Nur bedingt gelungenes Konzept

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Na’ama Goldman war zunächst Pianistin, sie entdeckte den Gesang erst später, vor allem in Verbindung mit dem Schauspielen. So lag es nahe, dass sie vor allem Opernsängerin wurde. Diese Prägung spiegelt sich auch in der Auswahl der Lieder der vorliegenden CD wieder: „Es ist wunderbar, dass man dabei eine Geschichte erzählen und mit dem Publikum kommunizieren kann und zwar nicht nur durch die Musik“, betont die Sängerin. Die gebürtige Israelin ist inzwischen Berlinerin und damit Bewohnerin jener Stadt, aus der ihre Familie in der Nazizeit vertrieben wurde. So schließt sich ein Kreis.

Die Sängerin suchte vor einigen Jahren zusammen mit dem Pianisten Giulio Zappa Musik für ein Programm anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags in Mailand. Die Musik sollte mit dem Judentum verbunden, aber nicht „jüdisch“ sein: „Wir recherchierten in Bibliotheken, und wir schauten nach jüdischen Komponisten wie Mahler, Korngold, Kurt Weill. Sie waren Juden, haben aber keine ‚jüdische Musik‘ komponiert. Ihre Musik repräsentierte, wer und was sie waren – Deutsche, Österreicher. Sie komponierten, was ihre Inspiration und Kreativität ihnen eingab. Aber natürlich hatten ihre jüdische Tradition und ihre Familien auch einen Einfluss auf ihre Musik.“ Ravel gehört dazu, weil er sich von der jüdischen Tradition angezogen fühlte. Schließlich wandten sich Goldman und Zappa der jüdischen Folklore zu und auch zeitgenössischen israelischen Komponisten. „Die Auswahl der Lieder ist auf der einen Seite eine intellektuelle, aber im Endeffekt sind es doch die Lieder, die mich direkt persönlich ansprechen: als Frau mit einem jüdischen Hintergrund, als Israeli, die nach Deutschland gekommen ist.“ Na’ama Goldman sieht das Programm, ihre Zusammenstellung als „eine Art musikalischer Biografie zwischen Berlin und Tel Aviv“.

Die Umsetzung des einleuchtenden, anspruchsvollen, auch mutigen Programms ist nur bedingt gelungen. Die Sängerin wollte zwar explizit keinen „Liederabend“ auf CD veröffentlichen, doch dieser Anspruch wurde nicht wirklich eingelöst. Na‘àma Goldman verfügt über eine große, nuancenreiche und variable Stimme, setzt sie aber so ein, als ob sie auf einer Bühne stehe. Ihr Vibrato ist stark, manchmal zu stark, in der Höhe klingt der Gesang zu laut. Man vermisst die leisen Töne und in einigen Liedern auch den tiefschürfenden und „schlichten“ Ausdruck.

Das jüdische Trauergebet Kaddisch, das Maurice Ravel bewusst für eine Frauenstimme schrieb, singt sie mit großem Ausdruck und vibrierend. Ravels enigme éternelle bleibt rätselhaft, musikalisch und textlich (zumal eine deutsche Übersetzung fehlt). Aus den Sechs einfachen Lieder von Korngold hat Goldman zwei ganz unterschiedliche ausgewählt: Eichendorffs Schneeglöckchen ist eigentlich schlicht im Ton, kommt hier aber sehr expressiv. Das Gedicht Sommer des österreichischen Dichters Siegfried Trebitsch verrät den Dramatiker. Mahlers „Wunderhorn-Lieder“ Wo die schönen Trompeten blasen und Rheinlegendchen sind leider ohne Charme und Geheimnis. Das Rückert-Lied Ich bin der Welt abhanden gekommen bleibt mangels Suggestivität doch eher diesseitig. Nannas Lied von Kurt Weill würde sicher stärker wirken, wenn es chansonhafter interpretiert würde.

Die Interpretationen der Lieder der jüdischen und israelischen Komponisten ist durchweg gelungener. Der Komponist, Musikwissenschaftler und Kritiker Joel Engel (1868-1927) begann um 1900 jüdische Volkslieder in Russland zu sammeln und zu arrangieren. Nur noch Dir brachte der Sängerin nach eigenen Worten „die Klänge ferner Erinnerungen mit sich“, sie nimmt es sehnsüchtig, melancholisch und auch temperamentvoll. Eyal Bat (Jahrgang 1966), einer der bekanntesten israelischen Vokalkomponisten, ist mit zwei neu komponierten Liedern vertreten. Az haya la ist ein weniger bekanntes Stück von Alexander „Sascha“ Argov (1914 in Moskau geboren, 1995 in Jaffa gestorben) – ein Liebeslied an Tel Aviv, das Na’ama Goldman auf ihrer Karriere immer wieder begleitet hat. Das Ende ist sehr gelungen – mit Elei tashuv, einem Lied des Komponisten, Dirigenten und Musikpädagogen David Sonnenschein. Na’ama Goldman singt es sicher auch deshalb so eindrucksvoll, weil es mit ihrer eigenen Familiengeschichte verbunden ist und persönliche Erinnerungen und Gefühle aufkommen. Sonnenschein schrieb das (Liebes)Lied für ihre Großmutter, eine bekannte Sängerin, die in jungen Jahren ihre Stimme verlor. Die Noten fanden sich im Nachlass.

Sicher ließe sich die Wirkung, sprich die Verbreitung dieser CD durch eine einfache Maßnahme vergrößern. Programm und Interpreten „verkörpern“ Internationalität, Multikulturalität und Weltoffenheit. Wieso hielt man es da nicht für nötig, die fremdsprachigen Texte nicht nur in englischer, sondern auch in deutscher Übersetzung zu präsentieren. So bleiben die Lieder uns im wahren Sinne exotisch und zum Teil fremd (Solo Musica SM 421). Peter Heissler