Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Exquisit

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Extrempuristen mögen ihn in Anlehnung an den ebenfalls verunglimpften Salontiroler als Salonneapolitaner bezeichnen, aber Sänger wie Publikum lieben Francesco Paolo Tosti gleichermaßen, von ersteren besonders die Tenöre, von denen besonders Di Stefano, José Carreras oder Carlo Bergonzi Zeugnisse ihrer Zuneigung hinterlassen haben. Eher dem Salon als dem Neapolitaner zugeneigt zeigt sich Javier Camarena, denn der seine ist ein tenore di grazia und in seinem Zugriff auf die Canzoni recht weit entfernt von dem naturstimmennahen Giuseppe Di Stefano.

Die vom Mexikaner ausgewählten, zum Teil sehr, zum Teil weniger bekannten Canzonen stellen an den Beginn der CD die Quattro Canzoni d’Amaranta, die eigentlich für einen Mezzosopran komponiert wurden und mit dem Schicksal einer der vielen Geliebten des Dichters Gabriele D’Annunzio verbunden sind, mit dem der wesentlich ältere Tosti, beide stammten aus den Abruzzen, befreundet war. Es handelt sich um die Contessa Giuseppina Mancini, die wie die weitaus berühmtere Eleonora Duse vom Dichter verführt und dann verlassen wurde, im Unterschied zur Schauspielerin aber nach dem Treuebruch D’Annunzios in Wahnsinn verfiel, dem Ex-Geliebten damit wie so viele andere Material für sein künstlerisches Schaffen liefernd. Camarena nimmt sich der vier Lieder nicht mit einem  in schönen Farben prunkenden und deshalb entzückenden  Tenor an, sondern mit einem hoch kultivierten, technisch perfekt geführten und allen feinsinnigen Intentionen gehorchenden in der Tradition eines Tito Schipa. Er hat einen wunderschönen Schwellton für „pianto“ im ersten, einen zu Herzen gehenden Sehnsuchtsruf auf „O notte“ und eine strahlende Höhe für „il sole eterno“ im zweiten Track.  Für „Invan preghi“ steht ihm die Klarheit der Stimme zur Abmilderung der Schwüle des Textes zur Verfügung, und  die „ombra infinita“ der abschließenden Canzone atmet eine schöne Melancholie. Bereits inhaltlich in einem starken Kontrast dazu steht ein ebenfalls von D’Annunzio stammender Text, das im neapolitanischen Dialekt verfasste „‘A vucchella“, dessen gewollt schlichte Naivität auch vom Pianisten Ángel Rodriguez wunderbar getroffen wird.

Francesco Paolo Tosti war nicht nur Komponist, sondern auch Tenor und musikalischer Erzieher für italienische und englische Prinzessinnen, so zwei Töchter der Königin Victoria. So ist es nicht verwunderlich, dass er während langer Aufenthalte in London auch englische Texte vertonte. Die allerdings üben einen weit geringeren akustischen Zauber aus als die italienischen und französischen. In Because of you gefällt allerdings die reiche Agogik, in The first Waltz die rhythmische Gestaltung. Die französischen Mélodies bezaubern durch tatsächliche Eleganz und scheinbare Schwerelosigkeit des Singens.

Zu den populärsten Canzonen gehören Malia mit zauberhaften „ninfa“ und „fata“, Aprile, der für den Italiener der deutsche Mai, das heißt der Frühlingsmonat, ist und wo der Tenor ebenso wie in Sogno sich als besonders feinsinniger, allen Gefühlsregungen nachspürender Interpret zeigt. L’ultima canzone schließlich weiß dolcezza und amarezza aufs Schönste miteinander zu vereinen.

Vom Pianisten für Piano arrangiert wurde Marechiare, in dem Stimme wie Piano Lebensfreude versprühen und genüsslich ausgekostet werden, in der abschließenden Chitarrata abruzzese kann der Tenor noch einmal alle seine Vorzüge unter Beweis stellen und mit einer Superhöhe prunken (Pentatone 5187 184). Ingrid Wanja              

Alexander Weatherson

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Mit Bestürzung hörten wir vom Tode unseres Freundes, Mentors und unersetzlichen Musikwissenschaftlers Alex Weatherson. Operalounge-Lesern ist er ja ein Bekannter wegen seiner vielen Artikel und Kommentaren namentlich im Donizetti- und Belcanto-Repertoire. Mir selbst ist er stets ein liebevoller Freund gewesen, ein auch widersprüchlicher und hochspannender Gesprächspartner, ein Felsen an Wissen. Die Trauer über den auch persönlichen Verlust bleibt. Geerd Heinsen

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Alex´ enger Mitarbeiter bei der englischen Donizetti Society, deren Gründer, Movens und Felsen Alex Weatherson war, Fulvio Lo Presti, hat uns den folgenden Text geschickt: 1973 gründete eine kleine Gruppe von Enthusiasten und Gelehrten in London die Donizetti Society. Weder Alexander Weatherson noch der Schriftsteller, der einige Jahre später beitrat, waren damals Mitglieder, während sich die Gesellschaft allmählich ausbreitete und im Einklang mit der immer ehrgeizigeren weltweiten Wiederbelebung der untergegangenen Donizetti-Produktion, der Donizetti-Renaissance, immer weniger ausschließlich britische Konnotationen annahm. Weatherson war ein eifriger Mitstreiter der Gesellschaft und wurde ihr mutiger Präsident, den er bis zum Schluss behielt. Er verlieh der Gesellschaft ein hohes internationales Profil, auch dank seiner Kontakte und seiner fruchtbaren und freundschaftlichen Beziehungen zu den wichtigsten Musikwissenschaftlern, Kritikern, Dirigenten, Sängern und verschiedenen Persönlichkeiten, darunter Montserrat Caballè, Alberto Zedda, William Ashbrook, Patric Schmid, Leyla Gencer, Philip Gossett, Joan Sutherland, Franca Cella, Sergio Segalini und Piero Mioli.
Geboren am 6. Oktober 1927 in Mansfield (Nottinghamshire) als Sohn eines schottischen Arztes, den er nicht kannte, und einer französischen Adeligen, die aus einem Zweig der Familie Rohan stammte, lebte er auch in Frankreich und Portugal und lernte Charles De Gaulle in dessen Londoner Wohnung kennen.
Nach seinen beruflichen Erfahrungen als Krankenhausarzt und Psychologe, seiner künstlerischen Tätigkeit als bald etablierter Maler und seiner Karriere als Hochschullehrer – er erzählte mir von der Zeit, als er als Dekan der Fakultät Frau Thatcher, die damalige Bildungsministerin, in seinem Büro empfing – kam Weatherson zur Musikwissenschaft als vollwertige und endgültige Berufung mit einem heftigen und beharrlichen Engagement und einer beneidenswerten Kompetenz. In erster Linie widmete er Donizetti größte Aufmerksamkeit, unter anderem mit einem beachtlichen Werk an Aufsätzen und unzähligen Rezensionen. Umfassende Schriften, in denen der scharfe Blick und der Humor eines Menschen von großer Kultur, aber mit den Füßen im Alltag, eines Donizettianers, der wie kaum ein anderer den Geist und den Elan des Bergamasken verinnerlicht hat, zum Ausdruck kommen. Er überwachte die Herausgabe der verschiedenen Zeitschriften der Donizetti-Gesellschaft, die 2002 ihre siebte Ausgabe erreichte, und redigierte jahrzehntelang, bis zum Sommer 2022, fast den gesamten Newsletter, dessen Reihe mit der Ausgabe 146 zu Ende ging. Diese Rundbriefe enthielten auf den rund 30 Seiten jeder Ausgabe eigene und fremde Texte von überzeugendem Inhalt und großem Interesse. Neben dem gedruckten Nachlass werden seine Veröffentlichungen auch auf seiner Website veröffentlicht.
Die Besonderheit von Weathersons Engagement liegt jedoch in dem durchdringenden und kritischen Überblick, in dem er die Persönlichkeit und das Werk Donizettis in das Panorama des Melodramas des 19. Jahrhunderts einordnet, das er bietet und das von Rossini bis Verdi reicht, unter den verschiedensten Figuren der bevölkerungsreichen Sixtina der italienischen Oper: Simone Mayr, Carlo Coccia, Saverio Mercadante, die Brüder Luigi und Federico Ricci, Nicola Vaccai, Giuseppe Lillo, Alessandro Nini, sowie Giacomo Meyerbeer für die italienische Seite, jeder mit seiner eigenen Individualität nicht voreilig betrachtet, ganz zu schweigen von anderen. Einen besonderen Platz in Weathersons Herz hat jedoch bis zu seinem letzten Atemzug der Katanier Giovanni Pacini eingenommen, der in seiner Heimatstadt leider viel zu sehr misshandelt und verunglimpft wurde. Über Pacini kann man den sorgfältigen Essay von Weatherson nicht ignorieren, der unter seinem Namen ins Netz gestellt wurde.
Zum Abschied von Alex, der am 7. Februar in London gestorben ist, leihe ich mir die Worte von Horatio, Hamlets Freund: „Gute Nacht, süßer Prinz“./ Fulvio Stefano Lo Presti/12/2/2024/DeepL

Tödlicher Dreier

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Was uns die relativ ausführliche Ouvertüre zu dem relativ kurzen Einakter erzählen will, kann sich auch ein unbegabter Zuhörer so trefflich ausmalen wie beim Rosenkavalier. Alexander Zemlinsky türmt Leidenschaften, Zärtlichkeiten, Begehren in großartig orchestral wuchernder Manier hundert Takte lang aufeinander. Guido Bardi und Bianca haben offenbar nicht nur Händchen gehalten. „Der Florentiner Prinz Guido Bardi kniet vor Bianca. Sie haben ihre Hände verschlungen. Er sieht lächelnd zu ihr auf, als sie plötzlich zusammenschrickt, aufsteht und sich von ihm loslöst“. So die Szenenanweisung. Der Kaufmann Simone kehrt unerwartet von einer Reise zurück, spürt rasch, dass er Bianca und Guido inflagranti überrascht hat und es beginnt eine scheinbar artige Konversation, in die Wilde manche doppelbödigen Fallen eingebaut hat. Scheint es zunächst so als wolle Simone ein gutes Geschäft mit dem Sohn des Herzogs zu machen, schlägt die Stimmung langsam um, bis Simone den Prinzen mit dem Schwert herausfordert, ihn entwaffnet und zum Dolchkampf reizt und schließlich erwürgt. Berühmt wurde Biancas Begeisterung, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?“ und Simones Bewunderung, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schön!“.
„Sex. Macht. Mord“ bzw. „Sex and Crime in der Renaissance“, die Schlagworte, mit denen 2011 zwei unterschiedliche Borgia-Produktionen im Fernsehen beworben wurden, gelten auch für eine Reihe von Opern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Willkürlich ausgewählt: während des Ersten Weltkriegs wurden 1915 Schillings Mona Lisa, im Jahr darauf Korngolds Violanta, 2017 Zemlinskys Eine Florentinische Tragödie und 1918 Schrekers Die Gezeichneten uraufgeführt; und irgendwie könnte man Franz Schmidts Pariser Renaissance-Bild Notre-Dame von 1914 auch dazuzählen. Alle zeichnet der Klangrausch aus Spätromantik und Expressionismus aus.
Mit der in Stuttgart unter von Schillings uraufgeführten Eine Florentinische Tragödie vollbrachte der damals 27jährige Patrick Hahn Ende November 2022 im Prinzregententheater eine seine ersten Großtaten als Erster Gastdirigent des Münchner Rundfunkorchesters, das erneut seine bei vielen konzertanten Opernaufführungen unter Beweis gestellte besondere Befähigung für das Musiktheater ausstellen konnte (BR Klassik 900347); seinen Einstand hatte Hahn ein Jahr zuvor mit Ullmanns Der Kaiser von Atlantis gegeben . Hahn hat eine theatralisch packende, fast bühnennah wortverständliche Aufführung realisiert, die trotz der manchmal überbordenden Orchesterwogen durchsichtig bleibt, orchestrale Details der Celesta, Violine und Harfe ausleuchtet und die lauernden Momente in der Konversation der beiden Männer, des hell tenoralen, gleisnerischen Benjamin Bruns als Guido Bardi und des mit splitterndem Bariton mächtig auffahrenden Christopher Maltman als Simone, energisch und eindrucksvoll nachzeichnet. Rachel Wilson bleibt in diesem tödlich endenden Dreier, irgendwie außen vor. Ausgesprochen spannend. Rolf Fath

Wilhelmenia Fernandez

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Die amerikanische Sängerin war vor allem durch ihre Mitwirkung in dem Film Diva von Jean-Jacques Beineix berühmt geworden. Sie erlangte plötzlichen Ruhm, als 1981 der Film Diva von Jean-Jacques Beineix in die Kinos kam, in dem sie mitwirkte und in dem sie eine überwältigende Arie aus Catalanis La Wally sang. Abgesehen von diesem Coup verfolgte sie jedoch eine klassische und eher unauffällige Opernkarriere, nachdem sie an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia (wo sie 1949 geboren wurde) und später an der Juilliard School in New York ausgebildet worden war.

Wilhelmenia Fernandez debütierte 1976 in Porgy and Bess, einer Produktion der Houston Grand Opera, die durch Europa tourte. Sie kehrte nach Europa zurück, um Musetta in La Bohème an der Pariser Oper zu singen, zusammen mit Kiri Te Kanawas Mimi und Giacomo Aragals und Placido Domingos Rodolfo in den Jahren 1979 und 1980 – bei dieser Gelegenheit wurde sie von Beineix entdeckt. Ihre Karriere führte sie auch nach Toulouse, Straßburg und Liège. Sie übernahm die Titelrollen in Carmen, Aida (insbesondere bei einer Produktion von Verdis Oper in Luxor und am Fuße der Pyramiden in Ägypten), Tosca, Luisa Miller.

Die Sängerin, die am 2. Februar im Alter von 75 Jahren in Kentucky verstarb, hinterlässt eine knappe Diskographie: neben dem Soundtrack zu Diva ein Album mit Gershwin-Liedern und eines mit Spirituals. Außerdem gibt es eine Gesamteinspielung von Oscar Hammersteins Musical Carmen Jones nach Bizet, eine Rolle, die sie auf der Bühne gespielt hatte und für die sie 1992 mit dem Laurence Olivier Theatre Award ausgezeichnet wurde (Foto youtube). Jane Avril/DeepL

Urvater der amerikanischen Musical Comedy

„When a Man is Twenty one“. Ja, was ist dann? Der Chor macht neugierig. Ohne viel orchestrales Aufheben drängt das Stück mitten in die Komödie. Frölich marschierend. Der reiche Junggeselle Harry Bronson hat eine Nacht durchgemacht. Am kommenden Mittag soll er die Sängerin Cora Angelique heiraten. Neben Cora erscheinen auch die Music-Hall-Sängerin Kissie Fitzgerald, die ebenfalls Ansprüche anmeldet, ihr Bruder, der Dünnbierboxer Binky Bill, und der Schauspieler Kenneth Mugg. Im Durcheinander verliebt sich Harry quasi im Vorbeigehen in die französische Konditorentochter Figi. Und schließlich erscheint noch Harrys Vater Ichabod, der in seiner Funktion als Präsident der Liga zur Rettung junger Männer sowie der Anti-Zigaretten-Vereinigung von Cohoes ebenso wenig zur Schichtung und Lösung der Konflikte beiträgt wie zwei portugiesische Grafen und der deutsche Karl von Pumperick, der Harry aus Eifersucht umbringen will. Der Vater enterbt den so vielfältig interessierten Sohn und wirft sein Vermögen der Erstbesten, dem Heilsarmeemädchen Violet, hinterher. Das alles, was Kerkers vielfacher Textdichter Hugh Morton (1865-1916) aufschrieb, muss nicht en detail erzählt werden, ist aber recht unterhaltsam. Das ist zwar alles aus dem gleichen Stoff, aus dem europäische Operetten gemacht wurden, und doch schlägt die 1897 uraufgeführte Musical Comedy The Belle of New York einen zwar musikalisch recht einfachen, rhythmisch prägnanten und melodisch leichtflüssigen, aber in jedem Fall einen neuen und anderen Ton für eine musikalische Komödie und ein elegant geschmeidiges Konversationsstück an und wurde bald zum Inbegriff der amerikanischen Musical Comedy oder Light Opera. 

Noch vor den raren Werke des 1878 in Indianapolis als Sohn polnischer Einwanderer geborenen Albert von Tilzer und des 1887 in New York geborenen Louis Achille Hirsch oder des aus Ungarn stammenden berühmteren Sigmund Romberg, der in Wien bei Heuberger studiert hatte, als Hauskomponist der Shubert Brothers in New York in die Fußstapfen von Hirsch trat und ab den 1920er Jahren mit Dutzenden Bühnenwerken eine feste Größe am Broadway wurde, verband Gustave Adolphe Kerker amerikanische Akzente und europäische Operette zu einem eigenen Genre. Die cpo-Aufnahme mit Gustave Adolphe Kerkers The Belle of New York geht zu den Anfängen des Broadway Theaters zurück. Ein Zufall, denn der Chef des cpo-Labels stammt aus der gleichen Stadt, in der Kerker 1857 geboren wurde. Aus Herford. Die 2013 von Florian Ziemen dirigierte Produktion von Kerkers Berliner Operette Die oberen Zehntausend (Berlin 1909) am Theater Gießen führte dazu, gemeinsam weitere Kerker-Projekte anzugehen. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis Ziemen im Mai 2022 in Hildesheim, wo er seit 2017 GMD des theater für niedersachsen ist, seine Kerker-Initiative fortsetzen konnte und cpo-Mann Burkhard Schmilgun zu einer weiteren Kerker-Aufnahme kam.

Kerker genoss als Kind einer Musikerfamilie früh eine entsprechende Ausbildung und machte, nachdem er mit zehn Jahren mit seiner Familie nach Louisville ausgewandert war, früh auf sein musikalisches Talent aufmerksam. Inzwischen hatten die Eltern offenbar jeweils ein amerikanisches „e“ an seine Vornamen gehängt. Er spielte als Cellist im Orchester, dirigierte als 16hähriger den „Freischütz“, komponierte mit 22 Jahren eine komische Oper und landete irgendwann am Broadway, wo er für das neue Bijou-Theatre europäische Stücke einrichtete und schließlich 1888 Leiter des Casino Theatre wurde. Hier kam auch The Belle of New York heraus, die in New York nur bescheidene 64-mal gespielt wurde, aber in London annähernd 700 Aufführungen erlebte und plötzlich diesseits und jenseits des Ozeans erklang. Insgesamt folgten bis 1912 insgesamt 29 musical comedies, außerdem schrieb Kerker einige wenige Operetten für Berlin und Wien, bis seine Werke von Wiener Importen verdrängt wurden. Er starb 1923 in New York.

„Dieses wichtigste Werk Kerkers, dieser Welterfolg“, so Ziemen im Beiheft zur cpo-Aufnahme (2 CDs 777 189-2), „hat ihn international bekannt gemacht und ihn (gemeinsam mit dem heute weit bekannteren Komponisten Victor Herbert) zum Erfinder und Urvater der originär amerikanischen Musical Comedy und damit zum Ahn des Phänomens Broadway-Musical gemacht, also einer Musiktheatergattung, die in die ganze Welt exportiert wird und Millionen von Menschen begeistert“. Man merkt der moussierenden Konzertaufführung an, mit wieviel Leidenschaft Ziemen das von dem Dirigenten Dario Salvi edierte Material plus die von Ziemen selbst instrumentierte Nummer, die aus der späteren Londoner Fassung stammt (Das Trio „Oh! Come with us to Portugal“), angeht. Ziemen setzt mit der tfn Philharmonie auf einen vollblütigen, fast großorchestralen, manchmal geradezu lautstark überwältigenden Sound mit einigen nicht reizlosen Unschärfen und erreicht mit der „Inszenierung“ der gekürzten amerikanischen Sprechtexte, die mit Akzenten und Dialekten die Atmosphäre des Melting Pot New York einzufangen versucht, die perfekte Dichte einer gut eingespielten altmodischen Operettenaufführung. Sprachcoach Jacobsen Woollen hat eine tolle Arbeit geleistet. Werk und Aufführungen wirken in der Mischung aus französischen und Wiener Traditionen und Formen, im Wechsel von schmissigen Märschen und Chornummern und sentimentalen Kurzsongs bühnenprall, rampennah und lebendig. Und die Sänger-Darsteller geben ihren Nummern oftmals eine herrlich schmachtende Tiefe, wie die musicalspitze Fifi von Kathrin Finja Meier, die in „At ze naughty Folies Bergères“ wie die Kammerzofe Adele klingt und in „When we are Married“ so reizend mit Harry kokettiert, den Julian Rohde mit seinem charakteristisch leichten Tenor auf fast schülerhaft-forsche Weise gibt. Der Gegenpol zur Fifi ist Robyn Allegra Partons charmantes Heilsarmeemädchen, das so kultiviert wie eine Mozart-Primadonna singt. Eine Fülle rundum praller Porträts, darunter Eddie Mofokang als Blinky Bill, Felix Mechitz als Kenneth Mugg usw., runden den guten Eindruck ab. Rolf Fath

 

Selig sind….

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2022 war Franck-Jahr. 200 Jahre war es her, dass César-Auguste-Jean-Guillaume-Hubert Franck am 10. Dezember 1822 im damals niederländischen Liège geboren wurde. Exakt am Geburtstag fand dann auch am 8. und 10. Dezember 2022 in der Salle Philharmonique der Höhepunkt und Abschluss des Bicentenaire César Franck mit Les Béatitudes, Francks zweistündigem Oratorium für großes Orchester, Chor und acht Gesangssolisten statt. Das Konzert mit dem OPRL, dem Orchestre Philharmonique Royal de Liège, unter seinem Chefdirigenten Gergely Madaras, der sich aus seiner Heimat Verstärkung durch den Ungarischen Nationalchor geholt hatte, erschien mittlerweile beim Brüsseler Label Fuga Libera (2 CDs FUG 817); leider ohne den gesamten Text, den Joséphine-Blanche Colomb aus den acht Seligpreisungen der Bergpredigt paraphrasiert hatte.

Die letzte Lütticher Franck-Großtat, an die ich mich erinnere, war 2012 die Aufführung des Stradella des 15-Jährigen anlässlich der Wiedereröffnung der Opéra Royal de Wallonie nach dreijähriger Renovierung. Nun also Die Seligpreisungen, wobei man sich nur wundern kann, weshalb Francks Hauptwerk, an dem er zehn Jahre bis 1879 arbeite und dessen erste komplette Aufführung erst im Jahr nach Francks Tod stattfand, in Deutschland so gut wie nie aufgeführt wird. Aber auch nicht andernorts. Die beiden CDs sind deshalb willkommen. Auf einen kurzen Prolog folgen acht Sätze, „in denen die Christusworte kontrastierenden irdischen Szenen gegenübergestellt werden. Dem Chor kommt dabei als Kommentator des Geschehens eine bedeutende Rolle zu. Der Schluss des Werkes ist ein überwältigender Hymnus: der Einzug ins Paradies“. Jeder der Abschnitt ist von geradezu überwältigender andachtsvoller Ausdruckskraft. Irdische Plage, Klagen und Verzweiflung, himmlische Erlösung und schließlich „Hosianna“: Eine Grand opéra für Heilssucher. Opernhaft gleich das Tenorsolo mit Chor im Prolog, den der mehrfach bei Rossini-in-Wildbad aufgetretene Artavazd Sargsyan mit dem sanften Silberklang eines typischen französischen Tenors singt. Die folgenden acht Seligpreisungen sind jeweils großdimensionierte, in der Regel viertelstündige spätromantische Tableaux mit zumeist mehreren Gesangssolisten, die als Stimme Christi, Mater dolorosa (Mutter Gottes), Satan oder eine Vielzahl weiterer Personen in Erscheinung treten, zuzüglich eines himmlischen und zweier irdischen Chöre.

Madaras breitet die üppigen Gemälde als opernhafte Andachtsbilder aus, lässt den ungarischen Chor die Aktion kräftig vorantreiben und klangvoll ausschöpfen. Ist in der Ersten Seligpreisung neben den irdischen und himmlischen Chören nur die Stimme Christi zu vernehmen, der Bariton David Bizic, so treten bereits in der Zweiten Seligpreisung sämtliche Solisten auf, die mit Ausnahme des Satans Patrick Bolleire auch in der Folge kleine „Partien“ übernehmen: die Sopranistin Anne-Catherine Gillet, die beiden Mezzosopranistinnen Héloise Mas und Ève-Maude Hubeaux, die Tenöre John Irvin und Artavazd Sargsyan, David Bizic sowie die Bässe Patrick Bolleire und Yorck Felix Speer. Man kann sich dem Reiz dieser Andachtsbilder schwer entziehen, wenngleich die verzückte Hingabe und der andächtige Text gelegentlich etwas formelhaft wirken. Aber Franck hat die Texte wunderbar dramatisch illustriert und Gergely Madaras, die Königlichen Philharmoniker von Liège sowie die Chöre und Solisten loten die leidenschaftlichen Szenen und schönen Worte aufwühlend und sinnlich aus, geschliffen im Gesamtklang, exquisit in den feinen Linien, aufbrausend und geschmeidig.

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Zur gleichen Zeit, genauer im November 2022, hat sich Sandrine Piau ins Auditorium de la Cité des Arts in Besançon gegeben, um ihr Clair-Obscur betiteltes Berg-Strauss-Zemlinsky-Album durch Reflet zu ergänzen (Alpha 1019). Zuerst sei die ingeniöse Begleitung durch das Orchestre Victor Hugo und Jean-François Verdier erwähnt, die gleich bei „Le spectre de la rose“ auffällt und die Sängerin in diesem reichhaltigen Programm sicher trägt. Man liebt die Nuits d’Été von Berlioz gesungen von üppigeren und volleren, auch farbenreicheren Stimmen, die in diesen Sommernächten schwelgen und baden und den Text von Gautier kosen. Piau findet im Frühherbst ihrer Karriere einen aufrechten Ton, wenngleich man merkt, wie sehr sie sich anstrengen muss. Auch die folgenden Lieder von Duparc, Koechlin, Ravel, Debussy und Britten gestaltet sie mit ihren Möglichkeiten ziemlich gut, vor allem gelingt ihr das glitzernde, spätromantisch angeleuchtete Changieren der Gauthier-, Baudelaire- und Verlaine-Gedichte. Besonders gelungen scheint mir das impressionistische Farbenspiel und die enge Wort-Ton-Durchdringung in den drei „Poèmes de Stéphane Mallarmé“ von Maurice Ravel. Eine Entdeckung sind die frühreifen „Quatre Chansons Françaises“, die der 14jährige Benjamin Britten seinen Eltern widmete, bevor er ins Internat nach Norfolk ging und in denen man geradezu die Kinder aus The turn of the screw sprechen hört (11.02.24). Rolf Fath

Aus dem bulgarischen Bregenz

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Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten stammend erscheint dem mitteleuropäischen Opernfreund die Aufnahme von Wagners Fliegendem Holländer von der Seebühne auf dem bulgarischen Pancharevo See mit den Kräften der Nationaloper von Sofia, die immerhin sich in den letzten Jahren  zu einem Bayreuth des Südostens entwickelt hat mit einem vorzüglichen Ring, der eine Quelle des Trostes für vom „echten“ Bayreuth wegen grässlicher Regie- und nur durchschnittlicher Sängerleistungen Geschädigte. Wenn man beim Abspielen der Videoaufzeichnung nicht weiß, ob man eher lachen oder weinen soll, dann wegen der bedauerlichen Tatsache, dass dieser Fliegende Holländer alle nur möglichen Schwächen von Opas Oper ausweist, ohne durch ihre Stärken versöhnen zu können.

Unglücklich ist erst einmal schon, dass der erste Akt mit dem nächtlich strandenden Schiff Dalands noch am helllichten Tag spielt, mit im Hintergrund auf ruhigem Gewässer dahin gleitenden Booten neugieriger Ausflügler, während die Spinnstube in nächtliches Dunkel getaucht ist. In einem Rahmen aus weißer Pappe gibt es viel Stoffgewoge, weiße Luftballons und Flitter und Glitzer, die Kostüme (Leo Kulaš)  sind teilweise geschmacklos wie die bonbonfarbene Festtagskleidung der Norwegerinnen oder die blutrote Puffmutterrobe der Senta, ehe diese in ihr Brautkleid schlüpft. Personenregie findet kaum statt, man beschränkt sich auf besonders bei den Großaufnahmen peinlich wirkende pathetische Gesten, und der deutsche Betrachter der inszenatorischen Unfähigkeit fragt sich betreten, was wohl die allerdings gutwillig nicht mit Beifall sparenden Zuschauer von deutscher Oper halten mögen (Regie Plamen Kartaloff).

Altstar Kurt Rydl, der auch einen sehr anständigen Daland singt und spielt, soll als Coach an der Einstudierung beteiligt gewesen sein, kann aber nicht verhindern, dass ein ganz absonderliches Deutsch gesungen wird. Das fällt besonders beim Erik von Kostantin Andreev auf, der eine sehr klare Diktion sein Eigen nennt, was hier zum Nachteil gerät, denn man merkt auf erschreckende Weise, dass er einen Aussprachefehler an den anderen reiht. Optisch gleicht er, je näher ihm die Kamera rückt, umso mehr einem gealterten Operettenbuffo. Mit dem Aussehen eines reifen Basses und einer Stimme, die weder jung noch lyrisch ist, entspricht Daniel Ostretsov in keiner Weise den Vorstellungen, die man von der Partie des Steuermanns hat. Optisch einen Rollentausch anraten möchte man den Darstellerinnen von Senta und Mary, denn letztere, Alexandrina Stoyanova-Andraeva, ist jung und schön und singt mit einem satten, gesunden Mezzosopran. Radostina Nikolaeva hingegen wirkt für das verträumte Mädchen allzu reif, ist eine Hochdramatische, deren Sopran in der Höhe scharf, in der Tiefe dumpf ist und die mit den Intervallsprüngen hörbar zu kämpfen hat. Einen Holländer optisch gesetzten Alters gibt Markus Marquardt, der vokal vollkommen zufriedenstellt mit kultiviertem Legato und einem Bariton, der weder in den Höhen noch in der Tiefe Ausfälle verzeichnen muss. Chor und Orchester kommen von der Sofioter Oper und künden vom beachtlichen Niveau daselbst. Allerdings könnte Dirigent Rossen Gergov manche Tempi etwas anziehen, da wirkt einiges zu breit und behäbig. Von der Szene ( Plamen Kartaloff, inspiriert von Babara Hepworth) gefallen am besten die Fischernetze, an denen sich die sonst als Spinnerinnen tätigen Mädchen zu schaffen machen. Eine reine Freude sind die Chöre, einstudiert von Violeta Dimitrova, und schön ist es zu sehen, dass der Holländer nun endlich, gen Himmel schwebend, sein Heil gefunden hat. Das versöhnt natürlich mit vielen Unzulänglichkeiten, wie es auch der Eindruck, dass man mit Eifer und Hingabe zu Werke ging, vermag (Dynamic 57991). Ingrid Wanja           

Ambitioniert

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Eine CD mit dem umfassenden und anspruchsvollen Titel Licht zu beglücken ist allemal ein Wagnis, besonders wenn einige der Tracks sich O finstre Nacht oder Nach dem Lichtverzicht nennen. Da nun einmal die Romantik die Zeit der Lieder ist und sie Abend und Nacht besonders feiert, ist der Titel Licht eher unpassend. Gleich 800 Years of German Lieder auf gut siebzig Minuten CD bewältigen zu wollen, mutet verwegen an, denn da muss man einfach einmal mir nichts dir nichts einige Jahrhunderte überspringen. Ein Booklet mit unzähligen Druckfehlern beizusteuern und zu behaupten, einige Liedtexte, so von Friedrich Rückert, der vor mehr als 150 Jahren das Zeitliche gesegnet hat, seien wegen des copyright nicht abdruckbar gewesen, ist schon eine gewisse Zumutung an den Leser, genau wie ein Ausflug  durch die Reiche aller Weltreligionen in einem so kurzen Text, welchen ein Booklet einfach nur haben kann.

Es beginnt mit zwei Beiträgen aus dem mittelalterlichen Minnesang, einem Text Oswald von Wolkensteins, zu dem eine Musik nicht nachgewiesener Herkunft gesungen wird von einem üppigen, dunklen Mezzosopran mit einer eher raunenden Begleitung. Danach singt die ebenmäßige, in allen Registern sich durch eine schöne Farbe auszeichnende Stimme Walthers von der Vogelweide Unter der linden, leider nicht in Mittelhochdeutsch und leider von dem Irrtum ausgehend, Frauenlieder seien eine „Kuriosum“ gewesen. Das trifft nicht zu, eines der ersten Lieder, Ich zoch mir einen falken, ist ein solches. Auch die „spirituelle Dimension“ bleibt eine nicht nachgewiesene Behauptung, so wie die angebliche Haft Luthers in Eisenach, mit der wohl die Zuflucht gemeint ist, die dieser auf der Wartburg fand. Dass es sich bei Bach, der nun folgt, um den „größten Komponisten der Aufklärung“ handelt, ist altes DDR-Wissen, dem die allgemein nachvollziehbare These gegenüber steht, dass mit des Komponisten Tod auch die Epoche des Barock ihr Ende fand. Das ändert nichts daran, dass zwar für die beiden Stücke des Leipzigers die Diktion eine recht verwaschene ist, dass aber die Stimme von Anna Lucia Richter klar, rein und gut konturiert, wenn auch etwas geschmäcklerisch eingesetzt, der Musik gerecht wird. In Haydns Landlust leuchtet der Mezzosopran angemessen, bei Mozarts Abendempfindung zeigt sich die Klavierbegleitung von Ammiel Bushakevitz als besonders empfindsam, für Schuberts Der Zwerg erweist sich das tiefe Register  der Sängerin als zu flach, Im Abendrot strahlt eine schöne Ruhe aus. Vielfach vertont ist Eichendorffs Frühling, die Sängerin wählte die Komposition von Fanny Mendelssohn und hat für sie einen glanzvollen Jubelton. Der Bruder steuert Neue Liebe auf einen Text von Heinrich Heine bei, überromantisch die Parodie streifend und von der Sängerin am Schluss mit schönem Pathos bedacht. In dunkler Trauer endet Schumanns Die Fensterscheibe, die Stimmung von seinem Abendlied wird konsequent durchgehalten.  Auch Johannes Brahms ist vertreten und zwar mit Sommerabend, dessen dunkle Leichtigkeit gut getroffen wird. Abgesehen vom Refrain geht der Text von Mörikes Feuerreiter in der Vertonung von Hugo Wolf leider fast gänzlich verloren, aber spätestens bei diesem Lied geht dem Hörer auch auf, dass die Sängerin nicht der Versuchung erlag, allseits bekannte Lieder auszuwählen, dass sie auch weniger Populäres anbietet. Leider gibt e keinen Richard Strauss, dafür aber gleich vier Lieder von Alban Berg, derer drei Texte des Symbolisten Albert Mombert beinhalten und deren Atmosphäre von Richter und Bushakevitz zutreffend eingefangen wird. Auch die Verhaltenheit von Eislers Und endlich stirbt wird schön vermittelt, Weills Berlin im Licht klingt recht verrucht, und zum Schluss wird mit einem gregorianischen Gesang zum Anfang zurückgekehrt (CC72965). Ingrid Wanja

Ewa Podles

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Ewa Podles  war ein Naturereignis. Stimmlich wie auch als Persönlichkeit. Raumgreifend, wunderbar, humorvoll, liebenswürdig. Stimmlich umwerfend. Ein Koloratur-Contralto mit der (3!) Oktaven, mühelosen Spitzentönen und erderschütternden tiefen Noten. Außer von Lucia Valentini-Terrani habe ich eine solche Orgie an Contra-Alt nie erlebt, bis heute nicht.

Ich hab´ sie oft gehört, bin ihr auch nachgereist, denn sie sang in den Neunzigern eben auch das Repertoire, das sich mir erstmals 1986 in Pesaro mit besagter Kollegin Valentini eröffnete: Rossini. Erstmals erlebte ich sie 1996 an der Berliner Staatsoper als Tancredi (mit und ohne lieto fine) und dann an der Deutschen Oper Berlin als absolut phänomenaler Arsace in der idiotischen Geranienproduktion der Intendantin Harms. Nicht einmal diese konnte von der fulminanten Wirkung Ewa Podles´ (und Simone Alaimos als glänzender Assur) ablenken. Was für ein  Organ. Ihr Auftritt mit wirkungsvollem Rezitativ und nachfolgender Arie rockte das Haus, da störte auch der Lidl-Einkaufswagen nicht. Aber kaum jemand wusste, dass sich Ewa Podles eine akute Rückenverletzung zugezogen hatte. Das war Professionalismus.

Ewa Podles als Tancredi an der Mailänder Scala/Foto Lelli & Masotti

Zuvor war Liége gewesen, dann Pesaro und später die Welt, dank Alberto Zedda, der sie erstmals in Warschau gehört und zu einer beneidenswerten Karriere an allen internationalen Belcanto-Zentren gebracht hatte. Ihre Auftritte waren Legenden, ob in Frankreich, Italien oder Amerika.

Nach und nach verließ sie Rossini und folgte dem eher angestammten Repertoire, das sie ja zu Hause am Wielki immer gesungen hatte, eben Verdi, Saint-Saens (ihre Dalila in Paris erntete berechtigte Lorbeeren), aber dann auch Wagner, Brahms, Mahler, sogar Haydn und vieles mehr. Dennoch denke ich, dass ihre bemerkenswerten Talente im Rossini-Fach zu finden waren und dort unerreicht bis heute sind.

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Sie hat nicht viele offizielle Aufnahmen gemacht, aber ihr Orphée von Gluck in der Viardot-Fassung bei Forlane sprengt schon den Rahmen des Konventionellen (sie hat auch die italienische Version  eingespielt), ihre Rossini-Arien-CDs und ihr Tancredi bei Forlane, Naxos und anderen sind unschätzbare Memorabilien ihrer Kunst. Ein paar reife Rossini-Video-Dokumente aus Pesaro u. a. bei Dynamic kommen dazu. Aber Sammler haben natürlich alle ihre vikelen wunderbaren Live-Auftritte (auch die Semiramide aus Berlin und Liège, wohin Zedda sie oft holte).

Ich hab´ sie viele Male getroffen, namentlich in Pesaro und Liege und zuletzt noch in Posen als Arsace im Kostüm der Abigaille (das Theater hatte zum Gastspiel ihren alten Nabucco aktiviert, sehr putzig und sie natürlich überwältigend), aber nachstehend folgt das Interview unserer ersten Begegnung 1996 anlässlich ihres Tancredi in Berlin, wo ich sie mit ihrem liebenswürdigen Dirigenten-Ehemann Jerczy Machwinsky (der kurz vor ihr 2023 gestorben war) erlebte. Was für eine kluge und reizende Frau (geb. 26. April 1952 in Warschau, † 19. Januar 2024 ebendort). Was für Erinnerungen. Danke Ewa! Geerd Heinsen

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Ewa Podles und ihr Ehemann Jerczy Marchwinsky/Foto privat

Contralto mit Hohen C: Unverstellt, engagiert, sensationell virtuos, mit reichem Pathos, zu Herzen gehend: alles Vokabeln, die sich beim Erleben der naturgewaltigen Stimme von Ewa Podles einstellen. Ihr Tancredi an der Ber­liner Staatsoper Unter den Linden im Marz (1996) war eine solche Tour de Force, verbunden mit einer das Herz rührenden Persönlichkeit auf der Bühne: Ich war gespannt, wie die Sängerin sich privat geben wurde – dies war einer der wirklich seltenen Fälle, bei denen ich mich als Musikjournalist förmlich nach einem Gespräch drängte, denn eine solche Leistung erlebt man nicht oft: Berlin stand wegen der Podles und wegen des Dirigenten Alber­to Zedda (dazu natürlich die übrigen Mitwirkenden in Rossinis Oper) absolut auf bestem Pesaro-Niveau, damals noch der Maßstab der Dinge in Sachen Rossini, auf dem Kopf.

Ewa Podles‘ Ruhm war ihr bereits vorausgeeilt. Ich selber hatte sie in Venedig als Arsace (mit der Devia) erlebt, Freunde hatten von ihrem Tancredi an der Scala berichtet, aus Frankreich kamen viele gute Nachrichten über sie, und von dort stammte nicht zuletzt die prachtvolle Naxos-CD des Tancredi (ebenfalls unter Zedda, mit Sumi Jo und Robert Swenssen), während von Forlane vorher der umwerfende französisch ge­sungene Orphee von Gluck und zwei Recitals mit Arien von Händel und rus­sischem Liedgut herausgekommen waren. Ihre CD mit Amor brujo (unter Pende- reckis Leitung) fiel mir erst später in die Hände. Alle diese Dokumente zeigten die­se aufregende Stimme mit der exzeptio­nellen Reichweite eines wahren Contra­-Alts, der mühelos das hohe C, aber auch eine geradezu „Baß“-Tiefe erreicht, der die makellos aneinander gebundenen drei Register durchmisst wie im Fluge, der vor allem eine fast altmodische Ausdrucksska­la des Bedeutsamen besitzt – eine aus der Maske und Nase kommende Ehrlichkeit der Äußerung, besonders in den Rezitativen, aber auch – wie im Falle Glucks – in der großen Arie. So müssen die großen Sängerinnen der Vergangenheit gesun­gen haben.

Ewa Podles als Orphée in Triest/Teatro Giuseppe Verdi

Gegenüber in ihrem kahlen Miet-Apartment in Berlin saß mir eine temperament­volle, attraktive Frau in den absolut be­sten Jahren, mit einem brandroten Haar­schopf, mit schönen braunen Augen, mit lebhaften Bewegungen der Hände, die sie nicht ruhig halten konnte. Sie und ihr eleganter Ehemann Jerczy Machwilsky sprechen Französisch mit jenem lie­benswerten gerollten -r-, das man von weitgereisten Polen und ihren Nachbarn kennt. Er wirkt mit seinen eleganten weißen Haaren auf mich als der Inbegriff eines Gentleman der alten Schule, ist ihr Coach und zudem selber ein bedeutender Mu­siker, Pianist, Begleiter (nicht nur seiner Frau, sondern auch anderer großer Sän­ger, so Maureen Forrester oder Rita Streich bei deren Abschiedskonzert bei Radio France 1979). Während er eher gelegentlich die eine oder andere korri­gierende oder ergänzende Bemerkung beisteuerte, schwärmten seine Frau und ich von Rossini, den sie mir bereitwillig in einzelnen Tönen oder Phrasen beim Kaffee vortrug.

Sie besaß diese phänomenale Natur­stimme schon immer, sagt sie, und die Begabung zu dunklen Stimmen liegt in der Familie. Ihre Mutter war eine außerordentliche Sängerin gewesen und verfügte ebenfalls über einen weitreichenden Contra-Alt, ihre Schwester ist ebenfalls ein runder Mezzosopran.

Contra-Alt: Die Sache bedurfte der Erklärung, denn normaler­weise kennt man echte Contra-Altistinnen kaum noch, und wenn, dann nur im Kon­zert- und Kirchenrepertoire. Falsch, sag­te Ewa Podles. Ein Contra-Alt war die wahre Stimme, für die z. B. Rossini schrieb, denn seine Frau Isabella Colbran war eine Contra-Altistin, kein Mezzoso­pran, der ohnehin erst zu Verdis Zeiten in Mode kam. Mezzosoprane sind, sagt sie, und ich nicke, meistens kurze Sopra­ne mit guter Tiefe, die in heutiger Zeit viel zu häufig aufgefordert werden, Belcanto-Partien zu singen, für die ihnen die Tiefe und vor allem die Reichweite und das Passaggio fehlen – hier kann nicht wie­dergegeben werden, über wen wir alles sprachen, die leider in diese Kategorie fallen, auch sehr hochdotierte. Contra­-Altistinnen hingegen haben in ihrem und im idealen Fall diese nahtlose Durchbil­dung der Stimme, die bis zum hohen C reicht, die im Lauf nicht die Farbe ändert, die im unteren Bereich durchaus bis in die tiefe Brust herunterreichen kann. Ich mache ihr Komplimente wegen ihres dis­kreten Gebrauchs des Brustregisters, das sie im Tancredi nur wie spielerisch an­getippt hat (wenn sie es nicht als geziel­ten Effekt einsetzte), und sie lächelt, denn sie weiß, dass das Publikum das tiefe, ausgesungene Register liebt. Es gibt eben Situationen und Partien, wo man ausgie­big in die Brust gehen muss, und es gibt andere, bei denen man sparsam damit sein soll. Die erstklassige Beherrschung der ganz hohen Lage hat natürlich auch etwas mit der gutsitzenden Tiefe der Stim­me zu tun, und es gibt Tage, an denen alles zusammenkommt, und es gibt an­dere (vor allem im Leben einer Frau), an denen man sich auf seine Technik verlas­sen muss.

Ewa Podles als Arsace am Teatre Wielki Posen/Foto Podles

Aber generell singt Ewa Podles mit großer, kräftiger und gesunder Na­turstimme und denkt nicht so viel in tech­nischen Bereichen. „Madame de Langereux“ ist das Zauberwort, hinter dem sich für sie eine wunderbare Lehrerin und ein gan­zes Programm verbergen.

Wie war denn das an der Hochschule zu Hause (früher Posen, heute War­schau)? Natürlich dachten die ersten Leh­rer, dass sie ein Sopran sei, wegen der leichten Höhe. Aber ihre Mutter und an­dere erkannten sehr schnell ihre eigentli­che Lage. Leicht war der Anfang nicht, denn zum einen war damals das Repertoire des Belcanto noch nicht erschlossen, das kam in den letzten zehn Jahren, und zum anderen wurde in Polen das konservati­ve Repertoire gepflegt, wenngleich Ehe­mann Machwilsky auf die eine oder an­dere Rossini-oder Belcanto-Aufführung im Lande hinweist.

Während Ewa Podles im Ausland weit­gehend für ihren Belcanto gefeiert wird, singt sie zu Hause am Teatr Wielki das ganze tiefe Fach, von der Marina über die Kontschakovna bis zur Dalila alles (Dalila war sie auch in der prestigerei­chen Inszenierung im alten Palais Gar­nier in Paris vor dem Umzug in die Bastil­le) – was den Zuhörer doch staunen macht, denn die Vorstellung, dass diese große, ungemein bewegliche Contra-Alt-Stimme Dalila oder Carmen singt, überrascht zwar nicht, spricht aber für ihre Kunst. Wie hat sie diese stilistische Sicher­heit erworben, mit der sie eine Adalgisa, Rosina oder den Tancredi gibt, wie die überzeugende Kenntnis der Rezitative, die sie mit Pathos und Bedeutung füllt? Sie lacht und zeigt auf ihren Kopf: „So wie die Kadenzen und Verzierungen der Partien habe ich auch den Belcanto im Kopf, wahrscheinlich aus Instinkt. Wenmich ein Dirigent nach meinen Kadenzen fragt, ob ich sie ihm auf dem Papier zei­gen könnte, sage ich nur, dass ich sie alle im Kopf habe. Das ist wohl angeboren.“ Und in der Tat variiert sie ihre Apoggiaturen und Kadenzen von Mal zu Mal, steht souverän in der Musik und im geforderten Ausdruck – was natürlich einen ähnlich kompetenten, kenntnisreichen Dirigenten erfordert, wie Zedda es ist.

Ewa Podles und Deborah Voigt in „La Gioconda“ an der Canadian Opera Toronto/Foto Sprizzo PM

Während wir uns bei einem Kaffee durch die Packung „Mon Cherie“ auf dem Couchtisch arbeiten, erlebe ich immer wieder, wie direkt, wie „unverdorben“ im Sinne einer Marketing-Promotion oder gestylten Karriere diese ungemein sympathische Sängerin ist – sie ist in der Tat so direkt, so unkompliziert wie auf der Bühne, wo sie zupackt und ganz sie selbst ist, kein Glamourgirl, keine Starallüren, sondern eine reelle, mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Künstlerin mit einer prachtvollen Stimme. Und wann hat man das zum letzten Mal erlebt?

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(Mit großem, Dank an Wolfgang Denker für seine umfangreiche Kopier- und Archivarbeit. Foto oben Ewa Podles /privat)

Quer durch Europa und anders wohin

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Aus  voneinander weit entfernten Teilen Europas, ja der Welt stammen die Musikstücke, die das Ehepaar Magdalena Kožená/Simon Rattle auf seiner neuesten  CD vorstellt, allen gemeinsam ist, dass sie auf Melodien von Volksliedern beruhen, die CD sich also zu Recht Folk Songs nennen darf.

Es beginnt mit dem Ungarn Bela Bartok, der für seine fünf Hungarian Folk Songs die Volksliedmelodie jeweils durch die Orchestrierung in einen neuen Kontext versetzt. Im einleitenden A törnlöchen, gleich In Prison, lässt der warme, helle Mezzosopran müheloser Emission eine sanfte Klage ohne Aufbegehren vernehmen, die ungarische Sprache wird nicht allzu akzentuierend dargeboten. Eher eine kindliche als eine weibliche Stimme scheint für Old Lament eingesetzt zu werden, und schön korrespondierend mit den Instrumenten erklingt Yellow Pony. Weit gespannte, schmerzlich klingende Bögen von schmerzlicher Intensität hat die Sängerin für Complaint bereit, und für Virag’s lamps und den schillernden Refrain des Stücks liefert das Orchester eine besonders interessante Begleitung.

Für Cathy Berberian komponierte Luciano Berio 1964 Folk Songs, für die es auch eine Version für nur sieben Orchestermitglieder gibt.  Das Entstehungsjahr der Songs ist auch das ihrer Scheidung, die jedoch eine weitere künstlerische Zusammenarbeit nicht verhinderte. Black ist he Colour ist eine zarte weibliche Liebeserklärung, während I wonder as I wonder eine interessante Rollenverteilung zwischen Stimme und Orchester bereit hält. Silbrig aufblühen in schöner Reinheit kann der Mezzosopran in Loosin yelav, während die Leichtigkeit der Emission im an die Nachtigall gerichteten Lied zu bewundern ist. Aber die Sängerin und das Orchester können auch anders, wenn sie für einen derben Dialekt auch den entsprechenden Ton finden. Zurück zur Leichtigkeit und Beschwingtheit geht es mit La donna ideale, wie eine wilde Tarantella klingt Ballo, in dem besonders schöne, fein gerundete Töne zu vernehmen sind. In zärtlicher Verspieltheit scheinen Stimme und Orchester einander zu umkreisen, und spätestens jetzt beginnt der Hörer den Einsatz ganz unterschiedlicher Instrumente und damit unterschiedlicher Hörerlebnisse zu konstatieren. Ein ganz besonderes ist das der Wildheit im abschließenden Aserbaidschanischen Lied.

Es geht weiter mit fünf Chansons von Maurice Ravel, teilweise von diesem selbst, teilweise vom Schüler Manuel Rosenthal instrumentiert. Es geht um Griechisches in französischer Sprache, in der die Stimme wie eine schlanke Flamme lodert, so im La-bas, vers l’eglise, oder wo in Quel galant eine Vielzahl unterschiedlicher Empfindungen offenbart wird, während im vorletzten Beitrag ein feierlicher Klang schön durchgehalten wird im ununterbrochenen Fluss der Musik. Über einem dumpfen Schlagzeug erhebt sich hell die Stimme in Tout gai! und beendet die Gruppe der Ravel-Lieder.

Exotisch schillernd wird es mit Xavier Montsalvatge, einem Katalanen mit Beziehungen zu Kuba und den Antillen, der mit Canciones negros der schwarzen Bevölkerung eine Stimme verleiht.  letzte Song Canto negro liefert einen furiosen Abschluss seiner Tracks , von denen selbst das Wiegenlied von der Unterdrückung durch den „white devil“ oder „mandinga blanco“ spricht. Stimme und Orchester setzen sich gleichermaßen emphatisch für die Klage der schwarzen Mutter ein (Pentatone PTC 5187 07). Ingrid Wanja             

Liebeskrank

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Lovesick heißt die neue Platte des Countertenors Randall Scotting bei signum CLASSICS (SIGCD736), die im November 2020 in Los Angeles entstand. Der renommierte Lautenist Stephen Stubbs begleitet den Sänger in einem Programm, das neben barocken Kompositionen von Purcell, Blow, Dowland u. a. auch schottische, irische und englische Balladen offeriert. Es umspannt einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten, beginnend mit John Dowlands „Fortune my foe“ von 1596. Es ist eines der Stücke für Laute solo, zu denen noch Purcells Suite aus King Arthur für Barockgitarre von 1691 und „Packlington´s Pound“ eines anonymen Schöpfers für Bass-Laute von 1600 kommen. Der Solist Stephen Stubbs kann hier mit feinen Tönen und großem musikalischem Empfinden für sich einnehmen.

Die vokale Auswahl beginnt mit jenem Titel, welcher der Platte den Namen gab: „I´m sick of love“ von William Lawes (1645). Von diesem Komponisten folgen später noch „Perfect and endless circles are“ und „I rise and grieve“. Die Stimme des Countertenors ist ungewöhnlich klangvoll und resonant, vermag die empfindsamen Songs mit adäquatem Ausdruck wiederzugeben. Die meisten Stücke stammen von Henry Purcell. Es sind auch die populärsten und am häufig interpretierten: „When Orpheus sang“, „She loves and she confesses too“, „O, lead me to some peaceful gloom“ und natürlich „O solitude“. Stimmungen der Melancholie, der Traurigkeit, des Schmerzes und der Trauer werden vom Sänger berührend eingefangen. Zwei Titel stehen für John Blows reiches vokales Schaffen: „Tell me no more you love“ und „The self-banished“.

Dass die Liebeskrankheit nicht an geographische Regionen gebunden ist, beweise französische und italienische  Beispiele. Von Étienne Moulinié erklingt „Enfin la beauté“, von Pierre Guédron „Cessés mortels de soupirer“. Im ersten Stück hört man delikate Töne und feine Triller, im zweiten Momente von flehentlicher Intensität. Italienische Arien gibt es von Marc’Antonio Cesti („Intorno all’idol mio“ aus L’Orontea) und Daniele da Castrovillari („Luci belle“ aus La Cleopatra). Die Schönheit der Stimme des Counters kommt in diesen getragenen Kompositionen besonders zur Geltung.

Von den Balladen seien genannt „There’s none to soothe my soul to rest“, ein traditional Gaelic song, „At the mid hour of night“, ein traditional Irish song, die traditional Scottish ballads „Mary’s dream“ und „Black is the colour“ sowie die traditional English ballad „The three ravens“. Randall Scotting interpretiert auch diese mit starkem Engagement und stilistischer Versiertheit. Bernd Hoppe

Orianna Santunione

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Mit der italienischen Sopranistin Orianna Santunione ist am 16. Dezember 2023 eine der letzten der legendären Nachkriegssänger/innen gestorben. Wie viele ihrer Kollegen hat sie kaum offizielle Aufnahmen gemacht, aber Sammler haben ihre leuchtende, im besten Sinne solide und kraftvolle Spinto-Stimme im Ohr, wie sie auf vielen der Mitschnitte des ehemaligen „grauen Marktes“ zu hören war.

Orianna Santunione als Tosca/Wikipedia

Wie die Kolleginnen Pobbe, Ligabue, Rovere, Cavalli, Orell oder Gencer war sie eine Meisterin im Verismo-Fach, aber auch bei Verdi und Puccini zu Hause, darin nicht nur in Italien selbst sondern auch vielgesuchter Gast an den großen Häusern des Auslands. Und ihre Ausflüge zu Mercadante und in die Belcanto-Region zeigen ihre universelle Eignung für das italienische Oper-Idiom, wenngleich vielleicht die externe Gestaltung weniger ihr Ding war als vielmehr eine eher allgemeine Konzentration auf die Musik selbst, was natürlich ohnehin ein Merkmal des italienischen Gesangs der Zeit war.

Nachstehend ein Nachruf aus der Zeitschrift Il Resto del Carlino ihrer Heimatstadt Modena und anschließend ein Auszug aus dem immer noch unverzichtbaren Kutsch-Riemens (mit einer eingeschränkten Auflistung ihrer Aufnahmen).

Wieder ist die Opernwelt und wir Liebhaber guten Gesangs um eine bemerkenswerte Persönlichkeit ärmer geworden. Geerd Heinsen (mit Dank an H. S.)

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Orianna Santunione als Amelia („Simon Boccanegra“)/Wikipedia

Die Sopranistin Orianna Santunione aus Sassuolo ist gestern im Mailänder Seniorenheim „Giuseppe Verdi“ verstorben. Die am 1. September 1934 in jener Stadt, genauer gesagt in Ponte Fossa, geborene Santunione war eine Sopranistin von Weltrang, die das Publikum in den großen Theatern der Welt verzauberte: Nachdem sie bereits in jungen Jahren nach Mailand gezogen war, um ihre Ausbildung zu vervollständigen und ihre Karriere zu beginnen, debütierte sie 1959 in Giordano Brunos „Fedora“ und sang in den vielen Jahren ihrer glänzenden Karriere in den renommiertesten Theatern der Welt wie der Mailänder Scala, dem Covent Garden in London und der Pariser Oper, wobei sie stets Hauptrollen wie in „Simon Boccanegra“, „Don Carlo“, „La forza del destino“, „Un ballo in maschera“, alle von Verdi, interpretierte; „Tosca“ von Puccini, „La Gioconda“ von Ponchielli, „La fanciulla del west“ von Puccini, „Il Pigmalione“ von Donizetti. Als Erbe der Operntradition von Sassuolo (Bruno Cioni, Pietro Medici, Ferrando Ferrari, Bruno Lazzaretti und jetzt Matteo Macchioni) hatte sie die Tosca am Carani-Theater gesungen. (Übersetzung DeepL)

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Santunione, Orianna, Sopran, * 1.9.1934 Sassolo bei Modena; Ausbildung durch die Pädagogen Carmen Melis und Renato Pastorino in Mailand. Ihr Bühnendebüt erfolgte bei der Operngesellschaft ASLICO als Titelheldin in »Fedora« von Giordano. In den folgenden Jahren hatte die Künstlerin bedeutende Erfolge an den großen italienischen Bühnen: an der Mailänder Scala wie an der Oper von Rom, in Genua, Triest, Bologna, Neapel, Parma, Palermo, Turin, Venedig und bei den Festspielen in der Arena von Verona (1967, 1972, 1974, 1977). 1975 gewann sie den Giulietta-Preis bei einem Concours in Verona. Im Ausland war sie zu Gast an der Grand Opéra Paris, in Nizza und Rouen, an den Staatsopern von München und Hamburg, in Amsterdam und Budapest, am Teatro Liceo Barcelona, in Dallas, Philadelphia und Cincinnati.

An der Covent Garden Oper London trat sie 1965 als Amelia in Verdis »Simon Boccanegra« auf. Im italienischen Fernsehen wirkte sie in Aufführungen der Opern »Othello« von Verdi und »Lohengrin« von Wagner mit. Zu den Glanzrollen der Künstlerin gehörten die Medea in Cherubinis Oper gleichen Namens, die Maddalena in »Andrea Chénier« von Giordano, die Nedda im »Bajazzo«, die Santuzza in »Cavalleria rusticana«, die Tosca, die Butterfly, die Aida, die Amelia in Verdis »Ballo in maschera«, die Leonore im »Troubadour« und in »La forza del destino« von Verdi, die Elisabetta im »Don Carlos«, die Mathilde in »Wilhelm Tell« von Rossini und die Titelheldin in »Francesca da Rimini« von Zandonai.

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Schallplatten: MRF (Titelheldin in »Madame Sans- Gêne« von Giordano), MRF-Nuova Era (»Ali Baba« von Cherubini), Melodram (»Pigmalione« von Donizetti), Voce (»Elena da Feltre« von Mercadante).

[Lexikon: Santunione, Orianna. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 21321 (vgl. Sängerlex. Bd. 4, S. 3051) (c) Verlag K.G. Saur]

Seltenes

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Écho et Narcisse ist Christoph Willibald Glucks letzte Oper, allerdings war sie nicht der große Wurf wie die vorangegangene Iphigénie en Tauride (1779). Sie wurde im selben Jahr an der Pariser Opéra uraufgeführt und erlebte ein Fiasko. Der Librettist Baron Louis-Thédore de Tschudi bezog sich auf Ovids Metamorphosen und schildert in dieser Pastorale die Liebesgeschichte der Nymphe Echo mit dem Jäger Narziss.

Die Neueinspielung auf zwei CDs bei CV (CVS095), welche im Oktober 2022 in Versailles entstand, löst die bisherige Referenzaufnahme mit René Jacobs aus dem Jahre 1987 von den Schwetzinger Festspielen ab. Hervé Niquet bringt mit seinem Ensemble Le Concert Spirituel die Finessen der Musik, ihre Eleganz und Leichtigkeit betörend zum Klingen und hat ein Ensemble französischer Sänger zur Seite, das die Partien mit idiomatischem Stilempfinden und vorbildlicher Diktion interpretiert. Bei der Pariser Uraufführung wirkten zwei berühmte haute-contres mit: Étienne Lainez als Narcisse und Joseph Legros als sein Freund Cynire. Bei CV sind es der renommierte Cyrille Dubois in der männlichen Titelpartie und der madagassische Tenor Sahy Ratia als Cynire. Ersterer führt sich mit dem wiegenden „Divinité des eaux“ ein und vermag sogleich mit seiner sensiblen Stimme zu berühren. Im 2. Akt ergreift sein flehentlicher Ausdruck in den Airs „O combats“,  „Dissipe ce mortet effroi“ und „Beaux lieux“. Der Tenor singt gleichfalls mit großer Empfindsamkeit und ist Dubois ein kompetenter Partner in deren gemeinsamen Gesängen.

Écho ist Adriana Gonzáles mit leuchtendem Sopran und innigem Ausdruck. Von ihren Airs im 1. Akt ist „Peut-être d’un injuste effroi“ besonders wirkungsvoll. Im Prologue gefällt Myriam Leblanc mit lieblichem Sopran als Amour. Mit dem hinreißend musizierten Allegro endet das Werk (11. 01.24.). Bernd Hoppe

Matteo Salvi

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Matteo Salvi? Wer ist Matteo Salvi? Viel findet man nicht über den Donizetti-Ponchielli-Schüler, der eigentlich nur als Vervollständiger von Donizettis Duc d´Albe in Form von Il Duca d´Alba in die Musikgeschichte eingegangen ist. Ähnlich wie Alfano Puccinis Turandot mit eigener Musik komplettierte. Man erinnert sich: Die Verlegerin Paulina Lucca bat ein Gremium in Bergamo, ihr bei der Komplettierung der posthum hinterlassenen und unvollständigen Oper zu helfen, nachdem Ricordi auf die Rechte verzichtet hatte und die Erben Donizettis mit einer Vervollständigung am finanziellen Erfolg des Namens teilhaben wollten.  Salvi gilt als Autor der Tenor-Arie Angelo casto e bel dieser Oper, wurde jedoch bei der Rekonstruktion von Donizettis Musik von anderen Komponisten unterstützt, darunter Amilcare Ponchielli . Alex Weatherson hat zur Oper bei uns einen langen Artikel dazu geschrieben: Das blutige Beil des Duca d´Alba. Der 1882 in Rom in Italienisch uraufgeführt wurde.

Donizetti/Salvi: Il duca d´ Alba/ Libretto/archive/org

Danach 1951 in Rom/Rai, in Spoleto (1959 und 1992), Florenz (1981), Brüssel, New York (1982), Montpellier (2207) und erneut Brüssel (2012) sowie Oviedo (2015). Opera Rara schließlich nahm die beiden ersten erhaltenen Akte im Original auf. Das Théatre de la Monnaie schließlich versuchte die Oper mit einem ziemlich gemein klingenden Schluss von Battistelli/Parker zu komplettieren, ebenfalls in Französisch.  Viele Sänger wie Caruso, Anselmi und andere der fernen Vergangenheit haben Salvis Arie „Angelo casto e bel“ aufgenommen, Carreras, Florez, Björling, Domingo, Canonici, Pavarotti und andere in der Moderne ebenfalls.

Aber wer war Matteo Salvi, der erstaunlich viele Opern schrieb, in Wien sogar eine eigene Strasse hat und ebendort eine bemerkenswerte Karriere machte? Wikipedia fertigt ihn mit einem kurzen Artikel ab, aber im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich, Band: 28 (1874) findet sich ein erhellender Eintrag, den wir im Folgenden, nach dem kurzen Wikipedia-Artikel wiedergeben – um Matteo Salvi aus dem Dunkel zu holen. G. H.

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Matteo Salvi/Libretto zur Oper „Lara“/Archive.org

Wikipedia: Luigi Matteo Salvi (* 24. Oktober 1816 in Sedrina, Italien; † 16. Oktober 1887 in Rieti) war ein italienischer Komponist und Dirigent. Bereits im Alter von acht Jahren wurde er in das renommierte Liceo musicale in Bergamo aufgenommen, das unter der Leitung von Johann Simon Mayr stand. Dort wurde er im Gesang und Komposition ausgebildet. Mit 18 Jahren übernahm er am Institut die Stelle eines Klavierlehrers und war ab 1839 Kapellmeister an beiden Theatern in Bergamo.

1842 holte ihn Gaetano Donizetti nach Wien, bei dem er, wie auch bei Simon Sechter Unterricht nahm. 1842 bzw. 1847 wurden seine Opern La Primadonna und Caterina Howard am Kärntnertortheater mit großem Erfolg aufgeführt. Die Werke Lara und I Burgravi wurden 1843 bzw. 1845 an der Mailänder Scala zur Uraufführung gebracht. Salvi sollte die Leitung der italienischen Oper in Wien übernehmen. Das Revolutionsjahr 1848 durchkreuzte alle Pläne, denn in den folgenden Jahren gab es keine italienische Opernsaison in Wien und Salvi musste, trotz aller Erfolge sein Leben als Gesangslehrer fristen. 1854 leitete er die Aufführung von Gioachino Rossinis Stabat Mater mit 1500 Mitwirkenden. Er übernahm weiter die Leitung der Akademie der Tonkunst, die er zeitweise Zusammen mit dem Gesangslehrer Giovanni Gentiluomo leitete. 1860 zum wurde er zum provisorischen Leiter der Wiener Hofoper ernannt, deren Direktion er 1864 bis 1867 übernahm. In dieser Zeit bestand in dem Haus auch eine von ihm gegründete Opernschule. 1875 bis 1878 übernahm er die Leitung des Konservatoriums in Bergamo. Während er in Wien mit dem Vorurteil zu

Das Theater an der Wien, Stich von Jacob Alt 1811/Wikipedia

kämpfen hatte, er bevorzuge die italienische Musik, war er nun in Bergamo dem Vorwurf der Nähe zum österreichischen Kaiserhaus ausgesetzt. Ab 1879 finden wir ihn in Rieti wo er Gaetano Donizettis Oper Le duc d’Albe komplettierte, die 1882 in Rom uraufgeführt wurde. (Wikipedia)

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Sowie: das Biographische Lexikon des Kaiserthums Österreich von 1874: Salvi, Matteo (Compositeur und vormals Director des Wiener Hof-Operntheaters, geb. in der Nähe von Bergamo im Jahre 1820). Seine Eltern, Eigenthümer eines kleinen ländlichen Besitzes, waren im Stande, dem Sohne eine seinen Neigungen und Talenten entsprechende Erziehung zu geben. So kam Matteo im Alter von acht Jahren an das berühmte Liceo musicale in Bergamo, welches damals unter der Leitung des großen Maestro Simon Mayr [Bd. XVIII, S. 169, Nr. 108] stand.

In diesem Institute, aus welchem Künstler, wie Bordogni, David, Donizetti, Donzelli, Marini, Nozari, Rubini, hervorgegangen, bildete sich S. im Gesange und in der Composition und mit so günstigem Erfolge, daß er im Alter von 18 Jahren die Stelle des Clavierlehrers Dolci, als dieser das Institut verließ, übernehmen konnte, auch wurde er ungeachtet seiner Jugend mit der Stelle eines Dirigenten der Oper betraut. Vier Jahre versah nun S. das Amt des Opern-Capellmeisters, und zwar nacheinander an beiden Theatern in Bergamo.

Unter seiner Leitung kamen die besten älteren und neueren Werke auf die Scene. Dessen ungeachtet fand der junge Künstler immer noch Zeit, sich mit Composition zu beschäftigen, und einige Kirchen- und Kammerstücke, etliche symphonische Compositionen, ja bereits eine große Messe stammen aus dieser Periode seines Lebens. In seinem Drange nach höherer Ausbildung begab sich S. nach Wien, um dort seine musikalischen Studien fortzusetzen. Im September 1842 kam S. in Wien an und wurde ein Schüler des berühmten Simon Sechter. Schon nach zwei Jahren trat er mit seinem ersten dramatisch-musikalischen Versuche vor; es wurde nämlich seine einactige Oper: „La Primadonna“ im Kärnthnerthor-Theater zur Aufführung gebracht und mit Tadolini und Rovere in den Hauptpartien mehrere Male mit Beifall gegeben.

Dieser günstige Erfolg brachte ihm einen erfreulichen Auftrag aus Mailand und S. schrieb nun für die Scala die große Oper: „Lara“, welche unter der Mitwirkung der Alboni, Tedesco’s, Debassini’s so gefiel, daß er auch für die nächste Stagione 1845 mit dem Auftrage der Composition einer neuen Oper betraut wurde. Diese hieß: „I Burgravi“. Nun wendete sich S. wieder nach Deutschland und nahm, als Director Cerf im Königstädter Theater zu Berlin eine italienische Operngesellschaft zusammenstellte, den Posten als Capellmeister und Compositeur an derselben an, ohne jedoch ihn anzutreten, da das Unternehmen in’s Stocken gerieth. S. beschäftigte sich damals mit der Composition seiner großen Oper: „Katherina Howard“’. Nachdem also das Unternehmen Cerf’s gescheitert, begab sich Salvi nach Wien, wo er im Jahre 1847 die vorgenannte Oper unter Balochino’s Leitung zur Aufführung brachte und der Erfolg ein so glücklicher war. daß man ihm für die nächstfolgende italienische Saison die Stelle eines Capellmeisters bei der italienischen Oper zugedacht hatte. Aber es kam Alles anders, als man erwartet hatte. Das Jahr 1848 hatte alle Pläne umgeworfen.

Matteo Salvi: „La prima donna“ für Klavier/ Wikipedia

Die italienische Saison in Wien hatte für Jahre ein Ende genommen und Salvi mußte allen Erfolgen des öffentlichen Lebens Valet sagen und sich sein tägliches Brot nunmehr als Gesangslehrer verdienen. In dieser Periode war er bei einer großen Production thätig, nämlich bei der Aufführung des Rossini’schen Stabat Mater durch Mitglieder der höchsten Aristokratie in Wien in Verbindung mit dem Orchester des Hof-Operntheaters. Auch hatte man ihn ausersehen, die im völligen Verfalle begriffene Akademie der Tonkunst davon zu erretten und übertrug ihm die Leitung des Institutes, das unter seiner energischen Führung einen neuen, wenngleich auch nur vorübergehenden Aufschwung nahm. Als dann im Jahre 1854 das bekannte Monstre-Concert abgehalten wurde, an welchem sich mehr denn 1500 Musiker betheiligt hatten, da war es S., der den Tactstock schwang über diese gewaltige Masse, und die Befähigung, große Musikkörper zu dirigiren, vollends an den Tag legte. Bis zum Jahre 1860 dauerte dieses nur durch zeitweiliges Hervortreten unterbrochene Stillleben S.’s, als das Verlangen, eine italienische Oper wieder zu hören, sich in immer weiteren Kreisen kundgab. Von maßgebender Seite erhielt S. den Auftrag zur Zusammenstellung einer Gesellschaft, welche, anfänglich für die kaiserliche Bühne bestimmt, doch ihre Vorstellungen im Theater an der Wien eröffnete. In diese Zeit fällt auch die Verhandlung wegen des Fortbestandes der k. k. Oper, ob dieselbe wie bisher als selbstständig fortzuführen, oder aber, wie dieß schon früher vorgekommen, zu verpachten sei. Man hatte sich für die Selbstständigkeit des Kunstinstitutes entschieden und im Jahre 1860 Matteo Salvi zum provisorischen artistischen Director desselben berufen. S., dessen Anstellung in der Zwischenzeit aus einer provisorischen in eine definitive verwandelt worden, führte das Directorium bis Ende August 1867. Ueber seine Bühnenleitung wurden entgegengesetzte Urtheile laut, und nicht selten war S. in öffentlichen Blättern Gegenstand boshafter und bitterer Angriffe. Auch da mag die Wahrheit in der Mitte liegen.

Matteo Salvi: Botta di Sedrina, Anfang des 19. Jahrhunderts, rechts das Gedburtshaus/Wikipedia

Innerhalb seiner siebenjährigen Bühnenleitung hat S. eine stattliche Reihe von Opern und Ballets zum ersten Male, eine nicht minder große Zahl neu einstudirt zur Aufführung gebracht, und zwar 24 neue Opern und 17 Reprisen, außerdem 4 neue italienische Opern und 4 Reprisen. Aus den Titeln der neuen dürfte die Richtung, welche Director Salvi cultivirte, sich kundgeben; 1860: „Die Kinder der Haide“; 1861: „Das Glöckchen des Eremiten“; „Die Verschworenen“; „Hanns Heiling“; „Die Heimkehr aus der Fremde“; „Faust“; die Ballete: „Rosine“, „Gräfin Egmont“, „Eine ländliche Scene“; 1862: „Wanda“; die Ballete: „Eine Sylphide in Peking“, „Monte Christo“; 1863: „Lolla Rookh“; „Rhein-Nixen“; das Ballet: „Jutta“; 1864: „Concino Concini“; „Dinoraoh“; das Ballet: „Waldfräulein“; 1865; „Waffenschmied“; „Sängers Fluch“; die Ballete: „Flick und Flock“; „Gazella“; 1866: „Ilka“; das Ballet: „Fiornello“ und die italienischen Opern 1864: „Un ballo in Maschera“; „Saffo“; 1865: „Tutti in Maschera“; 1867: „Crispino e la Comare“. Sonst fällt noch in Salvi’s Directionsperiode die Gründung der Opernschule, wozu er die Anregung gegeben, die aber bald wieder aus finanziellen und anderen Gründen aufgelassen wurde.

Auch war er bei der Einrichtung des neuen Opernhauses in eifrigster Weise thätig, die Skizzen der neuen Decorationen mußten ihm vorgelegt werden und bei seinem Abgange hinterließ er ein Inventarium von 60 für das Opernhaus neu hergestellten Decorationen. Freilich wissen Eingeweihte mancherlei Pikantes über die Kunstansichten des Directors zu berichten, wovon Einiges die „Presse“ 1867, Nr. 272, in der Rubrik: „Künstlerische Ansichten über neue Decorationen“ ausplauderte. Als S. in den Ruhestand versetzt wurde, ward ihm ein Antheil, wenngleich nur ein sehr bescheidener, an der weiteren Directionsführung des Operntheaters zugewiesen und ihm die Pension unter der Bedingung zuerkannt, daß er die Engagement für die italienische Saison des Operntheaters treffe und nöthigenfalls auch die Direction der Stagione in Wien führe.

Salvigasse in Wien: Die Donizetti-Gesellschaft Wien, auf deren Bemühungen hin es Salvigasse gibt,  im Bild ( 2. von links mit dem Salvibild in der Hand, von links mit dem Salvibild in der Hand ist Obmann Alfred Gänsthaler, der Herr mit dem Buch ist Odo Aberham BA, re. daneben steht Beate Hatschka und dann – im grünen Sakko – Karl Schlader.).

Was Salvi’s im Drucke erschienene musikalische Werke betrifft, so sind anzuführen: „Caterina Howard. Melodramma tragico“ (Milano, Lucca); „Lara tragedia lirica“ (ibid., Ricordi); „La Primadonna“ (Wien, Mechetti); „Recitativo ad Aria: „Ambo nuttrimmo un seno“ per T.“; „Recitativo e Duetto: „Ah! Spietata, il core avete“, per S. e Pf.“; „Recitativo e Duetto“; „T’amo come il rio la sponda, per S. e T.“ (alle drei bei Ricordi in Mailand); „Sinfonia“, aus der Oper Lara (ebd.); „Il desiderio (die Sehnsucht), Barcarola“; „L’incostante (die Treulose), Ballata“; „L’appuntamento (das Stelldichein), Tirolese“; „La sventura (das Mißgeschick), Romanza“; „Preghiera (die Bitte), Romanza“; „L’invito (die Einladung), Serenata“. Diese 6 Nummern auch unter dem Gesammttitel: „Premieres pensées musicales. 5 Ariettes et 1 Duo italiens“ (Wien, Mechetti); „Ah già s’apre al mio pensiero. Aria per Contralto“, Einlagsstück in L. Ricci’s Oper: „Chi dura vince“. Die handschriftlichen Original-Partituren der beiden Opern: „I Burgravi“ und „La Primadonna“ befinden sich in der merkwürdigen und ungemein reichen Sammlung musikalischer Autographen der Familie Ricordi in Mailand (in: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Band: 28 (1874), ab Seite: 155. GND; Eintrag 118883194).

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Matteo Salvi/ Libretto zu „Catherine Howard“/archive.org

Matteo Salvi hatte auch einen Bruder, ebenfalls im Musikgeschäft: Luigi (Alois) Matteo: * 8.7.1825 Botta di Sedrina, † nach 1887 (Ort?). Gesanglehrer. Wann er nach Wien kam, ist unklar. Möglich ist, dass er jener Lehrer S. war, der 1850–54 am Mädchen-Lehr- und Erziehungsinstitut Ducati (Wien I, Michaelerplatz, dann Graben bzw. Stallburgplatz) tätig war (dabei könnte es sich jedoch auch um seinen Bruder M. S. handeln). 1854/55 ist ein L. Salvi als Gesanglehrer an der Fröhlich’schen Lehr- und Erziehungsanstalt für Töchter (Wien I, Franziskanerplatz) belegt. 1857 fungierte L. S. als Taufpate seiner Nichte Klementine, 1858 unterrichtete er am Allgemeinen akademischen Gesangs-Institut. Seine Bewerbung als Lehrer der Hof-Opernschule wurde 1866 von seinem Bruder jedoch nicht unterstützt und blieb erfolglos. Ab 1869 führte er eine eigene k. k. konzessionierte Gesang- und Opernschule in Wien I. 1881 gab es ein Konzert seiner Schule im Bösendorfer-Saal, bei dem die Schülerinnen Ida v. Gaal und Melanie v. Altenburg sowie die Schüler Julius v. Blaas und L. Castelli sangen; als Klavierbegleiter fungierte Emil Weber. Zu seinen Schülern zählten weiters auch Philippine Edelsberg, A. Kraemer (vielleicht auch Schüler seines Bruders) und A. v. Bandrowski sowie die Sängerinnen Sessi-Alexander, Krauß und Benza. Noch 1886 erschienen in Wiener Zeitungen Werbeannoncen der Schule, 1887 wird L. S. letztmals im Wiener Adressbuch (Opernring 13, Wien I) genannt. 1877 soll er eine Gesangschule in Mailand eröffnet haben (Namensverwechslung?). Mit seiner Frau (1870) Ernestina Schmidt hatte er zwei voreheliche Söhne (Alois, * 1868 und Joseph, * 1870), die beide ab 1880 am Konservatorium der GdM Violine studierten (Diplom 1884 bzw. 1885). (Wikipedia)

Hochseekapitän

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Allein schon optisch lässt Bryn Terfel auf dem Cover  in angemessener Kleidung und mit Blick aufs wogende Meer sowie auf den Fotos im begleitenden Booklet keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seewasserfest und wettergegerbt durchaus der Richtige für eine CD mit Sea songs ist. Aus Wales mit seinen Hunderten Kilometern Küste stammt der Bassbariton und stammen viele der siebzehn Tracks und  neben ihm auch andere berühmte Sänger wie die unvergessene Gwyneth Jones. Und wohl nicht nur, weil aus dem jahrzehntelangen Prinzen of Wales 2023 CharlesIII. wurde, durfte er als einziger Sänger nicht nur bei den Krönungsfeierlichkeiten, sondern auch beim einen Tag danach stattfindenden Krönungsfest seine Stimme ertönen lassen.

Bereits dreißig Jahre lang hat die DG mit vielen sehr unterschiedlichen Aufnahmen die Karriere des Walisers begleitet, der immer noch, trotz und nach Boris Godunov oder Wotan, einen Dulcamara singen kann. Mit den Sea Songs erfüllt sie ihm einen lange gehegten persönlichen Wunsch, an dessen Erfüllung Terfel auch die Kollegen Simon Keenlyside und Sting teilnehmen lässt, außerdem die Sängerin Eve Goodman, Fisherman’s Friends und Calan mit angemessenen Instrumenten wie Akkordeon, Gitarre oder Fiedel. Die nicht nur aus Wales, sondern auch aus der Bretagne, von den Shetland Inseln oder aus der Karibik stammenden Songs wurden durchweg von Patrick Rimes neu arrangiert.

Das aufschlussreiche Booklet gibt einen Einblick in die Entstehung und den Charakter der Seemannslieder, die  zu einem großen Teil als Unterstützung und Koordinierung von Bewegungsabläufen wie das Einholen der Segel oder das Hissen von Fahnen gesungen wurden. Dass dabei oft „der Rum in Strömen floss“, dürfte allerdings nicht ganz der harten und herben Wahrheit seemännischen Lebens entsprochen haben. Leider sind die Texte nicht im Booklet abgedruckt, wohl aber eine Beschreibung des Inhalts, denn Englischkenntnisse sind nicht durchgehend nützlich für das Verstehen längst untergegangener Sprachen oder Dialekte.

Die große Kunst Bryn Terfels besteht unter anderem darin, dass seine Darbietungen auf dieser CD zugleich höchst kultiviert als auch ausgesprochen ursprünglich klingen, mal etwas nach der einen oder der anderen Seite ausschlagend, aber immer durch und durch authentisch klingend. Vielfalt wird nicht nur dadurch, sondern auch durch den Wechsel bei den Mitwirkenden neben Terfel selbst erreicht.

Es beginnt mit dem traditionellen Flat Huw Puw, dass der Sänger mit hörbarem Elan und Enthusiasmus angeht, während im folgenden Drunken Sailor ihm Simon Keenlyside sekundiert und beide einander an guter Laune zu überbieten versuchen. Eine eindrucksvolle mezza voce kann der Waliser für Codi Angor, den Abschied des Seemanns von der Geliebten schildernd, einsetzen, die sekundierenden Hintergrundsänger und die Instrumente von Calan machen das Ganze besonders stimmungsvoll. Beschwipst, obwohl wahrscheinlich beim Fahnenhissen eingesetzt, klingt Whisky, Johnny!, The Fisherman’s Friends sind bei Sloop John B im Einsatz und steuern noch einmal neue Klangfarben bei. Wie eine Naturstimme klingt der Sopran von Eve Goodman in einem Song von den einst zu Norwegen gehörenden Shetland Inseln in der Sprache Norn, Terfel adelt das Ganze durch die Ausstellung besonders schöner Stimmfarben, die ganz zärtlich werden in dem Schlaflied für eine Geliebte, das aus Wales stammt. Charaktervoll mischt sich die Stimme von Sting in das Geschehen um einen bitterbösen Kapitän, geschmeidig sanft klingt das Gebet The Unst Boat Song, um Walfang geht es flott und beschwingt in The Wellerman, und flexibel zeigt sich die Stimme von Terfel im schnelleren Harbwr Cork. Immer wieder fasziniert die sorgfältige Textbehandlung, so besonders in Bold Riley, so kraftvoll wie kultiviert erklingt Mae’e Gwynt Deg a capella, und einen schönen beschaulichen Ausklang bietet die CD mit Leave her, Johnny.

Die CD bietet eine willkommene Gelegenheit, anspruchsvolle Unterhaltung auf hohem künstlerischem Niveau mit dem Erleben einer fremden, faszinierenden Welt zu verbinden (DG 486 4884). Ingrid Wanja