Würdiges Memento für Stefan Soltész

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Ein Libretto, das die titelgebende Figur der Vorlage außen vor lässt, eine Oper, deren erste Fassung später vom Komponisten zugunsten der zweiten Version verboten wurde und deren erste nun fast ausnahmslos aufgeführt wird, das ist Paul Hindemiths Cardillac, von dem es jetzt eine CD mit dem Münchner Rundfunkorchester unter dem zu früh verstorbenen Stefan Soltész gibt. E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi ist eine Kriminalgeschichte, die im Paris Ludwigs XIV. spielt und über die die Figur des Fräuleins ein mildes Licht gießt. Das Libretto von Ferdinand Lion, das der Komponist für die zweite Fassung des Werks wesentlich erweiterte und veränderte, so mit der Einführung einer Opernsängerin und eines festlichen Balls, ist eher ein Psychogramm einer gestörten und verstörten Persönlichkeit. Die erste Fassung wurde 1926 in Dresden unter Fritz Busch uraufgeführt, die zweite 1952 in Zürich. 1960 erreichte man die gerichtliche Freigabe der ersten Version in Wuppertal, die nun fast ausschließlich auf die Bühnen gebracht wird und die durch den Kontrast zwischen den schon fast altertümelnden Nummern-Bezeichnungen, die seine Form ausmachen, und der Modernität der gestörten Künstlerpersönlichkeit eine Ausnahmestellung einnimmt.

Das Münchner Rundfunkorchester beweist unter Stefan Soltész  seine Qualitäten bereits im Vorspiel, wenn es durchsichtig filigran, aber gleichzeitig rasant beginnt, allmählich die Bedrohung, die von dem in seine Schöpfungen krankhaft verliebten Goldschmied ausgeht, hörbar werden lässt. Die Aufnahme besticht durch das Miteinander von dramatischer Expressivität und schlanker Eleganz. Eine höchst bedeutende Aufgabe hat der Chor, der Prager Philharmonische Chor unter Lukás Vasilek, der höchst idiomatisch und rhythmische wie Anforderungen an die Textverständlichkeit im Rahmen des Möglichen großartig meisternd zu einem der Protagonisten der Aufnahme wird.

Hoch zufrieden sein kann man auch mit den Gesangssolisten. Markus Eiche hat das angemessen virile, farbige Timbre für die Titelpartie, dazu eine gute Diktion und das, was man als eine darstellende Stimme bezeichnet, die sich zum Bekenntnis der furchtbaren Taten emphatisch steigern kann. Weich, sanft und feine Melodienbogen virtuos ausmalend, ist Juliane Banse eine sich auch im Quartett gut behauptende Tochter. Zwei Tenöre, Oliver Ringelmann  als früh gemeuchelter Kavalier und Torsten Kerl als Offizier und glücklicher Bräutigam der Tochter, stehen einander an strahlender vokaler Präsenz nicht nach. Mit koloraturgeläufigem Bass, der zudem viel Autorität vermittelt, glänzt Kay Stiefermann als Führer der Prévôté, viel aus der kleinen Partie des Goldhändlers macht Jan-Hendrik Rootering. Einen verführerisch klingenden Sopran kann Michaela Selinger für die Dame einsetzen. Vor allem aber ist diese Aufnahme als Vermächtnis von Stefan Soltész zu würdigen, von dem es leider eine allzu kleine Hinterlassenschaft gibt (BR Klassik 900345). Ingrid Wanja