Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Mario Sereni

 

Zu den Stars seiner Epoche zählte er eher nicht, aber in der Ära der Callas und lange darüber hinaus war der Bariton Mario Sereni eine feste Säule im internationalen Opernbetrieb. Seine Karriere währte dreieinhalb Jahrzehnte. Am 15. Juli ist er im Alter von 87 Jahren in Perugia gestorben, wo er am 28. März 1928 zur Welt kam. Er erlernte erst den Beruf des Drehers, bevor er in seiner Heimatstadt mit dem Gesangsstudium begann, das er in Rom fortsetzte, bis er in Siena Schüler von Mario Basiola wurde, der Opernfreunden als häufiger Partner von Beniamino Gigli noch heute ein Begriff ist. Basiola wiederum war Schüler des legendären Antonio Cotogni (1831-1918), so dass Stimmenkenner wie Rodolfo Celletti und John B. Steane nicht falsch liegen, wenn sie Sereni als einen Abkömmling der „Grand Tradition“ einordnen.

Mario Sereni/youtube

Mario Sereni/youtube

Trotzdem lief seine Karriere im damals von starken Baritonisten geradezu überquellenden Italien nur zögerlich an. 1953 debutierte er beim Maggio Musicale Fiorentino in Il diavolo nel campanile von Adriano Lualdi, einer heute vergessenen Oper nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe, die Arturo Toscanini 1924 aus der Taufe gehoben hatte. In den kommenden Jahren findet sich im Archiv der englischen Zeitschrift OPERA allerdings kein Eintrag über weitere Auftritte. Erst 1957 taucht sein Name dort wieder auf. So wirkte er in Parma in dem Einakter La figlia del diavolo von Virgilio Mortari mit und war Wolfram in einer italienisch gesungenen Tannhäuser-Produktion unter Heinrich Hollreiser, die am Teatro Massimo in Palermo herauskam und kurz darauf in Cagliari wiederholt wurde; Carlos Guichandut und Anna de Cavalieri waren seine arrivierten Partner.

 

Mario Sereni/ Pêre Germont/Mario Sereni Memorial Page cs.princeton.edu

Mario Sereni/ Pêre Germont/Mario Sereni Memorial Page/ cs.princeton.edu

Bekannt wurde Sereni aber erst fern der Heimat. Nachdem er 1956 am Teatro Colón in Buenos Aires als Valentin und Germont-père aufgetreten war, gab er ein Jahr später sein Debut als Carlo Gérard an der Metropolitan Opera, der er dann mehr als ein Vierteljahrhundert angehören sollte. Über 550 Vorstellungen hat er – laut dem Archiv des Hauses – in dieser Zeit gesungen, nicht wenige wurden vom Rundfunk übertragen. Viele große Vorstellungen waren darunter, etwa Lucia mit der Callas, Aida unter Solti, Falstaff unter Bernstein, Trovatore und Ernani neben Corelli – und und und. Einige Mitschnitte dieser Aufführungen liegen mittlerweile auf CD vor.

Im dramatischen Fach wurde ihm von Rudolf Bing allerdings Anselmo Colzani vorgezogen; der übernahm nach Leonard Warrens tragischem Bühnentod dessen Partie in La forza del destino, obwohl Sereni der offizielle understudy war, und auch den Part des Jack Rance in der Fanciulla del West, den ursprünglich Sereni singen sollte. Der hat immerhin die große Pokerszene aus dieser Oper mit Dorothy Kirsten im Fernsehen aufgenommen – das Dokument ist auf youtube zu besichtigen.

Mario Sereni Enrico in "Lucia di lammermoor"/Memorial Page cs.princeton.edu

Mario Sereni Enrico in „Lucia di Lammermoor“/Memorial Page/ cs.princeton.edu

Von New York aus unternahm Sereni viele Gastspielreisen in Amerika und nach Old Europe. An der Mailänder Scala kam er 1964 als Germont in Herbert von Karajans Traviata-Produktiojn zu späten Ehren, auch die anderen großen Theater Italiens interessierten sich jetzt für ihn, sein europäisches Stammhaus wurde jedoch die Wiener Staatsoper, in der er von 1961 bis 1976 regelmäßig auftrat und 13 Partien in 118 Vorstellungen sang – neben seinen bewährten Verdi- und Puccini-Rollen auch Figaro, Escamillo und Valentin.

Von der Met verabschiedete sich Sereni 1984 in einer von Placido Domingo dirigierten Bohème-Serie, in der er diesmal nicht den Maler Marcello sang, eine seiner Paraderollen, sondern den Musiker Schaunard. Sein Sohn Rodrigo, eines von vier Kindern, hat bei youtube ein klavierbegleitetes Abschiedskonzert vom August 1986 eingestellt, in dem Sereni mit unvermindert stabiler Stimme die Arien einiger seiner Glanzpartien – Germont, Valentin, Belcore, Gérard – vortrug. Der letzte öffentliche Auftritt wie behauptet, war dies allerdings nicht. Ich habe den Sänger noch anderthalb Jahre später als Partner Luciano Pavarottis im Elisir an der DOB erlebt. Diese Produktion wurde kurz darauf auch in Monte-Carlo gezeigt. Das war dann – folge ich dem Archiv von OPERA – tatsächlich seine letzte Aktivität als Sänger.

Mario Sereni/ Gérard in "Andrea Chénier/Met Opera Archive/ Memorial Page cs.princeton.edu

Mario Sereni/ Gérard in „Andrea Chénier/Met Opera Archive/ Memorial Page/ cs.princeton.edu

In Wikipedia wie auch in diversen Nachrufen wurde immer wieder betont, dass Sereni zeitlebens im Schatten großer Kollegen wie Warren, Bastianini oder Gobbi gestanden habe. Das ist sicher nicht falsch und gilt wohl auch für seinen Nachruhm. Ein unterschätzter oder gar verkannter Sänger war er trotzdem nicht. Er war an einem vollen Dutzend Studio-Gesamtaufnahmen renommierter Firmen wie EMI und RCA beteiligt, die alle den Übergang in die CD-Ära überlebt haben – eine Zahl, von der seine Kollegen und Konkurrenten Colzani oder Giangiacomo Guelfi nur hätten träumen können. Dazu kommen wenigstens 30 Live-Mitschnitte. Die Erklärung für diesen Erfolg liegt in der hohen Kompatibilität von Serenis geschmeidiger, anschmiegsamer Stimme, die sich ausgezeichnet mit den Stimmen anderer Sänger in anderen Stimmlagen mischte, ob Callas, Tebaldi, Price oder Freni, ob Corelli, Bergonzi, Gedda oder Domingo.

Oft wurde Serenis Stimme mit der von Ettore Bastianini verglichen – so in John B. Steanes „The Grand Tradition“ -, und was Wärme und Klangfülle angeht, konnte er es mit dem großen Kollegen aufnehmen, über dessen Pathos und vokales Charisma er allerdings nicht verfügte. Serenis Qualitäten lagen in der Gleichmäßigkeit der Klangemission, dem bruchlosen Registerwechsel und einer mühelosen Höhe, weniger im dramatischen Biss und in der scharfen Charakterisierung der Figuren. Nicht ohne Grund fehlt Scarpia in der Galerie seiner etwa 30 Bühnenrollen. Er war ein Meister des Legato und er konnte seine im Wesen lyrische Stimme organisch expandieren lassen. Deshalb hatte er in Partien wie Germont-père oder Carlo Gérard nur wenig Konkurrenz, aber auch sein Luna, sein Marcello, sein Belcore waren erste Klasse. In dramatischen Partien wie Macbeth und Amonasro verstand er es, stimmgewaltig aufzutrumpfen. Ob er auf der Bühne ein guter Rigoletto gewesen wäre, weiß ich nicht, in einer konzertanten Aufführung von 1979 macht er rein vokal einigen Effekt.

 

Mario Sereni/ Edgardo in "Lucia di Lammermoor"/ Met Opera Archive/ Memorial Page cs.princeton.edu

Mario Sereni/ Edgardo in „Lucia di Lammermoor“/ Met Opera Archive/ Memorial Page/ cs.princeton.edu (oben Ausschnitt)

Was wird von ihm bleiben? Ich denke, eine ganze Menge. Von seinen Studio-Aufnahmen dürften vor allem Madama Butterfly (mit Björling und de los Angeles), „Andrea Chénier“ (mit Corelli und Stella), La Bohème und L’elisir d’amore (beide mit Gedda und Freni) zeitlos bleiben. Bei La Traviata ziehe ich die Lissaboner Kult-Aufführung mit der Callas, aber auch den Mailänder Mitschnitt mit der Moffo unter Karajan der Studio-Aufnahme mit de los Angeles vor, bei Ernani den Live-Mitschnitt von der Met mit Corelli und Siepi der RCA-Aufnahme mit Bergonzi. Für Sammler unverzichtbar sind die Aida von 1963 unter Solti (mit Price, Gorr, Bergonzi und Siepi) und der Wiener Don Carlo von 1968 (mit Jurinac, Cossotto, dem jungen Domingo und Siepi). Doch auch die Fedora aus Neapel (1961) mit Renata Tebaldi und Giuseppe di Stefano ist eine feine Sache. Rundfunkmitschnitte der RAI von Macbeth (1961) und – aus den frühen 70er Jahren – La favorita (mit Fiorenza Cossotto), Alzira, Giovanna d’Arco und La battaglia di Legnano ergänzen Serenis diskographische Hinterlassenschaft überzeugend. Anders als bei manchen Livies etwa von Bastianini oder Taddei würde ich keine der genannten Aufnahmen allein wegen des Baritons empfehlen, aber die Mitwirkung Serenis ist in jedem Falle ein zusätzliches Gütesiegel. Ekkehard Pluta

Die Predigt vom American Dream

 

„Das Buch, das Sie in Händen halten, ist Jessyes jüngstes Kunstwerk. Es ist keine Karriere-Chronik wie so viele andere („Und dann habe ich…“), sondern die Geschichte ihres großartigen  Lebens in ihren eigenen Worten – und nicht in denen eines „Ghostwriters“ – und  natürlich auch mit ihrer eigenen Stimme“, gibt James Levine, nachdem er zehn außerordentliche Begegnungen mit ihr aufgelistet hat, in seiner Einführung den Erinnerungen Jessye Normans (Sing the music of my heart – Erinnerungen) mit auf den Weg. Alle, die eine solche chronologische Künstlerautobiografie erwarten – und wer wäre das nicht? -,  müssen enttäuscht sein. Mehr als die Hälfte der großzügig bemessenen, kurz vor Normans 70. Geburtstag am 15. September bei dtv erscheinenden 330 Seiten nimmt die Schilderung und Erzählung ihrer Heimat, Familie, Herkunft, Schule usw. in Anspruch. Erst dann widmet sich Norman ihrer Karriere, pickt dabei, was wiederum ganz sympathisch ist, eigentlich nur einige Momente heraus. Erst am Ende, wo sie die mantraartig wiederholten Worte, die ihre Jugend  und ihr Leben geprägt haben, die Predigen, wie sie es nennt, nochmals auflistet, „Die Predigt über das ‚Mach etwas daraus‘ „, „Die Predigt über Dankbarkeit“, „Die Predigt über Respekt“ und „Die Predigt über Bescheidenheit“, erkennt man, worum es ihr geht. Spiritualität, Erkenntnis, Gläubigkeit. „Ihr sprachliches Können entspricht haargenau ihrem musikalischen, und ihr Arbeitsethos ist ein Traum. Ich wollte, es wäre ein Vorbild für alle Sänger“, so nochmals Levine. Es ist ein Klischee, wenn man von einem persönlichen Buch spricht, wie es hier auf besondere Weise der Fall ist, doch als Biografie, als Beschreibung einer Laufbahn kurz vor Normans 70. Geburtstag am 15. September, die ihre Höhen hatte, die sich aber doch nicht ganz erfüllte und dann etwas verhauchte, ist die etwa redundante, in einem weihevoll hohen Ton verfasste Autobiografie (dtv ISBN 978-3-423-28056-3) nicht zu lesen.

Bevor sie sich ihrer Familie zuwendet, kommt Norman im Vorspiel-Kapitel doch gleich auf jenen Moment zu sprechen, der ihre Karriere in die entscheidenden Bahnen lenkte, die Teilnahme und schließlich der Sieg beim ARD-Wettbewerb 1968 in München. Sie schildert, wie man ihr nach dem ersten erfolgreichen Durchlauf sagte, dass sie, wie alle anderen, nicht ihren eigenen Klavierbegleiter haben könne. Egal, wer im Recht war. Norman war damals schon mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet, pochte auch bei der Wahl der Stücke auf die Teilnahmebedingungen und schildert die Episode, als gelte es gegen alle Ungerechtigkeiten der Welt ins Feld zu ziehen. Ein Gefühl, das man auch im Lauf des Buches nicht los wird, als sie einmal meint, aufgrund ihres Geschlechts finanziell übers Ohr gehauen worden zu sein, weil der Tenor mehr Gage als sie erhielt oder sie in Hotel achtlos behandelt wurde.
Gehegt und geliebt, großgezogen „in einer Familie voller starker Frauen“, aufgewachsenen mit dem Gesang von Großmutter Mamie, boten Nat ‚King Cole‘, Ella Fitzgerald, Dinah Washington, Duke Ellington, Louis Armstrong und Mahalia Jackson im Radio erste musikalische Offenbarungen, der Ende der 50er Jahren als eine der ersten Opern, ebenfalls im Radio, Lucia aus der Met folgte, aber auf einer Platte bei der Nachbarin auch die Alt-Rhapsodie mit Marian Anderson, die sie später kennen lernte und die in jener  Ariadne auf Naxos-Aufführung an der Met anwesend war, die als VHS und später DVD erschien. Norman erzählt von ihrer Ausbildung, ihrem unendlichen Arbeitseifer, Wissensdurst und der Hingabe an Text und Sprache und Werke: Singen als Handwerk im umfassenden Sinn. Wenig erfahren wir über die Stationen ihrer Laufbahn, wobei diese ihr auch nicht gleichgültig sind, denn nicht unerwähnt lässt sie die Großen der Welt, vor denen sie sang: Nelson Mandela, vor Carter anlässlich der Verleihung des Friedennobelpreises in Oslo, für Obama im Weißen Haus, vor zahllosen Staatsoberhäuptern in Paris anlässlich der 200-Jahr-Feier der Revolution, bis sie schließlich selbst mit der Verleihung des Kennedy Preises u. a. zusammen mit.Lauren Bacall, Bob Dylan und Charlton Heston (mit feiner Ironie, „persönlich war ich froh, dass ich jedwede politische Diskussion mit Mr. Heston vermeiden konnte“) geehrt wurde. Ihre Plattenaufnahmen, ihre Pläne und Hoffnungen scheinen kaum durch. Zwar erzählt sie wie die Weihnachts-CD „Christmastide“ zustande kam, berichtet kurz von der Carmen in Paris, dem Fidelio 1989 in Dresden, von Oedipus Rex unter Ozawa 1992 beim Matsumoto-Festival („einer der wenigen wirklich guten Opernfilme“). Lebendig werden in dem Buch nur wenige Orte und Situationen, etwa ihre aufwühlende Schilderung der Rassendiskriminierung und Apartheid im Augusta der 1950er Jahre, und das Berlin ihrer Anfängerjahre – vor allem auch Ost-Berlin („Ost-Berlin bildete einen großen Teil meiner Welt-Universität“), wo sie des nachts beim Grenzübergang festgehalten wurde, „Es gab keine Toilette, kein Wasser, keine Möglichkeit, irgendwem in West-Berlin mitzuteilen, was mit mir passiert“, und einer Kollegin (U. W., die später viele Mezzorollen an der DOB sang/G. H.) bei ihrer Flucht in den Westen beistand. Plastisch vermittelt sie auch eine Taxi-Fahrt von Frankfurt nach Baden-Baden 2012, bei der sie philosophischen Gedanken nachhängt. Wenige Kollegen oder Menschen aus dem Business werden erwähnt, immerhin sehr wohlwollend Egon Seefehlner, der sie an die Deutsche Oper Berlin holte. Nach drei Jahren entschied sie, „das Opernhaus für ein paar Jahre zu verlassen, um meine weitere Stimmentwicklung zu fördern und erst in meinen Dreißigern wieder auf die Opernbühne zurückzukehren“. Es folgt der kometenhafte Aufstieg zur Lied- und Konzertsängerin, die Beschränkung auf ein bestimmtes Repertoire, das deutsche Kunstlied von der Romanik bis zur Zweiten Wiener Schule, das französische Chanson, Wagner und Strauss, die italienische Oper erschien ihr dagegen, abgesehen von Tosca, wenig interessant, die „Verdi-Rolle, die mich am stärksten fesselt, ist wohl die Lady Macbeth“. Aida (oft in Berlin wie ja auch Mozart und Wagner ebendort) und die frühen Verdi-Aufnahmen für Philips werden wie Jugendsünden abgetan, ihre Africaine findet beispielsweise keine Erwähnung, ebenso wenig Riccardo Muti. Sie spricht über Alter und Verfall, „Ich sage immer, dass ein guter Wein mit den Jahren besser wird. Ich habe mich entschieden, ein Pomerol  zu sein“auch über Liebe, Freundschaft und Familie, „ich lebe praktisch in jedem Moment voller Liebe und Leidenschaft“ (das wirklich Private bleibt ausgeklammert: „Es ist privat. Es ist persönlich. Möge es immer so sein“), doch stets in einem priesterlichen Ton eines Baptistenpredigers, auf den sich der Leser einlassen muss.       R. F.

Festspiel-Erinnerungen von 2014

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Manchmal ist es ohne Bühne auch ganz schön. So bei den konzertanten Mozart-Aufführungen, welche die DG jeden Sommer im Festspielhaus Baden-Baden mitschneidet. Im Vorjahr gab’s Die Entführung aus dem SerailDas Beste aus drei Konzerten liegt nun auf CD vor (DG 00289 479 4064). Und man ist auch nicht richtig glücklich. Im Konzerts klang es schöner – oder einfach anders. Yannick Nézet-Séguin, um den sich – außer um Villazón – alles dreht, dirigiert das Singspiel auf altmodisch spritzige Weise, mit zügigen Tempi, gleich in der Ouvertüre spontan mitreißend, ebenso im Marsch Nr. 5a, er spielt die instrumentalen Soli und die Janitschareneinsprengsel delikat aus. Das Chamber Orchestra of Europe und das Vocalensemble Rastatt ziehen tüchtig mit. Diana Damrau dürfte die derzeit beste Konstanze sein, erinnert ein wenig an Gruberova, klang aber, wenn die Erinnerung nicht täuscht, im Konzert voller und runder, weniger stählern. Franz-Josef Selig hat den nötigen Stimmumfang für den Osmin, dessen Intervalle er gut meistert, er bleibt dabei seriös und zurückhalten, etwas leichtgewichtig, nicht prall und rund, wie man sich das wünscht. Anna Prohaska und Paul Schweinester runden das Ensemble ab, sie eine Edelsoubrette mit einem einfarbigen Sopran für die Blonde, er auch etwas neutral als Pedrillo, doch tapfer und stilsicher in „Frisch zum Kampfe“. Beide gehen in den Sprechpassagen, die beispielsweise Thomas Quasthoff als Bassa Selim genüsslich zelebriert, etwas unter. Der Schwachpunkt ist Rolando Villazón, der als Belmonte vieles sehr schön macht, mit geschmeidigem Legato und guten Bögen singt, beispielsweise „O wie ängstlich, o wie feurig“, in den Koloraturen aber häufig ungenau ist und nicht nur in den Sprechtexten ein Fremdkörper bleibt, weil er sehr pauschal und allgemein singt und sein lacrymoser Ton immer wieder fingiert und faserig wirkt, als würde er gleich wegkippen.

 

don giovanni mozart unitelHotellobbys sind besondere Orte. Wer liebt nicht das elegante Flair und die aufgeladene Atmosphäre eines Ersten Hauses. Das erste Haus am Platz ist das Hotel des Commendatore nicht. Für Sven-Eric Bechtolfs Salzburger Don Giovanni (Unitel Classics 2072734) hat Rolf Glittenberg 2014 ein 20er-Jahre-Interieur mit Art-Deco-Anmutung geschaffen, mit einer viel zu engen Mitteltreppe, die sich wenig elegant  nach recht und links zur oberen Etage zweigt, vorn einer Bar, von der alle kräftig Gebrauch machen, links einer Sitzgruppe. Obwohl in den drei Stunden viel passiert, ist es ein mäßig interessanter Ort, dessen einzige Attraktion der gut aussehende Typ im Schlangenledermantel und schwarzem Anzug mit Weste – doch im Gegensatz zum bäuerlichen Masetto – immer unkonventionell ohne Hemd ist, der mit schwarzer Kriegsbemalung auf die Pirsch geht. Mit bebenden Nasenlüstern tänzelt er wie ein Model, gefällt sich in der Verkleidung als Conferencier mit Zylinder oder holt seinen roten Anzug vom Zimmer: der Latin Lover par excellence, der Zerlina im Tanz zu ihrem Glück verhelfen will. Die Frauen im Hotel sind ihm verfallen. Donna Anna führt ihm sozusagen das Messer, mit dem ihr Vater getötet wird, weshalb sie vor der in der Mitte des Foyers auf einem Sockel aufgestellten Totenmaske bei „Crudele… Non mi dir“ unter um so stärkeren Schuldkomplexen leidet, nicht jedoch gegenüber ihrem Verlobten Don Ottavio, dem sie das corpus delicti, das rote Unterkleid, in dem sie Don Giovanni bekommen hatte, achtlos entgegenschleudert. Vieles ist vorhersehbar, wenngleich Bechtolf im Detail behutsam und vorsichtig gearbeitet hat, die slapstickhafte Verbundenheit von Don Giovanni und Leporello klar legt, der mit seiner Brille und dem treuherzigen Blick an Buster Keaton erinnert, alle Taten seines Herren getreulich fotografiert und sie dann in einem dicken Fotoalbum Elvira präsentiert, der es daraufhin übel wird – unklar ob wegen des vielen Alkohols oder vor Ekel. Das Problem ist auch nicht der Einheitstraum, der Friedhof und Hochzeitsfest unterbringen muss, denn das lässt sich, wie im gesamten zweiten Akt mit Verkleidung und Rollentausch, mit gedimmtem Licht, bei dem man sich um das ganze Ringsum nicht kümmern muss, problemlos bewerkstelligen. Das Problem ist die fehlende Linie und Aussage, wobei es nicht hilft, dass der Komtur schon zum Finale des ersten Aktes und während des Ständchens zugegen ist und zur Hollenfahrt mit einer Heerschar von Teufeln auftaucht,  Don Giovanni nicht zur Hölle fährt, sondern sich nach der Schlussmoral gleich dem nächsten Zimmermädchen an die Fersen heftet.

In der letzten Begegnung mit dem Commendatore entlädt sich auch Christoph Eschenbachs romantisch glutvolle, drängende und kraftvolle Sicht, die ansonsten relativ konventionell bleibt. Tomasz Konieczny, dessen Bass, nicht balsamisch genug für den Komtur ist, gestaltete diese letzte Begegnung mit der hier richtigen, wuchtig dröhnenden Grabesstimme, wobei er auf Ildebrando D‘ Arcangelos attraktiven Don Giovanni trifft, der hier aus dem Vollen schöpft, großstimmig, laut und drängend singt, während man zuvor doch Farben und Nuancen vermisste und von der gesanglichen Leistung des smarten Verführers wenig enflammiert war. Luca Pisaroni ist ein schelmischer, verschmitzter Leporello, ein Intellektuellentyp (macht’s die Brille?), von dem man nicht weiß, was man von ihm halten soll. Pisaroni singt das sehr gut, wie immer, fast ein bisschen zu schlank und nobel; vielleicht wäre er mal ein guter Don Giovanni. Auffallend Alessio Arduni, mit dem Zerlina eine jüngere Ausgabe des Don Giovanni als Masetto zum Altar führt und der das italienische Männer-Trio auf auffallende Weise komplett macht, ein kraftvoll saftiger, dunkler, wunderbar artikulierender Bariton, sicherlich bald der kommende Leporello und Figaro. Mit der reizenden Valentina Nafornita, die ihren Masetto bei „Vedrai, carino“ verführt, indem sie die Hüllen fallen lässt, was er ihr sofort gleichtut, gelingt Bechtolf eine erotisch knisternde Szene. Elvira, die schon zu Giovannis Mahl in Klostertracht erscheint, wird von Anett Fritsch mit auffahrend sehniger Leidenschaft gesungen, Lenneke Ruiten tut sich als Anna schwerer, und Andrew Staples, dem man leider die Perücke so faltenreich aufgeklebt hat, singt den Ottavio stilistisch gut, doch mit ungefälligem Timbre. Rolf Fath

José van Dam zum 75.

 

Zum 75.Geburtstag des berühmten Bassbaritons hat Warner Classics in der Reihe „autograph“ eine umfassende Übersicht über das künstlerische Schaffen José van Dams herausgegeben. Die Box mit 10 CDs enthält Musikbeispiele aus den mittleren 30 Jahren seines 50 Jahre währenden Bühnenlebens, wobei der Schwerpunkt seines umfangreichen Repertoires auf französischen Werken liegt. So kam es nicht von ungefähr, dass er sich im Brüsseler Théâtre Royal de la Monnaie 2010 in der Rolle des Don Quichotte (Massenet) von der Bühne verabschiedete.

Auf der 10. CD ist ein Interview von Jon Tolansky mit dem belgischen Sänger zu hören, in dem van Dam Kommentare zu einzelnen Opernrollen und Liedern gibt. Leider ist die Tonqualität der Sprechenden durch den Aufnahmeort, eine gut besuchte Hotelbar, doch etwas beeinträchtigt. Entscheidend an van Dams Aussagen ist, dass für ihn beim Singen der Fokus stets auf dem Wort liegt, erst danach kommt die Musik: „Man muss die Konsonanten singen! Für einen Künstler reicht Stimme allein nicht!“ So ist neben dem prachtvollen Bass-Bariton, der durch phantastische Atemführung und gekonntes Legato-Singen besticht, vor allem seine Textverständlichkeit in allen Sprachen zu konstatieren. Jon Tolansky steuert kurze Berichte zu Entstehung oder Inhalt der Werke bei, zu denen sich der Sänger äußert. Ein dreisprachiges, instruktives Beiheft gibt weitere Informationen. Die Aufnahmen selbst stammen (soweit Opern-Ausschnitte) aus Aufnahmen von van Dams „Heimatfirma“, der ehemaligen EMI, und der Erato, beide inzwischen im Besitz der Warner Classics.

Auf den übrigen 9 CDs sind Opernszenen oder Lieder unter allgemeinen oder besonderen Aspekten zusammengestellt: Die erste CD mit dem Titel „Devils“ („Teufel“) enthält Ausschnitte aus Berlioz‘ „La Damnation de Faust“, Gounods „Faust“ und Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“. Da werden in der Interpretation die verschiedenen Farben der Mephisto-Charaktere deutlich: Bei Berlioz ist er eher sarkastisch angelegt mit Tendenz zur Romantik; im Gegensatz zu

dem fast übermütigen „Une puce gentille“ (Flohlied) präsentiert van Dam in „Voici des roses“ seine unglaublich dichte Legatotechnik. Bei Gounod dagegen ist Mephisto eher ein „menschlicher“ Teufel, was der Sänger an mehreren Ausschnitten deutlich macht; die subtil ausgesungenen „Il était temps“ und das ironische „Qu‘attendez-vous encore?“ sind beste Beispiele für die variable stimmliche Gestaltungskraft. Bei Offenbachs „Bösewichten“ lässt er als zwielichtiger Coppélius seinem Ärger freien Lauf, ist ein Miracle mit gefährlichen Untertönen und schlägt als Dapertutto einen eleganten, leichteren Ton an; Höhepunkt ist hier mit sattem Klang „Scintille, diamant!“

Allzeit gültige Schwierigkeiten in Vater-Sohn- oder Vater-Tochter-Beziehungen sind Thema der mit „Fathers“ betitelten CD 2. Da führt van Dam in Glucks „Iphigenie en Aulide“ als innerlich zerrissener Agamemnon seine Stimme schlank und klar, aber auch mit der notwendigen Attacke. José van Dam empfindet Verdis „Don Carlos“ in der italienischen Fassung als Oper, in der französischen dagegen als Drama, als Verbindung von Theater und Musik. Mit entsprechend intensiver Gestaltung überzeugt er in der Rolle des ungeliebten Königs, so dass man wenige Schwächen in der Tiefe gern in Kauf nimmt; großartig sein „Elle ne m’aime pas“ wie auch die Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor und später der Dialog mit Carlos (eindrucksvoll Roberto Alagna)! Die weiteren Szenen unterschiedlichster Vater-Konflikte aus Delibes‘ „Lakmé“, Massenets „Manon“, Charpentiers „Louise“ und Poulencs „Dialogues des Carmélites“ werden durch den intelligenten Einsatz der weich fließenden Stimme und die Ausdrucksvielfalt van Dams zu speziellen Charakterstudien.

Einer seiner Lieblingsrollen, dem Don Quichotte, ist CD 3 der Sammlung gewidmet. Massenets Quichotte ist für van Dam ein naiver, verliebter Träumer und Künstler, der „alles hat, was man braucht, um ein guter Mensch zu sein“. Mit gekonnten crescendi und decrescendi sowie sauberen Intervallen und klingenden Konsonanten kostet er „Quand aparaissent les étoiles“, „Elle m’aime et va me revenir“ und „Je suis le chevalier errant“ genussvoll aus. Die jeweils aus vier bzw. drei Chansons bestehenden kleinen Liedzyklen zum Thema Don Quichotte von Ibert und Ravel erfahren hier eine interessante, vergleichende Wiedergabe, d.h. einmal mit Klavierbegleitung und einmal als Orchesterlied; mir persönlich gefallen die Orchesterlieder Iberts sehr gut, da die aparte Orchestrierung viele Farben für die impressionistischen Lieder benutzt und dem Sänger damit viel Raum zur Gestaltung lässt; dagegen wirken die Ravel-Lieder prägnanter in der originalen Klavierfassung.

Die nächsten drei CDs (4-6) geben – etwas anfechtbar annonciert – einen Überblick über 200 Jahre Oper von Rameau bis Enescu und Landowski. Da gelingen van Dam Isménors Arien („Dardanus“/Rameau) mit schlanker Stimmgebung ebenso gut wie die kurzen Einblicke in Don Alfonsos intrigantes Wesen („Cosi“/Mozart). Ich erinnere mich an seine treffende Leporello-Interpretation 1976 in der Noelte-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin (u.a. mit Gundula Janowitz als Donna Anna). Als Fliegender Holländer beweist er eindrucksvoll, welch großen Umfang seine Stimme hat; auch Feinstdifferenzierung vom dreifachen piano bis zum fortissimo kommen zur Geltung, dabei immer bei bester akzentfreier Diktion. Das gilt gleichermaßen für Amfortas („Parsifal“/Wagner), den er am Ende der CD berührend singt. Die folgende Szene aus Gounods „Mireille“ mit van Dam als eifersüchtigem Ourrias gefällt ebenso wie zwei Mönchsdarstellungen („Don Carlo“/Verdi; „Roméo et Juliette“/Gounod), die aufnahmetechnisch 17 Jahre auseinander liegen: Stimmschmelz mit balsamischen Übergängen und tragende Tiefe sind weitgehend erhalten geblieben, nur der Kern ist etwas viriler geworden. Bizet ist durch den enttäuschten Ralph („La Jolie Fille de Perth“) und den locker protzenden Escamillo („Carmen“) vertreten.

CD 5 umfasst die große Szene aus Strauss‘ „Salome“, in der der standhafte Jochanaan den Verführungsversuchen Salomes widersteht, und das gleich zweimal: Zuerst erklingt die gewohnte deutsche Fassung (u.a. mit der großartigen Hildegard Behrens Wien 1977), im Vergleich dazu dasselbe in französischer Sprache (mitreißend Karen Huffstodt, Lyon 1990). Beide Fassungen haben ihre Vorzüge: Ist die deutsche doch genau auf die Sprache komponiert, so klingt in der Übersetzung einiges durch andere Vokale und Silbenverteilung auf einzelnen Tönen ganz neu. Die Erotik der Szene kommt im Französischen mehr zum Tragen.

Der Fokus der CD 6 liegt auf Débussys Konversationsoper „Pelléas et Mélisande“, in der Gesang im Sprech-Rhythmus zelebriert wird; vor allem die sechs Gespräche Golauds mit Mélisande vermitteln in van Dams Interpretation einen guten Einblick in das Seelenleben dieser Figur bis hin zu dem großen Ausbruch in „Une grande innocence“. Mit dem kurzen, süffigen Auszug „Où suis-je?“ aus Albéric Magnards „Guercoeur“ stellt van Dam einen hier weitgehend unbekannt gebliebenen französischen Komponisten (1865-1914) vor, bevor er den köstlich listigen Gianni Schicchi grandios zu Wort kommen lässt. Einen Ausflug in die franzöische Operette wagt er erfolgreich als Duparquet in Hahns „Ciboulette“, die musikalisch mit ihren weichen Aufschwüngen und Bögen an Léhar-Melodien erinnert. Schließlich ist noch die klassische Moderne mit Szenen aus Enescus „Edipe“ und Landowskis „Le Fou“ eindrucksvoll vertreten.

Die CDs 7 – 9 sind Liedinterpretationen vorbehalten, wobei es sich ausnahmslos um französisches Liedgut handelt, das José van Dam besonders am Herzen liegt. Da gelingen Berlioz‘ „Les Nuits d’été“ ebenso farbenreich wie die verschiedenen Lieder von Saint-Saens, Gounod und Massenet, die allesamt durch expressive perfekte Diktion überzeugen. Der häufig ausladende Klaviersatz wird von Jean-Philippe Collard mitatmend ausgebreitet. Bei den Ravel-Liedern sind die „2 Mélodies hébraiques“ eine interessante Abwechslung zu den übrigen; ist man doch mit dieser Musik in unserem Kulturkreis viel zu wenig vertraut. Etwas Besonderes sind auch die „Quatre Poèmes d’après l’Intermezzo de Heinrich Heine“ von Joseph Guy Ropartz (1864-1955), einem bei uns ebenfalls wenig oder gar nicht bekannten französischen Komponisten, die van Dam zu kleinen Szenen formt. Poulencs

teils satirisch verspielten, teils ernsthaften Klavier-Lieder „Chansons gaillardes“ und Orchester-Lieder „Le Bal masqué“, (intelligente Musik, die nicht schockt, wie van Dam es in seinem Interview beschreibt), runden die CDs 7 und 8 ab.

Nach drei bekannten Fauré-Liedern ist der Rest der CD 9 dem Oratorium vorbehalten. Da gibt es zunächst „Sechs Monologe aus Jedermann“ von Frank Martin, die zwischen Deklamation und Gesang schwanken, beides von van Dam grandios beherrscht. Als Herodes in Berlioz‘ „L’Enfance du Christ“ bewährt sich abermals die absolut sichere Atembeherrschung verbunden mit hoher, klangvoller piano-Kultur. Davon lebt auch Brahms‘ „Herr, lehre doch mich“ aus dem „Deutschen Requiem“ das van Dam nachdrücklich aussingt. Dagegen dürfte Gounods mit „Geistliche Tragödie“ bezeichnetes Oratorium „Mors et Vita“ in unseren Breiten eine Rarität sein; van Dam macht uns hier mit drei Bariton-Soli bekannt. Den Abschluss dieser CD bilden das „Libera me“ aus Faurés „Requiem“ (Toulouse 1984) und der gleiche Teil aus dem „Requiem“ von Duruflé (ein Live-Mitschnitt aus Paris 1984), in denen van Dam Glaubenssicherheit erlebbar macht (Warner Classics 10 CD, 0825646190492). Marion Eckels

„Mein Werk ist getan!“

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In meiner Wohnung gehe ich mehrmals täglich an ihrem Foto vorbei. Es zeigt sie als Brünnhilde nach ihrer Erweckung aus langem Schlaf im dritten Aufzug von Wagners Siegfried: „Heil dir Sonne!“ Das berühmte Zitat hat sie selbst auf den unteren Bildrand geschrieben. Für mich – Herrn Winter herzlichst Ludmila Dvorakova. Das Foto hängt zwischen Inge Borkh und Martha Mödl. Ein guter Platz. Oft bleibe ich davor stehen. Einfach nur so. Weil mir das Foto gefällt. Ein anderes Mal geht mir durch den Kopf, was ich mit dieser Sängerin verbinde. Das sind vor allem die vielen aufregenden Abende in der Oper. Isolde, Fidelio-Leonore, Ariadne, Marschallin, Herodias, Kundry, Ortrud, Brünnhilde.

Heil dir Sonne! Das Foto als Brünnhilde in "Siegfried".

Heil dir Sonne! Das Foto als Brünnhilde in „Siegfried“ mit Autogramm / Winter

Im Laufe der Jahre bin ich ihr ein paar Mal begegnet. Beruflich und als ihr leidenschaftlicher Verehrer. Die Jugend sucht gern direkten Kontakt zu ihren Auserwählten und bemerkt gar nicht, dass diese sich dadurch auch gestört fühlten könnten. Wenn es denn so gewesen ist, ließ sie es sich nicht anmerken. Erst im Nachhinein kommt es mir in den Sinn. Ich habe die Dvorakova als sehr zurückhaltend in Erinnerung. Sie war das, was man eine Dame nennt. Den Abstand, den sie allein durch ihre Erscheinung hielt, verband sie mit großer Freundlichkeit. Sie sprach leise, was man bei dem Volumen, das ihre Stimme auf der Bühne entfalten konnte, gar nicht erwartete. Einmal empfing sie mich in ihrer Garderobe in der Berliner Staatsoper vor einer Vorstellung der Frau ohne Schatten. Sie gab die Färbersfrau. Diese Rolle war für mich eine ihrer besten Leistungen, weil sie nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch völlig aus sich heraus ging. Nicht immer war das so. Das Gespräch drehte sich um die bevorstehende Neuinszenierung von Tristan und Isolde mit Jess Thomas in Covent Garden. Sie war die Ruhe selbst. Viel später erfuhr ich, dass sie panisch unter Lampenfieber litt. Alle großen Opernhäuser dieser Welt hat sie mehr von innen denn von außen wahrgenommen. Sie verbarrikadierte sich in ihren Hotels. Nur die jeweilige künstlerische Aufgabe vor sich. Die Weitgereiste hat nach eigenem Bekunden nicht viel von der Welt gesehen. Ludmila Dvorakova ist tot. Sie starb am frühen Morgen des 30. Juli 2015 mit 92 Jahren bei einem Brand in ihrem Haus in Prag. Mit ihr kam die 87järige Schwester ums Leben. Beide lebten gemeinsam in der Villa. Nach Angaben der Prager Feuerwehr kam jede Hilfe zu spät. Einzelheiten will und kann ich mir nicht vorstellen. Ich versuche mich im Rückblick.

Die erste Langspielplatte von Ludmila Dvorakova mit einem Wagner-Programm bei Supraphon.

Die erste Langspielplatte von Ludmila Dvorakova mit einem Wagner-Programm bei Supraphon.

Die Frage ist so alt wie die Schallplatte selbst: Kann das Medium die Ausstrahlung von Sängern bewahren oder gar wiederherstellen, die einst das zeitgenössische Publikum ergriff? Bereiten uns die Töne aus Lautsprechern dieselbe Erschütterung, das gleiche Glücksgefühl wie einst? Erleben wir noch einmal jenes Staunen, das uns vor vierzig Jahren ergriff und das von vielen anderen Eindrücken offenbar nur überlagert, nicht aber wirklich getilgt ist? Ich trete in den Zeugenstand und schwöre, dass dies im Falle von Ludmila Dvorakova so ist.

1923 im tschechischen Kolin bei Prag geborenen, stieg die Dvorakova in den frühen sechziger Jahren an der Berliner Staatsoper Unter den Linden zu Weltruhm auf. Nach einem Gastspiel als Fidelio-Leonore hatte sie der damalige Generalmusikdirektor Franz Konwitschny aus dem Stand als Octavian im Rosenkavalier engagiert. Damit zeichnete sich nach ersten Ausflügen ins jugendlich-dramatische Fach noch in der Tschechoslowakei (Rusalka, Figaro-Gräfin, Aida) zunächst eine Mezzo-Karriere ab. Ihre in die Tiefe neigende Stimme hätte das hergegeben. Es sollte anders kommen, weniger aus künstlerischen, denn – das dürfte einmalig sein – aus politischen Gründen. Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 setzte eine Zäsur im Leben der aufstrebenden Sängerin. Mehrere im Westen beheimatete hochdramatische Kolleginnen hatten Ostberlin den Rücken gekehrt und Ludmila Dvorakova sah sich plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert, diese schmerzliche Lücke zu füllen – voller Selbstzweifel, die schwierige Aufgabe bestehen zu können. Sie bestand und eroberte sich in diesem Fach alsbald alle führenden Opernhäuser Europas, Nord- und Südamerikas.

Das Cover der CD zum 90. Geburtstag der Sängerin, erschienen ebenfalls bei Supraphon.

Das Cover der CD zum 90. Geburtstag der Sängerin, erschienen ebenfalls bei Supraphon.

Ihre Bühnenpräsenz war umwerfend. Eine schöne Frau von scheinbar ewiger Jugend – blond, natürlich, gertenschlank. Sie gab der Brünnhilde und der Isolde nicht nur die angemessene Stimme sondern auch die einzig mögliche Gestalt. Wenn sie die Bühne betrat, kamen Ohr und Auge des Publikums gleichermaßen auf ihre Kosten. Es grenzte immer an Wunder, mit welcher Kraft sie selbst den größten Raum erfüllte, das größte Orchester übertrumpfte. Die Dramatik ihres auch höhensicheren Organs kannte scheinbar keine Beschränkungen. Trotz ihrer Vielseitigkeit machte sie um bestimmte Rollen einen großen Bogen. Es blieb 1973 bei einer einzigen Elektra in Graz, und sie unterlag nicht der Verlockung, an der Metropolitan Opera die Turandot zu singen. Hätte sie das nicht doch gekonnt? Das ist die typische Frage der Fans, die sich gern nach dem verzehren, was nicht ist. Ludmila Dvorakova hat anders entschieden und damit ohne Zweifel ihre Karriere verlängert, die an ihrem Stammhaus, der Deutschen Staatsoper Berlin, 1987 endete, ohne dass sie sich dort zum Abschied eine Traumrolle verwirklichen konnte, die ihr ohne Zweifel zugestanden hätte – die Küsterin in der Oper Jenufa ihres Landmannes Leos Janacek. Aber in der DDR mangelte es auch bei solchen Gelegenheiten an Stilempfinden.

Auf den Grünen Hügel kam sie erstmals 1965 und trat dort in insgesamt fünf Sommern in Folge als Venus, Ortrud, Kundry, Brünnhilde (Walküre und Siegfried) und auch als Gutrune in Erscheinung. Offiziell ist nur die Gutrune in der legendären bei Philips veröffentlichten Gesamtaufnahme des Ring des Nibelungen unter Karl Böhm überliefert. Das ist wenig, wenngleich sie diese an sich undankbare Partie sehr eindringlich gestaltet. Es war über Jahre Bayreuther Besetzungspolitik, dass sich beispielsweise die Kundry von heute bereits morgen als Norn oder eben Gutrune wiederfand. Martha Mödl hat das ebenso völlig uneitel praktiziert wie Astrid Varnay, und die Botschaft ist, dass es in den Werken Richard Wagners keine unwichtigen Rollen gibt. Diese Art von Ensemblegeist wurde nirgends sonst so konsequent gepflegt wie in Bayreuth zu Zeiten von Wieland Wagner. Und die Küsterin selbst erzählte gern, dass in einer Götterdämmerung gleich vier Brünnhilden auf der Bühne versammelt waren: Birgit Nilsson, die Varnay als dritte Norn, die Mödl als Waltraute und sie selbst als Gutrune.

Der Titel der Zeitschrift "Opera" von Dezember 1966 kündigt die Brünnhilde in London an.

Der Titel der Zeitschrift „Opera“ von Dezember 1966 kündigt die Brünnhilde in London an.

Als Berlin noch geteilt war, gab es am Bahnhof Friedrichstraße einen tschechoslowakischen Shop. Dort stöberte ich eine Dvorakova-LP des Labels Supraphon auf, die ausschließlich Wagner gewidmet ist, aufgenommen 1966 in Prag. Darauf meine allererste Aufnahme des Schlussgesangs der Brünnhilde aus der Götterdämmerung. Ich höre die Platte ohne Ende, habe sie heute noch, bei allen Umzügen mit mir genommen. Es dauerte bis zu ihren 90. Geburtstag, dass sie endlich auf CD gelangte, aufgefüllt mit Szenen aus Opern von Bedrich Smetana. Längst vergriffen ist eine weitere frühe tschechische LP, auf der sich die Szene Senta-Erik aus dem Fliegenden Holländer mit dem unvergessenen DDR-Heldentenor Ernst Gruber findet. Nicht zu reden von gleichfalls verschollenen Szenen aus der Dvorák-Oper Dimitrij und einer kleinen Platte unter anderem mit der Arie der Santuzza. Greifbar als CD indessen ist der Lohengrin-Querschnitt von Berlin Classics mit der Szene zwischen Ortrud und Telramund zu Beginn des zweiten Aufzugs. Walhall überraschte vor wenigen Jahren mit einem bis zur Unkenntlichkeit gekürten Don Carlos in deutscher Sprache aus der Berliner Anfangszeit. Bei allen Kürzungen dieser großen Oper, die einst üblich waren, kommt die Rolle der Elisabeth immer noch am besten weg. So auch hier. Mehr wäre nicht, wenn es nicht das umsichtige Golden-Melodram-Label gegeben hätte, das die Venus (1966) und die Ortrud (1968) aus Bayreuth sowie die Londoner Brünnhilde in der Walküre von 1967 zur Veröffentlichung auftrieb. Wer sich als hartnäckiger musikalischer Pfandfinder betätigt, stößt auf Radiobänder der BBC aus Covent Garden mit kompletten Mitschnitten von Götterdämmerung und Tristan – jener Produktion mit Jess Thomas – unter Georg Solti.

Venus und Tannhäuser: Ludmila Dvorakova und Spas Wenkoff als Venus und Tannhäuser in der Berliner Inszenierung.

Venus und Tannhäuser: Ludmila Dvorakova und Spas Wenkoff in der Berliner Inszenierung von 1982 – ein Screenshot aus dem Film.

Es versteht sich von selbst, dass auch die bereits eingangs erwähnte Färbersfrau in der poetischen Harry-Kupfer-Inszenierung der Frau ohne Schatten in Berlin ebenso erhalten ist wie die Ariadne auf Naxos aus San Francisco, die Sieglinde (erster Aufzug Walküre) aus Budapest beziehungsweise Kopenhagen oder auf die Katerina Ismailowa von Dmitri Schostakowitsch aus Wien, die übrigens die erste Bühnenrolle in ihrer Heimat nach dem Gesangsstudium war. Auch die Ortrud an der Metropolitan Opera New York von 1968 und ein Fidelio mit Wolfgang Windgassen als Florestan von 1969 aus Bern finden sich in privaten Sammlungen. Das Download-Label Pappilon (www.opera-club.net) hat jüngst wieder andere Quellen erschlossen, darunter Auszüge aus einem Tristan aus Torino. Beim DDR-Fernsehfunk wurde 1982 die damals aktuelle Inszenierung des Tannhäuser von Chefregisseur Erhard Fischer abgefilmt. Vor einigen Jahren wurde die Produktion im Festival-Kultursender der ARD gezeiegt. Ludmila Dvorakova ist die Venus, Celestina Casapietra die Elisabeth und Spas Wenkoff der Tannhäuser.

Das Archiv des Prager Rundfunks bewahrt viele Dokumente aus der frühen Zeit, als die Stimme noch sehr leicht war und nur das unverwechselbare Timbre keinen Zweifel lässt, dass es die „Dvorscha“ ist, wie sie von ihrer großen Fangemeinde genannt wurde. Der bisher letzte Fund im neunzigsten Jahr ihres langen erfolgreich Lebens hat mich sehr berührt: die Peri in Robert Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“. Ja, die Peri, die sich am Schluss mit atemberaubenden stimmlichen Höhen in den Himmel emporschwingt: „O ew’ge Freude, mein Werk ist getan.“ Plötzlich finden wir uns 1954 im Prager Smetana-Saal wieder. Das ist wie Zeitmaschine. Ein Kreis schließt sich. Ich bin dieser Künstlerin unendlich dankbar.

Das große Foto oben zeigt Ludmila Dvorakova als Venus in Tannhäuser. Es ist ein Screenshot aus  dem Film, der 1982 nach der Inszenierung der Berliner Staatsoper gedreht wurde. Die ARD zeigte ihn in ihrem Festival-Kanal.

Paolo Bordogna

 

Das originellste an der Tutto Buffo-CD (Decca 481 1685) des Mailänder Baritons Paolo Bordogna ist die Galerie der Figuren auf dem Cover, die zeigt, mit welcher Lust sich der 43jährige in Maske und Kostüm wirft und sich in Falstaff, Mamma Agata, Leporello und Gianni Schicchi verwandelt, wozu im italienisch-englischen Beiheft (Arientexte nur auf italienisch) noch Don Geronimo aus Il matrimonio segreto, Bartolo, Don Geronio aus Il turco in Italia, Don Magnifico, Dulcamara, Don Pasquale sowie die weniger bekannten Tartaglia aus Mascagnis Le maschere und Beaupertius aus Rotas Il cappello die paglia di Firenze hinzu kommen. Leider gelingt es Bordogna nicht im gleichen Maß die Verkleidungen auch stimmlich nachzuvollziehen und sich in die die Figuren zu verwandeln, die eine Geschichte des Buffos vom späten 18. bis in frühe 20 Jahrhundert erzählen, und diesen Vätern, Dienern, Betrogenen und Clowns ein Gesicht zu verleihen. Auf dem Cover sticht natürlich die gar nicht bräsig bufforunde, sondern schrille Mamma Agata hervor, wie sie in diesem Outfit einem Aldomovar-Film entsprungen sein könnte, und die Bordogna, der bei Roberto Coviello studierte, selbst ein wunderbarer Interpret zahlreicher Buffo-Partien, mit flüssigen Koloraturen, beeindruckend strahlender Höhe und ansprechender vis comica in Szene setzt. Überhaupt liegt ihm der verzierte Gesang, vor allem die Plapperkoloraturen Rossinis, ziemlich gut; seinen Cimarosa- und Mozart-Arien fehlt es an Timing und stilistischer Verve . Im Textheft, das einen informativen Abriss zur Geschichte des Buffos zwischen Bass und Bariton liefert, werden als ideale Interpreten auch Salvatore Baccaloni, Sesto Bruscantini und Enzo Dara aufgezählt, Vertreter unterschiedlicher Stimmtypen. Bordogna wäre wohl eher der Bruscatini-Erbe, wobei dieser anfangs ebenso die großen Verdi-Partien übernahm und sich erst in seinen späteren Jahren gänzlich diesen Rollen zuwandte und Bordogna beispielsweise an dessen anrührende und menschliche Darstellung des Don Pasquale nicht heranreicht; das Duett mit sich selbst als Malatesta ist eher ein Gag und offenbart nur die mangelnde Gestaltungskraft des jungen Buffos. Bordognas wenig individuellem Bariton fehlen Rundheit, Fülle und Charakterisierungskunst, und – nicht nur für Dulcamara und Falstaff – die saftig dralle Potenz eines Taddei beispielsweise, es fehlen Farben und Situationen, weshalb diese ehrgeizige, im September 2014 in Parma entstandene Aufnahme sehr rasch an Reiz verliert. Dieser Tendenz arbeiten auch Francesco Lanzilotta und die Filarmonia Arturo Toscanini nicht entgegen. Schade. Rolf Fath

 

 

Und nun ein Gespräch mit dem Bariton: Wie nur wenigen Interpreten gelingt es Paolo Bordogna, Figuren wie Don Magnifico, Leporello, Don Pasquale, Bartolo oder Figaro Leben einzuhauchen. Der vielseitige italienische Basso buffo besticht mit immenser Wandlungsfähigkeit, mit Spielwitz und Originalität seiner Rollenportraits. Dies hat er nun auf einem interessanten Soloalbum verewigt, Tutto Buffo, erschienen bei Decca. Franz Stuckeneder sprach wenige Tage vor seinem Debüt an der Wiener Staatsoper, wo er noch bis zum 19. Juni als Leporello auf der Bühne steht, mit dem Sänger.

Paolo Bordogna/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/© Amati-Bacciardi

 

Sie haben vor kurzem Ihr erstes Soloalbum mit dem Titel Tutto Buffo bei Decca vorgelegt. Wir waren fasziniert vom Detailreichtum Ihrer Interpretationen und wie Sie ohne das „Hilfsmittel“ der Bühne solch detailreiche Charakterstudien kreieren. Man hat fast den Eindruck, dass Ihnen das im Tonstudio genauso leicht wie auf der Bühne fiel..Es handelt sich bei dem Album um etwas wirklich Besonderes, da in der Geschichte des Plattenlabels Decca der Figur des Buffo selten zuvor ein ganzes Soloalbum gewidmet wurde. Ich wollte mit dem Projekt, das auch  auf meiner Idee basiert, die Geschichte des Buffo musikalisch erzählen. Während der Aufnahmen war mir natürlich immer bewusst, dass man mich dieses Mal nur würde „hören“ und nicht „sehen“ können. Es hätte aber keinen Sinn gemacht, auf spezielle „Effekte“ zu setzen, die auf der Bühne eigentlich nicht zu vertreten wären.

Paolo BordognoDon Pasqualer/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/Don Pasqualer/© Amati-Bacciardi

Als ich die Aufnahme eingespielt habe, war mir immer genau klar, was ich mit meiner Stimme erreichen wollte – und das war nur möglich, weil ich mich stimmlich sehr diszipliniert vorbereitete. Dem jeweiligen Interpretationsansatz, den ich auch bei der Verkörperung der entsprechenden Partie auf der Bühne vertrete, blieb ich übrigens immer treu. Meine Interpretationen hinterfrage und erforsche ich immer aufs Neue und versuche, neue Ansätze zu finden. Unterschiedliche Inszenierungen lassen mich immer neue Farbe finden. Außerdem, was ich immer aus Neue betone: Alles ist schon vom Komponisten geschrieben worden! Und ich habe das Glück, dass alle auf der CD vertretenen Komponisten fantastisch sind!

Paolo Bordogno/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/© Amati-Bacciardi

 

Der Hörer wird auf der CD durch drei Jahrhunderte „Buffo-Geschichte“ geführt. Wie entwickelt sich die Geschichte des Basso buffo grob von Cimarosa bis Nino Rota? Erst einmal muss man sagen, dass die stimmliche Kategorie des „Bariton“, als die Opera Buffa geboren wurde, noch nicht einmal existierte und dass die Autoren von den Masken der Commedia dell’arte inspiriert wurden. Buffo-Partien waren meist „väterliche Geschäftsmänner“, die Profit aus der Verheiratung ihrer Töchter in höhere Gesellschaftsschichten schlugen, oder geizige, lüsterne Stiefväter, die es auf die Mitgift ihrer unglückseligen Ziehkinder abgesehen hatten. Die natürliche Stimmfarbe dieser Rollen war ohne Frage die eines Basses.

Paolo Bordogno/Don Magnifico/"La Cenerentola"/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/Don Magnifico/“La Cenerentola“/© Amati-Bacciardi

Die Buffos haben nach der französischen Revolution immer menschlichere Züge angenommen und die Masken abgelegt, sodass das Publikum sie auf eine viel direktere Art und Weise erleben konnte – als ob es sich selbst in einem Spiegel sehen würde. Die letzte Entwicklung vollzieht sich dann zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert: Die Introspektion der Charaktere wird auf subtilere Art und Weise offen gelegt. Chaplin erfindet die Idee der “Masken” mit seinem Carlot neu und Pirandello erzählt bzw lehrt uns, dass Humor über “Komik” hinausgeht. Ich verweise hier auf das berühmte Essay Pirandellos “Der Humor” von 1908. Ich persönlich glaube, dass ein moderner Künstler Stücke des 18. Jahrhunderts nicht interpretieren kann, indem er sich vorstellt, wie man dies in dieser Zeit getan hätte, auch wenn man natürlich den philologischen Aspekt nicht aus den Augen verlieren darf. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man dem heutigen Publikum gegenübersteht und darüber, wie viel in den letzten Jahrhunderten passiert ist. Denn genau dies macht unsere Interpretationen der Meisterwerke der Vergangenheit aktuell.

Paolo Bordogno/Falstaff/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/Falstaff/© Amati-Bacciardi

 

Wie ist Ihre Karrriere als basso buffo bisher verlaufen? Wann haben Sie sich auf dieses Stimmfach spezialisiert? Es erfordert viel Arbeit und Übung, komische Rollen darzustellen, eben weil man von einer Basis ausgeht, die leicht zu erlangen ist: Die “Natürlichkeit”. Diese “Flamme”, die dich glücklich macht, wenn du andere glücklich machst. Auch das sogenannte Comic Timing kann sehr natürlich sein. Aber, wie es bei allen Talenten eben so ist: Wenn sie nicht vom genauen Studium der Technik “genährt” und vom kontinuierlichen Gegenüberstellen mit bildenden Künsten und unnachgiebiger Disziplin genau geleitet werden, sind sie zur Wiederholung und damit zur Routine und Langeweile verdammt. Dank meiner stimmlichen Flexibilität habe ich weder in der Höhe noch in der Tiefe Probleme. Wenn ich Don Pasquale singe (die Titelpartie), vermeide ich es, kurz zuvor oder danach eine reine Baritonpartie zu singen, das ist einfach gesünder für die Stimme. Beim Rossini Opera Festival konnte ich in zehn verschiedenen Inszenierungen in den großen Buffopartien Rossinis auftreten, der ein wahrer Meister in dieser Disziplin ist. Daraufhin hatte ich das Privileg, viele dieser Partien mit großen Dirigenten und tollen Regisseuren auf der ganzen Welt zu singen.

Paolo Bordogno/Gianni Schicchi/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/Gianni Schicchi/© Amati-Bacciardi

 

Zur Zeit treten Sie an der Wiener Staatsoper als Leporello auf. Können Sie uns mehr über Ihre Interpretation dieses Charakters und die stimmlichen Anforderungen sagen? Ich habe ein paar Jahre gewartet, bis ich diese Rolle in Angriff genommen habe, weil ich für sie wirklich bereit sein wollte. Ich halte Mozart für einen Komponisten, der Reife erfordert. Und ich spreche hier vor allem vom darstellerischen Aspekt. Es ist einfach, als Buffo in leicht erzeugte Lacher abzugleiten, die Versuchung ist groß. Leporello ist eigentlich sehr unglücklich. Gleichzeitig ist er unterwürfig und auf seinen Herren neidisch. Es ist eine Art Hassliebe zwischen ihm und Don Giovanni. All das muss neben dem komischen Aspekt sichtbar sein, wenn man den Leporello nicht als alberne Maske darstellen will. Meinen ersten Mozart habe ich übrigens vor 15 Jahren gesungen, das war der Guglielmo in Così fan tutte. Aber eigentlich wollte ich immer Don Alfonso singen. Besonders glücklich schätze ich mich, diese Rolle mit großen Dirigenten wie Abbado und Nagano gesungen zu haben.

 

Paolo Bordogno/Mamma Agata/"Viva la mamma"/© Amati-Bacciardi

Paolo Bordogna/Mamma Agatà/“Viva la mamma“/© Amati-Bacciardi

Welche neuen Partien sind in Zukunft geplant? Können Sie uns schon etwas über konkrete Pläne und Projekte der kommenden Jahre verraten? Vor drei Wochen habe ich an der Washington National Opera als Don Magnifico debütiert, dort sind bereits weitere Projekte geplant. Aber auch an anderen amerikanischen Theatern, beispielsweise an der Lyric Opera in Chicago. Sofort nach dem Leporello hier in Wien werde ich nach Sydney reisen, wo ich Mozarts Figaro singen werde, in einer Neuproduktion von McVicar. Darauf folgt Don Pasquale in Neapel und zur Saisoneröffnung beim Donizetti-Festival in Bergamo. Am Teatro alla Pergola in Florenz werde ich eine Serie von Liederabenden eröffnen, die Rossini gewidmet sein werden, basierend auf meiner eigenen philologischen Arbeit. Der Titel ist Une soirée chez Rossini und ich werde mit einem außergewöhnlichen Begleiter auftreten: Bruno Canino. In Sydney werde ich außerdem als Gianni Schicchi debütieren und Rossinis Figaro singen. Nach Turin, Palermo und Bilbao werde ich mit Cenerentola zurückkehren, nach München mit Le nozze di Figaro und nach Marseille, Bologna und an das NCPA in Peking mit Il barbiere di Siviglia. Ich habe außerdem viele neue Ideen für weitere CD-Projekte. Aber alles zu seiner Zeit!

Foto obern: Paolo Bordogna © Amati-Bacciardi

Bei youtube ist Paolo Bordogna ebenfalls zu erleben: 
https://youtu.be/INj9ZOEb2VI /  https://youtu.be/Q-t9SBHGVqA

Oper in Deutsch

 

Bei Berlin Classics ist ein sehr repräsentativer DDR-Querschnitt gelungen. Nun gibt es zwanzig Originalaufnahmen der DDR-Firma ETERNA, deren Rechte Berlin Classics/Edel besitzt (und branchenkundige Berliner werden sich an die turbulenten Übergangszeiten unmittelbar nach der Wende erinnern, wo die Firma Edel robusten Wachschutz im Lager der Schallplatte der DDR installierte, um nächtlichen Angängen vorzubeugen…). Die Querschnitte  sind hier zu einer voluminösen Box zusammengefügt worden. Es handelt sich ausschließlich um deutschsprachige Aufnahmen fremdsprachiger Opern. Die Mischung reicht von den großen internationalen Repertoireopern wie CarmenToscaRigoletto über russische Werke wie Boris Godunow bis hin zu Raritäten wie Fra Diavolo. Enthalten sind auch einige vollständige Einakter, darunter Rimsky-Korsakows Oper Mozart und Salieri und Offenbachs Operette Salon Pitzelberger. Heute ist er ja fast ausgestorben – der Opernquerschnitt in deutscher Sprache, der seine Glanzzeit in der Langspielplatten-Ära der 1960er und 70er Jahre hatte. Jetzt hat das Label Berlin Classics 20 Werke aus DDR-Zeiten herausgebracht.

Viele davon kannte ich schon als Teenager in der LP-Variante. Doch auch jetzt, um so einige Hörerfahrungen reicher, war ich beim Wiederhören erstaunt darüber, auf welch hohem Niveau da insgesamt  gespielt und gesungen wurde. Nur weniges scheint mir stilistisch aus heutiger Sicht etwas veraltet, Aubers Fra Diavolo klingt dann  letztendlich doch zu sehr nach Lortzing und Verdis Don Carlos zu sehr nach Wagner. Doch davon abgesehen müssen sich diese Aufnahmen vor westlicher Konkurrenz nicht verstecken. Hier finden sich echte Opernhighlights von internationalem Rang, Sänger wie Peter Schreier und Theo Adam und Dirigenten wie Otmar Suitner und Orchester wie die Dresdner Staatskapelle sorgen für hohe Standards.

Verblüffend ist die große Zahl an Sängern, die nicht aus der ehemaligen DDR stammen.  Tatsächlich gab es in der Klassikszene während des kalten Krieges ein unglaublich freizügigen Kulturaustausch. Auch in dieser Hinsicht sind diese ETERNA-Aufnahmen ein faszinierendes historisches Dokument. Einigen DDR-Querschnitten merkt man das „Made in GDR“ kaum an,  z.B. der Einspielung von Verdis Macht des Schicksals: in den Hauptrollen Nicolai Gedda, Hermann Prey, Grace Bumbry und Gottlob Frick.

Eine glanzvolle Reihe von Stars ist hier in dieser Box versammelt mit Künstlern aus dem, wie es damals so schön hieß, „nichtsozialistischen Ausland“: Anny Schlemm, Brigitte Fassbaender, Ingvar Wixell, Anton de Ridder, Anneliese Rothenberger. Letztere ist erstaunlich präsent auf diesen Alben, vielleicht, weil sie hier die Möglichkeit bekam, große Belcanto-Rollen zu singen, für die sie im Westen nicht (mehr) so gern engagiert wurde. Sie singt Norina, Violetta und Gilda – nicht immer zu ihrem Vorteil. Die Ensembleszenen hören sich mit ihr oft angenehmer an als die virtuosen Soloarien, mit denen die Sopranistin, eine ausgezeichnete Strauss-Sängerin, leicht überfordert war.

Vergleicht man die opulente Box etwa mit der kürzlich erschienenen Warner-Edition mit westdeutschen Querschnitten von Eurodisc, muss man die größere Benutzerfreundlichkeit bei Berlin Classics loben. Niemand will die Tracks erst mühsam in einem Extraheft nachschlagen müssen (wie bei Warner), sondern auf der CD-Hülle finden. Und: Anders als bei der Verramschung von alten EMI- und Eurodisc-Querschnitten gibt’s hier auch zu jeder Oper einen kleinen Einführungstext. Was Warner pfiffiger umgesetzt hat, ist die Gestaltung der Cover, die entsprechen nämlich denen der Original-Schallplatte. Berlin Classics hat hier sehr langweilige Fotos benutzt, dabei wäre es wirklich schön gewesen, die zum Teil abscheulichen DDR-Cover der Platten noch einmal sehen zu können. Schade, dass man da nicht konsequent war. M. K.

Oper in Deutsch: Die Highlights aus 20 Opern in deutscher Sprache (Aufnahmen des DDR-Labels ETERNA) 10 CD, Berlin Classics 0300680BC (+Auber: Fra Diavolo (Aufnahme von 1972) +Bizet: Carmen (Aufnahme von 1972) +Donizetti: Don Pasquale (Aufnahme von 1971) +Dvorak: Rusalka (Aufnahme von 1971) +Gounod: Margarethe (Aufnahme von 1971) +Mozart: Cosi fan tutte (Aufnahme von 1967) +Mussorgsky: Boris Godunov (Aufnahme von 1970) +Offenbach: Salon Pitzelberger (Aufnahme von 1970) +Prokofieff: Verlobung im Kloster (Aufnahme von 1971) +Puccini: Tosca (Aufnahme von 1961); Turandot (Aufnahme von 1972); Gianni Schicchi (Aufnahme von 1972) +Rimsky-Korssakoff: Mozart und Salieri (Aufnahme von 1980) +Rossini: Der Barbier von Sevilla (Aufnahme von 1965) +Smetana: Die verkaufte Braut (Aufnahme von 1962) +Verdi: Aida (Aufnahme von 1972); Don Carlos (Aufnahme von 1965); La Forza del Destino (Aufnahme von 1965); Rigoletto (Aufnahme von 1971); La Traviata (Aufnahme von 1971)

Künstler: Günter Neumann, Reiner Süß, Eberhard Büchner, Hannerose Katterfeld, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Wolf Dieter Hauschild (Fra Diavolo), Brigitte Fassbaender, Ludovic Spiess, Anneliese Rothenberger, Staatskapelle Dresden, Giuseppe Patane (Carmen), Reiner Süß, Günther Leib, Peter Schreier, Anneliese Rothenberger, Staatskapelle Dresden, Siegfried Kurz (Don Pasquale), Elka Mitzewa, Peter Bindszus, Theo Adam, Annelies Burmeister, Staatskapelle Berlin, Arthur Apelt (Margarethe), Celestina Casapietra, Annelies Burmeister, Peter Schreier, Theo Adam, Staatskapelle Berlin, Otmar Suitner (Cosi fan tutte), Theo Adam, Roswitha Trexler, Staatskapelle Dresden, Herbert Kegel (Boris Godunow), Reiner Süß, Renate Hoff, Harald Neukirch, Staatskapelle Berlin, Robert Hanell (Salon Pitzelberger), Günter Kurth, Wolfgang Hellmich, Elisabeth Breul, Annelies Burmeister, Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, Herbert Kegel (Die Verlobung im Kloster), Stefania Woytowicz, Sandor Konya, Kim Borg, Werner Enders, Reiner Süß, Staatskapelle Berlin, Horst Stein (Tosca), Ingrid Bjoner, Harald Neukirch, Siegfried Vogel, Anneliese Rothenberger, Staatskapelle Dresden, Giuseppe Patane (Turandot), Konrad Rupf, Anna Tomowa-Sintow, Renate Härtel, Wolfgang Hellmich, Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, Herbert Kegel (Gianni Schicchi), Peter Schreier, Theo Adam, Staatskapelle Dresden, Marek Janowski (Mozart und Salieri), Hermann Prey, Peter Schreier, Ruth Margret Pütz, Fritz Ollendorff, Staatskapelle Berlin, Otmar Suitner (Der Barbier von Sevilla), Günther Leib, Annelies Burmeister, Anny Schlemm, Fred Teschler, Staatskapelle Dresden, Otmar Suitner (Die verkaufte Braut), Ingrid Bjoner, Gisela Schröter, Ludovic Spiess, Staatskapelle Dresden, Giuseppe Patane (Aida), Gottlob Frick, Hanne-Lore Kuhse, Martin Ritzmann, Staatskapelle Berlin, Heinz Fricke (Don Carlos), Siegfried Vogel, Grace Bumbry, Hermann Prey, Nicolai Gedda, Gottlob Frick, Staatskapelle Dresden, Giuseppe Patane (La Forza del Destino), Robert Ilosfalvy, Ingvar Wixell, Anneliese Rothenberger, Annelies Burmeister, Staatskapelle Dresden, Siegfried Kurz (Rigoletto), Anneliese Rothenberger, Ingeborg Springer, Anton de Ridder, Wolfgang Anheisser, Staatskapelle Dresden, Giuseppe Patane (La Traviata) Berlin, ADD/DDD, 1961-1980 Bestellnummer: 7713508) cpo

Aus den Anfängen

 

Die Bekanntschaft mit der Stimme Janet Bakers eröffnete mir ein Universum! Ein Fenster tat sich auf in eine Welt, die ich vorher nicht kannte – Lieder von Fauré, Débussy oder Fauré, Schumann oder vor allem Schubert, der damals für mich – mit meinen Anfang Zwanzig – nicht wirklich auf meiner Agenda stand. Ich war ein fast ausschließlicher Opernmann, saß jeden Abend auf dem 2.. Rang der Deutschen Oper Berlin und lernte Repertoire mit wirklich guten Sängern des Hauses – Inge Borkh, noch Margarete Klose, Christa Ludwig, aber eben auch die von mir damals stark unterschätzte Gladys Kuchta.

Janet Baker als Penelope/Monteverdi in Glyndebourne 1970/youtube

Janet Baker als Penelope/Monteverdi in Glyndebourne 1970/youtube

Mehr durch Zufall empfahl mir ein Verkäufer im damaligen Platten-Mekka Berlins, Bote & Bock im Europa-Center, die Baker, eben Schubert-Lieder („Hören Sie doch mal hinein, das ist was für Sie!“), und ich bin Peter B. wirklich mein Leben lang dankbar für diesen Höranstoß. Denn nur wenige Stimmen haben mich mit einem so persönlichen Ausdruck, mit einer solchen Intensität und vor allem auch mit einer solchen präzisen Diktion (fast ohne jeden Akzent und absolut idomatisch) wieder so erreicht. Wie gesagt – ein Fenster tat sich auf in eine neue Welt.

 

Ich bin der Baker hinterher gereist, erlebte sie in Endiburgh 1969 bei den Festspielen als intensivste Berlioz-Dido (hocherkältet mit weißem Hankie im Ausschnitt neben Helga Dernesch als Cassandra) und danach manche Male im Konzert und auch in Covent Garden in beiden Partien, sah sie oft im Konzert in London, später in Hannover, auch einige Male in Berlin bei Liederabenden an der DOB (und nur Britinnen können zitronengelbe trägerlose Corsagen zu der weißen Haut einer Brünetten tragen…), war enorm bewegt bei ihren drei Abschiedsvorstellungen in London und Glyndebourne, wo ich sie vorher als überwältigende Penelope von Monteverdi erlebt hatte.

Janet Baker/Dido/Purcell/youtube

Janet Baker/Dido/Purcell, ca. 1965/youtube

Ich gestehe, ich war irgendwie süchtig nach dem Impakt dieser Stimme und Persönlichkeit, die meine formativen Jahre so geprägt hatte. Und ich besaß natürlich ihre ersten zwei LPs von Saga von 1961/1966 mit Martin Isepp am Klavier, dem Sohn ihrer ersten Lehrerin Helena Isepp, die nun nach einigen Wiederveröffentlichungen anderswo bei Heritage (HTGCD 290/1) herausgekommen sind (Brahms, Schubert und Schumann von 1961, English Songs von 1966). Dazu hat die Firma ganz frühe BBC-Brahms-Aufnahmen mit Ernst Lush 1960/61 losgeeist, also vom allerersten Aufnahme-Beginn.

 

Janet Baker/Dido/"The Troyans at Carthage"/Edinburgh 1969/youtube

Janet Baker/Dido/“The Troyans at Carthage“/Edinburgh 1969/youtube

Durch ihre unendlich vielen Studio- und Live-Aufnahmen (kurz vor dem Verkauf ihrer Stammfirma EMI gab es noch einmal eine 20-CD-Box zu ihrem 80. Geburtstag, 2013) ist Janet Baker über die viele Jahre eine konstante Präsenz für Millionen von Zuhörern und Fans  geblieben. Bis heute, so dass es fast unwirklich scheint, dass sie bereits mit 56 Jahren 1989 mit dem Singen aufhörte. Diese beiden bei Heritage von Saga übernommenen CDs/LPs bringen den Hörer zurück zu ihren Anfängen ihrer Aufnahmetätigkeit, als sie in ihren späten Zwanzigern/Beginn Dreißigern war, aber bereits eine gewisse Karriere als gut ausgebildete Sängerin auf dem Sprung zum großen Ruhm begonnen hatte. Bereits 1953, mit 20, nahm  sie – neben ihrer Tätigkeit als Bankangestellte in York – bei Helena Isepp, einer emigrierten Österreicherin, in London Unterricht. Erste Kontakte ergaben sich für die BBC. 1956 debüttierte sie auf einer Studenten-Opernbühne in Oxford mit der Partie der Roza in Smetanas Secret. Bei den Festpielen im irischen Wexford trat sie 1959 als Pippo in Rossinis Thieving Magpie auf. Die Sommer 1956/57 verbrachte sie als Chormitglied in Glyndebourne, bis heute die Wiege des britischen Nachwuchses. Sie erinnert sich in Interviews an Sesto Bruscantini und was dieser mit der Sprache alles anstellte, an Geraint Evans als Falstaff, an das gründliche und erbarmungslose Training durch Carl Ebert, an die Vorbereitungen durch Vittorio Gui und Jani Strasser. Sie studierte in London französische mélodies mit Meriel St. Clair und nahm 1957 an Lotte Lehmanns Londoner Master Class teil. 1958 sang sie ihren ersten Orfeo an einer Studentenbühne und darauf die Zauberin in Dido and Aeneas 1961 unter Antony Lewis (einem ihrer Förderer, der sie dann auch 1962 als Dido für L´Oiseau Lyre/Decca auswählte), in Drottningholm dann die Dido 1962.

Janet Baker/Foto Saga 1961

Janet Baker/Foto Saga 1961

In diesem Jahren nahm sie erste Platte bei Saga auf. Martin Isepp, ein langer Begleiter, saß am Klavier und sorgte für Stabilität  angesichts der Kürze der Aufnahmezeit. In einem späteren Interview spricht sie über die Bedeutung der Sprache in diesen Liedern, über die Länge der Vokale, über die Wichtigkeit der Mitteilung („Gesang ist eine Art verzerrte Sprache!“). Auch darüber wie unterschiedlich sich die einzelnen Sprachen singen lassen, über die Schwierigkeit des Legato im englischen Gesang.Sie war eine sehr bewusste Sängerin, Zufälle gab es bei ihr nicht, alles war hart erarbeitet – zumal sie auch gegen das Erbe der unvergessenen Kathleen Ferrier anarbeiten musste, die in Großbritannien eine Nationalheilige war. Das war nicht leicht für sie.

 

Janet Baker mit Ileana Cotrubas in "La Calisto", Glyndebourne 1970/youtube

Janet Baker mit Ileana Cotrubas in „La Calisto“, Glyndebourne 1973/youtube

Auch wenn Janet Baker nach diesen ersten zwei LPs bei Saga unendlich viele andere Aufnahmen namentlich bei EMI, später bei DG, Philips und vielen anderen Labels machte, so halten diese ersten eben doch ihre unverwechselbare jugendliche Vitalität fest, nur vergleichbar mit dem überwältigenden Liederabend in der New Yorker Townhall 1966, wo sie mit Mozart beginnt und mit einer wunderbaren französischen Gruppe endet. Wo sie aber auch – unglaublich – über Nacht als Smeton in dem berühmten Anna-Bolena-Konzert der Kolleginnen Suliotis/Horne einspringt und eine ihrer wenigen Live-Opern-Vorstellungen in der Originalsprache gibt. Denn es war ihr Credo, Oper nur zu Hause und dann nur in Englisch zu singen, um eben das Publikum direkt zu erreichen. Ein Entschluss, den sie nur für Glyndebourne und ganz am Schluss für die herzzerreißende Abschieds-Alceste an Covent Garden durchbrach (für Studioeinspielungen  galt das nicht). Und ich erinnere mich an etwas verstörende konzertante und szenische Aufführungen der Troyens in London, wo sie neben der französisch-sprachigen Besetzung eines Jon Vickers und Robert Massards in klarem Englisch auftrat. Konsequent war sie, willensstark und unerbittlich…

 

janet baker heritageDie Lieder ihrer britischen Komponisten waren ihr stets ein Anliegen, und sie hat sehr verdienstvoll oft diese in ihre Liederabende eingeschlossen. Briten wissen das sicher zu schätzen. Aber Butterworth, Ireland und Warlock in allen Ehren – mich berühren ihre Brahms-, Schumann- und Schubert-Lieder zutiefst, ob nun der „Musensohn“ oder die „Mainacht“. Und selbst der zu oft gehörte Zyklus Schumanns, „Frauenliebe und -leben“ gewinnt durch ihre schlichte, unprätentiöse und eben jugendliche Interpretation eine ganz eigene Dimension, wenngleich vielleicht nicht sonderlich erfüllt – das kam später mit der Oper. Aber das Highlight der ersten CD ist für mich „Von ewiger Liebe“, denn hier durchmischt sich beispielhaft die Sehnsucht mit dem Schwärmerischen zu einem wirklich transzendenten Ausdruck, wie ihn die Baker – für mich – kaum je wieder erreicht hat. Die Kostbarkeit dieser Heritage-Ausgabe ist auch der Bonus mit ersten Aufnahmen (Brahms) von 1961 von der BBC mit dem Pianisten Ernst Lush (der auch Sena Jurinac auf ihren ersten internationalen Radio-Einspielungen begleitet hatte/Immortal Performances, s. auch den Artikel in operalounge.de dazu). Geerd Heinsen

 

John Shirley-Quirk HeritageAuch der eminente Bass John Shirley-Quirk (1931 – 2014) nahm in den frühen Sechzigern bei der Firma Saga englische Lieder auf, 3 LPs, die nun bei Heritage (HTGCD 283/4) wieder veröffentlicht wurden. Wieder ist Martin Isepp am Klavier, in anderen Aufnahmen ersetzt durch Viola Tunnard, Eric Parkin, Nona Liddell und Ivor McMahon an den Geigen und Ambrose Gauntlett an der Viola da Gamba. Letztere treten vor allem in den stimmungsvollen Stücken des Protestanten Pelham Humfrey und Purcell auf, in denen sich die sonore Sinnlichkeit der markanten Stimme Shirley-Quirks entfaltet. Andere Komponisten sind die „üblichen“: Ireland, Butterworth, Warlock, Stanford, Keel (den ich nicht kannte) und Vaughn Williams – eben Komponisten, zu denen Briten eine besondere Zuneigung haben. Nicht immer sind die Texte die ganz große Literatur, aber die melodischen Bögen dieser interessanten Postromantik vermitteln eine ganz eigene, insulare Ästhetik, die durch die flexible, kommunikative Bass-Stimme Shirley-Quirks in kleinen Universen Universen zur Geltung kommt. Ich bin nicht wirklich ein Fan dieser (zu) späten britischen Musiksprache, aber Shirley-Quirk gehörte seit meiner ersten Begegnung mit dieser prachtvollen Stimme zu meinen Lieblingen, und ihm zuzuhören ist nach wie vor ein Genuss. G. H.

 

Puccini und die Frauen

 

Puccini war ein Aufreißer. Mehr als nur eine Affäre haben der auf Fotos immer etwas pikiert blickenden junonischen Gattin Elvira das Leben sauer gemacht. Neben der unersättlichen Jagd nach einer „vagina fresca“ unterhielt Puccini vor allem innig liebevolle Beziehungen zu Cio-Cio-San, Mimì und Liù, zu den Frauen seiner Oper, was es für eine Sopranistin reizvoll macht, diesen Kosmos auszuschreiten und sich dem Komponisten anzunähern.

Diesmal ist es die armenische Sopranistin Karine Babajanyan, die nach einem ersten Engagement im heimatlichen Eriwan ab 1999 an verschiedenen deutschen Bühnen auftrat, darunter 2003 bis 2011 in Stuttgart. Die bereits 2007 in Budapest mit dem unter Pier Giorgio Morandi nicht immer sehr sensibel spielenden Budapest Symphony Orchestra entstandene Aufnahme (EMI 5099926773124) kann noch von keinen weiteren Stationen berichten, die – mit der Deutschen Oper am Rhein, Genf, Zürich und Warschau – und der Ausnahme der Elena im Mefistofele an der Bayerischen Staatsoper noch nicht den erhofften Sprung in die nächste Liga gebracht haben. Das könnte verwundern. Die junge aparte Armenierin singt die Butterfly, Mimì, Tosca, Manon Lescaut, Suor Angelica und Liù mit einer warmen, dunkel flirrenden Stimme, die sich bestens für dieses Repertoire eignet. Man hört ihr gerne zu, wenngleich sie den Figuren nicht unbedingt Persönlichkeit verleiht und ihr Italienisch, etwa als Suor Angelica, etwas schwammig ist, doch sie singt mit viel Gefühl und Anmut. Es fehlt ihr sicherlich die Feinzeichnung, die Höhen sind, wenngleich als Suor Angelica gut angesetzt, etwas pauschal, oftmals wünscht man sich einen zarteren Stift. Ihre Cio-Cio-San, die sie vermutlich am häufigsten gesungen hat, hat viel zu bieten, was auch an dem überraschenden Partner liegt: Giuseppe Giacomini, der zum Zeitpunkt der Aufnahme 67 war und noch drei Jahre später durch China tourte, ist als Sänger ein ganz anderes Kaliber. Mit seiner großen und massigen Otello- Stimme verleiht er dem Pinkerton eine derbe Macho-Note, natürlich ist die Stimme auch nicht mehr jugendlich geschmeidig, doch Giacomini singt und gestaltet mit unfehlbarem Gespür und Sicherheit, mit großem Atem, schönen gerundeten Tönen und triumphalen Höhen. Fast vergessen wir darüber Babajanyan. Ihre Manon ist gleichermaßen interessant, die Liù ebenso, was der Partie aber vermutlich nicht gut ansteht. Neben Giacominis „Nessun dorma“ und den in einem Atem genommenen Vinceròs tritt die Armenierin in den Hintergrund. Rolf Fath

Spaziergang durch Alt-Kopenhagen

 

Ein ganz und gar anachronistisches Stück. Sozusagen die Fortsetzung von Edvard Griegs Suite Aus Holbergs Zeit, die er 1884 zum 200. Geburtstag des Dichters Holberg schrieb, Maskerade ist eine Oper, die sich nach der Wende zum 20. Jahrhundert zurückträumt in das alte Kopenhagen und die Zeit von König Friedrich IV., in das frühe 18. Jahrhundert und dessen Maskenfeste. Die Maskerade ist zugleich eine musikalisch-operngeschichtliche Verkleidung, denn die 1906 uraufgeführte dänische Nationaloper Maskerade von Carl Nielsen (1865-1931) greift zurück auf ein Stück des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg von 1724 und setzt sie gewitzt und mit altertümlichen Referenzen als ein Stück Alt-Kopenhagen in Szene. Ein gesungenes Bournonville-Ballett sozusagen. Es erinnert mich ungemein an Ermanno Wolf-Ferraris zeitgleiche Quattro rusteghi und seine mit Il Campiello noch bis in die 1930er Jahren reichenden Venedig-Veduten aus der Goldoni-Zeit. Es ist das Übliche: Leander will nicht die von seinen Eltern Jeronimus und Magdelone ausgewählte Braut heiraten, die Tochter ihres Nachbarn Leonard, sondern die Unbekannte, in welche er sich auf einem Fest verliebt hat. Schließlich stellt sich heraus, dass Leanders Wahl auf ebenjene Leonora fiel, die ihm seine Eltern ausgesucht hatten.

Es herrscht eigentlich kein Mangel an Einspielungen von Carl Nielsens Oper: Dänische Einspielungen von 1954 unter Launy Gröndahl, 1977 unter John Frandsen und 1996 unter Ulf Schirmer stehen nebeneinander im Regal. Michael Schønwandt, der im Vorjahr in Kopenhagen ins Studio ging, um nun pünktlich zu Carl Nielsens 150. Geburtstag eine neue Einspielung anzubieten, hatte bereits 2007 eine Aufnahme realisiert, weshalb er wohl als Experte für das Werk gelten darf. Dacapo hat die Aufnahme, wie es sich für ein Geburtstagsgeschenk gehört, in eine schöne Klappbox mit zwei Papptüten und englisch-dänischem Booklet mit ebenfalls zweisprachigem Libretto verpackt (Dacapo 6.220641-42). Alles bestens, da uns auch Schønwandt gleich mit der Ouvertüre in eine andere Epoche zoomt und das Geschehen liebevoll ausmalt, da sind zum einen die tänzerischen Elemente, zum anderen die Spitzweg-Szenen und knorrigen Details wie Jeronimus‘ Beschwörung alter Zeiten, die so schlicht anmutet, aber hinsichtlich ihres von Stephen Milling genüsslich ausgekosteten Stimmumfangs weit über eines von Nielsens dänischen Volksliedern hinausgeht, das Lied das Nachtwächters, der Zwiegesang zwischen ihm und dem Knecht Arv (Steffen Bruun und Christian Damsgaard), die lustige Szene zwischen Leanders Diener Henrik (Johan Reuter) und Arv, dem er eine Aufzählung seiner Sünden entlockt, und das flüsternd hinhuschende Duettchen zwischen Magdelone (etwas zu leicht: Anne Margarethe Dahl) und dem Nachbarn Leonard (eine kleines Kabinettstückchen des einstigen Wagner-Tenors Stig Fogh Andersen), die sich gemeinsam auf das Maskenfest stehlen: ein drollige nächtliche Szene, die uns Schønwandt und das Ensemble bildhaft suggestiv vorführen. Zu recht weist Schønwandt im Vorwort auf die Meistersinger und Falstaff-Bezüge hin. Dazu pulsierende und brillante Ensembleszene, wie das Finale des ersten Aktes, und vor allem das von Kotillon und dem gelegentlich auch auf dem Konzertpodium anzutreffenden Hahnentanz durchwobene Maskenfest des dritten Aktes, in dem sich endlich Leander und Leonora (Nils Jorgen Riis und Dénise Beck) finden. Das ist recht vergnüglich und klanglich vorzüglich. Man bekommt Lust, Maskerade auf der Bühne zu sehen. Doch wo? Die große Geburtstagsfeier, welche die Königliche Oper Kopenhagen, im Frühjahr mit Nielsens beiden Opern – auch dem Erstling Saul und David – ausrichtete, ist vorbei. Rolf Fath

 

Foto oben: Carl Nielsen als Kind / Royal Danish Library/npr.org

Und warum nun dies?

 

Leo Fall gehört zu den großen Operetten-Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts und ist berühmt geworden durch Werke wie Die Rose von Stambul und vor allem Madame Pompadour. Beim Label cpo ist nun seine Oper Paroli erschienen. Ein erstaunliches Frühwerk – das viel Talent beweist. Leo Falls Paroli ist seine allererste gedruckte musikdramatische Partitur – ein Frühwerk von 1902, ein einstündiger heiterer Einakter, aber keine Operette.
Paroli wurde in Berlin uraufgeführt (obwohl man in manchen Quellen falsch Hamburg als Premierenort angibt). Fall lebte damals in Berlin und versuchte, als Komponist Fuß zu fassen; er schlug sich als dritter Kapellmeister am Metropoltheater durch, komponierte Couplets für die aufstrebende Kabarett-Szene. Leider fand er keinen guten Librettisten für seine ehrgeizigeren Projekte. Text und Handlung von Paroli sind derart schlecht, dass schon 1902 die nicht sehr verwöhnte Kritik völlig fassungslos über den gestelzten Unsinn und vor allem die schlechten Witze und Verse war, die da in einem kleinen Theater am Alexanderplatz geboten wurden.

Es geht um einen abgehalfterten Adligen, der einer schönen Müllerin nachstellt, die aber einen einfachen Burschen liebt. Beide überlisten den Mann am Schluss und verpassen ihm einen Denkzettel. Warum klingt so ein Plot bei Offenbach immer geistreich und im deutschen Schwank meist peinlich? Tragikomisch wirkt auch heute noch die Fallhöhe von Wort und Musik. Der Text zieht einem die Schuhe aus, und vertont wird er von einem jungen Mann, der jede Note originell, ambitioniert und hochintelligent setzt.  Da gibt es raffinierte Taktwechsel, sublime Melodik und harmonische Frechheiten – das bewegt sich weit über Niveau des üblichen Singspiels –, mitunter ist sogar schon der musikdramatische Drive Künnekes vorweggenommen.  Der Effekt ist etwa so, als würde Richard Strauss eine Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ vertonen.

Für Ausgrabungen soll man ja immer dankbar sein. Bin ich auch. Danke, WDR! Dennoch irritiert mich hier die Unwichtigkeit des Werks in Relation zum noch nicht Aufgenommenen. Da gäbe so viel Wichtigeres aus Falls Reifezeit zu entdecken – und auch neu einzuspielen, da das Wenige, das auf alten Bändern vorliegt, oft gekürzt, verstümmelt, neu instrumentiert wurde.  Die Spanische Nachtigall könnte man ausgraben, den Nachtschnellzug, auch eine Neufassung der Geschiedenen Frau wäre erfreulich. Warum muss es ein musikalisch zwar interessantes, aber eben doch recht entlegenes und Fall-untypisches Frühwerk sein?

Musikalisch umgesetzt wurde das Ganze jedenfalls in großen Teilen mit vom WDR gewohnter Liebe und Seriosität; ich vermute, das WDR-Funkhausorchester Köln klingt sogar besser als das magere Orchesterchen der Uraufführung. Dirigent Axel Kober macht keinen Versuch, die so vielschichtige, kluge Musik in die Operettenecke zu schieben; der Opern-Ton bleibt gewahrt, und die Sänger sind ausgezeichnet (Anke Krabbe) bis passabel (Andrea Böning).  Der Versuch, das Stück selbst zu retten, ist leider gescheitert, trotz der beim WDR seit den 50er Jahren in Funkoperetten  so bewährten Hörspiel-Technik, Dialog und Erzähler zu verbinden. Ich jedenfalls habe beim Anhören der CD kein Wort verstanden von dem, was da grade passiert. Ist vielleicht auch besser so. Schade, dass das Libretto so miserabel ist (Leo Fall: Paroli mit Anke Krabbe, Andrea Bönig, Jörn Dürmüller, Ralf Lukas; WDR Rundfunkchor Köln; WDR Funkhausorchester Köln, Dirigent Axel Kober; cpo 777 899-2). M. K. 

Generationswechsel

 


Rameaus dritte Oper Castor et Pollux existiert wie auch Dardanus (1739, 1744), Platée (1745, 1749) und Zoroastre (1749, 1756) in zwei Versionen. Doch es gibt eine Besonderheit: Während zwischen den verschiedenen Versionen sonst nur wenige Jahre liegen, sind es in diesem Fall 17. Rameau überarbeitete die wenig erfolgreiche Fassung von 1737 (fünf Akte mit Prolog) im Vergleich zur späteren von 1754 (fünf Akte) umfassend: Der nicht im Zusammenhang mit der Haupthandlung stehende Prolog wurde gestrichen, den ersten Akt komponierte er neu, in den übrigen vier Akten verarbeitete er die Musik der fünf Akte von 1737, der erste und zweite von 1737 entsprechen  überwiegend dem zweiten und dritten von 1756, die Akte 3 und 4 von 1737 kombinierte er zu einem neuen vierten Akt, den fünften Akt unterzog er ebenfalls einen Revision und komponierte neue Musik. Auch in der Handlung änderte sich einiges, Arien und Rezitative wurden gestrichen und neu geschrieben. Die Zweitfassung reüssierte beim Publikum. Der inzwischen 71 Jahre alte Rameau bewies dabei, wie er im Alter auf der Höhe seiner Kunstfertigkeit geblieben war. Durch viele kurze Nummern von nur wenigen Minuten erlebt man eine abwechslungsreiche Oper, die bekannte Klagearie der Télaïre „Tristes apprêts, pâles flambeaux“ ist mit fünf Minuten Länge eine Ausnahme. Harnoncourt und Christie spielten die frühe Version auf Tonträger ein,  Kevin Mallon (Naxos) die spätere.  Hervé Niquet, Christophe Rousset und Emmanuelle Haïm haben sich bei Aufführungen ebenfalls für die Zweitversion entschieden. Aufgrund einer kürzlich entdeckten neuen Handschrift war es möglich, die Instrumentierung in der Zweitfassung noch detaillierter wieder herzustellen und als Grundlage für die vorliegende Neueinspielung zu verwenden. Worin diese Detaillierungen bestehen, bleibt das Beiheft schuldig.

Jean-Philippe Rameau/OBA

Jean-Philippe Rameau/OBA

Der junge Dirigent Raphaël Pichon (*1984) ist aktuell ein Hoffnungsträger der französischen Barock-Szene in dritter Generation nach Jean-Claude Malgoire (*1940) und William Christie (*1944) sowie Hervé Niquet (*1957), Christophe Rousset (*1961), Hugo Reyne (*1961), Marc Minkowski (*1962) und Emmanuelle Haïm (*1962). Sein Ensemble Pygmalion (Orchester und Chor) gründete Pichon 2006, zusammen spielten sie bereits Hippolyte et Aricie (2012) und Dardanus (2013), Castor et Pollux folgte im Gedenkjahr 2014 zur 250 Wiederkehr von Rameaus Tod. Pichons Klang bei dieser Aufnahme überrascht. Er verzichtet auf die oft üblichen historisch informierten Zuspitzungen: Es gibt keine schroffen Akzentuierungen, keine Knalleffekte, kein harsches Aufspielen. Pichons Dirigat ist nach heutigem Maßstab zurückhaltend, es ergibt sich ein flüssiger,  eloquenter, ausgewogener und gelegentlich etwas eintöniger Höreindruck, bei denen die Streichinstrumente im Vordergrund sind. Wo andere Barockexperten auf Effekte zielen würden, bleibt Pichon maßvoll. Bspw. in der 6. Szene des 1. Akts „Entracte – Bruit de guerre“: die Bläser sind im Hintergrund und brechen nicht hervor oder in der 3. Szene des 5. Akts „Tonnerre“: der Donner würde bei anderen Dirigenten durchaus krachender tönen. Vor allem bei den Zwischenspielen, den Airs, Menuetten und Gavotten, können die Musiker filigran musizieren und ihren speziellen Klang modellieren. Es bleibt Geschmacksache, ob der Dirigent mehr instrumentale Details betonen sollte. Pichons Anliegen, die Raffinessen der Partitur zu betonen, wird allerdings nicht jedem unmittelbar gelungen erscheinen.

Bei den Sängern gibt es Licht und Schatten, die der Rahmenbedingungen der Live-Aufnahme geschuldet sein können. Positiv auffallen können vor allem Emmanuelle de Negri, die als Télaïre ausdrucksstark und bewegend singt, Clémentine Margaine, die als Phébé leidenschaftlich und eifersüchtig ist, und Sabine Devieilhe, die drei kleine Rollen vorbildlich präsentiert. Der Tenor Colin Ainsworth als Castor hatte am Aufnahmetag nicht seinen besten Tag erwischt: Er klingt gelegentlich angestrengt und verengt. (Ainsworth sang übrigens auch schon der Naxos Einspielung unter Kevin Mallon den Castor). Sein Bühnenbruder Bariton Florian Sempey ist als feierlich-würdevoller Pollux besser und hat doch auch Eintrübungen. Die kleineren Rollen sind adäquat besetzt, ergänzt von einem engagierten Chor. Es bleibt am Ende ein guter, aber ambivalenter Höreindruck. Der Generationswechsel bei den französischen Barock-Interpreten überzeugt in dieser Aufnahme noch nicht restlos. (Castor: Colin Ainsworth; Pollux: Florian Sempey, Télaïre: Emmanuelle de Negri; Phébé: Clémentine Margaine; Jupiter: Christian Immler; Cléone, Une Ombre heureuse, Une Suivante d’Hébé: Sabine Devieilhe; Un Athlète, Mercure, un Spartiate: Philippe Talbot; Le Grand Prêtre de Jupiter: Virgile Ancely;  Choeur et orchestre de l’Ensemble Pygmalion – Dirigent: Raphaël Pichon; Koproduktion Harmonia Mundi und Ensemble Pygmalion, Live-Aufnahme des Festival Radio France et Montpellier-Languedoc-Roussillon vom Juli 2014. HMC 902212.13Marcus Budwitius

Wagners Fixierungen

 

Wohl galt Richard Wagners Interesse bis zu seinem Tode dem anderen Geschlecht und der Sexualität, die er wohl eher als Eros bezeichnet hätte, denn seine letzte, unvollendet gebliebene Arbeit war ein Aufsatz über Das Weibliche im Menschlichen. Nicht nur diese Tatsache hat den dänischen Autor, Rechtsanwalt und Übersetzer Henrik Nebelong in seinem Buch Liebesverbot! Sex und Antisex in Wagners Dramen (2013 erstmals in Dänisch und nun bei der Dresdner Edition Freiberg) zu den recht apodiktischen Ausführungen über des Komponisten Opern veranlasst, die darin gipfeln, dass trotz des alles andere aussagenden Librettos zum Parsifal im Gral das weibliche und im Speer das männliche Geschlechtsorgan zu sehen seien. Letzteres begegnet uns auch im plötzlich mit frischem Grün bedeckten Stab des Papstes in Tannhäuser. Dem aufmerksamen Leser hätte bereits beim Titel auffallen müssen, dass das Ausrufezeichen, die Vokabel „Sex“ in diesem Zusammenhang und der Begriff Drama anstelle von Oper oder Musikdrama ein besonderes Buch über Wagner erwarten lassen. Sympathisch berührt es allemal, dass der Verfasser sich selbst zur Einseitigkeit seiner Betrachtungsweise bekennt, dass er die seine als nur eine unter anderen möglichen ansieht.

Die Wagner-Kenner nicht überraschende Essenz des Buches besteht darin, dass nach Meinung des Autors alle Werke Wagners die Sexualität zum Thema haben, was als etwas Revolutionäres angesehen wird. Allerdings scheint in dieser Hinsicht Wagner so umstürzlerisch nicht zu sein, denn ersetzt man Sex durch Liebe, dann wird klar, dass es auch vor Wagner kaum eine Oper gab, in der dieses Thema nicht im Mittelpunkt stand, allerdings die Widerstände, die sich der Liebeserfüllung entgegenstellen, bei Wagner durchaus Überraschendes bieten. Nebelong sieht in Wagners Werk durchgehend vom Puppenspiel Leubold und Adelaide bis zum Parsifal den roten Faden, dass hier Biographisches verarbeitet wurde: die verbotene Liebe zur Schwester Rosalie, die sich in Sieglinde oder Elisabeth, und zu Mathilde Wesendonck als Protagonistin, die sich in Isolde wiederfindet, also das Liebesverbot darstellt. Das Thema Inzest sieht er auch im Verhältnis oder eher Nichtverhältnis zwischen Parsifal und Kundry, die zugleich Herzeleide ist. Auch in der Liebe Irenes zu ihrem Bruder Rienzi entdeckt der Autor inzestuöse Züge. Immer wieder kehrt auch der fordernde oder verbietende Vater als Bühnenfigur auf, das zweite Motiv, das eigentlich, betrachtet man das Verhältnis Wagners zu seinem Stiefvater, sich nicht auf biographische Hintergründe stützen kann, und außerdem König Marke, der als ein Beispiel angeführt wird, nicht in dieses Schema passt. Aber neu ist dies alles nicht!

Der Autor betont mehrfach, dass Wagner ein Meister des Symbolismus, Vollender der Romantik sei, deshalb auch die Libretti nicht wörtlich zu nehmen seien. Andererseits werden immer wieder Parallelen zwischen der Handlung der Opern und Geschehnissen in Wagners Leben aufgezeigt, so wenn er die Frage Siegfrieds nach dem Aussehen seines Vaters Wagner selbst zuordnet, von dessen früh verstorbenem wahrscheinlichem Erzeuger es kein Konterfei gab. Auch weiß er den weiblichen Bühnenfiguren durchaus Vorbilder aus Wagners Biographie zuzuweisen, so Minna als verführerische Venus darzustellen. Wenn der Autor allerdings meint, Wagner sei der erste Komponist, der als sein eigener Librettist einen großen Wert auf „den Blick von innen“ auf das Werk legte, dann wertet er wohl einen Künstler wie Verdi ab, dessen Ringen um geeignete Libretti bekannt ist.

Ausführlich wird auch auf die frühen Werke Wagners eingegangen, die sämtlich zumindest auf eines der drei Themen verbotene Liebe (oder Verzicht auf die irdische zugunsten einer „himmlischen“ Liebe), Inzest und verschollener, aber trotzdem präsenter Vater zurückgehen. Bei den späteren Werken ist es dem Autor hoch anzurechnen, dass es auch Interpretationen der Musik, gestützt auf einen umfangreichen Notenanteil am Schluss des Buches, gibt. Ein aufschlussreicher Anmerkungsteil und ein Literaturverzeichnis vervollständigen das Buch. Ist Lohengrin wirklich Gottfried, der mit Elsa schlafen will? Nicht jedem Leser wird diese Möglichkeit einleuchten, und der Autor findet für seine Deutung selbst das Hindernis in dem gleichzeitigen Erscheinen beider auf der Bühne. Die Unvereinbarkeit von „normalem Eheleben mit einer künstlerischen Berufung“ dürfte nicht das grundsätzliche Problem für den Gralsritter sein. Wie bei Lohengrin gibt es auch bei den Interpretationen der anderen Werke Richard Wagners interessante und bedenkenswerte Ansichten und solche, die dem Wunsch des Autors entsprungen zu sein scheinen, auf Teufel komm heraus Sexuelles in den oben genannten Formen auszumachen. So ist der gestrichene Vers aus der Gralserzählung sicherlich sehr

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aufschlussreich. Dem historisch Gebildeten wird auffallen, dass Nebelong eine „gerechte“ Einschätzung der Wartburggesellschaft schwer fällt; auch dürfte, wenn man an des Landgrafen Worte zu Elisabeth denkt, „kalt und heuchlerisch“ nicht die angemessene Einschätzung sein.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, und so steht das Kapitel „Siegfrieds Tod“ weit vor dem über den Ring. Verdienstvoll ist hier die Gegenüberstellung mit der Götterdämmerung, sehr knapp fällt später der Vergleich zwischen marxistischer und psychologischer, das heißt Wagners, Betrachtungsweise aus. Mit dem Ring sieht der Verfasser einen Wandel in Wagners Wertung des Liebesverzichts. Leitete dieser den Mann zunächst in höhere Gefilde des Daseins, so führt er ihn nun zum Machterwerb. Natürlich bieten sich für die Intentionen des Autors viele bisher vernachlässigte Deutungen an wie der Feuerkranz um den Felsen als Vagina, ein Ödipuskomplex für Siegfried, Brünnhilde, die Siegfried nicht lieben, sondern besitzen will, eine völlige Demontage der Siegfriedfigur. Wenn allerdings davon ausgegangen wird, dass Sieglinde und Siegmund wie Siegfried und Brünnhilde ihre erotische Liebe im Jenseits ausleben können, fragt man sich, wo das denn nach der Zerstörung Walhalls stattfinden könnte. Die Begeisterung für seinen Stoff und dessen Deutung lässt den Autor manchmal über ein im Bereich des Möglichen liegendes Ziel hinausschießen. Anders sieht es wohl mit dem „doppelten Selbstportrait“ aus, das Wagner im Liebe und Kunst miteinander verbindenden Stolzing wie im sublimierenden Sachs entworfen haben könnte. Der Ring der Rezension schließt sich mit Parsifal, in dessen dritten ( nicht zweiten Akt, wie es im Buch steht) Akt ein „symbolischer Sexualritus“ vollzogen werden soll mit der Zusammenführung von Schale und Speer. Und weil dem Verfasser dann auch einmal der hohe Anspruch seines Werks zu viel wird, gibt es Sätze wie: „Der Held hat Wichtigeres zu tun, als bei seiner neugierigen Gattin zu bleiben“, was sich allerdings auf Sohn Lohengrin bezieht. Das Buch endet mit Fragen, was immer ein gutes Zeichen ist, und es gibt dem Leser viele Anregungen, sich mit Wagner zu beschäftigen, dem Autor zuzustimmen oder ganz anderer Meinung zu sein (Edition Freiberg; ISBN 978-3-943377-46-0). Ingrid Wanja

Henrik Nebelong/Foto Edition FreibergZu Henrik Nebelong (Foto vom Umschlag der Edition Freiuberg) heißt es im Klappentext: „Der Autor Henrik Nebelong (geb. 1944 in Kopenhagen) ist Rechtsanwalt und war bis 2006 Seniorpartner in einer Dänisch-Deutschen Anwaltskanzlei mit Niederlassungen in Kopenhagen und Berlin. Er war 1999 – 2000 Chef de Mission für Avocats sans Frontières in Kosowo. Nebelong hat vom Fliegenden Holländer bis zum Parsifal sämtliche Musikdramen Wagners ins Dänische übersetzt und kommentiert. Sein 2008 erschienenes Werk Richard Wagner: Liv. Værk. Politik. (R.W.: Leben. Werk. Politik.) ist die erste große dänische Wagnerbiografie seit einem Jahrhundert. Liebesverbot! Sex und Antisex in Wagners Dramen ist sein erstes Buch auf Deutsch.“

Details zum Verlag und zum Autor im Internet zu finden erfordert eine Pfadfinderausbildung. Über Henrik Nebelong gibt es einige Artikel in Dänisch aus jüngerer Zeit anlässlich seiner Beschäftigung mit Wagner, die sich in einer Reihe von dänischsprachigen Büchern niedergeschlagen hat. Die in Dresden angesiedelte Edition Freiberg ist nur mit einem heraldischen Wappen auf ihrer Website vertreten – ein Sortiment ihrer Bücher muss zusammengesucht werden. Das reicht von „Verschenkte Gefühle“ und „Die Gedanken sind frei“ von Erika Seidenbecher bis zu Kyril Wasows „Lehre zum Elektroniker an der Bergakademie Freiberg“. Sich selbst bezeichnet die Edition Freiberg als den „Verlag für junge Autoren und Junggebliebene“.

Das Nachfolgende findet sich auch auf der website der Dänischen Botschaft Berlin, wo der Autor am 22. Juni 2015 – neben anderen Locations, so am 01. August 2015 in Bayreuth in der Markgräflichen Buchhandlung – eine Lesung gab: „Liebesverbot! – Sex und Antisex in Wagners Dramen: Richard Wagner war nicht allein ein großer Komponist. Er war auch ein großer Dramatiker. Sex ist ein durchgängiges Thema in seinen Werken. Wagner sieht die sexuelle Begierde mal als bindende Kraft, mal als eine peinigende Verbannung. In seiner Werken nimmt er den Kampf mit der Bigotterie der bürgerlichen Gesellschaft und seinen eigenen auf einmalige, originelle Weise auf. In symbolhafter und häufig surrealer Formsprache. In „Liebesverbot!“ sammelt der dänische Wagner-Kenner Henrik Nebelong die Fäden seiner lebenslangen Wagner-Analysen zusammen. Das Programm wird begleitet durch Wagner Stücke der Pianistin Natalia Volchenko. Der Abend wurde in Zusammenarbeit mit dem Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e.V. organisiert.“ (Wenn Sie Fragen zu „Liebesverbot! – Sex und Antisex in Wagners Dramen | Lesung mit Musik“ haben, wenden Sie sich an KÖNIGLICH DÄNISCHE BOTSCHAFT BERLIN – Nordische Botschaften Felleshus.)

Diebisches Paar

 

Nicht die elektronische Steuererklärung verursacht im Melodramma La gazza ladra die Turbulenzen, welche die arme Ninetta an den Rand des Schafotts führen, sondern der Vogel, der sich besonders von glänzenden Gegenständen angezogen zeigt, eine Eigenschaft, die Rossini in eben jener „Diebischen Elster“ sozusagen als Hobby-Ornithologe auf die Bühnenbühne brachte. Die Elster musste Federn lassen, übrig geblieben ist nur die schmissige Militärouvertüre. Als das Rossini Opera Festival 1980 ausgerechnet mit der 1817 uraufgeführten Oper seine Tätigkeit ausnahm, hätte man dem Unternehmen in Rossinis Geburtsort an der Adria kaum Erfolg vorhergesagt. Schienen nicht die bald folgenden La donna del lago, Tancredi, Mosè in Egitto, Maometto Secondo, Bianca e Falliero, Ermione und Otello wichtiger? Ähnliches Erstaunen löste nur der Viaggio aus, die sich fast zu einem Repertoirestück entwickelt hat. Der nachhaltige Einfluss des Stückes ging erst später auf. Ich brauchte auch zwei Anläufe, um mich mit der Gazza ladra anzufreunden, mit der Länge und der unentwegten Folge von Arien und Ensembles, die dem wagnerlangen Zweiakter den gewichtigen Umfang einer Seria geben. Im zweiten Pesaro-Jahr hatte Alberto Zedda, damals quasi noch ein Youngster, die Leitung des Werkes übernommen (die Produktion von 1989 unter Gelmetti wurde dann von Sony mitgeschnitten), und als kundiger Stratege durch das Dorf und den sonderbaren Justizfall geführt, der die ländliche Heiterkeit und Komödiantik mit einen Trauerrand versah, eine echte Semiseria, in der ein unschuldig des Diebstahls bezichtigtes Mädchen zur tragischen Heldin wird und die Mechanismen der Buffa und Seria und Gesellschaftsschranken aufgehoben werden: Die einfachen Menschen, die bislang komisch zu sein hatten, erleiden tragische Schicksale, die Menschen von Stand können hinterhältig und böse sein.

Zum 20jährigen Bestehen schenkte sich Rossini in Wildbad 2009 auch diese Diebische Elster und holte sich für die etwas prominenter aufpolierte und klanglich ausgezeichnete CD-Einspielung (Naxos 8.660369-71) den zuvor schon mehrfach ins Schwarzwaldtal gekommenen Alberto Zedda. Altmeister Zedda, Geburtsjahr 1923, erzählt die harmlose Begebenheit mit der ihm eigenen liebevollen Eloquenz, dass die nach der von den Virtuosi Brunensis hinreichend prickelnd gespielten Sinfonia schablonenhafte Introduzione bereits zu einem Dorffest gerät. Elegant verflechten sich die Ensembles, die Solopassagen und Chornummern, dabei leicht und gewitzt, wie in einem Ballett von Bournonville, in dem Luisa Islam-Ali-Zade mit ihrem tiefdunkel runden, lebensprallen Mezzosopran als Mutter Lucia gleich zu Begin Akzente setzt.

Es braucht seine Zeit, bis Nanetta vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen wird. Das ganze Dorf ist in dieser angeblich auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte eingespannt, bis alle vom fahrenden Händler Isacco (Stefan Cifoletti), dem als Hosenrolle angelegten Bauernburschen Pippo (Mariana Rewerski), dem Pächterehepaar Lucia und Fabrizio und deren Sohn und Ninettas künftiger Gatte Giannetto bis zu Ninettas desertiertem Vater Fernando und dem fies-lüsternen Bürgermeister ihre Arien gesungen haben. Kenneth Tarver wirkt als Kriegsheimkehrer Giannetto in „Vieni fra queste braccia“ noch etwas befangen, die schöne Tenorstimme etwas grobkörnig, doch bereits im ersten Finale verzaubert er durch federnde Leichtigkeit. Bruno Pratico singt den zerlumpten Soldaten Fernando, Ninettas Vater, mit akzentuierter Wortbehandlung, wenn auch nicht mehr mit früherer Tonfülle, Lorenzo Regazzo ist als Podesta Gottardo, für den ihm eine bisschen die runde Tiefe fehlt, ohne Fehl und Tadel; freilich sollte man nicht an Furlanetto und Ramey bei Gelmetti denken, wie denn überhaupt damals einige Partien einfach glanzvoller besetzt waren, doch wie schließlich Ninettas Unschuld über alle Intrigen und Unterstellungen triumphiert, zählt letztlich der glückliche Gesamteindruck, das Lächeln, das Zedda allen Mitwirkenden in die Stimme zaubert. Natürlich auch María José Moreno, die in ihrer Auftrittsarie noch etwas unpersönlich wirkt, doch bereits im Duett mit dem Vater voll zarter Sopranfülle agiert und unter den Klängen des Trauermarschs glaubwürdig vermittelt, wie aus der zwitschernden Dienstmagd eine würdevoll das Schafott beschreitende Königin wird.   Rolf Fath

 

"La gazza ladra" an der Oper Frankfurt und nun bei Oehms Classics: Sophie Bevan (Ninetta), Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) © Wolfgang Runkel

„La gazza ladra“ an der Oper Frankfurt und nun bei Oehms Classics: Sophie Bevan (Ninetta), Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) © Wolfgang Runkel

Regelmäßig veröffentlicht die Frankfurter Oper Aufnahmen aus ihrem Repertoire, mal als CD und DVD wie den Ring, ansonsten lediglich als CD, allerdings stets ausgestattet mit einem reichhaltigen Booklet, das auch viele Farbfotos enthält. Ersetzen können die natürlich den optischen und damit den Gesamtgenuss an einer Oper nicht, vor allem dann nicht, wenn man dort zwar eine zweisprachige Inhaltsangebe findet, nicht aber ein Libretto, das gerade bei weniger bekannten Werken wie bei der vorliegenden La gazza ladra  von Rossini unverzichtbar erscheint. Irreführend ist auch, dass bei den einzelnen Tracks fast immer nur der als Erster seine Stimme Erhebene genannt wird, da tröstet es auch nicht, dass die Sängerbiographien sehr ausführlich sind. Man hätte die Oper auch auf zwei CDs unterbringen können, ist mit drei Silberscheiben also großzügig verfahren, da hätte doch auch eine DVD möglich sein müssen. Die CD stammt von der Premierenserie im April 2014.

So recht bekannt, ja wunschkonzertverdächtig, ist nur die Sinfonia, die unter Henrik Nánási, zur Zeit noch Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin, soviel militärische Straffheit wie graziöse Gewandtheit hören lässt, elegant auf den Höhe- und Schlusspunkt hin voran getrieben wird, was jeweils auch in den Finali aufs Beste gelingt. Ausgerechnet der Sänger mit dem bekanntesten Namen erweist sich dann als der Schwachpunkt de insgesamt guten Besetzung. Jonathan Lemalu, den man als samtweichen, tiefschwarzen Bass einst kennen gelernt hatte, tritt hier als Fernando Villabella, Vater der als ladra beschuldigten Ninetta mit dumpfer, belegt klingender und schwergängiger Stimme auf. Die Tochter hingegen, weitaus weniger bekannt, kann mit der lyrischen Sopranstimme von Sophie Bevan vom ersten Ton an für sich und ihre Partie einnehmen, geschmeidig und sanft auch in der Höhe klingend, vermag sie die jeweilige Gemütslage zwischen Verzweiflung und Freude, Erschrecken und Erleichterung allein durch den Stimmklang deutlich machen. Ein Gewinn für die Aufführung ist auch Katarina Leoson, die mit sattem Mezzo ihre schöne Arie fast am Schluss der Oper als Lucia für  einen glanzvollen Auftritt nutzt und sich auch gegenüber dem Chor behaupten kann. Einen angenehm timbrierten Bass hat Federico Sacchi für den Fabrizio, ihren Gatten, während der Sohn Giannetto von Francisco Brito mit recht weißem Tenor und zum Falsettieren neigend, aber mit guter Technik vor allem im Finale des 1. Akts gefallen kann.  Ein jungenhaftes Timbre besitzt Alexandra Kadurina für den hilfsbereiten Pippo, einen gern zum Chargieren eingesetzten Charaktertenor Nicky Spence für den Händler Isacco. Der Ninetta nachstellende Gottardo Podestà wird von Kihwan Sim mit farbigem, gut konturiertem Bass gesungen, so wie auch der Giudice von Carlos Krause markant genug für sein Amt klingt. Für die kleine Partie des Kerkemeisters hat Miachael McCown einen hübschen Tenor (Oehms OC 961). Ingrid Wanja

Alan Curtis

 

Zu meinem sehr großen Bedauern hörten wir vom Tod des bedeutenden Dirigenten und Cembalisten Alan Curtis, der am Mittwoch, 15. Juli 2015, verstarb. Die Begegnungen mit diesem humorvollen langbeinigen Exil-Amerikaner gehören zu den herausragenden meines Lebens. Er hatte einen ganz eigenen Humor, war ein leidenschaftlicher Musikwissenschaftler und dazu ein Dirigent des saftigen, diesseitigen Klanges, der seine Sängerinnen ebenso mochte wie die schönen Seiten eines Lebens, das er immer mehr nach Italien verlagerte. Namentlich in Innsbruck, vorher in den USA, erlebte ich ihn als absolut diesseitigen Grand-seigneur, stets elegant gekleidet, sein fesches Bärtchen und seine schmunzelnden Augen als sein optisches Markenzeichen. Er war für mich in seiner Generation einer der ersten lustvollen Barockdirigenten, der sehr früh schon mit den seltenen Titeln überraschte und für Amerika Händel und Cavalli neben Monteverdi entdeckte und diese mit nach Europa brachte. Seine Aufnahmen erst bei Cambridge und RCA, später bei der Deutschen Grammophon, naive und anderen Firmen zählen zu den Meilensteinen der barocken Diskothek (namentlich die jüngsten Vivaldi-Einspielungen). Zu seinen letzten Projekten zählte Cherubinis Médée am Theater Ulm, worüber wir in operalounge berichteten und sein Interview mit Heiko Cullmann brachten.Sein Tod ist wirklich ein großer Verlust. G. H.

Alan Curtis, US-amerikanischer Cembalist, Musikwissenschaftler und Dirigent, starb am 15. Juli 2015  im Alter von 80 Jahren in seiner Wahlheimat Italien. Das von ihm gegründete Orchester „Il complesso barocco“ leitete er bis zuletzt. Der aus Michigan stammende Curtis studierte in Amsterdam bei Gustav Leonhardt. Er galt schon zu Studienzeiten als erster moderner Cembalist, der Werke von Louis Couperin oder auch Opern von Monteverdi und Rameau auf historischen Instrumenten interpretierte. Als Cembalist veröffentlichte er einige Soloaufnahmen, darunter auch J.S. Bachs „Goldbergvariationen“. Auch mit seinem Ensemble „Il complesso barocco“ realisierte er zahlreiche Aufnahmen, viele davon mit Musik von Georg Friedrich Händel. Alan Curtis war einer der Ersten, die die Opern Händels kritisch bearbeiteten, und einer der wichtigsten Bahnbrecher der Händel-Forschung. „Seine Opern bieten komplexe psychologische Strukturen. Früher dachte man immer, dass Händel nur nette Musik komponiert habe, doch er war ein Meister darin, tiefe Gefühle in Musik auszudrücken.“ Am 15. Juli 2015 ist Alan Curtis in Florenz gestorben. Die amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato wird mit den Worten zitiert, sie kenne niemanden, der Musik mehr geliebt habe als Alan Curtis. (BR)

Dazu auch Wikipedia:  Alan Curtis (* 17. November 1934 in Mason, Michigan; † 15. Juli 2015 in Florenz) war ein US-amerikanischer Cembalist, Musikwissenschaftler und Dirigent von Barock-Opern. 1977 gründete er das Orchester Il complesso barocco, welches er bis zuletzt leitete. Alan Curtis studierte 1957 bis 1959 in Amsterdam bei Gustav Leonhardt, mit dem er mehrere Bach-Konzerte für Cembali aufführte. An der University of Illinois promovierte er 1960 mit einer Dissertation über die Orgelmusik von Sweelinck. Noch als Student galt er als der erste moderne Cembalist, der die Werke von Louis Couperin und die Opern von Komponisten wie Monteverdi und Rameau mit historischen Instrumenten adäquat darstellen konnte. Platten, die er in den 1960er und 1970er Jahren herausbrachte, enthalten Solo-Klaviermusik, von Rameau und Bach. 1977 gestaltete er den erfolgreichen Versuch in einer konzertanten Aufführung von Händels Oper Admeto das Händelsche Opern-Orchester wieder zu beleben, einschließlich der Nutzung der Theorbe, der Chitarrone und des chromatischen Cembalos. Anschließend wirkte er mehrfach als Dirigent bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Curtis war der Leiter des 1977 durch ihn gegründeten Barockorchesters Il complesso barocco. An der Wiener Kammeroper, seit 2012 zweites Haus des Theaters an der Wien, feierte der Bach Consort Wien unter Leitung von Alan Curtis im Herbst 2013 mit der szenischen Wiederentdeckung von Leonardo Vincis Semiramide einen großen Erfolg.

Alan Curtis/ Screenshot aus Trailer zu DG-Alcina/youtube