BAROCKE MORDE

 

In der Pflege des Barockrepertoires ist das Label cpo ein Vorreiter mit immer neuen und innovativen Aufnahmeprojekten. Jetzt erschienen zwei Einspielungen aus den Jahren 2016 und 2018.

Im September 2018 erfolgte in Raven die Einspielung von Carl Heinrich Grauns erstmals in der Moderne aufgeführter Oper in fünf Akten Polydorus (555 266-2, 2 CDs). 1726 wurde sie in Braunschweig uraufgeführt. Das Libretto stammt von Johann Samuel Müller, der einen italienischen Text von Agostino Piovene ins Deutsche übertragen hatte, welcher auf Ereignissen der Hecuba des Euripides basierte.

Nach Virgil ist Polydorus, wie Vollmers Mythologie der Völker so hilfreich schreibt, der jüngste Sohn des Priamus von Laotho oder von Hecuba. Iliona, seine älteste Schwester, war Polymestor, einen thracischen König, vermählt, welchem Priamus den Polydorus zur Erziehung sandte. Polymestor aber, den siegreichen Waffen Agamemnons huldigend, ermordete den ihm anvertrauten Jüngling und bemächtigte sich der von demselben mitgebrachten Schätze. Aeneas kam zu der Stelle, wo dies geschehen war, wollte von den Myrten eines Hügels Aeste nehmen, um einen Altar zu schmücken; doch wie er sie abreisst, ertönt ein jammervolles Geächze und eine Stimme rief ihm zu: schone doch meiner im Grabe, ich bin Polydorus; hier deckte mich Durchbohrten die Speersaat, hier wuchs aus den Schäften der Wald auf. (Virgil.) Die Tragiker erzählen, dass später sich Hecuba fürchterlich rächte, indem sie dem verrätherischen Polymestor die Augen ausgekratzt habe. Anders wird die Sache von Hygin erzählt: Iliona soll, da sie ihren Bruder auf das Zärtlichste liebte, denselben mit ihrem eigenen Sohne gleichen Alters verwechselt haben, wovon selbst ihr Gatte nichts wusste; er lieferte nun den vermeinten Polydorus den Griechen aus, welche denselben im Lager, Angesichts des Priamus, steinigten; Iliona rächte mit Polydorus diese Schandthat, indem sie dem Bruder seine wahre Abkunft enthüllte, und beide den Polymestor ermordeten. Soweit die antike Dichtung.

In Raven war das von der israelischen Dirigentin Ira Hochman 2007 gegründete barockwerk hamburg künstlerisch tätig. Das Ensemble hat sich vor allem um die Wiederbelebung Hamburger Werke von Johann Mattheson, Carl Philipp Emanuel Bach und Georg Philipp Telemann verdient gemacht. Die Dirigentin rechtfertigt mit dieser lebendigen Aufnahme ihren Ruf als Barock-Spezialistin, bringt Grauns muntere, melodische Musik zu starker Wirkung.

In der Titelrolle ist der israelische Altus Alon Harari zu hören, der sogleich in seiner ersten Arie, „Ein ausgehärt’ter Mut“, mit ausgeglichener Stimme und sinnlichem Timbre für sich einnimmt. Auch die virtuosen Anforderungen von „Laß, mein Freund“ im 2. Akt bewältigt er souverän. Sanft formt er das kantable „Ruhe sanft“ zu Beginn des 4. Aktes.

Hanna Zumsande ist seine älteste Schwester Ilione, für die der Komponist die schönsten Arien seiner Oper erdachte. Die Sopranistin kann mit ihrem innigen Ausdruck den Konflikt der Figur, den eigenen Sohn den Griechen übergeben zu müssen, eindrücklich vermitteln. Davon zeugt auch „Strenger Himmel“ im 3. Akt. Als ihr Gatte, der thrakische König Polymnestor, steuert Fabian Kuhnen profunde Basstöne bei. Auch der griechische Abgesandte Pyrrhus ist eine Bassrolle, der das erste Solo des Werkes,„Tausend Zepter“, zufällt. Ralf Grobe füllt sie zuverlässig aus. Die hoch notierte Tenorrolle des Deiphilus, die Graun einst selbst gesungen hatte, ist eine Herausforderung für Mirko Ludwig. Furchtlos stellt er sich dieser in seiner ersten Arie „Mich sucht der Götter Rache“, bewältigt deren Tessitura sowie das Zierwerk beachtlich. Auch „Ich will sterben“ im 2. Akt überzeugt durch den zunächst schmerzlichen Ausdruck und dann den beherzten Zugriff im Mittelteil der Arie.

In einer Nebenhandlung des Werkes tritt Andromache auf, in die sich Pyrrhus verliebt hat und deshalb von Polymnestor ihre Herausgabe fordert. Santa Karnite lässt in ihrer ersten Arie, „Nichts soll mich von ihm trennen“, einen klaren, instrumental geführten Sopran hören, der am Ende des 2. Aktes bei „Tyrann, du suchest Liebe“ im Ausdruck zu verhalten bleibt. Ungleich besser steht der Stimme das innige „Komm denn, du angenehmer Tod“ am Ende des 4. Aktes. Am Ende vereint sie ihre Stimme mit der des Titelhelden jubelnd in der Aria à 2 sowie dem Schlusschor „Der Himmel lässt nach langem Weinen“.

 

2016 entstand in Koproduktion mit Radio Bremen in Thedinghausen-Lunsen und widmet sich einem Oratorium des komponierenden Kaisers Leopold I. mit dem Titel Il Sagrifizio d’Abramo (555 113-2). Damit hat das renommierte Ensemble WESER-RENAISSANCE Bremen, das sich vorrangig der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts widmet, im 25. Jahr seines Bestehens einen weiteren Fund vorgelegt, der sich in die Zahl der Entdeckungen durch den Klangkörper würdig einreiht. Die Leitung hat Manfred Cordes, der seit 1985 künstlerisch in Bremen wirkt. Ihm ist eine authentische Wiedergabe der Musik, die heute als ein Grundstein der Wiener Klassik gilt, zu danken. Mit den weihevollen Klängen einer Sonata setzt sie ein und ist dann vorrangig dem recitar cantando verpflichtet.

Das Werk wurde 1660 uraufgeführt, im Libretto von Conte Caldano wird erstmals die Figur des Isaak/Isac als des Christi Urbild beschrieben. Die Sopranistin Monika Mauch gibt ihr einen keuschen Umriss. Die Titelfigur singt Julian Podger mit klangvollem Tenor, der auch über gebührend klagende Töne verfügt. Darüber hinaus erscheinen als Allegorien die Penitenza (Buße), Ubidienza (Gehorsam) und Humanità (Menschlichkeit). Sie werden interpretiert von Marnix de Cat/Altus, Margaret Hunter/Sopran und Nele Gramß/Sopran. Der Bassist Harry van der Kamp komplettiert die Besetzung als Servo und Peccator.

Das Programm der CD wird ergänzt von einer weiteren Komposition des Kaisers – dem Miserere per la settimana santa à 4 voci –, in welcher sich sein ausgeprägter Sinn für Ordnung spiegelt, denn die vier Solisten (Mauch, de Cat, Podger, van der Kamp) sowie Streichinstrumente wechseln sich in jedem Vers in einer festgelegten Reihenfolge ab. Nur der jeweils fünfte Vers wird im Tutti gesungen. Bernd Hoppe