Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Persisches all´Italiana

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Seit seinem hinreißenden Orfeo in Glucks Azione teatrale an der Berliner Komischen Oper war der italienische Countertenor Carlo Vistoli für mich ein Ereignis. Berliner Barockliebhaber freuen sich schon jetzt auf seinen Farnace in Mozarts Mitridate im Rahmen der Barocktage der Staatsoper. Jetzt gibt es Gelegenheit, den Sänger in der Titelrolle von Francesco Cavallis Dramma per musica Il Xerse zu erleben, das DYNAMIC auf einer Blu-ray Disc vom Festival della Valle d’Itria aus dem Teatro Verdi in Martina Franca 2022 herausgebracht hat (57983).

Das Libretto zu diesem Werk, das für den Karneval in Venedig 1655 komponiert wurde, stammt von Nicolò Minato und wurde nach Cavalli auch von Giovanni Bononcini und Georg Friedrich Händel vertont mit entsprechend unterschiedlicher Schreibweise von Xerse bis Serse. Es erzählt von der Liebe des persischen Königs zu Romilda, die ihrerseits in dessen Bruder Arsamene verliebt ist, was die in den Werken des Barockgenres üblichen Verwirrungen mit sich bringt.

Die Aufführung im Teatro Verdi von Martina Franca zeigt eine lebendige, zuweilen überdrehte Inszenierung von Leo Muscato in den stimmigen Bühnenbildern von Andrea Belli, denen persische Miniaturen zugrunde liegen. Die Kostüme von Giovanna Fiorentini sind historisch orientiert, aber karikierend, die Uniformen prachtvoll dekoriert, die Perücken monströs. Die Ausrüstung der Soldaten des Perserkönigs mit Maschinengewehren ist ein störendes Detail und Zugeständnis an das aktuelle Regietheater, zumal im Text mehrfach von Schwertern die Rede ist.

Carlo Vistoli führt glanzvoll die Sängerbesetzung an. Der Hit „Ombra mai fu“ erklingt auch hier zu Beginn nach der einleitenden. kurzen Sinfonia, und der Counter vermag sogleich mit seiner wohltönenden Stimme zu bezaubern. Bs zum Schluss sorgt er für die vokalen Höhepunkte der Aufführung. Sein letztes Solo ist ein Lamento con violini kurz vor Schluss („Lasciatemi morir“), welches er mit tiefer Empfindung gestaltet. Als seine angebetete Romilda tritt Carolina Lippo auf, die in ihrer Eingangsarie einen bohrenden, heulenden Sopran hören lässt. Auch später ist ihr Gesang eine Prüfung. Einzig die Arie „Amante non è“ im 2. Akt überzeugt in ihrer zupackenden Entschlossenheit. Die Hosenrolle des Arsamene nimmt Gala Petrone mit herbem Mezzo wahr. Einen klangvollen Sopran lässt Dioklea Hoxha als Adelanta hören. Jubelnd und leuchtend singt Ekaterina Protsenko Amastres Arien „Regie stelle“ am Ende des 1. und „Speranze, fuggite“ zu Beginn des 2. Aktes. Mit der heroischen Arie „Già la tromba“ kann Carlo Alemano als Ariodate mit reifem Bass glänzen. Für Koloraturläufe allerdings ist die Stimme mittlerweile zu schwerfällig. Elviro ist die komische Figur des Stückes, Aco Biscevic gibt ihr mit mit individueller Stimme zwischen handfestem Tenor und krähendem Altus markantes Profil. Mit Nicolò Balducci als Botschafter Periarco gibt es noch einen echten Countertenor, der zudem mit angenehmer Stimme gefällt.

Das Orchestra Barocca Modo Antiquo leitet Federico Maria Sardelli – ein im Barock renommierter Dirigent am Pult eines in diesem Genre gleichfalls bekannten Ensembles. Dessen Spiel ist reich an Farben, Kontrasten und Affekten. Bernd Hoppe

 

Peter Rahner

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Mit Bedauern las ich vom Tod Peter Rahners, der für die älteren Sammler von Opern und der Live-Raritäten für Deutschland vor allem der Sechziger/Siebziger unendlich wichtig war. Er vertrieb nicht nur die internationalen Labels des „grauen Marktes“ (solche wie Melodram, Arkadia, Morgan, LH und viele mehr, namentlich auch die wunderbaren LP-Ausgaben von MRF und BJR), sondern er produzierte – zumindest in den Anfängen – auch eigene LPs, meist Radio-Mitschnitte.

Ich erinnere mich an einen Tag in München 1971 im Untergeschoss des herrlichen Klassik-Geschäftes am Marienplatz, wo zwei sehr kenntnisreiche Herren ihrer Beratung weilten und sich ihr Laden zu einer Wärmestube für Opernfans fest installiert hatte. Ein Besuch ebendort war de rigeur für den Auswärtigen. Jedenfalls: Unser Gespräch, das gerne auch recht private Dimensionen einschloss, wurde an diesem Tage jäh unterbrochen, als feste Stiefel die Wendeltreppe herunterpolterten und eine herbe dunkle Frauenstimme robust rief: „Wo ist der Mozart, ich will drei Stück!“, meinend die gerade frisch gepresste Clemenza di Tito aus dem Cuvillies Theater mit eben ihr, Brigitte Fassbaender, und Julia Varady. Das Ganze auf den rot ettikettierten LPs von Peter Rahner. Gerade eingetroffen im schmucklosen schwarzen Schuber (Dank an unseren Leser für die richtigen Daten).

Peter Rahner war ein Schatz, er besorgte fast alles aus dem Opernmarkt, schickte in jeden Winkel Europas seine Päckchen mit Ware, die man am Telefon bestellte (wo die kleine Tochter aktiv zu hören  war). Oft schickte er auch Unverlangtes, in der Hoffnung, man würde das behalten, was auch mal ärgerlich war. Dennoch: Peter Rahner trug entscheidend zur Kenntnis des Unbekannten, Raren auf dem Gebiet der Oper für uns Fans bei.

Nun starb er mit 76 Jahren in seinem schwäbischen Heimatort Waldkirch-Kollnau. Er wird bei uns Opern-Liebhabern in Erinnerung bleiben (Foto oben Golfclub Gütersloh). G. H.

In walisisches

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Die sieben Jahrzehnte seit seiner ersten Aufführung hat das Oratorium Saint David oder besser Dewi Sant von Arwel Hughes gut überstanden. Es behauptet einen sicheren Platz im Chorleben von Wales, wie es denn überhaupt wesentlich zu einer walisischen Musikidentität betrug. Hierzulande dürfte keiner den walisischen Komponisten Arwel Hughes (1909-88) kennen, der u.a. Schüler von Ralph Vaughan Williams war und als Mitarbeiter der BBC Wales unauffällig blieb. Bei der 1946 in Cardiff entstandenen Welsh National Opera spielte Hughes als Dirigent eine nicht unbedeutende Rolle, zudem lieferte er ihr 1953 das erste Werk eines walisischen Komponisten: Hughes selbst dirigierte Menna mit den namhaften Gästen Richard Lewis und Elsie Morrison in den Hauptrollen. 1960 folgte die komische Oper Serch yw’r Doctor nach Molière. Beide Werke spielten eine wesentliche Rolle in der Entwicklung einer walisischen Oper.

Als Komponist konnte sich Hughes jedoch vor allem durch seine großen Chorwerke einen bleibenden Namen sichern, darunter seine beiden Oratorien Dewi Sant 1951 als Auftragswerk des Festival of Britain entstanden sowie dreizehn Jahre später Pantycelyn. Beider Texte stammen von Hughes‘ BBC-Kollegen und Dichter Aneirin Talfan Davies. In dem 70minütigen Oratorium über David von Menevia, den im 6. Jahrhundert lebenden Schutzpatron von Wales, verbinden sich schlichte Melodik und handwerkliche Gediegenheit zu einem eingängigen Werk, das seine Höhepunkte in den Soloarien von Sopran, Tenor oder Bariton findet. Am überzeugendsten wirken die Passagen des Baritons im dritten Abschnitt, die der Bassbariton Paul Carey Jones, der den Wotan beim Longborough Opera Festival zu seinen größten Herausforderungen zählt, mit markanter Stimme und Elan singt. Der Sopranpart, den in der im November 2022 in Cardiff entstandenen Aufnahme seine Wagner-Kollegin Susan Bullock übernommen hat, bleibt gesichtslos, während der walisische Tenor Rhodri Prys Jones, der sich zur Zeit der Aufnahme an der WNO als Ernesto beweisen konnte, mit süßem Timbre im „Kyrie Eleison“ – die einzige lateinische Zeile im Oratorium – einen guten Eindruck hinterlässt. Für das BBC National Orchestra & Chorus of Wales ist Dewi Sant eine Sache von nationalem Interesse. Hughes‘ Sohn Owein Arwel Hughes (*1942), der seit seiner Kindheit mit dem Oratorium vertraut ist, an der Welsh National Opera als Dirigent in die Fußstapfen seines Vaters trat, aber auch an der English National Opera wirkte, verfasste den Text zur CD und dirigierte die Aufnahme mit souveräner Überzeugungskraft (Rubicon RCD1100). Rolf Fath

Klemperer zum Zweiten

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Wie bereits erwartet, schiebt Warner Classics nun den zweiten Teil seiner Otto Klemperer Remastered Edition nach (5 054197 528996) nach. Zwar sind es diesmal bei Vol. 2 „nur“ 29 CDs (statt 95), jedoch ist auch diese Box nicht von schlechten Eltern und deckt gut die Bandbreite dieses legendären Dirigenten ab. Die Einspielungen sind bereits sämtlich in Stereophonie festgehalten und entstanden in den Jahren zwischen 1960 und 1971, weithin als Klemperers „Indian Summer“ bekannt geworden.

Mit Johann Sebastian Bach bringt man Otto Klemperer nicht unbedingt gleich in Verbindung, doch ging seine Bach-Begeisterung soweit, dass er die h-Moll-Messe gar als die größte Musik überhaupt bezeichnete. Mit Agnes Giebel, Janet Baker, Nicolai Gedda, Hermann Prey und Franz Crass stand 1967 ein hervorragendes Solistenensemble zur Verfügung. Trotz aller Monumentalität, die Klemperer dieser gewaltigen Messe angedeihen lässt, ist sein stets transparenter Ansatz auch hier spürbar. So sind die Chormassen des BBC Chorus keineswegs verwaschen oder undeutlich. Das New Philharmonia Orchestra ist bestens aufgelegt und der Klang erfreulich klar und detailliert.

Wenig bekannt, hatte Klemperer die Chöre der h-Moll-Messe bereits 1961 erstmals für EMI eingespielt, hier mit dem Philharmonia Chorus und dem Philharmonia Orchestra. Die Erstveröffentlichung war erst Jahrzehnte später beim Label Testament erfolgt. Hier nun folgt eine Wiederauflage, die zum Vergleichen anregt. Tempomäßig gibt es kaum Unterschiede, jedoch ist der Klang sechs Jahre früher hörbar unterlegen, so dass dieser Bonus eher von historischem Interesse bleibt und der Gesamtaufnahme keine wirkliche Konkurrenz machen kann. Ungleich berühmter wurde bereits seinerzeit Klemperers Einspielung der Matthäus-Passion von 1960/61. Die Solisten könnten nicht prominenter besetzt sein: Dietrich Fischer-Dieskau, Peter Pears, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Nicolai Gedda und Walter Berry brillieren sämtlich. Aus heutiger Sicht auffällig die besonders getragenen Tempi, die die meisten HIP-Befürworter ratlos zurücklassen dürften. Ebenfalls dem Spätbarock zugeordnet werden muss Händels Messiah, den Klemperer 1964 vorlegte. Elisabeth Schwarzkopf, Grace Hoffman, Nicolai Gedda und Jerome Hines bildeten das Solistenquartett. Verglichen mit den zeitgenössischen Interpretationen von Leonard Bernstein (Columbia) und Hermann Scherchen (Westminster) mutet Klemperers Lesart beinahe modern an. Im Zuge der Originalklang-Bewegung geriet sie indes bereits bald nach ihrem Erscheinen ins Abseits und war seither lediglich Enthusiasten weiterhin geläufig.

Chronologisch am nächsten sind Klemperers Einspielungen diverser Mozart-Opern einzuordnen. Vor allem die 1964 als erste produzierte Zauberflöte (u. a. mit Lucia Popp, Gundula Janowitz, Nicolai Gedda, Walter Berry und Gottlob Frick) gilt bis heute als absoluter Klassiker und wird nicht selten nach wie vor als Referenzaufnahme benannt. Der Don Giovanni von 1966 (u. a. mit Nicolai Ghiaurov, Claire Watson, Christa Ludwig, Walter Berry und Franz Crass) hat als besonders titanenhafte Darbietung zurecht ebenfalls einen festen Platz in der Diskographie gefunden. Weit weniger vorteilhaft wurden bereits bei ihrem Erscheinen Klemperers Le nozze di Figaro (1970) und Così fan tutte (1971) beurteilt. Diese seien zu spät entstanden und insgesamt zu schwerfällig ausgefallen. Freilich hat gerade der Figaro eine der überzeugendsten auf Tonträger überlieferten Besetzungen vorzuweisen (Geraint Evans, Reri Grist, Elisabeth Söderström, Teresa Berganza und Gabriel Bacquier) und muss nach über einem halben Jahrhundert als viel besser als sein Ruf betrachtet werden. Die Così stellte tatsächlich Klemperers letzte Operneinspielung überhaupt dar (Margaret Price, Yvonne Minton, Lucia Popp, Luigi Alva, Geraint Evans und Hans Sotin).

Seit langem bewährte Klassiker stellen Klemperers Einspielungen von Beethovens einziger Oper Fidelio (Christa Ludwig, Jon Vickers, Gottlob Frick, Walter Berry, Gerhard Unger, Franz Crass, Ingeborg Hallstein – wobei erwähnt werden sollte, dass die Dialoge nicht von ihr sondern von Elisabeth Schwarzkopf gesprochen werden, eine Trouvaille für Kenner!) und BrahmsEin deutsches Requiem (Elisabeth Schwarzkopf, Dietrich Fischer-Dieskau) dar. Sie entstanden zu einem Zeitpunkt, als das Philharmonia Orchestra in seiner ursprünglichen Form noch existierte (1962 bzw. 1961). EMI-Produzent Walter Legge ließ es 1964 auflösen, wonach es sich als New Philharmonia Orchestra selbstverwaltete. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn letzteres 1965 bei der Einspielung der Beethoven’schen Missa solemnis zum Einsatz kam (Elisabeth Söderström, Marga Höffgen, Waldemar Kmentt, Martti Talvela).

Den letzten großen Themenkomplex der Kollektion bildet die Musik von Richard Wagner. Obwohl zeitlebens ein Wagnerianer, erhielt Klemperer erst im hohen Alter die Möglichkeit, dessen Opernschaffen innerhalb der eigenen Diskographie zu berücksichtigen. So dirigierte er zwar bereits 1949 die Meistersinger in Budapest (Auszüge in ungarischer Sprache haben sich erhalten) und 1963 den Lohengrin in Covent Garden (die BBC verpasste die Chance, dieses Ereignis mitzuschneiden), doch die erste Gesamteinspielung einer Wagner-Oper stand erst 1968 mit dem Fliegenden Holländer an. Klemperer, inzwischen beinahe 83, legte dirigentisch eine atemberaubende Aufnahme vor, die in dieser Wucht ihresgleichen sucht. Mit Theo Adam, Anja Silja, Martti Talvela, Gerhard Unger, Ernst Kozub und Annelies Burmeister sehr gut bis hervorragend besetzt, wurde sie rasch zu einer Standardempfehlung. Insofern als der Dirigent die frühere Fassung des Finales ohne Erlösungsthema wählte, blieb er seiner mitunter schroffen Nüchternheit treu, der jeder Anflug von Romantisierung ein Dorn im Auge war. Leider zu spät wurde das Projekt einer Ring-Einspielung in Angriff genommen.

Lediglich der erste Aufzug der Walküre (mit Helga Dernesch, William Cochran und Hans Sotin nicht ganz optimal besetzt) sowie Wotans Abschied (mit Norman Bailey) konnten Ende 1969 bzw. Ende 1970 noch vorgelegt werden. Die Kräfte des mittlerweile 85-Jährigen reichten bedauerlicherweise nicht mehr, um zumindest diese populärste Ring-Oper zu Ende zu bringen. Was erhalten ist, gewissermaßen eine Art großer Querschnitt, vermittelt zumindest einen groben Eindruck, wie Klemperer die Tetralogie angelegt hätte. Die mitunter exorbitant breiten Tempomaße (fast 20 Minuten für den Wotan-Abschied) dürften freilich ein Tribut an das hohe Alter gewesen sein. Nichtsdestoweniger ist das Ergebnis auf seine Art für sich einnehmend. Gleichsam als Schmankerl sind noch die deutlich früher, nämlich 1962 eingespielten Wesendonck-Lieder sowie Isoldes Liebestod mit der großartigen Christa Ludwig beigegeben.

Abgerundet wird die Box durch zwei Dokumentationen, zum einen Behind the Scenes der besagten Don Giovanni-Produktion, zum anderen die Doku An Opera Souvenir, beides durch Jon Tolansky betreut, der auch den lesenswerten Einführungstext im recht ausführlichen Booklet verfasste. In der Summe also eine lohnenswerte Investition, welche auch für diejenigen von Interesse ist, die das Gros der Einspielungen bereits vorliegen haben, nicht zuletzt dem insgesamt vorbildlichen Remastering von Art & Son Studio (192 kHz/24 Bit) geschuldet, das hie und da mehr herausholen konnte als bisher möglich schien. Daniel Hauser

Bewährte Interpreten

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Aus dem Wunsch des endlich anerkannten Komponisten, einen ähnlichen Erfolg wie den des Nabucco zu erzielen, und dem Verlangen des Publikums nach einer weiteren Oper, mit der man sich wie mit dem Drama um die geknechteten Hebräer identifizieren könne, ist die Oper I Lombardi alla prima crociata entstanden und erfuhr einen ähnlich starken Zuspruch wie ihre Vorgängerin. Es war nicht Va pensiero, der nach der Einigung Italiens zur vorübergehenden Nationalhymne wurde, sondern O Signore, dal tetto natio aus den Lombardi übte vorübergehend diese Funktion aus.

Noch vor Nabucco wurden die Lombardi in den USA 1847 aufgeführt, bereits 1845 in vielen europäischen Städten von Odessa bis Berlin, und 1847 erlebte das Werk in französischer Sprache, erweitert und mit dem obligatorischen Ballett versehen als Jérusalem in Paris eine umjubelte Aufführung. Diese Fassung wurde ins Italienische zurückübersetzt und hatte unter dem Titel Gerusalemme als Scala-Eröffnung 1850 ihre Erstaufführung.

Im Frühjahr 2023 wurde die Erstfassung konzertant in München mit dem Münchner Rundfunkorchester unter dem Verdi-erfahrenen Dirigenten Ivan Repušić aufgeführt und aufgezeichnet, nachdem es in den vergangenen Jahren bereits andere frühe Werke Verdis in gleicher Besetzung mit Luisa Miller, I due Foscari und Attila, allesamt von BR Klassik zu verantworten, gegeben hatte. Das ansonsten informationsreiche Booklet geht streng mit der Oper um, da sie einen Angriffskrieg verherrliche, übersieht dabei, dass es sich beim ersten Kreuzzug um das Bemühen handelte, den christlichen Pilgern die Wallfahrt nach Jerusalem wieder möglich zu machen, die durch die Eroberungen der türkischen Seldschuken unmöglich geworden war, und dass sich Gottfried von Bouillon weigerte, sich zum König von Jerusalem krönen zu lassen.

Die Erfahrung mit dieser Musik merkt man nicht nur dem Orchester, sondern auch dem Chor des Bayerischen Rundfunks an, was gut ist, denn wie Nabucco sind die Lombardi eine Choroper mit vielfältigen Aufgaben für den Klangkörper, seien es die bösen Verschwörer um den Vatermörder Pagano, die frommen Nonnen in Mailand, die Kreuzfahrer in Not oder Jubel, die Haremsdamen, Pilger und Pilgerinnen in wechselnder Verfassung.

Auch die Solisten-Besetzung ist wie bei den vergangenen Aufnahmen, die Marina Rebeka, Leo Nucci und Ildebrando D’Arcangelo aufführten, eine prominente.  An der Spitze des Ensembles steht der italienische Bass Michele Pertusi, der einen zunächst dunkel dräuenden, danach balsamisch den Ohren schmeichelnden Pagano singt, hörbar belcantogeschult, präsent auch in den kleinen Notenwerten, mit viel slancio in der Cabaletta O speranza di vendetta und Nachdruck für Chi accusa Iddio. Die vielfältigen Gemütsregungen der Figur finden stets ihren adäquaten Ausdruck. Ein großes Plus für die Aufnahme stellt auch die Griselda von Nino Machaidze dar, deren Sopran an Gilda denken lässt, im Gebet des ersten Akts frisch, apart und klar klingt, die sanfte Tongespinste für den zweiten Akt hat, sicher die Intervallsprünge der Cabaletta meistert und innig das O belle, a questa misera klingen lässt. Den einzigen Schlager des Werks singt mit La mia letizia infondere der Oronte, quasi das Mio babbino caro für Tenöre und gern als Zugabe gesungen. Piero Pretti verfügt über ein recht anonymes Timbre, eine sichere Höhe und steht damit auf der Habenseite dieser CD. Es gibt aber erstaunlicherweise noch einen zweiten Tenor mit einer tragenden Rolle, den Arvino, Anführer der Lombardi und Vater Griseldas. Diese Partie wird gern mit alternden Sängern besetzt, was hier ganz und gar nicht der Fall ist, denn Galeano Salas konkurriert durchaus mit Pretti um die schönste Tenorstimme der Aufnahme, so mit einem machtvollen Parricida. Seine Gattin Viclinda wird von Réka Kristȯf rollengemäß gesungen, während Ruth Volpert eine mütterlich klingende Sofia ist.

Hat man diese Aufnahme gehört, fragt man sich ein weiteres Mal, warum das Werk es nicht ins Repertoire der Opernhäuser geschafft hat (BR Klassik 900351). Ingrid Wanja           

Victoria de los Ángeles

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Legendäre Primadonnen tragen oft einen Beinamen – ob la   Divina, la Stupenda oder la Superba. Der katalanischen Sängerin Victoria de los Angeles, die am 1. November 2023 ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte, gebührte ganz sicher der Zusatz la Suprema. Wie kaum eine andere Sopranistin ihrer Zeit vermochte sie in ihrer Gesangskunst – ob auf der Bühne, im Konzertsaal, auf dem Liedpodium oder im Aufnahmestudio – Klang, Sprache, Gefühl, Raffinement und Charme in höchster Vollendung zu vereinen. In ihrem Geburtsnamen trägt sie den Namen García und  erinnert damit an den legendären spanischen Opernsänger und Gesangspädagogen Manuel García, Vater der berühmten Diven Maria Malibran und Pauline Viardot. In ihrem Gesangsstil glaubt man die Inspiration des großen Namensvetters zu hören – Timbre, Phrasierung, Innigkeit, Noblesse und Eleganz verbinden sich zu sublimer, aristokratischer Vollkommenheit.

Ihre Stimme war ein Falcon-Sopran, benannt nach der französischen Sängerin Cornélie Falcon, deren Stimme zwischen Sopran und Mezzosopran positioniert und mit starkem tiefem Register ausgestattet war. Das erklärt die gelegentlichen Probleme der Katalanin bei Spitzentönen, aber auch ihre Eignung für hybride Partien zwischen den Registern.

Ihrem Debüt 1944 in Barcelona folgte eine internationale Karriere, die sie an alle bedeutenden Opernhäuser führte. In realistischer und kluger Einschätzung ihrer Möglichkeiten und Grenzen reduzierte sie in den 1960er Jahren ihre Opernauftritte und konzentrierte sich fortan auf den Liedgesang und eine ausgedehnte Tätigkeit im Aufnahmestudio. In der Saison 1990/91 kehrte sie zum letzten Mal an das Gran Teatre del Liceu in Barcelona zurück, um in der szenischen Uraufführung von Manuel de Fallas Kantate Atlántida mitzuwirken. Ich selbst erlebte sie noch Mitte der 1990er Jahre in einem späten Recital-Auftritt an der Hamburgischen Staatsoper, wo sie trotz Indisposition sang und dennoch mit ihrer Persönlichkeit, Aura und Musikalität bezauberte. In ihrer Heimatstadt starb sie am 15. Januar 2015.

Warner würdigt die Sängerin anlässlich ihres 100. Geburtstages mit einer Sonderedition, einem prall gefüllten Schuber, der auf 59 CDs ihre kompletten Aufnahmen auf His Master’s Voice & La Voix de son maitre versammelt. Neben Maria Callas, Elisabeth Schwarzkopf, Nicolai Gedda und Dietrich Fischer-Dieskau war de los Angeles eine der Ikonen dieser Firma. Die Einspielungen entstanden zwischen 1948 und 1977, umfassen also einen Zeitraum von fast 30 Jahren und bieten nicht weniger als 21 komplette Opernaufnahmen. Früheste ist Rossinis Il Barbiere di Siviglia von 1952 unter Tullio Serafin mit Gino Bechi in der Titelrolle. Hier etabliert sich die Sängerin mit Anmut und Charme als Nachfolgerin ihrer charismatischen Landsfrau Conchita Supervia und bereitet den Weg für Teresa Berganza. Zehn Jahre später nahm sie die Rosina unter Vittorio Gui noch einmal auf (mit Sesto Bruscantini als Figaro). In dieser Produktion vom Festival Glyndebourne ist ihre Interpretation reifer und fraulicher.

1953 sang sie die Nedda in Leoncavallos Pagliacci unter Renato Cellini, bemerkenswert deshalb, weil hier der große schwedische Tenor Jussi Björling erstmals ihr Partner im Studio war. Später sollte sie noch seine Mimì in Puccinis La Bohème unter Thomas Beecham (1956) und seine Cio-Cio-San in Madama Butterfly unter Gabriele Santini (1959) sein. Beide Aufnahmen zählen zu ihren bedeutendsten Leistungen, weil ihre Stimme sich für diese fragilen Partien des Komponisten als ideal erweist. Sie ist zart, anrührend, innig und reich an Valeurs. In den zehn Jahren an der New Yorker Met, wo sie in 13 Partien 103 Vorstellungen absolvierte, war Björling ihr häufigster Bühnenpartner. Sie und er galten für lange Zeit als das gefeierte New Yorker Traumpaar der Oper.

Puccinis Geisha hatte de los Angeles schon 1954 unter Gianandrea Gavazzeni mit Giuseppe di Stefano als Pinkerton eingespielt. Im Trittico des Komponisten war sie die bewegende Titelheldin Suor Angelica (1957 unter Tullio Serafin) und die bezaubernde Lauretta in Gianni  Schicchi (1958 unter Gabriele Santini). Giuseppe Verdi ist nur mit zwei Partien belegt. Die erste war die Amelia in Simon Boccanegra, der von Tito Gobbi in der Titelpartie geadelt wird (1957 unter Gabriele Santini). Der noble Vortrag und die sublime Phrasierung sind zweifellos Vorzüge ihrer Interpretation, lassen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, das die Partie in ihrem Repertoire keine zentrale Position einnimmt.1959 folgte die Violetta in La Traviata unter Tullio Serafin. Sie feierte mit dieser Rolle große internationale Erfolge, trotz der mitunter forcierten, grellen Spitzentöne in „Sempre libera“, was selbst bei der Aufnahme zu spüren ist. Sicher entsprach auch die femme fatale des 1. Aktes nicht wirklich ihrem Charakter, aber ihre menschliche Darstellung, die Wärme, der Schmerz und die ergreifende Gestaltung des tragischen Endes machen sie zu einer anrührenden und gültigen Interpretin der Rolle.

Ein anderer legendärer Tenor, der Schwede Nicolai Gedda, war gleichfalls ein regelmäßiger Partner im Studio. 1953 trafen sie sich erstmals für die Einspielung von Gounods Faust unter André Cluytens. Margeruites Lied „Il était un roi de Thulé“ singt sie mit einer Fülle von Farben und Nuancen. In der Juwelen-Arie aber ist die Mühe der Sängerin mit den Spitzentönen zu merken. Doch ihr gelingt ein glaubhaftes und damit überzeugendes Porträt der Figur. 1958 gab es eine Wiederholung in eben dieser Besetzung.1959 folgte ihre legendäre Carmen unter Thomas Beecham mit Gedda als Don José. Von Kennern wird sie noch heute als die gültigste Interpretin der Partie geschätzt. In keinem Moment ist die Sängerin ordinär oder gar vulgär, greift nie zu veristischen Ausdrucksmitteln, bleibt stets maßvoll. Die Habanera und Séguidille, Hits der Partie, interpretiert sie wie Chansons – durchaus mit Sinnlichkeit, aber vor allem Grazie. Im selben Jahr wurde die Charlotte in Massenets Werther mit dem Schweden in der Titelpartie dokumentiert, welche die Affinität der Sängerin zum französischen Repertoire belegt. Ihre Interpretation zeichnet sich durch sublime, delikate Nuancen aus. Schon 1955 hatte sie ihre Neigung für das französische Idiom mit der Titelpartie in Massenets Manon unter Pierre Monteux eindrücklich bewiesen. Ihre Stimme lässt hier anfangs einen mädchenhaften, unschuldigen Klang hören, der sich erst später in einen sinnlichen wandelt. Auch die Mélisande in Debussys Oper (1954 unter André Cluytens) zeugt davon. Für längere Zeit war es ihre letzte Aktivität im Studio, bis es fast fast zehn Jahre später ein Comeback gab für Vivaldis Orlando furioso unter Claudio Scimone.

Schier unüberschaubar ist das Liedrepertoire der Sängerin, vergleichbar nur dem des deutschen Baritons Dietrich Fischer-Dieskau. Verdienstvoll ist zweifellos ihr unermüdlicher Einsatz für das spanische und katalanische  Liedgut, aber sie hat auch häufig französische mélodies, italienische canzoni, englische songs und deutsche Kunstlieder gesungen. Davon zeugen ihre Recitals, von denen The Warner Classics Edition nicht weniger als 20 vereint.

Hinreißend ist eine Zusammenstellung mit Musik von Bach, Händel und Mozart, aufgenommen 1959, bei der die Solistin vom London Symphony Orchestra unter Adrian Boult begleitet wird. Fülle des Wohllauts und Innigkeit des Ausdrucks gehen hier eine vollkommene Synthese ein. Mozarts Motette „Exultate, jubilate“ beginnt sie mit gebührendem Jubel, das „Tu virginim corona“ erklingt in keuscher Schlichtheit. Voller Bewunderung hört man das „Laudate Dominum“ aus der Vesperae solennes de Confessore in seinem Ton von himmlischer Verklärung.

Auch bei ihrem Album A World of Song wird die Sängerin von einem Orchester, der Sinfonia of London unter Rafael Frühbeck de Burgos, begleitet. Das Programm umfasst Lieder von Mendelssohn Bartholdy, Grieg, Brahms, Dvorák, Martini, Hahn, Delibes, Sadero, Yradier, Chapí u.a. zeigt ihre Vielseitigkeit und Entdeckerfreude.

Legendär ist die Zusammenarbeit der Sopranistin mit dem singulären Pianisten Gerald Moore. 1960 trafen sich beide in den EMI Studios in Barcelona für das Album The Fabulous Victoria de los Angeles mit Kompositionen von Alessandro Scarlatti, Händel, Schubert, Brahms, Fauré, Granados, Guridi, Nin, Turina und Valverde. Im letzten Titel,  „Adiós Granada“ von Barrera&Calleja, begleitet die Sängerin sich selbst auf der Gitarre. Die Platte Victoria de los Angeles In concert hält als Erstveröffentlichung auf CD ein Recital der Sängerin und des Pianisten 1964 in der Londoner Royal Festival Hall fest. Auch hier ist das Programm vielseitig wie stets und reicht von Monteverdi und Händel über Schubert und Brahms bis zu de Falla und Valverde. Und wieder greift die Sängerin am Ende zur Gitarre, um sich bei „Adiós Granada“ selbst zu begleiten.

1960 gab es eine denkwürdige Begegnung von Victoria de los Angeles mit Dietrich Fischer-Dieskau in Berlin, woraus eine Duett-Platte mit Werken von Purcell, Haydn, Bach, Beethoven, Berlioz, Dvorák, Tschaikowsky, Saint-Saëns und Fauré entstand. Beiden Interpreten gelingt das Wunder, das eigene Timbre unverkennbar zu bewahren und trotzdem einen perfekten Zusammenklang zu erzielen. Schließlich kam es am 20. Februar 1967 zum legendären Zusammentreffen von Elisabeth Schwarzkopf, Dietrich Fischer-Dieskau und der Katalanin in der Royal Festival Hall, die den Pianisten mit dem Programm Homage to Gerald Moore ehrten. In Solostücken, Duetten und Terzetten von Mozart, Brahms, Mendelssohn Bartholdy und Haydn vereinen sie sich zu lebhaften, ernsten und humorvollen Gesängen. Ein Kuriosum ist das lange Zeit Rossini zugeschriebene, in Wirklichkeit von de Pearsall stammende „Duetto buffo di due gatti“, in welchem die beiden Damen sich gegenseitig mit hinreißend verstellten Stimmen zu übertreffen suchen. Ergänzt wird die CD mit Nummern aus der Veröffentlichung A Tribute to Gerald Moore mit Canciónes von Nin und Halffter sowie der Kuriosität eines Titels aus Schumanns Dichterliebe („Ich grolle nicht“), den Moore singt und de los Angeles am Klavier begleitet.

Das früheste der französischen Alben stammt aus dem Jahr 1962 und wurde in der Pariser Salle Wagram mit dem Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire aufgenommen. Das Recital offeriert bekannte französische Zyklen und mélodies – von Maurice Ravel Shéhérazade, Cinq Mélodies populaires grecques und Deux Mélodies hébraïques, von Henri Duparc die bekannten Stücke „L’Invitation au voyage“ und „Phidylé“ sowie aus Claude Debussys L’Enfant prodigue das Air de Lia „L’année envain chasse“. Bei diesem Repertoire hat die Sängerin große

Konkurrenz von französischen Interpretinnen wie Ninon Vallin und Régine Crespin, was auch auf das nächste Album Mélodies mit Debussys Trois Chansons de Bilitis und Fêtes galantes, Ravels Chants populaires sowie einigen Titeln von Hahn und Fauré zutrifft. Hier begleitet Gonzalo Soriano am Flügel. Mit ihrer flirrenden Stimme, der reichen Farbpalette und der sublimen Ausdeutung des Textes kann sich die Katalanin souverän in dieser Riege behaupten. Eher Randrepertoire sind die beiden Alben mit Chants d´ Auvergne von 1969 und 1974 mit dem Orchestre Lamoureux unter Jean-Pierre Jacquillat, aber das erste bietet als Ergänzung noch Ernest Chaussons bekannten Zyklus Poème de l’amour et de la mer.

Aus dem reichen spanischen Repertoire, das mit neun Alben vertreten ist, sei zuerst mein persönlicher Favorit genannt – die Zarzuela Arias von 1957 mit den Profesores de la Orquesta Nacional de España unter Rafael Frühbeck de Burgos. Das Genre steht für die spanische Operette, versprüht Temperament und Lebensfreude. In der Auswahl  findet man Klassiker wie das „Canción de la gitana“ aus La tempranica von Giménez, den „Tango de la menegilda“ aus La gran via von Chueca oder das „Canción de Paloma“ aus El barberillo de Lavapiès von Barbieri. Lustvoll tupft de los Angeles die Töne, jongliert geradezu mit den Noten, bezaubert mit Koketterie und Charme.

Zu nennen sind vor allem die frühe Platte Traditional Songs of Spain von 1950/52/53 mit der Gitarristin Renata Tarragó und Five Centuries of Spanish Songs (1300 – 1800) von 1955/60, wo die Sängerin von einem Instrumentalensemble begleitet wird und Kompositionen aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem Barock interpretiert. Der Pianist Gonzalo Soriano tritt auch als Begleiter beim Album 20th Century of Spanish Songs in Erscheinung, aufgenommen 1962 in Barcelona, mit Kompositionen vom de Falla, Granados, Mompou, Montsalvatge u. a. Ein ähnliches Repertoire findet sich auf dem Album Cantos de España aus den frühen 1960er Jahren, nur begleitet hier das Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire unter Rafael Frühbeck de Burgos. Die Platte wird ergänzt mit Ausschnitten aus der berühmten Einspielung von de Fallas El amor brujo unter Carlo Maria Giulini von 1963. Nicht vergessen darf man die Platte The Concert at Hunter College, wo die Sängerin 1971 in der City University of New York  von der legendären spanischen Pianistin Alicia de Larrocha begleitet wird und ein rein spanisches Repertoire (Literes, Laserna, Granados, de Falla und Giménez) präsentiert.

Die repräsentative Box dürfte vor allem für Musikfreunde am Beginn einer Sammlung ein lukratives Angebot sein. Aber auch für die aficionados der Sängerin ist die Ausgabe verlockend wegen der beiden ersten CDs, die Opernarien und Lieder aus der 78er Ära enthalten. Da finden sich Raritäten und Erstveröffentlichungen wie die bezaubernd gesungene Kavatine des Cherubino „Voi che sapete“ aus Mozarts Figaro als Dokument aus dem Jahre 1949 mit dem Philharmonia Orchestra unter Walter Susskind. Beide sind auch die Partner bei einer frühen Aufnahme der Mimì-Arie aus La bohème, gleichfalls von 1949. Bei zwei Wagner-Titeln, Elsas „Einsam in trüben Tagen“ aus Lohengrin und Elisabeths Hallenarie aus Tannhäuser, steht Anatole Fistoulari am Pult dieses Orchesters. Letzteres Stück erinnert an den gefeierten Auftritt der Sängerin in Bayreuth 1961 unter Wolfgang Sawallisch. Aber auch die Elsa hat sie auf der Bühne verkörpert – 1964 am Teatro Colón in Buenos Aires unter Lovro von Matacic.

Victoria de los Angeles, la Fabulosa, gebührt im Sängerolymp ein würdiger Ehrenplatz. Ein solcher dürfte auch der verdienstvollen Warner-Edition in den Plattenregalen der Musikfreunde sicher sein. Bernd Hoppe

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Victoria de los Angeles – The Warner Classics Edition (Complete Recordings on His Master’s Voice & La Voix de son maitre). Mit Werken von: Joseph Canteloube (1879-1957) , Gioacchino Rossini (1792-1868) , Giacomo Puccini (1858-1924) , Georges Bizet (1838-1875) u. a.
Künstler: Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda, Mady Mesple, Elisabeth Schwarzkopf, Marilyn Horne, Luigi Alva, Gerard Souzay, Boris Christoff, Richard Lewis, Arnold Goldsborough, Dietrich Fischer-Dieskau, Orchestre National de France, Philharmonia Orchestra, Goldsbrough Orchestra, Thomas Beecham, Stanford Robinson, Anatole Fistoulari, Walter Susskind; 59 CDs Warner 5419752928, ADD, 1948-1977 Erscheinungstermin: 20.10.2023

1./2.CD „The 78-rpm Era“Opernarien & Lieder von Francesco Cavalli, Manuel de Falla, Charles Gounod, Enrique Granados, Georg Friedrich Händel, Jules Massenet, Wolfgang Amadeus Mozart, Giacomo Puccini, Joaquin Turina, Richard Wagner, Johannes Brahms, Ernesto Fuste, Jesus Guridi, Joaquin Nin, Ottorino Respighi, Robert Schumann, Eduardo Toldra, Joaquin Valverde, Amadeo Vives
3.CD „Spanish Songs – Traditional Songs of Spain“ – A dormir ahora mesmo; Adios meu homino; Ahi tienes mi corazon; Andregaya; Campanas de Belen; Cancion de trilla; Din, dan, boleran; El cant dels ocells; El Rossinyol; El Testament d’Amelia; Jaeneras que yo canto; La vi llorando; Mina nay por me casare; Nik baditut; Parado de Valldemossa; Playera; Si quieres saber coplas; Tengo que subir; Ya se van los pastores
4.CD „Five Centuries of Spanish Songs 1300-1800“ – Lieder von Juan Cornago, Esteban Danza, Juan del Encina, Enrique? (ca. 1488), Miguel de Fuenllana, Gabriel Mena, Luis Milan, Enriquez de Valderrabano, Juan Vasquez, Anonymus, Traditionals
5.CD Johann Sebastian Bach: Choral „Ich, dein betrübtes Kind“ aus Kantate BWV 199; Arie „Mein gläubiges Herze“ aus Kantate BWV 68; Cesar Franck: La Procession; Georg Friedrich Händel: „As when the dove laments her love“ aus Acis and Galatea HWV 49; „So shall the lute and harp awake“ aus Judas Maccabaeus HWV 63; „Sit nomen Domini“ aus Laudate Pueri Dominum HWV 236; Wolfgang Amadeus Mozart: Konzertarie KV 505; Motette „Exsultate, jubilate“ KV 165; „Laudate Dominum“ aus Vesperae solennes de Confessore KV 339; Heitor Villa-Lobos: Bachanas brasileiras Nr. 5
6.CD „The Fabulous Victoria de los Angeles“ – Tomas Barrera: Adios, Granada; Johannes Brahms: Dein blaues Auge op. 59 Nr. 8; Vergebliches Ständchen op. 84 Nr. 4; Gabriel Faure: Chanson d’amour op. 27 Nr. 1; Clair de lune op. 46 Nr. 2; Jesus Guridi: Canciones castellanas Nr. 4 & 5; Georg Friedrich Händel: O hätt ich Jubals Harf aus Joshua HWV 64; Joaquin Nin: 3 Cantos populares espanoles; Francesco Sacrati: E dove t’aggiri; Alessandro Scarlatti: Le Violette; Franz Schubert: An die Musik & Die schöne Müllerin aus Die schöne Müllerin D. 795; Der Tod und das Mädchen D. 531; Joaquin Turina; Tu pupilla es azul op. 82 Nr. 2; Joaquin Valverde: Clavelitos
7.CD „Duets“ (mit Dietrich Fischer-Dieskau) – Johann Christian Bach: Ah! lamenta, oh bella Irene; Ludwig van Beethoven: He promised me at parting; Oh! would I were but that sweet linnet; The bid me slight my Dermot dear; The Dream; Hector Berlioz: Le Trebuchet; Antonin Dvorak: Mährische Duette „Möglichkeit“ & „Der Apfel“; Gabriel Faure: Pleurs d’or op. 72; Joseph Haydn: Schlaf in deiner engen Kammer; Henry Purcell: Let us wander; Lost is my quiet; Camille Saint-Saens: Pastorale; Franz Schubert: Nur wer die Sehnsucht kennt D. 877 Nr. 4; Peter Tschaikowsky: Scottish Ballad op. 46 Nr. 2
8.CD „20th Century Spanish Songs“ – Manuel de Falla: Canciones populares espanolas; Frederic Mompou: El combat del somni; Xavier Montsalvatge: Canciones negras; Joaquin Rodrigo: Madrigales amatorios; Pastorcito Santo; Eduoardo Toldra: Canco de grumet; As frolinas dos toxos; Joaquin Turina: Farrica op. 45 Nr. 1
9.CD „Cantos de Espana“ – Oscar Espla: Cinco canciones playeras espanolas; Manuel de Falla: 2 Arien aus La Vida breve; Enrique Granados: 2 Cancionas Amatorias; Xavier Montsalvatge: 5 Canciones negras; Joaquin Rodrigo: 4 Madrigals amatorios
10.CD „A French Recital“ – Claude Debussy: Recit et Air aus L’Enfant prodigue; Henri Duparc: L’Invitation au voyage; Phidyle; Maurice Ravel: Sheherazade; 5 Melodies populaires grecques; 2 Melodies hebraiques
11.CD „In Concert“ (Royal Festival Hall) – Johannes Brahms: Liebestreu op. 3 Nr. 1; Vergebliches Ständchen op. 84 Nr. 4; Rafael Calleja: Adios, Granada; Manuel de Falla: Canciones populares espanolasa Nr. 4 & 7; Georg Friedrich Händel: Vanne, sorella ingrata aus Radamisto HWV 12a; Claudio Monteverdi: Maledetto sia l’aspetto; Ohime ch’io cado; Xavier Montsalvatge: Cancion negra Nr. 5; Joaquin Nin: Pano murciano; Asturiana; Joaquin Rodrigo: Cancion del grumete; Cuatro madrigales amatorios; Trovadorecsa; Franz Schubert: Nein aus Die schöne Müllerin D. 795; Lachen und Weinen D. 777; Joaquin Valverde: Clavelitos; Ralph Vaughan-Williams: Blow the Wind southerly; I will walk with my Love; The Roadside Fire; Una matica de ruda (Sephardisches Lied)
12.CD „A World of Song“ – Johannes Brahms: Wiegenlied op. 49 Nr. 4; Ruperto Chapi: Carceleras; Leo Delibes; Irish Lullaby; Les Filles de Cadix; Antonin Dvorak: Als die alte Mutter op. 55 Nr. 4; Edvard Grieg: Ich liebe dich op. 5 Nr. 3; Reynaldo Hahn: L’Enamouree; Pablo Luna: De Espana vengo; Jean Paul Hartmann: Plaisir d’amour; Felix Mendelssohn: Auf Flügeln des Gesanges op. 34 Nr. 2; Jayme Ovalle: Azulao; Geni Sadero: Era la vo; Sebastian Yradier: La Paloma
13.CD „Melodies“ – Claude Debussy: Fetes galantes; Noel des enfants qui n’ont plus de maison;Chansons de Bilitis; Maurice Ravel: Chants populares; Reynaldo Hahn: Trois jours de vendange; Le Rossignol des lilas; Gabriel Faure: Au bord de l’eau op. 8 Nr. 1; Pie Jesu aus Requiem op. 48; Les Roses d’Ispahan op. 39 Nr. 4; Tristesse op. 6 Nr. 2; Toujours op. 21 Nr. 2
14.CD „Homage to Gerald Moore“ – Johannes Brahms: Der Gang zum Liebchen op. 48 Nr. 1; Sapphische Ode op. 94 Nr. 4; Vergebliches Ständchen op. 84 Nr. 4; Enrique Granados: La Maja y el Ruisenor; Christobal Halffter: Malaguena; Joseph Haydn: An den Vetter; Daphnens einziger Fehler; Felix Mendelssohn: Ich wollt meine Lieb ergösse sich op. 63 Nr. 1; Gruß op. 63 Nr. 3; Lied Nr. 3 aus Ruy Blas; Abendied WoO 11 Nr. 2; Wasserfahrt WoO 11 Nr. 3; Wolfgang Amadeus Mozart: Ecco quel fiero istante KV 436; Canzonetta KV 549; Joaqun Nin: Malaguena; Robert Lucas de Pearsall: Katzenduett (ehemals Rossini zugeschrieben); Gioacchino Rossini: La Regata veneziana; La Pesca
15.CD „Songs of Andalusia“ / „Songs of Catalonia“ – Alfonso el Sabio: Rosa da rosas; Maravillosos e piadosos; Francisco Guerrero: Dexo la venda; Federico Mompou: El combat del somni; Cristobal de Morales: Si no’s huviera mirado; Gines de Morata: Aqui me declaro su pensiamento; Alfonso de Mudarra: Dime a do tienes las mientes; Luis de Narvaez: Paseabase el rey moro; Francisco Ortega: Pues que me tienes; Joaquin Rodrigo: Triptic de Mossen Cinto; Eduardo Toldra: Quatre cancons; Francisco de la Torre: Damos gratias a ti, Dios; 11 spanische & sephardische Traditionals
16.CD Ernest Chausson: Poeme de l’amour et de la mer; Joseph Canteloube: Chants d’Auvergne
17.CD „Spanish & Sephardic Songs“ – Manuel de Falla: Psyche; Soneto a Cordoba; 19 spanische & sephardische Traditionals
18.CD „Live at Hunter College“ – Manuel de Falla: Siete Canciones populares espanolas; Jeronimo Gimenez: Zapateado; Enrique Granados; Coleccion de canciones amatorias; Celeccion de Tonadillas; Blas de Laserna: El tripili; Antonio Literes: Confiado jilguerill aus Acis y Galatea
19.CD „Pastorale“ – Joseph Canteloube: Chants d’Auvergne
20./21.CD Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia (Gesamtaufnahme 1952 / Victoria de los Angeles, Gino Bechi, Nicola Rossi-Lemeni, Anna Maria Canali, Orchestra Sinfonica di Milano, Tullio Serafin)
22.CD Ruggiero Leoncavallo: Pagliacci (Gesamtaufnahme 1953 / Victoria de los Angeles, Jussi Björling, Robert Merrill, RCA Victor Orchestra, Renato Cellini)
23.-25.CD Charles Gounod: Faust (Gesamtaufnahme 1953 / Victoria des los Angeles, Nicolai Gedda, Boris Christoff, Orchestre de l’Opera National de France, Andre Cluytens)
26./27.CD Giacomo Puccini: Madama Butterfly (Gesamtaufnahme 1954 / Victoria de los Angeles, Giuseppe di Stefano, Tito Gobbi, Orchestra del Teatro dell’Opera die Roma, Gianandrea Gavazzeni)
28./29.CD Jules Massenet: Manon (Gesamtaufnahme 1955 / Victoria de los Angeles, Henri Legay, Rene Herent, Orchestre du Theatre National de l’Opera-Comique, Pierre Monteux)
30./31.CD Giacomo Puccini: La Boheme (Gesamtaufnahme 1956 / Victoria de los Angeles, Robert Merrill, Jussi Björling, RCA Victor Ochestra, Thomas Beecham)
32.-34.CD Claude Debussy: Pelleas et Melisande (Gesamtaufnahme 1954 / Victoria de los Angeles, Jacqus Jansen, Gerard Souzay, Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise, Andre Cluytens)
34.CD „Italian Opera Arias“ – Arien von Arrigo Boito, Alfredo Catalani, Pietro Mascagni, Giacomo Puccini, Gioacchino Rossini, Giuseppe Verdi
35.CD Giacomo Puccini: Suor Angelica (Gesamtaufnahme 1957 / Victoria de los Angeles, Fedora Barbieri, Lydia Marimpietri, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Tullio Serafin)
36./37.CD Giuseppe Verdi: Simon Boccanegra (Gesamtaufnahme 1957 / Victoria de los Angeles, Tito Gobbi, Boris Christoff, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Gabriele Santini)
38.-40.CD Georges Bizet: Carmen (Gesamtaufnahme 1959 / Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda, Janine Micheau, Ernest Blanc, Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise, Thomas Beecham)
41.CD Giacomo Puccini: Gianni Schicchi (Gesamtaufnahme 1958 / Tito Gobbi, Victoria de Los Angeles, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Gabriele Santini)
42.-44.CD Charles Gounod: Faust (Gesamtaufnahme 1958 / Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda, Boris Christoff, Ernest Blanc, Liliane Berton, Rita Gorr, Orchestre du Theatre National de l’Opera de Paris, Andre Cluytens)
45./46.CD Giuseppe Verdi: La Traviata (Gesamtaufnahme 1959 / Victoria de los Angeles, Sylvia Bertona, Mario Sereni, Vico Polotto, Carlo del Monte, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Tullio Serafin)
47./48.CD Giacomo Puccini: Madama Butterfly (Gesamtaufnahme 1959 / Victoria de los Angeles, Jussi Björling, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Gabriele Santini)
49.CD Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana (Gesamtaufnahme 1962 / Victoria de los Angeles, Franco Corelli, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Gabriele Santini)
50./51.CD Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia (Gesamtaufnahme 1962 / Victoria de los Angeles, Sesto Bruscantini, Luigi Alva, Ian Wallace, Royal Philharmonic Orchestra, Vittorio Gui)
52.CD Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann (4. Akt); Hector Berlioz: L’Enfance du Christ (Auszüge)
53.CD Henry Purcell: Dido and Aeneas (Gesamtaufnahme 1965 / Victoria de los Angeles, Heather Harper, Patricia Johnson, English Chamber Orchestra, John Barbirolli)
54.CD Manuel de Falla: La Vida breve (Gesamtaufnahme 1965 / Victoria de los Angeles, Ines Rivadeneyra, Ana Maria Higueras, Carlos Cossutta, Orquesta Nacional de Espana, Rafael Frühbeck de Burgos); Enrique Granados: Coleccion de Tonadillas
55.CD „Zarzuela Arias“ – Arien von Francisco Barbieri, Ruperto Chapi, Fernandez Caballero, Federico Chueca / Joaquin Valverde, Jeronimo Gimenez, Vicente Lleo, Jose Serrano
56./57.CD Jules Massenet: Werther (Gesamtaufnahme 1959 / Nicolai Gedda, Victoria de los Angeles, Mady Mesple, Roger Soyer, Jean-Christophe Benoit, Christos Grigoriou, Andre Mallabrera, Orchestre de Paris, Georges Pretre)
58./59.CD Antonio Vivaldi: Orlando furioso (Gesamtaufnahme 1977 / Marylin Horne, Victoria de los Angeles, Carmen Gonzales, I Solisti Veneti, Claudio Scimone)

Akustischer Nachtrag

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Der Film Il Boemo des tschechischen Regisseurs Petr Vaclav erzählt die Geschichte des böhmischen Komponisten Josef Myslivecek, der von 1737 bis 1781 lebte, nach Italien ging und dort zu einem berühmten Opernkomponisten avancierte. In Bologna lernte er 1770 Mozart kennen, mit dem er sich anfreundete und in seiner Musik auch stilistische Verwandtschaft zeigt. Nach Jahren der Vergessenheit galt erst in jüngster  Zeit seinem Werk wieder die verdiente Aufmerksamkeit der Musikliebhaber – auch dank dieses Films von 2022 als tschechisch-slowakisch-italienische Koproduktion.

Dankenswerterweise hat ERATO nun eine CD mit dem Soundtrack herausgebracht, so dass man auch rein akustisch  die Vielfalt des Schaffens von Myslivecek nachhören kann (5054197238147). Die Aufnahmen der Opernszenen fanden bereits 2019 in der Prager St. Anna Kirche und im Teatro Sociale von Como statt. Es musiziert das im Barockgenre renommierte Prager Ensemble Collegium 1704 unter seinem Leiter Václav Luks. Es eröffnet die Anthologie mit der dreisätzigen Overture aus der Oper Ezio von 1777. Sie zeigt die Nähe zu Mozart schon im einleitenden lebhaften Allegro con spirito, zu dem das mittlere Andantino affettuoso in seinem graziösen Charakter einen schönen Kontrast bildet und das finale Presto einen turbulenten Ausklang bringt.

Prominente Gesangssolisten sind am Werk, darunter die ungarische Sopranistin Emöke Baráth und der französische Countertenor Philippe Jaroussky. Sie  bringt den ersten Gesangsbeitrag zu Gehör – die Arie der Cleonice, „Mi parea del porto“, aus Demetrio (1779). Die noble Stimme lässt sogleich an die Figaro-Contessa denken, und auch die Arie in ihrer kantablen, wehmütigen Stimmung weckt die Erinnerung an diese große Figur in Mozarts Schaffen. Der Schlussteil ist gespickt mit Koloraturen und wird von der Interpretin glänzend bewältigt. Er folgt mit der Arie des Licida, „Gemo in un punto“, aus L’Olimpiade (1778), in der er wieder seinen infantilen Stimmklang hören lässt, und singt später daraus noch eine weitere Arie des Licida, „Mentre dormi“, auch diese in knabenhafter Manier. Auch die hierzulande noch weniger bekannte deutsche Mezzosopranistin Sophie Harmsen präsentiert mit der dramatischen Arie der Argene „Che non mi disse“ einen Titel aus diesem Werk. Sie sorgt damit für einen Höhepunkt in der Sammlung, trägt das aufgewühlte Stück mit erregtem Ausdruck vor. Schließlich endet die Anthologie mit drei Ausschnitten daraus, zwei Rezitativen zwischen Megacle und Licida sowie der Arie der Megacle „Se cerca, se dice“ mit der bekannten italienischen Sopranistin Raffaella Milanesi. Stilistisch versiert, trägt sie die Arie mit reicher Gefühlsempfindung vor und macht im Schlussteil den seelischen Aufruhr der Figur deutlich.

Sophie Harmsen singt vorher eine Arie der Eva, „Non so se il mio peccato“, aus der unbekannten Oper Adamo ed Eva (1771).  Die reizvoll androgyne Stimme bietet den elegischen Titel mit feinen Konturen. Lohnend ist die Bekanntschaft mit dem polnischen Tenor Krystian Adam, der die Arie des Ariobate, „Pria ch’io perda“,  aus Il Bellerofonte vorstellt. Die wohllautende Stimme von beherztem Ausdruck dürfte auch ein glänzender Tito sein, bringt das Stück des Böhmen mit perfektem stilistischem Einfühlungsvermögen zu Gehör. Es ist Mysliveceks zweite Oper aus dem Jahre 1767, komponiert für die Geburtstagsfeier des neapolitanischen Königs Karl III., mit der er im Teatro San Carlo von Neapel seinen Durchbruch in Italien errang. Daraus singt die slowakische Sopranistin Simona Saturovà die bravouröse Arie der Argene mit obligatem Horn „Palesar vorrei col pianto“, welche die längste Nummer des Programms darstellt und dem Horn reizvolle solistische Einsätze gewährt. Die Stimme ist im Klang etwas larmoyant., aber gebührend virtuos für das Zierwerk, die Kadenz allerdings in ihrer Ausdehnung überzogen. Später ist sie noch als Rinaldo aus Armida (1779) zu hören. Die Arie „Il caro mio bene“ ist ein anmutiges Andante, das wiederum an Mozart denken lässt. Beim Quartett „Deh in vita ti serba“ aus Romolo ed Ersilia (1776) werden Baráth und Jaroussky durch den deutschen Altus Benno Schachtner und den spanischen Tenor Juan Sancho ergänzt. Letzterer lässt durch den virilen Charakter seiner Stimme und die zupackende Gestaltung in Idomeneo-Nähe aufhorchen.

Die CD ist eine Fundgrube für die Musik des böhmischen Komponisten und eine Gelegenheit, sein Werk neu zu entdecken – sie sei allen Musikliebhabern empfohlen. Bernd Hoppe

Cécile Chaminade

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Die Mezzosopranistin Katharina Kammerloher und der Pianist Johann Blanchard haben aus dem umfangreichem Liedschaffen der französischen Komponistin Cécile Chaminade eine Auswahl (bei MDG) zusammengestellt, die nun als Welt-Ersteinspielung vorliegt. Bei drei Liedern stand ihnen die Geigerin Jiyoon Lee, die erste Konzertmeisterin der Berliner Staatskapelle, zur Seite. Aufgenommen wurde schließlich im stilvollen Konzertsaal der Abtei Marienmünster, einem Ort, die sich für den audiophilen Anspruch des Labels Dabringhaus und Grimm besonders eignet. Stefan Pieper traf sich mit Katharina Kammerloher und Johann Blanchard, beide in Berlin lebend, zum Gespräch nach einem Videodreh im schmucken Palais Lichtenau in Potsdam.

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Katharina Kammerloher und Johannes Blanchard im Konzert im Palais Lichtenau in Potsdam/Foto Martin Teschner/youtube

Wie sind Sie auf Cécile Chaminade aufmerksam geworden? Johann Blanchard: Ich kannte diese Komponistin schon vorher, mir lag das Notenmaterial vor. Diese Komponistin hat wahnsinnig viel geschrieben und ist danach weitgehend in Vergessenheit geraten. In Frankreich war sie sehr populär. Sie war zum Beispiel die erste Frau, die in die Ehrenlegion aufgenommen worden ist. Insgesamt hat sie circa 200 Klavierstücke komponiert. Ich habe übrigens schon eine Soloplatte gemacht mit ihr. Dass sie auch 150 Lieder geschrieben hat, hatte ich immer im Hinterkopf. Übrigens sind alle Lieder auf dieser CD Ersteinspielungen.

Frau Kammerloher, was bedeuten Ihnen diese Lieder? Ich habe Cécile Chaminade erst durch Johann kennengelernt. Als ich seine beiden CDs mit Klavier- und Kammermusik hörte, fing ich sofort Feuer. Während des Corona-Lockdowns hatte ich viel unverhofft freie Zeit und konnte mich so sehr intensiv in Chaminades umfangreiches Liedschaffen einarbeiten. Das Konzentrat aus dieser Arbeit sind die 22 Lieder dieser CD. Jedes eine Perle. Sie ist eine so feine Komponistin.

Es ist ja vielfach so, dass Komponistinnen und Komponisten auf ein einziges oder wenige bekannte Werke reduziert werden. K. K.: Ich habe früher Oboe studiert und genau diese Erfahrung habe ich bei diesem Instrument gemacht. Du bist eigentlich ständig gefordert, etwas Neues herauszusuchen. So verhält es sich ja auch bei vielen anderen Instrumenten, z.B bei der Bratsche. Dann habe ich Gesang studiert und ich war überwältigt von der Fülle, die sich hier auftut. Das kann man ja alles gar nicht in einem Sänger-Leben singen. Allein das Repertoire von Cécile Chaminade ist so umfangreich, dass wir ohne weiteres sofort eine weitere Platte aufnehmen könnten.

Handelt es sich bei Saison d’amour um einen Zyklus? K. K.: Nein, es handelt sich um meine eigene Zusammenstellung, die ich aufgrund der Texte getroffen habe. Ich finde, sie passen so gut zueinander, das sich wie von selbst eine Geschichte ergibt. Dabei trägt jedes einzelne Lied ja schon eine Geschichte in sich.

Die Komponistin Cécile Chaminade (* 8. August 1857 in Paris; † 13. April 1944 in Monte Carlo)/Wikipedia

Ein roter Faden ist ja wohl der starke Bezug zwischen jahreszeitlichen Impressionen und der Liebe. K. K.: Genau. Die Gedichte, derer sich Chaminade bedient, schöpfen voll aus dem Geist der französischen Romantik mit ihren starken Bezügen zur Natur, wie wir es ja auch in der deutschen Romantik wiederfinden. Oft ist die Rede vom Wald, vom Wind, vom Himmel, vom Meer und so weiter. Chaminade hat ein feines Gespür für Poesie und verleiht jedem einzelnen Gedicht seine ganz eigene, persönliche Tonsprache. Umso reizvoller war es für uns, durch den programmatischen Rahmen eine größere Einheit zu formen. Von zarten Trieben erster Liebe des Frühlings zum heißen, leidenschaftlichen Sommer, von den Verlusten des Herbstes bis hin zum Abschied und dem wehmütigen Rückblick des Winters, um zum Schluss, mit „Portrait“ den Frühling wieder auferstehen zu lassen.

J. B.: Die Zusammenstellung auf dieser CD macht eine große Vielfalt deutlich. Cécile Chaminade war unglaublich kreativ und alles hört sich sehr natürlich an. Sie muss auch eine sehr gute Pianistin gewesen sein.

K. K.: Ich höre schon so manchen Einfluss von Franz Schubert oder Robert Schumann heraus. Ich denke vor allem an ihre besondere Schlichtheit und Intimität, wenn es um die Aussagen eines Liedes geht. Ihr Ego stellte sie hintenan.

Mein erster Höreindruck der CD bestätigt diese Aussage. Mir kommt es so vor, dass sie eben nicht mit zu vielen exaltierten Gesten oder zu viel Dramatik auftrumpft. K. K.: Genauso ist es. Auch wenn mal Schubert oder Schumann oder auch mal etwas Debussy durchschimmert, bleibt sie immer bei sich selbst.

Kann man ihren Personalstil präzise einordnen? J. B.: Er ist auf jeden Fall der französischen Romantik zuzuordnen. Vielleicht in der Nähe zu Saint-Saens. Auf jeden Fall ist da mehr Leichtigkeit als bei den deutschen Romantikern. Es kann aber trotzdem genauso tiefsinnig sein.

J. B.: Die Musik klingt immer etwas silbrig von den Akkorden her. Und ja, wir haben uns für die Aufnahme sehr bemüht, es noch heller und noch silbriger hinzubekommen. Zuerst sind wir vielleicht etwas zu sehr von der deutschen Romantik an die Sache heran gegangen.

Was bedeutet Ihnen die Arbeit an einem solchen Liederprogramm in Ihrem sonstigen Alltag als vielbeschäftigte Opernsängerin? Gibt Ihnen das auch eine Art Ausgleich? K. K.: Was ich an so einem Liedprogramm liebe, ist die Autonomie. Ich kann alles allein zusammen mit meinem Pianisten erarbeiten. Es gibt keinen Regisseur, der mir Vorgaben macht, kein Dirigent gibt mir das Tempo vor. Johann und ich sind hier einfach unsere eigenen Chefs, wir entscheiden, wie wir es machen. Wir sind beide Suchende und lieben es, tief in eine Sache hinein zu gehen. Ich liebe am Lied einfach die Poesie. Diese hohe Kunst, in der großartige Texte in eine komprimierte musikalische Form gebracht werden. Cécile Chaminades Lieder sind ja oft regelrechte Mini-Opern. Ich mache das vor allem, weil ich einen großen Respekt vor der Kunst von Cécile Chaminade habe.

Cécile Chaminade muss ja wirklich eine markante und selbstbewusste Persönlichkeit gewesen sein und wurde auch so wahrgenommen. Was auch nicht selbstverständlich für Komponistinnen in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts war. K. K.: Es war damals wirklich nicht leicht für Frauen – die durften ja nicht mal ans Konservatorium. Cécile Chaminade hat Privatunterricht bekommen. Sie wuchs in einem wohlhabenden Haushalt auf. George Bizet ist bei der Familie regelmäßig ein und ausgegangen. Er hat schon früh ihr überragendes Talent erkannt hatte und sie „Le Petit Mozart“ genannt. Sie war ein unglaublich begabtes Kind und hat sich später als Komponistin durchgesetzt. Sie war Mitglied in einem Komponistenverband. Ebenso hat sie als fabelhafte Pianistin viele Konzerte in ganz Europa gegeben.

Katharina Kammerloher und Johannes Blanchard im Konzert im Palais Lichtenau in Potsdam/Foto Martin Teschner/youtube

J. B.: Was für eine Ausstrahlung Cécile Chaminade hatte, wird auch dadurch deutlich, dass sie in diversen Filmen und Serien, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, vorkommt. Allerdings wurde sie manchmal auch zu sehr als Salonkomponistin abgestempelt. Das trifft aber nicht die ganze Wahrheit. Sie hat vielseitige Musik für viele Menschen geschrieben. Und ihre Etüden und Sonaten sind pianistisch sehr anspruchsvoll.

Und damit haben Sie ja ganz viel erstaunliches Repertoire jenseits des Standardprogramms entdeckbar gemacht. K. K.: Wir wollten bewusst Repertoire aufnehmen, das es bislang noch nicht auf CD gibt. Man tut Komponistinnen und Komponisten ja auch Unrecht, wenn sie im Repertoirebetrieb immer auf eines oder wenige Werke reduziert werden. Ich habe das Gefühl, dass das heutzutage sogar noch viel mehr als früher der Fall ist. Viele Menschen sind weniger neugierig und oft werden Musikstücke nur nach Anzahl der Klicks im Internet ausgewählt. Aber wie soll man auf dieser Basis noch etwas Besonderes, eine wahre Perle entdecken? Das Interview führte Stefan Pieper

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Sollten etwa im Fahrwasser des mehr oder weniger eindringlichen Bemühens um die Gleichberechtigung der Frauen einschließlich Genderwahnsinns auch kaum oder gar nicht gewürdigte Komponistinnen zu Wort kommen bzw. zu Gehör gebracht werden? Gerade erschienen Auszüge aus den Schriften der englischen Musikerin Ethel Smyth, nun liegt eine CD mit Liedern der französischen Komponistin Cécile Chaminade mit dem Titel Saisons d’amour vor, die der Mezzosopran Katharina Kammerloher eingespielt hat. Gängige Meinung eines Teils der Musikwissenschaftler ist es, dass es einen weiblichen Mozart oder Beethoven nicht gibt, da Frauen daran gehindert wurden, ihr Talent, ja Genie zur Entfaltung zu bringen. Cécile Chaminade wurden keine derartigen Steine in den Weg gelegt, denn der Tochter aus wohlhabendem Pariser Hause wurde zwar nicht der Besuch des Konservatoriums gestattet, wohl aber der Privatunterricht in Komposition, Harmonielehre und Klavierspiel durch einige der renomiertesten Musiklehrer ihrer Zeit. Außerdem verkehrte im Salon ihrer Eltern das musikalische Paris. Bereits mit zwanzig Jahren trat sie öffentlich als Pianistin auf, sie war Mitglied der Société national de musique, die einige ihrer Werke aufführte, ihre Ballettmusik Callirhoe oder die opéra comique La Sévillane  und andere Werke erreichten eine gewisse Bekanntheit, und warum sie sich zunehmend der kleinen Form, Klavierstücken und Lieder, widmete, lässt sich nur vermuten. Tatsache aber ist, dass ihre Stücke nicht nur im Konzertsaal, sondern besonders häufig bei Veranstaltungen mit Hausmusik aufgeführt wurden, das Booklet zur CD berichtet von L’anneau d’argent, der 200 000 Mal gedruckt wurde. Chaminade konzertierte nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, ihre Karriere wurde durch den Ersten Weltkrieg nicht nur unter-, sondern abgebrochen. Noch bis 1944 lebte sie zurückgezogen in Monte Carlo.

Die seit vielen Jahren an der Berliner Staatsoper fest engagierte Katharina Kammerloher tat sich bereits des öfteren mit Liederabenden und Aufnahmen von Liedern hervor, und auch bei dieser CD zeigt sich die große Sorgfalt, mit der sie ihre Programme zusammenzustellen pflegt. So ergibt die Reihenfolge quasi eine Geschichte vom Erwachen der Liebe, dem Frühling, über Reifezeit und Welken in Sommer und Herbst bis hin zum Verlust, dem Winter. Die Texte stammen von zeitgenössischen Schriftstellern.

Bereits mit dem ersten Titel, Plaintes d’amour, fällt das schöne Ebenmaß der leicht androgyn klingenden Stimme auf, macht dem Hörer aber auch dir recht verwaschene, sich von Vokal zu Vokal hangelnde Aussprache zu schaffen. Schön wiegt die Stimme sich auf der Melodie, in Avril s’éveille überzeugt sie durch Frische und Beschwingtheit. Schön phrasiert wird in Fragilité, wo der beschriebene Zustand überzeugend vermittelt wird. Wie hingetupft wirken die Töne in Absence, bruchlos steigert sich die Sängerin, was die Lautstärke betrifft, während sie sich in  Sérénade Sévillana vom Rhythmus tragen lässt. Voll jugendlicher Beschwingtheit ertönt der Mezzo in Madrigal, energischer und entschiedener und zugleich dunkler in Mon coeur chante, in L Été herrscht flirrender Übermut. Feine Melancholie überschattet Madeleine, die weiche Wehmut der Stimme wird in Chanson naive vom Piano umspielt.

Auch in einem langen Track wie La Fiancée du soldat kann die Spannung gehalten werden, in Roulis des gréves bleibt die Sägerin der Grundstimmung treu und variiert doch zugleich. Ein sehnsüchtiger Ruf nach verlorenem Glück ist Le beau chanteur, mütterliche Klänge werden in Avenir angestimmt, und ganz zart und liebevoll erklingt  Jadis!.Infini gewinnt durch den Einsatz der Violine (Jiyoon Lee) noch an süßer Melancholie, einen schönen Jubelton gibt es für Portrait, und der durchweg einfühlsame Begleiter Johann Blanchard am Klavier zeigt hier noch einmal seine Qualitäten.

Das Booklet ist informationsreich in drei Sprachen und hilfreich durch die Liedtexte in Französisch und Englisch (MDG 908 2288-6). Ingrid Wanja   

Flimmerkisten

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In den letzten Jahren hat Jonas Kaufmann in Konzerten und Recitals oftmals das Genre der Oper verlassen und sein Repertoire um Operettentitel, italienische Canzoni, Wiener Lieder und Berliner Tonfilmschlager erweitert. Berühmte Tenöre vor ihm haben das auch getan, man denke nur an Joseph Schmidt, Richard Tauber und Luciano Pavarotti. Auch die Aufnahmen mit Mario Lanza, der kein Bühnen-, sondern ein Mikrofonsänger war, werden in der Erinnerung wach. An sie denkt man mit Wehmut, wenn man die neue Platte des  deutschen Tenors bei SONY auflegt. Sie ist mit The Sound of Movies betitelt und wurde im November 2022 in Prag aufgenommen (11526885). Denn der Tenor wird begleitet vom Czech National Symphony Orchestra unter Leitung von Jochen Rieder, der mit den Musikern einen rauschhaften Breitwand-Sound ausbreitet.

Die Musikauswahl aus über 80 Jahren reicht von Ralph Erwins „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ von 1929 bis zu Claude-Michel Schönbergs „Bring Him Home“ aus Les Misérables von 2012. Eröffnet wird sie wird mit „The Loveliest Night of the Year“ aus dem Film The Great Caruso, womit an den Jahrhundert-Tenor erinnert wird. Kaufmanns Stimme ist inzwischen in einem kritischen Zustand, klingt oft kehlig und strapaziert. Sein Gesang wirkt forciert und ermangelt der Leichtigkeit, der Nonchalance und des Charmes. Beim folgenden „Where do I Begin?“ aus dem Film Love Story wiederholt sich der Eindruck eines bemühten Singens. Ein diesbezüglicher Tiefpunkt ist die Interpretation von „Nelle tue mani“ (eine neue Textfassung von „Now We Are Free“) aus Gladiator als ständiger Kampf mit den exponierten Noten.

Gelungener erscheinen Titel, welche nicht wie große Opernszenen angelegt sind, so Stanley Myers „She was beautiful“ aus The Deer Hunter, „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ oder der Tango-Klassiker von Carlos Gardel „Por una cabeza“ aus Scent of a Woman und Richard Rodgers „Edelweiß“ aus The Sound of Music. Es fehlen natürlich nicht die legendären Musical-Hits wie „Maria“ aus Bernsteins West Side Story oder „You’ll Never Walk Alone“ aus Carousel (als strapaziöse tour de force) sowie unvergessene Songs wie „What a Wonderful World“ aus Good Morning, Vietnam und Bert Kaempferts „Strangers in the Night“. Von Ennio Morricone wählte der Tenor drei Titel aus, womit die Bedeutung des Italieners als Komponist von Filmmusik unterstrichen wird: „E più ti penso“ aus Once Upon a Time, „Se tu fossi nei miei occhi“ aus Cinema Paradiso und „Nella fantasia“ aus The Mission. Ähnliche Berühmtheit erlangten Nino Rota und Henry Mancini, die hier mit „What is a Youth?“ aus Romeo + Juliet bzw. mit „Moon River“ aus Breakfast at Tiffany’s vertreten sind.

Eine Besonderheit stellt Rachel Portmans Titelthema für The Cider House Rules dar, wofür sie als erste Frau einen Filmmusik-Oscar empfing. Der New Yorker Librettist Gene Scheer schrieb eigens für dieses Album einen neuen Text dazu. Mit dem Mario-Lanza-Evergreen „Serenade“ aus The Student Prince endet das Album nochmals zwiespältig, und man sollte es nur in kleineren Portionen hören. Bernd Hoppe

Jonathan Tetelman zum Zweiten

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Geschniegelt und gebügelt schaut Jonathan Tetelman vom Cover seiner zweiten CD, die ausschließlich Giacomo Puccini gewidmet ist, dessen hundertster Todestag unmittelbar bevorsteht. Eher an Lehár als an den italienischen Opernkomponisten denkt man bei diesen Fotos und erwartet  von einer derartigen Optik viel akustische süßliche Eleganz und viel tenoralen Schmelz, um nicht zu sagen viel Schmalz , doch sowohl optisch im Booklet wie akustisch auf der CD werden die Erwartungen nicht erfüllt, denn die inseitigen Fotos zeigen den amerikanischen Sänger mit chilenischer Abstammung eher leger bis robust und immer dem Betrachter eindringlich in die Augen schauend.

Vier der auf der CD bedachten Figuren hat der Tenor bereits auf einer Bühne verkörpert, Rodolfo, Cavaradossi, Luigi und Pinkerton, die bisher noch nicht bedachten sind zum großen Teil bereits in Vorbereitung. Bei der Auswahl der Arien, aber auch Duette oder Szenen  aus La Bohéme oder Butterfly, fällt auf, dass manchmal bekannte Arien zugunsten weniger geläufiger Szenen wider des Hörers Erwartung nicht vertreten sind. So gibt es von Pinkerton nicht das Fiorito Asil, sondern aus dem dritten Akt eine kurze Szene zwischen Suzuki, Sharpless ( sonor Önay Köse) und Pinkerton und von Des Grieux nicht Pazzo non sono, guardate, sondern einen Ausschnitt aus dem Duett mit Manon aus dem zweiten Akt.

Ansonsten gibt es viele der berühmten Arien wie natürlich Calafs Nessun dorma, nicht nur durch Pavarotti verkommen zur Bravourarie und auch auf dieser CD als imponierender Kraftakt, der beim Vincerò zum Lautstärkenregler eilen lässt, aufgefasst. Da kann es auch der Prague Philharmonia unter dem erfahrenen Carlo Rizzi nicht gelingen, etwas von der nächtlichen Stimmung an den Hörer zu vermitteln. Mehr gefallen kann allerdings Non piangere, Liù, das zumindest im ersten Teil zärtlich verträumt klingt.

Gleich drei Tracks widmen sich La Bohéme, zunächst natürlich Che gelida manina, in der weder jugendlicher Leichtsinn einer povertà lieta, noch der träumerische Glanz der notte di luna zu vernehmen ist, stattdessen zu sehr auf gröbere Effekte hin gearbeitet wird. Im Schluss des ersten Akts klingt Rodolfos Sognar zu geschmettert, le dolcezze estreme findet man eher beim Sopran Federica Lombardi, deren Stimme Charme und Süße hat. Auch in der Schlussszene des 3. Akts klingt der Tenor recht hart, lassen Musetta Marina Monzò und  Theodore Platt als Marcello aufhorchen.

Die beiden Arien des Cavaradossi lassen ein Recondita armonia hören, das ganz auf ein wahrhaft geschmettertes Tosca sei tu hinarbeitet und ein Lucevan le stelle mit schönem Parlando vor Beginn der Arie, mit recht erfolgreichem Bemühen um die für diese Arie so wichtige Agogik, die dann doch wieder abgelöst wird von einem nur auf Überwältigung zielenden Schluss.

Des Grieux ist außer mit dem Ausschnitt aus dem zweiten Akt von Manon Lescaut mit Donna non vidi mai vertreten, das gänzlich der Poesie und Verträumtheit entbehrt, wie unter Überdruck steht, da hätte man anstelle der Kraftentfaltung doch lieber etwas in der Nähe eines sussuro gentil gehört, während aus dem zweiten Akt der Ausbruch der Verzweiflung mit angemessenem vokalem Kraftaufwand bewältigt wird, nachvollziehen lässt, warum die Partie als Otello Puccinis gilt. Auch Dick Johnson aus La Fanciulla del West kommt den vokalen Möglichkeiten Tetelmans, der in vielem an Mario del Monaco erinnert, entgegen mit einem kraftvollen Che ella mi creda und einer kurzen Passage aus dem ersten Akt. Eine eher auch lyrische Qualitäten aufweisende Stimme wünscht man sich hingegen für den Ruggero aus La Rondine und den Roberto aus Le Villi.

Bleibt noch der Luigi aus Il Tabarro, mit dem der Tenor unlängst an der Deutschen Oper Berlin reüssierte. Währen der Sopran Vida Miknevičiũtè ihre Giorgetta bebend in verhaltener Lust und Angst sich äußern lässt, auch das Orchester die Anspannung, die auf der Bühne herrscht, nachvollziehen lässt, äußert sich Tetelmanns Luigi zwar imponierend heldisch, aber doch eher eindimensional und hörbar nur auf den  nicht immer positiven Eindruck kraftprotzenden Singens vertrauend (DG 486 4683/ Foto Jonathan Tetelman DOB Stephen Howard Dillon). Ingrid Wanja

Schreiben statt singen

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Einer der nachdenklichsten Sänger unserer Zeit, im eindringlichen Hinterfragen eines Kunstwerks wohl nur mit Dietrich Fischer-Dieskau zu vergleichen, ist der Engländer Ian Bostridge, der die auftrittsfreie Corona-Zeit dazu nutzte, sich in drei Essays mit ihn bewegenden Problemen zu befassen. Das Lied & das Ich ist der Titel des schmalen Bands, der sich mit Problemen der Interpretation, der  kulturellen Aneignung und schließlich der Gestaltung des Todes befasst, wobei als musikalische Beispiele Claudio Monteverdis Il Combattimento di Tancredi e Clorinda, Robert Schumanns Frauenliebe und –leben, Ravels Chansons Madécasses und verschiedene Werke  Benjamin Brittens, vor allem Der Tod in Venedig, herangezogen werden.

Es handelt sich eigentlich um Vorlesungen, die der Sänger, der auch Geschichte studiert hat, in Chicago hielt, und er  beginnt mit der leicht nachvollziehbaren Einsicht, dass jede Interpretation ein bestimmtes Verhältnis zwischen Werk und Interpreten hat, wobei die wünschenswerteste Konstellation die sei, dass das Lied den Sänger singt, wenn nicht nur von der Vergangenheit her die Gegenwart beleuchtet wird, sondern gleichzeitig das Umgekehrte geschieht. Sowohl im Monteverdi-Werk wie in dem Schumanns interessiert Bostridge die Ambiguität der Geschlechterrollen, wenn Clorinda mit dem Tod dafür bestraft wird, dass sie als kämpfender Mann auftrat, einer der Gründe dafür, dass der Tenor sowohl als Testo wie als Tancredi als auch Clorinda auftrat.

Unangemessen mutet heute der Text zu Schumanns Zyklus an und dürfte Feministinnen auf die Barrikaden treiben, nachdem bereits Storm und Mörike die Chamisso-Gedichte peinlich fanden. Bonstridge möchte den Zyklus bald selbst singen, wäre damit aber nicht der erste Sänger, und leitet die Berechtigung dazu unter anderem daraus ab, dass Schumann hin- und hergerissen war zwischen männlichem Überlegenheitsgefühl und dem Bewusstsein, gegenüber seiner Gattin der geistig und künstlerisch Unterlegene zu sein. Das bringt den Autor dazu, in Robert Schumann selbst den Protagonisten des Zyklus‘ zu sehen, woraus zwangsläufig das Vorhaben erwächst, nach Matthias Goerne und Roderick Williams nun selbst diese Lieder zu singen. Mit der Überschreitung der Geschlechtergrenzen hätten allerdings Tenöre und Baritone viel weniger Neuland zu betreten als Sängerinnen mit der Eroberung von Schöner Müllerin und Winterreise.

Bostridge wendet sich auch dem ausschließlich von Männern gestalteten japanischen NO –Theater zu und dem daran angelehnten Werk von Britten, in dem dessen Lebensgefährte Peter Pears eine Mutterrolle sang, für die der Autor die Vokabel Elternteil einsetzt. Nicht nur hier, sondern an vielen anderen Stellen des Buches hat man den Eindruck, es handle sich um eine eigentlich nicht mehr notwendige  Art Rechtfertigung dafür, dass Bostridge sich zu Rollen hingezogen fühlt, die Frauen vorbehalten waren. So kommt er zu dem Schluss,  „Geschlechterrollen werden verwischt und schlussendlich transzendiert.“

Als weißer Mann hat man augenblicklich nicht viel zu lachen und findet auch in Bostridge keinen Verteidiger, ganz im Gegenteil. Es geht um Ravels Chansons Madécasses, deren eines von vielen, von denen wiederum Ravel drei vertonte, von dem französischen Literaten Évariste de Parny einem indigenen Madegassen in den Mund gelegt wird. In ihm warnt er die Weißen davor, seine Insel erobern und die Bevölkerung versklaven zu wollen. Der Dichter wurde auf einer Nachbarinsel geboren und an seiner Erziehung waren auch Inselbewohner beteiligt. Er selbst sprach sich gegen die damals noch herrschende Sklaverei aus, was ihn nicht daran hinderte, eine seiner schwarzen Geliebten zu verkaufen. Bostridges Problem nun ist, ob ein heutiger Sänger zum Ventriloquismus verdammt würde, gleich ein Bauchredner zu sein, würde er sich anmaßen, dieses Lied zu singen, ja eine Art Diebstahl damit  begehen. Die Aneignung der indigenen Perspektive erscheint als eine Art Raub.

Dem Phänomen Tod widmet sich das dritte Kapitel, der Winterreise als einer solchen in den Tod, danach dem Tod als Zentrum in Brittens Schaffen angefangen mit der Sinfonia da Requiem von 1939. Der Komponist begibt sich 1945 mit Menuhin auf eine Konzertreise für überlebende KZ-Insassen, aber auch notleidende Deutsche, und natürlich widmet der Autor auch dem War Requiem, der Gegenüberstellung von lateinischer Totenmesse mit den Gedichten des im Ersten Weltkrieg gefallenen Wilfred Owen, einen Abschnitt. Dabei beschäftigt den Verfasser offensichtlich auch der Kriegsdienstverweigerer Britten und dessen eventuelle Reue, sich der Befreiung Europas versagt zu haben.. Hoch interessant ist der Vergleich von Brittens Oper Der Tod in Venedig mit der Novelle Thomas Manns, aber auch mit dem Film Viscontis, aufschlussreich sind die Vergleiche verschiedener Inszenierungen der Oper, in der auch an der Deutschen Oper Berlin der Tenor den Aschenbach sang.

Das Buch gewährt einen interessanten und berührenden Einblick in künstlerische und von jedweder persönlichen Orientierung bestimmte Entwicklungsprozesse, den Einfluss gesellschaftlicher, in der Wandlung befindlicher Normen auf künstlerische Entscheidungen (ISBN 978-3-406-80866-1; C.H.Beck Verlag 2023; 145 Seiten mit 6 s/w-Abbildungen und 4 Farbtafeln; Hardcover/ Foto oben Wikipedia). Ingrid Wanja     

Librettist Dante

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Unzählige Komponisten insbesondere des 19. Jahrhunderts hat das Schicksal von Paolo il Bello und Francesca da Rimini, die ihr Zeitgenosse Dante in seiner Göttlichen Komödie in die Hölle verbannt sah, beschäftigt und zu musikalischen Werken aller Arten inspiriert. Allein vollständige Opern gibt es von Mercadante ( erst 2016 in Martina Franca uraufgeführt), Goetz, Thomas, Rachmaninow, Mancinelli, Leoni und Zandonai, dazu eine Sinfonische Dichtung von Tschaikowski. Dabei wurde die Unerbittlichkeit des Renaissancemenschen gegenüber seiner Mitbürgerin bald in späteren Zeiten von einer milderen Sicht abgelöst,  so wenn der Poet Mario Rapisardi Francesca trotz der Begnadigung durch den Allerhöchsten freiwillig zu Paolo in die Hölle zurückkehren lässt, wenn gar ein Francesco Gianni sie zur Vorkämpferin für die freie Liebe stilisierte. Nicht vergessen werden darf natürlich auch, dass sie betrogen wurde, indem man sie glauben ließ, nicht sein missgestalteter Bruder, sondern der nur als Brautwerber auftretende Paolo sei ihr zukünftiger Gatte.

Weit weniger interessant fanden die Komponisten das Schicksal des ebenfalls von Dante portraitierten Grafen Ugolino, der von seinem Gegner samt Söhnen und Enkeln in einen Turm eingesperrt und dem Hungertod preisgegeben wurde. Bildliche Darstellungen zeigen ihn an seinen Händen nagend, geargwöhnt wurde, er habe sich von den Kadavern seines Nachwuchses ernährt, der ihn zuvor  ausdrücklich dazu ermuntert hätte. Natürlich regt eine solche Geschichte weit weniger zur Vertonung an, ist aber auf der CD ebenfalls mit einer Cantata von Francesco Morlacchi vertreten. Auch aus der Göttlichen Komödie stammt Pia de‘ Tolomei, die im Fegefeuer auf den Eintritt ins Paradies wartet, nachdem ihr Ehemann sie ermordet hat.

Auf der von Tactus aufgenommenen CD verleiht der Mezzosopran Manuela Custer einer selbstbewussten Francesca von Luigi Confidati ganz in Dur abgesehen vom „Caino attende“ ihre zärtlich-sinnliche Stimme voller Empfindsamkeit, nur am Schluss eine trotzige Aufwallung ins Spiel bringend. Begleitet wird sie vom Quartetto Dafne, das auch im weitaus längsten, dem Grafen Ugolino gewidmeten Stück dessen Verzweiflung beredten Ausdruck verleiht. Dieses stellt an den Mezzosopran höchste Anforderungen, und es ist schön, dass er vom Streichquartett auch hier erfolgreich darin unterstützt wird, alle Phasen der Verzweiflung ob der aussichtslosen Lage im Hungerturm in schöner Ausgewogenheit zwischen Emotion und Verhaltenheit dem Hörer nahe zu bringen. „La Pia“, wie sie auch genannt wurde, widmen sich zwei gleichnamige Stücke. Das von Filippo Marchetti geht tief ins Brustregister hinunter, und über seine gesamte Spannbreite hinweg lässt die Stimme Tragik und Reife vernehmen. Besonders gefordert wird von Antonino Palminteri in seiner La Pia das Klavier, mit dem der Pianist Raffaele Cortesi die Sängerin in ihrem erfolgreichen Bemühen unterstützt, das traurige Schicksal des Mordopfers nachzuzeichnen.

Viele andere, auch dem heutigen Musikfreund bekannte Namen sind auf der CD zu finden, so Puccini, der sich der  Szene annahm, in der es bei der Lektüre der Geschichte von Lanzelot und Ginevra zum ersten Kuss zwischen Francesca und Paolo kommt, außerdem Boito, der sich eines Musikstücks von Robert Schumann als Vorlage bedient, oder Ponchielli, der es ebenfalls vom Lesen zum Küssen kommen lässt. Der Gioconda-Komponist findet im Vergleich zu Puccini einen angemessen hochdramatischen Ansatz, lässt auch das Klavier dräuen, die Stimme tragisch verschattet klingen. Rossini ist mit einem Recitativo ritmato vertreten, Hans von Bülow, der erste Mann von Cosima Wagner mit einem Sonett Dantes.

Man könnte die CD mit einem Booklet, das außer der wertvollen Einführung auch die Texte der Stücke zumindest in Italienisch enthält, noch mehr genießen, aber auch so ist das Hören dieser Liriche su Testi di Dante ein Vergnügen und eine Bereicherung (TC 840003). Ingrid Wanja            

Aus den Barock-Archiven

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Für das neue Album bei seiner Stammfirma ERATO hat Philippe Jaroussky ein reizvolles Programm ausgewählt und in Musikbibliotheken nach vergessenen Werken gesucht, welche dort Jahrhunderte lang „der Welt abhanden gekommen“ waren. Forgotten Arias ist der Titel dieser CD, die im November/Dezember 2022 in Paris aufgenommen wurde (5054197633881). Die Platte ist auch eine Würdigung des Librettisten Pietro Metastasio, denn alle Arientexte stammen aus seiner Feder. Auf dem Album werden die aus dem Spätbarock stammenden Titel als Welterstveröffentlichungen präsentiert. Neun Komponisten sind vertreten, darunter auch unbekanntere wie Andrea Bernasconi, dessen L’Olimpiade die Anthologie eröffnet. Das Solo des Aminta „Siam navi all’onde algenti“ ist eine Gleichnisarie vom Schiff und seinem Steuermann in ungestümen Wogen. Vom Orchester mit erregten Figuren eröffnet, nimmt der Sänger diese Stimmung auf und überrascht vor allem mit seiner nachgedunkelten, gereiften Stimme. Sein früher knabenhafter, keuscher Ton war ja stets Geschmackssache und für heroische Arien weniger geeignet. Später gibt es diese Oper noch in der Vertonung von Tommaso Traetta. Daraus erklingt die Arie des Licida „Gemo in un punto“. Mit aufgewühlten Klängen des Orchesters wird sie eröffnet und der Counter nimmt diese Vorgabe auf, lässt einen dramatisch betonten Gesang hören.

Weniger bekannt ist auch Giovanni Battista Ferrandini, aus dessen 24 Arias Nr. 11, „Gelido in ogni vena“, ausgewählt wurde. Berühmt wurde diese in der Vertonung durch Vivaldi in dessen Oper Farnace. Auch in dieser Version wird das Stück von frostigen Akkorden des Orchesters eingeleitet. Auch der Sänger versucht, eingefrorene Klänge in seiner Stimme zu entfalten, was reizvolle Effekte mit sich bringt.

Catone in Utica existiert in Kompositionen von Vinci, Vivaldi, Jommelli, Leo, Graun, Hasse u. a. Jaroussky wählte die Version von Niccolo Piccinni und daraus die Arie des Arbace „Che legge spietata“. Diese ist von stürmischem Zuschnitt und der Interpret bemüht sich um adäquate Interpretation, die freilich etwas harmlos ausfällt. Auch von Il re pastore finden sich mehrere Versionen, von denen die Mozarts am bekanntesten ist. Hier ist die von Christoph Willibald Gluck zu hören und aus dieser die Arie des Agenore „Sol può dir“. Sie ist getragen von inniger Empfindung, was Jaroussky überzeugend zum Ausdruck bringt.

Ein weiterer Unbekannter ist Michelangelo Valentini, dessen Oper La clemenza di Tito natürlich vor allem in der Vertonung durch Mozart populär wurde. Die ausgedehnte Arie des Sesto „Se mai senti“ gibt es freilich dort nicht. Sie ist von kantablem Charakter und gibt der Stimme mannigfaltige Möglichkeiten zur Entfaltung.

Aus Johann Adolph Hasses Demofoonte stellt der Counter zwei Arien des Timante vor: „Sperai vicino il lido“ und „Misero pargoletto“. Erstere ist ein zunächst getragenes Stück, das sich dann zu lebhaftem Rhythmus wandelt, die zweite von kantablem Charakter und in beiden kann der Interpret mit stimmlicher Schönheit aufwarten.

Zum Abschluss gibt es eine interessante Gegenüberstellung der Oper Artaserse in zwei Vertonungen durch Johann Chrstian Bach und Niccolò Jommelli – aus der ersten „Per quel paterno amplesso“ in zunächst introvertierter, dann explosiver Manier, aus der zweiten „Fra cento affanni“. das in seinem stürmischen Duktus für einen vehementen Ausklang sorgt.

Der Counter wird begleitet vom Ensemble Le Concert de la Loge unter Julien Chauvin – ein neuer Partner also an der Seite des Sängers, der in der kontrastreichen dreisätzigen Sinfonia aus Hasses Demofoonte auch Gelegenheit zu orchestralem Einsatz hat und diesen glänzend absolviert. Bernd Hoppe

Spanische Renaissance

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Doppelt preisgekrönt mit dem Echo Klassik für Nachwuchssänger 2009 und dem Echo Klassik 2012 für ihr Album mit Telemann-Arien ist die katalonische Sängerin Nuria Rial, die erst in Barcelona und dann in Basel Gesang studierte und nun ein neues Album mit spanischer Musik der Renaissance eingespielt hat. Diese ist übrigens nicht ihr einziges Aufgabengebiet, die Sopranistin hat sich auch mit deutschem, spanischem und französischem Liedgut befasst und ist als Mozartsängerin geschätzt.

The Spanish Album bringt auf der ersten der beiden CDs Lieder, die von dem  Gitarristen José Miguel Moreno auf der Vihuelas und der Barockgitarre begleitet werden, während auf der zweiten CD zunächst das Ensemble Ophénica Lyra, ebenfalls unter Leitung von José Miguel Moreno, der Solistin    zur Seite steht, während im zweiten Teil Emilio Moreno El Concierto Espanol mit seiner Violine anführt. Zwei Countertenöre, Carlos Mena  und Jordi Domènech,  stehen der Sängerin  zusätzlich zur Seite.

Es gibt zwar eine ausführliche Einführung im recht umfangreichen Booklet, aber leider sind die Texte, ausgenommen von ganz wenigen italienischen, nur im spanischen Original verfügbar. Eine englische Übersetzung hätte sehr zum Verständnis der Lieder beigetragen. So kann man sich nur von einer bekannten Vokabel zur nächsten hangeln und muss sich ganz auf die Aussagekraft der Musik verlassen.

Für die erste CD nimmt der Sopran ein naiv-kindlich wirkendes Timbre an, wählt einen schlichten Erzählton, der natürlich von den Liedern schon vorgegeben ist, und wird mit sparsamer Agogik einer lieblichen Klage dem Quien te hizo Juan Pastor gerecht, äußert sich graziös hüpfend in En la fuente del rosel und erscheint geschmeidig in Teresica hermana. Von schöner Melancholie ist De Antequera, und im instrumentalen Track kommt die Renaissancelaute wunderschön zur Geltung. Neckisch bis trist geht die Sängerin von Gelosia auf Distanz zum Gegenstand ihrer Neigung, ein wunderschöner Schwellton erfreut in Endechas, durchgehend ist die leichte Emission der Stimme zu bewundern, die sich gern in munterem Geplauder ergeht.  berühren.

Fülliger, runder und mitreißender wirkt die Musik auf der zweiten CD dank eines jeweils zweiten Sängers und einem Quartett von Streichern. El rey moro vermag durch ein sanftes „Ay mi Alhalma“ zu rühren, Verspieltes wechselt sich mit Getragenem ab, das lange Vorspiel zu Con qué la lavaré entzückt durch sein sanftes An- und Abschwellen.

Im Mittelteil bringt diese CD Kompositionen, die in Cervantes Don Quichote erwähnt werden, im ersten Musik von Miguel de  Fuenllana und im Schlussteil von Francisco Corselli, einem aus Italien nach Spanien übergesiedelten Italiener. Von letzterem stammt ein zierliches Rezitativ, gefolgt von einer Arie mit Echolauten mit besonders reizvoller Begleitung. In der Allegro-Arie El Cordero kann man die Fähigkeit der Sängerin bewundern, sich nie mit einem reinen Wiederholen zu begnügen, sondern virtuos zu variieren (Glossa GCD C80036). Ingrid Wanja    

Eine Frau zwischen drei Männern

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„Ernani“ war erst die fünfte Oper von Giuseppe Verdi, wartet aber bereits mit einer Fülle von wunderschönen Melodien, mit vielen effektvollen Arien, Duetten und Terzetten sowie eindrucksvollen Chorszenen auf. Eigentlich müsste sie viel häufiger in den Spielplänen erscheinen. Das war zu Verdis Zeiten anders.

Die vorliegende Live-Aufnahme stammt vom 10. November 2022 aus dem Saal „Zubin Mehta“ im Teatro Maggio Musicale Fiorentino. Die unaufgeregte Inszenierung von Leo Muscato kommt ohne jegliche Mätzchen aus. Sie erzählt die verwickelte Handlung, bei der Elvira gleich von drei Männern begehrt wird (dem Banditen Ernani, dem König Don Carlo und dem Adligen Don Ruy Gomez de Silva), in ruhigen Bahnen. Gemessenes Schreiten und statische Tableaus bestimmen hauptsächlich den Eindruck. Auch wenn es bei leidenschaftlicher Musik vor allem um den Schrei nach Rache und das Schmachten nach Liebe geht, findet das in der Personenführung nur moderaten Widerhall. Das Einheitsbühnenbild von Federica Parolini zeigt aus groben Brettern gezimmerte Holzwände, die bei Bedarf verschoben oder geöffnet werden können. Schauplatzwechsel werden durch variierende Lichtstimmungen und wenige Requisiten markiert. Schattenspiele an den Wänden entwickeln einen eigenen Reiz.

Bei der eher konventionellen Inszenierung kann das gute und zuverlässige Sängerensemble in Gesang und Spiel durchaus fesseln. Francesco Meli überzeugt mit schöner Phrasierung und differenziertem Gesang. Gleich mit „Merce dilette amici“ nimmt er für sich ein. Sehr berührend gelingt ihm die Todesszene. S ein lyrisches Timbre kommt gut zur Geltung. María José Siri schöpft mit ergiebigem Sopran aus dem Vollen und gestaltet die Partie der Elvira mit bebender Leidenschaft. Roberto Frontali gibt den Don Carlo mit markantem Bariton, bleibt im Ausdruck aber oft etwas steif. Seine Arie „Oh de‘verd’anni miei“ gestaltet er hingegen sehr eindrucksvoll als nachdenklichen Monolog. Vitalij Kowaljow ist mit rundem Bass ein würdevoller, unnachgiebiger Silva. Er wirkt auch durch seine ausgeprägte Bühnenpräsenz .Wenn er am Ende bedrohlich aus dem Dunklen hervortritt, denkt man an den Komtur in „Don Giovanni“.

Uneingeschränkte Freude bereitet der von Lorenzo Fratini einstudierte Chor, der seine großen Aufgaben bestens meistert. Mit viel Brio und Sinn für Dramatik leitet James Conlon das Orchester des Maggio Musicale Fiorentino. Das Feuer, das Verdi in seine Musik gelegt  hat, lodert intensiv auf. Insgesamt hat man hier eine Aufführung, die bestens geeignet ist, mit diesem Frühwerk Bekanntschaft zu machen. (Dynamic 3797). Wolfgang Denker