Die armenische Sopranistin Karine Babajanyan ist eine Sängerin, die mit ihren Rollenporträts tief berührt. Am Samstag, dem 24. Oktober 2015, debütiert sie in der Premiere von Mefistofele an der Bayerischen Staatsoper München, deshalb nun ein Gespräch für operalounge.de mit Tomothy McNeill.
Tränen fließen, es werden reihenweise Taschentücher gezückt, das Publikum bricht in orkanartigen Jubel aus. Wir befinden uns in der Staatsoper Stuttgart im Dezember letzten Jahres. Karine Babajanyan, ehemals langjähriges Ensemblemitglied des Staatstheater Stuttgart, hat gerade einspringenderweise den Abend gerettet und dabei eine Bilderbuch-Butterfly gesungen: Mit dunklem, samtenem Timbre, geschmackvoller Phrasierung, unendlichen stimmlichen Kraftreserven und der Fähigkeit, die Zuschauer mit ihrer Interpretation tief zu berühren, gar zu erschüttern. Die Sopranistin ist für mich eine der ganz wenigen Sängerinnen, die auf so direkte Art und Weise ihr Publikum erreichen, und das nicht nur als Cio-Cio-San, sondern in einem erstaunlich breiten Repertoire. Neben Puccini tritt sie unter anderem in Partien Verdis, Giordanos, Bellinis, Mozarts, Janáceks, Tschaikowski und Halévys auf. An der Bayerischen Staatsoper debütiert sie nun als Elena in Roland Schwabs Neuproduktion von Boitos Mefistofele an der Seite von Joseph Calleja, René Pape, Kristine Opolais und dirigert von Omer Meir Wellber. Im Interview vor der Premiere berichtet die faszinierende Sängerin von der Münchner Produktion, ihrer Paradepartie Madama Butterfly und den Dreharbeiten zum Bond-Blockbuster „Ein Quantum Trost“, in dem sie in einer kurzen Szene als Tosca mitgewirkt hat.
Sie sind sicher momentan eine der vielseitigen Sopranistinnen. In Ihrem Repertoire findet man sowohl Partien Mozarts, als auch Verdis, Puccinis, Janáceks, Bellinis und Strauss, um nur einige zu nennen. Wie hält man die Stimme nach großen Verdi- und Puccini-Partien noch flexibel für Mozart und Belcanto? Ich habe mir dieses breite Repertoire in mehr als 15 Jahren hart erarbeitet und kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich damals als junge Sängerin diese wunderschönen Partien mit Lust und Neugier singen durfte. Allerdings würde diese Leistung nicht ohne Disziplin und einer soliden Gesangstechnik funktionieren. Im großen und ganzen singe ich alle Partien mit der gleichen Technik, es ist wichtig, sich für einzelne Stücke Zeit zu nehmen und sie rechtzeitig einzustudieren.
Ab dem 24. Oktober stehen Sie als Elena in der Neuproduktion von Mefistofele an der Bayerischen Staatsoper München auf der Bühne. Können Sie uns etwas über die Produktion verraten? Wie sehen Sie die Rolle der Elena? Welche stimmlichen Anforderungen birgt die Partie? Ich bin sehr glücklich, an der Bayerischen Staatsoper zu debütieren. Die Partie der Elena ist das beste, was mir jetzt passieren konnte. In einer ganz kurzen Zeit habe ich die Möglichkeit, fast alle meine Erfahrung, die ich als Sängerin besitze, zu zeigen. Es variiert zwischen lyrischen und dramatischen Passagen. Man hat nicht wie gewöhnlich eine Aufwärmzeit und muss in einer ganz kurzen Zeit sehr präsent sein. Die Partie der Elena fordert viel Konzentration und Sprachkenntnis, denn es wird auch fast deklamiert. Nach der dramatischen Troja-Erzählung muss man bereit sein, sehr schöne Legato-Kunst zu zeigen. Und eine gewisse Leichtigkeit in der Stimme zu präsentieren. Über die Produktion verrate ich am besten nichts, es soll spannend bleiben bis zur Premiere. Das Einzige, was ich verraten kann ist, dass wir uns im IV. Akt nicht im antiken Griechenland befinden.
Wie würden Sie die Entwicklung Ihrer Stimme über die Jahre beschreiben? Mit jeder neuen Partie habe ich persönlich eine Entwicklung meiner Stimme erreicht. Die Stimme wird reifer und erfahrener. Sie hat an Fülle gewonnen. Wie spürt man, ob man bereit für eine neue Partie oder eine Facherweiterung ist? Zunächst einmal ist es wichtig, ob ich mich in dieser Rolle sehe, und ob die Anforderungen der Rolle meiner stimmlichen Lage entsprechen. Anschließend wende ich mich den Menschen zu, die ich schätze und die mir bei dieser Entscheidung helfen. Die Intuition spielt natürlich auch eine wichtige Rolle.
Welche Rolle hat Mozart in Ihrer Karriere gespielt? Tatsächlich hat Mozart eine sehr wichtige Rolle in meiner Karriere gespielt. Meine allererste Aufgabe als Solistin (damals im Chor) war das Mozart-Requiem, was ich sehr oft gesungen habe. Dann hat meine Solo-Karriere angefangen. In meinem Repertoire sind Mozart-Rollen wie Gräfin, Fiordiligi, Donna Elvira sowie Elettra. Ich wünsche mir auch heute noch Mozart zu singen, denn das bestätigt den guten stimmlichen Zustand einer Sängerin.
Als Ihre Paradepartie gilt die Madama Butterfly, eine Rolle, die alle Reserven einer Sopranistin fordert, vor allem wegen der Länge der Partie. Das könnte eine gute Vorbereitung für die Anforderungen des dramatischen Fachs sein – ist in Richtung Wagner etwas geplant? Welche Wagnerrollen würden Sie interessieren? Ja, die Cio-Cio-San, ist eine Rolle die ich sehr schätze und am meisten gesungen habe. Neben allen gesanglichen Schwierigkeiten und Längen der Partie, freue ich mich immer, wieder diese Rolle zu spielen und die tragische Geschichte der Geisha zu erzählen. Als erste Wagnerpartie wünsche ich mir die Elisabeth.
Welchen Komponisten ziehen Sie als Sängerin vor? Und die Musik welches Komponisten hören Sie am liebsten? Es fällt mir schwer, unter mehreren meiner Lieblingskomponisten jemanden vorzuziehen. Ich höre in meiner Freizeit sowohl klassische Musik als auch Jazz und andere Genres. Ab und zu werde ich sehr nostalgisch und höre armenische Musik. Gibt es bestimmte Traumpartien? Es gibt einige Traumpartien, die ich singen möchte. Diese wären u.a.: Marschallin, Adriana Lecouvreur, Lisa (Pique Dame) und Sieglinde.
Im James Bond Film „Ein Quantum Trost“ sind Sie als Tosca in einer Szene zu sehen, die während einer Aufführung bei den Bregenzer Festspielen spielt. Wie denn die Dreharbeiten berichten? Die Dreharbeiten waren ungewöhnlich, weil wir in der Nacht drehen mussten. Die Vorbereitungen waren ebenfalls interessant. Die Kostümanprobe z.B. in meiner Wohnung in Stuttgart, wo die ganze Mannschaft aus London plötzlich bei mir Zuhause war und mich eingekleidet und dazwischen über Stars wie George Clooney geplaudert hat, war eine interessante Erfahrung. Mein Kostüm hat die berühmte Designerin Vivienne Westwood entworfen. Überhaupt zu erleben, wie eine der berühmtesten Spielfilme entsteht, war ein großartiges Erlebnis!
Biografie: Karine Babajanyan schloss ihr Gesangsstudium am Konservatorium von Eriwan mit Auszeichnung ab und perfektionierte ihre Technik in Rom bei Mirella Parutto sowie in Stuttgart bei Dunja Vejzovic. Ihre künstlerische Laufbahn begann die armenische Sopranistin am Nationaltheater von Jerewan, verlegte ihren Karriereschwerpunkt aber schnell nach Deutschland, wo sie erst unter anderem in Berlin, Essen, Hannover, Koblenz und Bielefeld auftrat, bevor sie von 2003 bis 2011 ins Ensemble der Stuttgarter Staatsoper wechselte. Dort erarbeitete sie sich ein breites Rollenspektrum, das Partien wie Contessa in Le nozze di Figaro, Elettra in Idomeneo, Leonora in Il Trovatore, Tatiana in Eugen Onegin, Carmen, Mimi in La Bohème, Tosca und Norma umspannte.
In einem außergewöhnlich umfangreichen Repertoire trat die Sängerin in Gastverpflichtungen unter anderem an der Berliner Staatsoper (Cosí fan tutte), der Hamburgischen Staatsoper (Madama Butterfly, Ariadne auf Naxos), der Oper Frankfurt (Madama Butterfly), der Semperoper Dresden (La Bohème), dem Opernhaus Zürich (La Juive), dem New National Theatre Tokyo (Madama Butterfly), der Oper von Peking (Un ballo in maschera), der New Israeli Opera Tel Aviv (La Juive und Jenufa), den Bregenzer Festspielen (Tosca, Aida und Andrea Chénier), dem Grand Théâtre Genf (Madama Butterfly), der Finnischen Nationaloper Helsinki (Così fan tutte), der Königlichen Oper Kopenhagen (Così fan tutte), der Ópera de Bellas Artes Mexico City (Eugen Onegin), der Vlaamse Opera Antwerpen (Madama Butterfly, Don Carlos und Don Giovanni), in Warschau (Don Carlo), den Opernhäusern von Basel (Eugen Onegin und Norma) und Bern (Mazeppa) auf. In der Spielzeit 2014/2015 war sie in der Titelpartie von Ariadne auf Naxos in Düsseldorf, in Madama Butterfly in Stuttgart, als Maddalena in Andrea Chénier und Amelia in Un ballo in maschera in Braunschweig, in ihrem Rollendebüt als Alice Ford in Falstaff in Essen und in einem Galakonzert als Carmen mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen zu erleben. 2015/2016 folgt Karine Babajanyans Debüt an der Bayerischen Staatsoper als Elena in einer Neuproduktion von Mefistofele, Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper am Rhein Duisburg, Verdis Requiem in der Stuttgarter Liederhalle und ein Liederabend im Palast der Künste Budapest.Karine Babajanyan hat mit Dirigenten und Regisseuren wie Daniel Oren, Carlo Rizzi, Nicola Luisotti, Robin Ticciati, Lothar Zagrosek, Muhai Tang, Stefan Soltesz, Alexander Joel, Helmut Rilling, Piergiorgio Morandi, Jonathan Nott, Carlo Montanaro und Julian Kovatchev; Peter Konwitschny, Philipp Himmelmann, Graham Vick, Jossi Wieler, Tatjana Gürbaca, Monique Wagemakers, Michael Schulz und Dietrich Hilsdorf gearbeitet. Die „Puccini-Sängerin der absoluten Sonderklasse“ (Das Opernglas) hat an der Seite von Giuseppe Giacomini für EMI eine CD mit Arien und Duetten Giacomo Puccinis aufgenommen (September 2015). Weitere Details zur Künstlerin finden sich auf ihrer website; Foto oben Karine Babajanyan alsTosca bei den Bregenzer Festspielen/ Foto Karl Forster/ K. B.