Mageres Federvieh luxuriös serviert

 

Charles Gounod kennt man vor allem als Komponist großer Literaturopern wie Fausto der Roméo et Juliette. Kaum bekannt ist, dass er auch einige komische Opern geschrieben hat. Eine ist jetzt auf dem  Label Opera Rara erschienen: La Colombe (Die Taube).  Diese Oper ist im Gesamtwerk des Operngiganten etwa so wichtig wie ein Garnierungsradieschen auf einem großen Braten. Eigentlich absolut zu vernachlässigen, ohne musikhistorischen Wert, ohne großartige neue Erkenntnisse, was Gounods musikdramatisches Genie angeht. Aber ein amüsantes Luxushäppchen zwischen den beiden Hauptwerken Faust und Romeo und Julia.

Für den Nicht-Akademiker gibt’s durchaus Gründe, das Werk zur Kenntnis zu nehmen. Es ist erstaunlich einfach zu besetzen und bietet gute musikalische Unterhaltung. Es braucht nur ein kleines Orchester und lediglich vier Sänger, einen Chor gibt es nicht, ausgestattet ist es mit aparten melodiösen Nummern – wenn dies auch kein epochaler Wurf ist, so doch gutgestrickte französische Opernmusik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Verhangene Musik für ein sehr lustiges Stück: Das Schönste an La Colombe ist die absurde Handlung. Ein junger, armer Adliger nennt eine wunderbar dressierte Taube sein eigen. Aus der Ferne betet er eine reiche junge Frau an, die ihm immer wieder die kalte Schulter zeigt. Doch eines Tages kündigt sie ihren Besuch an – und in der Verzweiflung, ihr kein gutes Gericht vorsetzen zu können, bittet er sein (weibliches) Faktotum, die Supertaube zu schlachten. Und dann gibt es zwei Pointen – die eine ist, dass die schöne Sylvie eigentlich gekommen ist, um die Taube zu kaufen, und nun erfährt, dass der junge Mann aus Liebe zu ihr sein geliebtes Tier hat braten lassen, die treue Köchin aber bekennt, dass sie das nicht übers Herz gebracht und den beiden einen alten Papagei serviert hat.

Leider ist die Musik weit weniger lustig. Das verblüfft, denn gedacht war das Stück als Spaß für ein Kurtheater. Entstanden ist es 1860 für Baden-Baden, es ist also die große Zeit der Offenbach-Operette, damals leisteten sich einige reiche deutsche Kurorte gern kleine lustige Opern- oder Operetten-Premieren, die von berühmten internationalen Komponisten geschrieben wurden. Etwa zeitgleich kreierte auch Offenbach solche Stücke für Bad Ems. Und da enttäuscht der Ton des Werks von Gounod dann doch etwas: Die lustige überkandidelte Handlung und die meist larmoyante, verhangene Musiksprache wollen nicht recht zueinander passen. Immer wenn Gounod seine Helden mit Liebesschmerz und Sehnsucht konfrontiert, ist er großartig, aber in den quirlig getexteten Ensembles kommt er für mich nicht vom Boden hoch, da hätte ein Offenbach, ja sogar ein Adam mehr draus gemacht.

Nebenwerk glänzend gesungen und gespielt: Seit vielen Jahren bringt das britische Label Opera Rara in bunter Folge Lässliches und Kostbares auf den Markt. Man kann vielleicht nicht immer vorher wissen, welche Werke zünden und welche nicht. Fest steht: Nach Volltreffern wie Donizettis Les Martyrs und Offenbachs Fantasio war das hier ein eher zweitklassiger Output, auch wenn man staunend anmerken muss, dass mit teuren Edelstahl-Kanonen auf einen musikalischen Spatzen geschossen wurde (oder auf eine Taube, um bei der Story zu bleiben). Wer musikalisch Besseres aus der Schatzkammer der Opéra comique ausblendet, kann mit der Umsetzung mehr als zufrieden sein. Das kleine Gelegenheitswerk wurde aufs schönste und lyrischste herausgeputzt, vor allem durch das hinreißend besetzte Sopran-Tenor-Paar Erin Morley und Javier Camarena. Mit Mark Elder am Pult hat man einen Dirigenten gewonnen, der sich wirklich hervorragend ins französische Idiom eingelebt hat, er setzt seinen glanzvollen Weg fort, den er unter anderem mit Offenbachs Fantasio letztes Jahr eingeschlagen hat, das Werk klingt auch diesmal erfreulich unbritisch.
Einziges Ärgernis: Das 79 Minuten lange Stück wurde unnötiger Weise auf zwei CDs herausgebracht, obwohl es gut auf eine gepasst hätte. Das kostet entsprechend. Man muss also schon wirklich für diese Musikgattung brennen, um satte 40.- Euro dafür zu bezahlen. Dieser Preis liegt an der Grenze zur Unverschämtheit; ich hoffe, dass der Markt hier noch ein bisschen nachreguliert (Charles Gounod: La Colombe; Opéra comique in 2 Akten, mit Erin Morley, Javier Camarena, Michelle Losier, Laurent Naouri; Hallé-Orchester, Mark Elder, 2 CD Opera Rara. ORC53). Matthias Käther