Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Oper und Gender

 

Im Leipziger Universitätverlag ist ein Buch von Anke Charton erschienen: prima donna – primo uomo – musico: Körper und Stimme – Geschlechterbilder in der Oper. In Verbindung von Theater- und Musikwissenschaft stellt Anke Chartons Studie einen Beitrag zur Opern­forschung vor, der Oper aus dem Gesamtphänomen Theater gerade nicht herausnimmt. Sie erkundet so ein weites Feld der Theatergeschichtsforschung. Im Zentrum stehen Geschlechtervorstellungen, die in der Oper von vertrauten Bildern abweichen können: Die Verhältnisse von Körper, Stimme und Geschlecht erweisen sich historisch als erstaunlich variabel und können bis heute die scheinbar -natürlichen Unterschiede zwischen weiblich und männlich irritierend durchkreuzen. Hier trägt kulturgeschichtlich orientierte Opernforschung zur Geschlechterforschung bei, anthropologiehistorische Geschlechterforschung eröffnet der Opernforschung neue Perspektiven.

Geschlechterbilder in der Oper Charton Leipziger UniversitätverlagAnke Charton unterzieht den Mythos von der »Geburt der Oper« einer kritischen Revision und legt die theatralen Einflussbereiche offen, die nicht nur deren Anfänge ausmachen, sondern auch darüber hinaus wirken. Die Phänomene Kastratengesang und Hosenrolle, die in Zeiten eines verstärkten Interesses an Geschlechter­rollen zu populären Forschungsfeldern geworden sind, werden vor dem Hintergrund älterer Körper- und Weltvorstellungen neu gelesen. Dabei wird in vielfältigen Zusammenhängen der Formung und Wahrnehmung der Gesangsstimme nachgespürt. Die Studie schlägt so einen Bogen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart und bietet eine fundierte Einführung in opernhistorische und geschlechtertheoretische Zusammenhänge (Quelle: Klappentext). Leipziger Beiträge zur Theatergeschichte hersg. Von Gerda Baumbach, 357 S. mit Quellenverzeichnis , Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012,  ISBN 978-3-86583-628-1 / Abbildung oben: Wikipedia

Luther als Heldenbariton

 

2017 wird ein Luther-Jahr: 500 Jahre Reformation, der Wittenberger Anschlag der Thesen geschah 1517. Das Label cpo besetzt frühzeitig diese Nische mir einer Rarität: dem Oratorium Luther in Worms von Ludwig Meinardus (1827-1896), das der in Ostfriesland geborene Komponist als sein Opus 36 (von 48) in der Folge der Reichsgründung 1871 schuf, 1874 uraufführte (und zwar mit Unterstützung des Katholiken Franz Liszt in Weimar) und das insbesondere 1883 zum Jubiläumsjahr Luthers (1483-1546) der größte Erfolg in Meinardus‘ Lebzeiten wurde und international über 300 Aufführungen erlebt haben soll. Die Begeisterung für das preußisch-protestantisch geführte Reich nahm die Luthergestalt des Festjahres 1817 in sich auf, die mehr als nationaler Held gegen die Fremdbestimmung denn als theologische Figur Einzug ins Bürgertum gefunden hatte. Der Oratorientext ist von Wilhelm Rossmann (1832-1885) geschrieben worden, einem Pfarrerssohn, der als sich als Theologe und Historiker auf die Reformation spezialisiert hatte und die historischen Ereignisse verarbeitet. Das Oratorium ist zweigeteilt: »Die Fahrt nach Worms« und »Vor Kaiser und Reich« erzählt die Geschehnisse rund um den 17. April 1521, an dem Luther vor dem Reichstag in Worms zum Widerruf aufgefordert wurde, am Tag darauf ablehnte („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist übrigens nicht quellenfest überliefert und wird bei Meinardus zur sympathisch zurückhaltend und bescheidenen, von Flöten begleiteter Aussage des Sängers). Gemäß dem Wormser Edikt wurde Luthers Lehre verboten, er selbst als vogelfrei geächtet. Rossmann macht daraus ein Oratorium mit Pathos und Größe, Luther wird als Held dargestellt – aufrecht und authentisch, eine Leitfigur gegen Fremdbestimmung. Schon im ersten Teil, der Fahrt nach Worms bestehen keine Zweifel an der Person Luther, man singt „Luther und Freiheit! Luther und Sieg!„. Das Oratorium ist laut Beiheft ein „protestantisches Bekenntniswerk“ und eine Fundgrube der theologischen Anspielungen und Parallelen. Das ausführliche Beiheft gibt hierbei viele Hinweise und Erklärungen.

Meinardus‘ Musik kombiniert romantische Klänge, protestantische Choräle, Fugen in den Doppelchören und Pilgergesang, bekannte Luther-Lieder klingen an, Nonnen singen ein Miserere und der Kaiser bekommt einen pompösen Huldigungschor. Stille Momente kontrastieren mit dramatischen, opernhaften Szenen; der zweite Teil mit der Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Roms und Luthers bildet das dramatische Herzstück des Werks. Luther wird durch schnörkellose Melodien charakterisiert, sein Gegenspieler Glapio, der Beichtvater des Kaisers, durch gestische, auf Effekt setzende, sich windende Klänge. Für musikalische Abwechslung und Spannung ist also dadurch gesorgt, daß Meinardus nicht nur begleitet, sondern geschickt kommentiert und verstärkt. Das Concerto Köln spielt mit 42 Musikern engagiert unter der Leitung von Max Hermann; man wählt eine transparente Lesart ohne übertriebene Überhöhungen. Im Beiheft wird erläutert, dass Meinardus das Oratorium zwar mit der „Reformations-Hymne“ Eine feste Burg ist unser Gott schließen lässt, diese aber nicht strahlend, feierlich oder sogar martialisch erklingt, sondern in einer „erschütterlichen“ Weise, wie jeder ‚lebendige Glaube erschütterlich erscheint‘. Das Oratorium erfordert großen gemischten Chor inklusive Knabenchor, der in dieser Einspielung allerdings vom gemischten Chor der tadellosen  Rheinischen Kantorei übernommen wird und den vielfältigen Anforderungen – man singt doppelt und dreifach mit und gegeneinander als Anhänger des Kaisers oder Luthers, mehrstimmig a capella und mit voller Orchesterbesetzung, Fugen und Choräle, dramatische und kontemplative Szenen – ausgezeichnet entspricht. Weiterhin benötigt das Werk acht Solisten, die zwei Frauen- und sechs Männersoli sowie diverse Ensemble singen. Das Mit- und Gegeneinander der acht Charaktere bewirkt fast schon opernhaft wirkende Szenen. Besetzt ist dieses protestantische Manifest mit sehr guten und ausgewogen harmonierenden Stimmen, allen voran der vornehm-edlen Stimme von Matthias Vieweg als Luther sowie Catalina Bertucci (Katarina), Clemens C. Löschmann (Justus Jonas), Annette Gutjahr (Marta), Corby Welch (Karl V.), Markus Flaig (Glapio / Friedrich der Weise), Clemens Heidrich (Ulrich von Hutten), Ansgar Eimann (Georg von Frundsberg). cpo gelingt eine ungewöhnliche und spannende Wiederentdeckung! (cpo, 2 CDs, 777540-2Marcus Budwitius

Willkommen und Abschied

 

Traurig schaut die Braut drein. Verhärmt und spitzmäusig steht sie neben dem kräftigen, auch nicht sehr glücklich blickenden. Man muss zweimal hinschauen. Es ist Natalie Dessay neben ihrem Pianisten Philippe Cassard. In der Manier von Hochzeitsfotos aus der Urgroßelternzeit haben sich die beiden für das Cover und die Innenseiten ihrer Aufnahme mit Liedern aus der Epoche zwischen 1870 und 1940 von Fauré, Chabrier, Chausson und Duparc ablichten lassen. In Schwarz-Weiß. Das Motiv und der Brautschleier, den sich Dessay auf die Ringellöckchen gesetzt hat, gilt wohl vor allem Poulencs Fiançailles pour rire, die der Sammlung auch den Titel gaben (Erato 4614405). Den Auftakt der im Juni 2014 in der Salle Colonne in Paris entstandenen Aufnahme bilden sechs Lieder von Fauré, darunter das frühe Meisterwerk Après un rêve, drei Lieder nach Texten aus Verlaines Gedichtsammlung Fȇtes galantes sowie Spleen aus dessen späterer Sammlung Romances sans paroles. Irritiert ist man auch beim Hören. Dessay, so der Eindruck, muss sich mächtig anstrengen, und dennoch entfaltet die ungemein zerbrechlich wirkende Stimme keine Kraft und Volumen. Ich drehe den Ton auf, doch dann wird bei Mandoline nur der von Cassard brillant ausgekostete Klavierpart lauter.

nathalie dessay eratoDessays zirpender Sopran bleibt fein und dezent, ist oft schlierig und unsauber, und macht auch wenig aus dem Text. Nicht aus Chabriers strophischem Chanson pour Jeanne, nicht aus Poulencs kleinem Zyklus Fiançailles pour rire (Verlobung zum Spaß) nach Gedichten der Autorin Louise de Vilmorine, welche Poulenc bezauberte, „weil sie schön ist, weil sie hinkt, weil sie ein Französisch von natürlicher Schönheit schreibt“; in ihren Gedichten, darunter ein Titel wie Mein Leichnam ist weich wie ein Handschuh fand er „eine Art gemütvolle Impertinenz, Libertinage, Naschhaftigkeit“. Es stellt sich offenbar eine gewisse Gewöhnung ein, denn Duparc und Chausson, darunter Les temps des lilas, quasi eine Reflektion von Duparcs Soupir, gelingen Dessay, die bereits ihren Abschied von der Oper angekündigt hat, in Nuancen vorteilhafter, man gerät in den Bann der Musik und des sensiblen Spiels von Philippe Cassard. Der Vollständigkeit halber: Bei einem Lied von Poulenc ist Gatte Laurent Naouri beteiligt, bei Chaussons Chanson perpétuelle das Quatuor Ebène.

 

Eine absolute Gegenposition dazu bezieht Joyce Di Donato. Alles ist glut- und blutvoll gesungen, da pulsiert das Leben. Es war „ein vergnüglicher Abend“ schrieb die Presse, nach dem Abend von Joyce DiDonato und Antonio Pappano, mit dem sie im September 2014 die Saison der Wigmore Hall eröffneten. Der Abend von Joyce & Tony. Live at Wigmore Hall ist jetzt auf zwei CD erschienen (Erato 0825646107898, dreisprachiges Beiheft, dessen dt. Übersetzung abbricht). Sicherlich eine schöne Erinnerung an das Konzert. Ansonsten ist mir manches zu bullerig, zu gewollt und energisch, eher flüssig als charmant, in Non ti scordar di me wirkt DiDonatos Mezzosopran unruhig, streng und grell. Haydns Arianna a Naxos, Rossinis Beltà Crudele, La Danza und der vierteilige Zyklus I canti della sera von Francesco Santoliquido, verhangen gefühlvoll, nicht ganz auf DiDonato-Niveau, bilden den ersten Teil. Auf der zweiten CD dann ein kunterbuntes Programm, was gar nicht störend wäre, American Songbook von Fosters Beautiful Dreamer über Musical-Evergreens von Kern (Can’t help lovin‘ Dat Man, All the Things You Are) bis zu Arlens Over the Rainbow, dessen Stimmungen DiDonato derartig ausreizt, in zirzensischen Flitter auflöst und auf Effekt anlegt, dass man selbst bei dem virtuosen, südamerikanisch inspirierten Amor von William Bolcom und All the Things you Are, das eine Norman im Vergleich geradezu unverkünstelt und spontan anging, zwischendurch die Lust am Hören verliert.

 

juan diego florez deccaDas wird bei Juan Diego Flórez nicht passieren. Aus dem kleinen Prinzen, der in Rossinis Opern brillierte, ist inzwischen fast ein Draufgänger geworden, der für seinen einstündigen Italia-Ausflug (Decca 47884088) nicht mehr Cenerentola-like mit der Märchenkutsche anreist, sondern im roten Lamborghini vorgefahren kommt, wie einst Corelli und di Stefano bei Neapolitan Songs – die saßen allerdings selbst am Steuer oder entstiegen dem Wagen, während Flórez nur daran lehnt. Vielleicht ist ihm im Flitzer doch nicht ganz geheuer. Siebzehn Lieder (Canzoni), mehr oder weniger der eiserne Bestand eines Italian Songbook, wie es schon von Caruso über Schipa und Gigli bis Corelli, di Stefano und Pavarotti hoch gehalten wurde, bilden das kurzweilige Programm, darunter Rossinis Bolero, La Danza und Leoncavallos Mattinata ebenso wie Torna a Surriento und Non ti Scordar di me von De Curtis, Gastaldons Musica Proibita, Tostis Marechiare und L‘ alba separa dalla luce l‘ ombra. Flórez singt nicht mit dem draufgängerischen Elan (bei La Danza dann schon) und der Wärme eines di Stefano, aber generös, mit der gewohnten Finesse, Geschmack und Kultur, etwas sehr ausgestellten Höhen, mit betörendem Diminuendo, mit klar-präzisem Ton, mit Glanz und crescendierender Stimmentfaltung, das gilt auch für Schlager wie Chitarra Romana und Nel Blu, Dipinto di Blu. Man kann nicht genug davon bekommen. Einziger Schwachpunkt des von Carlo Tenan, einer Reihe von Solisten (Mandoline, Gitarre, Gitarre) und der Filarmonica Gioachino Rossini begleiteten Recitals ist das nichts sagend, vielsprachige Beiheft mit einer Grußwort des Tenors (natürlich: ein „sehr persönliches Album“). Da wird doch sicherlich eine Fortsetzung folgen, schließlich sagte Flórez „Arrivederci“.

 

peter mauro sonyIm Februar diesen Jahres hat der 28jährige Schweizer Tenor Mauro Peter in Zürich ein Schubert-Programm mit Goethe-Liedern aufgenommen (Sony 88875083883), mit dem er im Sommer auch bei der einst von Hermann Prey gegründeten Schubertiade auftrat. Sein Begleiter hier wie dort war Helmut Deutsch, der nicht nur beim Goethe-Programm bereits mit Prey zusammenarbeitete und jetzt Peters CD-Debüt adelt. Umrahmt von den Sturm-und-Drang -Gedichten Ganymed und Willkommen und Abschied erklingen u. a. die Gesänge des Harfners, Erlkönig, Der König von Thule, Heidenröslein, für die Peter jeweils einen individuellen Ton und erzählerische Klangpoesie entwickelt. Das wirkt in den kurzen Rastlosen Liebe und Der Musensohn spontan, doch nie unreflektiert, und bei beispielhafter Textdeutlichkeit stets mustergültig und eindringlich gestaltet. Peters lyrischer Mozart-Tenor besitzt Gewicht, ist klangvoll durchgebildet – in An den Mond leuchtend ausgemalt -, wird der im zarten Piano verhauchenden Poesie des Heiderösleins ebenso gerecht wie dem Strophenlied Der Fischer oder dem mächtigen Gemälde des Erlkönigs. Ein ausgezeichneter Einstand. Rolf Fath

In seichten Gewässern


Nur wenige echte Singspiele haben auf der heutigen Opernbühne überlebt, außer der Zauberflöte und der Eintführung aus dem Serail sind sie fast alle vergessen. Jetzt ist bei der Deutschen Harmonia Mundi ein Singspiel von Johann Abraham Peter Schulz erschienen – Peters Bryllup/ Peters Hochzeit.

Gut geklaut: Uraufgeführt wurde das Werk 1793 in Kopenhagen – ein schönes Beispiel dafür, wie gut um 1800 deutsche und dänische Kultur zusammenfanden. Dass in Kopenhagen Opern von deutschen Komponisten verfasst wurden, war keine Seltenheit, berühmt wurde der deutsche Komponist Friedrich Kuhlau, der bis heute als eine Art dänischer Nationalkomponist gilt. Ähnlich populär war einige Jahre zuvor Johann Abraham Peter Schulz, ein deutscher Komponist, der zunächst Opern für Berlin, Potsdam und Rheinsberg schrieb und kann nach Dänemark ging. In Deutschland ist er vor allem bekannt für seine Klavier-Lieder im Volkston, von denen einige wirklich zu Volksliedern wurden, wie „Der Mond ist aufgegangen“ und „Ihr Kinderlein kommet“.

Peters Bryllup ist seine letzte Oper und die erweiterte Fassung seines größten musikalischen Bühnen-Erfolges, einer Art Bauern-Revue mit dem Titel Das Erntefest(1790). Spannend daran ist, dass zwischen Fassung 1 und Fassung 2 die Zauberflöte komponiert wurde. Die CD dokumentiert faszinierend, wie skrupellos und geschäftstüchtig Schulz Mozarts Anregungen in seine Neufassung integriert. Die Arie des Hans aus dem zweiten Akt klingt so sehr nach Sarastro, dass in unseren Tagen zweifellos eine Plagiatsklage erfolgt wäre.

Singspiel mit genretypischen Höhen und Tiefen: Die Neuveröffentlichung dieses Singspiels aus Mozarts Tagen wirft wieder einmal die Frage auf, warum das Genre fast komplett untergegangen ist – um sie gleichzeitig zu beantworten. Handlung und Musik sind oft – trotz ambitionierter einzelner Teile sehr schlicht, um es mal höflich auszudrücken. Vor allem zeigt sich hier exemplarisch, wie schwer sich der einstige Erfolg der liedhaften Couplets heute vermitteln lässt. Einst waren sie Hits – heute leiert der musikalische Einfall  spätestens nach der zweiten Strophe aus. Wenn man bedenkt, dass es noch in den 1970er Jahren Musikwissenschaftler gab, die für Kürzungen beim frühen Verdi plädierten, weil sich die Einfälle der Cabaletten angeblich abnutzen… Diese Autoren würde beim Anhören von Peters Hochzeit vermutlich der Schlag treffen.

Auch die konfuse und wenig spannende Handlung von Peters Hochzeit dürfte zur Vergessenheit des Werks beigetragen haben. Dadurch, dass es sich um die opernhafte Erweiterung eines ehemaligen festlichen Einakters handelt, wirkt das Ganze sehr episodenhaft. Am ehesten vergleichbar ist der Plot mit Haydns (späterem) Oratorium Die Jahreszeiten. Es werden ländliche Geschichten erzählt, wir hören von verschiedenen Paaren, die zueinanderfinden, auch von tragischen Figuren, aber den größten Raum nehmen die Hochzeits-Feierlichkeiten selbst ein, die hier in Chören und Tänzen zelebriert werden. Und die sind oft wirklich gelungen. Zeitzeugen zufolge befand sich nämlich das einfache Volk Dänemarks nach 1790 in einem jahrelangen Freudentaumel, weil in diesem Jahr die Leibeigenschaft abgeschafft wurde. Und Schulz, der diese Freude hautnah miterlebt hat, fängt die Stimmung wirklich beglückend und überzeugend in seiner Musik ein.

Akustisch nicht immer genussreich: Der Dirigent Werner Ehrhardt bringt mit seinem Ensemble L’arte del mondo jedes Jahr eine seltene Oper des 18. Jahrhunderts heraus – und die letzten Jahre waren das echte Leckerbissen – Olimpiade von Pergolesi, Die Gärtnerin aus Liebe von Anfossi, alles richtig schwere Tanker mit viel Tiefgang im Operngewässer. Dies hier ist dann doch eher eine bunt angestrichene Schaluppe. Aufgenommen wurde in Kopenhagen mit dänischen Sängern, aber für den internationalen Vertrieb wurden die dänischen Dialoge gestrichen, übrig bleibt eine magere CD mit 70 Minuten Musik. Dazu kommt, dass diese Halle in Kopenhagen nicht grade ein akustisches Eldorado ist, mitunter klingen die Solisten wirklich wie aus dem Innern einer Schaluppe. Auch nicht jede dänische Stimme, grade bei den Solistinnen, hat das gewohnte Niveau, an das man bei der Deutschen Harmonia Mundi sonst gewöhnt ist. Aber natürlich ist das insgesamt eine hübsche und vielleicht sogar wichtige Ausgrabung, grade weil sie wieder einmal zeigt, wo Stärken und Grenzen der einst so beliebten Gattung Singspiels liegen. L’arte del mondo jedenfalls musiziert wieder hinreißend und ambitioniert (Johann Peter Schulz: Peters Bryllup/ Peters Hochzeit; Singspiel in zwei Akten mit Eva -Lotta Ohllson, Hannah Husahr, Tobias Westmann, Johann Rydh; L’arte del mondo, Werner Ehrhardt; Deutsche Harmonia Mundi; 88843017602).  Matthias Käther

 

Carl Thomas Mozarts „Entführung“

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Meisterwerke zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie eigentlich unantastbar sind. Wird z.B. ein Buch oder ein Musikstück in diesen Kanon der Unsterblichkeit aufgenommen, ist es meist mehr als schwierig, Verkrustungen (z.B. in Form von Zusätzen oder Kürzungen), die durch die Tradition entstehen, zu entfernen. Gegen die Trägheit der Praxis scheitert meistens auch die Philologie, die Werke in ihren Kontext zurückführen möchte. Für die Oper des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sind die Konsequenzen bekannt. Rossinis Barbiere oder Comte Ory werden nach wie vor in bedenklichen Editionen gegeben, obwohl kritische Ausgaben vorliegen. Hat ein Werk den Kanon-Status erreicht, muss meistens auch das rabiate Regietheater kapitulieren. Höchstens kommt bei Mozart ein Synthesizer in den Rezitativen zum Einsatz, oder sie können allesamt durch lächerliche

Natur-Geräusche ersetzt werden, wie heuer im Salzburger Fidelio geschehen. Ein paar Striche werden noch zugelassen. An der musikalischen Substanz, gerade bei Mozart und Beethoven, wird indes wenig gerüttelt, weil das heutige Publikum historisch informiert ist und keine einschneidende Aktualisierung annehmen würde.

Eine Neuveröffentlichung bei dem verdienten Raritäten-Label Bongiovanni aus Bologna zeigt eindrücklich, wie man damit in der Zeit verfahren ist, als die Kanonisierung noch nicht abgeschlossen war und der Opernbetrieb auf den aktuellen Geschmack der Zuhörer Rücksicht nahm und nehmen musste . Im habsburgischen Mailand war dies der Fall bei Mozart, einem Autor, der südlich der Alpen trotz seiner stilistischen Zugehörigkeit zur italienischen Oper des späten 18. Jahrhunderts es schwer hatte. Das schmerzte besonders zwei wackere Untertanen des habsburgischen Reiches, die in Mailand lebten: Carl Thomas Mozart (1784-1858), der gegen den Willen der Witwe Mozart keine Musiker-, sondern eine Beamtenlaufbahn durchgegangen war, und sein Freund Pietro (Peter) Lichtenthal (1780-1853), ein Preßburger Multitalent, das sich unermüdlich für das Oeuvre Mozarts einsetzte. Ihm verdankt man meisterhafte Bearbeitungen etwa vom Requiem für Streichquartett oder der Symphonie KV 550 für Streichquintett (selbstredend in der mozartschen Besetzung mit zwei Bratschen).

Der knappen, aber ausgezeichneten Einführung von Marco Beghelli im Booklet dieser CD-Produktion entnimmt man, dass Lichtenthal 1824 eine italienische Übersetzung der Entführung aus dem Serail bei zwei der führenden Librettisten der Zeit in Auftrag gegeben hatte, Gaetano Rossi (er verfasste das Libretto der Semiramide für Rossini und arbeitete für alle führenden Komponisten zwischen 1797 und 1854) und Felice Romani. Aber niemand wollte das Werk spielen. Überhaupt scheiterte der kulturkolonialistische Versuch kläglich, die deutsche Spieloper in Italien zu etablieren: Nicht nur Joseph Weigls Schweizer Familie (in italienischer Übersetzung in Mailand 1816) und Peter von Winters Unterbrochenes (Florenz 1818) missfielen, auch die Zauberflöte hatte keinen Erfolg. 1838 entschied sich daher Lichtenthal für eine grundlegende Neubearbeitung der Entführung aus dem Serail.

Er schuf eine neue Oper „übersetzt aus dem deutschen Original und dem heutigen Theatergeschmack (l’odierno gusto teatrale) angepasst, mit zum grössten Teil Musik von Mozart“, wie er das Manuskript betitelte. In der Tat ist das Meiste, was man hört, Mozart, wenn auch nicht unbedingt aus der Entführung. Konstanze strich Lichtenthal alle drei Arien und ersetzte sie u.a. mit der Konzertarie KV 505, und eine wohl eigene Orchestrierung des Türkischen Marsches aus der Sonate KV 331 kam zum Einsatz, aber er griff auch auf fremdes Material zurück. Die Sprechpartie des Selim bezeichnete er selbst in einem Aufsatz von 1840 als ein großes Hindernis für die Aufführung der Oper in Italien: Er bekam ein Duett mit Konstanze (ausgerechnet aus einer Oper des von Mozart so wenig geschätzten Peter von Winter) und ein weiteres mit Osmin aus einem Weigl-Werk. Und ein veritables Pasticcio ist das hinzugefügte erste Finale der nunmehr zweiaktigen Oper. Alle Dialoge wurden durch Secco-Rezitative von der Hand Lichtenthals ersetzt. Er führte somit den verständlichen Wunsch, Mozart dem Mailänder Publikum nahe zu bringen, ad absurdum, denn der Ratto dal serraglio ist ein Monstrum, das keineswegs überzeugt.

So dachten es wohl auch die Verantwortlichen der Scala, welche das Erzeugnis zur Begutachtung bekamen und sich gegen eine Aufführung entschieden. Sie wurde im Mai 2012 in Vincenza durch das Team nachgeholt, welches schon in Mozarts Zauberflöte in einer italienischen Fassung von 1794 überzeugte (auf CD bei Nuova Era). Auch diesmal kann der Dirigent Giovanni Battista Rigon überzeugen, welcher das Orchester des Teatro Olimpico in Vicenza akkurat leitet. Er kann für den stilistisch disparaten Eindruck natürlich nichts. Die Sängerriege besteht aus Italienern, die ihre Sache gut machen, ohne dass sich jemand besonders auszeichnet. Der Bearbeitung ist zu verdanken, dass Filippo Moraces leichter Bass-Bariton den Osmin geben kann. Francesco Marsiglia (Belmonte) singt elegant, Sandra Pastrana (Costanza) wird den Anforderungen der völlig veränderten Partie gerecht und muss sich dankenswerterweise nicht durch Martern aller Arten martern lassen. Gabriele Sagona (Selim), Carlos Natale (Pedrillo) und Tatiana Aguiar (Bionda) sowie der Chor der Polifonici vicentini und Alberto Boischio (Hammerklavier) ergänzen das Team auf gutem Niveau. Niemand wird wohl diese Bearbeitung nachspielen wollen, und doch ist man den Beteiligten und Bongiovanni dankbar, ein solch wichtiges musikhistorisches Dokument kennenlernen zu dürfen (Wolfgang Amadeus Mozart / Pietro Lichtenthal, Il ratto dal serraglio: Morace, Marsiglia, Pstrana, Sagona, Natale, Aguiar, Polifonici Vicentini, Orchestra del Teatro Olimpico, Rigon (Vicenza, Mai 2012), 2 CD Bongiovanni 2476-2477). Michele C. Ferrari

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Abbildung oben: Portrait of Carl Thomas Mozart (1784-1858), elder son of Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), c.1840 by Italian School, (19th century) oil on canvas. Mozart Museum, Salzburg, Austria
Italian/ Wikipedia- Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

„Das Geheimnis liegt in der Stille!“

 

Am Ende wird das Buch auf unheimliche Weise aktuell. Befragt zur Opernregie, schwärmt Riccardo Chailly von Nikolaus Lehnhoff, der drei Tage vor Erscheinen von Chaillys Buch Das Geheimnis liegt in der Stille. Gespräche über Musik verstorben war, „Ich habe große Hochachtung vor Lehnhoff, vor allem, wenn er bestimmte Ideen nicht bis ins Extrem ausreizt“. Nach den Erfahrungen mit der Amsterdamer Tosca hatte Chailly ihn Luciano Berio für die Erstaufführung der Turandot mit Berios Finale empfohlen, worauf der Komponist meinte, „dass er in Lehnhoff einen selten intelligenten und dialogbereiten Regisseur erlebt habe, mit dem er gerne zusammenarbeiten würde“. Diese Produktion wurde dann, neuerlich mit Chailly am Pult, im Mai dieses Jahres in Mailand im Rahmen des EXPO-Programms wiederholt. Angesichts von Chaillys umfangreichen Opernproduktion nehmen die Regisseure nur einen schmalen Raum ein, etwa Klaus Maria Grüber, der über „ein inszenatorisches Denkvermögen von bemerkenswertem Tiefgang“ verfügte, und der tiefgründige Willy Decker; beide in Amsterdam. Weniger glücklich war die Zusammenarbeit mit Zeffirelli, bei dem er anlässlich der Mailänder Aida entschied, „seine Welt einfach zu akzeptieren“.

chailly henschel verlagErwähnung findet die Arbeit mit Luca Ronconi in Bologna, Pesaro und Mailand, mit Jean-Pierre Ponnelle, der bei Chaillys Einstand in San Francisco (Turandot 1977 in San Francisco) und seinem ersten Opernfilm (Rigoletto 1981 mit Pavarotti und Gruberova) Regie führte, mit den italienischen Altmeistern Giancarlo Cobelli und Roberto De Simone („wie aus alten Zeiten“) sowie erstaunlicherweise auch mit dem provokanten Ken Russell („ein Vulkan, der ständig Asche spuckt: er besaß eine Vorliebe für Chianti und hatte immer eine Flasche unter seinem Sitz im Parkett versteckt“). Allein die paar Namen und die zahlreichen damit verbunden Produktionen zeigen, dass Chailly ein Mann des Theaters ist, was man angesichts des Buches fast ein wenig vergessen könnte.

Bereits 1967 hatte der 1953 geborene Sohn des Komponisten und Musikmanagers Luciano Chailly seinen ersten Auftritt als Dirigent. Zuvor hatte ihn der skeptische Vater, der ihn vom befreundeten Franco Ferrara begutachten ließ, selbst unterwiesen, dann an die Konservatorien von Mailand und Perugia und schließlich in die Dirigenten-Schmiede von Franco Ferrara nach Siena geschickt, wo zur gleichen Zeit auch Sinopoli, Daniel Oren, Iván und Adam Fischer studierten. 1971 gab Chailly in Mailand – am Teatro Nuovo – sein Operndebüt, bereits 1974 kam er durch Vermittlung Bartolettis an die Lyric Opera in Chicago, wo er Madama Butterfly dirigierte, deren Erfolg die oben erwähnte Turandot in San Francisco nach sich zog, und 1977 dirigierte er I Masnadieri bei Henzes Cantiere Internationale d‘ Arte in

Montepulciano, das eine prägende Zeit für Chailly gewesen sein muss, denn dies ist einer der wenigen Abschnitte, die wirklich lebendig werden und etwas von jugendlichem Schwärmen vermitteln, aber auch viel über den Vitalismus und die Aufbruchsstimmung im Musikleben im Italien der 1970er Jahre verrät. Dazu gehört auch Claudio Abbado, dessen Assistent er wurde.

Riccardo-Chailly/ Decca Foto Benjamin Ealovega

Riccardo-Chailly/ Decca Foto Benjamin Ealovega

Als jüngster Dirigent in der Geschichte des Hauses debütierte er 1978 an der Scala mit I Masnadieri (Maliponte, Garaventa, Manuguerra, Nestorenko); der sehr junge Chailly war damals offenbar der Mann für die Raritäten, denn ich erinnere mich noch an I due Foscari im folgenden Jahr sowie den Jahrmarkt von Soroschinizy im Rahmen von Abbados großartiger Mussorgsky-Retrospektive 1981.Chaillys gegenwärtiger Vertrag mit dem Leipziger Gewandhausorchester wurde laut Frankfurter Neue Presse soeben aufgelöst (03. September 2015), während die vor kurzem verlängerte Laufzeit eigentlich bis 2020 ging. Über die Gründe wurde nichts bekannt, sein letztes Konzert dirigiert er Mitte Juni 2016 in Leipzig. Ab 2017 wird Chailly offiziell die Position des Musikdirektors an der Scala antreten, „Ich wünsche mir, dass sich die Scala in Zukunft wieder mehr auf dem Gebiet der italienischen Oper profiliert, und zwar in einer neuen Qualität, die an vergangene Zeiten anknüpft“. Doch, wie gesagt, das Musiktheater kommt in diesem Band ein wenig kurz. Ausnahme ist ein Kapitelchen über Verdi, in dem Chailly Otello als seine liebste Verdi-Oper bezeichnet, „dicht gefolgt von Falstaff“, und einem über Rossini und Puccini, die beide zentrale Rollen in seiner Karriere spielten: seine erste große Aufnahme bei der Decca, mit der er seit über 30 Jahre verbunden ist, galt Guillaume Tell, und Puccinis Butterfly und Turandot hat er gleich zu Beginn seiner Karriere dirigiert, wobei besonders die Anmerkungen über Mahlers Einfluss auf Puccini interessant ist.

Gesprächspartner Enrico Girardi/ Enrico Girardi (@Chicogir)

Gesprächspartner Enrico Girardi/ Enrico Girardi (@Chicogir)

Befragt wird Chailly von dem Journalisten Enrico Girardi vor allem zu Bach und Mozart, Beethoven, Mahler und Bruckner, zur klassischen Moderne und den Zeitgenossen. Hier verblüfft der undogmatische und weite Blick auf die Interpretationsgeschichte, die unterschiedlichen Vorbilder oder Inspirationsquellen, die Chailly benennt, bei Bach selbstverständlich Leonhardt und Harnoncourt, bei Mozart neben Fritz Busch, Walter, Harnoncourt und Gardiner aber auch Peter Maag und Toscanini, bei Beethoven nennt er Felix Weingartner neben Carlos Kleiber, bei Mahler Abbado („… er zählt zweifellos zu den großen Mahler-Interpreten aller Zeiten, ähnlich wie Bernard Haitink, Inbegriff der großen Mahler-Tradition beim Concertgebouw, und natürlich Leonard Bernstein“). Alles wohl überlegt, keine Gefälligkeitsadressen (Riccardo Chailly, Das Geheimnis liegt in der Stille. Henschel Bärenreiter, 192 Seiten; ISBN 978-3-89487-944-0). Rolf Fath

 

Riccardo Chailly ist Decca-Exklusiv-Künstler, auf der dortigen website finden sich seine verfügbaren Aufnahmen. Die Fotos (oben von Benjamin Ealovega für Decca und hier im Text) stammen ebenfalls von dort, Dank an Universal!

Für die Fans

 

Roberto Alagna kommt nach Deutschland, wieder nach Berlin: aber nicht am 6. September für ein Open-Air-Konzert in die Berliner Waldbühne. Das wurde abgesagt! Laut Berliner Morgenpost: Das Galakonzert „Shakespeare’s Stars“ des französischen Opernstars Roberto Alagna in der Waldbühne am 6. September ist abgesagt worden. CTS Eventim als Betreibergesellschaft der Waldbühne hat dafür produktionstechnische Gründe angegeben. Der direkte Veranstalter Ramfis Production mit Sitz in Spanien und Frankreich hat sich am Freitag zu der Absage nicht geäußert.. Dem Vernehmen nach fand aber auch nicht gerade ein Run auf die Karten statt… G. H.

Aber dafür kommt er im Oktober an die Deutsche Oper für seinen Vasco de Gama von Meyerbeer (ab 4. Oktober). Passend dazu erscheint nun für Deutschland seine neueste CD, die bereits im letzten Jahr in Frankreich herausgekommen ist. Die jüngste Platteneinspielung von Roberto Alagna trägt den anspruchsvollen Titel „Ma vie est un opéra“, das hat zwar nichts mit „L’état c’est moi“ zu tun, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da unterschwellige Assoziationen zum Sonnenkönig hervorgerufen werden sollen. Der beweihräuchernde Text des Booklets (übrigens nur in Französisch) verstärkt diesen Eindruck. Da kein Autor dafür angegeben ist, stammt er vermutlich aus dem Familienbetrieb der  Alagnas (General Manager: Marinelle A., Arrangement der „Orpheus“Arie [?] David A., Stimm- und Musikberater: Frédérico A.)….. Keinem der Mitarbeiter ist jedenfalls aufgefallen, dass Leoncavallos populärstes Werk nicht „I Pagliacci“ heißt, weil es ohne den bestimmten Artikel auskommt. Und das Titelphoto der unter der Flagge der DG herausgekommenen CD ist schlicht scheußlich, was einem adorierenden Personal offenbar nicht auffällt.

Roberto Alagna - Jugendeindrücke/aus dem Booklet der CD "Ma vie est un opéra" bei DG

Roberto Alagna – Jugendeindrücke/aus dem Booklet der CD „Ma vie est un opéra“ bei DG

Doch nun zum nur 52,04 Minuten dauernden Programm (die Dauer muss man selbst ausrechnen, da sie nicht angegeben ist): Es handelt sich um eine recht wilde Mischung, in der, mit einer Ausnahme, die französischen Beiträge als Sieger hervorgehen. Die Ausnahme ist Lenskis „Kuda kuda“, das von Alagna zwar in französischer Übersetzung (das hätte er ja auch mal im Original lernen können), aber sehr stilgerecht und berührend interpretiert wird. „Inspire-moi, race divine“ aus Gounods Reine de Saba mit seiner typisch französischen Form der Dramatik macht Gusto auf mehr aus dieser Oper und wird ebenso kompetent gesungen wie „Adieu donc“ aus Massenets Hérodiade mit seiner in Sinnlichkeit getränkten Religiosität. In diesen Stücken erweist sich Alagna als würdiger Nachfolger eines Georges Thill. Es bräuchte wohl immer solche Kaliber, um diese Werke wieder ins Repertoire zu bringen, auch für Sigurd von Reyer, vertreten mit „Esprits, gardiens de ces lieux vénérés“. Eine Arie aus Le dernier jour d’un condamné à mort von Bruder David A. steht ganz in der Tradition der spätromantischen Oper französischen Stils.

Als einziger deutschsprachiger Beitrag (in verbesserungswürdigem Deutsch) gibt es „Magische Töne“ aus Goldmarks Version der Königin von Saba zu hören, wo der Schluss im ungücklich geratenen Falsett verstörend wirkt und man deutlich hört, dass sich Alagna hier vergriffen hat und akut an seinem Deutsch arbeiten muss – der Lohengrin ist eine lange Partie, wenn er ihn denn wirklich singen will.

Roberto Alagna - Le Populair,  dem Booklet der CD "Ma vie est un opéra" bei DG

Roberto Alagna – Le Populair, aus dem Booklet der CD „Ma vie est un opéra“ bei DG

Italien beteiligt sich mit zwei Arien aus Puccinis Manon Lescaut, die sehr schön gelingen, und mit „Addio fiorito asil“ aus der Butterfly, wo ich das Gefühl hatte, das Aufnahmestudio habe bei den Spitzentönen etwas nachgeholfen. Weiter gibt es Rossinis Danza, welche mit großer Virtuosität und Lebensfreude gesungen wird. In Donizettis Roberto Devereux sah sich der Sänger leider veranlasst, seine derzeitige Lebenspartnerin Aleksandra Kurzak mit einzubeziehen, die eine Elisabetta piepst, an der man keine Freude haben kann, während Alagna in der Titelrolle wunderbar frisch klingt. Die schon erwähnte Orpheus-Arie wird in der italienischen Fassung schön unsentimental dargebracht. Zum Verismo kehrt man mit Canios „Vesti la giubba“ zurück, das ohne Tränendrücker bravourös gesungen wird, mit einem zu Herzen gehenden, fast geflüsterten „Tu sei pagliaccio“.

Als eine Art Crossover ist, wieder zusammen mit der Kurzak, „A la luz de la luna“ von 1913, mit dem seinerzeit etwa Caruso und Schipa brillierten, zu hören. Alagna weiß Stücke der leichten Muse immer besonders gut zu präsentieren, so auch dieses.

Als Fazit kann gesagt werden, dass die Stückauswahl unter dem Motto „Quer durch den Gemüsegarten“ steht, Alagna aber nicht nur eine bestechende vokale Form aufweist, sondern sich auch (zumindest auf Platte) die mediterrane „solarità“ (was mit „Sonnenschein“ nur sehr unzureichend zu übersetzen ist) seiner Stimme zurückerobert hat. Angesichts seiner Leistung und der französischen Raritäten jedenfalls absolut zu empfehlen. Das Booklet sollte man besser nicht lesen, zumal Kleinstschrift in Weiß auf Schwarz/Braun eh ein Augenpulver ist und schon die Bestellnummer kaum zu lesen ist: DG 4911352, aufgenommen im September 2014.  Eva Pleus

Kollegen statt Rivalen

 

Als Folge des romantischen Genie-Kults soll um 1820 in Paris die Legende entstanden sein, dass Salieri (1750-1825) den Tod Mozarts (1756-1791) herbeiführte. Puschkin erschuf mit seinem später von Rimski-Korsakow vertonten Drama Mozart und Salieri (1832) eine erste künstlerische Auseinandersetzung. Und erst recht nach Miloš Formans Film Amadeus (1984) nach dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Shaffer rückte Salieri ins Zwielicht. Belegbar ist diese Hypothese nicht: Salieri dirigierte Messen von Mozart, zusammen komponierten sie die Kantate Per la ricuperata salute di Ofelia (1785), die als KV 477a verzeichnet und unglücklicherweise verschollen ist und Constanze Mozart ließ Sohn Franz Xaver von Salieri Klavierunterricht geben. Mozart und Salieri waren Kollegen – so auch der Tenor einer Ausstellung über Salieri im Wiener Mozarthaus 2014.

Das Musikkollegium Winterthur widmet nun Mozart und Salieri eine Doppel-CD, in dem beide Komponisten  mit Werken verschiedener Gattungen gegenübergestellt werden: Opern-Ouvertüren (La Clemenza di Tito / Axur, Re d’Ormus, La Grotta di Trofonio), Orchestralmusik von Mozart (Adagio und Fugue KV 546, Ballettmusik aus Idomeneo, Sechs Ländlerische für 2 Violinen & Bass KV 606) sowie Arien aus Opern und Konzert. Die Zusammenstellung der Werke Mozarts und Salieris folgt dabei keinem musikwissenschaftlichem Plan, es werden keine neuen Zusammenhänge aufgedeckt oder gegenseitige Einflüsse deutlich. Vielmehr scheint es sich um ein fürs Konzert konzipiertes Programm mit sich ergänzenden Stimmungen und Kontrasten zu handeln, schön anzuhören, sehr gut gemacht und bestenfalls ein Beleg, wie stilistisch nahe sich Mozart und Salieri als komponierende Zeitgenossen in Wien waren. Mozarts Genie macht den Unterschied. Gegenübergestellt werden die Ausschnitte aus Salieris Opern deshalb nicht mit den maßstabssetzenden Werken Mozarts. Und so mögen einigen die Unterschiede verschwommen erscheinen, umso länger man der Doppel-CD zuhört und es könnte eine spannende Anregung sein, beim ersten Anhören sich nicht vorher über die Programmpunkte zu informieren, sondern einfach mal zu tippen, wessen Musik gerade erklingt. Es wird vielleicht dennoch kaum jemand Salieri mit Mozart verwechseln, umgekehrt dürfte es bei dieser Zusammenstellung eher erfolgen.

Als Sänger hat man mit der chinesischen Sopranistin Sen Guo aus dem Ensemble der Züricher Oper und Tenor Kenneth Tarver bekannte Namen; beide verfügen über bewegliche, höhen- und koloratursichere Stimmen, Tarver modelliert ein wenig nuancenreicher. Sehr gelungen ergänzen sich beide in den Duetten: „Spiegarti non poss’io“ aus Idomeneo und „Qui dove ride l’aura“ aus Axur, re d’Ormus erklingen in wunderschöner Innigkeit. Guo singt weiterhin zwei Einlagearien Mozarts für Opern Paquale Anfossis:  „Mia speranza adorata – Ah, non sai quel pena sia“  (KV 416) für Zemira und das gefühlvolle, von der Oboe begleitete „Vorrei spiegarvi, oh Dio“ (KV 418) für Anfossis Il curioso indiscreto. Beachtenwert ist die von Tarver gesungene, von Flöte und Fagott einfallsreich begleitete Konzertszene „Misero! O sogno, o son desto?“ und die folgende Arie „Aura, che intorno spiri“ (KV 431)  sowie „Non piu, tutto ascoltai – Non temer, amato bene“ (KV 490, aus der Wiener Aufführung des Idomeneo 1786). Salieri ist überwiegend mit Ausschnitten seiner bekanntesten Opern vertreten, z.B. den spannend vorgetragenen Sopranszenen „Come fuggir – Son queste le speranze“ aus Axur und „Ah! Lo sento“ aus L’Europa riconosciuta sowie „Ah vile – Or gli affanosi palpiti“ für Tenor aus Salieris origineller später Oper Falstaff, ossia Le tre burle. Die selten eingespielte Arie des Volpino „Augelletti che intorno cantate“ aus Der Rauchfangkehrer oder Die unentbehrlichen Verräter ihrer Herrschaften aus Eigennutz, die eigentlich ein Beispiel für Salieris Ausflug ins deutsche musikalische Lustspiel ist, wird von Kenneth Tarver italienisch dargeboten.
Das Orchester ist nicht auf Musik des Barock und Rokoko spezialisiert und wer Mozart und Salieri von einem aufregenden Originalklangorchester erwartet, wird hier nicht fündig. Dirigent Douglas Boyd und das Musikkollegium Winterthur musizieren ein inspiriertes Konzert, mehr geschmackvoll temperiert als aufregend, weder Kontraste noch Ähnlichkeiten überraschen. Das Beiheft erhält keine Informationen zum Programm; die Arientexte sind nicht beigefügt. (W.A. Mozart, A. Salieri: Arien und Ouvertüren, Sen Guo (Sopran), Kenneth Tarver (Tenor), Musikkollegium Winterthur; Douglas Boyd; 2 CDs,  MDG 901 1897-6).  Marcus Budwitius

Charme und Können

 

Ausgezeichnet mit dem Premio Abbiati della Critica Musicale Italiana für ihren Auftritt als Zarenbraut an der Scala, legt Olga Peretyatko nun eine CD vor, auf der sie zu den Wurzeln ihres Erfolgs, zu Gioachino Rossini, zurückkehrt. Dabei beweist sie ihre besondere Gabe, perfekten und als solchen unverkennbaren Rossini-Gesang zu bieten und zugleich unverwechselbare Figuren zu kreieren. Das zeigt sich besonders bei den beiden Arien aus Il Viaggio a Reims, die für so unterschiedliche Sängerinnen wie Laura Cinti Damoreau (Contessa di Folleville) und Giuditta Pasta (Corinna) komponiert wurden. Mit einer kristallinen Höhe und wundervoll blasiertem Ton macht die Sängerin dem Hörer Angst um wie Freude über den vermissten und wieder gefundenen Hut der Ersteren deutlich, beweist mit einer ungeheuren Leichtigkeit, so auf dem verzierten „cor“, die Leichtgewichtigkeit der Person deutlich, fein karikierend, mit zart hingetupften Tönen und ein wenig Hysterie in den Extremhöhen sowie einem komischen Pathos auf „grazie vi rendo“. Für die Corinna sind Stimme und Soloinstrument Harfe perfekt aufeinander abgestimmt, die Schwärmerei wird leicht und sich komisch steigernd übertrieben, verspielt und ganz und gar unangestrengt bereitet die Russin reines Hörvergnügen.

Für die Mathilde di Shabran wird auch die präsente Mittellage gefordert, der Ton ist wunderschön elegisch, ein Wunderwerk der Koloratur lässt das schlichte „a“ bei „a sospir“ zum musikalischen Ereignis werden. Ab „Tace la tromba“ brilliert die Sängerin mit sicheren Intervallsprüngen und Eisesspitzen wie eine Königin der Nacht. Dass ein Super-Experte wie Alberto Zedda am Pult eines ROF-erfahrenen Orchesters, dem des Opernhauses von Bologna, am Pult steht, hört man beim herrlichen Vorspiel zur Arie der Amenaide aus Tancredi, die von Olga Peretyatko, die hörbar auch um die Wichtigkeit der Rezitative bei Rossini weiß, mit zartem canto elegiaco bedacht wird. Hochfahrend hingegen hört sich der Sopran in Semiramides „Bel raggio lusinghier“ an, mit nachdenklichem Echo und geschmeidigem Triumph auf „Si, a me verrà!“ Den entschlossenen Charakter der Rosina, hier die Fassung für Sopran, zeichnet sie mit viel grinta für die irrsinnig virtuose Kadenz und nicht nur diese.

Den Abschluss bildet die große Szene der Fiorilla aus Il Turco in Italia, in  der schillernd die unterschiedlichen Gemütszustände, so ein onor voll Schmerz und Pathos, deutlich gemacht werden. Olga Peretkyatko sollte dem Repertoire, das sie zu internationalem Ruhm geführt hat und in dem die Stimme sich pudelwohl zu fühlen scheint, noch recht lange treu bleiben (Sony 88875057417). Ingrid Wanja

Träumerisches

 

Trotz enormer Vielseitigkeit in ihren Opernrollen von der Cenerentola bis Carmen ist die Kanadierin Karine Deshayes in erster Linie eine bemerkenswerte  lyrische Mezzosopranistin für ein Fach, das es gar nicht mehr so häufig gibt. Heute zieht es junge Sängerinnen dieser Stimmlage (meist viel zu früh) eher zur Dramatik und zum Koloraturfach. Mit Karine Deshayes zeigt  endlich wieder eine Sängerin die Tugenden einer Berganza oder (jungen) Kozena; ihre weiche und für einen Mezzo relativ helle Stimme mit bester  Intonation ist wie geschaffen für die vielen seltenen Partien im französischen Fach (wo sie als eine galleoinsfigur für die Unternehmungen des Palazetto Bru Zane gelten kann, wie jüngst für Davids Vesuv-Oper Herculanum) und fürs Lied.  An ihrer Seite bei dieser neuen CD Aprés un rêve bei Aparte: das französische Klaviertrio Ensemble Konraste. Es ist mehr als nur ein feinfühliger origineller Begleiter der Sängerin – die drei Instrumentalisten bekommen Raum für eigene Auftritte, mitunter auch in Zweierkombination, manchmal in arrangierten Piecen. Neben raren, auch betörenden Nummern wie Berlioz‘ Lied La Captive (für Stimme, Cello und Klavier) erklingen aus dem Album auch Hits wie die Méditation von Massenet oder Le Cygne von Camille Saint-Saens – Satimmungsmacher für einen lauen Sommerabend oder eine Runde Träumen am Kamin (so man hat).

Was ich an dieser CD sehr mag, ist die intelligente Kombination von beidem, Lied und Instrumentalstück (mit dabei: große französische Komponisten wie Gounod, Fauré oder Chausson).  Vielleicht sind die Tracks im Einzelnen gar nicht immer so gewichtig, doch insgesamt hat das Album einen großen intensiven Stimmungsbogen, die Reihenfolge der Nummern ist genial durchdacht; all dies wirkt wie das Gericht eines Meisterkochs, das aus guten Zutaten besteht, aber erst durch die Zusammenstellung der Zutaten exzellent wirkt.

So entsteht eine gelöste, aber auch intensive romantische Atmosphäre, die über siebzig Minuten überzeugend und fesselnd gehalten wird – in übrigens exquisiter Aufnahmequalität; auch das ist heute leider nicht mehr selbstverständlich (aparte / Harmonia Mundi; AP 106). M. K./ G. H.

Startenor Michael Spyres

 

Zumindest die Ouvertüre kennen wir. Sie hat Rossini noch in Elisabetta und im Barbiere recycled. Erstmals verwendete er sie bei seinem zu Weihnachten, am 26.12., 1813 in Mailand uraufgeführten Aureliano in Palmira. Zum ersten und einzigen Mal setzte Rossini auch einen Kastraten ein, was angesichts der Tatsache erstaunen mag, dass Meyerbeer noch zehn Jahre später den Kreuzritter Armando in Il crociato in Egitto in Venedig mit einem Kastraten besetzte; auch angesichts Rossinis oftmals fioriturenreichem wie aus der Kastratenzeit stammenden Stil. Auch Palmyra kennen wir, da das heutige Weltkulturerbe nach der Eroberung durch den IS und dessen Drohung, die antike Stätte zu zerstören, traurige Gegenwart geworden ist. Giuseppe Felice Romanis Libretto repetierte die vielmals erzählte Geschichte vom Krieger, der sich vom Brutalo zum mildtätigen und gütigen Monarchen wandelt wie aus dem vorausgegangenen Jahrhundert. Der Mann mit dem schönen Namen Aureliano ist der römische Feldherr Aurelian, der im späten dritten nachchristlichen Jahrhundert die kaiserliche Macht im Osten des Reiches wiederherstellen will, die Stadt Palmyra unterwirft und sich auch Zenobia, die Witwe des einstigen Herrschers, gefügig machen will. Sie liebt inzwischen den persischen Prinzen Arsace, den Aureliano in den Kerker wirft, ihm aber schließlich in einem Akt ungemeiner Läuterung zusammen mit Zenobia die Herrschaft über Palmyra übergibt, worauf sie den Römern Treue schwören. Wahrscheinlich war das Publikum solche Opern leid, weshalb der 22jährige mit seinem zweiten Auftrag für die Scala nicht sonderlich erfolgreich war, was er nach den Triumphen mit der Italiana und dem Tancredi im gleichen Jahr leicht verschmerzen konnte.

In unseren Zeiten wurde der arg konventionelle und schablonensteife Aureliano erst 1980 in Genua wieder ausgegraben. Doch ganz so unbekannt ist er auch in der Folge nicht geblieben: in Lucca wurde die Oper 1991 mit Denia Mazzola als Zenobia und Luciana D‘ Intino als Arsace gegeben, Rossini in Wildbad spielte das Dramma serio 1996, es folgte 2011 Martina Franca (beide Mal mit einem Countertenor als Arsace) und schließlich Pesaro, wo 2014

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Will Crutchfield die von ihm eingerichtete Kritische Edition dirigierte. Der Trumpf dieser Aufführung im Teatro Rossini ist zweifellos Michael Spyres, der nicht nur die Schärpen, die ihm Ursula Patzak über seine Rüstung geworfen hat, mit großer Selbstverständlichkeit und lässiger Eleganz trägt, sondern sich auf ebenso natürlich Weise die Partie zu eigene gemacht hat, die er psychologisch erfasst und stimmlich mit seinem stets ausgeglichen und rund klingenden Baritenore glaubwürdig umsetzt. Es gelingt Spyres sogar, die steifen Rezitative geschmeidig klingen zu lassen. Sein eigentlicher Widersacher Arsace bleibt ein rechtes Leichtgewicht, da die völlig unbeteiligt spielende usbekische Mezzosopranistin Lena Belkina zwar recht hübsch, aber auch pauschal singt (interessant neben weiteren Barbiere-Vorwegnahmen Arsaces Una voce poco fa-Adaption). Raffaella Lupinacci ist eine gut aussehende Publia. Jessica Pratt, die ich erstmals in Wildbad hörte und die seither in Italien gerne als Gilda, Amina und Lucia verpflichtet wird, singt die Zenobia mit einem sehr wackeren, auch höhenstarken Sopran, manchmal klingen die Koloraturen gestanzt und ein wenig leiernd und nicht sehr involviert, doch vieles macht sie wirklich sehr gut; das Publikum liebt sie. Darstellerisch lässt die Australierin gesteigertes Engagement vermissen. Eine Hilfe war ihr auch nicht der Filmemacher Mario Martone, der Aurelianos Feldzug mit klassizistischen Säulen, einem Thron und einem kleinen Irrgarten aus durchscheinenden Tuchwänden und Patzaks Kostümfest-Überwürfen dekorativ hilflos auf die kleine Bühne brachte. Ein paar Spaziergänge um den Orchestergraben und die Einbeziehung der Proszeniumslogen helfen nicht gegen die aufkommende Langeweile, auch nicht Cruchtfields sorgfältiges und kundiges Dirigat (Arthaus Blu-Ray 109074). Rolf Fath

Belcanto und Atemtechnik

 

Fast so viele „richtige“ Gesangsmethoden wie Gesangslehrer gibt es, glaubt man leidgeplagten Sängern, aber in einem ist man sich unter den Pädagogen wohl so gut wie einig: der Wichtigkeit des korrekt geführten Atems für Langlebigkeit wie Qualität einer Stimme. Der sich um das Musikleben in vielerlei Weise verdient gemacht habende italienische Verlag Zecchini Editore, der auch die anspruchsvolle Zeitschrift Musica herausgibt, hat nun ein Buch mit dem Titel La Scuola del Respiro- Antalogia commentata delle testimonianze sulla respirazione nel Belcanto auf den Markt gebracht. Der Autor ist Alessandro Patalini, Bariton und als solcher Gewinner des Wettbewerbs Toti dal Monte, der sich jedoch schnell auf eine Lehr- und Forschungstätigkeit, vorwiegend das Zeitalter des Belcanto betreffend, zurückgezogen hat und nun ein mit viel Akribie verfasstes Werk darüber, insbesondere die Atemtechnik desselben vorlegt. Dabei gelten als Belcanto, ein verwirrend vielseitig gebrauchter Begriff, hier  vorwiegend Rossini und Teile des Werks von Donizetti und Bellini. Die große Überraschung ist dabei für den Laien, was Gesangstechnik angeht, die Feststellung, dass Sänger bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts sich einer vollkommen anderen Atemtechnik bedienten als danach, als es nicht mehr auf den vollkommenen Ziergesang, sondern um die Interpretation von Partien und deren Leidenschaften, also einen expressiven Gesang ging, der seinen Höhe- und Endpunkt im Verismo findet.

Der Autor, Alessandro Palatini/ Zecchini

Der Autor, Alessandro Palatini/ Zecchini

In seiner Presentazione betont Alberto Triola, dass die Gesangs- und damit die jeweilige Atemtechnik sich mit dem vorherrschenden Musikstil und dem Geschmack des Publikums ändert. Was an den ersten Tonaufzeichnungen den Zeitgenossen als sängerische Tugend galt, wird heute teilweise als Defekt angesehen. Die respirazione toracica war durch die respirazione costo-diaframmica abgelöst worden, deren Unterschiede im Verlauf der Lektüre erläutert werden.. Der Belcantostil schien fast vergessen, ehe man in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine Art Renaissance, beginnend nördlich der Alpen, erlebte, es wieder Sänger gab, die sich auf ihn einließen und das Publikum dafür begeistern konnten.

Das Buch ist unterteilt in Sezioni, Capitoli und einzelne Stichwörter und erweist sich dadurch als angenehm übersichtlich. Die für den Belcanto typische Brustatmung ist durch eine Schrift von Bernardo Mengozzi (2. Hälfte des 18.Jahrhunderts) belegt, ab ca. 1850 wird sie, so der Verfasser, von der Zwerchfellatmung abgelöst. Das ästhetische Ideal der vocalità fiorita, nur für den Buffo nicht verpflichtend, wird gleichzeitig abgelöst durch den Ausdrucksgesang. Mengozzis Buch wurde am Konservatorium der Scala eingeführt, was es zu einer Art Dogma werden ließ. Manuel Garcia, Sohn des berühmten gleichnamigen Gesangspädagogen und Patriarch einer Sippe berühmter Sänger, fasste, wohl auch, weil er sie durch die neuen Gesangsmethoden gefährdet sah., die Ansichten seines Vaters zusammen, die ausführlich zitiert werden, ebenso wie die anderer Gesangspädagogen wie Rodolfo Celletti oder die von Lucia Tetrazzini oder Lilli Lehmann. So entsteht ein vielschichtiges Bild von der Respirazione nel Belcanto, das sich zudem durch Klarheit auszeichnet. Dem eiligen Zeitgenossen kann man die jeweilige Conclusione eines Kapitels empfehlen, in der alles Wesentliche zusammengefasst wird.

Aufschlussreich ist auch die unterschiedliche Einordnung von appoggio und sostegno durch die Gesangslehrer, die Beschreibung des Anteils, den die Muskeln einzelner Körperteile am Zustandekommen von Höhe und Intensität eines Tons haben.

Nachdem 1855 Louis Mandl die Bedeutung des Diaframma für die ideale Atmung in einer wie eine Revolution wirkenden Schrift herausgehoben hatte, entstand eine ganz neue Gesangstechnik. Lustig wird es, wenn man die Ratschläge z. B. von Toti Dal Monte an ihre Schüler zur Kenntnis nimmt, die die Hände beim Singen hinter dem Rücken halten sollten, erst so würde der Körper zum idealen Musikinstrument. Da würden sich heutige Regisseure bedanken. Von der lotta vocale ist die Rede, aber auch von dem erstrebenswerten antagonismo vocale, wenn beim Ausatmen, also Singen, auch die Muskeln, die zum Einatmen benötigt werden, aktiviert werden sollen.

Das vorletzte Kapitel widmet sich vor allem den Veränderungen, die u.a. durch Gilbert Duprez und sein Do di Petto in die Gesangstechnik Eingang fanden, das letzte dokumentiert die Bescheidenheit des Autors, der sich quasi beim Leser für das entschuldigt, was unvollkommen an seinen Ausführungen sein mag. Für Schüler wie Lehrer ist es auf jeden Fall interessant zu wissen, welche Schlachten um die wahrhafte und reine Lehre, d.h. um die richtige Gesangstechnik, insbesondere die Atmung betreffend, geschlagen wurden und für sich selbst daraus wichtige Lehren zu ziehen (Zecchini Editore, 190 Seiten; ISBN 978 88 6540 134 7). Ingrid Wanja    

„Herculanum“ von Félicien David

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Hurrah! Große Freude für Liebhaber der französischen Grand Opéra: Félicien Davids Vesuv-Oper Herculanum gibt´s bei Palazzetto Bru Zane/ Edciones Singulares (ISBN 978-84-606-8439-8; Note 1). Nun endlich, nachdem die Aufführung in Versailles wegen der akuter Heiserkeit der Mezzosopranistin Karine Deshayes in der zentralen Rolle der verführerischen Königin Olympia nur gekürzt stattfinden und ebenso bei Radio France nur so übertragen werden konnte. Rund ein Viertel der Oper fehlten (und man hört auf dem In-house-Mitschnitt die Arme nur ihre Rezitative kraftlos murmeln). Aber keine Sorge, man war bereits im März 2014 in die Brüsseler Oper La Monnaie gegangen, und es gibt das Ganze nun ungekürzt. auf CD im eleganten CD-Buch mit Infos und einführenden Artikeln nebst zweisprachigem Libretto.

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Was für ein bemerkenswertes Werk – 1859, ein Jahr vor Wagners umgearbeitetem Tannhäuser (Livret en francais de M. Nuitier, dem Bibliothekar der Opéra und von dem unglücklichen M. Dietsch dirigiert, der mit dem Vaisseau phantôme), stellt es so etwas wie den Apex der konservativen französischen großen Oper dar: ausladend, üppig, mit allen Griffen in die Trickkiste der Pariser Oper. Da bebt die Erde, schwingen Nackte die Hüften, und der alte Streit zwischen Christentum und heidnischer Fleischeslust feiert Urständ´. Die wollüstige Olympia versucht kurzfristig erfolgreich , den keuschen Christen Hélios vom rechten Weg abzubringen, und als Bestrafung für ihre und seine Sünden spuckt der Vesuv die todbringende Lava aus – was für ein Sujet!!! Das Ganze dazu wirklich wunderbar gesungen (Véronique Gens, Karine Deshayes, Edgaras Montvidas, Nicolas Courjal und Julien Véronèse; Choer de la Radio Flamande) und fesch gespielt (Brussels Philharmonic; Hervé Niquet) – man kann sich freuen!!! Sowas hört man nicht alle Tage, und die Champagnerkorken poppen beim „Hoch“ auf alle Beteiligten.

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"Herculanium"/ Bühnenbild von Sanquirico für Pacinis Oper "L´ultimo giorno di Pompei" 1827 an der Scala/OBA

„Herculanum“/ Bühnenbild von Sanquirico für Pacinis Oper „L´ultimo giorno di Pompei“ 1827 an der Scala/OBA

Die Aufnahme: Dabei stehe ich nicht an, diese Einspielung zu den best besetzten der letzten zehn Jahre zu zählen. Selten hat man ein so stimmiges Ensemble gehört: Die Solisten alle in extrem guter und vor allem auch engagierter Form, der fabelhafte Flämische Radio-Chor als Hofgefolge der Olympia superb, die Brüsseler Philharmoniker mit Avec und Schwung, aber auch mit seidiger Sinnlichkeit. Musikalisch ist dies eine ebenfalls interessante Sache, denn David gönnt sich einen beinahe rossinianisch geführten Mezzo für die anspruchsvolle der Olympia, der Karine Deshayes absolut und mit Elan gerecht wird – man weiss erst jetzt, was man in Versailles verpasst hatte. Gleich zu Beginn hat sie eine höllisch schwere Koloraturarie, und sie stirbt ebenso. Véronique Gens habe ich kaum je so leuchtend und höhenstark-dramatisch (in der Partie der srandfesten Christin Lilia) gehört, in besserer Form als jüngst in Montpelliers Lalo-Oper. Der junge Tenor Edgares Montvidas glänzt als Hélios zwischen der Frauen (und eben zwischen lustvollem Heidentum und entsagendem Christenglauben – die Parabel ist mehr als offensichtlich) mit heroisch-jugendlichen, feurigen Noten und wie seine Kollegen mit absolut erster Diktion: Es ist eine Freunde, dieses wichtige Werk des Grand Repertoire so idomatisch von nur Francophonen zu hören. Sexy Bariton Nicolas Courjal lässt Körnig-Sonores für den fiesen Verführer/Satan selbst hören und erfreut das Ohr, während Julien Vénonèse gebührend dräuend als der Prophet Magnus zu hören ist. Stilistisch/musikalisch horcht man bei den verdianischen Wendungen auf, die man in manchen Ensembles erkennt.

"Herculanum"/ Illustration zum 4. Akt/ Sammlung Günther Braam aus dem Buch zur Neuausgabe bei Ediciones Singolares

„Herculanum“/ Illustration zum 4. Akt/ Sammlung Günther Braam/ aus dem Buch zur Neuausgabe bei Ediciones Singolares

Und überhaupt schlägt das zeitgenösische Idiom zwischen Rossini, Meyerbeer (Nonnenballett und ganze Teile aus Robert le Diable wie auch Le Prôpète), Verdi oder Gounod immer wieder durch – eine Hörstunde in Sachen Musik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und eine Lektion in Orchestrierung, denn mir scheint, die musikalische Erfindung steht hinter der üppigen, einfallsreichen Orchestersprache zurück. Die Melodien werden gerne parallel geführt und vermeiden, bis auf die beiden Soli der Königin Olympia, das Ausladend-Virtuose. Bewundernswert sind allerdings die Übergänge in die großen Ensembles, an denen die Oper reich ist. Ein wenig wie bei Spontini: Kaum ist wer auf der Bühne kommt der nächste und noch einer, und schon haben wir wieder ein Ensemble. Dies bei sehr abwechslungsreichem Einsatz namentlich der Holzbläser. Was sehr schöne Wirkungen erzielt und vom belgischen Orchester mit Glanz wahrgenommen wird.

Ausgestattet ist dies CD-Buch im etwas unbequemen Format beispielhaft, wenngleich die groben Drucke der Abbildungen doch stören. Die Texte über David und seine Oper, ob Einschätzungen von Alexandre Dratwicki, Etienne Jardin, Günther Braam oder anderen, breiten eine Palette an Aspekten aus, und das zweisprachige Libretto (französisch-englisch) ermöglicht das Verfolgen des Gesungen. Fabelhaft – in der Reige der bislang veröffentlichten französischen Opern dieses Projektes, ob nun die Ediciones, Decca oder Glossa etc. will mir diese Aufnahme die wichtigste und bestdurchgeführte scheinen.  G. H.

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"Herculanum"/ Hervé Niquet probt/Répétition et enregistrement avec l'orchestre le ... francemusique.fr

„Herculanum“/ Hervé Niquet probt/Répétition et enregistrement/ francemusique.fr

Zum Werk: Félicien David (1810-1876) war einer der wichtigsten Repräsentanten der Grand Opéra in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war vor allem mit meist orientalisch inspirierten Werken erfolgreich, und sein Herculanum, das am 4. März 1859 in Paris uraufgeführt wurde, festigte seine enorme Popularität. Diese Grand Opéra in 4 Akten auf ein Libretto von Joseph Méry ist von der Vulkan-Katastrophe im Jahre 79 n. Chr. inspiriert und reiht sich in die in dieser Epoche angesagten religiösen Interpretationen der Zerstörung antiker Städte ein – mit dem offensichtlichen Ziel der Förderung der katholischen Doktrin. In dieser Sicht galt der Ausbruch des Vesuvs als eine Strafe Gottes, die über eine dekadente antike Welt der Vielgötterei hereinbricht, in der die ersten Christen verfolgt werden. Es finden sich ab den vierziger Jahren des Jahrhunderts zahlreiche Opern- und Bühnenwerke (und auch reichlich Belletristik) mit diesem Sujet. Man denke nur an Les Martyrs, Le Dernier Jour de Pompei, L´Ultimo Giorno di Pompei oder Bulwer-Lyttons Roman.

"Herculanum"/Cover des "Univers Illustré"/Wiki

„Herculanum“/Szene 2. Akt/ Cover des „Univers Illustré“/Wiki

Davids cinematographische, an Meyerbeer orientierte (und deshalb eigentlich beim Nur-Hören um die Hälfte ihrer Wirkung beraubte) Oper beginnt im Palast der Olympie in Herculanum, in einem antiken, orientalisch angehauchten Dekor, das an der Pariser Oper entscheidend zum Erfolg beitrug. Die Menge führt der Königin (gleichzeitig Oberpriesterin eines nicht näher bezeichneten Kultus)  zwei junge Christen zu, Hélios und Lilia, und verlangt ihren Tod als Ketzer. Olympie entbrennt sofort für den schönen jungen Mann und beschließt, ihn zu verschonen, während ihr bruder, der grausame Prokonsul Nicanor, der sich zeitweise auch mal schnell in den Satan selbst verwandelt, versucht, die unschuldige Lilia zu verführen. Was nicht klappt. Der Vesuv grummelt so vor sich hin. Hélios, berauscht von einem Zaubertrank, verfällt der Königin, begeht Voraussehbares und leugnet seinen Glauben. Nach einigem Hin und Her verzeiht ihm aber schließlich die ihn liebende Ilia (die Dramaturgie lässt wirklich zu wünschen übrig, ebenso auch die Musik in den entscheiden Momenten, denn der vom Blitz erschlagene Bösewicht sinkt bei nur leichtem Trommelrumpeln zu Boden, da hätte man mehr erwartet). Ballette und Bacchanale, Chöre, virtuose Melodien und Donnerhall des Orchesters folgen aufeinander, während der Vesuv grollt und die Erde bebt zu den Verwicklungen der wüsten Handlung. In einem Schwall von Lava, Flammen und Blitzen begräbt die endgültige Eruption des Vesuvs die Stadt und ihre Bewohner: eine Bestrafung der Ungläubigen und die Erlösung für die die beiden Christen (im Himmel, denn sie sterben natürlich auch, wenngleich fröhlich).

"Herculanum": Karikatur aus der Gazette de Paris/Gallia/Wiki

„Herculanum“: Karikatur aus der Gazette de Paris/Gallia/Wiki

Die Uraufführung 1859 war ein stürmischer Erfolg. Hector Berlioz schreibt eine genaue und begeisterte Kritik in Le Journal des débats : „Ich glaube nicht, dass man je in der Oper etwas Großartigeres gemacht hat als die Aufführung von Herculanum. Man ist geblendet durch die Pracht der Kostüme, der antiken Waffen: Etliche Bühnenbilder sind wahre Wunderwerke; das der letzten Szene, die an das berühmte Gemälde von Martin Die Zerstörung von Ninive „ist ein Meisterwerk.“. Man stelle sich die üppigen Bühnenbilder und die genialen Einfälle vor, die allein technischen und pyrotechnischen Kunstgriffe, um den Vulkanausbruch am Ende der Oper zu bewerkstelligen. Es war eine absolut cinematographische Schöpfung, ganz im Geiste der Meyerbeerschen Bühnenwerke.

Der zeitgenössische Musikkritiker Paul Scudo äußert sich zwar weniger lobend als Berlioz in seiner Rezension über Herculanum in der Revue des deux mondes im Jahr 1859, aber er hebt wie sein Kollege hervor, was er als unzweifelhafte Erfolge bezeichnet, nämlich stupende Wirkung der Bühnenbilder. Und er verspottet geistvoll die zu ausladenden oder zu schlichten Melodien ebenso wie die Schwächen eines Librettos, dessen Urheberschaft auch Gegenstand heftiger Debatten unter den zahlreichen Mitstreitern Davids war.

„Herculanum“: noch einmal zwei karikaturen zur Oper aus der gazette de Paris/Gallia/Wiki

Als Beispiele: „Die Melodie dieser Art Gesanges ist ein wenig traurig und erinnert eher an alte Weihnachtslieder, als dass sie die Idee dieser ursprünglichen Kirchenhymnen vermittelt, von denen der heilige Augustinus mit solcher Begeisterung in seinen ´Konfessionen´ spricht“ oder bei der Verwandlung von Nicanor in den Satan: „Nach dieser Szene vollzieht sich eine Verwandlung, die man nur schwer versteht, selbst wenn man das Libretto in der Hand hat.“ Die Gazette de Paris vom 26 März 1859 bringt eine sehr unterhaltsame Satire über das Werk von David, voll von Stilblüten und Anachronismen. Die Personen sind nun Ricanor und Camélia geworden. Man befindet sich in der Babylonstraße in Herculanum. Und nicht genug, dass die Libretto-Texte parodiert werden, schreibt die Gazette sie zu allem Überfluss diesen oder jenen Mitarbeiter Davids zu, die sich eben darüber gestritten hatten. Aus dem Zaubertrank ist eine „Zauberpflaume“ geworden, dargereicht durch Lamm-ehr-mohr-oh (orientalisierende Übersetzung, die gleichzeitig an die Oper von Donizetti erinnert und an die Mère Moreau, ein Argot-Ausdruck für einen Pflaumenschnaps). Und man macht sich über den Propheten lustig, dessen Arie nur aus einem einzigen Ton komponiert zu sein scheint, einem H. Fleißige Musikverlage machen zudem aus den bekanntesten Melodien Lieder und Tänze, die den Erfolg der Oper verlängern (so eine sehr beliebte Quadrille und eine Polka). Mehr kann man von der Nachwirkung einer Oper nicht verlangen… Antoinette Parcour (Übersetzung wie stets durch die liebenswürdige Ingrid Englitsch – danke!)

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Foto oben: The last day of Pompei/ Karl Bruellow/Ausschnitt /Wiki; und auch der Bericht auf der Seite von Radio France ist informativ. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

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Denkmal auf tönernem Sockel

 

Zwar nicht vor den Türen der Komischen Oper Berlin ein „Felsenstein“, wohl aber in deren Foyer steht eine Büste des ersten und langjährigen Intendanten Walter Felsenstein und scheint von einer unanfechtbaren und unangefochtenen fruchtbaren künstlerischen Arbeit zu künden, einen Mythos zu bewahren und Anlass für manchen älteren Besucher zu sein, der guten alten Opern-Zeit dankbar zu gedenken.

Boris Kehrmann: Walter Felsenstein/ Tectum Verlag

Boris Kehrmann: Walter Felsenstein/ Tectum Verlag

Gründlich auf räumt die in zwei Bänden und auf 1365 Seiten als dritte der Dresdner Schriften zur Musik erschienene Dissertation von Boris Kehrmann mit dem Titel Vom Expressionismus zum verordneten “Realistischen Musiktheater“ – Walter Felsenstein- Eine dokumentarische Biographie 1901 bis 1951 mit jeder verklärenden Sicht auf Leben und Werk des österreichischen Theatermanns und zeichnet anhand von Dokumenten, vor allem auch von Briefen an und von der Hand Felsensteins ein beinahe bemitleidenswertes Bild eines von seiner Mission Besessenen, der unter zwei Diktaturen alles daran setzt, erduldet und in Kauf nimmt, um seine Vorstellungen von der Oper, oder besser gesagt vom „Musiktheater“ zu realisieren. Dabei verlagert sich das Interesse wohl manchen Lesers von der Person Felsensteins (laut Wikipedia * 30. Mai 1901 in Wien; † 8. Oktober 1975 in Berlin; Intendanz 1947 – 1975) auf die Umstände, unter denen er leben und arbeiten musste, angefangen von Kindheit und Jugend in einer konservativen österreichischen Familie bis schließlich zur in Ost wie West gleichermaßen betriebenen Demontage des künstlerischen Vermächtnisses des Regisseurs.

Bereits der Titel lässt aufhorchen, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die noch immer weit verbreitete Meinung über Felsensteins künstlerischen Standpunkt mit der Vokabel „verordnet“ in ein trübes Zwielicht getaucht wird. Das Werk ist chronologisch gegliedert, übersichtlich trotz der Vielzahl der Themen durch eine Untergliederung in bis zu vier Ziffern. In einem „Epilog“ wird über die angegebene Zeit (1951) bis zum Tod von Felsenstein hinausgegangen. Innerhalb der einzelnen Themenkomplexe gibt es Exkurse, Überblicke über den jeweiligen Stand der Forschung. Der kritische Apparat ist immens umfangreich, der Anhang mit Rollenverzeichnis, Bibliographie, Personenregister, Bühnenwerken und Filmtiteln akribisch und jedem wissenschaftlichen Anspruch gerecht werdend. Fotos gibt es, dem Charakter des Werks entsprechend, nur als Cover: ein Kinderbild vor einem Auto und ein Blick auf Die Fledermaus von 1947.

Felsenstein und Anny Schlemm bei den Dreharbeiten zu "Ritter Blaubart" an der Komischen Oper/arthaus

Felsenstein und Anny Schlemm bei den Dreharbeiten zu „Ritter Blaubart“ an der Komischen Oper/arthaus

Im Vorwort des Herausgebers Matthias Herrmann wird auf die Bedeutung des Briefwechsels zwischen Felsenstein und seiner ersten, jüdischen Frau Ellen hingewiesen und die Behauptung aufgestellt, dass des Regisseurs „Gemeinschafts-Begriff weder im Nationalsozialismus noch in der Theorie des Sozialistischen Realismus wurzelt, sondern eine Auseinandersetzung mit dem „System der K. u. K.-Monarchie“ darstellt. Das Buch selbst geht allerdings über diese Sichtweise hinaus.

Mehr noch anzuzweifeln ist der Teil des Nachrufs von Elia Kazan, in dem es heißt: „Er herrschte wie ein König bis zu dem Tag, an dem er starb…“  Eher als einen von einer künstlerischen Idee Getriebenen, der er alles unterordnet, sei es Familie oder auch Selbstachtung, unerbittlich gegenüber sich selbst und gegenüber seinen Mitarbeitern dokumentieren ihn die vielen Quellen, die zitiert werden.

Als typisch und durchgehend festzustellen ist das Fehlen jeder Auseinandersetzung mit der Musik der Opern, die der Regisseur inszeniert, stets geht es um das Libretto, den Stoff, die Übersetzung, von denen er viele selbst wegen des Ungenügens der vorhandenen anfertigt.

Felsenstein bei den Proben zu "Othello"/ arthaus

Felsenstein bei den Proben zu „Othello“/ arthaus (oben daraus ein Ausschnitt)

Wichtig für den Leser ist die wiederholte Gegenüberstellung von dem, was man in der DDR als Sozialistischen Realismus als politischem Machtinstrument und Realistischem Musiktheater verstand und welche Vorstellungen Felsenstein davon hegte und umzusetzen versuchte, vom Autor „realisiertes Musiktheater“ genannt.  Vergleiche mit Wieland Wagners Bestrebungen , die Beschränkung des Begriffs auf den Inhalt, nicht die Ausweitung auf die Form, der Hinweis auf den „expressionistischen Überdruck“ bei den ersten schauspielerischen Versuchen sind aufschlussreich und werfen ein neues Licht auf den Künstler. Die Frage nach Kontinuität oder Bruch in der künstlerischen Entwicklung wird erörtert, der Einfluss der Künstler der jungen Sowjetunion, die Nöte der Weimarer Republik, die Akzeptanz der Rahmenbedingungen, unter denen sein Wirken im Nationalsozialismus möglich ist, der zusätzliche Druck durch die Angst um Frau und Söhne.

Der Leser erhält einen umfangreichen und detaillierten Einblick in das Wiener wie das Berliner Theaterleben. Ein besonderes Kapitel gilt der Zusammenarbeit mit Heinrich George, und auch ein bitterer Brief von Bertha Drews wegen der Verweigerung eines „Persilscheins“ für den Gatten wird dem Leser nicht vorenthalten. Besonderes Interesse verdienen die Kapitel mit Zutatencharakter wie „Meine rigorosen und sehr selbständigen Regieforderungen“ oder „Dass die Realität nicht zum Realismus veräußerlichte“, die bereits dem von der DDR verbreiteten Bild widersprechen, als es diese nach gar nicht gab. Mit „nicht sagen – meinen“ und mit „Zustand“ anstelle von „Darstellung“ wird er seine Sänger traktieren, von denen er einigen „Flügel verleiht“, sie anderen eher gebrochen hätte, wie dem jungen Fischer-Dieskau.  Auch die Auseinandersetzungen um die Inszenierung von Schillers „Braut von Messina“ sind interessant. Sieht man von der Sorge und den Kampf um die Familie ab, verläuft die künstlerische Arbeit Felsensteins im Dritten Reich eher reibungsloser als in der DDR, wo er als Intendant natürlich auch mehr im Fokus der Bestrebungen der Machthaber stand.

Beu arthaus ist eine dicke Box mit Filmaufnahmen einiger seiner im DDR-TV-gezeugten Opern erschienen, gleichzeitig enthält die Box auch Proben- und Aufführungs-Dokumente der vorausgehenden Bühnenproduktionen von Walter Felstein an der Komischen Oper Berlin

Bei arthaus ist eine dicke Box mit Filmaufnahmen einiger seiner im DDR-TV-gezeigten Opern erschienen, gleichzeitig enthält die Box auch Proben- und Aufführungs-Dokumente der vorausgehenden Bühnenproduktionen von Walter Felstein an der Komischen Oper Berlin

Um Personalpolitik im geteilten Berlin vor und nach dem Mauerbau, um den Aufbau des ehemaligen Metropol-Theaters, von dem nur der Zuschauerraum samt Kronleuchter von den Bomben verschont blieb, um die geschickte Umleitung vom von der Besatzungsmacht geplanten Operettentheater zur Komischen Oper geht es im zweiten Band, und zunehmend um die schikanöse DDR-Kulturpolitik, wie nicht nur das Beispiel Carl Orff zeigt. Abgründe klaffen zwischen dem Kampf um Pajok-Pakete und künstlerischen Idealen. Kein Wunder, dass in den vielen privaten Briefen fast ausschließlich von Krankheiten, Arbeitsüberlastung, Enttäuschungen, Verzögerungen oder dem Ausfall von Premieren die Rede ist. Diese sind dann immer Riesenerfolge und haben zahlreiche Einladungen auch ins westliche Ausland zur Folge, die nicht immer angenommen werden können. Nicht nur der Autor ist erstaunt darüber, wie kritiklos Felsenstein nach Reisen in die SU und nach China  das dortige Kulturleben und nicht nur dieses verklärt.

Der Kalte Krieg zwingt Felsenstein zwischen seine Fronten. Ihm wird von beiden Seiten übel mitgespielt, was der Autor trotz aller wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit spannend wie einen Krimi darzustellen weiß.

Trauerfeier für Walter Felsenstein 1975/ Foto Reiche/ Bundesarchiv/ Wikipedia

Trauerfeier für Walter Felsenstein 1975 in der Komischen Oper Berlin/ Foto Reiche/ Bundesarchiv/ Wikipedia

Dass Götz Friedrich sich bereits damals zu leicht ironischen Bemerkungen hinreißen lässt, kann man verstehen, wenn man die Interpretation der Zauberflöte durch Felsenstein als den Kampf zwischen dem guten Politbüro (Sarastro und die Seinen) und dem westlichen Imperialismus nachvollziehen soll. Die meisten Zuschauer dürften das ebenso wenig bemerkt haben wie den Willy-Brandt-Scarpia in einer Tosca-Inszenierung durch Friedrich. Auch allein die Vorstellung einer Zusammenarbeit zwischen Felsenstein und Carlos Kleiber (Freischütz in Stuttgart) bewegt die Lachmuskeln oder das Ringen um einen antiamerikanischen Schluss für Der Fiedler auf dem Dach das widerspenstige Werktätigenpublikum, das die Freikarten lieber weiter verkauft, statt sich dem Kunstgenuss hinzugeben.

Walter Felsenstein hinter der Kamera für "Othello"/ Foto Arthaus

Walter Felsenstein hinter der Kamera für „Othello“/ Foto arthaus

Geradezu tragisch aber mutet die allmähliche Entmachtung des einst Verhätschelten an, die besonders deutlich nach dessen Umsiedlung in die DDR wird, doch nicht ganz nachvollziehen kann man die Meinung des Verfassers, der einst gegen das Elternhaus Revoltierende sei gegen Ende seines Lebens zu den Idealen der fromm-konservativen Mutter zurück gekehrt. Auf jeden Fall wird ein nachdenklich-mitleidiger Blick beim nächsten Besuch der Komischen Oper die Büste des Walter Felsenstein streifen, der viel, vielleicht zu viel den künstlerischen Bestrebungen opferte, die er für die allein richtigen, ja seligmachenden hielt, Ulbricht nicht widersprach, als der in seinem Beisein meinte, die Mauer sei eine Grenze wie jede andere Staatsgrenze auch, die man mit den richtigen Papieren überqueren könne.

Der Autor, Boris Kehrmann/ Foto Scholz/ dieterdavidscholz.de

Der Autor Boris Kehrmann/ Foto Scholz/ dieterdavidscholz.de (ebendort auch eine weitere  ausgiebige Rezension des Buches).

Der Verfasser des so dickleibigen wie informationsreichen Buches hat die Felsenstein-Büste von Wieland Förster im Foyer der Komischen Oper Berlin nicht zertrümmert, ihren Sockel aber etwas tiefer gestellt (Dresdner Schriften zur Musik, Tectum Verlag Marburg 2015, 1365 Seiten, ISBN 978 3 8288 3266 4). Ingrid Wanja

Nicola Porporas „Germanico“

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Eine Oper nach fast 300 Jahren wieder auszugraben, ist fast wie eine Uraufführung einer neuen. So äußerst erfolgreich geschehen bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit Nicola Porporas Oper Il Germanico durch Alessandro de Marchi. Doch wie soll man ein Werk heute realisieren, das so lange vergessen war? Die Schwierigkeiten beginnen schon bei den Sängern. Denn Nicola Porporas opera seria erblickte 1732 in Rom das Licht der musikalischen Welt, vor allem gefeiert wegen der virtuosen Kunst der Kastraten. Da traten nämlich die berühmtesten der damaligen Zeit auf, Caffarelli, Annibali, Mondicelli und Galimberti; sie konnten mühelos die geforderten Tiefen und Höhen bewältigen und ellenlang den Atem aushalten. Warum in Rom aber keine Frauen, sondern nur verstümmelte Männer auf der Bühne singen durften, lag am strikten Verdikt des Papstes: Weiblichen Personen war aus Gründen der „Moral“ der Auftritt in der Oper verboten. Dass sich der Palazzo Capranica in seinem Theater diese Stars der Szene leisten konnte, lag einmal am Geld und zum anderen daran, dass der Komponist, der in Neapel 1686 geborene Porpora, einer der gefragtesten Gesangslehrer seiner Zeit war, viele „goldene Kehlen“ ausbildete, u. a. den bekannten Farinelli, und für Aufführungen seiner Werke auf ehemalige Schüler zurückgreifen konnte. Aber auch als Komponist hatte Porpora einen hervorragenden Ruf, war europaweit tätig, überflügelte in London eine Zeit lang sogar Händel an Ansehen, der ihn übrigens sehr schätzte und Arien von ihm weiter verwendete, so die „Täubchenarie“ der Rosmonda aus dem 2. Akt des Germanico; in Wien ging der junge Haydn bei ihm in die Lehre.

Nicola Porporas "Germanico" bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Nicola Porporas „Germanico“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Heute ist natürlich die Besetzung der Rollen mit Kastraten unmöglich. Außerdem war die Stimmung des Orchesters in Rom damals einen ganzen Ton tiefer. Alessandro de Marchi entschied sich dafür, diese Stimmung beizubehalten, weil dies einen wärmeren Klang erzielt. Doch für heutige Countertenöre sind die Partien wegen der Tiefen und der extremen Höhen kaum singbar. Also transponierte der musikalische Leiter „kritische“ Stellen so, dass sie zu bewältigen sind, und wählte außerdem für die Titelpartie eine Mezzosopranistin, die über eine satte Tiefe, eine warme Bruststimme und mühelos glänzende Höhen verfügt. Die Schwestern Rosmonda und Ersinda konnte er nun in Innsbruck mit Frauen besetzen.

Wer aber die bejubelte Aufführung im Tiroler Landestheater miterlebte, fragte sich natürlich, warum diese Oper unentdeckt im Staub einer Bibliothek Jahrhunderte lang ruhte. Ein wenig liegt dies auch an der konventionellen, allerdings äußerst kunstvollen Art, in der Porpora seine Oper anlegte: Bei ihm sind die ausgedehnten Rezitative Träger der Handlung; auf sie folgt immer eine lange da-capo-Arie, in der die Gefühle der handelnden Personen ausführlich dargelegt werden. Das wirkt alles ziemlich gleichmäßig und schematisch und braucht Zeit. In Innsbruck dauerte die Oper 4 ½ Stunden (ohne die Pausen zu rechnen); eine eigentlich dramatische Handlung findet nicht statt, auch wenn zwei Höhepunkte oder Topoi eingebaut sind, eine Schlacht- und Kerkerszene. Die Personen der Oper sind außerdem weniger Menschen aus Fleisch und Blut, eher Protagonisten „moralischer“ Haltungen, also gibt es hier den „guten“ Herrscher (Germanico), den edlen Wilden (Arminio) und dessen treue Gattin (Rosmonda); lediglich Ersinda, ihre selbstbewusste Schwester, scheint menschlicher, ihr Geliebter Cecina aber als Befehlsempfänger mehr der Obrigkeit als dem Gefühl zugeneigt. Aus all dem ergibt sich für einen Regisseur die nächste Schwierigkeit: Wie soll er das inszenieren? Alexander Schulin löste das Problem genial: Er beließ die handelnden Personen in ihrer Zeit, stattete sie also durch Alfred Peter mit üppigen Barockkostümen und Allonge-Perücken aus, wobei Germanico als idealer Herrscher in hellseidenem, glänzenden Gewand und schlichter Frisur besonders hervorstach, markierte die beiden Paare Arminio und Rosmonda durch blaue, Cecina und Ersinda durch rote Roben. Mit ein paar dunkel gekleideten Statisten deutete er den Hofstaat an. Der Sohn Arminios, der wie ein Attribut der Mutterliebe herumgeschleppt wird, ist anfangs eine Puppe, erst im letzten Akt ein „echtes“ Kind. Alles das findet statt in einem theatralischen Rahmen, einer Kulisse auf der Drehbühne, wechselnd zwischen Innen- und Außenansichten eines Palastes und Arkaden, deutlich eine Illusion von Auftrittsorten. Auch die Hinrichtungsstätte am Schluss zeigt sich als theatralische Attrappe. Nicht durch kriegerische Handlung, sondern durch Argumente gewinnt am Ende der Vernünftige, sprich der römische Herrscher die Oberhand und bringt Zivilisation und Frieden ins „wilde“ Germanien. Das ist die Botschaft des Librettos von Niccoló Coluzzi; zusätzlich finden sich die Familien vereint im „lieto finale“, also ganz nach dem Geschmack der Barockzeit.

Nicola Porporas "Germanico" bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Nicola Porporas „Germanico“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Dass in der Innsbrucker Wieder-Aufführung dies so glücklich funktionierte, lag vor allem im Musikalischen. Die Accademia Montis Regalis spielte unter der inspirierenden Leitung von Alessandro de Marchi einsatzfreudig und schwungvoll mit nachdrücklicher Betonung, bot so den warmen Klang-Hintergrund für die ausgezeichneten Sänger-Darbietungen. Allen voran begeisterte die irische Mezzosopranistin Patricia Bardon nicht nur durch ihr würdevolles Auftreten als elegante Lichtgestalt Germanico, sondern vor allem durch ihre weiche, in der Tiefe volle, runde, in der Höhe strahlend schöne Stimme, die gefühlvoll auch empfindsame Arien zu gestalten wusste. Ebenbürtig in der Ausdrucksbreite war der australische Countertenor David Hansen als Arminio, mal beharrlich, mit großer, nie zu enger Höhe und locker laufenden Verzierungen, mal wild und verzweifelt, mal im betörenden Schönklang vereint im Duett mit seiner Frau Rosmonda. Die schwedische Sopranistin Klara Ek verlieh ihr großartig weibliche Würde und unterstrich dies mit ihrer klaren, großen Stimme durch lange, dynamische Bögen, dramatische Steigerungen, geläufige Koloraturen, glänzende Höhen, und bei ihrer „Täubchen-Arie“ vermeinte man fast das Gurren zu hören. Ihre Schwester Ersinda, mit ihrer etwas kapriziösen Art genau ihr Gegenteil, wurde von der britischen Mezzosopranistin Emilie Renard mit hellem, beweglichen Mezzosopran gesungen und konnte mit ihrem temperamentvollen Spiel nicht nur das Publikum, sondern vor allem ihren zukünftigen Gemahl Cecina bezirzen, von Hagen Matzeit mit angenehm vollem Countertenor männlich stark gestaltet. Eine wichtige Rolle im Konflikt der verfeindeten Lager der Römer und Germanen hat der Vater der beiden Schönheiten, Segeste, inne, denn er hat sich schon frühzeitig auf die Seite des Siegers Germanico geschlagen. Carlo Vincenzo Allemanno konnte ihn mit seinem fülligen, kraftvollen Tenor sehr überzeugend zeichnen. Dass alles am Ende des 3. Aktes in einen kurzen Jubelchor mündet, ist quasi unumgänglich, konnte aber so die Begeisterung des Publikums, das diese schon durch Zwischenbeifall und an den eindrucksvollen vorherigen Aktschlüssen kundgetan hatte, nochmals steigern, und mit minutenlangen, stehenden Ovationen feierte es alle Mitwirkenden. Renate Freyeisen

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.