Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Ricardo Castros Oper „Atzimba“

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Die Oper Europas kannte den Topos der Azteken (bzw. der Incas) und und namentlich Montezumas seit den brutalen Feldzügen der Spanier unter Hérnand Cortez ab 1519. Die zwei Indio-Herrscher dieses Namens  (Moctezuma I und II 1390–1469 bzw. 1465–1520) gaben Anlass zu zahlreichen Dichtungen und Vertonungen (so an Opern 1733 Vivaldi, 1755 Graun (im Auftrag Friedrich des Großen), 1765 de Majo, 1771 Myslivecek, 1775 Sacchini, 1781 Zingarelli.  1809 komponiert Gaspare Spontini im Auftrag Napoleons I. seine spektakuläre Oper Fernand Cortez, die in ganz Europa erfolgreich war. In der Neuzeit folgten 1903 Sessions, 1987 Rihm, 2005 Ferrero und 2010 Adler.

Der mexikanische Komponist Ricardo Castro Herrera/ Wikipedia

Besonders folgenreich war der Roman von Jean-François Marmontel, Les Incas, ou la destruction de l’empire du Pérou, von 1777 in Paris, der den Prototyp des Edles Wilden setzte. Nach der europäischen Entdeckung und Eroberung Süd-Amerikas fand dieser Gedanke einigen Anklang; er nahm bereits in dem Epos La Araucana (um 1570) von Alonso de Ercilla y Zúñiga Gestalt an. Hundert Jahre später griff John Dryden die Idee wieder auf. Im 18. Jh. war der Philosoph Jean-Jacques Rousseau einer ihrer prominenten Vertreter, und  in der Romantik fand diese Vorstellung viele Anhänger. Schon Louis-Armand de Lom d’Arce, genannt Baron de Lahontan, ein Forschungsreisender in Neufrankreich, verknüpfte 1705 mit der Figur des „edlen Wilden“, seinem Gesprächspartner aus dem Volk der Huronen, und bot eine radikal sozialkritische und politische Sicht auf die Verhältnisse im alten Europa. Das Fremde dient also als Platform für die Kritik am Eigenen.

Der von Jean-Jacques Rousseau 1755 in seinem Werk Discours sur l’inégalité postulierte Naturzustand des Menschen wird im Allgemeinen als Ursprung dieses idealisierten Menschenbildes gewertet. Im Jahr 1771 erschien Louis Antoine de Bougainville ausführlicher Reisebericht seiner Weltumsegelung, Voyage autour du monde par la frégate du roi La Boudeuse et la flûte L’Étoile. In diesem Bericht stellte der Aufenthalt in Tahiti seine interessanteste Station dar, hier treffen die europäische Zivilisation mit der Kultur der Tahitianer zusammen, den „edlen oder guten Wilden“. Friedrich Melchior Grimm, damals federführend für die Correspondance littéraire, philosophique et critique verantwortlich, bat Denis Diderot, eine Buchbesprechung des Bougainville´schen Reiseberichts zu verfassen. Diderot entsprach diesem Wunsch, arbeitete aber die Rezension noch weiter aus zu einem Essay, Supplément au voyage de Bougainville 1771. Die Lederstrumpf-Romane von James Fenimore Cooper (erschienen 1823–1841) sind eines der ersten bekannten Werke, die das Konzept des „edlen Wilden“ literarisch verarbeiteten und gilt als klassisches Beispiel des „edlen Wilden“ in der Literatur.

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Zurück nach Lateinamerika: Il Guarany ist eine Oper („opera-ballo“) in vier Akten von Antônio Carlos Gomes von 1870 und gilt als die erste südamerikanische Oper mit indogenen Personal im Konflikt mit den Weißen. Die literarische Vorlage bildete der Roman O Guarani des Schriftstellers José de Alencar. Das Libretto wurde von Antonio Scalvini und Carlo D’Ormeville in italienischer Sprache verfasst. Il Guarany wird als erste große brasilianische Oper angesehen und ist dem romantischen Genre des Indianismo zuzurechnen. Sie ist von nationaler Bedeutung und auch über die Grenzen Brasiliens hinaus bekannt. Aber sie bietet wie eben alle anderen Dokumente dieser Art nur eine westliche, europäische Sicht auf die Geschichte Südamerikas, in Mailand geschrieben und dort erstaufgeführt. Und erst danach in Brasilien importiert, wo Gomes heute als Nationalkomponist gilt. In operalounge.de haben wir reichlich über Gomes berichtet.

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Ricardo Castro: „Atzimba“/ Chole Goyzueta war 1900 die erste Titelsängerin/ OBA

Diesen Aspekt gilt es zu berücksichtigen, wenn man sich der anderen „indogenen“ Oper des neunzehnten Jahrhunderts aus Mexico nähert, Atzimba von Ricardo Castro, 1900 in Mexiko-Stadt uraufgeführt, die im Folgenden vorgestellt werden soll. Kunst und Kultur in Südamerika bis zum Ende der 1880er Jahre ist immer importierte Kunst aus Europa, die mit einer Verspätung von rund 50 Jahren in den Kolonien der besetzten und von Europa gehaltenen Gebieten eintraf. Waren es zu Beginn die spanischen Jesuiten in der Folge von Cortez und seiner Soldateska, so wurde und war Musik und Literatur später neben Sprache, Wirtschaft und Militär das eigentliche Band zum Mutterland und wichtiges Instrument zur Bestätigung und Berechtigung der Identität der weißen Gesellschaft auf der anderen Seite des Ozeans. Eine Gesellschaft Mexikos oder Brasiliens (in der die Reinheit der spanischen/portugiesischen Abstammung  extrem wichtig war) im mittleren neunzehnten Jahrhundert versuchte fast sklavisch, europäische Standards, Regeln und Rituale Europas zu kopieren bzw. zu leben. Dazu gehören auch die Theater und Opernhäuser, die sich in fast allen mittleren und großen Städten des Kontinents finden. Wenn also die nachstehenden mexikanischen Autoren von der Funktion des Theaters und der Oper in dieser Zeit schreiben, dann ist es bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine Sicht der weißen Arroganz, eben der erzwungenen Anpassung der Indogenen an die post-spanischen, weißen Normen.

Ricardo Castro: „Atzimba“ 2014/ Szene/ (3MEXICO, D.F. A 8 DE ABRIL DE 2014.OPERA ATZIMBA. FOTO MARTIN SALAS)

Oper in Mexiko, schreibt der mexikanische Musik-Wissenschaftler Janitzio De la Concha Pichardo angesichts der Wiederaufführung der Oper Atzimba von Ricardo Costas 2014 im Palacio de las Bellas Artes von Mexico City, hatte viel mit der Neu-Gestaltung der Gesellschaft und dem, was heute als moderner Staat Mexiko bekannt ist, zu tun. Die damalige Vorstellung von Oper war mit der Idee der Zivilisation verbunden, um die ästhetische, theatralische, musikalische und literarische Sprache eines solch aufwendigen Spektakels zu verstehen, das perfekt mit der neuen (westlichen) Zivilisation übereinstimmte, die im neunzehnten Jahrhundert nicht nur in Mexiko dominant war (und ist). Die Bedeutung der Oper in Latein-Amerika zielte im Mexiko des 19. Jahrhunderts vor allem auf die Erziehung der Bevölkerung ab, die sich durchaus von bestimmten einheimischen Bräuchen (der prä-kolonialen Vergangenheit) lösen wollte (oder sollte), die in verschiedenen Gesellschaftsschichten als rückständig angesichts dieser sich allmählich entwickelnden Annäherung an Europa und den Westen angesehen wurden; in der Erwartung, dieses „Modell“ für Verhalten, Ideale und Leben zu verwirklichen.

Wobei sich die ketzerische Frage stellt, welche sozialen Gruppen eigentlich – damals wie heute – in die Oper gehen und ob diese Bemühungen zur Akzeptanz indogener und anderer Minderheiten eben diese erreichten oder nicht nur ein Feigenblatt einer sich zunehmend unwohl fühlenden Mehrheits-Gesellschaft angesichts der ausgebeuteten und aufbegehrender Gruppen dienten… Die Darstellung  indogener Minderheiten, Nachfahren der besiegten Azteken etc., zeigt diese natürlich als quasi-Europäer mit Bastrock, Goldschmuck und romantisch-bukolischem Hintergrund, wie sie bereits in der Aufklärung Europas gepriesen wurden: die „edlen Wilden“ im Rousseauschen Sinne. Mit der Realität haben diese Figuren so wenig zu tun wie Castorffs Penner mit dem schicken Publikum der Bayreuther Festspiele, das auf teuren Plätzen die Unterschicht beklatscht, der sie im Alltag lieber aus dem Wege gehen.

„La conquista de Michoacán“, Detalle del mural „La Historia de Michoacán“ (Juan O’Gorman, 1942)/ Biblioteca Gertrudis Bocanegra, Pátzcuaro, Michoacán.

Und welches Mexiko ist gemeint? Der lange Weg von den ausgeplünderten spanischen Besitzungen über das implantierte Kaiserreichs Maximilians bis zur Revolution eines Benito Juarez und Diaz über die ungeliebte Liebesgeschichte mit den USA und elender Militärdiktatur bis zum heutigen autonomen, demokratischen Staatsbegilde ist ein langer und steiniger (aber immer weißer!) gewesen. Kultur also im Sinne der ehemals Besiegten oder im Sinne des fernen Europas, dessen Kunstformen sich nationalen Veränderungen widersetzen, ist hier die Frage. Denn Oper ist und bleibt bis heute eine alte europäische Kunstform. Auch wenn mir da viele widersprechen werden.

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In der Welt des 19. Jahrhunderts sah das gehobene Bürgertum Mexikos in seinem neuen Empfinden für die eigene gesellschaftliche und politisch prekäre Position und vielleicht mit beginnendem schlechten Gewissen in puncto Indios die zivilisatorische (erzieherische) Funktion der Oper als eine ihrer wichtigsten. Theater und Opernhäuser waren sowohl Orte der Sozialisierung für Gesellschaft (i. e. Adelige und das obere Bürgentum) und Orte des künstlerischen Schaffens, an denen die diversen Künste zusammenkamen. Aber sie spielten auch und vor allem eine politische und ideologische Rolle bei der der Schaffung einer nationalen Identität.

Oper wurde ein Modell zur Beruhigung des schlechten Gewissens der (post-)kolonialen Gesellschaft benötigt, das die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen sollte (sicher nicht die indogene Minderheit, die nicht ins Theater ging): ein Gründungsmythos, der sie von einem gemeinsamen Ursprung, einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Richtung überzeugte, die sich von der anderer geografischer Gebiete und Kulturen unterschied. Diese (weiße!) Suche nach einer Identität kristallisierte sich in Brasilien Ende der fünfziger Jahre im Neunzehnten Jahrhunderts mit José de Alencar und seinem O Guarani (vertont von Carlo Gomes) – dem ersten Roman einer indigenen Trilogie, dem in den sechziger Jahren die Fortsetzungen Iracema und Ubirajara folgten. In Mexiko schlug der liberale Reformpolitker Ignacio Ramirez (* 22. Juni 1818 in San Miguel el Grande, Guanajuato; † 15. Juni 1879) in den 1860er Jahren vor, „alle Spuren vor der Eroberung Amerikas zu sammeln, zu erklären und zu veröffentlichen; die nationale Weisheit muss auf einer indigenen Grundlage aufgebaut werden“.

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Die beiden einzigen Opern Südamerikas im 19. Jahrhunderts mit einem indogenen Topos, O Guarany von Carlo Gomes 1870 und Atztimba von Ricardo Castro 1900, sind im 16. Jahrhundert angesiedelt und entwickeln ihre Argumente in einer (Entstehungs-)Zeit der angestrebten gegenseitigen gesellschaftlichen Anerkennung und aber auch der zunehmenden Kollision zwischen Europa und Amerika. Beide Werke drehen sich um eine antagonistische Liebesbeziehung. Obwohl Cecilia und der Indio Pery (in O Guarany) zusammenbleiben und die Möglichkeit haben, sich ein Leben in der Zukunft aufzubauen, muss Indio Pery zuerst seine Götter verleugnen und den westlichen Glauben anerkennen. Die Azteken-Prinzessin Atzimba erdolcht sich angesichts der Unversöhnlichkeit ihrer eigenen Volksgruppe, die den spanmischen Eindringling hasst und rituell opfert – Bellinis Norma und Verdis Aida grüßen..

Ricardo Castro: „Atzima“/ Rosa Rimoch sang die Titelfigur in der Wiederaufnahme 1952/ Wikipedia

In musikalischer Hinsicht haben beide Komponisten ihren Opern Lokalkolorit verliehen. Gomes enthält synkopische Rhythmen, Kontrapunkte und Triolen, die typisch für die „modinhas“ (das erste Genre der brasilianischen Volksmusik), zum Beispiel, wenn sich die Aimorés am Ende des zweiten Akts der Burg nähern und sie angreifen oder wenn ein Stammestanz aufgeführt wird, während der Aimoré Cecilia und Pery im dritten Akt im dritten Akt gefangen hält. Castro bezieht in Atzimba  originale Instrumente in die die Instrumentierung des Taraszenischen Tanzes und des Kriegertanzes mit ein (Muscheltanz und anderes – das Intermezzo aus der Oper bleibt bis heute eine beliebte Konzertzugabe). Der Gesangspart von Atzimba, der Hauptfigur, ist sehr anspruchsvoll. Zu Beginn schon hat sie eine Arie, die alle Elemente der großen Arien der europäischen traditionellen Opern jener Zeit enthält. Sie ist schwer zu singen, voller Melismen – aufeinanderfolgende Noten, die Verzierungen auf demselben Vokal bilden – an die „Casta diva“ Normas erinnernd, wie auch die Handlung die Verdische Aida streift..

Ricardo Castro: „Atzimba“/ Foto Aufführung 1900/ OBA

Atzimbas Partitur ist alles andere als einfach. Sie besitzt eine großbesetzte Orchestrierung, die oft an Gounod gemahnt. Es gibt einen Teil namens ‚Marcha Tarasca‘, in dem die Anfänge des musikalischen Nationalismus Mexikos zu hören sind. Aber im Allgemeinen ist die Partitur stark von der europäischen romantischen Oper beeinflusst. Atzimba, die mit wagnerianischen Anklängen die szenische Darstellung der Eroberung von Michoacán zeigt, ist genau die Mischung, die all diese Hinwendungen zu westlichen (i. e. europäischen) Einflüssen jener Zeit veranschaulicht, die aber gleichzeitig als idyllischer, ursprünglicher Nationalismus empfunden wurde und die heute mit Stolz als Hommage an den Komponisten und die mexikanische Oper betrachtet wird. Und da ein Teil seines Werkes stilistisch der Spätromantik zuzuordnen ist, kann man auch sagen, dass der Komponist mit der europäischen Musik seiner Zeit im Dialog stand und natürlich von ihr mehr als beeinflusst wurde..

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Ricardo Castro: „Atzimba“/ Foto Aufführung 1900/ OBA

Atzimba beginnt im Königspalast von Michoacán, wo aztekische General Hierepan (Bariton), der Anführer der indigenen Armee, mit dem Huépaclunar-Priester Huépac (Bass) spricht, der die unerwartete Anwesenheit der Weißen beklagt. Hierepan erklärt, dass Moctezuma, der Aztekenkönig, ein Feigling sei, der sein Kommando dem Feind überlassen habe. Huépac ermahnt seine Priester und Krieger, sich gegen die Invasion der bärtigen Weißen zu wehren. In der darauf folgenden Szene offenbahrt Hierepant Huépac, dass er die aztekische Prinzessin Atzimba (Sopran) liebe, aber er bemerkt habe, dass sie in den spanischen Kapitän Jorgebra (Tenor) verliebt sei. Huépac schwört, dass der weiße Mann getötet und dem Mondgott geopfert werden soll. Später stürmt dieser leidenschaftliche Spanier Jorgebra de Villadiego in Atzimbas Germach. Die Prinzessin, Schwester des Königs, fällt ihm in die Arme. Man hört Geräusche, Atzimba wähnt die Anwesenheit eines Spions und verhilft ihrem Liebhaber zur Flucht. Huépac findet die Prinzessin und droht ihr, er wisse von ihrer geheimen Affäre mit dem Feind. Atzimba offenbart ihre Gefühle für den Fremden und ihren Hass auf den Taraskanerkrieger Hierepant. Huépac beschimpft das Mädchen, nennt sie unanständig und lüstern, woraufhin Atzimba erwidert, er dürfe seine Stellung in der Hierarchie nicht vergessen, da er mit einer Prinzessin und Schwester des Königs spreche. Nach zahlreichen Handlungssträngen, die für die damaligen Opern typisch sind, wird der besiegte spanische Hauptmann zum Altar des Mondgottes geführt. Die Oper endet damit, dass Atzimba, verzweifelt über das Schicksal ihres Geliebten, Huépac den Opfer-Dolch entreißt und sich damit ersticht. Diese Wendung ist ein Referenz an die nationale Legende von Cuauhtémoc (der als letzter General gegen Cortez kämpfte), aber auch an das gewohnte Finale vieler europäischer Opern (wenngleich unterschiedliche Quellen andere Todesfinali berichten, 1900 wurde Atzimba offebar erst eingemauert/ Aida und dann oder gleich verbrannt/ Norma, der junge Mann geopfert – die Lage ist so unklar wie die Genesis der Oper selbst)..

Ricardo Castro: „Atzimba“/ der Librettist Alberto Michel/ Wikipedia mex.

Atzimba wurde am 20. Januar 1900 im Arbeu-Theater von einer spanischen Zarzuela-Truppe in spanisch uraufgeführt. Die Kritik lobte das Werk von Castro und Michel, kritisierte aber die begrenzte Leistung der Kompanie: „Großartig, offen, spontan, riesig und lärmend beschreiben den Triumph des gestrigen Abends, den die Autoren von Atzimba. Der Enthusiasmus des Publikums war von Anfang an überwältigend […] Allerdings war die Interpretation jedoch schlecht […] Luján war kalt, verstimmt und kannte kein einziges kein einziges Wort seiner Rolle […] Parra, ungeheuerlich ignorant, und Valdivieso, fade und schlaksig, hatten die schlechtesten Leistungen des Abends“. Und eine andere Quelle schreibt: “ Der Erfolg der Oper bescherte Alberto Michel und Alejandro Cuevas einen Erfolg für Alberto Michel und Alejandro Cuevas, Autoren der Texte, und Ricardo Castro, Komponist der Musik der Musik. Die Handlung gliedert sich in zwei Akte und sechs Szenen. Der patriotische Teil der Geschichte wurde mit Fingerspitzengefühl behandelt, um nicht in lächerliche Übertreibungen Übertreibungen. Sechs prächtige Dekorationen von Solórzanos Pinsel erhielten einhelligen Beifall. Castro schrieb keine Ouvertüre nach dem System der modernen Komponisten, nur ein paar Takte vor au lever du rideau, wie die Franzosen sagen würden. Dieser immense Vorteil kann von denjenigen von uns geschätzt werden, die Giordanos Opern Fedora und Andrea Chénier gehört haben Chénier gehört haben. Die Instrumentierung ist äußerst delikat, dem System folgend, das von dem gerade erwähnten erwähnt. Die Nummer, die dem Publikum am besten gefiel das Publikum am meisten erfreute, war das Intermezzo aus dem zweiten Akt, denn es denn es verdiente die Ehre der Zugabe. R. N. Montante  in Diario del Hogar, 14. November,1900; übersetzt mit www.DeepL.com)

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Ricardo Castro: „Atzimba“/ Leandro Diaz als Hierapan 1900/ OBA

Mit dem Triumph von Atzimba sagten die Kritiker eine glänzende Zukunft für den Musiker voraus. Am 1. Februar und 23. April 1900 wurde Atzimba erneut im Arbeu-Theater aufgeführt. Für die Aufführung durch die Italienischen Truppe Sieni-Pizzorni-López und um eine größere internationale Ausstrahlung zu erreichen, wurde das Libretto bearbeitet und ins Italienische übersetzt, und am 10. November 1900 fand die „endgültige Premiere“ im Principal Theatre statt. Trotz seines offensichtlichen Erfolgs blieb das Werk 28 Jahre lang unangetastet, bis am 16. September 1928, der Regisseur José F. Vasquez es im Palacio de Bellas Artes neu inszenierte. Es wurde am 3. August 1935 am selben Ort wiederaufgeführt, im Juli 1952 dann zum letzten Mal (mit der berühmten Sopranistin Rosa Rimoch und dem Bariton Roberto Silva unter Leitung von José F. Vázquez im Palacio della Bellas Artes von Mexico City – eine Radioaufnahme ist in einem kurzen Ausschnitt bei youtube zu hören). Erst 2014 gab es eine (spanischsprachige)  Wiederbelebung. Einer der Gründe, warum Atzimba nicht mehr aufgeführt wurde, ist der, dass der zweite Akt unter noch unbekannten Umständen verschollen war. Die nationalistischen Revolutionäre wollten, dass diese bahnbrechende Oper für immer verloren ging.

Denn zu dieser Zeit war Carlos Chávez der Direktor des INBA (Nationalen Theaters), und die gesamte Musik der Spät-Romantik wurde abgelehnt, galt als bürgerlich und nicht korrekt.  Chávez verabscheute aus ästhetisch-politischen Gründen die Musik der mexikanischen Spät-Romantik aus der Zeit des „Porfiriato“ (ein Begriff, der von dem mexikanischen Historiker Daniel Cosío Villegas für die Zeit geprägt wurde, in der General Porfirio Díaz Mexiko als Präsident im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an der Macht war. Die betrügerischen Wahlen von 1910 werden gewöhnlich als das Ende des Porfiriato angesehen. Gewalt brach aus, Díaz musste zurücktreten und ins Exil gehen, und Mexiko erlebte ein Jahrzehnt des regionalen Bürgerkriegs, die Mexikanische Revolution.) Chávez hielt sich für den authentischen Übersetzer indigener Impulse und einheimischer Klänge in kultivierte (i. e. offiziell gesellschaftlich anerkannte) Musik. Atzimba war nicht opportun, sie galt als „reaktionär“, weil der spanische Eroberer hier der galante Tenor war und die indigenen Häuptlinge unsympathisch und verschlagen. Man meint mit einiger Sicherheit, dass Chavez es war, der den zweiten Akt der Oper hat verschwinden lassern.

Pedro Peres, Elevação da cruz em Porto Seguro, Bahia, 1879 Museu Nacional de Belas Artes, Rio de Janeiro (imagem cedido pelo museu)

Auf 7. Februar 2014 wurde die restaurierte dreiaktige Atzimba im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstages des Komponisten im Theater Ricardo Castro de Durango wiederaufgeführt. Der Komponist Arturo Márquez war für die Orchestrierung der verlorenen Fragmente und Passagen auf der Grundlage eines Klavierauszugs verpflichtet worden.

Die Bearbeitung der Atzimba (2014) konnte zusätzliche künstlerische Ausdrucksformen in die Wiedergabe integrieren, die dann in einer interdisziplinären Präsentation die theatralische, tänzerische, musikalische und mexikanische Komposition der Entstehunjgszeit hervorheben sollte. Bei der Rekonstruktion dieses zweiten Aktes ist es interessant zu wissen, dass Arturo Márquez die europäische Formel auf eine etwas andere Art und Weise als Castro verwendete, indem er die westliche Musik als Grundlage nahm, aber in hohem Maße versuchte, die traditionellen Rhythmen und Melodien, die zu Zeit der originalen Komposition als populär bezeichnet wurden, hervorzuheben, wie sie die das Mexiko des 19. Jahrhunderts aber hinter sich lassen wollte, um die ersehnte kosmopolitische Anbindung an die transatlantische Welt zu erreichen. (…)

Der Komponist Ricardo Castro am Klavier neben seiner Frau/ Wikipedia mex.

Der Komponist Ricardo Castro  (* 7. Februar 1864 in Durango, Mexiko; †28. November 1907 in Mexiko-Stadt) war einer der bedeutendsten mexikanischen Komponisten der Spät-Romantik, der sich von Jugend an in diese aufbrausende Kultur und Entwicklung einfügte, die der Staat hervorheben wollte, nicht nur wegen seines Talents, sondern auch wegen der Musik, die er komponierte, in der der Einfluss mancher  europäischer Komponisten deutlich spürbar war, die ja das künstlerische, soziale und ästhetische Vorbild waren, dem man folgen wollte.

Das Werk Ricardo Castros war vielfältig und umfasste Kompositionen für Klavier, Polonaisen, Mazurken, Capricen, Kammermusik, zwei Konzerte, eine Sinfonie und fünf Opern. In Mexiko (1902) wurden unter der Militärherrschaft von Porfirio Díaz, um das Bild des Landes im Ausland zu verbessern, einige Künstler nach Europa geschickt, darunter Ricardo Castro. Diesem es gelang, hochrangige Freundschaften zu schließen (wie zum Beispiel mit Camille Saint-Saëns), die ihn dabei unterstützten, Konzerte in angesehenen Konzertsälen des alten Kontinents zu geben. Dort lobten Kritiker ihn als Pianisten und zeigten gleichzeitig Interesse an seinen Kompositionen, so das Klavierkonzert und Fragmente der Oper Atzimba wie das „Intermezzo“ und der „Heiliger Marsch“ .

Ricardo Castro: Montezuma/ Gemälde von Jsér Maria de Medeiros, 1878/ Wikipedia mex

Castro studierte Komposition bei Melisio Morales und Klavier bei Julio Ituarte. Seit 1882 feierte er als Pianist Erfolge in New Orleans, Washington, D.C. und New York. 1892 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Sociedad Anónima de Conciertos. Seit1902 lebte er in Paris, wo er die Pianistin Cécile Chaminade kennenlernte und von wo aus er die Konservatorien in Berlin, London, Brüssel, Rom, Mailand und Leipzig besuchte. Für den belgischen Cellisten Marix Loevensohn komponierte er 1904 die Concertos pour pianos et violoncelles . Außerdem schrieb er eine Sinfonie und eine sinfonische Dichtungen, ein Klavierkonzert, Opern ( Atzimba, 1900/ youtube 2014 und La Leyenda de Rudel/youtube 2021, 1906 sowie Satán vencido und La Rousalka) sowie zahlreiche Klavierwerke. Geerd Heinsen.

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Wie immer hat ein Bericht über unbekannte Opern viele Väter. Diese sind in diesem Fall der Musikwissenschaftler Janitzio De la Concha Pichardo (La princesa tarasca; “Atzimba” Opera, drama y narración histórico-cultural. » in Las nueve musas) und Jaime Aldaraca Ferrao (Under the Designs of Gods_ Il Guarany and Atzimba, 1920 Rio de Janeiro, v. X, n. 1, Jan./jun. 2015) deren Aufsätze die Grundlag ebenso  meines Artikels über Ricardo Castros Oper Atzimba bildeten wie auch mehrfache Blicke in die mexikanischen Seiten von Wikipedia; allen und dem Chefredakteur  von Las Nuevas Musas, José Rico, sei hiermit gedankt. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Paolo Silveri

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Durch Zufall fiel ich bei Durchsuchung von youtube über den alten Portatore d´Aqua/ I due Giuornate Cherrubinis. Und die markanteste Stimme in dieser streng historischen, zudem in Italienisch gesungenen, entzückenden RAI-Aufnahme aus den Fünfzigern war die von Paolo Silveri, einem von mir schon immer  geliebten Bariton jener Jahre. Grund also für einen Rückblick auf ihn und auf Verfügbares mit ihm.

Bei Warner/Cetra sind (neben Naxos und Bongiovanni) Wiederauflagen mit dem italienischen und heute vergessenen Bariton Paolo Silveri erschienen, so der spannende Simon Boccanegra und auch der gebieterische Nabucco, Don Carlo oder eine Tosca, Arlesiana, Favorita, ehemals von Opernsammlern meiner Generation in der Fabbri-Serie am italienischen Kiosk (in Mailand, gleich neben der Scala) erstanden, wohin man pilgerte, um diese wunderbaren Opernausgaben mit den bunten Beiheften plus LPs/ später CDs zu erwerben. Alles damals für uns eine terra incognita, von der man in Deutschland nicht einmal Kenntnis hatte. Cetra-Aufnahmen wurden so gut wie nie zu uns importiert, wenngleich man sehr gelegentlich diese wie auch die eher im kleinen Berliner-Grenzverkehr verfügbaren Russenkästen nach Leim riechenden Originalausgaben ergatterte – ich erinnere mich an die Norma mit der Cigna oder an eine Paisiello-Nina mit buntem Bild und grünem Leim-Einband, mörderisch teuer, in der Zeit, als ich bei Bote & Bock im Berliner Europacenter LPs/ CDs verkaufte.

Überhaupt müssten wir mal einen Artikel über die Freuden des alten LP-/CD-Marktes machen, auf dem es im Ausland sehr viel mehr gab als im kargen westlichen Deutschland, weit vor den grauen Firmen wie Melodram, Arcadia oder Myto. Wer erinnert sich noch an LPs der Firmen Morgan (mein erster Callas-Macbeth), BJR (toll ausgestattet) oder LR; MRF? Die meisten ersten Live-Aufnahmen kamen aus den USA. Die Brüder Gonzales hatten sogar Mikrophone in den Met-Panelen installiert, die bei Wartungsarbeiten entdeckt wurden.

In Italien gab es die zum Beispiel wunderbare alte Monteverdi-Popea unter Ewerhart (ehemals Vox), auch eine italienische Zauberflöte mit der Jurinac oder eine Turandot mit der Grob-Prandl (ehemals Remington) ebenso wie Übernahmen aus dem tschechischen Programm, so eine Bohéme mit dem betörenden Bariton Gianni Maffeo (Bohème), auch Aufnahmen mit der bezaubernden Margherita Rinaldi (Lucia oder Idomeneo neben Leyla Gencer), Adriana Guerrini (Gioconda-Querschnitt), Margherita Guglielmi (Lucia); geistliche Musik von Angelicum Mailand mit Petre Munteanu, Wanda Madonna oder Adriana Lazzerini. Und und und ….

Anders als heute im gleichgeschalteten Europa boten die Ricordi-Shops oder die Schallplattenläden in Bologna (damals schon Bongiovanni), Pesaro, Martina Franca (lange Jahre ein Grund zur Anreise), San Marino oder Rom Ungeahntes, Nationales. Eben LPs von kleineren Firmen, die die cisalpinen Nordländer nicht erreichten.  Heute steht überall das Gleiche, Langweiliges, fast nur noch all zu bekannte DVDs. Damals waren die nationalen Märkte (vor allem auch Großbritanien) lohnende Ausflugsziele zum Stöbern (niemand wird die schmutzigen Keller mit dem zerrissenen Pappkartons voller LPs in der Londoner Duke Street vergessen, natürlich auch kein Transatlantik-Reisender den Sesam-Laden von Sam Goodies oder Tower Records in New York und San Francisco… oder die Cut-out-Lager ebendort)  Ach ja, che tempi passati.

Paolo Silveri neben Maria Callas und TullioSerafin nach „Il Trovatore“ an der Scala/ Fabbri

Zurück zu Paolo Silveri, meinem Italo-Bass-Bariton-Schwarm. Denn von seiner Stimme bin ich seit meinen Studententagen besessen, seit ich während meiner Tätigkeiten als Sprachcoach (u. a. Zauberflöte mit Kiri Ke Tanawa bei starker Resistenz gegen deutsche Rachenlaute wie in ich und Nacht)  an der Santa Fé Sommeroper bei Freunden  diese vom Material her hochverdächtigen LPs der Cetra- US–Tochter Everest kennenlernte –  LPs in den weiß-goldenen Boxen, meist leicht gewellt, extrem schlecht gepresst (ganze Baumstämme ruinierten die Nadeln), mit krude getipptem Beiheft versehen.  Das Repertoire umfasste neben der Mödl-Elektra weitgehend die Cetra-Serie der italienischen Rundfunk-Opern-Gesamtaufnahmen, namentlich die Verdi-Einspielungen von 1951 zum 50. Todestag des Komponisten. Sie gehörten zu meinen ersten eigenen Schätzen, haben sie doch meinen Musikgeschmack prägend italienisch gesungen und waren eben so wohlfeil, dass ich sie mir leisten konnte und schwerbepackt mit nach Hause schleppte (Übergewicht war damals noch teurer als heute). Auf mein Drängen importierte sie danach das Electrola-Musik-Haus auf dem Berliner Ku-Damm, wenn auch irre teurer. Dort walteten Herr von Malottky und sein „Bekannter“ Herr Teppich (mit Toupée), beide liebevoll uns Jungen zugewandt., sodass man ganze Opern an der Kopfhörerbar durchhören konnte, ohne sie kaufen zu müssen (sogar den ganzen Pelleas mit der De los Angeles auf Odyssee, eine Leistung). Was für Erinnerungen!

Paolo Silveri neben Sophia Loren in dem „Favorita“-Film der RAI/ RAI

Paolo Silveri gehört zum eisernen Bestand der Verdi-Renaissance in Italien, und seine männliche, unverkennbar virile, körnige und hoch-individuelle Baritonstimme mit ihrer dunklen Färbung und auch etwas nasaler Tongebung in der leicht erreichten Höhe machte mich einfach „an“, bis heute. Es ist ja mit dem ersten Hören immer so eine Sache. Man ist von ersten Erfahrungen besonders geprägt. Und Silveris Doge Simon Boccanegra (neben dem gerade in Tenorfach gewechselte Bergonzi und der ganz jungen Stella) hat eben dieses gewisse Etwas, das mir unter die Haut geht: die Noblesse, die animalische Direktheit, das Pathos, die Menschlichkeit – später für mich mit der Wirkung Ingvar Wixells vergleichbar. Silveri besitzt nicht die Eleganz eines Bastianini oder den infamen Gestaltungswillen eines Gobbi. Angesichts der Weltkarrieren seiner Mitbewerber wie eben Gobbi, Bastiani, Panerai und anderer, später der vielen Amerikaner, sind seine weltweiten Auftritte umso erstaunlicher. Er singt – wie viele seiner Kollegen aus jenen Jahren – unverstellt und mit weniger Raffinement, dafür mit jenem „Herz“, jenem direkten Engagement, das sich bei Catarina Mancini, Maria Vitale, Giacinto Prandelli, Mirto Picchi aber auch bei Anita Cerquetti oder Gino Penno und so vielen anderen italienischen Stimmen der Zeit findet: eine unverstellte Leidenschaft und eine Wahrheit des Ausdrucks.

Die immense Kraft und unter die Haut gehende Virilität dieser nachdrücklichen Stimme sind nicht eben üppig, aber doch ausreichend dokumentiert. Der Simon Boccanegra mit der ganz jungen Antonietta Stella und dem nicht minder jugendlichen Carlo Bergonzi in einer seiner ersten Partien beim Rundfunk wurde bereits erwähnt. Auf Cetras Don Carlo mit Maria Caniglia ist er der Posa. Einige weitere Gesamtaufnahmen wie die Arlesiana und andere gibt es auch dort (alle Warner inzwischen, die sehr früh die Cetra aufkaufte). Bei Melodram-LP fand man den Trovatore mit Callas, Silveri und Lauri Volpi sowie heute bei Warner live die Callas- Alceste, auf der Silveri den Gran Sacerdote gibt. Beim Falstaff de Sabatas (Warner, Nuova Era u. a.) ist er als Ford zu hören. In einer Carmen mit Rise Stevens unter Fritz Reiner macht er den Escamillo (m. W. nur bei ehemals Cetra Opera Live als LP). Nur als LP hatte Cetra Opera Live eine Tosca mit ihm und der unterrepräsentierten Guerrini. Die abenteuerlicher Favorita von 1952 (Film der RAI bei Hardy, youtube) sollte man sich beim Ferienaufenthalt gönnen; es spielt neben Silveri eine gewisse Sofia Lazzaro, die sich als die später berühmte Loren herausstellt (was für ein Busen im machtvollen BH), dazu singen Palmira Vitali Marini und Piero Sardelli. Der Cetra-Nabucco stand am Kiosk in der Serie von Fabbri Editori (und hat die fulminante Catarina Mancini als Partnerin) und ist bei Warner herausgekommen. Melodram, Mailand, verfügte noch über das Doppel-LP-Album mit Auszügen aus Silveris Schaffen, darunter sein Boris, Otello und Don Giovanni – alles live. Die absolut wahnsinnige erste Gioconda-Aufnahme der Callas bei Cetra (von 1952, ebenfalls Warner, besser bei Naxos) hat ihn als maßstabsetzenden Barnaba (leider auch Gianni Poggi als Enzo). Seine RAI-Favorita mit Simionato und Poggi ist ebenfalls bei Warner. Bongiovanni, die Tüchtigen, haben ihm ein-zwei Recital-CDs gewidmet. Ein  Tauschfreund schenkte mir seinen Macbeth live aus Montevideo, aus Dublin (wo er Künstlerischer Direktor war)  gibt es einen Otello, an der Met, London und andernorts sang Silveri erfolgreich den Don Giovanni (in New York neben der Welitsch). Youtube hat vieles von ihm. Und Kenner fahnden nach dem EMI-Recital von 1953, das im Wesentlichen die genannten Partien, aber auch den machtvollen Posa, den Re de Lahore und vor allem seinen bewegenden Gugliemo  Tell enthält. Bewegend: Das ist vielleicht die beste Beschreibung für die Wirkung dieser schönen Stimme. Geerd Heinsen

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Paolo Silveri als Scarpia an der Scala/ Künstlerpostkarte

Dazu ein Auszug zu Paolo Silveri aus dem tapferen Wikipedia: Paolo Silveri (* 28. Dezember 1913 in Ofena; † 3. Juli 2001 in Rom) war ein italienischer Opernsänger (Bariton) und Gesangspädagoge. Silveri begann seine Gesangsausbildung bei Don Diego, einem Franziskaner aus Capestrano und ging dann nach Rom, wo er bei Luigi Perugini studierte. 1933 wurde er zum Militärdienst einberufen. Wegen einer Verwundung entlassen, setzte er seine Ausbildung bei Perugini fort und studierte an der Accademia di Santa Cecilia bei Riccardo Stracciari. 1939 debütierte er halbprofessionell am Teatro dell’Opera di Roma als „Hans Schwarz“ in Die Meistersinger von Nürnberg. Mit Unterstützung von Nazzareno De Angelis konnte er seine Ausbildung an der Accademia di Santa Cecilia fortsetzen. Auf Anraten von Beniamino Gigli wechselte er 1943 vom Bass- zum Baritonfach und debütierte im Folgejahr am Teatro dell’Opera als „Germont“ in La traviata.

In den Folgejahren trat er vor allem in Theatern Süditaliens in Opern wie Il trovatore, Rigoletto, Der Barbier von Sevilla, La Wally, Tosca und Pagliacci auf. Mit dem Ensemble des Teatro San Carlo in Neapel gastierte er 1946 an der Covent Garden Opera, wo er im Folgejahr in der ersten englischsprachigen Aufführung von Rigoletto auftrat. Am Teatro alla Scala debütierte er 1949 als Vertretung für den erkrankten Gino Bechi in Il Trovatore. Er gehörte dem Ensemble der Oper bis 1955 an und spielte u. a. in Faust, I puritani, Otello, Carmen, Andrea Chénier und Lucia di Lammermoor.

An der New Yorker Metropolitan Opera debütierte Silveri 1950 unter der Leitung von Fritz Reiner als Don Giovanni und hatte so großen Erfolg, dass er einen Vertrag für die folgenden drei Saisons erhielt. 1959 sang er in Dublin mit Otello zum einzigen Mal eine Tenorrolle. Neben seinen Bühnenauftritten sang Silveri mehrere Gesamtaufnahmen von Opern auf Schallplatte, darunter La traviata, Don Carlo, Nabucco, Simone Boccanegra, L’Arlésienne, Tosca und La Gioconda (mit Maria Callas). 1967 zog er sich von der Opernbühne zurück und unterrichtete dann an der Accademia di Santa Cecilia in Rom und an der Royal Academy of Music in London. Quelle Wikipedia   

Klaus Weise

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Mit Bedauern hörten wir vom Tode des deutschen Dirigenten Klaus Weise am 4. September im Alter von 86 Jahren in Cagnes-sur-Mer. Er wurde am 30. Januar 1936 in Pommern geboren und begann seine Karriere in Trier, bevor er nach Kiel ging, wo er von 1981 bis 1985 Musikdirektor des Theaters Kiel war und 2001 und 2007 als Gastdirigent an die Kieler Philharmonie zurückkehrte. Von 1985 bis 1990 war er Musikdirektor der Dortmunder Philharmonie und von 1990 bis 1997 Chefdirigent der Opera de Nice. Als freiberuflicher Dirigent arbeitete Weise mit der Königlichen Dänischen Oper, der Königlichen Schwedischen Oper, der Opera National de Bordeaux, der New York City Opera und der Chinesischen Philharmonie in Peking zusammen. Von seinem Posten als Chefdirigent der Staatskapelle Halle trat er 2007 nach einem Streit mit dem Orchester zurück, woraufhin er eine Reihe von Dirigaten in der Türkei und in Asien übernahm (Foto Archivportal).

Daniele Barioni

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Der italienische Bariton/Tenor Daniele Barioni (* 6. September 1930 in Copparo, Italien) starb am  5. November 2022.  Zu Karrierebeginn als Bariton tätig, sang er in der Folgezeit als Tenor. 1949 debütierte er am Mailänder Circolo Italia in einem Konzert, an dem auch die chilenische Sopranistin Claudia Parada teilnahm. 1954 gab er sein Opern-Debüt am Teatro Nuovo in Mailand in der Rolle des Turiddu in der Oper Cavalleria rusticana. Am 20. Februar 1956 trat er dann erstmals in der New Yorker Metropolitan Opera auf, als er den Cavaradossi in der Oper Tosca an der Seite von Delia Rigal und George London sang. Insgesamt war er sieben Jahre lang in 54 Auftritten für die New Yorker Oper tätig und beendete seine Zeit dort mit der Rolle der italienischen Sängers in Der Rosenkavalier.

In seiner Karriere folgte neben weiteren weltweiten Auftritten auch die Mitwirkung im italienischen Film Carosello di Canzoni. 1966 sang er an der Mailänder Scala den Turiddu und Pinkerton in Madama Butterfly (unser Foto/Piccagliani). Bis 1975 war er ebenfalls weiter regelmäßig in verschiedenen US-amerikanischen Städten musikalisch aktiv.

Zu seinen weiteren Rollen gehörten: Alfredo in La traviata (u. a. 1958 an der Met mit Maria Callas), Dick Johnson in La fanciulla del West, Ismaele in Nabucco, Macduff in Macbeth, Loris in Fedora, die Titelrolle in Andrea Chénier, Edgardo in Lucia di Lammermoor, Calàf in Turandot und Enzo in La Gioconda. Youtube hat vieles davon, Aufnahmen findet man bei Discogs.

Er trat am 18. Juni 1966 als Gast in der deutschen Fernsehshow Einer wird gewinnen auf. Zwischen 1975 und 1980 wurden seine Auftritte seltener. Im Jahre 1981 gab er, mit Renata Tebaldi als Partnerin, sein letztes Konzert im Teatro Comunale in Ferrara. Hier erhielt er den Premio Frescobaldi 1980. (Wikipedia)

Cherubinis Oper „Les Abencérages“

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Eine meiner Lieblingsopern im Kanon der „post-napoleonischen“ Opern waren die Abencérages von Luigi Cherubini, 1813 an der Pariser Opéra mit Erfolg aufgeführt und so gut wie vergessen, bis Peter Maag eine originalsprachige konzertante Aufführung für die RAI Mailand 1975 organisierte, die als Generalprobe für eine leider nicht zustande gekommene Aufnahme bei Decca dienen sollte (Arts-Ausstattung mit mehrsprachigem Libretto, dto. Aufsätzen und bestem Radio-Sound).

Dennoch ein caveat. Mich beschlich beim erneuten Hören, auch der nachstehend neuen und endlich  idiomatisch besetzten Aufnahme vom Palazetto doch eine gewisse Langeweile ab der Mitte der ersten CD. Liegt es am Konzertanten? Aber man findet auch Einschränkungen bei der alten RAI-Aufnahme, deren Französisch in Teilen wegen des Italienisch-spanischen Kontingents auch eingeschränkt zu nennen ist. Vielleicht liegt es aber auch an der Oper selbst, die nicht so zündend ist wie Cherubinis Médée oder die Lodoiska? Schwer zu sagen. Vielleicht entzieht sich dieser eher repräsentativ-statuarische Plot mit der entsprechend repräsentativ-statischen Musik unseren modernen Ohren eher als die action-story der Kindsmörderin mit ihrer vorwärtsjagenden Dynamik. Erneutes Hören und heiße Erwartung ist eben auch mit leichter Enttäuschung gekoppelt.

Mit der betörenden Margherita Rinaldi und den beiden (einzigen) Franzosen Jean Dupuy (schmelzend als Troubadour in der amputierten Ballettmusik)  sowie Jacques Mars hervorragend besetzt (naja, der grobe Francisco Ortiz hätte an seinem Französisch arbeiten müssen) und mit wenigen Strichen hervorragend musikalisch wiedergegeben war es RAI-Aufnahme (zuerst Melodram, später bei Arts in bestem Stereo), die mich durch mein musikalisches Hören begleitete und mich immer wieder zu dieser Oper zurückkehren ließ.

Cherubinis „Abencerragi“ mit Anita Cerquetti/ Maggio Musicale Fiorentino Edizione

Natürlich hatte man die italienische, drastisch gekürzte Bastardfassung aus Florenz 1957 mit der hinreißenden Anita Cerquetti im Schrank (LP Cetra live und später nun in absolut erstaunlichem Sound vom Florentiner Theater direkt auf CD, worüber ich bereits bei operalounge jubelte). Und der geneigte Leser weiß, dass Anita Cerquetti eine der wenigen meiner Säulenheiligen ist. Über die ich nichts kommen lasse. Aber sie ist hier in der falschen Oper, wenngleich natürlich ihre stimmlichen Auftritte betörend cremig und reich an Pathos sind. Nur eben klingt die Oper durch die zeitgenössische Übersetzung eher wie von Cimarosa. Und der Tenor Louis Rooney ist kein  Gewinn. Das Idiom ist ganz entscheidend bei diesen französischen Werken. Auch die übrige Besetzung (Mario Petri et al) mulmt so vor sich hin, wenngleich Carlo Maria Giulini einen flotten Drive einlegt und die ohnehin sich leicht versandende Musik vorantreibt. Nur wegen der Cerquetti konservierbar.

Und als Einzelarie für Tenor, „Suspendez à ces murs… J’ai vu disparaître“, kennt man ja die Aufnahmen von Roberto Alagna, Guy Chauvet, Georges Thill und  anderen, die erstaunlicherweise diese noch im Repertoire haben/hatten.

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Aber man muss wieder einmal der italienische Rundfunkanstalt RAI und dem Maggio Musicale für ihre Entdeckungsfreude danken. Dort wurden in den Fünfzigern bis Siebzigern Opern von Cherubini, Spontini, Paer und anderen aufgeführt und die Hinterlassenschaft des bourbonischen Königshauses von Neapel (dem Bruder Napoleons) gewürdigt, das die bejubelten Opern aus Paris für die eigenen Entertainments am Hofe Neapels importierte. Es ist dieser Periode zu verdanken, dass sich die französischen Opern namentlich der napoleonischen Epoche dort gehalten haben. In italienischer Übersetzung zwar, aber dadurch gingen sie auch in das „normale“ italienische Opernrepertoire ein, das bis heute gepflegt wird. Die Nachkriegsepoche brachte für Italien dann wieder diese Fast-Entdeckungen, wie sie das Maggio Musicale vor allem präsentierte (Fernand Cortez oder eben auch Les Abencerages), die Scala folgte (Gluck/ Callas), andere Bühnen dann mit dem französischen Verdi und Donizetti (Gencer etc).

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Nun also gibt es eine Neuaufnahme der Les Abencérages ou L’Étendard de Grenade in der originalen Dreiaktfdassung von 1813, aus Budapest 2021, die bereits als optischer Stream im Netz konzertant zu erleben war und in deren Umfeld die Aufnahme vom Palazzetto zustande kam (Co-production Palazzetto Bru Zane / Orfeo Music Foundation / Haydneum / MÜPA).

Es gibt die komplette Ballettmusik (endlich und bei Neuaufnahmen eigentlich selbstverständlich) mit schöner Troubadour-Einlage, es gibt die Aufmärsche und großen Chöre. Dennoch beschleicht mich gelegentlich Langeweile. An den Sängern liegt es nicht.  Die vokale Besetzung ist herragend, auch das exzellente Französisch. Als Noraime bezaubert Anais Constans mit leuchtenden Höhen und schönem, vollem Ton. Edgaras Montvidas ist ein bewährter Palazzetto-Tenor und macht viel aus dem Liebhaber Almanzor, könnte vielleicht etwas geschmeidiger und etwas stürmischer sein. Immerhin ist er der Liebhaber vom Dienst. Ganz kleine Ermüdungserscheinungen sind nicht zu überhören. Aber er ist in der Tat ein gestandener Held und überzeugender Verfechter seines (muslimischen Opern-)Glaubens.  Artavazd Sargsyan gibt dem spanischen Krieger Gonzalve (dessen Großzügigkeit zum lieto fine führt) viel „christliche“ Kraft und doubliert mit Schmelz als Troubadour in der Balletteinlage. Mit Thomas Dolié, Tomislav Lavoie, Douglas Williams und Philippe-Nicolas Martin sind die fiesen Feinde Almanzors hervorragend besetzt. Lóránt Najbauer tritt erfreulich in kleineren Partien auf, begleitet von Adriána Kalafszky als regionale servante. György Vashegyi am Pult des Orfeo Orchestra und des etwas leidenschaftslosen Purcell Choir könnte mehr an nötigen Drive bei dieser Oper hinlegen, die von den beiden anderen Dirigenten-Kollegen mit mehr Elan, mehr Überzeugung voran getrieben wird. Aber die neue Palazzetto-Einspielung ist unbedingt habenswert auch wegen der wie stets luxuriösen Ausstattung mit zweisprachigen Libretto (wie stets kein Deutsch) und dto. Aufsätzen von Alexandre Dratwicki, Raúl González Arévalo und Jean Mongrédien. Mich begeisterte die selten gehörte Ballettmusik … Aber drei CDs können eine lange Strecke sein, man hört sie am besten in Portionen. G. H.

 

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Cherubinis „Abencérages“ – Kostüm für den ersten Almanzor, Louis  Nourrit, zur Uraufführung in Paris 1813/ BNF Gallica

Les Abencérages markiert die Rückkehr des Komponisten zur Oper nach zehn Jahren der Stille. Cherubini arbeitete mit dem Librettisten Étienne de Jouy zusammen, der sich von Jean-Pierre Claris de Florians Roman Gonzalve de Cordoue inspirieren ließ. Die Ehe von Almansor und Noraïme, beide vom Stamm der Abencérages, wird durch den feindlichen Stamm der Zégris bedroht, deren Häuptling ebenfalls in Noraïme verliebt ist. Die Zégris denken sich eine List aus, um Almansor absetzen zu lassen. Der zu Unrecht angeklagte Almansor wird dank des Eingreifens von Gonzalve de Cordoue (Gonzalvo de Córdoba) wieder in seiner Ehre bestätigt. Das Werk hatte einen gewissen Erfolg (fast zwanzig Aufführungen – nach einer glänzenden Uraufführung unter der Leitung von Louis Luc Loiseau de Persuis, bei der das Kaiserpaar auftrat), geriet aber nach dem Untergang des Kaiserreichs in Vergessenheit. Dennoch ist Les Abencérages ein Juwel der französischen romantischen Grand Opéra, wie sie damals mit den Werken von Catel, Le Sueur und Spontini aufkam. Die Oper ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer einiger der größten Werke des Genres: durch die Bedeutung der Entwicklung in der Partitur (vielleicht unter dem Einfluss der jüngsten Entdeckung von Beethovens Symphonien in Paris); durch die Suche nach Klangfarben für dramaturgische Zwecke, indem die Holz- oder Blechbläserfanfaren des Orchesters mit der Lyrik der Soloinstrumente kontrastiert werden; durch die sehr komplizierte Verbindung zwischen der Liebesgeschichte und der großen historischen Erzählung (Jouy verankert die französische Grand Opéra in einem ständigen Bezug zur Geschichte); schließlich durch die Bedeutung des Chors, dessen Rolle, obwohl weniger dekorativ, eine dramatischere Funktion erhält.

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Der Komponist Luigi Cherubini/ Wikipedia

Luigi Cherubini: Obwohl in Florenz geboren, bleibt Cherubini eine herausragende Persönlichkeit der französischen Schule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sein Ruf als Komponist litt unter den Feinden, die er sich als Direktor des Pariser Konservatoriums (1822-1842) machte. Unverkennbar ist jedoch, dass er ein einflussreicher Komponist war, der mehr als dreißig Opern, eine große Anzahl von Kammermusik sowie zahlreiche religiöse und symphonische Werke schuf. Der Sohn eines Theatermusikers, der ihm den Kontrapunkt beibrachte, debütierte relativ schnell in Florenz, dann in London und Turin. 1785 wurde er in Paris durch den Geiger Viotti mit Marie-Antoinette bekannt gemacht und wurde Mitglied der Société Olympique, einer Konzertgesellschaft, die einer Freimaurerloge ähnelte und von der französischen Aristokratie besucht wurde. Dennoch war seine erste Komposition für die Académie Royale de Musique, Démophon (1788), kein durchschlagender Erfolg. 1789 wurde er zum Co-Direktor des Théâtre de Monsieur, des späteren Théâtre Feydeau. Dort führt er die ersten Aufführungen seiner wichtigsten Meisterwerke auf: Lodoïska (1791), Élisa (1794), Médée (1797), L’Hôtellerie portugaise (1797) und Les Deux Journées (1800). Obwohl sein Opéra-Ballett Anacréon ou L’Amour fugitif (1803) zu Beginn des Ersten Französischen Kaiserreichs eine vollkommene Beherrschung seiner Kunst zeigt, wurde Cherubini aufgrund seines konterrevolutionären Rufs und seiner schwierigen Beziehung zu Napoléon von den Pariser Bühnen ferngehalten. Seine institutionelle Karriere nahm erst unter der Restauration richtig Fahrt auf, insbesondere mit seiner Ernennung zum Superintendenten der Chapelle Royale (1814) und seiner Wahl zum Mitglied des Institut de France (1815).

Cherubinis „Abencérages“ – Kostümentwurf für Alémar, Henri-Étienne Dérivis bei der Pariser Uraufführung 1813/ BNF Gallica

Mit Les Abencérages brachte Cherubini nach dem zehn Jahre zuvor dort gezeigten Anacréon erstmals wieder ein Werk an der Pariser Oper heraus. Er begann Ende Januar 1812 mit der Komposition. Die Uraufführung fand am 6. April 1813 in Anwesenheit von Napoleon Bonaparte und dessen Ehefrau Marie-Louise von Österreich statt.  Es war der Vorabend von Napoleons Aufbruch zu den Schlachten von Großgörschen und Bautzen. Die musikalische Leitung hatte Louis-Luc Loiseau de Persuis. Es sangen Louis  Nourrit (Almanzor), Jacques-Émile Lavigne (Gonzalve), Henri-Étienne Dérivis (Alemar), Laforêt (Kaled), Duparc (Alamir), Alexandre (Octaïr), Jean-Honoré Bertin (Abderame), Mouttit père/Henrard (Waffenherold), Alexandrine-Caroline Branchu (Noraïme) und Joséphine Armand (Egilone). Die Choreografie der Ballette stammte von Pierre Gardel. Der Aufführung war nur ein Achtungserfolg beschieden. Das Werk wurde schnell auf zwei Akte gekürzt, brachte es aber dennoch nur auf zwanzig Aufführungen.1828 wurde eine Bearbeitung von Gaspare Spontini mit zusätzlicher Musik (möglicherweise von Cherubini oder Spontini) im Königlichen Opernhaus Berlin gezeigt. Deren deutsche Textfassung stammte von Karl Alexander Herklots. Größere Aufmerksamkeit erhielt eine Produktion beim Maggio Musicale Fiorentino 1957 unter der Leitung von Carlo Maria Giulini. (Wikipedia)

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Cherubini-Dokumente gibts es erstaunlich viele. Meistens live, wenige aus dem Studio. Ali Baba gab es von der RAI 1963 (Rinaldi, Panerai/ Melodram) und 1963 (Santunione, Sanzogno, nur-Radio) ebendort (ehemals Melodram), Anacreon ebenfalls (1996 Lagrange, Ferro, nur-Radio; 1971 Florenz Ricciarelli, Inbal; 2000 Venedig Workman, Ferro, nur-Radio), Demophon nur für Sammler aus Perugia 1982 (Gasdia, Kelm, ehemals auf Voce-LP) und 1985 Rom (Caballé/ youtube), Les deux Journées unter Thomas Beecham 1947 bei der BBC hatten mal Intaglio und andere im Programm, eine Neuaufnahme unter Christoph Spering gab es bei opus 111 (I due Giornati mit Paolo Silveri und Mirto Picchi hörte man auf MRF LPs von der RAI 1955), Elisa mit Gabriella Tucci boten die RAI und Melodram, Koukourgi   2010 Klagenfurt nur-Radio, Fatiniska dirigierte  Lukasz Borwicz 2020 beim Beethovenfest in Warschau und auf DUX, ebenso die Lodoiska 2008 ebendort. 1984 eine schöne Aufführung in Amsterdam mit Patterson und Aler (nur-Radio); Lodoiska gibt´s auch bei Sony aus der Scala mit Mariella Devia und bei Naive mit Nathalie Manfrino unter Jeremy Rhorer. Die Osteria Portuguese kam bei Melodram von der RAI (1952 Ligabue, Piazza) heraus; 1975 (Devia, Calabrese, nur-Radio). Und ein bisschen Kleinkram darüber hinaus. Ein Blick zu youtube lohnt wie immer.

Cherubinis „Abencérages“ – die Uraufführungs-Sängerin der Noraime, Alexandrine Caroline Branchu (nata Chevalier, fu nel 1807, all’età di 27 anni la prima protagonista de „La Vestale“/Musero Spontini, Maiolati Spontini)

Aber es geht nichts über Cherubinis Médée von 1997, die so unglaublich modern den Dialog mit dem Gesang mischt und ihn als psychologisches Gestaltungselement für die Titelheldin einsetzt (ihr gehen nach einem fast nur gesprochenem ersten Akt in der Folge buchstäblich die Worte aus). Médée ist für mich das non plus ultra der Opern jener Epoche und richtungsweisend danach. Sie ist für mich nahezu ideal vertreten mit einer Videoeinspielung aus Compiegne 1996 (DOM, noch immer kaufbar bei Amazon; Michele Command eine recht reife Titelheldin, aber das Spannende ist die Mischung aus Schauspielern für die Hoffman-Dialoge und Sängern für die Oper selbst, im Soundtrack absolut ideal sich mischend; auf der Bühne eher etwas gewöhnungsbdürftig). Um die Video-Version von BelAir aus Brüssel mit der ziemlich grässslichen Nadja Michael muss man trotz Rousset am Pult einen Bogen machen. Auch eigentlich um den Dynamic-Mitschnitt aus Martina Franca mit der groben Iano Tamar in Berlitz-Französisch in der Titelpartie (trotz Jean-Philippe Courtis als balsamischer Créon). Phyllis Treigle gibt bei Newort Classics eine seriöse, aber uninsprierte Médeé neben einem dto. recht blanden Kollegium, aber immerhin war dies 2003 die erste und bis heute einzige originalsprachige Studio-Einspielung. Rosalind Plowright sang sie en francais und bemerkenswert in Buxton 1986 (mit bellenden Hunden, nur-Radio) und weniger erfolgreich in Covent Garden1989 neben (immerhin) Renée Fleming als Dirce (Video). Unter dem  Dirigenten Michael Hofstetter gab es bemerkenswerte Aufführungen in Gießen und Koblenz 1999, die die veränderte Ouvertüre und das Finale mit verstärkten Trompeten der Version für Brüssel 1840 aufwiesen (Sammlermitschnitte). 2015 dirigierte Igor Folwill die Oper en francais (und nur Sammlern zugängig) in Ulm (mit den von Alan Curtis nachkomponierten Rezitativen in französischer Sprache) in der Edition von Heiko Cullmann, dem Fachmann für Medea überhaupt.

Von den mehr als zahlreichen sog. italienischen Lachner-Versionen (keine im originalen Deutsch von Herklots Berlin 1800 bzw. Treitschke Wien 1821, Lachners Rezitative von 1855, dann in Italienisch von Salvatore de Castrone (Salvatore Marchesi) mit den Rezitativen von Luigi Arditi 1865 am Her Majesty‘s Theatre in London (später Covent Garden); Maria Callas aufwärts sang dann alles in der Übersetzung von Carlo Zangarini) mit und ohne M. C. (der unübertroffene Prototyp dieser Fassung), Inge Borkh (deutsch von Horst Goerges und Wilhelm Reinking, absolut wahnsinnig), Eileen Farrell (jaja), Josephine Barstow (in Englisch), Marisa Galvany (wüst), Maralin Niska (wüst), Leonie Rysanek (letzte Zuckungen ohne Tiefe), Dimitra Theodossiou in Lissabon 2005 (nicht unrecht mit vier Belcanto-Stimme), Leyla Gencer (streng humorlos), Orianna Santunione (ordentlich), Magda Olivero (glottisglucksend, aber bedeutend), Montserrat Caballé (indiskutabel), Gwyneth Jones (bei Decca, gar nicht und zutiefst überflüssig), Denia Mazzola (veristisch und verbraucht-explodierend, youtube),  Elizabeth Connell (schneidend), Adelaide Negri (noch wüster), Shirley Verrett (Lachner in Französisch, abgefahren, die Diva wollte das nicht im Original sprechen), Sonya Yoncheva (somnambul-maulig), Anna Caterina Antonacci (maulig-riskant). Und jüngst 2022 Sondra Radvanovsky sehr beeindruckend an der Met (wunderbare Schauspielerin, sehr aufregend als Gesamteuindruck, reif, schonungslos tapfer und unruhig; Video-Stream, Kino) etc. will ich hier einige nur erwähnen. G. H.

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Cherubinis „Les Abencérages“ – Figurinen zur Uraufführung in Paris 1813/ BNF Gallica

Zur Oper selbst: „Nie hat Cherubini ein männlicheres Talent und eine größere dramatische Schöpfungskraft bewiesen, als in Les Abencérages. Gerade in dieser Oper hat dieser große Komponist auf eine ihm ureigene Art den harmonischen Reichtum, der der Stolz der deutschen Schule ist, mit der richtigen, packenden Ausdruckskraft verbunden, die die französische Bühne verlangt.“ So schrieb der Verleger und Schriftsteller Auguste Wahlen, als er wenige Jahre nach der Premiere der Oper in Paris (1813) eine Sammlung von Libretti seines Freundes Etienne de Jouy veröffentlichte, zu der eben auch das Textbuch zu Les Abencerages gehörte. Dass diese eine der erfolgreichsten Opern Cherubinis gewesen ist, belegen nicht nur die schmeichelhaften Äußerungen der bei der Premiere anwesenden Persönlichkeiten, darunter auch von Napoleon und Marie Louise, sondern paradoxerweise auch ein Antrag des Komponisten. Cherubini hatte nach etwa zwanzig Vorstellungen die Absicht, die Oper auf zwei Akte reduzieren, damit mehr Balletteinlagen aufgenommen werden konnten: diese Vorgehensweise war in Frankreich den Opern vorbehalten, die in den Kreis der Repertoirewerke aufgenommen werden wollten. Les Abencérages hatte in Berlioz, Mendelssohn und Spontini große Bewunderer und Förderer. Spontini hatte bei La Vestale ebenfalls schon mit Etienne de Jouy zusammengearbeitet und hatte als erster Les Abencerages in deutscher Fassung in Deutschland dirigiert.

Cherubini: „Les Abencérages“ – Bühnenbild zur Uraufführung in Paris 1813/ BNF Gallica

Bedauerlicherweise hielt die Popularität von Les Abencérages nicht lange an. Viele Jahrzehnte lang geriet die Oper, abgesehen von einigen wenigen Aufführungen der Ouvertüre oder einzelner Arien Almanzors, in Vergessenheit. Die Produktion des Maggio Musicale Fiorentino aus dem Jahre 1956 (mit Anita Cerquetti und Louis Roney unter der Leitung von Carlo Maria Giulini) bot deshalb die Möglichkeit, wenngleich auch nur in einer wenig gelungenen italienischen gereimten Übersetzung, ein für Cherubinis künstlerischen Weg wichtiges Werk, seine letzte ernste Oper wieder aus der Versenkung zu holen.

Cherubinis „Abencérages“ – „Die Halle der Abencerages“ in der Alhambra, Granada, 1853/ Wikipedia

Cherubini wollte in Les Abencérages die Konventionen der französischen Oper überwinden und versuchte deshalb wie in seiner Médée, die szenisch-dramatische Seite zu betonen, auch wenn das etwas überladene Libretto Etienne de Jouys für ihn dabei vielleicht hinderlich war. Gegenüber seinen vorhergehenden Opern zeigt Cherubini hier eine stärkere Tendenz zum Melos. Die Arien werden genauer umrissen, wenngleich – wie bei den anderen für Paris geschriebenen Werken – die geschlossenen Nummern fehlen. Cherubini kann zwar, bedingt durch die bereits erwähnten Mängel des Librettos, die Hauptpersonen nicht so genau vertiefen wie in Medea oder Lodoiska, es gelingt ihm in Les Abencérages aber doch Chöre von hoher Qualität zu schaffen, die bei der Uraufführung an der Opéra am 6. April 1813 zu Recht allgemeine Bewunderung erregten. Die Nummer, die sich vor allen anderen dem Publikum einprägte, war der Chor im Finale des zweiten Akts „Grenade est libre“. Nicht weniger gelungen und kunstvoll ist der Orchestersatz, und das nicht nur in der Ouverture und in den Ballettmusiken. In der gesamten Oper spürt man das Bestreben Cherubinis, der französischen Oper ein neues Gewand zu geben, beginnend mit der Komplexität des*szenischen Aufbaus über die Wahl eines dem sinnlichen Spanien verpflichteten Sujets bis hin zu der Verwendung beachtlichen Chor- und Orchestermassen, die das Werk zu einem Beispiel der Grand Opera vor deren eigentlicher Zeit machen.

Für eine Wiederaufnahme von Les Abencéragess in französischer Sprache musste man auf die Rundfunkproduktion der RAI vom 15. Januar 1975 warten, die beim italienischen Radio durch Peter Maag angeregt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde auf die erste, dreiaktige Fassung zurückgegriffen. Trotz eingeschränkter Verwendung der Ballettmusiken wurden, entgegen der Rundfunkpraxis jener Jahre, nur geringe Striche vorgenommen. Die Aufnahme ohne Publikum, und wurde nach einigen wenigen, kleinen Korrekturen ein paar Tage später gesendet. Die konzertante Übertragung mit dem Orchester der RAI in Mailand sollte als Generalprobe für eine nicht zustande gekommene Aufnahme bei Decca dienen. Gian Andrea Lodovici/Übersetzung: Daniel Brandenburg (den Text von Gian Andrea Lodovici entnahmen wir gekürzt der Arts-Ausgabe der RAI-Einspielung).

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Maria Fortuny: „Der Mord an den Abenceraji,“ 1870/ Wikipedia

Les Abencérages: Der Name scheint sich von Yussuf ben-Serragh abzuleiten, dem Oberhaupt des Stammes zur Zeit von Mohammed VII., dem Sultan von Granada (1370-1408), der diesem Herrscher in seinem Kampf um die Krone, derer er dreimal beraubt wurde, gute Dienste erwies. Über die Familie ist nur wenig sicheres bekannt. Dem Chambers Biographical Dictionary zufolge kamen sie im 8. Jahrhundert nach Spanien, aber der Name ist aus dem Roman von Ginés Pérez de Hita, Guerras civiles de Granada, bekannt, in dem die Fehden der Abencérages mit der rivalisierenden Familie der Benedin (arabisch banu Edin) und die grausame Behandlung, der die ersteren ausgesetzt waren, beschrieben werden. J. P. de Florians Gonsalve de Cordoue und Chateaubriands Le dernier des Abencerrages sind Adaptionen der Geschichte von Pérez de Hita.

Es wird erzählt, dass einer der Abencérages, der sich in eine Dame der königlichen Familie verliebt hatte, auf frischer Tat ertappt wurde, als er zu ihrem Fenster hinaufkletterte. Die Morde wurden von Ibrahim Benedin angeordnet, der eine Fehde mit der Familie hatte. In seiner Wut sperrte er die gesamte Familie in einem der Säle der Alhambra ein und gab den Befehl, sie alle zu töten. Die Wohnung, in der dies geschehen sein soll, ist einer der schönsten Innenhöfe der Alhambra und wird immer noch der Saal der Abencerrages genannt.

Washington Irving ist in Tales of the Alhambra (1832) anderer Meinung und behauptet, das Massaker sei eine Fiktion, aber eine Reihe von Abencérages seien damals in einer der Schlachten getötet worden. Nichtsdestotrotz wird die Legende in zahlreichen Gedichten und Theaterstücken, in der Novelle Die Abencerraje und in zwei Opern (Les Abencérages von Luigi Cherubini und L’esule di Granata von Giacomo Meyerbeer) erwähnt. (Wikipedia)

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Cherubinis „Abencérages“ – „La nuit de la Prise de Grenade“/ Gemälde von Gustave Ethuin/ Wikipedia

Zum Inhalt/ Erster Akt: Im Granada des 15. Jahrhunderts herrschen noch die Mauren. Allerdings gibt es einen Konflikt zwischen den Adelsgeschlechtern der Abencerragen und der Zegris. Alemar, Alamir und Kaleb, allesamt Anhänger der Familie Zegri, verschwören sich gegen Almanzor. Dieser gehört der Abencerragen-Familie an. Die Verschwörer neiden ihm seine bisherigen Siege und politischen Erfolge, und sie sind entschieden gegen die Verlobung zwischen Almanzor und der Prinzessin Noraïme. Am gleichen Tag wird ein von Almanzor abgeschlossener Friedensvertrag mit Spanien mit einem großen Fest gefeiert. Während des Festes trifft die Nachricht ein, dass der gerade gefeierte Frieden bereits gebrochen sei. Das bedeutet für Almanzor, dass er seine geplante Hochzeit mit Noraïme verschieben muss. Stattdessen muss er in den Krieg ziehen. Dabei wird ihm die Fahne von Granada anvertraut, die er mit in den Krieg führen soll. Diese Fahne gilt als eine Art Nationalheiligtum und darf unter keinen Umständen verloren gehen. Es ist die Pflicht eines jeden, dem die Fahne anvertraut wurde, diese wieder zurückzubringen. Geschieht das nicht, hat der Betreffende sein Leben verwirkt. Genau an diesem Punkt setzen die Verschwörer an und organisieren den Diebstahl der besagten Fahne.

Cherubinis „Abencérages“ – Kostümentwürfe für die Uraufführung 1813/ BNF Gallica

Zweiter Akt: Der Krieg ist gewonnen, und Almanzor kehrt als siegreicher Feldherr heim. Allerdings kann er die ihm anvertraute Fahne nicht pflichtgemäß zurückgeben, da diese ihm gestohlen wurde. Trotz seiner Siege wird er nun verhaftet und vor Gericht gestellt. Dort fordern die Zegris seine Hinrichtung. Angesichts der militärischen Erfolge von Almanzor verzichtet der Gerichtspräsident Abderam auf die Todesstrafe. Almanzor wird aber des Landes verwiesen. Bei seiner Rückkehr würde die Todesstrafe gegen ihn dann doch vollstreckt. Damit haben die Zegris ihr Ziel erreicht. Nun sinnen natürlich die Abencerragen, der Clan von Almanzor, auf Rache.

Dritter Akt: Almanzor kehrt als Sklave verkleidet in seine Heimat zurück, um mit sich mit seiner Geliebten und vormaligen Braut Noraïme zu treffen. Sie beschließen eine gemeinsame Flucht. Noch ehe es dazu kommt, haben die Zegris Almanzor entdeckt und verhaftet. Dieser wird nun erneut vor das Gericht gestellt und soll nach dem Willen der Zegris nun hingerichtet werden. Der Richter entscheidet, Almanzor solle hingerichtet werden, falls nicht irgendjemand der Anwesenden bereit wäre, für ihn gegen Alamir, den Hauptanführer der Zegris, zu kämpfen. Es findet sich tatsächlich ein Ritter, der sich als Gonzalve zu erkennen gibt, der die spanische Delegation bei den Friedensabschlüssen geleitet hat. Gonzalve tötet Alamir in dem Zweikampf. Außerdem ist es Gonzalve gelungen, in den Besitz der gestohlenen Fahne zu gelangen. Er kennt die Geschichte von der Verschwörung der Zegris und dem Diebstahl der Fahne. Diese Wahrheit offenbart er nun der Öffentlichkeit. Daraufhin werden die verbliebenen Zegris verurteilt und Almanzor freigesprochen. Dieser wird nun vom Volk als Kriegsheld gefeiert und kann endlich seine Prinzessin heiraten. (Wikipedia). (Abb. oben Blanca and Abon Hamet in the Gardens of the Alhambra, from Chateaubriands‘ Ata, ‚Le Dernier des Abencerages“/ Wiki). Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier

 

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Ana Maria Sanchez

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Ana Maria Sanchez, spanische Sopranistin, starb am 17. September in Elda im Alter von 63 Jahren. Sie wurde am 12. März 1959 in Elda geboren und studierte an der Escuela Superior de Canto in Madrid. Ihr professionelles Debüt gab sie 1994 in Nabucco auf Mallorca. Im Jahr darauf sang sie die Chrysothemis in Elektra im Palau de la Müsica in Valencia an der Seite von Eva Marton und Leonie Rysanek. Danach trat Sänchez in Madrid, Barcelona, Bilbao und Sevilla, in ganz Europa, in Buenos Aires und in Nordamerika auf, unter anderem in den Opern Adriana Lecouvreur, Anna Bolena, Aida, Turandot, Don Giovanni, Goyescas, La vida breve und Escuderos Gernika. Sie zog sich von ihren regulären Auftritten zurück, unterrichtete aber weiter, nachdem bei ihr 2019 Krebs diagnostiziert wurde (Foto El Arte de Vivir).

Musik im Wertewandel

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„Wie viel Erde braucht der Mensch?“, fragte sich einst Leo Tolstoi und kam zu dem Schluss, dass ein Rechteck in den Ausmaßen eines Sarges die richtige Antwort sei. Wie viel Mozart braucht der Mensch?“, ist der Titel eines von Stephan Mösch anlässlich des Mozartfestes 2021 in Würzburg herausgegebenen Buches, in dem fünf Autoren und eine Autorin zu dem Thema Stellung nehmen. Sechs Kandidaten jeden Geschlechts, Entschuldigung, der beiden am häufigsten vertretenen, waren zur Stellungnahme aufgefordert worden, fünf Damen sagten ab, so dass zwar im Buch selbst peinlich aufs Gendern geachtet wird, inhaltlich jedoch ein Missverhältnis zwischen den Geschlechtern besteht.

Natürlich kann es nicht nur um Mozart und das Fortleben seiner Musik bei kommenden Generationen gehen, sondern, wie der Untertitel sagt, um „Musik im Wertewandel“. Beide Titel  drücken ein hohes Maß an Skepsis aus, zurückzuführen vor allem auf die beiden Verdüsterer unserer Zeit, Covid und den Krieg in der Ukraine, die beide allerdings eher offenbarten, wie sehr für traditionell gehaltene Werte wie Solidarität (Maskentragen) und Opferbereitschaft im Einstehen für die Freiheit auch anderer ( Ukraine) in beinahe überraschender Weise auf fast allgemeinen Konsens stießen. Allerdings fand das Mozartfest vor Kriegsbeginn statt, die Vorträge wurden aber erst nach Kriegsbeginn überarbeitet. Ganz anders ging man übrigens zur gleichen Zeit in Italien mit dem Problem, was kann Musik bewirken, um. Der Titel des dort erschienenen Buches ist „La musica ci salverà-riflessioni per una rinascita sociale, culturale ed economica“( „Die Musik wird uns retten-Überlegungen für eine soziale, kulturelle und ökonomische Wiedergeburt“.)

Eine Antwort auf die Mozartfrage gibt es übrigens auf den ca. 180 Seiten des Buches nicht, kaum ein Eingehen darauf. Erst im letzten Beitrag, dem des Historikers Christoph  Markschies heißt es, allerdings nicht ohne Infragestellung des Themas als solchem,  wenigstens:“ Wir können, allzumal inmitten einer globalen Virus-Pandemie, gar nicht genug davon bekommen.“

Obwohl sie wenig oder gar nicht auf die Fragestellung eingehen, können die einzelnen Beiträge durchaus mit Gewinn gelesen werden. So geht Peter-André Alt unter Verweis auf Hesses Steppenwolf auf  das Spannungsverhältnis zwischen Kultur und Lebenswelt ein, sieht Kunst auch als Entlastung vom Bösen, als Narkotikum, als Möglichkeit (nach Freud) zum „Abreagieren von Triebbewegungen ohne Zerstörung“. Kultur ist dem Verfasser ein Instrument zur Selbstbewertung einer Gesellschaft.

Die Komponistin Isabel Mundry bezieht sich auf James Baldwins Erfahrungen in einem Schweizer Dorf , die der Erfahrung des Ausschlusses vom eigenen kulturellen Erbe, auf Francois Jullien mit seiner Leugnung  einer kulturellen Identität, erörtert den Unterschied zwischen kultureller Differenz und kulturellem Abstand. Die Komponistin verschafft dem Leser einen Einblick in das Verhältnis ihrer Musik zur Gregorianik, nimmt sogar speziell Bezug auf eines ihrer Werke, „Figura“ für zwei Trompeten.

Peter Gülke betitelt seinen Beitrag mit „Der ferne Mozart“, untermauert seine Ausführungen mit vielen Mozart-Zitaten und setzt sich u.a. mit den Widersprüchen in der Zauberflöte und im Charakter und im Leben Mozarts auseinander. Erfrischend, wenn auch nicht zum Thema gehörend, sind seine Nachbetrachtungen nach Würzburg über „geschichtsvergessene Denunziation“ und über „feige Political Correctness“. Das Mozart-Zitat zum Schluss stimmt hoffnungsfroh.

Noch näher an Mozart ist der Beitrag von Thomas Girst, mit dessen Verhältnis zum Geld und unserem zur Kunst, die seiner Meinung nach als Ware feilgeboten und konsumiert wird. In diesem Beitrag geht es auch um die ungeheuren Summen, um das von Deutschland großzügig für die Kultur ausgegebene Geld, um die Rolle der Wirtschaft als Mäzen. Opernintendanten und Museumsdirektoren fordert der Verfasser zur „Demut“ auf und geißelt die „Kritikunfähigkeit und Beratungsresistenz saturierter Nutznießer des subventionierten Systems“. Mozart für alle ist die etwas überraschende Schlussfolgerung, aber nur gemeinsam mit anderer Musik.

Wieder mehr ins Spiel kommt Mozart im Beitrag von Hans Ulrich Gumbrecht, der von seinem Mozarterleben berichtet, was höchst angenehm berührt, und der, zurückgehend auf Kant, Hegel, Goethe, Kierkegaard, Schopenhauer, Nietzsche und Adorno, schließlich zu sich selbst findet mit der Feststellung:“Nur Mozart lässt mich für einige glückliche Momente die Verkörperung dessen sein, wonach ich mich sehne“.

Hätte man als Lehrer seinen Schülern das Thema „Wie viel Mozart braucht der Mensch?“  gegeben, müsste man unter alle Aufsätze schreiben „Thema weitgehend verfehlt“, doch die Schüler könnten aufmucken:“Saublödes Thema“. Der Leser aber wird wohl zu dem Schluss kommen:“ Nicht das, was ich erwartet habe, aber trotzdem interessant“ (182 Seiten, Bärenreiter Verlag 2022; ISBN 978 3 7618 7275 8). Ingrid Wanja         

Preiswürdig

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Hätten sich die in die Historie eingegangenen Herrscher der Vergangenheit nur halb so viel mit  amourösen Angelegenheiten befasst, wie uns Opernlibrettisten glauben machen wollen, dann wäre die Menschheitsgeschichte weit weniger blutrünstig verlaufen, als es leider der Fall ist. So wissen die Geschichtsbücher von einem König Xerxes I. zu berichten, der Aufstände gegen die Herrschaft der Perser in Ägypten und Babylonien niederwerfen ließ, dessen Heere bei den Thermopylen die Griechen („Wanderer, kommst du nach Sparta…“) besiegten und in der Seeschlacht von Salamis von ihnen besiegt wurden, der die Meerenge bei den Dardanellen mit 300 Peitschenhieben bestrafen ließ, weil eine gerade fertiggestellte Brücke einstürzte.

In Händels Oper Xerxes ist der Herrscher ausschließlich damit befasst, die Liebe der schönen Rodelinda zu gewinnen, die seinen Bruder Arsamene liebt, was sie mit ihrer Schwester Atalanta gemeinsam hat, während Xerxes‘ Gattin Amastre  (historisch beglaubigt) erfolgreich versucht, den Gatten zurück zu gewinnen. Daraus ergeben sich natürlich viele heikle Situationen, Missverständnisse und Anlässe für Arien und Duette.

Die Oper verschießt ihr treffsicherstes Pulver gleich zu Beginn mit Xerxes‘ Arie „Ombra mai fu“, die vor dem Bild eines reich beblätterten Baumes  vor dem Vorhang gesungen wird, ehe das Bühnenbild ( Karoly Risz) für die ersten beiden Akte sichtbar wird: eine reich gedeckte Tafel, an der die Protagonisten sich den Freuden des Essens und Trinkens hingeben, ehe allmählich mit den immer stärker aufwallenden Gefühlen die guten Sitten verloren gehen und schließlich pasta mista und insalata verde sowie alles andere den Partnern und besser Gegnern an den Kopf geworfen werden. Bis zu Beginn des dritten und letzten Akts ist dann die Tafel so demoliert, dass nur noch die Stühle nach Wiederaufgehen des Vorhangs auf der Bühne stehen. Das klingt alles nach brutalstem Regietheater, ist aber so fein spielerisch, so ironisch, so wenig provozierend, dass es eher zum Schmunzeln als zur Empörung animiert. Auch die Kostüme von Susanne Uhl sind nicht die Sänger und Sängerinnen bloßstellend, sondern eher ironisch charakterisierend, aber das in der allerfeinsten Art, deren sich auch die Personenführung (Regie Tilmann Köhler) befleißigt, indem sie bei allem Jux und aller Tollerei die Figuren nie der Lächerlichkeit preisgibt.

Mehr als zufrieden sein kann man auch mit der Leistung der Sänger. Gaelle Arquez ist ein androgyner Xerxes, dem das vokale Zupacken wie die zartesten vokalen Gespinste gleichermaßen zur Verfügung stehen, der die Rezitative fein modelliert, weitgehend von sanftem Klang ist und über ein schönes Legato verfügt. Die Sängerin brilliert auch in den Duetten wie dem mit Romilda  („L’amerete?“) oder mit dem zweiten Mezzosopran in „Gran pena é gelosia“. Tanja Ariane Baumgartner hat für die verlassene Amastre eine warme und corporeiche Stimme, für die in Liebesdingen unschlüssige Romilda setzt Elizabeth Sutphen einen geschmeidigen, vor Schärfen nicht zurückschreckenden Sopran ein. Ihre Schwester Atalanta singt Louise Alder mit leichter, heller Sopranstimme. Einen ungewöhnlich reich timbrierten Altus hat Lawrence Zazzo für den doppelt geliebten Arsamene, dem er eine runde, ebenmäßige Stimme und eine generöse Phrasierung zu teil werden lässt. Markant und energisch gibt sich Thomas Faulkner als Elviro, auch Brandon Cedel vertritt als Ariodate die dunklen Stimmen und ist ein würdiger deus ex machina oder besser angelo ex machina mit körnigem Bass. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Constantinos Carydis spielt schlank, straff und elegant.

Mehrfach und auch für die vergangene Saison wurde die Oper Frankfurt zum besten Opernhaus des Jahres gewählt, was, berücksichtigt man diese Produktion, nicht verkehrt sein kann (C Major 747908). Ingrid Wanja

Im Reich der Feen

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Die Recitals der Schweizer Sopranistin Regina Mühlemann bei ihrer Stammfirma Sony zeichnen sich stets durch interessante Konzeptionen aus. Nach ihrer Sammlung von Cleopatra-Arien erschien jetzt ein Album mit dem Titel Fairy Tales (19439986672). Aufgenommen im November 2021 im schweizerischen Boswil, vereint es Szenen mit Feen, Elfen und Nixen aus der Geisterwelt, begleitet vom Ensemble CHAARTS in speziellen, von Wolfgang Renz gefertigten Arrangements, die ein transparentes Klangbild ergeben.

Mit einem berühmten Titel beginnt die Anthologie – Rusalkas „Lied an den Mond“. In dem filigranen Gewebe kann sich der Sopran von Regina Mühlemann zart und poetisch entfalten, bezaubert mit träumerischem Ausdruck. In der originalen Orchesterbesetzung würde er sich wahrscheinlich noch nicht genügend durchsetzen können, aber für die Zukunft ist die Partie auf jeden Fall eine Option für die Sängerin. Nicht weniger populär ist die folgende Nummer – die Barcarolle aus Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, die in Wahrheit aus seinen Rheinnixen  (Les fées du Rhin) stammt und wegen des Misserfolgs dieser Grand Opéra Einzug in den Venedig-Akt des Hoffmann fand. „Komm zu uns und sing und tanze“ ist der wiegende Chor der Elfen betitelt, den die Solistin mit Delikatesse ausbreitet. Später stellt sie noch die Eröffnung dieser Szene vor – das nächtliche Feen-Solo „Alles hüllt sich in Dunkel“, welches die Anthologie gebührend spukhaft beendet.

Der Barcarolle folgen zwei französische Komponisten – Jules Massenet mit seiner Aschenputtel-Oper Cendrillon, aus der die Arie der guten, hilfreichen Fée („Ah! Douce enfant“) erklingt, und Adolphe Adam mit seinem Feen-Ballett La filleule des fées, aus dem ein Flöten-Solo („The Pink Fairy“) vorgestellt wird. Die erste Nummer wird flirrend eingeleitet und bezieht ihren Reiz aus ätherischem Melos und Koloraturgeglitzer. Sie zeigt prägnant die beiden Möglichkeiten der Stimme – feine Lyrik und virtuoses Zierwerk. Das zweite Stück als kurzes instrumentales Intermezzo ist ein huschender nächtlicher Spuk.

Nicht fehlen in einer solchen Zusammenstellung darf Ninettas zauberhafte Arie „Ninfe! Elfi!“ aus dem letzten Akt von Verdis Falstaff. Hier hört man eine ideale Interpretation von verträumter Stimmung mit zarten, duftigen Tönen. Von der Romantik wandert Mühlemann zurück in den Frühbarock und singt aus Monteverdis Achtem Madrigalbuch das Lamento della Ninfa („Amor, amor“). Es ist dies ein besonders feinsinniger Beitrag, der mit seiner sanften Melancholie berührt. Ein halbes Jahrhundert später erlebte eines der erfolgreichsten Werke Purcells seine Uraufführung: The Fairy Queen. Daraus hat die Sopranistin das ergreifende Klagelied „O let me weep“ ausgewählt und ist im munteren Duett „Turn then thine eyes“ sogar in akustischer Verdopplung zu hören. Purcells Landsmann Benjamin Britten ist mit seiner Komödie A Midsummer Night’s Dream vertreten, aus der Mühlemann in zauberischer Stimmung zwei Soli der Elfenkönigin Titania vorträgt. In „Be kind and courteous“ bittet sie ihre Elfen, sie in den Schlaf zu singen, in „Come, now a roundel“, freundlich zu dem verzauberten Zettel zu sein. Auch Felix Mendelssohn Bartholdy widmete sich Shakespeares Sommernachtstraum mit einer Schauspielmusik, doch hat Regina Mühlemann aus dem Oeuvre des Komponisten das geschwind vorbei huschende Lied „In dem Mondenschein im Walde“ aus seinen Sechs Gesängen op. 19a ausgewählt. Als Abschluss erlebt der Hörer noch eine Reise in den Norden mit der Geisterwelt von Edward Grieg. Aus seiner Schauspielmusik zu Ibsens Peer Gynt stellte der Komponist eine Suite zusammen. In diesen Instrumentalstücken haben die elf Instrumentalisten der Kammermusik-Vereinigung Gelegenheit, feinste Stimmungen zu zaubern sowie nordische Schwermut und das Lokalkolorit der geisterhaften Trolle einzufangen. Die Solistin singt aus der Schauspielmusik zwei Lieder der Solveig mit sanfter Tongebung und nimmt danach noch Griegs „En Svane“ nach Ibsens gleichnamigem Gedicht ins Programm. Es beruht auf der Legende, dass ein Schwan nur ein einziges Mal in seinem Leben singt – im Angesicht des Todes. Grieg kleidete das in fragile Töne, welche die Sopranistin stimmungsvoll wiedergibt. Bernd Hoppe

Meyerbeers „Robert le Diable“

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Die Grand opéra Robert le Diable von Giacomo Meyerbeers war dessen erster Beitrag zum Genre; das Libretto wurde von Eugène Scribe und Germain Delavigne verfasst; die Uraufführung fand am 21. November 1831 an der Pariser Oper statt und begründete den Ruhm des Komponisten in Frankreich sowie in weiten Teilen Europas.

Angesichts der vereinzelten, immer noch nicht sehr zahlreichen Aktivitäten in Sachen Meyerbeer heute lohnt sich ein Überblick auf Vorhandenes und neues. Dinorah, die Huguenots und den Prophète haben wir bei operalounge.de ja bereits vorgestellt, sein Robert le Diable ist dieser Tage wieder im Gespräch, sei es durch eine Konzert-Produktion der Opéra de Bordeaux und folgender CD-Einspielung oder sei es wegen der spannenden Bühnen-Aufführungen am Théâtre de la Monnaie in Brüssel. Beide konnten mit – für heutige Standards – befriedigenden  Kräften aufwarten.  

Für den Tenorstar der Zeit, Mario, schrieb Meyerbeer eine Zusatzarie in seinem „Robert le Diable“/ hier ist er als Don Giovanni  (!!!) in Petersburg/ Wikipedia

Nach bislang nur akustisch eher eingeschränkten Live-Mitschnitten ist nun eine unter quasi  Studiobedingungen eingespielte, wenngleich auch nicht wirklich ungekürzte Aufnahme verfügbar, die den Aufführungen unter Minkowski in Bordeaux 2022  (Palazzetto Bru Zane) folgt.

Aber auch ein Blick zu youtube lohnt wegen des dortigen optischen Dokuments aus Brüssel 2022; ebenfalls gibt es da Nur-Akustisches aus Paris 1985, Berlin unter Minkowski aus 2000, New York 1988 unter Eve Queler; Martina Franca/ Palumbo/ Dynamic und Salerno/ Oren/ Brilliant sind dort ebenfalls zu finden, sogar die alte RAI-Aufnahme in italienisch. Zudem bieten die Mitschnitte aus Berlin 2000 und New York 1988 die später, 1843, hinzugefügte Glanzarie für den damaligen Startenor Mario zu Beginn des zweiten Aktes. Die Übernahme aus Bordeaux wie auch Brüssel 2022 haben diese auch (wenngleich sich Dimitri Korchak ebendort ziemlich damit quält).

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Mit dem ersten Hören ist das eben immer so eine Sache. Oder sollte man sagen: Das Bessere ist des Guten Feind? Oder eher: Das Wirkungsvollere ist des Soliden Feind? Ich hatte das unendliche Glück, Meyerbeers Robert le Diable 1985 in der Pariser Oper, der Salle Garnier, in der skandalumwitterten,  orkanartig bebuhten Produktion von Petrika Ionesco zu erleben: Man meinte, der ehrwürdige Saal stürze nach dem Nonnenballett ein und wähnte im Geiste schon die Polstersessel durch die Luft fliegen. Aber musikalisch war´s ein Fest und ist es noch, ein unerreichtes.

Meyerbeer Robert le Diable/ Samuel Ramey und Michele Lagrange/ Paris 1985/ OP/youtube

Denn Samuel Ramey beherrschte als souveräner Bertram die Bühne, stimmlich außerordentlich exzellent und darstellerisch gebührend dämonisch, jeder Zoll ein infamer Teufel. Zudem sang meine französische Sopran-Liebe Michele Lagrange die kraftvolle, energische Alice. Ihre Jenny-Lind-Szene am Kreuz, dem höllischen Bertram widerstehend, geriet für mich zum absoluten Höhepunkt der Aufführung – selbst beim heutigen Hören sträuben sich mir die Härchen auf den Unterarmen  immer noch. Und wegen Erkrankung von Rocky Blake (mit dem es ein späteres und nie gesendetes Video bei youtube gibt) hatte man den Veteran Alain Vanzo (geboren 1928!)  für die Titelpartie reaktiviert, der allen staunenswert zeigte, was eine gutfundierte französische Tenorstimme kann. Trotz gewisser normaler und altersbedingter Verschleißerscheinungen war seine stimmliche Kraft und vor allem seine Rollenidentifikation ungebrochen wunderbar – eine ganz, ganz große Leistung. Was für eine Diktion, welche Präsenz. Französische Oper par excellence. Selbst die von mir nie geliebte, stets maulende June Anderson machte im rein tonalen Bereich viel aus der ohnehin eher blassen Isabella und deren Koloraturen. Und was für Fummel!, unglaublich sie und Ramey in den Gold-Silber-Gewändern. Dazu kam/kommt Thomas Fulton mit einer rasanten musikalischen Leitung des Pariser Klangkörpers:  Man klebte fiebrig an der Stuhlkante. Die Ouvertüre mit ihrem machtvollen Blech, die rasanten Chöre (die Huguenots grüßen schon), die packende Höllenfahrt Bertrams im dritten Akt (Webers Wolfsschlucht ganz zweifellos als Vorbild), das sich wie später in Gounods Faust steigernde Trio des Schlussbildes – atemlos machend kam diese hochexplosive Klangsprache Meyerbeers über mich. Ein Bühnenerlebnis absolut erster Klasse. Unvergessen.

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Meyerbeer „Robert le Diable“/ Szene mit John Osborn und Nicolas Courjal/ Pierre Planchenault/ Opéra de Bordeaux

Bühnenerlebnis? – das ist für mich der Kritikansatz für die neue Aufnahme aus Bordeaux. Sie wurde konzertant eingespielt, aber ohne hörbare Publikumsreaktionen und ganz sicher mit einigen (!) Korrekturen (der Akustikwechsel ist mit Kopfhörern merkbar). Ob so kalt aufgenommen wie die von cpo so geschätzten Ausgaben kann ich nicht beurteilen, aber es fehlt für mich eben diese Bühnenspannung, die Paris bietet. Denn gesungen wird gut, wobei ich da Einschränkungen hätte. John Osborn hat natürlich alle Noten und ist mit gut eingesetzter voix mixte ein  höhenstarker Robert, der im Forte-Bereich punkten kann. Im Piano und Mezzoforte klingt er für mich oft ein wenig weinerlich und auch – namentlich in besagter, zugegeben mörderischer Zusatzarie – recht amerikanisch-weiß (in der Stimme, man traut sich ja schon nicht, keinen Zusatz bei weiß zu machen). Ich stelle mir Robert le Diable heroischer, eben ritter-licher, männlicher vor und bedaure, dass man nicht Spyres verpflichten konnte. Aber Osborn macht (vor allem in der stratosphärischen Zusatzarie zu Beginn des zweiten Aktes) im akrobatischen Bereich einen wirklich tollen Job wenngleich einen insgesamt etwas blanden. Das kann man von Nico Darmanin als sehr präsentem, hellstimmigern Raimbaud nicht sagen – sehr toll. Seine Szene mit Courjals Bertram bleibt in Erinnerung.

Mein Held: Alain Vanzo war mit sechzig (!) Jahren der Robert 1985 an der Pariser Oper – seit dem Krieg der einzige Franzose bislang in dieser Rolle, die eine Domäne der internationalen Tenöre  geworden ist.

Die Damen klingen zwar in der jeweilig geforderten Höhenattacke eindrucksvoll, bleiben für mich jedoch im Rezitativ und in den Ensembles blasser, unengagierter. Wenngleich Erin Morley/ Isabella mit  bemerkenswertem, etwas herbem und interessanten Timbre eine Entdeckung ist, bei der man sich auf Mehr freut – eine  gutgeführte Stimme mit eigenem, wiedererkennbarem Klang. Amina Edris/Alice ist absolut kapabel, aber für mich nicht so überzeugend als lebendiger, greifbarer Opern-Charakter. Gerade in der Jenny-Lindszene mit Bertram hätte ich gerne mehr Umpf, mehr Gewicht gehört. Daraus machen Ihre Kolleginnen Lagrange oder Mimms ungleich mehr. Zudem ist ihre Wortverständlichkeit nicht immer gegeben (naja, bei Mimms auch nicht). Die Nuancen des Librettos fallen manchmal durch den Rost. Und beide Stimmen (Isabella und Alice) sind mir in Bordeaux für diese berühmten Primadonnenpartien einfach zu lyrisch und zu klein. Meyerbeer ist nichts für junge Stimmen – vielleicht liegt da auch die Fehleinschätzung. Erfahrene Opernsänger machen meist mehr aus den Partien als ihre jungen Kollegen, die dieses Repertoire zum ersten Mal singen.

Star der durchaus (im Libretto angezeigten) nicht strichlosen Palazzetto-Aufnahme ist für mich Nicolas Courjal, der die Partie des Bertram vorher bereits in Brüssel gesungen hatte und der einen bewegend intensiven, fies-zerrissenen Schurken-Vater abgibt, stimmlich rau-souverän, und vor allem in Diktion und Gestaltung unerreicht – das genau ist französische Oper vom Feinsten. Chor und Orchester beteiligen sich bestens an dem guten Job. Es ist dies eine sehr solide Konzertaufführung, sans doute, zudem endlich eine in gutem Sound mit einem werkdienlichen Ensemble rundherum.

Meine milde Kritik gilt dem von mir stets geschätzten Dirigenten  Mark Minkowski, der hier zum Zerfasern des musikalischen Flusses neigt und mir oft zu langsam scheint. Mal braust es auf, und die Chöre (toller Chor!) schmettern, und mal zerfällt die Spannung durch Dehnen der Passagen bei Einleitungen, Rezitativen oder Ensembles. Mal sind die Einleitungen sehr gedehnt und mal donnert das Blech. Mir will dabei das Ganze zu lyrisch, zu klein formatiert, zu wenig bühnenwirksam scheinen, ist es dies doch eine bühnenorientierte Oper wie kaum eine andere. Die Konfrontationen der Charaktere bleiben mir zu konzertant-lyrisch, deren doch opernhaft proklamierte große Gefühle zu papiern.

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Aber gilt nicht Oper wie das Theater überhaupt als der Ort für Pathos und große Gefühle? Pathos? Was ist es an den älteren Sängern (wie hier Courjal), dass sie uns zuhören und Anteil nehmen lassen, während wir bei vielen Jüngeren eher die sportlichen Leistungen bewundern? Neben Ramey oder Lagrange ergreift mich Alain Vanzo in seiner totalen Identifikation mit dem zwiespältigen, komplizierten Charakter des Robert, der ziemlich töricht in prekäre Situationen schliddert und erst am Schluss sich auf sich selbst besinnt. So bleibt für mich in der neuen Palazzetto-Aufnahme die große Arie Isabellas im 4. Akt zwar technisch gut gesungen aber ist nicht das brillante showpiece vieler großer Sängerinnen – man höre Gertrude Grob-Prandl damit, deutsch zwar, aber welche Emotionen! Bei Osborn bin ich sehr zufrieden mit seiner artistisch-musikalische Leistung, sehe das Bemühen um sanfte Töne und lyrische Phrasen, aber erst seine furchtlose Akrobatik der (oft zu weißen) hohen Noten lässt mich aufsitzen, und das bei inzwischen entschieden weniger „schöner“ Stimme. Er war lange Zeit einer der herausragen Rossini-Tenöre: Man hört, dass Rossini eben nicht Meyerbeer ist. Ähnlich geht es mir bei Amina Edris als Alice: tolle Topnoten und das interessante Organ stimmlich nicht allzu unruhig. Aber im Gegensatrz zur Kollegin Erin Morley/Isabella und im Vergleich zu Michele Lagrange oder Francis Ginsberg und Marilyn Mimms (letztere bei Eve Queler) doch eine andere Ketegorie, wenn die ihrerseits eben nicht nur ein vokales Feuerwerk loslassen, sondern Pathos und Emotionen zum Greifen herüberbringen. Es liegt vielleicht an meinen Hörerfahrungen, dass ich bis auf den Interpreten des Bertram von den Sängern aus Bordeaux nicht so wirklich angerührt werde …

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Sänger sind heute die Crux vieler moderner Aufnahmen oder Aufführungen. Daran scheitert auch der Internationalismus, der auf so gut wie allen heutigen Meyerbeer-Aufnahmen anzutreffen ist, denn rein französisch besetzte Einspielungen und Dokumente sind inzwischen mehr als rar. Ich weiß, der geneigte Leser zieht jetzt die Augenbrauen hoch und denkt: Jetzt ist er/ich schon wieder bei seinem Generalthema der nationalen/idiomatischen Stimmen. Aber im Gegensatz zu Berlioz und zu Massenet ist Meyerbeer wirklich mehr als empfindlich, was die Diktion/Kommunikation angeht. Es wird Inhalt transportiert und weniger Musik, zumal musikalisch vieles auch redundant ist und sich – bei schlechten/ upgedateten/ banalen Produktionen der Gegenwart – auch hinzieht. Meyerbeer hat sozusagen cinematographisch komponiert: Palmen, Treppen, Interieur,  Münster in Flammen, einstürzende Kathedralen, und das Ballett der „sündigen“ Nonnen erregte und verstörte die Zuschauer 1831 und ist auch heute noch ein Anstoß – das ist Show, das ist Bühne, das ist blanke Unterhaltung wie in einem Musical (der Kronleuchter im Phantom etwa). Das bedarf der inszenierten funktionalen Musik, nicht etwa einer langweiligen Bühnenmusik, sondern der illustrativen, die ohne das zu illustrierende Objekt eben auch langweilig und nur funktional wirkt (wie oft auf einer Nur-CD). Das hatte es vorher noch nicht gegeben – und der Schlüssel zu Meyerbeer liegt eben in diesem fast operetten-/musicalhaften Zugang zu der von ihm geschaffenen Grand Opéra, die absolut alles an Bühnentechnik nutzte. Und das war in Paris 1831 so überwältigend, wie es sich unsere sparsam besetzten Häuser gar nicht mehr vorstellen können. Die Pariser Produktion von 1985 versuchte eben diese Anforderung – für mich höchst erfolgreich – sozusagen „over the top“ umzusetzen. Ein Projekt für Barry Kossky vielleicht?

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Kaum etwas hört man zum ersten Mal – so gibt´s auch hier weitere, Dokumente der Oper. Das frühste (neben unzähligen Version en der „Gnadenarie“ und Nonnenballetten) in moderner Zeit kommt aus Italien (wo sich die Oper länger hielt als in Frankreich), aus Florenz vom Maggio Musicale 1968, damals unbekannt und sicher aufregend, zudem ein Ruhmesblatt in der Geschichte des stets risikofreudigen Hauses. Aber die alte italienische Bastardversion (ehemals Myto und viele andere) mit der dünnen Scotto, Malagu und dem schimpfenden Boris Christoff (der da was verwechselt) macht keinen Spaß, einzig Giorgio Merighi bleibt schlank und italienisch-ordentlich, aber in dieser Sprache verliert die Oper enorm und klingt wie von Mascagni.

Die nachfolgenden originalsprachigen Dokumente halten mich ebenfalls bei Besinnung. Weder die Berliner Georg-Quander-Produktion an der Berliner Staatsoper 2000/01 (die es als illegale Mitschnitte gibt/eine bei youtube) konnte mit Nelly Miricioiu oder der stoischen Marina Mescheriakova glänzen (Brigitte Hahn war da cremig-seelenlos in der Reprise), noch sind die restlichen etwas, wovon man seinen Kindern erzählen möchte (einzig der Tenor Zhang und das Dirigat von Minkowski).

Andere Mitschnitte wie etwa das nur auf DVD erschienene Opus-Arte-Objekt aus London 2013 mit dem brüllenden Bryan Hymel und der schlafmützigen Marina Poplavskaja, dem blassen John  Relyea oder der hochneurotischen Patricia Ciofi (das wurde mit jedem Jahr schlimmer) bestätigen nur das Gesagte, zumal Daniel Oren am Pult von Covent Garden Meyerbeer mit Puccini verwechselt – nein, das macht weder Spaß, noch wird es dem Werk gerecht. Die neuere Aufnahme bei Brilliant ist wirklich nicht zu empfehlen: Mit erneut Bryan Hymel, Patricia Ciofi (noch zerquälter als sonst) und Alastair Miles hat man die üblichen Verdächtigen der von Covent Garden geprägten Gegenwartsszene vor sich, zumal Daniel Oren – diesmal in Salerno (!!!) – rumst und macht und tut, nur eben kein elegantes französisches Flair erzeugt. Wir leben – wie der ehemalige Papst Benedikt so richtig sagte – im Zeitalter der Abbilder, nicht der Originale. In Abwesenheit derselben blinkt hier nur Talmi, sorry.

Die wirkliche Erstaufführung der Originalfassung in moderner Zeit (wenngleich noch nicht in der neuen Ricordi-Edition von Wolfgang Kühnhold und Peter Kaiser) fand wie vorstehend beschwärmt in Paris 1985/86 statt, mit den genannten Mitwirkenden. Der Mitschnitt vom Pariser Radio 1985 kam in bestem Stereo-Radio-Sound als graue LP-Box heraus (nebenstehend, immer noch die beste Quelle), aber dann auch auf CD bei Gala, Adonis und anderen Mitstreitern des illegalen und leider wegen der heutigen Copyright-Restriktionen verschwundenen Angebots.

Die tapfere Eve Queler gab die Oper etwas breit dirigiert konzertant und sinnvoll gekürzt in New York 1988 mit dem furchtlosen Chris Merritt und besagter Zusatzarie für Mario (ein Sammlerschatz bei youtube, zumal auch Samuel Ramey hier wieder die Szene beherrscht, dazu singen Francis Ginsberg und Marilyn Mimms wirklich toll – die besten neben den Damen von Paris 1985!).

Aus dem italienischen Martina Franca gibt es eine wirklich nicht empfehlenswerte Aufnahme von 2000 unter Renato Palumbo mit Warren Mok (dto. tapfer) in der Titelrolle, kein Gewinn (Dynamic).

Eve Queler dirigierte 1988 die originalfranzösische Aufführung des „Robert“, mit interpolierter Zusatzarie, von Chris Merritt glanzvoll, gesungen (youtube hat´s)/ Foto OBA

Zuletzt nun sehr wirkungsvoll Evelino Pido in Brüssel 2022 (aus Erfurt 2011 gibt´s kein Dokument) mit einem virilen, nicht immer unangestrengten (und auch nicht immer schönstimmigen)  Dimitry Korchak in der Titelrolle und erstmals Nicolas Courjal als fabelhaftem Bertram. Julien Dran war der flotte Raimbault. Die Damen finden meine Liebe nicht so wirklich. Lisette Opresa ist als Isabella nicht unrecht, aber stimmlich zu unruhig. Und die Carmen-geschulte Yolanda Auyanet ist dem Vibratös-Verwaschenen verpflichtet (lässt aber in der „Grace, grace“-Arie bislang ungehörte Variationen hören, interessant). Immerhin: komplett in der neuen Ricordi-Edition und von Evelino Pido flott, aber gekürzt dirigiert – wo kann man´s erleben? youtube hat´s mal wieder. Aber vom Sitz reißt mich das alles nicht. Das tut immer noch Thomas Fulton in Paris 1985, ob nun gekürzt oder nicht. Geerd Heinsen

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Meyerbeer: „Robert le Diable“/ das berühmte Gemälde von Lepaulle vom Schluss-Trio der Uraufführung mit Nicolas-Prosper Levasseur (Bertram), Adolphe Nourrit (Robert) und Julie Dorus-Gras (Alice)/ Wikipedia

Zum Opernereignis Robert le Diable nun Berthold Warnecke: Für mehr als sechs Jahrzehnte war Robert le Diable eines der Zug­pferde der großen Oper in Paris, bis zum Ende des 19. Jahrhun­dert verzeichnete man dort über 750 Vorstellungen! Louis Véron, seit Februar 1831 Direktor des Hauses in der Rue le Peletier, hatte es verstanden, die besten Kräfte der Zeit für den Auftakt seiner Intendanz zu verpflichten: Edmond Duponchel zeichnete als „chef du service de la scène“ verantwortlich, Pierre Luc Charles Cicéri für das Bühnenbild, die Inszenierung lag in den Händen des Robert-Darstellers Adolphe Nourrit und des Librettisten Eugène Scribe, Filippo Taglioni choreografierte die aufwändige Ballettmusiken – im berühmten „Nonnenballett“ präsentierte er dem Publikum sogar erstmals den Spitzentanz auf der Opernbühne –, die musikalische Leitung schließlich, da Meyerbeer als Gast nicht an der Opéra dirigieren durfte, lag in den Händen von Antoine Habeneck, der bereits die ersten maßstabsetzenden Beethoven-Interpretationen in der Seine-Metropole geleitet hatte. Kein Komponist konnte sich der Wirkung von Meyerbeers Musik ent­ziehen. Bereits kurz nach der Uraufführung am 21. November 1831 publizierte Frédéric Chopin sein Grand Duo in Es-Dur für Cello und Klavier über Themen aus Robert le Diable. Sigismund Thalberg, Henri Herz und Friedrich Kalkbrenner folgten ebenfalls mit Fantasien und Va­riationen, Liszts Réminiscences de Robert le Diable (1841) avancierte gar zu einer Art Virtuosen-Visitenkarte in dessen Konzerten. In Wien sprang Johann Strauß gleich nach der Erstaufführung des Robert im Juni 1833 auf den Erfolgszug auf und lieferte bereits einen Monat später seine Walzerfolge Robert-Tänze (op. 64) – natürlich versäumte er es dabei nicht, Raimbauts Ballade in einen ¾-Takt zu verwandeln! Jacques Offenbach schließlich wählt Meyerbeers Grand Opéra zur, gleichwohl bewunderten, Zielscheibe seiner bissigen Operetten – und der solcherart Angegriffene „wußte genau, daß die Parodien Offenbachs zuletzt doch den Ruhm seiner Opern erhöhten und war überdies als Mann von Welt zu gewitzt, um es mit dem Spaßmacher zu verderben.“ (Siegfried Kracauer)

Meyerbeer: „Robert le Diable“/Piere Charles Cicéris Dekoration für das Nonnenballett/ WikipediaNonnen/Illustration zur Uraufführung/OBA

Auf Anfrage des Musikverlegers Maurice Schlesinger publizierte Honoré de Balzac 1837 seine Novelle Gambara, mit einer aus­führlichen Analyse von Meyerbeers Oper, eingebettet in einen span­nenden (musik-)psychologischen Diskurs um den irren Komponisten Gambara. Auch Heinrich Heine versäumt es nicht, seine Angélique „in die Oper zu führen alsdann: / Man gibt Robert-le-Diable. / Es ist ein großes Zauberstück / Voll Teufelslust und Liebe / Von Meyerbeer ist die Musik, / Der schlechte Text von Scribe.“ Noch zehn Jahre nach der Uraufführung führt der Graf von Monte Chris­to in Dumas‘ gleichnamigem Abenteuerroman (1844 – 46) höchst persönlich die griechische Prinzessin Haydée in die Grand Opéra, natürlich in eine Vorstellung des Robert. Dass sich die Zustände während der Aufführung in der großen Oper keineswegs sonderlich von denen der übrigen Pariser Theater unterschieden, erfahren wir ebenfalls im 53. Kapitel des grandiosen Romans: „Der Vorhang ging wie gewöhnlich vor einem fast leeren Haus auf. Das ist auch eine von den Gewohnheiten unserer modebewussten Pariser, ins Theater zu kommen, wenn das Theater bereits begonnen hat. Die Folge davon ist, daß der erste Akt vorübergeht, ohne daß die be­reits angekommenen Zuschauer das Stück sehen oder hören, son­dern die ankommenden Zuschauer eintreten sehen und nichts hören als den Lärm der Türen und Gespräche.“ Teuflische Verstrickungen

Meyerbeer: „Robert le Diable“/ die berühmte Kreuzszene im 3. Akt mit Jenny Lind und Nicolas-Prosper Levasseur nun als Frontespiece-Schmuck des Klavierazuszugs/ BNF Gallica

„Auf solch eine kalte berechnete Phantasieanstalt kann ich mir nun keine Musik denken“, schrieb Felix Mendelssohn Bartholdy im Januar 1832 abschätzig an Carl Immermann, den späteren Leiter des Düsseldorfer Theaters, „und so befriedigt mich auch die Oper nicht; es ist immer kalt und herzlos“. In Verkehrung des späteren Verdikts Wagners führt er noch den Nachsatz an: „und dabei empfinde ich nun einmal keinen Effect.“ Doch das viel geschol­tene Libretto Eugène Scribes zu dieser „Phantasieanstalt“ scheint in der Fokussierung auf den Vater-Sohn-Konflikt einerseits und Ro­bert im Liebesdreieck von Mutter, Alice und Isabelle andererseits durchaus geradlinig und packend. Der Text greift auf Versatzstü­cke aus der mittelalterlichen Volkssage von Robert dem Teufel und der romantischen Schauererzählung Das Petermännchen (1793) von Christian Heinrich Spieß (1820 von Henri de Latouche ins Französische übersetzt) zurück, auch E.T.A. Hoffmanns Elixire des Teufels (1815/16) scheinen in der Gestalt der Heiligen Rosalia aus der Ferne nachzuwirken.

Sieht man von den „Effekt“ machenden Elementen der Schauer­romantik ab, bleiben in der Tat ein durchaus „kalter“ und „herz loser“ Kern, der verstörend und deshalb so reizvoll für die Bühne erscheint, und Figuren zurück, hinter deren typenhaften Wesen wahre Abgründe aufscheinen.

Meyerbeer: „Robert le Diable“/ Jenny Lind am Kreuz/ Wikipedia

Ein dichtes motivisches Netz ist vor allem um Bertram gezogen. Fagotte, tiefes Blech und die solistisch geführten Pauken charakteri­sieren seine Sphäre, die immer wieder auch die heiter-beschwing­ten Chorszenen und Solonummern unterwandert, gleich zu Beginn Raimbauts Erzählung: Naiver Hörnerklang über einem harmlosen 6/8-Rhythmus leitet die Ballade von „Robert dem Teufel“ ein, doch mit jeder Strophe verdunkelt sich der Orchestersatz mehr und mehr, gleitet das lichte C-Dur ins dämonische c-Moll ab – Sentas Balla­de aus dem Fliegenden Holländer oder auch Hoffmanns Lied von „Klein Zack“ in Les contes d’Hoffmann haben hier ihren Ursprung.

In einer Dramaturgie, die auf Bilder anstelle von erzählerischer Stringenz und Entwicklung setzt, wirft die Figur Bertrams aber auch große Fragen auf, gerade mit Blick auf die verwendeten literarischen Versatzstücke. Warum offenbart er sich erst als Vater Roberts, wenn es eigentlich zu spät ist? Verheimlicht er Robert bewusst eine Lebenslüge? Verschweigt er bewusst die teuflischen, gar gewaltsamen Umstände, denen Robert sein Leben verdankt?

Meyerbeer: „Robert der Teufel“  bei Liebig/Finaltrio mit Julie Dorus-Gras (Alice), Adolphe Nourrit (Robert) und Nicolas-Prosper Levasseur (Bertram)

Was bedeutet es für Robert, wenn die Volkssage von einem Ere­miten erzählt, der ihm aufträgt, zur Buße für seine Untaten „als ein Narr und Stummer“ unter den Hunden zu leben? Gibt es eine Be­ziehung zwischen Bertram und Isabelle, auch wenn sich das Text­buch darüber ausschweigt? Immerhin bleibt ihr Vater, der König von Sizilien, gleichfalls nur eine Art Trugbild wie später der Prinz von Granada. Und aus dem letzten Kapitel der französischen Volkssage – 1783 publiziert in der Reihe Bibliothèque bleue – erfahren wir außerdem, dass er vor der Heirat mit Mathilde (= Berta in der deutschen Version) eine Liaison mit Mélisandre von Poitiers gehabt hat: „Sie sprach ihm tausend kleine Neckereien zu, auf die Hubert mit Höflichkeit antwortete, ohne jemals weiter zu gehen, und nahm das Ganze mit Scherzen auf …“

Spannend auch ein Blick auf das Dreigestirn Mutter – Alice – Isabelle, das Robert schützend umgibt. Durch Alice verleiht Meyerbeer der toten Mutter (Berthe) eine Stimme. In ihrer Romanze des 1. Aktes („Va, dit-elle“) liest sie Robert einen Brief ihrer Mutter vor, der ihn vor dunklen Mächten warnt. Das rhythmisch-drängende Motiv, mit dem sie das Versprechen der Mutter vorträgt, bei Gott für ihren Sohn zu beten wird („sa mère qui priera pour lui“) – eine dreifach wiederholte Folge einer punktierten Achtel- und einer Sechzehntelnote) – taucht kurz vor Schluss des 4. Aktes wieder auf zu den Worten „toi que j’aime, toi que j’aime“ („du, den ich liebe“), in der jener berühmten „Grace“-Passage Isabelles, in der diese Robert anfleht, ihr keine Gewalt anzutun, da sie ihn wahrhaft liebe. Bereits zu Be­ginn jener Cavatine – im Orchester nur von Harfe und Englischhorn begleitet – gesteht Isabelle Robert zu denselben Worten

Der Autor: Berthold Warnecke/ bis 2013 Dramaturg am Theater Erfurt, danach bis heute Operndirektor  am Mainfrankentheater Würzburg/Foto Nik Schoeltzel

ihre Liebe, eingefasst in eine sehnsuchtsvolle f- Moll-Kantilene. Dieses Motiv wiederum knüpft an das Accompagnato-Rezitativ vom Beginn desselben Aktes an, als Alice zu Isabelle kommt, um von ihr Abschied zu nehmen und ein letztes Mal Robert aufzusu­chen, da auch sie ihn so sehr liebe. Während Isabelle also in ihren vorausgehenden hochvirtuosen Koloraturnummern an den „teuflischen Elan“ Roberts anknüpft, ihn damit jedoch nicht von der Wahrhaftigkeit ihrer Liebe überzeugen kann, gelingt dies in dem Moment, da Isabelle ihn mit Alices lyrischer Musik an die Liebe der sterbenden Mutter erinnert. Aus dem anfänglichen Konflikt zwischen „Gut“ und Böse“ wird so am Ende für Robert eine Entscheidung zwischen dem Vater, als der sich Bertram zu erkennen gibt, und der Mutter, deren Testament Robert nun selbst in Händen hält und dessen Sinn er jetzt begreift – er erahnt die finsteren Umstände seiner Herkunft. (…) Berthold Warnecke

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Der Beitrag, als Teil seines Artikels, „Phantasieanstalt ‚Grand Opéra“, von Berthold Warnecke entstand für das Programmheft zu den  Aufführungen am Theater Erfurt 2011/ Dank an den Erfurter Chefdramaturgen Arne Langer/ Abbildung oben: Das Nonnenballett in einer Aufführung der Pariser Opéra (Salle Le Peletier) 1831/ Wikipedia.

Die deutsche Palazzetto-Presseagentur ophelias hatte „aus Spargründen“ kein Belegexemplar verfügbar. Ein Download in mp3 (!) sollte aushelfen, der lässt natürlich keinen wirklichen Eindruck auf die Klangqualität zu. Französische Kollegen halfen da aus …

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier

Nachschöpfungen

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Glossa veröffentlicht eine weitere CD mit dem italienischen Countertenor Filippo Mineccia (GCD 923534), die im September 2021 im Teatro Municipale von Piacenza aufgenommen wurde. Nach der Orientierung auf das Barock-Repertoire wendet sich der Sänger nun Wolfgang Amadeus Mozart und dessen für Kastraten geschriebenen Arien zu. Die CD mit dem Titel „Mozart Italian Arias“ beginnt mit einer Aria der Betulia, „Parto inerme“, aus dem Oratorium Betulia Liberata, das 1771 als Auftragswerk für Padova komponiert, aber wahrscheinlich zu Lebzeiten des Komponisten nie aufgeführt wurde. Es ist ein sehr bewegtes, pulsierendes Stück, in dem der Sänger die obere und untere Lage attraktiv ausstellen kann. Gelegentlich hat die Stimme einen heulenden Beiklang, der bei seinen Barock-Interpretationen nicht zu bemerken war. Später folgt noch eine weitere Aria der Titelheldin,„Prigionier che fa ritorno“, bei der Mineccias Stimme klangvoll und emotional stark beteiligt ertönt.

Der junge Mozart erhielt noch weitere Aufträge aus Italien – für das Mailänder Teatro Ducale die Oper Mitridate, re di Ponto (1770) und die Serenata Ascanio in Alba (1771). In der Oper waren drei Partien mit Kastraten besetzt, dem berühmtesten, Giuseppe Cicognani, war der Farnace anvertraut. Zwei seiner Arien stellt Mineccia vor: „Già dagli occhi il velo“ und

„Venga pur“. Erstere ist von kantablem Melos und stellt mit anspruchsvollen Verzierungen hohe technische Anforderungen an den Solisten. Die zweite ist das Bravourstück des Programms, in welchem Mineccia sein virtuoses Können zeigen kann. Die Titelrolle des Ascanio komponierte Mozart für den gefeierten Virtuosen Giovanni Manzuoli. Hier erklingt seine Aria „Al mio ben“ in starker emotionaler Beteiligung des Solisten.

Überraschend finden sich in der Anthologie auch Arien anderer Komponisten. Wolfgang Amadeus und Vater Leopold wohnten im Januar 1770 im Teatro dell’Accademia von Verona der Aufführung von Pietro Alessandro Guglielmis Ruggiero bei, in welcher der gefeierte Kastrat Gaetano Guadagni in der Titelrolle reüssierte. Mineccia singt dessen Aria „Nel suo dolor ristretto“ und bietet damit eine der Weltpremieren des Programms. Sie fordert dem Interpreten gewagte Registerwechsel ab, denen sich der Sänger furchtlos stellt. Guadagni wirkte auch in Wien bei Glucks Orpheus und Eurydike mit. Der Counter wählte für sein Recital aber ein anderes Werk dieses Komponisten, Le feste d’Apollo, und daraus die Aria des Aristeo, „Numi offesi“. Der Interpret dieser Partie bei der Uraufführung 1769 in Parma war der Kastrat Vincenzo Caselli, den Mozart 1770 in Mantova in Hasses Demetrio hörte. Die Arie ist getragen und wird von Mineccia empfindsam wiedergegeben.

Das Arien-Programm wird komplettiert mit der des Tobia Padre, „Quando il vaso in colmo“ aus Mysliveceks Oratorium Il Tobia, das 1769 in Padova seine Premiere erlebte. Mozart schätzte diesen  Komponisten wegen seines raffinierten Stils, wovon die ausgewählte Nummer zeugt. Mineccias Stimme klingt hier sanft und eindringlich.

Den Sänger begleitet das Orchestra Farnesiana unter Leitung von Luca Oberti, das mit Mozarts Sinfonia in G-Dur  KV 74 (Mailand, 1771) auch in einem wirkungsvollen orchestralen Beitrag zu hören ist (21.10.22). Bernd Hoppe

Festival-Echo

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Es handele sich, so die Ankündigung des Festival Verdi, um das „schwedische“ Libretto, wie es Verdi für die Uraufführung 1859 Rom einreichte, bevor die Zensur die Verlegung der Handlung aus König Gustavs Stockholm ins ferne Boston verlangte. Deshalb also: Gustavo III.; ergänzend dazu in Klammer gesetzt dazu Un ballo in maschera (Dynamic Bluray 57937 und 3 CD CD579327.03). Das Teatro Regio, wo die Aufnahmen im Rahmen des Verdi Festivals 2021 vor genau einem Jahr (24. September 2021) entstanden, hatte es noch umgekehrt gehandhabt. Das ist egal. Die textlichen Änderungen sind minimal (Opera Lounge berichtete darüber). Roberto Abbado wandelt auf den Spuren seines großen Onkels Claudio Abbado, der sich mehrfach beispielhaft für Un ballo in maschera eingesetzt hatte und dabei die Stockholmer-Version bevorzugte. Roberto benutzt die kritische Ausgabe von Ilaria Narici und dirigiert die Filarmonica Arturo Toscanini und den am oberen Rand des Bühnenhalbrunds posierten Chor des Teatro Regio mit schwelgerischer Finesse und schwarz-schwerem Glanz als Requiem, der dem Abend in der geschärften Rhythmik der Ensembles eine bezwingende Sogkraft verleiht. Leider konnte der an Covid verstorbene Garham Vick, dem man in Parma immer noch für seinen Stiffelio wenige Jahre zuvor in Teatro Farnese dankbar war, seine Inszenierung nicht fertig stellen, weshalb der eingesprungene Jacopo Spirei für das halbgare Machwerk verantwortlich zeichnet. Die Trauerzermonie hat sich sicherlich noch Vick ausgedacht. Der Hof trägt seinen König zu Grabe. Eine würdevolle 19. Jahrhundert- Gesellschaft, wie aus Verdis Zeit. Ein großer Prunksarg, eine alles dominierende Hermes-Figur, drückend schwarz vor Richard Hudsons hellem Halbrund. Spirei fügt dem Trauergesang und den Klagen über eine aufgegebene Liebe allerleimascheramenti“ und „travestimenti“ hinzu, macht aus dem Hof und Ulricas Salon ein Männerbordell mit gutaussehenden jungen Männern in Kleidern und Stiefeln, die sich anbieten, die Kleider und Beine hochwerfen und später vor mörderischen Ausschweifungen nicht Halt machen. Alles nur Pose, alles nur Behauptung und dekorative Halbnacktheiten, schließlich ein Maskenball mit Discokugel und Trapezkünstler, ohne die Figur des möglicherweise homosexuellen Königs näher zu beleuchten. Eigentlich ärgerlich, weil handwerklich so lasch ungesetzt. Der korrekte Piero Pretti ist als Gustavo kein charismatischer Darsteller und kein Mann, der alle Ohren auf sich zieht, er singt aber geschmackvoll und mit klarer Höhe. Mehr gesangliche Statur besitzt Anna Pirozzis dunkel schwer timbrierte, in allen Lagen ausgeglichene und mit leuchtenden Höhen aufwartende Amelia. Betörend das Timbre von Amartusvin Enkbat, der den Anckarstrom mit beispielhafter Kultur und prächtiger Höhe singt. Ein wenig unruhig ist Anna Maria Chiuris Mezzosopran, doch sie singt eine effektvolle Ulrica, die scharfstimmig quicke Giuliana Gianfaldoni ist ein gefälliger Oscar. Rolf Fath

Römische Verwirrungen

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Max Emanuel Cencic sorgte in diesem Spätsommer für eine Sensation beim Festival Bayreuth Baroque mit seiner Produktion von Leonardo Vincis Alessandro nell’Indie in einer reinen Männerbesetzung, womit an die mitwirkenden Kastraten bei der Uraufführung erinnert wurde. Mit dabei und besonders erfolgreich war der Sopranist Bruno de Sá in der Rolle der Cleofide.  Jetzt veröffentlicht Erato eine CD mit dem Sänger, die Roma Travestita betitelt ist, also jene Arien für Frauen-Rollen vorstellt, die im 18. Jahrhundert auf Roms Bühnen von Kastraten en travestie interpretiert wurden. Das Konzept für die im Frühjahr 2021 im italienischen Lonigo produzierte CD erstellte Max Emanuel Cencic höchstpersönlich, Leider ist das Booklet mit seinen Textbeiträgen in winziger Schrift auf hellfarbigem Fond eine Zumutung für den Leser (0190296619809).

Das Programm beginnt mit zwei Arien der Titelheldin aus Alessandro Scarlattis Griselda (1721). In „Di, che sogno“ aus dem 1. Akt zwitschert der Sänger munter wie ein Vögelchen und wagt sich hinauf in Extremhöhen mit beachtlichem Ergebnis. Phänomenal ist seine Kunst, staccati perfekt und stets klangschön anzutippen. „Mi rivedi“ aus dem 2. Akt ist eine getragene Nummer, auch sie mit einem stratosphärischen Spitzenton gekrönt. Nie klingen solche Noten bei de Sà grell oder gar schrill, sie sind stets eingebunden in die Gesangslinie und wirken immer organisch.

Danach folgt eine Arie der Berenice aus Vincis Farnace (1724), also des Komponisten, mit dessen Alessandro in Bayreuth ein so immenser Erfolg errungen wurde. „Lascerò d’esser spietata“ ist die erste der insgesamt acht Weltersteinspielungen – bei dreizehn Titeln der Anthologie ein beachtliches Verhältnis. Sie ist von lieblichem Duktus und mit vielen Koloraturen und Trillern geschmückt. Zwei unterschiedliche Charaktere stellt De Sá aus Vivaldis Giustino (1724) vor. Ariannas „Per noi soave e bella“  ist eine jubilierende Arie nach ihrer Rettung von einem Felsen durch den Titelhelden. Ganze Serien von staccati sind hier zu absolvieren – für den Solisten eine leichte Übung, die sogar lustvoll klingt. Leocastas „Senza l’amato ben“  ist die schmerzliche Klagearie einer Frau, die mit ihrem Geliebten sterben will. Der Sänger formt sie mit eindringlicher Gefühlsskala und leuchtenden Spitzentönen.

Weniger bekannt sind die Komponisten Rinaldo Di Capua (1705 – 1780) und Giuseppe Arena (1713 – 1784). Ersterer ist mit seiner Oper Vologeso, re de’ Parti (1739) vertreten, aus der eine Arie der Berenice, „Nell’orror di notte oscura“, erklingt. Sie schildert den Konflikt der armenischen Königin zwischen der Freude über die Rettung ihres Gatten und der Verzweiflung, dass dieser zum Tode verurteilt wurde. Ein wiegendes Melos im Orchester steht für den aufgewühlten Seelenzustand dieser Frau, während der Singstimme virtuoses Zierwerk zugeordnet ist. Der Sänger bewältigt dieses bravourös, vermag aber auch die hybriden Gefühle der Figur plastisch zu umreißen. Aus dem Oeuvre des zweiten wählte der Sänger Achille in Sciro (1738) mit der Arietta der Deidamia „Del sen gl’ardori nessun mi vanti“ aus, ein schelmisches Stück in Menuett-Form, in welchem der Interpret eine kokette Stimmung einbringt.

Kein Unbekannter ist Baldassare Galuppi, aber seine Oper Evergete von 1747 dennoch eine Rarität. Die Arie des Candace „Qual pellegrino erante“ stellt im Programm eine Ausnahme dar, handelt es sich dabei doch um das Solo eines männlichen Helden, dem Vater der Titelfigur. In dieser Gleichnisarie wird die Arie eines Pilgers, der sich im dunklen Wald verirrt, geschildert. De Sá setzt hier sogar einige Effekte in der unteren Lage ein, die eigentlich nicht seine Stärke ist, sondern sonst eher schmal klingt.

Danach folgen wieder weniger populäre Tonsetzer mit Gioacchino Cocchi (1712 – 1796) und seiner Adelaide (1743) sowie Nicola Conforto (1718 – 1793) mit Livia Claudia Vestale (1755) und Francisco Javier García Fajer 1730 – 1809) mit Pompeo Magno in Armenia (1755). Die Titelheldin der Adelaide wird mit zwei Arien porträtiert: In „Timida pastorella“  vergleicht sie sich mit einer trauernden Schäferin, in „Nobil onda“ hofft die Gefangene auf Befreiung durch den germanischen König Ottone. Der Sopranist vermag die unterschiedlichen Stimmungen der beiden Titel eindringlich zu malen. Dazu verblüfft er im ersten mit sich immer höher schraubenden Skalen, im zweiten mit einem Koloraturfeuerwerk  der Extraklasse. Die Vestalin Livia Claudia hat vermeintlich ihr Keuschheitsgelübde gebrochen und singt in der dramatisch aufgewühlten Arie „Vadassi pure a morte“ von dem zu erwartenden Tod. De Sá klingt hier ungewöhnlich präsent in der Mittellage und eher wie ein Counter – eines der beeindruckendsten Porträts der Sammlung. Aus dem Pompeo erklingt Giulias Kavatine „Grato oblio“, in der Tochter des Giulio Cesare hofft, dass der Schlaf sie die vermeintliche Untreue ihres geliebten Pompeo vergessen lässt.

Zum Schluss noch einmal ein bekannter Titel mit der Arie der Marchesa Lucinda, „Furie di donna“, aus La buona  figliuola (1760) von Niccolò Piccinni (1728 – 1800). Es ist das Bravourstück der Anthologie schlechthin und wurde der Vergangenheit von vielen Sängerlegenden interpretiert. Hier entfacht der Solist das geforderte staccato-Geglitzer mit solcher Virtuosität, dass die Nummer völlig zu Recht am Schluss der Sammlung steht und diese krönt.

Das renommierte Barockorchester Il Pomo d’Oro, auch bei Bayreuth Baroque immer wieder im Einsatz, begleitet den Solisten unter Leitung von Francesco Corti, der interessante Akzente setzt, den Sänger aber auch zuverlässig trägt.

Bruno de Sá stellte das Programm der CD auch im Markgräflichen Opernhaus von Bayreuth im Rahmen des Festivals vor und wurde dabei von Il Pomo d’Oro unter Corti begleitet. Bernd Hoppe

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PS.: Allerdings muss auch klargestellt werden, dass heutige Falsettisten (und das sind die Counterstimmen) nicht über die Fertigkeiten und Reichweiten der damaligen Kastraten verfügen und nicht von Vivaldi oder Händel für diese Hauptpartien eingesetzt worden wären. In absentia der Kastraten, die mit dem letzten in Rom, Alessandro Moreschi (nebenstehend), ausstarben, behilft man sich heute eben mit Falsettisten, die im Barocken nur zu Nebenrollen eingesetzt wurden. Das wird gerne vergessen (oder mangels Kenntnisse nicht erinnert). In dem Film über den Kastraten Farinelli (1994) von Gérard Corbiau wurden moderne Möglichkeiten digitaler Klangmanipulation angewandt, um aus den Stimmen einer Koloratursopranistin Ewa Małas-Godlewska und eines Countertenors Derek Lee Ragin eine synthetische „Kastratenstimme“ zu mischen. Grundlage dafür waren Tondokumente des letzten Kastraten Moreschi und zeitgenössische Beschreibungen (Wiki). Für mich eine der überzeugendsten Demonstrationen. Denn in meinen Vorstellungen klangen Kastraten wie eine Mischung aus Marilyn Horne, Joan Sutherland und Mady Mesple. G. H.

Zweigeteilt

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„Felsen in der Brandung nennt Autor Wolfgang Herles sein Buch über die Familien Hildebrand und Braunfels, die, so zeigt es der Stammbaum zu Beginn und am Ende des gut dreihundertseitigen Bandes, durch die  Ehe zwischen dem Komponisten Walter Braunfels und die Tochter des Architekten Adolf von Hildebrand namens Bertel zusammengeführt wurden, deren Mitglieder aber nicht nur auf ganz unterschiedlichen Gebieten des Geistes- und künstlerischen Lebens aktiv waren, sondern auch ihre Beharrlichkeit gegenüber sehr unterschiedlichen Zumutungen beweisen mussten. Widmet sich der Verfasser in Bezug auf die bereits verstorbenen Mitglieder der Familie in sehr ausgewogener Weise ihrem oft konfliktreichen Verhältnis zu ihrer Umgebung, so nehmen Auseinandersetzungen des 1950 geborenen Architekten Stephan Braunfels mit dem Auftrags- und Geldgeber Staat bzw. seinen Vertretern und mit den Kollegen, in allen Einzelheiten vor dem zunehmend auf Distanz gehenden Leser einen unverhältnismäßig breiten Raum ein, scheinen fast die Ausführungen über die Vorfahren zu verdunkeln, zu überdecken und in ihrem Wert zu mindern.

Als „unangepasste Traditionalisten“ bezeichnet der Autor die herausragenden Mitglieder der Familie, was seine Bestätigung in ihrem teilweise nicht der Zeitströmung entsprechenden intensiven Katholizismus ebenso findet wie in ihrer Orientierung , sei es Architektur oder Musik, an den bewährten Mustern, sei es die italienische Renaissance-Stadt oder die Tonalität, was die Musik betrifft.

Eigene Kapitel sind den im Stammbaum rot markierten Mitgliedern beider Familien gewidmet, als erstem dem noch als Juden geborenen Bruno Friedrich Hildebrand, weniger künstlerisch tätig, aber Jurist, Journalist, Unternehmer und Literat, von dem der Sohn meint, der Übertritt zum Christentum sei vor allem ein Bekenntnis zum Deutschtum gewesen.

Sein Sohn Adolf von Hildebrand, geadelt durch den bayerischen Kronprinzen Ruprecht von Bayern und kritisch gegenüber den Hohenzollern, ist Bildhauer und „der Schönheit verpflichtet“, Schöpfer des Wittelsbacher Brunnens in München und des einzigen Reiterstandbilds von Bismarck in Bremen, weist dem Relief eine besondere Bedeutung zu. Die Besucherliste, die vielleicht in einem seiner Häuser ausgelegen hat, vor allem im „Stammsitz“ der Familie in Florenz, liest sich wie ein Who is who der europäischen Geisteswelt, auch wenn Richard Wagner gehasst wird.

Bis hierhin und auch noch weiter kann der Leser einen zwischen Fiktionalem und vorwiegend Nichtfiktionalem angesiedelten Text genießen, fühlt sich manchmal direkt angesprochen und stellt mit Erleichterung fest, dass die Fülle von Frage- und Ausrufezeichen nur zu Beginn um Anteilnahme buhlt. Die wissenschaftliche Legitimation bezieht der Text nicht zuletzt aus den vielen Zitaten, seien es Bekenntnisse seiner „Helden“ oder Aussagen von Zeitgenossen, auch auf die im Anhang verzeichnete Sekundärliteratur, besonders auf das Buch von Isolde Kurz, wird gern und mit Gewinn Bezug genommen. In angenehm engen Grenzen hält sich der Hochmut des Spätgeborenen gegenüber dem Nationalsozialismus nach Meinung des Verfassers zu unkritisch Gebliebenen.

Des Bildhauers Tochter Bertel, mit 15 mit Furtwängler verlobt, wird mit neunzehn Jahren die Braut von Walter Braunfels, dessen Vater Ludwig Lazarus und dessen Halbbruder Jesaias Otto Braunfels ebenfalls in die Betrachtungen von Herles einbezogen wurden. Grotesk will es erscheinen, dass Hitler sich 1922 eine Hymne für seine aufstrebende Bewegung von dem Komponisten wünschte. In diesem Kapitel wird es natürlich für den Opernfreund äußerst interessant, wenn der Autor ihn nachvollziehen lässt, wie sich Braunfels aus Glaubensgründen von atonaler und amerikanischer Musik abwandte, von Wagner zu Verdi fand und nach ersten Erfolgen mit Opern wie Prinzessin Brambilla oder Ulenspiegel ein Te Deum und eine Große Messe komponierte. Dem Vergleich der Oper Die Vögel (nach Aristophanes) mit Meistersingern, Tristan und Zauberflöte mag man zustimmen oder nicht, zeitgenössische Kritiken werden, und das ist sehr hilfreich, reichlich zitiert. Interessant ist die Beschreibung des Wirkens in Köln (Adenauer hat seine Hand im Spiel), Lust auf das Hören einer der Opern, so gibt es auch einen Don Gil von den grünen Hosen oder eine Johanna-Oper, wird geweckt.

Dietrich von Hildebrand, dem Moralphilosophen,   Michael Braunfels, dem Pianisten, der sich um des Vaters Werk nach 1945 bemüht, sowie Wolfgang Braunfels, dem Kunsthistoriker sind weitere Kapitel gewidmet, auch des letzeren „Kleine italienische Kunstgeschichte“ wird gewürdigt. Und dann beginnt das Schlusskapitel,  in dem abgerechnet wird mit den bösen Politikern und Architektenkollegen, die verhinderten, dass  Stephan Braunfels alle seine wunderbaren Pläne, die ihm dann zum Teil sogar von Mitbewerbern bei Ausschreibungen indirekt entwendet wurden, verwirklichen konnte. So kann man zwar in München seine Pinakothek der Moderne und in Berlin die Parlamentsgebäude bewundern, aber Kulturforum, Flughafen Tempelhof  oder Dresdner Vorhaben blieben Pläne, die dank des Unverständnisses von Stoiber, Strauß, der jeweiligen Baudirektoren, da werden viele Namen genannt, nie verwirklicht wurden. Irgendwie wirkt dieses Kapitel wie ein Fremdkörper, besonders hier vermisst man zudem Fotos, da man sich keine Vorstellung davon machen kann, ob wirklich ein verkanntes Genie schnöde und schlecht behandelt wurde.

Der letzte, Das Schöne und der Trotz, betitelte Absatz scheint davon  zu sprechen, dass der Autor  selbst von dem Gedanken bewegt wurde, das letzte Kapitel seines Buches falle aus dem mit dem Titel „Felsen in der Brandung“  gespannten Rahmen. Literatur- und Personenverzeichnis sowie ein Bildnachweis befinden sich am Ende des Buches (2022 Benevento Verlag München Salzburg: ISBN 978 3 7109 0149 2). Ingrid Wanja

mitreißend und ohrwurmverdächtig

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Von London aus geht es zuerst nach Suez, anschließend nach Indien. Von dort aus über Borneo nach San Francisco und schließlich nach einer abenteuerlichen Reise durch den amerikanischen Kontinent schließlich zurück nach London. Genau. Die Reise um die Erde in 80 Tagen. Das in etwa sind die Stationen, die der englische Gentleman Phileas Fogg und sein französischer Diener Passepartout in Jules Vernes 1873 veröffentlichten Roman Le Tour du monde en quatre-vingts jours besuchten, um den Nachweis zu erbringen, dass es möglich sei, in 80 Tagen um die Welt zu reisen. Robert Ignatius Letellier, der mit seinem schönen Namen geradewegs aus dem Roman kommen könnte, aber aus der Naxos-Veröffentlichung (8.574396) von Franz von Suppès Bühnenmusik stammt, zu der er den Begleittext verfasste, erkennt im Vorspiel, das anschaulich die Atmosphäre im exzentrischen Londoner Club beschreibt, eine Anspielung auf Mozarts Le nozze di Figaro. Das ist so. Der getragene Promenadenduktus wird bei Foggs Abreise aufgenommen. Was nun aber folgt, ist ein musikalischer Bilderbogen, der die Club-Besucher aus ihren Sesseln gerissen hätte, ein exotischer Bilderbogen, in dem die Holzbläser als Trauermarsch den Scheiterhaufen der indischen Witwe umzüngeln, Posaunen Angst und Schrecken im Seesturm verbreiten, Klarinetten und Cello eine Prinzessin begleiten, ein wildes Scherzo wie auf dem Rücken der Pferde den amerikanischen Goldrausch beschreibt, an Bord eines Schiffes eine Barcarolle erklingt und schließlich beim Betreten der britischen Heimat „God save the Queen“ entrollt wird. Alles ist souverän entworfen und mit virtuoser Handwerkskunst dahingeworfen, marschtüchtig, brillant instrumentiert, abwechslungsreich, unterhaltsam, eingängig und nicht einfältig. Einst hatten Franz von Suppès Ouvertüren ganze Langspielplatten gefüllt, die zu Dichter und Bauer, Leichte Kavallerie, Ein Morgen, ein Mittag, ein Abend in Wien, Banditenstreiche sowie zu seiner populärsten Operette Boccaccio. Diese ist fast ebenso in Vergessenheit geraten wie der österreichische Komponist Franz von Suppé selbst, der 1819 im dalmatischen Spalato (heute dem kroatischen Split) geboren wurde, 1895 in Wien starb und neben Johann Strauss zu den Gründungsvätern der Goldenen Wiener Operette gehört. Neben Operetten und Singspielen schuf der Kapellmeister am Theater in der Josefstadt, am Theater an der Wien und anderen Bühnen unzählige Gelegenheitsstücke und umrahmte und lockerte Sprechstücke mit musikalischen Nummern auf. Eine dieser Schauspielmusiken, die 1874 entstandene Musik zu der im März 1875 in Carltheater aufgeführten Bühnen-Adaption von Vernes Erfolgsroman, hat die Janáček-Philharmonie Ostrava im Mai 2021 als World Premiere Recording aufgenommen. Die tschechischen Musiker und ihr schottisch-italienischer Gastdirigent, der für Naxos regelmäßig in Sachen Auber und Meyerbeer tätige Dario Salvi, spielen die 19 Nummern mit dem tiefen Streicher-Pathos, der Bläser-Emphase und der Tutti-Leidenschaft als sei sie bereits für die Leinwand entworfen: von Suppè als John Williams des 19. Jahrhunderts. Funkelnd, spritzig, mitreißend und ohrwurmverdächtig. Rolf Fath