Refices Kirchenoper „Cecilia“

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Laut Arturo Toscanini hätte Licinio Refice (1883-1954) der größte Opernkomponist seiner Zeit sein können, wenn er nicht den Talar gewählt hätte: «Refice sarebbe il più grande operista del nostro tempo se non fosse per quella tonaca», schreibt er, der sich sehr für die Komponisten seiner Zeit einsetzte. Der Priester Don Refice bewies seine musikalischen Fähigkeiten als Komponist von Kirchenmusik (darunter ca 40 Messen und mehrere Oratorien, darunter das bei Colosseum dokumentierte Lilium Crucis). Auch zwei Opern beendete er, die zu ihrer Zeit in Italien erfolgreich waren. Cecilia wurde 1934 an der Königlichen Oper in Rom auch dank der Sopranistin Claudia Muzio in der Hauptrolle ein Triumph, der weltweit zu über 1000 Vorstellungen führte, 1938 eröffnete dann Refices Margherita da Cortona die Saison an der Mailänder Scala (davon ein LP-Mitschnitt ehemals bei Voce mit Antonietta Cannarile Berdini bei der RAI 1975). Cecilia und Margherita di Cortona – beide wurden von der katholischen Kirche heiliggesprochen, Refice blieb auch bei seinen Opern Kirchenmusiker.

Licinio Refice/Autogrammblatt/Tamino

Die heilige Cäcilie, die Patronin der Kirchenmusik, starb als Märtyrerin ca 230 n.Chr. in Rom, da sie ihrem christlichen Glauben nicht abschwören wollte. In Europa entwickelte sich ab dem 17. Jahrhundert eine Tradition der Cäcilienverehrung, entsprechende Kompositionen gibt es bspw. von Purcell, Händel, Haydn, Gounod oder Britten. Das Frühchristentum in Rom ist ein Thema, das bereits Donizetti in seiner aktuell wieder Aufmerksamkeit bekommenden Oper Poliuto/Les Martyrs  verwendete. 1932 wurde in der New Yorker Carnegie Hall das Mysterienspiel Maria Egiziaca von Ottorino Respighi konzertant aufgeführt und in der der Folge in Italien szenisch auf die Bühne gebracht. Respighis religiöse Oper in drei Episoden (2013 von den Wuppertaler Bühnen für eine Kirchenaufführung inszeniert) ist das zeitgeschichtliche Ergänzungswerk zu Refices Cecilia. Beide Werke vereint eine klangsinnliche Herangehensweise in spätromantischer Klangwelt. Wenngleich sich auch das Wort Kirchenkitsch aufdrängt, ist doch der moderne Zuhörer weit entfernt von dieser italienischen Mystifizierung. Aber man muss das Werk – und ja eigentlich alle – aus der historischen Einbettung heraus betrachten und im ästhetischen Sinne nicht durch die Brille unseres rabiaten Kapitalismus mit seinen Folgen be- oder verurteilen.

Thematisch befindet man sich bei Cecilia also auf bekannten Pfaden, spannend wird es durch die katholische Färbung des Komponisten – Refice nannte seine Oper eine azione sacra in drei Episoden und vier Bildern -, die die Handlung musikalisch gekonnt dramatisiert und dabei geschickt Vorbilder wählt. Die erste Episode, bei der Cäcilie in das Haus ihres ihr anverheirateten heidnischen Gatten Valerianus gebracht wird und doch ihre Unberührtheit bewahren kann, erinnert vom Aufbau an den ersten Akt von Madama Butterfly. Herzstück ist die mit einem melodisch fast alle wichtigen Motive vereinenden Vorspiel beginnende zweite Episode, bei der Cäcilie Valerianus zu einem frühchristlichen Gottesdienst in die Katakomben mitnimmt, bei dem ein Wunder geschieht: Eine Blinde kann wieder sehen, die Gemeinde stimmt ein Halleluja an, Valerianus lässt sich taufen und ein Engel erscheint, der die geistige Beziehung der Ehegatten segnet und auf das kommende Leid verweist. Tribunal und Verurteilung (als Vorbild könnte man den dritte Akt von Andrea Chénier nennen) sowie die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen (ähnliche Beispiele finden sich in Norma, Anna Bolena und Maria Stuarda) führen in der dritten Episode zu Tod und Verklärung.

Eine Neueinspielung (Mitschnitt einer Aufführung bei Dynamic aus dem Theater in Cagliari) lässt uns zu  einen älteren Artikel über das Werk in operalounge zurückkehren. Erst einmal die Besprecdhung von Ingrid Wanja und dann ein Blick auf weiteres Verfügbares. G. H.

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Nicht laut genug erschallen kann das Lob für das Teatro Lirico di Cagliari auf Sardinien und ebenso kräftig sollte es ertönen für das Label Dynamic aus Genua, denn das eine bringt seit Jahrzehnten immer wieder unbekannte Opern auf seine Bühne, das andere gibt sie fast zeitgleich als CD oder Bluray heraus und lässt so ein großes Publikum am jeweiligen Ereignis teilnehmen. Da gab es unter anderem den Schiavo von Gomes, Webers Euryanthe, Tschaikowkys Pantöffelchen, eine sardische Oper aus der Zeit der Nuraghe und in den letzten Jahren Giorgio Marinuzzis Palla de’Mozzi und  im Winter 2022 Licinio Refices Cecilia. Letzterer ist eigentlich ein Don Licinio Refice, Priester und in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts  für die Musik in Santa Maria Maggiore in Rom verantwortlich, welches Amt er jedoch zum Ärger der Kurie zugunsten unter anderem mehrerer Südamerikareisen vernachlässigte, auf der letzten, während der Proben zu Cecilia 1954 in Rio de Janeiro mit Renata Tebaldi in der Titelpartie verstarb er. 1953 wagte sich das Teatro San Carlo in Neapel an das Werk, und auch damals sang Renata Tebaldi die Cecilia, es dirigierte der Komponist.

.Azione sacra in tre episodi nannte der Komponist sein Werk, das eigentlich eine Oper mit geistlichem Inhalt ist wie auch Margherita da Cortona, eine dritte Oper mit dem Titel Il Mago, brachte es nicht einmal zu einem vollendeten ersten Akt.

Für Cecilia hatte sich Refice eine Uraufführung zum Heiligen Jahr 1925 erhofft, die aber am Zwist zwischen katholischer Kirche und faschistischem Staat scheiterte und erst nach den Patti Lateranensi 1934 im römischen Teatro Reale dell‘ Opera, sprich Teatro Costanzi, 1934 möglich wurde. Für den beachtlichen Erfolg war nicht zuletzt die Sängerin der Cecilia, Claudia Muzio, verantwortlich.

Licinio Refice privat/ personaggi illustri

Refice verwendet als heißer Verehrer Richard Wagners zwar Leitmotive für seine Protagonisten, auch für den Chor, sei es der der Christen oder der der Heiden, aber ansonsten ist seine Musik durch und durch italienisch, üppig melodienselig, der Dirigent der vorliegenden Aufnahme, Giuseppe Grazioli, nennt sie „un trait d’union“ zwischen Puccini und Respighi. Nachvollziehbar ist, dass Refice als Kirchenmusiker dem Chor eine bedeutende Rolle zuerkennt, sei es als entrückter Engelsgesang, als der der schüchternen Ancelle, der unversöhnlich auftrumpfenden Heiden oder der auf Überwältigung angelegte gemeinsame der irdischen wie himmlischen Heerscharen.

Erstaunlich kompetent sind, bedenkt man, dass es sich um ein selten aufgeführtes Werk in einem teatro di provincia handelt, die Sänger. Marta Mari hat einen in der Höhe aufblühenden Sopran mit viel corpo, dolcezza und splendore, rund und farbig auch im Piano. Emphatisch klingt das „Si, Valeriano“, ein feines akustisches Gespinst ist das „Io sorrido di pianto“. Die Stimme wird im Verlauf der Handlung immer entrückter wirkend, bis sie zu ersterben scheint. Frisch und schlank ist der Sopran, den Elena Schirru für den Engel einsetzt. Giuseppina Piunti gibt mit etwas schütterem Mezzosopran die Cieca, die natürlich von ihrem Gebrechen geheilt wird und dadurch auch an Stimmvermögen zunimmt.

Einen lyrischen Tenor setzt Mickael Spadaccini für den Gatten Valeriano ein, kann,  als bereits Hingerichteter, der der aus dem Jenseits klingenden Stimme ein schönes Schweben verleihen. Glück für das Personalbüro, dass sein Bruder Tiburzio bereits vor dem zweiten Akt das Zeitliche segnet, so dass Leon Kim nicht nur diese Partie, sondern auch die des Amachio singen kann und beides mit einem textverständlichem, viel vokale Autorität ausstrahlendem Bariton. Schnell hat Christian Collia als Un Liberto und Un Neolita sein vokales Pulver verschossen, einen hochpräsenten  Bariton setzt Patrizio La Placa als Schiavo ein, warm und dunkel klingt Alessandro Spina als Urbano.

Musikalisch hochinteressant, dürfte es das Werk wegen seines Themas weiterhin schwer haben. Die Begegnung mit ihm lohnt auf jeden Fall (Dynamic CDS 7967.2). Ingrid Wanja 

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Maria Pedrini, eine der schönsten Stimmen Nachkriegs-Italien, sang die Cecilia bei der RAI/Melodram

Maria Pedrini, eine der schönsten Stimmen Nachkriegs-Italiens, sang die Cecilia 1955 bei der RAI/Melodram

Refice bekehrt musikalisch und will das Herz seiner Zuhörer berühren. Sein Erfolgsrezept liegt in der Mischung: veristische Momente, gregorianischer Gesang und eine an Mascagni und Puccini (bspw. Suor Angelica) erinnernde Klangsprache. Wer diese musikalische Mischung aus Wehmut, Hingabe und Erhabenheit schätzt, wird bei Refice fündig: Es gibt melodische Einfälle, die haften bleiben. Arien aus Cecilia wurden später von bekannten Sängerinnen eingespielt, bspw. von Renata Tebaldi (1953 unter dem Komponisten selbst bei der italienischen RAI, ehemals als knisternde LP von UORC) und Renata Scotto (im New Yorker Konzert 1976 unter Campori). Refice starb 1954 in Rio de Janeiro, wo er mit Renata Tebaldi seine Oper probte.

In der Folge geriet Cecilia in Vergessenheit. Ber youtube gibt es zum Hören Aufnahmen mit der Muzio, Tebaldi und Scotto (als CD gekürzt auf VAI erhältlich, sehr empfehlenswert wegen der opernhaften Hinwendung) sowie Maria Pedrini (als LP, später CD ehemals bei Melodram im RAI-Mitschnitt von 1955 unter De Fabritiis, ungeschlagen wegen der wunderbaren pastosen Stimme voller Unschuld und Unverstelltheit – eine gläubige Italienerin singt aus ihrem erfüllten Herzen heraus), die eine der großen Vertreterinnen der Partie nach dem letzten Krieg und überhaupt eine der schönsten Spinto-Stimmen ihrer Zeit (und zudem in Italien eine bedeutende Norma neben der Cerquetti) war. In jüngster Zeit näherte sich Jonas Kaufmann dem Werk, dessen Tenorarie „Ombra di nube“ er auf seinem Decca-Recital singt.

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Die  Gesamteinspielung der tüchtigen Firma Bongiovanni ist ein Live-Mitschnitt eines Konzerts vom 22.11.2013 in der Kirche von Monte-Carlo. Es handelt sich um ein wichtiges Plädoyer für eine vergessene Oper – die  Aufnahme taugt allerdings kaum als Referenz, dafür fehlten einigen Sängern am Aufnahmetag die Unverwechselbarkeit und Überzeugungskraft und die Akustik ist nicht ideal. Als Cecilia hat man mit Denia Mazzola Gavazzeni einen (zu) reifen, gestisch fast zu dramatischen Sopran gewählt, der zwischen Gläubigkeit, spiritueller Anrufung und Todesbereitschaft Eindruck hinterlässt, deren scharfe Sopranstimme allerdings auch den Weg zum Werk verstellt. Als ihr Partner Valerianus hat man den nicht immer frei klingenden Tenor von Giuseppe Veneziano gewählt, der Engel Gottes ist mit Serena Pasquini stimmlich wohlklingend, aber unaufregend besetzt. Der Bassist Riccardo Ristori als Bischoff Urban könnte deutlicher würdevoller und standhafter klingen; die gut besetzten Corrado Cappitta (Tiburzio/Amacchio) und Kulli Tomingas (La vecchia cieca) ergänzen u.a. in den kleineren Rollen. Auf der Habenseite dieser Aufnahme befinden sich Dirigent Marco Fracassi und das Orchestra Filarmonica Italiana, die für positive Eindrücke sorgen. Der Chor der Camerata di Cremona wirkt nicht immer ganz sicher und passt sich der durchwachsenen Gesamtleistung an. Eine Oper, die – wenn sich die richtigen Stars ihrer annehmen würden – durchaus wieder eine Chance auf der Bühne bekommen könnte. Und die Aufnahmen mit Scotto (in gutem Stereo-Sound) oder Pedrini (sehr ordentliches Mono) zeigen, was große Gestalterinnen sind (2 CDs, Bongiovanni, GB 2472-2). G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.