung beginnt denn auch mit Philipp Emanuel Bach. Ludwig van Beethoven schließt mit 5 CDs direkt an, gefolgt von Johannes Brahms, der einmal kurz durch die Biblischen Lieder von Antonin Dvorak unterbrochen ist (12), Franz Liszt (4), Carl Loewe (2), Gustav Mahler (3). In ihrer Gesamtheit bezeugt die Zusammenstellung Jahre der Meisterschaft, in denen er ständig als künstlerischer Weltbürger unterwegs war, auf Opernbühnen und bei den internationalen Festivals. Allein in Salzburg fehlte er in fünfzig Jahren nur selten. Erstmals sang er dort 1951 noch unter Wilhelm Furtwängler die Lieder eines fahrenden Gesellen. Um das halbe Jahrhundert voll zu machen, trat er zuletzt als Sprecher und als Dirigent auf. In der Edition wird er bei den Gesellen-Liedern von Rafael Kubelik und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks begleitet (1968). Sie bilden mit den Kindertotenliedern, den Rückerliedern, bei denen Karl Böhm die Berliner Philharmoniker leitet (1963) und dem Lied von der Erde in zweifacher Ausführung die Mahler-Abteilung. Vom Komponisten als Symphonie für eine Tenor- und Alt- (oder Bariton-)Stimme bezeichnet, sprengt Das Lied von der Erde zwar den Rahmen, der Titel aber legitimiert die Berücksichtigung. Zu hören sind der allseits bekannte Wiener Mitschnitt mit Fritz Wunderlich unter Josef Krips (1964) sowie die von Leonard Bernstein geleitete Studioproduktion mit James King (1966). Nach Mahler kommt Friedrich Nietzsche (1). Danach wird die alphabetische Reihung unterbrochen, was noch mehrfach notwendig ist, wenn nämlich ein Komponist nicht eine ganze CD ausfüllt. Es folgt Max Reger, der sich eine CD mit Hans Pfitzner teilt. Auf der zweiten CD mit Liedern von Othmar Schoeck ist noch Platz für den Hermann-Hesse-Liederzyklus Leb wohl, Frau Welt von Gottfried von Einem.

Die Lieder Schuberts bilden den Mittepunkt der neuen Edition. Zuerst sind sie in prachtvoll ausgestatteten Plattenkassetten erschienen.

Wie ein monolithischer Block erheben die Franz-Schubert-Lieder auf 31 CDs heraus. Damit wird überdeutlich, wem die beständige große Liebe des Baritons galt. Wie kein anderer Komponist hat Schubert seine lange Karriere geprägt und er die Interpretationen seiner Lieder. Diese Erfahrungen hat er sogar in einem Buch mit dem Titel „Auf den Spuren der Schubert-Lieder“ zusammengefasst, das 1976 erstmals bei Bärenreiter erschien und seitdem eine große Verbreitung fand. Dessen letzter Satz: „Wenn es auch künftig Hörer mit einem Gefühl für Künstlerisches geben wird – immer vorausgesetzt, es handele sich um eine Kommunikation zwischen Interpreten höchsten Ranges und ebensolchen Hörern -, dann wird die meisterliche Vertonung eines Gedichts ein unvergängliches Erlebnis bleiben.“ Nicht ohne Eitelkeit beschreibt er mit diesen Worten Ziel und Zweck seines künstlerischen Wirkens. Er war nie auf ein Massenpublikum aus, das ihm nicht hätte folgen können. Vielmehr wollte er Menschen um sich haben, die ihn verstanden, bei denen er – gleich einem Dozenten im Hörsaal – nicht erst bei null anfangen musste, um höhere Erkenntnisse zu vermitteln. Für dieses Publikum ist die Grammophon-Edition, für die im heimischen Regal der Brockhaus oder der Goethe etwas zur Seite gerückt werden müssen, genau richtig. Fischer-Dieskau kam nie von Schubert los, hat nach immer neuen Ansätzen und Ausdrucksmöglichkeiten gesucht. Die Ergebnisse sind – je nach Wahrnehmung und Erwartung – bekanntermaßen unterschiedlich ausgefallen. Zwei Drittel der Schubert-Titel gehen auf die Einspielungen mit Gerald Moore zurück, die zwischen 1966 und 1972 in Berlin entstanden und bereits als Sammelbox herausgekommen sind. Über Frischer-Dieskau reden, heißt, auch über Moore reden. Der diskrete englische Pianist und Fischer-Dieskau waren ein ideales Paar. Ihre Interpretationen sind wie aus einem Guss. Moore versteht seinen Roll als Begleiter ohne eigene herausgehobene Ambitionen. Er gestattet dem Sänger den künstlerischen Vortritt, der sich auf den versierten Mann am Klavier hundertprozentig verlassen kann. Daraus gewinn Fischer-Dieskau seine absolute Sicherheit, die sich im Zusammenspiel mit Moore als durch und durch harmonisches Erlebnis mitteilt. In dem bereits erwähnten Buch nennt ihn der Sänger den „König unter den Begleitern“. Es entspreche seinem Rang, dass er wohl der „einzige Liedpianist auf der Welt“ sei, der sämtliche Schubert-Lieder gespielt habe. „Dabei erweist sich vor allem sein rhythmischer Impetus als ein Wesenszug, auf den eine Schubert-Interpretation nicht verzichten kann.“

Dietrich Fischer-Dieskau und der englische Pianist Gerald Moore arbeiteten oft zusammen. Der Sänger nannte ihn den „König unter den Begleitern“. Foto/DG Archive

Dennoch bevorzuge ich die frühen Aufnahmen, die mir nicht so gedankenschwer und ausgeklügelt vorkommen. Wenngleich Fischer-Dieskau auf mich stimmlich alterslos wirkt, finde ich sie freier und unbekümmerter. Sein einzigartiges Können, stimmlich wie interpretatorisch, hat sich nicht erst mit der Zeit herausgebildet. Es war von Anfang an da – nachzuhören in seiner ganz frühen Einspielung der Lieder Ihr Bild und Das Fischermädchen aus dem Schwanengesang vom März 1949. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Beim ersten Lied zwingt der unbekannte Begleiter den Sänger zu einem extrem langatmigen Tempo, das ihm viel technisches Können abverlangt. Mit fast dreieinhalb Minuten dauert es deutlich länger als in den beiden kompletten Aufnahmen in der Edition mit Moore (1972) und Alfred Brendel (1982). Die Stimme klingt ungemein sanft. Fast unmerklich erhebt sie sich aus der Klavierstimme heraus, entfaltet mit großer Ruhe den melancholischen Zauber von Heines Lyrik, die in der Musik Schuberts aufzugehen und ihre Entsprechung gefunden zu haben scheint. Was er nicht als Talent mitbrachte, hat der Anfänger offenkundig so rasch wie gut gelernt. Konsonanten sind für ihm kein Problem, er kann sie singen wie Vokale, ist immer zu verstehen, weiß in jedem Moment, was er singt. Man spürt ganz deutlich, worauf es hinaus will. Schon im Anfang war der Weg dieser einzigartigen Karriere genau vorgebildet. Obwohl auf CD 52 etwas versteckt, wirken diese zwei Lieder gemeinsam mit den Vier ernsten Gesängen von Brahms – ebenfalls 1949 als erste Platte für die Deutsche Grammophon eingespielt – wie der Ursprung für den gesamten Bestandes der Edition.

Das Buch von Dietrich Fischer-Dieskau über die Lieder Schuberts wurde in mehreren Auflagen veröffentlicht.

Erst im Booklet-Text „Wie Melodien zieht es“ von Markus Kettner, der sich mit sechs bisher unveröffentlichten Aufnahmen beschäftigt, ist zu erfahren, dass beide Lieder in diese Kategorie gehören. Was noch? 1972 kam Janet Baker nach Berlin, um mit Fischer-Dieskau Duette von Schubert aufzunehmen. Das Punschlied – auf der Bandschachtel als „Rest-Original“ bezeichnet – „verblieb im Archiv und wird hier erstmals veröffentlicht“, so Kettner. Einen ähnlich gelagerten Fall gibt es mit der Nummer drei von Schumanns Tragödie op. 64 „Auf ihrem Grab, da steht eine Linde“. Sie fehlt auf dem originalen Plattenalbum mit Duetten dieses Komponisten für zwei Singstimmen, an dem auch Julia Varady und Peter Schreier mitwirkten. „Als Besonderheit mag freilich erschienen, dass dieses kurze Duett, das von Schumann für Sopran und Tenor vorgesehen war“, von Schreier und Fischer-Dieskau interpretiert werde, obwohl der Text vom „Müllersknecht mit seinem Schatz“ berichte. Eine verspätete Premiere erfahren schließlich die Sapphische Ode – ein originäres Frauenlied – und „Wie Melolien zieht es“. Obwohl mit Daniel Barenboim als Begleiter im Rahmen eines großen Brahms-Projekts Ende der 1970er Jahre aufgenommen, verblieben beide Titel aus ungeklärter Ursache für mehr als vierzig Jahre im Archiv.

Auf Schubert – um die lexikalische Ordnung der Edition wieder aufzugreifen – folgt Robert Schumann mit 11 CDs. Im Zentrum stehen gleich vier Aufnahmen der Dichterliebe mit Christoph Eschenbach (1976), zweimal mit Jörg Demus (1957 und 1965) sowie mit Alfred Brendel (1985). Der Zyklus hat im Wirken des Sängers einen ähnlichen Rang wie Schuberts Winterreise. Zwei CDs sind Dmitri Shostakovich gewidmet. Dessen 14. Sinfonie – eine Folge von Gesägen, die thematisch um den Tod kreisen, wurde für Bariton und Sopran komponiert. Sie entstammt der Decca-Gesamtaufnahme der Sinfonien mit wechselnden Orchestern unter Bernard Haitink, der hier 1980 das Concertgebouw-Orchester Amsterdam leitet. Mit dabei ist wieder die Ehefrau Julia Varady. Dass auch die Michelangelo-Suite berücksichtig ist, versteht sich bei dem Rang dieses Opus von selbst. Gewählt wurde die orchestrierte Fassung mit dem von Vladimir Ashkenazy geleiteten Radio-Symphonie-Orchester Berlin (1991).

Die berühmte Plattenproduzentin Elsa Schiller betreute viele Einspielungen bei Deutsche Grammophon. Foto/Sammlung Marta Dobay-Fricsay

Dem Alphabet nach ist nun Richard Strauss an der Reihe (4). In dessen Opern hat Fischer-Dieskau deutlichere Spuren hinterlassen als in seinem Liedern. Die Wahl fiel auf mehrere Werkgruppen mit Titeln wie Ruhe meine Seele, Morgen, Ich trage meine Minne, Heimliche Aufforderung oder Schlechtes Wetter. Begleitet wird er von Wolfgang Sawallisch, der als Dirigent bereits 1958 im EMI-Studio in London mit Fischer-Dieskau zusammentraf, als der den Olivier in der ersten Platteneinspielung des Capriccios von Strauss sang. Beim Krämerspiegel begleitet Demus. Das Melodram Enoch Arden, 1964 ebenfalls gemeinsam mit Demus produziert, ist gewissermaßen ein Vorgriff auf das Finale der Edition, die mit reinen Sprachaufnahmen ausklingt (106 und 107), in denen der Sänger Einblicke in seine Werkstatt gibt. Er hatte eine aristokratische Sprechstimme, die ihn dazu prädestinierte, auch rezitierend aufzutreten. Das ging so weit, dass er für die EMI die Schöne Müllerin um Prolog, Epilog und jenen Versen von Wilhelm Müller ergänzte, die Schubert nicht vertont hatte. Enoch Arden verlangt nach einem Schauspieler. Schließlich hatte Strauss das ausladende Melodram 1897 für Ernst von Possart geschaffen, der vor allem in den Dramen Shakespeares in Erscheinung trat. Es war in seiner Zeit sehr populär. Fischer-Dieskau schätze es. Von seinen mindesten drei Einspielungen nimmt die Edition gleich zwei auf. Neben der ersten, die damit endlich auf CD gelangt, die letzte von 2003 als er seine aktive Sängerlaufbahn längst beendet hatte. Nach einem mit Aribert Reimann am Klavier gestalteten Pyotr-Tchaikovsky-Programm von 1981 folgt der letzte große Block (12), der Hugo Wolf gewidmet ist. Wie Elisabeth Schwarzkopf hat auch Fischer-Dieskau bei der Beschäftigung mit diesem Komponisten, der vornehmlich Lieder hinterließ, das Ausdrucksspektrum deutlich erweitert. Die ersten Versuche auf Tonträger sind von 1951 belegt, als er mit der Pianistin Hertha Klust, die beim kulturellen Neubeginn im Nachkriegs-Berlin eine wichtige Rolle spielte, Teile des Italienischen Liederbuchs einspielte. Als Gesamtaufnahme ist der Zyklus in der Edition zweifach zu finden – mit Irmgard Seefried und Erik Werba (1958) sowie mit Christa Ludwig und Daniel Barenboim (1974/1975). Beim Spanischen Liederbuch sind die Schwarzkopf und Moore die Partner. Bleibt noch Alexander Zemlinsky für den letzten Buchstaben des Alphabets. Dessen Lyrische Symphonie mit sieben Gesängen für Sopran, Bariton und Orchester sprengt noch einmal den Rahmen. Mit Lorin Maazel am Pult der Berliner Philharmoniker bietet das 1981 eingespielte Werk abschließend noch eine Gelegenheit, das Ehepaar Fischer-Dieskau/Varady als künstlerisch erfolgreiches Team in Erinnerung zu rufen.

Die Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem wurde von zahlreichen Plattenfirmen, darunter die Deutsche Grammophon, wegen ihrer idealen Akustik als Aufnahestudio genutz. Foto/Wikipedia

Mal mehr, mal weniger bekannt sind die Titel. Sensationsfunde dürfen nicht erwartet werden. Editionen tragen in klarer Übersicht zusammen, was es schon immer gab. Die genau aufgeschlüsselten Aufnahmedaten und Aufnahmeorte – oft das Studio Lankwitz und die Jesus-Christus-Kirche in Berlin – lassen ein zusätzliches Ordnungsprinzip erkennen. Die Produzenten, deren Anteil am Zustandekommen von Tonaufnahmen nicht hoch genug zu würdigen ist, werden genannt. Zu des Sängers Zeiten hatten sie das Sagen in den Studios. Sie wachten über die musikalische Genauigkeit, standen mit ihren Namen wie ein Gütezeichen für Qualität. Immer wieder wird Cord Garben genannt, der sich auch als Dirigent und Liebegleiter hervorgetan und die erste Gesamteinspielung der Lieder und Balladen von Carl Loewe bei cpo zustande gebracht hat. Von 1984 an leitete er bei der Grammophon zudem sämtliche Opernproduktionen, für die er sieben Grammys erhielt. Hinter den Kulissen verantwortete auch Elsa Schiller (1897-1974) Plattenproduktionen mit Fischer-Dieskau und anderen legendären Sängern. Ihre Nachfolge war Otto Gerdes (1920-1989), der nebenbei dirigierte. Beim Grammophon-Tannhäuser mit Fischer-Dieskau als Wolfram, Wolfgang Windgassen in der Titelrolle und Birgit Nilsson als Venus und Elisabeth stand er am Pult Orchesters der Deutschen Oper Berlin.

Nicht immer bilden die CDs die ursprünglichen Platteninhalte ab. Die Edition konnte auch die Reihenfolge der Lieder nach Komponisten nicht durchgehend einhalten. Vor allem dann nicht, wenn Versen von Goethe von unterschiedlichen Komponisten vertont wurden. Es bedarf – um dieses Beispiel weiterzuverfolgen – eigener Recherche, um herauszufinden, dass es sich dabei um die komplette Übernahme einer 1972 erschienen Platte mit Demus am Hammerflügel handelt. Sie erschien ursprünglich als eine der erlesenen Grammophon-Archiv-Produktionen, wurde später bereits in eine Sammlung mit frühen Aufnahmen des Sängers für die Firma übernommen. Typisch für diese Archiv-Reihe und typisch für den Sänger ist das Programm mit seltenen Kompositionen von Zeitgenossen des Dichters, darunter Johann Friedrich Reichardt, Carl Friedrich Zelter, Conradin Kreutzer, Siegmund von Seckendorff, Christian Gottlieb Neefe und Anna Amalia von Preußen, jüngste Schwester Friedrich des Großen – und nicht zu verwechseln mit Herzogin Anna Amalia in Weimar. Wie so oft, begab sich Fischer-Dieskau auch hier auf Spurensuche durch die Musikgeschichte. Er hielt sich nämlich nicht nur bei den großen Namen auf, die für das Publikum und die Industrie bis heute Selbstläufer sind. Mit seiner ganzen Autorität setzte er sich mit schöner Regelmäßigkeit für jene ein, die aus dem Schatten der Giganten nie herauskamen, zumindest lokal aber einen durchaus bemerkenswerten eigenen musikalischen Beitrag leisteten, der mehr Aufmerksamkeit verdient. Rüdiger Winter

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Nahezu vollendet

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Auf zwei CDs veröffentlicht APARTE die Pastorale héroique Acis et Galatée von Jean-Baptiste Lully, die 1686 uraufgeführt wurde (AP269). Sie ist die letzte vollendete Oper des Komponisten und markiert seine Abkehr vom Genre der tragédie en musique, das ihn über eine Dekade beschäftigt hatte. Das Werk entstand als private Auftragsarbeit des Duc de Vendome, Louis-Joseph de Bourbon, und kam im Chateau d’Anet an der Loire zur Premiere. Einen Monat später wurde es auch an der Pariser Opéra gezeigt. Die Pastorale auf ein Libretto von Jean Galbert de Campistron umfasst einen Prologue und drei (anstatt der üblichen fünf) Akte. Der für Lully neue Librettist  (denn sein vertrauter Mitarbeiter Quinault hatte sich 1686 nach der Armide zurückgezogen) fügte in die bekannte Handlung von Ovid mit Scylla und Telème ein zweites Liebespaar ein. Beide Figuren finden sich zwar auch bei Ovid, doch nicht als Liebende.

Die Musik hat pastoralen Charme und lässt bei den Szenen der Hirten im 1. Akt an Bouchers Rokoko-Idylle denken. Galatées vermeintlich zugewandte Haltung gegenüber Polyphème erklärt sich aus der Absicht, den Geliebten vor dem Zorn des Zyklopen zu schützen. Ihre Vertraute Scylla weist dagegen Telèmes Gefühle zurück, so dass dieser schließlich von ihr ablässt. Im 2. Akt hält Polyphème um Galatées Hand an, doch sie bittet um Aufschub, um die Erlaubnis ihres Vaters Nérée einzuholen. Der 3. Akt kreist um den Tod von Acis, den der eifersüchtige Polyphème mit einem Felsbrocken erschlagen hat. Auf Galatées Bitten verwandelt Neptune Acis in einen Fluss, der ihm Unsterblichkeit verleiht und ihn auf immer mit der Seenymphe Galatée vereint.

Die Einspielung, die im Juli 2021 in Puteaux entstand, könnte keinen kompetenteren Anwalt haben als Christophe Rousset am Pult des Ensembles Les Talens Lyriques. Das farbenreiche, delikate Musizieren des Orachesters und die gezielt gesetzten Affekte durch den Dirigenten ergeben eine gediegene und dennoch kontrastreiche Interpretation. Der Choeurde chambre de Namur (Leitung: Thibaut Lenaerts) trägt mit munterem, swingendem Gesang zur Wirkung bei. Vor allem die Passacaille am Schluss, „Sous ses lois l’Amour veut qu’on jouisse“, führt er gemeinsam mit Deux Najades (Bénédicte Tauran/Deborah Cachet) zum feierlichen Ausklang.

Der im französischen Barockfach renommierte Tenor Cyril Auvity lässt als Acis ein weiches, schmeichelndes Timbre in der mittleren, nur gelegentlich gestresste Töne in der oberen Lage hören, doch ist seine Interpretation stilistisch als makellos zu werten. Die aufstrebende französische Sopranistin Ambroisine Bré schenkt der Galatée ein reiches Gefühlsspektrum und besticht mit makellosem Gesang. Berührend gestaltet sie die große Szene im letzten Akt, „Enfin j’ai dissipé la crainte“. Beide Stimmen verblenden sich perfekt, wie in „Quelle erreur loin de nous“ im 2. Akt zu hören ist. Edwin Crossley-Mercer als Polyphème singt mit Bass-Wohllaut und gestalterischer Reife.

Auch die Nebenrollen, darunter Bénédicte Tauran als Scylla, Robert Gretchell als Téléme, Philippe Estèphe als Neptune und Enguerrand  de Hys als Pretre de Junon, sind ohne Tadel besetzt. Die Aufnahme reiht sich würdig ein in Roussets reichen Katalog von Werken des französischern Barock. Bernd Hoppe

John Aler

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Der amerikanische Tenor John Aler (* 4. Oktober 1949 in Baltimore, Maryland) starb am 10. Dezember 2022. Er sang Rollen im Belcanto-Fach eines tenore di grazia, in Werken von Mozart, Rossini, Donizetti, Bellini, und Händel. Mindestens ebenso bekannt sind seine Interpretationen französischer Werke von Rameau, Gluck, Adam, Auber, Bizet und Berlioz.

John Aler wuchs in Baltimore auf und besuchte römisch-katholische Schulen, wo er Knabensopran im Chor sang. Seine Mutter war von italienischer Abstammung, hatte Gesang studiert, und brachte ihn früh in Kontakt mit Sendungen aus der Metropolitan Opera und Aufnahmen von Jussi Björling und Richard Tucker.

Aler studierte mit Rilla Mervine und Raymond McGuire an der Catholic University of America in Washington D.C., wo er 1982 seinen Master-Abschluss machte. Nach einem Wettbewerb der Baltimore Opera hatte er auch sieben oder acht Unterrichtsstunden mit der legendären Rosa Ponselle, die er „inspirierend“ fand.[1] Er studierte außerdem von 1972 bis 1976 mit Oren Brown am American Opera Center der Juilliard School in New York, mit Marlene Malas, und am Berkshire Music Center in Tanglewood.

1977 machte er sein Opern-Debüt als Ernesto in Donizettis Don Pasquale am American Opera Center, und gewann im selben Jahr zwei erste Preise beim Concours International de Chant in Paris. An der New York City Opera debütierte er 1981 als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni; und sang dort in der gleichen Spielzeit auch den Arturo in Bellinis I puritani.

In der Oper hatte er Auftritte an den meisten europäischen Opernhäusern, wie dem Royal Opera House Covent Garden, der Deutschen Oper Berlin, der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper, den Salzburger Festspielen, dem Glyndebourne Festival, in Hamburg, Genf, Madrid, Lyon und Brüssel; und in Amerika an den Opernhäusern von St. Louis, Santa Fe, Washington D.C. und Baltimore. Darüber hinaus hat er auch in Städten wie Santiago de Chile, Tokio und Sydney gesungen. Das Foto oben zeigt ihn als Ferrando in Mozarts Cosi fan tutte/ Platea Magazine

Als Solist ist er mit diversen Orchestern aufgetreten: In Amerika mit dem New York Philharmonic Orchestra, dem Cleveland Orchestra, dem Philadelphia Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra und dem Los Angeles Philharmonic Orchestra; und in Europa u. a. mit den Berliner Philharmonikern, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Orchestre National de France, dem BBC Symphony Orchestra und der London Sinfonietta, mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Dutoit, John Eliot Gardiner, Erich Leinsdorf, Kurt Masur, Zubin Mehta, Roger Norrington, Seiji Ozawa, Simon Rattle, Esa-Pekka Salonen, Leonard Slatkin und David Zinman u. v. a.[2] John Aler sang 1998 zusammen mit Kurt Masur und dem Israel Philharmonic Orchestra bei den Feierlichkeiten zum 50sten Jahrestag der Gründung des Staates Israel in der Avery Fisher Hall.[2]

Er hat zahlreiche Aufnahmen gemacht, mit Werken aus dem Bereich Oper, Oratorium und Lied, von Händel bis Strawinsky; ein Schwerpunkt liegt dabei auf selten gespielten französischen Werken.

Seit Herbst 2010 unterrichtete John Aler Gesang an der School of Music der George Mason University (GMU) in Fairfax (Virginia).  Seine beachtliche Liste an Aufnahmen findet sich bei Wikipedia (Quelle Wikipedia)

Barroca española

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GLOSSA veröffentlicht auf zwei CDs eine barocke Zarzuela mit dem rätselhaften Titel Donde hay violencia, no hay culpa von José de Nebra (GCD 923535). Das Stück wurde 1744 in Madrid uraufgeführt und verbindet Elemente der italienischen Oper mit spanischer Folklore. Die Handlung von Wo es Gewalt gibt, gibt es keine Schuld führt nach Rom um 509 v. Chr., wo König Tarquinius Krieg gegen die benachbarten Völker des Rótulo führt. Das Heer führt Feldherr Colatino an. Dessen Frau Lucreta leidet unter den Nachstellungen des Prinzen Sextus, Sohn des Tarquinius, der mit Colatinos Schwester Tulia verlobt ist. Der feindliche König Lelio will sich unterwerfen und mit seiner Schwester Octavia nach Rom kommen. Tarquinius beschließt, Sextus statt mit Tulia mit Octavia zu verheiraten. Dieser lehnt wegen seiner Leidenschaft für Lucreta die Ehe ab. Sie jedoch fleht ihren Mann Colatino an, ihre durch den römischen Prinzen befleckte Ehre zu rächen, und nimmt sich das Leben. Während der Hochzeit von Sextus und Octavia kommt es zu einem Volksaufstand, der die Vertreibung von Tarquinius und Sextus bewirkt.

Die Aufnahme mit dem Ensemble Los Elementos unter Alberto Miguélez Rouco entstand Ende 2021 im schweizerischen Riehen. Der Dirigent sorgt schon in der dreiteiligen Einleitung für starke Kontraste, lässt auf die martialische Fanfarria die muntere Sinfonia folgen und endet mit einem sanften Andante Majestuoso. Auch später setzt er immer wieder spannungsreiche Akzente. Der Chor, gebildet aus den Solisten der Einspielung, eröffnet mit einem Cuatro („A la gran deidad de Marte“) das Geschehen mit feierlichem Gesang. Eine lebhafte Seguidilla folgt, in der drei der insgesamt vier Solisten auftreten – Alicia Amo (Sopran) als Lucrecia, Giulia Semenzato (Sopran) als Tulia und Judit Subirana (Mezzosopran) als Laureta. Das erste Solo fällt Lucrecia mit der AriaHado infiel“ zu, die sie lebhaft und kokett serviert. Stürmisch kommt ihre Aria „Mi fiera mano airada“ im zweiten Teil daher. Das Solistenquartett komplettiert die Mezzosopranistin Natalie Pérez als Colatino und lässt in dessen Coplas „Espera, detente“ eine warme, sensible Stimme hören. In der Aria „Falta de gruta obscura“ hat die Sängerin Gelegenheit, von Trompetengeschmetter begleitet, energisch aufzutrumpfen. Tulias erstes Solo ist die wiegende Aria „Que contenta el alma mia“, die sie mit klarem, hellem Ton singt. In großem Kontrast dazu steht ihre Aria im zweiten Teil, „Ya, afecto mio“, Affekt betont und von stampfendem Rhythmus. Laureta folgt mit „Se ve uno y otro  amante“, in welches sie hintergründige Nuancen einbringt. Die Jornada primera beendet eine Aria a 3, „Muera un injusto aleve“, mit Tulia, Lucrecia und Colatino von festlichem Zuschnitt.

Auch die Segunda Jornada wird von einer Fanfarria eröffnet, gefolgt vom feierlichen Cuatro „Apacible Himeneo“ des Chores. Spätestens bei der nächsten Nummer, der rasanten Seguidilla „Siento en el pecho un dispid“, zu der sich die Stimmen von Lucrecia und Colatino vereinen, fühlt man sich in Spanien angekommen, was der temperamentvolle Rhythmus und die Kastagnetten-Begleitung belegen. Mit zwei festlichen Cuatros („De Himeneo halagüeño“) beendet der Chor das Werk.

Im Anhang finden sich Auszüge aus späteren Fassungen der Zarzuela – von 1748 und 1753. In der ersteren findet sich eine Seguidilla von Octavia, die in der eingespielten Version von 1744 als Person stumm bleibt. „Los halagos se mezclan“ lässt freilich südliches Temperament vermissen und gibt sich eher schwermütig (02. 112. 22) Bernd Hoppe

Magerer Beipack

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An Aufnahmen von Henry Purcells Opera Dido & Aeneas besteht kein Mangel auf dem Musikmarkt, doch die Neueinspielung bei APARTÉ erweckt Interesse wegen der Kombination von Purcells Oper mit einer Rarität, seiner Incidental Music to a Piece by Charles Davenant Circe. Die CD, entstanden im September 2021 im schweizerischen Chene-Bougeries, ist das Plattendebüt des Dirigenten Jonas Descotte mit seinem jungen Ensemble Les Argonautes (AP296). Beide versuchen einen Weg zwischen historischer Aufführungspraxis und moderner Interpretation, was ihnen bemerkenswert gelingt. Vom mit nur acht Musikern besetzten Ensemble hört man ein bestechendes Klangbild von größtmöglicher Transparenz, welches die Dramatik des Werkes deutlich wiedergibt. In einzelnen Nummern, wie dem Triumphing Dance am Ende des 1. oder dem Prelude for the Witches zu Beginn des 2. Aktes, malen der Dirigent und sein Orchester mit kräftigem Farbpinsel, im Ritornelle 2. Aktes werden delikateste Töne angestimmt, beim Sailors’ Dance erklingen stampfende Rhythmen. 

In der Solistenriege finden sich keine in unseren Breiten bekannten Namen, wohl aber einige Interpreten von beachtlichem Format. Dido ist Camille Allérat, die im Auftritt („Ah! Belinda“) mit ihrem hellen, wiewohl strengen Mezzo eine somnambule Wirkung erzielt. Die große Schlussszene, „Thy hand Belinda/When I am laid in earth“, ist gleichfalls von introvertiertem Umriss, verzichtet gänzlich auf Pathos und grandeur.

Die männliche Titelrolle nimmt Renato Dolcini wahr, der in Circe auch den Second Priest gibt. Sein hoher Bariton ist von edlem Klang, vermag aber auch couragiert aufzutrumpfen. Belinda ist die Sopranistin Julie Roset, die ihre Eingangsarie „Shake the cloud“ beherzt angeht, aber nicht unbedingt eine noble Stimme hören lässt. Feiner klingt sie im Solo des 2. Aktes „Thanks to these lonesome vales“. Anthea Pichanick gibt der Sorceress faszinierenden Umriss mit lautmalerischem Geheul. Der Counter Léo Fernique singt engagiert den Spirit, ebenso der Tenor Pierre Arpin den Sailor mit seinem munteren Song „Come away“.

Circe beginnt mit einem Auftritt der drei Priester (Augustin Laudet, Renato Dolcini, Anthea Pichanick), die gemeinsam mit dem Chorus den Hauptteil des Werkes bestreiten. Am Ende gesellen sich noch die First and Second Woman (Ana Vieira Leite/Augustin Laudet) dazu. Die Musik ist von feierlichem, erhabenem Charakter und wird von den Sängern angemessen würdig wiedergegeben. Les Argonautes bringen sich bei den Magicians Dances mit vitalem Spiel ein. Bernd Hoppe

Grossräumig und zeremoniell

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Anders als das Stabat Mater und die Petite Messe Solennelle, den beiden viel aufgeführten geistlichen Werken aus Rossinis später und sehr später Phase, nachdem er sich längst von der Bühne zurückgezogen hatte, war seine Messa di Gloria, das einzige geistliche Werk aus seiner Zeit als aktiver Opernkomponist, eineinhalb Jahrhunderte lang in Vergessenheit geraten. Als Antonio Pappano als Musikdirektor von Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia im Januar 2022 die Messa di Gloria auf das Programm setzte und mit seiner Aufnahme (Warner Classics 5054197234521) in Konkurrenz zu Neville Marriners Großtat von 1992 (mit Jo, Murray, Gimenez, Araiza und Raimondi) trat, handelte es sich beispielsweise um die erste in Rom seit 30 Jahren.

Erstmals erklang die von der Erzbrüderschaft von San Luigi in Auftrag gegebene neunteilige Messa di Gloria mit der Vertonung der Texte des „Kyrie“ und des „Gloria“ am 24. März 1820 in der Chiesa di San Ferdinando in Neapel. „Das Gratias wurde für jene Art von Stimme geschrieben, die wir mit Giovanni David verbinden, von hoher Tessitur und großer Flexibilität. Das Qui tollis dagegen erfordert eine kraftvollere Stimme von tiefer reichendem Umfang, die mühelos extreme Sprünge bewältigt und dem Vokalstil in den für Andrea Nozzari geschriebenen Partien ähnelt“, resümierte Philip Gossett. „Dass sowohl David als auch Nozzari am 19. März 1820 im Teatro San Carlo in Pietro Raimondis Ciro in Babilonia auftraten, lässt den Schluss zu, dass sie wahrscheinlich auch an der Erstaufführung von Rossinis Messa di Gloria mitwirkten“. In Pappanos exquisitem Ensemble singen zwei der großen Rossini-Tenöre unserer Zeit, Lawrence Brownlee bzw. Michael Spyres, diese Abschnitte. Brownlee mit süßem einheitlichem Ton das „Gratias agimus tibi“, Spyres virtuos im extremen, sehr dramatischen und in einer Cabaletta opernhaft gipfelnden „Qui tollis“, betörend beider von den „Kyrie“-Chören umrahmtes Duett („Christe, eleison“). Kaum weniger eindrucksvoll der sicher schwebende und doch volle Ton der musikalischen Eleonora Buratto in der zweiteiligen Arie „Laudamus te“, dazu die feste Bass-Linie von Carlo Lepore im Solo „Quoniam tu“ und die prägnante Teresa Iervolino im „Domine Deus“-Terzett mit Sopran und Bass. Überragend der Chor, der vom kraftvollen „Kyrie“ bis zum abschließenden „Cum Sancto Spirtu“ nachdrücklich die theatralische Wucht des Werkes unterstreicht. Ebenso ausgezeichnet das Orchestra dell’accademia Nazionale di Santa Cecilia, das nicht nur die zahlreichen mit obligaten Instrumenten ausgezierten Passagen, wirkungsvoll einstreut. Pappano breitet das liturgische Gewicht der reizvollen einstündigen Messa aus Rossinis aufregender Opernphase in Neapel breit und zeremoniell aus.  Rolf Fath

Hommage an John Neumeier

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Mit einem prachtvollen Bildband würdigt der Henschel Verlag das 50jährige Jubiläum von John Neumeier und dem Hamburg Ballett. Der Untertitel „Bilder einer Ära“ sagt viel aus über die luxuriöse Veröffentlichung, die auf 256 Seiten nicht weniger als 330 Schwarz/Weiß- und Farbabbildungen enthält. Darunter befinden sich viele erstmals veröffentlichte Fotodokumente, welche die Bedeutung des Buches ausmachen und seinen Wert noch erhöhen. Nicht zuletzt trägt das elegante Design von Kiran West dazu bei, dass sich der Band auch optisch ansprechend präsentiert und man ihn gern in die Hand nimmt. Der ehemalige Tänzer der Compagnie hat sich nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn der Fotografie zugewandt und betreut seit einigen Jahren die Produktionen des Ensembles fotografisch. So finden sich von ihm viele Zeugnisse der Geschichte des Hamburg Ballett neben jenen von Holger Badekow, der über Jahrzehnte dessen Haus- und Starfotograf war und 1993 die Veröffentlichung im Hans  Christians Verlag Zwanzig Jahre John Neumeier und das Hamburg Ballett mit seinen Fotos ausstattete.

„Bilder einer Ära“ im Henschel Verlag/Kiran West

Das Buch ist aufgeteilt in fünf Dekaden. In jeder werden die Neuinszenierungen dieses Zeitraumes in einer Fotoserie vorgestellt. Darüber hinaus gibt es in jedem Kapitel Statements des Ballettintendanten und prominenten Begleitern seiner Laufbahn. Im ersten ist es Marianne Kruuse, langjährige Erste Solistin der Compagnie, die viele von Neumeiers Partien kreierte – 1973 die Chloë, 1974 die Juliet und die Marie im Nussknacker, 1977 die Ophelie in Der Fall Hamlet, 1978 die Aurora in Dornröschen. Ähnlich prominent und bedeutend war Gigi Hayatt, die im dritten Kapitel zu Wort kommt. Für sie schuf Neumeier unvergessliche Porträts wie die Desdemona in Othello (1985), die Solveig in Peer Gynt (1989) sowie Soloauftritte in Einhorn (1986), Magnificat (1989), Soldatenlieder (1989), Fenster zu Mozart (1991), Spring and Fall (1991), On the Town (1991) und A Cinderella Story (1991). Noch 1996 wirkte sie in der Uraufführung von Vivaldi oder Was ihr wollt als Viola mit. Hier hätte man sich auch Beiträge von Alina Cojocaru, Alessandra Ferri, Marcia Haydée, Ivan Liska. Kevin Haigen, Jirí und Otto Bubenicek, Lloyd Riggins und weiteren verdienstvollen und unvergessenen Künstlern der Compagnie vorstellen können und gewünscht.

Zu Wort kommen auch zwei Persönlichkeiten, die sich engagierten, Neumeiers Werk auf andere Bühnen zu übertragen – Vladimir Urin, Intendant des Bolshoi Theaters Moskau, der dort  Die kleine Meerjungfrau, Tatjana, Die Kameliendame und Anna Karenina zeigte, und Brigitte Lefèvre, Directrice du Ballet de l’Opéra de Paris von 1995 – 2014, die Neumeier sogar für Uraufführungen in der französischen Hauptstadt verpflichtete (wie Sylvia von Delibes), darüber hinaus mehrere seiner Kreationen (so Die Kameliendame) in der Opéra Garnier und Opéra Bastille präsentierte. Der Dirigent Kent Nagano hat sich neben seinen Opernverpflichtungen als Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg mehrfach auch für Neumeiers Ballettschöpfungen eingesetzt und sie musikalisch betreut, so Turangalila und das Beethoven-Projekt II. Daher wird ihm im letzten Kapitel Gelegenheit gegeben, sich über seine Wertschätzung des Choreografen zu äußern.

„Bilder einer Ära“ im Henschel Verlag/Kiran West

In jeder Dekade gibt es zudem von John Neumeier ausgewählte und kommentierte Highlights, in denen er an Großereignisse in Hamburg (wie die alljährlichen Ballett-Tage mit der abschließenden Nijinsky-Gala, die Gründung der Ballettschule des Hamburg Ballett und des Bundesjugendballetts und Gastverpflichtungen anderer Choreografen) sowie Gastspiele des Ensembles im In- und Ausland erinnert. Ein umfangreiches Register listet das Werk John Neumeiers auf und verzeichnet darüber hinaus die Gastspiele und Tourneen der Compagnie sowie deren Mitglieder. Jörn Rieckhoff, der die Projekt – und Redaktionsleitung der Ausgabe verantwortete, hat hier sehr sorgfältig recherchiert. Der repräsentative Bildband ist ein würdiger Nachfolger des 1980 erschienenen Buches Traumwege mit Fotos von Joachim Flügel und sollte in keiner Sammlung eines Ballettliebhabers fehlen (ISBN 978-3-89487-840-5). Bernd Hoppe

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Dazu auch die Information vom NDR: Das Königliche Ballett in Kopenhagen hat die Zusammenarbeit mit John Neumeier auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Grund sind Rassismusvorwürfe zu einer geplanten „Othello“-Inszenierung. Hamburgs Ballettchef wehrt sich gegen die Vorwürfe. An der geplanten „Othello“-Aufführung hatte es Kritik von Tänzerinnen und Tänzern der dänischen Compagnie gegeben. Es seien „rassistische Stereotype“ in der Inszenierung. Dabei ging es vor allem um die Darstellung Othellos in einer Traumszene. In dieser führt Othello, der Schwarze Feldherr aus dem gleichnamigen Shakespeare-Drama, einen afrikanischen Jagdtanz auf. Eine exotische Traumfigur ist dabei dunkelblau bemalt.

„Bilder einer Ära“ im Henschel Verlag/Kiran West

Die jungen Tänzerinnen und Tänzer fühlten sich damit unwohl. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte Neumeier, er habe der Compagnie angeboten, das Kostüm zu ändern und auf die Körperbemalung zu verzichten, die Choreografie wollte er jedoch nicht anpassen. John Neumeier verteidigt sein Konzept und den dramaturgischen Zweck des „Wilden Kriegers“ im Kontext des Balletts. „Ich kann mir vorstellen, dass man diskutiert, ob man heutzutage einen Körper bemalt oder nicht“, sagt Neumeier im Gespräch mit Annette Matz von NDR 90,3. Er habe versucht, die Elemente eines afrikanischen Jagdtanzes in seiner Choreografie zu realisieren. Der „Wilde Krieger“ sei eine Heldenfigur. „Ich finde, wenn man etwas rassistisch intendiert hat, dann soll man es nicht machen. Aber wenn man etwas positiv damit ausdrücken möchte, ist es schwer für mich zu verstehen, warum das falsch ist“, so Neumeier.

Mit Ärger liest John Neumeier die Schlagzeilen in den Zeitungen. Manche Dinge seien einfach falsch: „Die ‚Bild‘-Zeitung schreibt, die Tänzer müssen Affengeräusche machen und sich auf den Kopf klopfen. Das existiert nicht in dieser Choreografie“, sagt Neumeier, der die Diskussion absurd findet. „Othello“ dauere über zwei Stunden und jetzt gehe es um eineinhalb Minuten. (Quelle NDR)

Von Feen und Zauberern

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Zauberoper. Unter diesem vielversprechenden Titel präsentieren Alpha und BR Klassik die neue CD von Konstantin Krimmel (Alpha 892). Zudem werden die Namen der Komponisten Mozart, Haydn und Salieri genannt. Der charismatische junge Bariton posiert auf dem Cover so, als sei er selbst ein Zauberer, der aus dem Dunkel heraustritt. Der Blick starr auf den Beschauer gerichtet. Beide Hände gegen Wände gestemmt, die es gar nicht zu geben scheint. Eine Stimmung wie von der guten alten Laterna magica beschworen. Fantastische Gewandung muss nicht sein. Geste ist alles. So trefflich die Neuerscheinung optisch ausgefallen ist, ihre Beschriftung verkauft ihren Inhalt etwas unter Wert. Nach den Highlights will gesucht sein. Und das lohnt sich allemal.

Am Beginn stehen vier Nummern aus dem 1790 uraufgeführten zweiteiligen Singspiel Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel. Schon mal gehört oder schon wieder vergessen? Auf mich trifft beides zu. Es wurde erst 1996 vom amerikanischen Musikwissenschaftler David J. Buch in der Musikabteilung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek entdeckt. Zwei Jahre später legte der Dirigent Martin Pearlman mit dem von ihm gegründeten Boston-Baroque-Ensemble eine Aufnahme vor, die bei Telarc erschien. Aufführungen gab es 2001 in Augsburg, 2006 beim englischen Festival Garsington Opera und 2017 in Innsbruck. Für den 10. Dezember 2022 ist erneut eine Vorstellung in Augsburg geplant – und zwar im Parktheater des Kurhauses Göggingen. Musikalisch wird sie von der Hofkapelle München unter der Leitung von Rüdiger Lotter bestritten. Dieses Ensemble begleitet auch Krimmel auf seiner CD mit wunderbar federndem und durchsichtigem Klang.

Benedict Schack in dem Singspiel „Die Zween Anton.“ Schack in der Mitte, die Hand von der Sopranistin Josepha Hofer haltend/ Wikipedia

Die Ausgrabung des Werkes wurde seinerzeit schon deshalb als Sensation gefeiert, weil sich eine Verbindung zur Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart zeigt, die ein Jahr nach dem zweiteiligen Singspiel ebenfalls im Wiener Theater auf der Wieden uraufgeführt wurde. Nicht genug. Emanuel Schikaneder (1751-1812) verfasste für beide Stücke die Texte. An der Kompositionen des Singspiels waren neben Mozart drei Männer beteiligt, die – wie Schikaneder in der Rolle des Papageno – an der ersten Aufführung der Zauberflöte beteiligt gewesen sind: Benedict Schack (1758-1826) als Tamino, Franz Xaver Gerl (1764-1827) als Sarastro sowie Johann Baptist Henneberg (1768-1822), der die musikalische Einstudierung besorgte und die Oper von der dritten Aufführung an dirigierte. Drei junge Musiker also, die offenkundig sehr vielseitig ausgebildet waren, nicht nur singen oder dirigieren, sondern auch komponieren konnten. Vier weitere Künstler wirken in den Uraufführungen beider Werke mit, darunter Anna Gottlieb, die erste Pamina, die im Stein der Weisen die Nadine gab.

Nach der effektvollen Ouvertüre singt Krimmel drei Arien in zwei verschiedenen Rollen, die nicht gegensätzlicher sein können. Zweimal ist er der Waldaufseher Lubano, einmal Eutifronte, der Bruder des Halbgottes Astromonte, Herrscher von Arkadien, in dessen Landschaft das Stück zur Märchenzeit spielt. Lubano, der einerseits die strengen die Regeln im Tempel bricht, andererseits die ihm angetraute Lubanara von der Außenwelt eifersüchtig und misstrauisch abschirmt. Allein gelassen sehnt sie sich nach Freiheit, die ihr Eutifronte bringen soll, der als Geist unter der Erde wohnt. Es braucht zwanzig Szenen, um die verzwickte Geschichte auszubreiten. Eine Rolle spielt auch ein Vogel in einem prächtigen Käfig, den der Halbgott Astromonte schließlich als Zeichen vermeintlicher Güte auf einem Wolkenwagen zur Erde sendet. Mit diesem Symbol ergibt sich auch ein inhaltlicher Verweis auf die Zauberflöte, die mit Papagenos Arie „Der Vogelfänger bin ich ja“ ins Programm der CD aufgenommen wurde. Sie gelingt Krimmel genauso leicht wie die beiden vorangegangenen Auftritte als Waldaufseher. Männer aus dem Volk weiß er mit seinen reichen stimmlichen Möglichkeiten überzeugender zu gestalten als den Bruder eines Halbgottes.

Peter von Winter (1754-1825), Gemälde (1880), von Enrico Rossi (1858-1916)/ Wikipedia

Das gilt auch für den anderen liebenswürdigen Papageno in Der Zauberflöte zweyter Teil von Peter von Winter (1754-1825), dessen Arie „Nun adieu, ich reis, ihr Schätzen“ geboten wird. Er muss Prüfungen bestehen und findet sich vielen Versuchungen ausgesetzt. Seine Arie ist wie ein dreistrophiges Lied angelegt und baut auf einem Thema auf, dass sich auch dank Krimmels leichter Vortragsweise und der musikalischen Begleitung durch den Mann am Pult aufs Angenehmste mitteilt. Im Vergleich mit Mozarts Oper verliert sich deren Fortsetzung in einem verwinkelten Irrgarten, in dem sich sogar ein von Affen und Papageien bevölkerter ägyptischer Wald auftut, wo Papageno mit seiner Papagena ein gemütliches Fest feiern will. Monostatos aber versucht das traute Glück auf die Probe zu stellen, indem er Papageno gleich drei Mohrinnen für Liebensdienste anbietet. Nicht nur Goethe hatte sich an einer Fortsetzung der Zauberflöte versucht, sie aber nicht zum Abschluss gebracht. Sein Stück blieb auch deshalb unvollendet, weil sich kein Komponist fand. Schikaneder, der eine eigene Weiterführung seines bekanntesten Librettos schrieb, hatte mit Winter, mehr Glück. Der stand als Komponist und Kapellmeister weit über Deutschland hinaus in hohem Ansehen. Mit ihrer Zauberflöte hatten Mozart und Schikaneder einen Nerv der Zeit getroffen.

Joseph Noel Paton: „Titania et Oberon“, 1832/ Wikipedia

Da es noch kein verbindliches Urheberrecht gab, wurden Aufführungen auch mit Zutaten anderer Komponisten angereichert. Ein besonders markantes Beispiel für diesen freien Umgang mit dem Original ist die Aufführung 1801 in Paris unter dem neuen Titel Les Mystères d’Isisd. Der Komponist Ludwig Wenzel Lachnith und sein Librettist Étienne Morel de Chédeville hielten sich nur noch in groben Zügen an die ursprüngliche Handlung und nannten auch die Figuren um. Einen Beitrag dazu widmete operalounge in der Reihe Die vergessene Oper.

Mit Paul Wranitzky (1789-1808) tritt ein weiterer Zeitgenosse auf den Plan, der mit Mozart befreundet gewesen ist und wie dieser Freimaurer war. Seine Oper Oberon erfüllt alle Merkmale einer Zauberoper, in der reale Menschen auf Fabelwesen, Gespenster, Magiere oder wilde Tiere treffen. Fremdes und Exotisches schieben sich wie eine Kulisse vor das Geschehen. Am Ende aber siegt die Liebe über alle Gefahren und Prüfungen, denen sich handelnden Figuren ausgesetzt sehen. Erst Webers gleichnamige Oper verdrängte Wranitzkys Oberon von den Spielplänen. Sie wurde 1789 ebenfalls im Theater auf der Wieden mit großem Erfolg erstmals gegeben. Unter den Zuschauern soll auch Mozart gewesen sein. Den Hüon sang übrigens Schack, der bereits als einer der Komponisten vom Stein des Weisen Erwähnung fand, Franz Xaver Gerl, den Bassa von Tunis Almansor, womit sich wieder neue Verknüpfungen des CD-Programms ergeben.

Christoph Martin Wieland auf einem Gemälde von Kügelchan/ Wikipedia

Wie später Weber bediente sich auch der mährisch-österreichische Komponist bei Christoph Martin Wieland. Krimmel fährt mit zwei Rollen –Aristone und Scherasmin – wieder zweigleisig. Ein begeistertes Publikum fand bei der Uraufführung die Scherasmin-Arie „Einmal in meinem achten Jahr“. Sie setzt sich aus Traumerzählungen zusammen. Als ihm endlich „ein Weib wie Trojas Königin / Geschaffen zu der Liebe Freude“ erscheint, wird er durch „der wilden Katzen Teufelschor“ jäh in die Wirklichkeit zurückgeholt. „Miau, miau, miau hört nun mein Ohr.“ Die Nummer macht viel her und scheint wie geschaffen für einen Sänger, der seinen Vortrag auf der Bühne mit eigenen Zutaten und entsprechenden Grimassen würzen kann. Krimmel hat diese Möglichkeiten im Studio nicht. Er verzichtet auf Übertreibungen und hält sich an die musikalischen Vorgaben, weshalb der Erfolg der Szene bei der Premiere nicht ganz nachzuvollziehen ist. Der hintergründige Witz der Nummer ist mehr aus dem Orchester zu hören, wo die Violinen tatsächlich eine Art Katzenjammer anstellen.

Die große Bühne, nämlich das Wiener Burgtheater, tat sich 1785 für Antonio Salieris La Grotta di Trofonio auf. Den Bau an der Ringstraße, wie wir ihn heute kennen, gab es allerdings noch nicht. Gespielt wurde in einem ehemaligen Ballhaus mit 1200 Plätzen, das einen direkten Zugang von den kaiserlichen Gemächern in die Ehrenloge hatte. „Am 17. Februar 1776 erklärte Kaiser Joseph II. das Theater zum Teutschen Nationaltheater. Er war es auch, der per Dekret anordnete, dass die angesetzten Stücke keine traurigen Ereignisse behandeln sollten, um die kaiserlichen Zuschauer in keine schlechte Stimmung zu bringen. Viele Stücke mussten deswegen geändert und mit einem ,Wiener Schluss‘ (Happy End) versehen werden, beispielsweise Romeo und Julia oder Hamlet“, ist bei Wikipedia zu lesen. Salieri erfüllt mit seiner Oper diese Anforderung. Sie endet im Jubel mit einer Doppelhochzeit von Zwillingsschwestern. Doch bevor es so weit ist, müssen sie und ihre Bräutigams – ähnlich dem Geschehen in Mozarts Cosi fan tutte – herausfinden, ob sie wirklich zueinander passen. Dabei spielt der Zauberer Trofonio eine maßgebliche Rolle. Krimmel singt zwei Arien des um das Wohl seiner Töchter besorgten Vaters. Zusätzlich gibt es noch die dramatische Ouvertüre der Oper, die als eine der besten Schöpfungen von Salieri gilt. 2005 wurde sie mit Aufführungen unter der Leitung von Christophe Rousset in Lausanne und Poissy für den Theaterbetrieb wiederentdeckt. Der Dirigent besorgte im Folgejahr auch die erste CD-Einspielung (Ambroisie AMB 9986). Umso erfreulicher ist es, dem Werk mit wenigsten drei Nummern erneut zu begegnen.

Die von Erich Kleiber betreute szenische Uraufführung erfolgte am 9. Juni 1951 in Florenz im Teatro della Pergola mit Maria Callas als Euridice und dem dänischen Tenor Thyge Thygesen als Orfeo/ Wikipedia

Vertrautes Terrain betritt der Sänger Konstantin Krimmel mit Joseph Haydn. Dessen Opern Orfeo ed Euridice und Orlando Palladio sind durch diverse Einspielungen und Aufführungen bekannt geworden. Dirigenten wie Antal Dorati, Nicolaus Harnoncourt, Richard Bonynge, Tom Koopman oder Thomas Hengelbrock haben ihre Bedeutung erkannt. Orfeo, die letzte Oper des Komponisten, wurde schon 1950 komplett bei Vox eingespielt und 2011 von Music&Arts auf CD herausgegeben. Beteiligt waren Judith Hellwig und Herbert Handt in den Titelrollen sowie das Orchester der Wiener Staatsoper unter Hans Swarowsky. Dieses frühe Interesse der Plattenindustrie hat keine seiner anderen Opern gefunden. Warum? Die Uraufführung, die noch zu Lebzeiten Haydn für das King’s Teatre in London geplant war, zerschlug sich. Erst in den späten 1940er Jahren wurde aus dem überlieferten Material eine spielbare Fassung erarbeitet, die Swarowskys Studioproduktion ermöglichte.

Die von Erich Kleiber betreute szenische Uraufführung erfolgte am 9. Juni 1951 in Florenz im Teatro della Pergola mit Maria Callas als Euridice, dem dänischen Tenor Thyge Thygesen als Orfeo und Boris Christoff als Creonte (die RAI folgte 1958 mit Ornelia Fineschi und Francesco Albanese konzertant, und an das Dokument mit Joan Sutherland und Nicolai Gedda von 1967 sei erinnert). Verglichen mit der Gluck-Oper, deren Reigen seliger Geister das Finale der Krimmel-CD bildet, stirbt Euridice erst gegen Ende des zweiten Aktes. Es gibt eine Vorgesichte, in der auch ihr Vater Creonte, König von Theben, erscheint. Krimmel singt zwei seiner Arien. Obwohl anderweitig versprochen, liebt Euridice Orfeo und will mit ihm vermählt werden. Sein betörender Gesang lässt schließlich auch den König in diese Verbindung einwilligen. Von seiner Ergriffenheit und Milde lässt Krimmel einiges erahnen. Es klingt wie ein sehr junger Vater, dem die Gefühle seiner Tochter Euridice nicht fremd sind (06.11.2022). Rüdiger Winter

Bitte nur die Tonspur …

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Er war einer der Ersten, die ein in den Achtzigern noch völlig unvorbereitetes Publikum schockierten, als er im Sferisterio von Macerata den Italienern eine an der Kokserei sterbende Mimi zumutete, und er hat bis heute trotz mancher Selbstzweifel sein Wirken fortgesetzt und mit einem Giulio Cesare in Egitto 20121 im Theater an der Wien vorläufig gekrönt. Da kommt in Keith Warners Produktion einiges an Regietheatertypischem zusammen wie flimmernde Leinwände im Hintergrund, abgeschlagene Schweine- und Menschenköpfe, wechselnde, aber meistens hässliche Kostüme, so für Cesare Fremdenlegionsuniform neben Antikem und Franz-Joseph-Uniform (man ist in Wien), Leichenwanne und Leichenwagen, ein abgewracktes Kino, in dem aber adrette Anbieterinnen von Eis und Süßigkeiten ihr Wesen treiben, wenn sie sich nicht auch in Söldneruniformen werfen müssen. Es wird fleißig gefoltert oder Banalstes wie die Vermessung des Cesare ausgerechnet zu „Al lampo dell’armi“ neben- und gegeneinander gestellt, und ab und zu geistert sogar das Gespenst des ermordeten Pompeo (aber mit Kopf) über die Szene. (Für die Bühne und die Kostüme ist Ashley Martin-Davis verantwortlich.)  Es ist schade, dass es den fast durchweg ausgezeichneten Sängern durch Dauerablenkung wie durch Lächerlichmachung kaum noch gelingen kann, ihr Können ins beste Licht zu setzen, denn zum einen beansprucht das dauernde Umherwieseln einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit, zum anderen lenkt es das Publikum ab und hindert es daran, ihre vokalen Leistungen  zu würdigen.

Einen extremen Kontrast zur Optik bildet die musikalische Gestaltung durch den wunderbaren Concentus Musicus Wien auf barocken Originalinstrumenten unter dem erfahrenen, die Musiker zu äußerster Stringenz anhaltenden Ivor Bolton. Einen stärkeren Kontrast kann man sich nicht vorstellen als den zwischen der akustischen Klarheit, dem instrumentalen  und  vokalen Glanz im Orchestergraben und auf der Bühne dem chaotischen Trübsinn für das gestresste Auge.

Trotz einer inzwischen schon beachtlich langen Karriere hat sich Bejun Mehta das verführerische Timbre seiner Stimme bewahrt, lässt sich bei „Va tacito e nascosto“ nicht durch das ihm abgeforderte Tennisspiel beirren, hat zärtliche Töne für „Aure deh, o pietà“ und gerät auch durch das überschnelle „Quel torrente“ nicht an seine Grenzen. Bewundernswert ist die raffinierte Agogik, die immer wieder aufhorchen lässt. Louise Alder ist eine auch optisch attraktive Cleopatra, die neben vielem Entstellendem auch Liz Taylors Goldgewand tragen darf, deren junge Stimme spritzig, geschmeidig und erotisch flirrend klingt und die nicht nur erstaunen, sondern in „Piangerò, la sorte mia“ auch berühren kann. Unberührt vom szenischen Treiben und stoisch in ihrer Leidensfähigkeit imponiert Patricia Bardon als Cornelia mit sanftem Mezzosopran. Ein optisch schmieriger Tolomeo mit Sonnenbrille und schmuddeligen Haarsträhnen ist Christophe Dumaux mit guten Höhen und angenehmem Timbre. Heller timbriert ist die Stimme, die ein zart-jugendlicher Jake Arditti dem hart herangenommenen Sesto angedeihen lässt. In der countertenorreichen Oper kann ein zartstimmiger Nireno, dargestellt von Konstantin Derri, wenig punkten. Erholsam für die überstrapazierten Ohren ist da die einzige tiefe Stimme, die von Simon Bailey für den Achilla. Joni Österlund ist der unglückliche,  handlungsbedingt sehr schnell das Zeitliche segnende Pompeo. Vokal und instrumental könnte es kaum besser sein, die Optik aber…… (Unitel 807804). Ingrid Wanja  

Russisch Glück

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„Die surreal-fantastischen, grotesken und komödiantischen Elemente“ erregten die Neugierde von Regisseur Christof Loy und ließen ihn die Aufgabe akzeptieren, Rismky-Korsakovs Oper Die Nacht vor Weihnachten an der Oper Frankfurt zu inszenieren und dem Haus damit die Performance oft the Year zu sichern. Die Oper nach Gogols gleichnamiger Novelle enthält viel vom „anarchischen Humor“ und der „tiefen Verzweiflung“, die typisch nicht nur für diesen, sondern generell für viele russische Künstler  sind, erzählt die Geschichte vom Schmied Vakula, dessen Mutter eine Hexe und sämtlichen Honoratioren des Städtchens in Liebesdiensten verbunden ist, dazu noch dem Teufel. Zu Menschen und überirdischen oder vielmehr unterirdischen Wesen kommen noch Naturgewalten, verkörpert durch eine Tänzerin  und einen Bären, die die Handlung durchkreuzen, den Versuch des Schmieds, die schöne Oksana für sich zu gewinnen, indem er ihren Wunsch nach den Schuhen der Zarin erfüllt, befördern oder behindern. Am Schluss werden Verlobung und das Weihnachtsfest in schöner Eintracht miteinander gefeiert. Die Premiere dieser russischen Oper, die in einem ukrainischen Dorf spielt, fand wenige Wochen vor Ausbruch des Kriegs in Osteuropa statt.

Die Musik enthält viele volkstümliche Elemente in den Arien und besonders in den Tänzen, die Orchestrierung ist raffiniert, zauberisch schillernd die Ballettmusik, und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Sebastian Weigle erweckt sie zu raffiniertem Zauber. Ganz schlicht wie eine graue Kachelwand ist die Szene von Johannes Leiacker, doch Tausende Lichtlein oder Schneeflocken können auch sie verzaubern. Phantasievoll mit wenigen Mitteln wie vielen Pelzmützen sind die Kostüme von Ursula Renzenbrink gestaltet, die für den Zarenhof eine bunte Rokokogesellschaft bereithält. Neben dem Choreografen Klevis Elmazaj gibt es auch einen Flight Choreographer namens Ran Arthur Braun, denn auf der Reise zum Zarenhof und auch auf anderen Wegen muss manchmal auch durch die Lüfte gerauscht werden. Es herrscht eine schöne Ausgewogenheit zwischen Sentimentalität und Groteske und man spürt während jeder Minute des abwechslungsreichen Spiels mit wie viel Liebe und Respekt ans Werk gegangen wurde.

Den liebeskranken Schmied Vakula spielt der Tenor Georgy Vasiliev, ein schmucker Bursche, den Oksana längst lieben muss, ohne es sich einzugestehen. Die Stimme kann bereits in seinem Auftrittslied einen schönen, schwärmerischen Klang annehmen. Oksana ist Julia Muzychenko, ebenfalls attraktiv und mit einer feinen, klaren Sopranstimme begabt, im vierten Akt in einer wehmütigen Weise wie eine Naturstimme klingend. Enkelejda Shkoza hat für die Hexe Solokha die passende üppige Physis und einen satten Mezzosopran. Oksanas Vater Chub ist mit Alexey Tikhomirov ein Trumm von einem Kerl und dazu mit seinem markanten Bass auftrumpfend.  Mit schneidendem Charaktertenor ist Andrei Popov ein beeindruckender Teufel, der allerdings mit dem Nahen der Wintersonnenwende immer mehr an Präsenz verliert. Schließlich findet er sich wie auch die Hexe durchaus unter dem riesigen Weihnachtsbaum zum Mitfeiern ein, so dass die Geschichte ohne jeden Missklang, aber auch ohne pathetische Feierlichkeit endet (Naxos NBDO154V). Ingrid Wanja  

Von Hass und Freundschaft

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In elegantem Design präsentiert sich das neue SONY-Album mit Jonas Kaufmann und Ludovic Tézier, das die beiden Stars der aktuellen Opernszene unter dem Titel Insieme in Duetten von Verdi, Puccini und Ponchielli vereint (19439987002). Die zwei Sänger ähneln sich deutlich im Klang, denn der Tenor ist baritonal und der Bariton recht hell getönt, so dass es gelegentlich sogar schwer fällt, die beiden Stimmen zu unterscheiden. Der Autor des Einführungstextes im Booklet übertitelte seinen Beitrag sogar „Zwei Sänger, eine Stimme“. Mit Antonio Pappano und dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia hat das Duo prominente und im italienischen Repertoire kompetente musikalische Partner.

Mit der populärsten Nummer aus dem letzten Akt von Puccinis La bohème beginnt das Programm – dem Duett „Mimì, tu più non torni“ von Rodolfo und Marcello. Sehr lebhaft und pointiert leitet Pappano mit dem Orchester die Szene ein, welche eine authentische Live-Atmosphäre suggeriert. Schon dieses erste Duett zeigt die perfekte Verblendung der beiden Stimmen, die Kaufmanns lässt den für sie typischen gutturalen Klang vernehmen.

Es folgt das Duett zwischen Enzo und Barnaba, „Enzo Grimaldi, Principe di Santafior“, aus La Gioconda. Die Oper markiert den Beginn des Verismo, was in Barnabas harter Deklamation erkennbar ist. Der Straßensänger lässt in der Begegnung mit dem Fürsten Enzo keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, bis zum Äußersten zu gehen. Die orchestrale Einleitung allerdings ist schwelgerisch und filigran. Für den Barnaba wünschte man Tézier mehr dämonische Schwärze. Kaufmann wirft sich emphatisch in das „O Laura mia!“, das seine Liebe zu ihr verdeutlicht.

Alle weiteren Titel der Platte sind Verdi gewidmet, beginnend mit zwei Duos von Henri und Montfort aus Les Vepres siciliennes – dem ersten Werk des Komponisten für die Opéra de Paris. Mit dem jungen sizilianischen Freiheitskämpfer Henri und dem Gouverneur der französischen Besatzer Montfort findet sich hier die häufige Konstellation des Tenors als Liebhaber und des Baritons als Bösewicht. Im Duett des 1. Aktes bleiben die Emotionen zunächst gezähmt, bis sie sich steigern und in dramatischen Spitzentönen entladen. Die des Tenors wirken forciert und wiederum sehr kehlig, der Bariton steigert sich in einen Gesang voller Verve. Auch das Duett des 3. Aktes setzt verhalten ein, doch auch hier verfallen die Sänger geradezu in einen ekstatischen vokalen Taumel

Danach erklingt eines der berühmtesten Duette Verdis, das von Carlos und Rodrigue aus Don Carlos, also der 1867 in Paris gezeigten Urfassung. Es schildert eine der bedeutendsten Männerfreundschaften der gesamten Operngeschichte. Kaufmann sang die Titelpartie bei den Salzburger Festspielen und in Paris, für Tézier ist der Rodrigue (oder Posa in der italienischen Fassung der Oper) eine Kernrolle seines Repertoires. Die Vertrautheit der beiden Sänger mit ihren Partien hört man in jeder Note trotz der Einschränkung, dass Kaufmann stimmlich für den Titelhelden (vor allem in der französischen Originalversion) zu schwer wirkt.

Aus La forza del destino sind sogar drei Duette von Alvaro und Carlo zu hören. 2013 interpretierten die Sänger diese Partien an der Bayerischen Staatsoper in einer Neuinszenierung. Das erste der drei Duette („Solenne in quest’ora“) aus dem 3. Akt ist das berühmteste mit seiner schmerzlichen Kantilene. Kaufmann bemüht sich hier sehr um lyrische Zwischentöne und setzt die Kopfstimme wirkungsvoll ein. Das zweite Duett („No, d’un imene il vincolo“) ist ungleich dramatischer und hektisch erregt, hat Carlo doch in Alvaro den Mörder seines Vaters erkannt. Das dritte Duett schließlich („Le minaccie, i fieri accenti“) markiert den dramatischen Höhepunkt, da die verfeindeten Männer sich wieder treffen und in ein Duell stürzen. Die beiden Sänger finden hier zu farbenreichem Gesang und starker Intensität im Vortrag, was diese Nummer zu einer der eindrücklichsten der Anthologie macht. Beide sind damit auf direktem Weg zu jenen Opernhelden, denen sie sich im Finale der CD widmen: Jago und Otello. Zuerst bringen der Tenor und der Bariton ein weiteres bekanntes Duett aus Verdis Feder („Sì, pel ciel marmoreo giuro“). Kaufmann schickt diesem Zwiegesang noch den Monolog Otellos voraus („Ora e per sempre addio“), in welchem der sich betrogen fühlende Gatte Desdemonas in seiner Raserei jedes Maß verliert. Kaufmann hat sein Rollendebüt 2017 in London gegeben, zwei Jahre später die Partie für Sony auch eingespielt, beides gleichfalls unter Pappano. Diese Erfahrungen auf der Bühne und im Studio spiegeln sich auch hier wider. Die beiden Ausschnitte aus dem 2. Akt stellen für mich den Höhepunkt der Platte dar, weil Kaufmann mit ungeheurer Spannung singt und Tézier, der 2021 an der Wiener Staatsoper als Jago debütierte, mit geradezu schönsten Tönen die hinterhältige Intrige ausbreitet. Und nicht zuletzt wegen des Atem beraubend begleitenden Orchesters sind diese Otello-Szenen von ungeheurer Eindringlichkeit. Bernd Hoppe

A la Francaise

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Ihren beiden Leidenschaften, der französischen Sprache und der italienischen Musik, frönt die amerikanische Sopranistin Lisette Oropesa mit ihrer zweiten CD (Die erste widmete sich Konzertarien Mozarts.) mit dem Titel French Bel Canto Arias, und zwar solchen von Rossini und Donizetti. Auf der CD taucht zwar auch eine allbekannte Opernheldin wie Lucia di Lammermoor als Lucie de Lammermoor auf, allerdings in völlig ungewohntem akustischem Gewand, während die anderen Titel höchstens einmal in Pesaro und Bad Wildbad oder in Bergamo mit ihren speziellen Festivals zu erleben sind. Im Booklet bekennt sich die Sängerin zu ihrem Wunsch, möglichst oft dieses Repertoire auch auf der Bühne zu vertreten, wünscht sich eine Mathilde, nachdem sie bereits Charlotte (!) und Marguerite de Valois war.

Es beginnt mit zwei Arien der Pamyra aus Rossinis Le Siège de Corinthe, jeweils mit Damenchor, in denen die Sängerin viele ihrer Stärken, so die gute Diktion, die Beachtung auch der kleinen Notenwerte, ein fein flirrendes Timbre mit einem Hauch von Melancholie einsetzen kann. Der lyrische Koloratursopran ist in allen Lagen von gleicher Farbe, die Phrasierung ist generös, das Piano farbig. Als Mathilde aus Guillaume Tell offenbart sie die empfindsame Seele der Figur bereits im Rezitativ, ehe in der Arie ein schöner Schwellton und die reiche Agogik erfreuen, die Kadenz fein ausgekostet wird. Schillernd und funkelnd mit einem ironischen Touch und sprühend vor Lebensfreude äußert sich die Adèle in Le Comte Ory, der Spitzenton in der Arie wird mühelos erreicht.

Der Donizetti-Block wird mit der Arie der Pauline aus Les Martyrs eröffnet, in der Oropesa die Verzierungen gekonnt in den Fluss der Melodie einbettet. Lucie de Lammermoor hat zumindest in der ersten Arie der Italienerin „Regnava nel silenzio“ absolut nichts zu tun, auch inhaltlich nicht. Die Musik stammt aus der in Frankreich damals nicht bekannten Oper Rosamonde d’Inghilterra, ist keine Erinnerung an die tote Ahnin, sondern eher von der Vorfreude auf das Wiedersehen mit Edgard geprägt. Es handelt sich um eine reine, variationsreiche  Bravourarie, die die Sängerin auch mit Bravour bewältigt, der sie aber auch einen perfekten canto elegiaco zukommen lässt. Die beiden Arien der Marie aus La Fille du Régiment sind auch dem vertraut, der nur die italienische Fassung kennt, und ihre Darbietung vereinigt noch einmal alle Vorzüge in sich, die man bereits zuvor bewundern konnte.

Die Dresdner Philharmonie lässt, und das wird wohl das Verdienst von Dirigent Corrado Rovaris sein, nichts davon verlauten, dass dieses Repertoire nicht gerade das ihr vertrauteste ist (Pentatone PTC 5186 955). Ingrid Wanja 

Und noch einer …

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Für Glückskinder müssten sich eigentlich Berliner Wagnerfreunde halten, denn sowohl Staatsoper wie Deutsche Oper haben einen frischen Ring des Nibelungen im Programm, und alle anderen Verehrer des Bayreuther Komponisten können diese entweder als Streaming bei Arte, was die Staatsoper angeht, oder als DVD von Naxos, was den Ring der DOB betrifft, genießen. Beide Ringe allerdings schienen unter einem unguten Stern zu stehen, der der Deutschen Oper kam wegen Corona anders als vorgesehen auf die Bühne, der der Staatsoper verlor durch Krankheit seinen Dirigenten, dessen 80. Geburtstag eigentlich damit gefeiert werden sollte. Gemeinsam hatten beide Aufführungszyklen, dass sie musikalisch zum Triumph, szenisch zum Desaster wurden, was nicht nur von manchen aus dem „alten Westberliner Publikum“, das der Intendant der DO missbilligend als „den Traditionen verhaftet“ anklagte, so empfunden wurde, sondern auch von großen Teilen des Feuilletons.

Es gehe um nichts Geringeres und Betrüblicheres „als die Totenfeier für die Gattung Oper“, hatte Regisseur Stefan Herheim im Vorfeld über seine Produktion an der Deutschen Oper gemeint. Das beflügelt doch die Schaffenskraft und –freude ungemein, lässt aber umso mehr in Staunen geraten, wenn man auf der Bühne nicht allüberall Särge, sondern Fluchtkoffer sieht, diese doch nun zum unsäglich großen Überdruss immer wieder von Renaissanceoper bis modernem Musikdrama missbrauchten Gebrauchsgegenstände, die neben dem für viele Überraschungen guten Flügel die  Bühne beherrschen. Die von der Musik gerechtfertigte Hoffnung auf einen Neuanfang,  da die zum Menschsein verurteilte Walküre durch die Rückgabe des Rings an den Rhein den Zustand der ursprünglichen Harmonie wieder hergestellt hatte, will die Regie nicht wahrhaben.  Herheim entzieht sich dem Drama um Götter, Halbgötter und Fabelwesen, indem er aus dem Weltendrama ein gesellschaftskritisches Stück macht mit den  Göttern als Aristokraten, den Riesen als Bürgertum und den Nibelungen als Proletariat. Platter geht’s nimmer! Die Existenz des Flügels auf der Bühne rechtfertigt die Regie mit den schönen Worten, er sei das „musikalisch-optische Tor zur Phantasie“, da er beim Schaffensprozess präsent gewesen sei. Da dürfte wohl kaum eine Operninszenierung mehr ohne denselben auskommen. Ein weiteres Moment sind die Mephistomaske von Gustaf Gründgens für Loge oder der Hitlergruß deutscher Soldaten (=gleich Nibelungen, aber in der Wehrmacht erst nach dem 20.7.44 Pflicht) von der Regie damit begründet, dass die Berliner Oper viel Wagner, so auch in der Nazizeit gespielt habe. Dabei wird übersehen, dass die Städtische Oper, die Vorgängerin der Deutschen, eine Gründung der Charlottenburger Bürger als Gegenstück zur Residenzoper, der Staatsoper, war. Einmal mehr wird hier ein Weltbild nicht aus den Tatsachen heraus entwickelt, sondern eine individuelle Sicht der Dinge den Tatsachen übergestülpt.

Ist die Inszenierung als Totenfeier für die Gattung Oper gedacht, dann hat diese wenigstens einmal mehr vielen Menschen einen Arbeitsplatz verschafft, eben den bereits erwähnten Kofferträgern, die sich schnell nicht nur derselben, sondern auch ihrer Kleidung bis auf die Unterwäsche, natürlich Schiesser-Feinripp (später auch Wotans Lieblingsmarke, Kostüme Uta Heisecke), entledigen und mit oder ohne Rheintöchter  und ohne Rücksicht auf das Geschlecht sich allerlei sexuellen Vergnügungen hingeben. Außerdem beginnen sie damit, das Stück Der Ring des Nibelungen aufzuführen. Der Betrachter des Videos ist insofern gegenüber dem Besucher des Opernhauses im Vorteil, als eine geschickte Kameraführung  ihn davor bewahrt, alle Absonderlichkeiten dessen, was die Statisten aufführen, wahrnehmen zu müssen. Sind diese ca. 30 Statisten mal nicht auf der Bühne, weil sie auch nicht für die Bewegung unendlicher Stoffbahnen (Bühne neben Herheim Silke Bauer) benötigt werden, dann können sehr packende Szenen entstehen, denn der Regisseur versteht etwas von Personenregie und provoziert die Sänger zu darstellerischen Höchstleistungen, auch wenn diese nicht immer goutiert werden können, so wenn Freia, zunächst ein hirnloses Dummchen, später, durch die Liebe Fasolts erweckt, zur hingebungsvollen Geliebten wird. Insgesamt sind die Götter rechte Deppen, und was bei Wagner noch leichte Ironie ist, so die Eifersucht Frickas, wird in der Herheim-Produktion zur schonungslosen Satire.  Wenig nachvollziehbar ist, dass Alberich einer der Flüchtlinge bzw. Kofferträger, das Rheingold sein Blasinstrument ist- wozu dieses dann noch rauben? Die Regie verstrickt sich in viele Widersprüche und Ungereimtheiten, deren letzte der der Zwillinge im Uterus von Erda ist, die bekanntlich Mutter der Walküren, aber nicht von Siegmund und Sieglinde ist. Da hat sich Wotan wohl im Souffleurkasten, in den er zu einem Schäferstündchen mit Erda gestiegen ist, anstatt mit Fricka nach Walhalla zu wallen, vertan.

Hervorragend und damit den Rezensenten versöhnlich stimmend sind die meisten Sängerleistungen. Derek Walton ist ein sehr jugendlicher Göttervater, attraktiv auch im Schiesser-Slip, mit farbigem, angenehm timbriertem Bassbariton und lobenswerter Textverständlichkeit.  Markus Brück als Alberich beginnt verhalten, verhilft der Boshaftigkeit des  Nibelungen durch Timbreverfärbungen  Gehör und kann voll überzeugen mit der Verfluchung der Liebe wie der des Ringes, macht aus dem Nachtalben eine tragische Figur. Kaum eine Wagnerpartie ist dankbarer als die des Loge. Thomas Blondelle zieht alle Register eines alle Qualitäten eines lyrischen wie eines Charaktertenors  besitzenden Sängers und dazu eines großen darstellerischen Talents, das durch die Regie häufig in Puck-Nähe gerückt wird.  Großsprecherische Tölpelhaftigkeit bzw. eitles Schönlingsgetue kennzeichnen Donner und Froh. Die Sänger Joel Allison und Attilio Glaser müssen dies in überzogener Form darstellen, werten die Partien jedoch vokal auf.  Richard-Wagner-Karikatur mit entsprechendem Barrett, in KZ-Jacke, dazu mit einem durchdringenden Charaktertenor begabt, ist Ya-Chung Huang ein hervorragender Mime.  Andrew Harris und Tobias Kehrer verkörpern Fasolt und Fafner, beide mit markanten Bässen begabt. Annika Schlicht hat für Fricka das Königinnenmuttergehabe in der Darstellung und  lässt einen wunderschön ebenmäßigen Mezzosopran strömen. Mit jugendlich klingendem Sopran singt Flurina Stucki die Freia, die die jugendspendenden Äpfel als ihre Brüste vor sich herträgt. Kein Wunder, dass die Kerle andauernd danach grapschen. Judit Kutasi ist die warmstimmigste Erda, die man sich denken kann. Harmonisch fügen sich die Stimmen der drei Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Arianna Manganello und Karis Tucker zueinander, auch das Orchester unter Donald Runnicles ist in Hochform, zeichnet feinste Stimmungen und erfüllt das Herz mit Andacht, akustisch ist das keine Totenfeier für die Oper, sondern ein Wiederauferstehungsfest.

Als besonders unselige Idee erweist sich in Die Walküre die Erfindung eines Sprosses aus der Verbindung von Sieglinde und Hunding, eines geistig behinderten Halbstarken, der messerfuchtelnd den ersten Akt durchlebt, ehe ihm die Mutter kurzerhand die Kehle durchschneidet . Das dürfte sie natürlich nicht wenige Sympathien beim Publikum kosten, denn selbst Hunding, geschweige denn Siegmund bekundet einige Zuneigung gegenüber dem armen Kerl , und so kann man ganz am Schluss, als sie mit Siegfried in den Wehen liegt und ihr ein Mime mit Wagnerbarrett das zullende Kind entreißt, auch nicht viel Mitleid mit ihr aufbringen. Wie alt sind die Zwillinge eigentlich, wenn Sieglinde bereits ein halbwüchsiges Kind hat? Mitte dreißig? Dann ist es kein Wunder, dass sie sich mit der Zeugung Siegfrieds beeilen müssen, diese durch Schiesser Feinripp hindurch sofort auf dem Flügel, der immer noch die Mitte der Bühne einnimmt, in Angriff nehmen. In dieser auf deutschen Bühnen häufig anzutreffenden Wäschemarke entsteigt auch Wotan dem Souffleurkasten, als käme er schon wieder von  einem Besuch bei Erda. Eine weitere personelle Zutat sind äußerst  (im ursprünglichen Sinne) geile Helden, die trotz vielfältiger blutender Wunden die Walküren  sexuell bedrängen, ihren Rüstung und mehr von den Leibern reißen und wohl die Bezeichnung „Wunschmaid“ missverstanden haben. Soviel über die Aufstockung des Personals, und nun wieder zur Bühne,  die aus einer Auftürmung von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Koffern besteht, ein Teil davon als Mauerwerk zu Hundings Haus, wohl von den Flüchtlingen erbaut. Im Mittelpunkt der Bühne steht alle drei Akte wieder der schwarze Flügel, der bis in den Bühnenhimmel fahren, aber auch alles, was auf der Bühne gerade überflüssig ist, in sich aufnehmen kann, der Esche mit haftendem Schwert ebenso ist wie der Felsen, auf dem Brünnhilde ruht und aus dem sich hin und wieder Ballons erheben, so mit freundlichem Grün gefüllt zu „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Verfremdungseffekte werden mit gelegentlichem Griff zur Partitur erzielt, und der Feuerzauber hätte einer ambitionierten Schüleraufführung Ehre gemacht. Ach ja, mit einem sehr schönen Schäferhund, der eine Runde in Hundings Haus dreht, ist das Personal dann wirklich komplett.

Hätte die Regie auf viele dieser Ingredienzien verzichtet, könnte man sich uneingeschränkt über eine sehr stimmige, sehr feinsinnige, sehr detailliert gezeichnete Personenregie freuen,  die nun in diesem Wust unangebrachter „Zutaten“ fast untergeht.

Und die akustische Seite? Da kann man wieder schwelgen ohne Ende mit einem Orchester , das strahlt, das sonst nie vernommene Details auskostet, das den großen Atem für die große Musik hat und die Könner für die solistischen Stellen. Auch die Sänger lassen kaum einen Wunsch offen. Eine hoheitsvolle Fricka, natürlich wieder in weißem Pelz,  dazu ein weißes Köfferchen, ist Annika Schlicht mit machtvollem, Autorität heischendem Mezzosopran wie aus einem Guss und von schöner Farbe. Natürlich ist  Nina Stemme, wenn es um die Brünnhilde geht, die für mich erste Wahl, und einmal das Hojotoho beachtlich gestemmt, ist sie nicht nur eine die Herzen berührende, perfekte Darstellerin der Wotanstochter, sondern erfreut auch mit einem ausgeruhten, in warmen Farben leuchtenden, zu vielen Nuancen fähigen Heldensopran. Mit hellleuchtendem Sopran ist Elisabeth Teige eine strahlende Sieglinde.

Die Walküren können auf erfahrene, altgediente Kräfte wie Ulrike Helzel  oder Stipendiatinnen wie Karis Tucker bauen und aus Freia wurde Helmwige.

Mit herbem, baritonal gefärbtem Tenor singt Brandon Jovanovich einen darstellerisch agilen Siegmund. Seine Wälse-Rufe dürften zu den ausdauerndsten, nicht unbedingt den schönsten aller Ring-Zeiten gehören. Eine Wucht von Bass ist Tobias Kehrer als Hunding, optisch wie akustisch imponierend.  Als Wotan kann Iain Paterson einen recht textverständlichen und markanten Bariton präsentieren.  Und da war noch dieser Unglückswurm von Hundingling, in akrobatischer Gewandtheit gespielt von Eric Naumann, dessen Schuld es nicht ist, dass er wie ein überflüssiger Fremdkörper wirkt.

Im Siegfried hat man sich an Koffer, Feinripp, Flügel und Riesentücher bereits so sehr gewöhnt, dass sie nichtmehr so störend wirken wie an den beiden ersten Abenden, und erfreut sich an der manchmal sensationellen   Lichtregie (Ulrich Niepel). Erda wohnt noch immer im Souffleurkasten und singt wunderbar mit der Stimme von Judit Kutasi. Überaus witzig im Spiel und prägnant im Singen ist der Mime von Ya-Chung Huang, mit Pagliacci-Maske zeigt sich der Alberich von Jordan Shanahan und kann mit einem hochpräsenten Bariton gefallen. Fafner Tobias Kehrer singt so effektvoll wie seine Augen glänzen und sich in seinem Rachen ein Ballett abspielt, zwei Riesenengel sich an seinem Leichnam versammeln. Nina Stemme lässt für mich die Sonne hochleben und leuchten, auch wenn sie wie Siegfried ab und zu in der Partitur nachschauen muss, während die Feinripp-Statisten meistens heterosexuell, aber auch mal als flotter Frauendreier Siegfried Nachhilfeunterricht in Sexualkunde geben. Vokal weit ausholend ist Iain Paterson ein sonorer Wanderer, der Waldvogel ist mit dem Knaben Sebastian Scherer niedlich, aber nicht durchgehend den richtigen Ton treffend besetzt. Das Orchester unter Donald Runnicles setzt seine tadellose Reise durch den Ring fort.

Die Wagner-Götter glänzten ja bekanntlich in der Götterdämmerung durch Abwesenheit, in der alten Götz-Friedrich-Inszenierung sah man sie im brennenden Walhalla verglühen, nun sind sie überaus und in großer Zahl einschließlich aller Walküren präsent, teilen mit den Flüchtlingen aus Rheingold und Walküre die Liebe zu Schiesser-Feinripp , und noch immer oder wieder  füllen Berge von Hunderten von Fluchtkoffern die Bühne, obwohl die Flüchtlinge, wenn nicht gerade zu Göttern, dann doch  zu Besuchern der Deutschen Oper mutiert  sind, die im auf die Bühne versetzten Parkettfoyer samt seinem Mobile, dieses allerdings außer Funktion, mit Sektgläsern in der Hand flanieren. Und dank der Regie haben sich auch die Chordamen, allerdings stumm bleibend, die Götterdämmerung erobert.

Nicht nur was die Anwesenheit von Damen, abgesehen von den von Wagner konzipierten betrifft, ist Herheim schöpferisch tätig geworden, auch in der Behauptung, Hagen würde zu seinen Untaten nicht von Alberich angestiftet, sondern von Wotan, der auch mal am viel, so als Scheiterhaufen,  beanspruchten Flügel sitzen und wie die anderen in die Tasten hauen darf. Ähnlich vielseitig ist wieder der Einsatz von riesigen weißen Tüchern, natürlich als Brautschleier, Leichentuch, Betttuch, Zudecke, Fanggerät und des Rheines Fluten.  Sehr oft hat man den Eindruck, die Inszenierung erstarre in der Ausstellung des Dekorativen , statt dass Interaktion zwischen den Figuren stattfindet. Und wenn Alberich, Siegfried und Gunther mit Clownsmasken auftreten , Gunther auch bei der Überwältigung Brünnhildes dabei ist   und die Nacht mit ihr verbringt, dann fragt man sich, wie der Verdacht aufkommen kann, Siegfried habe nicht Nothung zwischen sich und die Braut des Blutsbruders  gelegt, dann reiht sich eine Ungereimtheit an die andere.  Viele alte Regiehüte werden noch einmal ausgekramt, so die Lichtkegel ins Publikum, das Abgehen des Chors, der, was die Damen betrifft, keiner ist, durch die Saaltüren, die Benutzung der Rampen seitlich über dem Orchestergraben für Aktionen, das Platzieren eines Solisten unter den Zuschauern, alles schon gehabt und nie für gut befunden. Und wenn Hagen Siegfried nicht nur ersticht, sondern ihm auch noch den Kopf abschlägt, dann setzt es doch sehr in Erstaunen, dass der abgeschlagene Kopf eine andere Frisur hat als der kurz zuvor noch auf dem Rumpf befindliche, ganz abgesehen von Assoziationen mit Salome, wenn die Damen sich des Hauptes annehmen. Den Anspruch, den der Text im Programmheft erhob, löste die Aufführung nicht ein, die am besten gelingt, wenn all der erwähnte Schnickschnack entfällt wie in der Szene mit Waltraute oder der mit den Rheintöchtern.

Keine bessere Brünnhilde als die von Nina Stemme kann sich in meinen Augen ein Haus wünschen, und auch an diesem Abend erfüllt sie meine hochgespannten Erwartungen mit einem für mich dunkel strahlenden, unermüdlichen Sopran der unangefochtenen Höhensicherheit und mit einer der Wotanstochter würdigen Darstellung trotz des schlichten Flatterhemdchens, das ihr für den gesamten Abend verordnet worden war. Fast zu einer Karikatur hatten Regie und Kostümierung den Siegfried von Clay Hilley gemacht, von Kopf bis Fuß oder Flügelhelm bis Wadenbändern das Klischee eines germanischen Helden erfüllend, dann aber auch im Frack und, angesichts der Körperfülle des Sängers grenzwertig, ebenfalls in Schiesser-, ja Feinripp. Voll entschädigen für die verstörende Optik konnte der Sänger mit einem nimmermüden, nie matt werdendem Heldentenor, der sich unterschiedslos großzügig nie verausgabte, so aber auch zu keiner Steigerung mehr für Brünnhilde, die heilige Braut fähig war, sondern sein bemerkenswertes Stimmmaterial unterschiedslos verschwendete.  Mit einem sonoren Bariton und mit der besten Diktion des Abends erfreuend, war Thomas Lehman ein vorzüglicher Gunther, Aile Asszonyi gab das Dummchen von Gutrune mit schönem lyrischem Sopran.  Albert Pesendorfer sang einen markant-imposanten Hagen, Jordan Shanahan war der ungemein eindringliche Alberich. Okka von der Damerau glänzte durch eine eindringliche, klangvolle Bittstellerin Waltraute . Schöne junge Stimmen aus dem Ensemble konnte die Deutsche Oper für Rheintöchter (Meechot Marrero, Karis Tucker, Anna Lapkovskaja) und Nornen (Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Aile Asszonyi) aufbieten. Der Herrenchor ließ sich durch die Anwesenheit der Damen nicht irritieren, sondern ließ die Mannen so machtvoll wie kultiviert schmettern (Jeremy Bines) . Im schimmernden, glanzvollen Orchesterklang kann  man genussvoll baden, ohne zu überhören, wie fein und nuancenreich im Orchestergraben ausgelotet wird, was auf der Bühne oft in allgemeiner Betriebsamkeit untergeht. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hat aus seinem Klangkörper ein wunderbares Wagnerorchester gemacht (Naxos NBD0156VX). Ingrid Wanja

Luxurious

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Nicht weniger als drei Stars versammelt die neue Theodora bei Erato, die im September 2021 in der Philharmonie Essen aufgenommen und auf drei CDs veröffentlicht wurde (5054197177910). Auch das begleitende Ensemble Pomo d’Oro hat längst den Status eines Ausnahmeorchesters erzielt. Es ist bei allen großen Barock-Festivals und internationalen Aufführungen dieses Genres vertreten, zumeist unter Maxim Emelyanychev, der auch bei dieser Aufnahme am Pult stand. Er garantiert eine lebendige Lesart dieses 1750 uraufgeführten Oratoriums, das der Komponist selbst als sein bedeutendstes einstufte. Es fußt nicht auf einem alttestamentarischen Stoff, sondern erzählt die Geschichte einer standhaften Christin im Römischen Reich, die als Märtyrerin endet. Der Dirigent breitet die g-MollOuverture gravitätisch aus, setzt im hurtigen Allegro-Thema einen gewichtigen Kontrast, um im Trio fein ziselierte instrumentale Details hören zu lassen. Seine beherzte Leitung animiert die Solisten und den Chor zu bedeutenden Leistungen.

In der Titelrolle überzeugt Lisette Oropesa, die sich neben dem Belcanto-Repertoire (Rossini in Pesaro, Bellini in Salzburg) auch dem Barock widmet. Ihr warmer, sinnlicher Sopran berührt schon im Auftritt, „Fond, flatt’ring world, adieu“, mit einer ganzen Skala von Gefühlen. Im Accompagnato „O, worse than death inded“ und im folgenden Air „Angels, ever bright and fair“ am Ende von Part I kann sie wiederum mit reichem emotionalem Einsatz aufwarten. Im zweiten Teil hat sie mit „The pilgrim’s home“ ein wunderbares Solo von großem Empfinden.

Joyce Di Donato ist eine Ikone in Sachen Händel, singt gleichermaßen seine Sopran- wie Mezzo-Partien. Ihre Irene berührt durch innigen Ausdruck in den vor allem getragenen Arien, doch weiß sie sich enorm zu steigern in dramatischen Momenten. Das erste Air, „Bane of virtue“, ist von lebhaftem Charakter, das zweite, „As with rosy steps the morn“, gefühlvoll, „With darkness deep“ in Part II ergreifend in seiner Schlichtheit. Auch „Defend her“ und „Lord, to thee each night and day“  sind getragene Airs, welche die Sensibilität der Interpretin herausstellen. Letzteres hat einen bewegten Mittelteil mit Koloraturläufen, welche die Bravour der Sängerin belegen. Mit der Titelheldin hat sie in Part III ein dynamisches Duet „Whither, Princess“. Schier unendlich ist das Repertoire des Tenors Michael Spyres, der den römischen Offizier Septimius singt. Seine noble Stimme entfaltet sich eindrucksvoll im ausgedehnten Air „Descend, kind pity“, trumpft im an Koloraturen reichen „Dread the fruits“ energisch auf und imponiert auch im resoluten „Tho’ the honours“ in Part II. Von heiterer Ausgelassenheit ist das verzierte „From Virtue springs each gen’rous deed“ – ein schöner Kontrast zu den heroischen Nummern.

Septimius’ Freund, der Römer Didymus, der Theodora liebt, ist der Counter Paul-Antoine Bénos-Dijan. Sogleich in seiner lieblichen Auftrittsarie „The raptured soul“ lässt er eine weiche, empfindsame Stimme hören und auch bei „Kind Heav’n“ am Ende des ersten Teils weiß er sich mit schwebenden Tönen wirkungsvoll in Szene zu setzen. Im wiegenden Air „Deeds of kindness“ in Part II tupft er die Töne besonders sanft. Eine seiner berühmtesten Nummern ist das kosende „Sweet rose and lily“ und am Ende des zweiten und dritten Teils hat er mit Theodora Duets, „To thee, thou glorious son of worth“/“Streams of pleasure“, in welchen sich beide Stimmen harmonisch verblenden. John Chest als römischer Präsident Valens komplettiert die Besetzung. Er eröffnet die Handlung mit dem Air „Go, my faithful soldier, go“, in welchem er mit resolutem Bass aufwartet, der sich auch in der Höhe als souverän erweist. Mit wilder Erregtheit, rasenden Koloraturen und herausgeschleuderten Spitzentönen kommt „Cease, slaves“ im letzten Teil daher.

Il Pomo d’Oro Choir (Leitung: Giuseppe Maletto) hat mit „And draw a blessing down“ seinen ersten Einsatz, den er engagiert und wohllautend absolviert. Dem Chor fällt in diesem Werk eine bedeutende Rolle zu Nach dem gewichtigen „All pow’r in Heav’n above“ beendet er den Part I mit dem verinnerlichten „Go, gen’rous, pious youth“. Im zweiten Teil singt er am Ende jenen Chorus, den Händel noch über das „Halleluja“ des Messiah stellte: „He saw the lovely youth“. Nach introvertiertem Beginn wechselt dieser zu lebhaftem Ausbruch. Und dem Chor gehört auch der letzte Auftritt – „O love divine“ führt das Werk zu erhabenem Schluss. Bernd Hoppe