Sie ist 90 Jahre geworden – unglaublich. Und sieht keinen Tag älter als maximal sechzig aus, unglaublich – was für eine schöne und immer noch betörende Frau. Operngeschichte und Superstar in einer Legende vereint. Herzlichen Gückwunsch!!!
Im zweiten Schub der „Most wanted recitals“ der Decca findet der Sammler und Stimmenliebhaber eine CD mit Virginia Zeani mit dem unverfänglichen Titel: Operatic Recital, umseitig dann entdeckt man mit Freude angeschnitten die Puccini Arias, die eine unter Altmeister Gavazzeni aus Florenz in Mono 1956 und erstmals als CD, die (ehemals auf Belart/Polygram) wiederveröffentlichte andere unter dem feurigen Patané in Stereo aus Rom 1958. Che gioa, ruft man aus – die wunderbare Virginia Zeani in exzellentem Sound (bei popeliger Ausstattung) und in ihrem Kernrepertoire, allen Opernliebhabern unbedingt zu empfehlen! In unsere Zeit der verwaschenen Globalisierung leuchtet diese ungewöhnliche und hochindividuelle Stimme zu uns herüber.
Obwohl in Bukarest/ Rumanien am 21. Oktober 1925 geboren, wurde Virginia Zeani stets in erster Linie für eine italienische Sängerin gehandelt, schon weil sie – abgesehen von der italienischen Schulung der Stimme – bereits seit 1948 in ltalien wohnte. Sie hatte zudem eine italienische Mutter. Sie hatte wie die meisten rumänischen Sänger eine solide Ausbildung in Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft erhalten und hatte während ihrer Jugend in ihrem Heimatland bereits Gesang bei der ehemals berühmten russischen Koloratursopranistin Lydia Lipowska genommen. Als sie als junge Frau in Mailand, damals die Gesangs-Metropole, eintraf, begann sie ihren Unterricht bei dem unvergleichlichen Star-Tenor der 30er und 40er, Aureliano Pertile. Er war es auch, der seine Elevin überredete, eine erste Vorstellung einer Traviata in Bologna zu übernehmen, die in letzter Minute durch den Ausfall des vorgesehenen Soprans bedroht war (die berühmten Zufälle!, die Parallele zur Callas drängt sich auf). Die Zeani übernahm also innerhalb kürzester Zeit diese Partie und hatte ihren ersten soliden Erfolg, so sehr, dass sie die Rolle bald in anderen Häusern, z. B. Turin, sang. Die Violetta wurde zu einer Erkennungspartie, einem Markenzeichen ihrer langen Karriere. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon optisch als sehr schöne Frau für diese Rolle besonders geeignet, besaß sie doch bereits damals ihre warme, sehr persönlich timbrierte und ungemein flexible, glottisreiche und tiefendunkle Stimme, deren langen Atem, lange Bögen und ungeheure lntensität sie mit einer überaus attraktiven Buhnenerscheinung und natürlichem, engagiertem Spiel verband.
Die italienische Opernwelt war für sie offen: das Teatro Massimo in Palermo (stets ein Testfall für Erfolg), San Carlo in Neapel, die Arena di Verona, das Teatro Costanzi in Rom und natürlich Mailands traditionsreiche Scala, an der sie 1956 ihr Debüt als Händels Cleopatra gab. lhr Repertoire umfasste nun die üblichen Koloraturrollen, aber sie fügte dem bereits jetzt die interessanteren, schwereren hinzu: Thais, Margherita/Boito, Butterfly, Manon, Elsa (!) und die weibliche Hauptrolle in Mascagnis Piccolo Marat (Mariella). 1957 hatte sie die Ehre, in einem illustren Kreis (u. a. mit Leyla Gencer und Margherita Carosio) in der Uraufführung von Poulencs Dialogues des Carmelites an der Scala mitzuwirken, und auch die Rossini- und Donizetti-Rollen, für die sie spater so berühmt war, kündigten sich mit Maria di Rohan und Otello an.
Sie beschränkte ihre Auftritte nicht auf ltalien: London (am Stoll Theatre mit Sängern wie Bergonzi, Raimondi, Mascherini u. a. in Rollen wie Lucia di Lammermoor oder Violetta), Wien, Paris, Lissabon, dann in Spanien, der Schweiz, Griechenland. Selbst Südafrika und Ägypten waren ihr nicht zu weit. In den USA hörte man sie vergleichsweise selten. Abgesehen von zwei Vorstellungen als Violetta an der Met (1966) und einem Auftritt als Elena in Vespri siciliani beim Newport Festival am 23. August 1967 im Gastspiel der Met sang sie weder hier noch an anderen wichtigen Häusern der USA: Möglicherweise wegen des damaligen überwaltigenden Erfolges der Moffo als Violetta waren ihr diese Möglichkeiten versperrt.
Die Reaktionen auf die Traviata der Zeani in Amerika waren eher unauffällig. Wie stets war es die Carnegie Hall in New York, die sich um die weniger Prestigereichen kümmerte. Als Cleopatra gab sie eine umjubelte Konzertvorstellung. Ihr eigentliches Amerika-Debüt fand 1958 in Philadelphia in derselben Rolle (neben Siepi, Nikolaidi und Flagello) statt. Der große amerikanische Kritiker Max de Schauensee lobte damals ihre außergewohnlich flexible, warme Stimme, deren individuelle Farben, traumwandlerische Sicherheit und enormen Umfang neben der einmaligen Koloratursicherheit. Alles fand sich zu einem stimmlichen wie inhaltlichen Ausdruck zusammen, wie man es bis dahin selten gehört hatte (und seitdem kaum, wenn überhaupt, wieder erlebt hat!). Das Einmalige an der Zeani-Stimme, so schien es de Schauensee wie auch vielen anderen, waren vor allem ihr Engagement und ihre absolute lntonationssicherheit des Tons, den sie stets von der Mitte her attackierte – in klassischer Manier und bei idealem Fokus.
Aus einer wirklichen amerikanischen Karriere wurde also nichts. Sie ging zurück nach ltalien, wo sie Nicola Rossi Lemeni, den berühmten Bass der Nachkriegszeit, heiratete. Wieder folgten Traviata in Florenz, Butterfly im Fenice; ihre Stimme wurde – wie die Kritik mit Freude anmerkte – dramatischer, üppiger, bei kleinen Einbußen der exponierten Höhe – der übliche Preis für die dramatischeren, charaktervolleren Partien, die ihr nun immer häufiger angeboten wurden. Magda in Il Console von Menotti 1972 wurde zu einem enormen Erfolg für sie, die sich zunehmend auf die großen Verismo-Rollen spezialisierte: Fedora, Adriana, Tosca und auch Margherita/Mefistofele.
Es sind diese Rollen, mit denen sie bis in die späten Sechziger noch ihre großen persönlichen Erfolge haben konnte, wenngleich sie in kluger Selbsteinschätzung (und sicher auch beraten von Rossi Lemeni) begonnen hatte, eine zweite Karriere als Lehrerin, zusammen mit ihrem 1991 verstorbenen Mann oder auch in Meisterkursen allein, zu erarbeiten, als feste und als Gast-Professorin in den USA, Europa und Neuseeland. Heute lebt sie in Bloomington (Indiana) und in Florida.
Wie bereits erwähnt, zeichnet sich die Stimme der Zeani in erster Linie durch ihr exzeptionelles Timbre aus, das unterschiedliche und sehr persönliche Reaktionen hervorruft. Sie hat durchaus nicht eine „bequeme“, nur schöne Sopranstimme, sondern eine höchst individuelle, dramatische (oft auch im besten Sinne melodramatische), deren ungeheure Leistungsfähigkeit und Beteiligung ihre Rollendarstellungen zu außergewöhnlichen Erfahrungen macht, die den Hörer nie kalt lassen. Das warme Timbre, die eigenwilligen Glottis-Einlagen und unverhohlen theatralischen Effekte erinnern an die ältere Kollegin Olivero, mit der sie das Engagement und die Bedingungslosigkeit des Einsatzes gemeinsam hat. Auch die Callas blieb auf die Zeani nicht ohne Einfluss, was deren Rollen betraf. Elvira, Zelmira, Maria di Rohan, Amina, Alzira, Rossinis Desdemona gingen unzweifelhaft auf das von Maria Callas geweckte lnteresse an unbekannteren Belcanto-Opern zurück. Sie selbst hat übrigens einmal gesagt, dass Maria Callas wohl die bedeutendste Sängerin jener Zeit gewesen sei, was für einen gesunde Selbsteinschätzung spricht.
Die offizielle Schallplattenindustrie ist an ihr, wie an vielen Sängern ihrer Zeit, stiefmütterlich vorübergegangen. An Studio-Aufnahmen gibt es ein Arien-Recital mit der Auswahl ihrer Erfolgspartien (Lucia, Violetta, Mimì) unter Gavazzeni bei London – nun erstmals (!!!) als CD erschienen, sowie ein (dto.!!!) Puccini-Recital unter Patané (ebenfalls bei Decca in der neuen Serie der „Most wanted“) sowie ein Verdi/Puccini-Recital unter Brediceanu (auf der heimischen Electrecord). Bei Philips gab´s ein Verdi/ Rossini-LP-Album (Otello-Auszüge mit ihrem Mann, Garaventa und Zedda) sowie zwei Traviata-Einspielungen: eine Gesamtaufnahme in gekürzter Form unter Annovazi (LP/ ML) und komplett mit Herlea/ Buzea unter Bobescu (ehemals Electrocord, nun Carlton u.a./CD). Ein Querschnitt derselben Aufnahme erschien bei Europa/Billiglabel (oder Joker/ltalien dto).
Dass die Zeani auch Frühe Musik singen konnte, zeigen nicht nur ihre Giulio Cesare-Ausschnitte (live), sondern auch eine köstlich-humorvolle Aufnahme der Serva padrona mit ihrem Ehemann Nicola Rossi Lemeni (ehemals bei Saga/LP, inzwischen wie viele ihrer anderen Aufnahmen als Billig-CD auf manchen Labels im Warenhaus). Eine Tosca aus Bukarest/Electrocord im Studio gibt´s wieder verramscht bei Carlton u. a.
Wie stets in diesen Fällen der Großen, Unterrepräsentierten, geschah es auch hier, dass die private lndustrie ihr die Ehre einer späten Hommage angetan hat. Die inzwischen verblichene Firma Replica hatte in hervorragendem Stereo ihren RAl-Otello von Rossini als Mitschnitt der berühmten Radio-Produktion von 1960 herausgegeben (CD bei GOP und Opera d´Oro), bevor sie damit 1962 in Rom und 1963 in New York und Berlin (am Theater des Westens, auch davon gibt’s einen technisch schwierigen Mitschnitt) ihre großen Erfolge hatte; von der New Yorker Vorstellung gibt es ebenfalls einen – technisch nicht sehr guten – Stereomitschnitt bei MRF/LP. Weiterer Rossini kommt von dem Mitschnitt ihrer berühmten Zelmira (1965 Neapel/LP/MRF 93, auf CD bei GOP und anderen/Opera d´Oro). Weitere Gesamtaufnahmen mit der Zeani, die sie maßstabsetzend in den jeweiligen Partien finden, haben Sammler schon lange. Die Carmelites gibt es als Premierenmitschnitt, Verdis Otello aus Rom 1962 mit McCracken und unter Serafin (LR), Alzira ebenfalls aus Rom 1967, die Tosca live (mit Domingo 1975 in Barcelona, LR – die Brüder Ferrandina aus New York betrieben die Firma Legendary Recordings und waren die wichtigsten Promoter für Aufnahmen der Zeani, die mit ihnen befreundet war). Mercadantes Elisa e Claudio als LP-Memento gab es komplett auf CD bei Melodram, Mefistofele liegt als spärlicher LP-Querschnitt von LR vor, die Adriana von 1974 aus Catania gibt es in großen Teilen ebenso wie die wunderbare Fedora (mit Domingo) von 1968 auf LR, auch ihre Manon Lescaut aus Barcelona 1978. De Banfields Oper Alissa gab es mit der Zeani bei Melodram/CD. Il Piccolo Marat von Mascagni aus Livorno bei Foné wurde bereits erwähnt, einen weiteren von 1962 aus San Remo gab´s dto. live bei Fonit Cetra. Außergewohnlich ist sicher auch ihre Antonida in Glinkas Una vita per lo Zar unter Simonetto 1954 bei der RAI Milano (auf CD ehemals bei GOP). Gala hat eine Live-Traviata aus Neapel mit Savarese und Raimondi 1956 unter Questa. Die interessantere ,,inoffizielle“ erschien als ausgiebiger Querschnitt bei LR als Übertragung zweier Vorstellungen in London 1960 und 1966 (mit William McAlpine). RCA/Eurodisc hatte mal die Manon Lescaut aus Rom mit Richard Tucker unter Thomas Schippers im Programm, live. Bongiovanni veröffentlichte auch ihre Puritani aus Triest mit Mario Filippeschi unter Molinari-Pradelli.
Neben unendlich vielen Einzelaufnahmen bei verschiedenen LP-Firmen, die nicht wirklich ausreichend auf CDs erschienen sind, gibt es in zwischen Volume 1 – 4 an Live-Zusammenstellungen bei Bongiovanni. Schließlich ist bei Bongiovanni ihre Gilda unter Sanzogno von 1955 RAI Mailand auf CD erschienen. Hier wie in ihren Verismo-Aufnahmen (wenn man Puccini mit dazu rechnen darf) betört der Klang der Zeani-Stimme und beeindruckt ihr Engagement, das rücksichtslos über mögliche stimmliche Bedenken sich sein Durchschlags-Vermögen bis zum Ende der Karriere bewahrt hat. So auf einem späten Recital, das sie zusammen mit Franco Corelli Anfang 80 in New York gegeben hat (LR-LP), und dem man entnimmt, dass die Stimme im Grunde genommen nichts von ihren charakteristischen Eigenheiten verloren hatte.
Die oben erwähnten Tondokumente stellen nur eine subjektive Auswahl dar und sind im Einzelnen begehrte Sammlerstücke geworden, weil die Umschnitte von den Live-LPs auf CD nur zögerlich erfolgten und das Copyright-Gesetz nun einer weiteren Verbreitung Sperren setzt.Von Virginia Zeani gibt es weitaus mehr Aufnahmen unter Sammlern, so Alfanos Resurrezione mit Limarilli, Neapel 1975, sogar eine Senta von 1970 und vieles, vieles mehr, und es ist zu hoffen, dass sich engagierte Firmen weiterhin um diese heute nur noch den aficionados bekannte bedeutende Singschauspielerin des letzten Jahrhunderts bemühen.
Deshalb ist die Erst-/Wieder-Veröffentlichung ihrer beiden Decca-LPs auf einer CD im Rahmen des unschätzbaren „Most wanted“-Projektes der Decca so lobenswert. Technisch sensationell aufgebessert klingt die Stimme der Zeani aus ihrer Bestzeit unvergleichlich und unglaublich packend herüber. Danke Decca! Ohne die Zeani wäre die Welt der italienischen Oper ärmer gewesen: Sie ist in Wahrheit die Primadonna del melodramma bis heute. Geerd Heinsen
Virginia Zeani: Operatic recital (Donizetti, Bellini, Verdi, Puccini); Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino; Leitung – Gianandrea Gavazzeni; Bonus: Virginia Zeani – Puccini Arias; Orchestra dell´Accademia di Santa Cecilia, Roma; Leitung – Franco Patané; Decca 480 8187
(Mit Dank an Karl-Friedrich Trieselmann für die ergänzenden Angaben und – soweit nicht anders gekennzeichnet – auch für die Fotos, die seiner umfangreichen und Staunen machenden Zeani-Sammlung entnommen sind/T!)
Und die „offizielle“ website für Virginia Zeani: http://virginiazeani.com/