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Das Ensemble barockwerk hamburg ist für seine außergewöhnlichen Projekte und eindrücklichen Programme bekannt. Insbesondere die Wieder-Aufführung von bisher unveröffentlichten Werken der hamburgischen Musikgeschichte erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit. Erstmals in Form eines Streaming-Konzerts stellte das Ensemble mit seiner Leiterin Ira Hochman nun die Oper Iphigenia in Aulis von Carl Heinrich Graun vor.
Die Geschichte der Königstochter Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden soll, gehört zu den klassischen Tragödien der griechischen Antike, die das Theater bis heute zu immer neuen Interpretationen inspirieren und die Zuschauer fesseln. Mit gerade einmal 24 Jahren begeisterte sich auch Carl Heinrich Graun an dem Stoff und komponierte vor 290 Jahren die Iphigenia in Aulis. Seine jugendlich frische und farbenfrohe Musik erklang zuletzt im Jahr 1731 auf der Bühne der hamburgischen Gänsemarkt-Oper. Im Zentrum des Werks steht die freiwillige und selbstlose Aufopferung der Iphigenie in den Zeiten der gesellschaftlichen Krise. Vaterliebe und Königspflicht, Treue und Verrat, Ironie und Intrigen und eine Hochzeit als Schlussakkord bieten alle Zutaten für eine opulente und abwechslungsreiche Barockoper. (Quelle Universität Hamburg)
Eine ausführliche Rezension von Bernd Hoppe folgt, danach eine Einführung von der Dirigentin Ira Hochman zur neuen Einspielung bei cpo (2 CD 555 475-2).
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Mit ihrem Ensemble barockwerk hamburg hatte Ira Hochmann vor einigen Jahren schon Carl Heinrich Grauns Polydorus bei cpo auf CD veröffentlicht (s. Rezension in operalounge.de), nun legt sie des Komponisten Oper Iphigenia in Aulis nach (555 475-2, 2 CDs). Die Aufnahme entstand im März 2021 in der Christuskirche von Hamburg-Othmarschen.
Das Libretto stammt von Georg Caspar Schürmann, der einen Text von Christian Heinrich Postel für Reinhard Keisers Die wunderbar errettete Iphigenia als Vorlage nutzte. Postel hatte gemäß der italienischen Barockoper eine zweite Liebesgeschichte hinzugefügt – die zwischen Deidamia und Achilles. Letzterer ist eine Tenorpartie in extremer Notierung, die Graun, der eine sehr hohe Stimme besaß, für sich selbst schrieb. In der Aufnahme nimmt sie Mirko Ludwig wahr, der die erste Arie von stürmischem Zuschnitt, „Mit seinem Feinde herzhaft kämpfen“, beherzt angeht, doch in der Höhe an Grenzen stößt und im Klang zu buffonesk bleibt. Dagegen findet er in „Geliebte Seele“ im 3. Akt auch zu innigen Tönen. Die Sopranistin Santa Karnite hat als Deidamia ebenso viele Arien zu absolvieren wie die Titelheldin, was für die Bedeutung der Partie spricht. Der Auftritt mit „Armes Herz“ lässt eine klare, reine Stimme von instrumentaler Führung hören. In „Sollte Treu im Lieben sein?“ gibt sie ihrer Enttäuschung über die unglückliche Liebe zu Achilles nachdrücklich Ausdruck.
In der Titelrolle ist Hanna Zumsande zu hören, deren wenig individueller Sopran in der ersten Arie, „Treuer Liebe reine Flammen“, keinen rechten Kontrast zu Deidamias Stimme herstellt. In der Arie „Kann ich dir das Leben geben?“ zu Beginn des 2. Akt stört ein allzu jammernder Tonfall. Am besten gelingt ihr der Koloraturjubel in „Schönste Blumen“ im 2. Akt. Auch das getragene Arioso am Ende des 2. Aktes, „Wertste Seele“, ist geglückt. Iphigenias Mutter Clytemnestra gibt die Mezzosopranistin Geneviève Tschumi, ihren Vater Agamemnon der Bassist Dominik Wörner mit flexibler Stimmführung. Dessen vertrauter Freund Nestor ist doppelt besetzt – mit dem Tenor Ludwig und dem Bass Wörner, da seine Gesangsnummern vom Komponisten beiden Stimmfächern zugeteilt wurden. Clytemnestra hat mit „Stürmet noch einmal“ eine wirkungsvolle Auftrittsarie mit bewegten Koloraturläufen, die Tschumi überzeugend wiedergibt. König Thoas, unter dem Namen Anaximenes, ist eine besonders farbige Partie zugeordnet, welche der Altus Terry Wey solide ausfüllt. Gelegentlich, wie in der ersten Arie „Schönste Seele“, klingt sein Ton etwas larmoyant. Das getupfte „Augen, machet euch bereit“ im 2. Akt profitiert von delikaten Nuancen und das stürmische „Nach wilder Wellen Brausen“ am Ende vom forschen Zugriff. Die Besetzung komplettiert der Bariton Andreas Heinemeyer in der Rolle von Deidamias Diener Thersites, der in der Tradition der Hamburger Gänsemarkt-Oper als komische Figur fungiert. Er kommentiert und persifliert in hoher Tessitura, munter plappernd und mit lautmalerischen Effekten das Geschehen.
Der Schlusschor, „Es weiche, es fliehe der Kummer“, wurde Grauns Oper Caio fabricio entnommen, da er, ebenso wie alle Rezitative, in der Handschrift der Iphigenia fehlt.
Die Erfahrung der Dirigentin mit dem Werk Grauns spiegelt sich sogleich in der Ouvertüre wider. Das Orchester musiziert kultiviert und nobel, ist den Sängern ein verlässlicher Partner. Die Virtuosität in vielen Kompositionen Grauns findet man hier allerdings nur gelegentlich, insgesamt herrscht ein getragener, dem Oratorium naher Stil, dem auch Elemente des Singspiels eigen sind, vor. Bernd Hoppe
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Zu seinen Lebzeiten war Carl Heinrich Graun (1704–1759) als Komponist und erster Kapellmeister der Königlichen Oper in Berlin vor allem für seine italienischen Opern bekannt und umjubelt. Die Tatsache, dass er zuvor am Opernhaus am Braunschweiger Hagenmarkt und der Gänsemarkt-Oper in Hamburg mit deutschsprachigen Opern wichtige Grundsteine für die Entwicklung dieser Gattung gelegt hatte, wird bis heute kaum wahrgenommen. Dabei bemerkte schon im achtzehnten Jahrhundert der Hamburger Gelehrte und Musikschriftsteller Christoph Daniel Ebeling (1741–1817): „[Grauns deutsche Opern] haben so viel Melodie, Ausdruck und Neuheit, als man in manchen Arien seiner neuern [= italienischen Opern] nicht finden wird“.1 Eine Feststellung, die das Ensemble barockwerk hamburg nach seiner erfolgreichen Ersteinspielung der Oper Polydorus (cpo 555 266-2) nur unterstreichen kann, und die nun mit der Vorstellung eines weiteren frühen Werks des Komponisten, seiner Oper Iphigenia in Aulis (1728), erneute Unterstützung findet.
Geboren in Wahrenbrück, begann Carl Heinrich Graun seine Karriere schon als Sängerknabe an der Kreuzschule in Dresden. Als jüngster der drei Gebrüder Graun, die alle ausgezeichnete Musiker waren, genoss er die bestmögliche Musikausbildung seiner Zeit, erhielt Unterricht auf der Orgel, Cembalo, Cello, Laute und in Komposition. Nach dem Stimmbruch wurde aus dem Knabensänger ein exzellenter hoher Tenor. Carl Heinrich komponierte zahlreiche Kantaten und Opernpartien für die eigene Stimme, darunter die extrem hohe Partie des Achilles in der Iphigenia in Aulis. Graun soll als Privatperson einen sehr angenehmen Charakter gehabt haben, so hatte er viele Freunde und Förderer, darunter den Dresdner Hofpoeten Johann Ulrich König. Dieser prominente Opernlibrettist vermittelte den jungen Sänger 1725 nicht nur an die Hagenmarkt-Oper in Braunschweig, sondern lieferte auch das Libretto zu seiner (vermutlich) ersten Oper Sancio, oder die in ihrer Unschuld siegende Sinilde. In Braunschweig debütierte Graun 1726 als Tenor in der Oper Heinrich der Vogler von Georg Caspar Schürmann. Er wurde bald auch kompositorisch tätig und bekam nach dem großen Erfolg seiner Oper Polydorus den Titel Vizekapellmeister. Zwischen dem deutlich älteren Hofkapellmeister Schürmann und Graun als Vertreter des moderneren Stils entstand ein kollegiales Verhältnis, eine damals typische Art von Teamwork. Graun schrieb Einlagearien für Schürmanns Opern, darunter Ludovicus Pius, Heinrich der Vogler und Clelia, Schürmann dichtete für ihn unter anderem den Text der Iphigenia in Aulis. Dieses Bühnenwerk soll die dritte von sechs in Braunschweig geschriebenen Opern Grauns sein.
In seiner Studie zur Geschichte der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Capelle und Oper von 1863 dokumentiert der Musikwissenschaftler Friedrich Chrysander die etwas verwirrende Chronologie der Aufführungen von Grauns Iphigenia in Aulis folgendermaßen: „Um 1730. Iphigenia in Aulis. Eine ganz deutsche Oper, von welcher zwar nur ein Textbuch aus der Sommermesse 1734 vorliegt, die aber in diese Zeit gehören muss, weil sie mit Graun’s Musik schon 1731 in Hamburg war.“2 Tatsächlich wurde die dreiaktige Oper in Braunschweig bereits 1728 uraufgeführt, und die Gänsemarkt-Oper in Hamburg spielte das Werk dreimal im Winter 1731/32. Danach verschwand es für 293 Jahre aus dem Opernrepertoire.
Im Sprechtheater gehört Euripides‘ Iphigenie in Aulis zweifelsfrei zu den meistgespielten antiken Tragödien. Im Bereich des barocken Musiktheaters waren die mythologischen Opern zwar die beliebtesten Opernsujets, jedoch sind heute nur zwei Adaptionen des Iphigenien-Mythos bekannt, Glucks Iphigénie en Aulide (Paris 1774) und Martín y Solers Ifigenia in Aulide (Neapel 1779). Dabei wurde auf der Bühne der Hamburger Gänsemarkt-Oper schon im Jahr 1699 die Oper Die wunderbar errettete Iphigenia von Reinhard Keiser gespielt. Dessen Librettist Christian Heinrich Postel schrieb in seinem Vorbericht, dass ihm Euripides‘ „vortreffliches Trauer-Spiel“ als Grundlage diente. Postel fügte der Handlung eine Liebesgeschichte zwischen Deidamia und Achilles hinzu, um der üblichen Dramaturgie einer Barockoper zu entsprechen. Das wiederum zog es nach sich, möglichst eine Intrige als Nebenstrang und eine komische Figur für die Unterhaltung des Publikums in die mythologische Handlung einzupflegen. Die Musik dieses „Singe-Spiels“ hat sich leider nicht erhalten. Der zeitgenössische Druck des Librettos hingegen ist heute digital zugänglich.3
Genau dieses Libretto diente 1728, also fast 30 Jahre später, Georg Caspar Schürmann als Grundlage für den Text der Iphigenia in Aulis. Die Handlung wurde von ihm von fünf auf drei Akte gekürzt und die Rezitativtexte wurden gestrafft. Der Hamburger Musikschriftsteller Johann Mattheson übte daran harsche Kritik und schrieb, es sei „die 32 Jahre alte, schöne Postelsche Poesie […] lästerlich verschnitten, weggeworfen, zerstümmelt, vertauscht und geflickt“ worden.4 Bei einem weniger polemischen, sachlichen Vergleich der Textbücher wird offensichtlich, dass den Kürzungen insbesondere Ensembles und Interaktionen zwischen Charakteren zum Opfer fielen, die zuvor wahrscheinlich in kürzeren musikalischen Formen vertont worden waren. Schürmanns Bearbeitung des Librettos bewegt sich also in Richtung der klassischen Struktur einer Barockoper mit ihrer Abfolge von Da-Capo-Arien und Rezitativen.
Zwei unvollständige Handschriften der Iphigenia in Aulis aus den Hofkapellen in Braunschweig-Wolfenbüttel und Sondershausen werden heute im Niedersächsischen Landesarchiv Wolfenbüttel5 und in der Stadtbibliothek Sondershausen aufbewahrt.6 In ihnen fehlt leider die Musik zu sämtlichen Rezitativen, den drei Chören, dem abschließenden Auftritt der Diana mit allen Beteiligten sowie dem Schlusschor. Deren Texte sind aber in den zeitgenössischen Drucken des Hamburger und des Braunschweiger Librettos (beide 1731) enthalten, von denen Exemplare in den Beständen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg und des Landesarchivs Wolfenbüttel aufbewahrt werden. Darüber hinaus ist die Quellenlage insofern unübersichtlich, als dass sich manche Arien ausschließlich in einer der beiden Musikquellen befinden und manche, obwohl sie zur selben Rolle gehören, verschiedenen Stimmfächern zugeordnet sind. Das letztere Rätsel kann eigentlich nur darauf zurückgeführt werden, dass die bei den verschiedenen Aufführungen für die Besetzung dieser Rollen engagierten Sänger nicht der ursprünglichen Stimmzuweisung entsprachen und man entweder die Arien transponierte oder neu komponierte. Abgesehen von diesen offenen Fragen ist eine Fülle an höchst inspirierender Musik vorhanden, darunter die Ouverture, sowie 35 Arien, und es wäre mehr als schade, dieses umfangreiche Werk weiterhin ungespielt in den Archiven liegen zu lassen.
Mit Blick auf heutige Aufführungen stellt sich somit die Frage: Wie unvollständig ist Iphigenia in Aulis tatsächlich? Stellen wir dazu einen Vergleich an. Sowohl eine der bekanntesten Opern von Georg Friedrich Händel, die dreiaktige Giulio Cesare in Egitto als auch Grauns fünfaktige Oper Polydorus weisen 37 Musiknummern auf. Wir können daraus schließen, dass wohl nur sehr wenige Stücke der Iphigenia in Aulis fehlen. Dennoch benötigte die Oper für unsere Erst-Wiederaufführung einen Schlussgesang. Wir haben uns erlaubt, diesen aus Carl Heinrich Grauns Oper Caio fabricio (GraunWV B:I:14) von 1746 zu entlehnen. Deren Schlusschor „La gloria è un gran bene“ ließ sich problemlos der Text des Schlusschors aus Schürmanns Iphigenia-Libretto unterlegen. Die letzte Arie des Anaximenes (Altus), „Nach wilder Wellen brausen“, die überraschenderweise im Bassschlüssel notiert ist, wurde eine Oktave nach oben versetzt und damit dem Rest der Partie angeglichen. Die Rolle des Nestor, ein Freund Agamemnons und derjenige, der die Schlüsselbotschaft über die Opferung der Iphigenia überbringt, behielt die Diversität der Stimmfächer: Nestor singt das Eröffnungsduett mit Agamemnon als Tenor, während seine spätere Arie „Wo ungerechte Götter thronen“ dem Bass zugeteilt ist und auf unserer Aufnahme von dem Bassisten Dominik Wörner vorgetragen wird.
Es ist erstaunlich, wie feinsinnig der 24-jährige Komponist die Charaktere seiner zweiten beziehungsweise dritten Oper gestaltet hat. Iphigenia ist unschuldig und unerfahren, und dennoch mutig und entschieden. In der Arie „Schönste Blumen, meine Wonne“ begießt sie mit ihren Tränen die Blumen. Graun verzichtet hier auf die tiefen Bassinstrumente und bringt so die Musik zum Schweben. Todesmutige Opferbereitschaft hingegen zeigt Iphigenia in der großangelegten und dennoch schlichten Arie mit Hörnern und Oboen d’amore „Lebe wohl, ich muss dich lassen“. Für die Rolle der Deidamia schrieb Graun ebenso viele Arien wie für die eigentliche Hauptpartie der Iphigenia. Er muss diesen Charakter sehr gemocht haben. Ihre Musik besticht durch eine berührende Ehrlichkeit der Gefühle. Ihre Enttäuschung in der Liebe zu Achilles hört man insbesondere in der Arie mit Oboen d’amore und ostinaten Violinen „Sollte Treu im Lieben sein“, während die Arie „Treuloses Herz, verkehrter Sinn“ ihrer Verzweiflung Ausdruck verleiht. König Agamemnon, Iphigenias von Zweifeln geplagter Vater, wird musikalisch in einem archaischen, an oratorische Musik gemahnenden Stil gezeichnet.
Die facettenreiche und sehr anspruchsvolle Tenorpartie des Achilles komponierte Graun für sich selbst. In der Arie „Geliebte Seele, weine nicht“ zeugt sein Gesang im Dialog mit dem obligaten Cello, einem Instrument, dass Graun selbst gut beherrschte, nicht nur von Achilles‘ kriegerischen Zügen, sondern auch von seinen liebevollen Eigenschaften und von Momenten voller Mitgefühl. Diese Arie, im Grunde ein Duett zwischen Stimme und Violoncello, ist eine herausragende Komposition im Hinblick auf den Anspruch an die beiden Partner und die musikalische Qualität. Der skytische König Thoas unter dem falschen Namen Anaximenes ist vielleicht die kontrastreichste Partie der Oper, die dementsprechend besonderes farbig vertont ist. Die Affekte reichen von sehr verliebt in der Arie „Schönste Seele, deine Lippen“ über todessüchtig in den Arien „Augen, machet euch bereit“ und „Ach, Iphigenia“ bis hin zu aufbrausend in den spektakulären Koloraturen der schon erwähnten Arie „Der wilden Wellen brausen“. Iphigenias Mutter Clytemnestra zeigt sich einerseits in ihren Pflichten gefangen, andererseits rebellisch gegen das Schicksal und die Götter. Besondere Beachtung verdient die Rolle des Thersites, Deidamias Diener. Er stellt eine volkstümliche, komische Person dar, die vor allem für die Hamburger Gänsemarkt-Oper typisch ist. Kommentierend greift er in stimmlich extrem hoher Lage in die ernste Handlung ein. Er lacht aus, pointiert und provoziert. Seine geschwätzigen Kommentare bilden einen Kontrast zur Innigkeit und Ehrlichkeit von Deidamias Gefühlen. Die Männersitten werden verspottet, „denn bei Jungen und bei Alten hat noch keiner Wort gehalten.“
Sollte Grauns Iphigenia in Aulis eines Tages zu einer theatralischen Wiederaufführung kommen, kann man unsere Entscheidungen über den Schluss der Oper sowie eine Lösung für die verlorengegangene Rezitativ-Vertonungen neu überdenken. Für eine weitergehende Vervollständigung der Oper könnte man zudem auf eine zusätzliche Quelle zurückgreifen. Graun schrieb 1748 in Berlin Ifigenia in Aulide (GraunWV B:I:18), eine italienische Oper mit dem Libretto von Leopoldo di Villati nach Jean Racines Iphigénie en Aulide (Paris 1674). Sowohl die Sprache als auch der spätere Kompositionsstil Grauns eignen sich nicht direkt für eine Entlehnung von Musik, dennoch könnte man sich für die fehlende Opferungsszene der Iphigenia auf jeden Fall an der Instrumentalmusik bedienen und die Ansprache der Göttin Diana mit dieser Musik unterlegen. Man könnte das Stück als Singspiel mit gesprochenen Rezitativtexten spielen oder die Rezitative neu vertonen lassen.
Wir haben uns für eine konzertante Aufführung mit modernen Zwischentexten entschieden. Wir wagen die Voraussage, dass diese Oper mit einigen Hilfsgriffen hervorragende Chancen auf ein erfolgreiches Bühnenleben haben wird. Dafür spricht Grauns Musik, die von so herausragender Qualität und melodischer Schönheit ist. Ira Hochman
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Quellen: 1) Charles Burney, Tagebuch seiner musikalischen Reisen, aus dem Englischen übersetzt von Christoph Daniel Ebeling, Bd. 3, Hamburg 1773, S. 175. 2) Friedrich Chrysander, Geschichte der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Capelle und Oper vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Jahrbücher für musikalische Wissenschaft, Bd. 1, 1863, S. 147–286. 3) Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Signatur: 81 in MS 639/3: 5 4) Zitiert nach Chrysander, Geschichte der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Capelle und Oper (siehe oben). 5) Zeitgenössisches Manuskript, Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel, Signatur: 6 Hs 17 (Nr.11) 6) Handschriftlicher Stimmensatz, Stadtbibliothek Sondershausen, Signatur: Mus. A 1: 3.
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Die Abbildung oben zeigt einen Ausschnitt aus Tiepolos Monumentralgemälde der „Ifigenia in Aulide“ in der Villa Valmerana bei Vicenza/ Wikipedia. Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier