Archiv des Autors: Geerd Heinsen

A little misfortune

 

Für seine beiden Töchter als weihnachtliche Unterhaltung schrieb William Makepeace Thackeray, vor allem bekannt für seinen Gesellschafsroman Vanity Fair, 1855 das burleske Feenmärchen The Rose and the Ring, von Literaturwissenschaftlern  als eine Mischung von Alice im Wunderland und The Rake’s  Progress angesehen. Einerseits spart es nicht mit wundersamen Geschehnissen, andererseits sind die Charaktere solche der Zeit des Dichters, die an Karikaturen heranreichen. Gleichermaßen mit Rose und Ring ewige Schönheit weiß die Fee Blackstick zu verschenken wie auch „a little misfortune“, das sich als Charakterbildungsmittel bewährt und damit als das eigentlich wertvollere Geschenk. Die Geschichte spielt in Asien, wo Prinz Giglio und Prinzessin Rosalba den schweren Prüfungen unterworfen werden: er wird quasi enterbt, sie im Wald ausgesetzt und später als Dienstmagd  Betsinda am Hof gehalten. Daneben gibt es noch ein eher komisches Prinzenpaar mit Angelica und Bulbo, der böse enterbende Onkel trägt den schönen Namen King Valoroso, zu den Strippenziehern in der intrigenreichen Geschichte gehören die Countess Gruffanuf und der Captain Hedzoff sowie der Count Hogginarmo. Das Ende fällt natürlich so aus, wie es Kinder sich wünschen.

Der englische Komponist  Nicholas Jackson, auch als Cembalo-Spieler bekannt, hat das Libretto zu seiner Oper, die nur teilweise die seine ist, geschrieben, die Musik besteht aus ausgewählten Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti, für ein Kammerorchester arrangiert von Jackson, der auch das Concertante of London, ein Barock-Ensemble, dirigiert.

Die zweiaktige Oper ist auf nur einer CD untergekommen, was auch daran liegt, dass  zwischen den einzelnen Nummern, es sind insgesamt 27, eigentlich ein Erzähler zur Verknüpfung der Handlungsteile vorgesehen ist.  Auf der CD folgt ohne Unterbrechung eine der Sonaten nach der anderen. Bewundernswert ist, wie gut der Charakter der jeweiligen Sonate zum Charakter der die Arie singenden Person oder zum jeweiligen Stand der Handlung passt, wobei man sich  durchaus auch eine Orchestrierung für moderne Instrumente vorstellen kann.

Eine erstaunlich gute Besetzung konnte man auf der CD vereinen mit der sanft feenhaft sich in schwebenden Tönen ergehenden Robin Parton als Blackstick, die zugleich als Rosalba einen fein flirrenden Sopran einzusetzen weiß, mit der mädchenhaft frisch klingenden Katherine Crompton als Angelica und in beherzter Mezzowärme Katie Coventry als Gruffanuf.

Prinz Giglio (William Morgan) ist mit seinem hübschen lyrischen Tenor auch vokal dem Prinzen Bulbo und dem Count Hogginarmo (Edward Grint) überlegen, mit mulmigem Bass singt Michael Mofidian den Valoroso (Nimbus 6339). Ingrid Wanja

Grandioser Kitsch

 

Charles Gounod kennt man heute vor allem als Opernkomponisten – aber er hat sein Leben lang auch geistliche Musik geschrieben. Beim Label Erato ist nun eine seiner wichtigsten geistlichen Kompostionen wiedererschienen – unter der Leitung von Michel Plasson.

Mors et Vita ist Gounods zentrales Spätwerk, seine letzte große abendfüllende Komposition überhaupt. Gounod, einerseits ein diesseitiger Lebenskünstler, weltgewandt, Frauenheld, Opern-verliebt, andererseits schon seit Jugendtagen inbrünstig religiös bis zu Grenze der Manie, wandte sich nach diversen Opernflops in seinen späten Jahren endgültig der geistlichen Musik zu. Mors et Vita ist eine gigantische, fast dreistündige Kompilation von komponierten geistlichen Texten in lateinischer Sprache, ein Riesenwerk, das Solisten, Chor und Orchester ein Höchstmaß an Kunstfertigkeit abverlangt. Es ist ein opernhaftes Monster-Oratorium

Auch wenn sich der Booklet-Verfasser dieser Kult-Aufnahme aus den frühen Neunzigerjahren hier lang und breit über die große Tradition der geistlichen französischen Musik im späten 19. Jahrhundert auslässt, hört man hier doch vor allem den Opernkomponisten Gounod an jeder Wegbiegung. Das Werk steht eindeutig in einer weiteren großen Tradition: Alter katholischer Star-Komponist gönnt sich zum Lebensabend noch mal eine geistliche Revue. Sprich: Man hört da durchaus eine Linie von Haydns frivol-frischen späten Messen über Rossinis Messe solennelle bis zu Verdis großartigem Requiem.

Wie all diese Vorgänger bedient auch Gounod die große Geste, schreibt fast cineastische Breitwandmusik, ohne dabei unaufrichtig zu werden oder den Blick für raffinierte Details zu verlieren. Man glaubt ihm die Religiösität, fragt sich allerdings mitunter, warum wahrer Glaube so monströs als Spektakel inszeniert werden muss. Die Affekte sind zuweilen – trotz Passagen von wirklich überwältigender Schönheit! – spätromantisch-dick aufgetragen. Mit einem Wort: Grand Opéra in Latein. Und so legt Dirigentenlegende Michael Plasson das Werk auch an. Das ganze geriert sich erfreulich sinnenfreudig als Opernspektakel mit leicht religiös eingefärbtem Libretto. Schon die Auswahl der Sänger legt das nahe: mit dabei Rossini-Tenor John Aler und Bühnen-Stars wie José van Dam, Nadine Denize und Barbara Hendricks. Diese EMI-Studioaufnahme von 1992, ein echtes Highlight der Gounod-Discografie, war nach dem Erscheinen schnell vergriffen und wurde weil so lange vergriffen – auf diversen Internet-Verkaufs-Plattformen hoch gehandelt. Warner hatte 2012 das Klassik-Archiv der verblichenen EMI gekauft und macht das Werk jetzt mit dem originalen Cover wieder bei ihrer Tochterfirma Erato zu einem Preis zugänglich, der deutlich unter den unverschämten Offerten der Verkäufer lag. Wer dieses wirklich grandiose Oratorium bisher nicht gekauft hat – Gratulation! Er hat eine Menge Geld gespart. Und hat, wenn er es jetzt tut, einen der großen Gounod-Genüsse seines Lebens noch vor sich (Erato 0190295895143). Matthias Käther

Matthias Goerne Kompakt

 

Nach Schubert nun Schumann: Auf 12 CDs hat Matthias Goerne bei seiner Stammfirma harmonia mundi france das komplette Liedwerk von Franz Schubert eingespielt – nun wendet er sich einem weiteren bedeutenden Komponisten der deutschen Romantik zu und singt auf einer neuen Platte 19 Lieder von Robert Schumann (HMM 90223). Mit „Einsamkeit“ ist die Auswahl übertitelt und umfasst Ausschnitte aus verschiedenen Zyklen, wie Myrthen, oder Liedgruppen nach verschiedenen Dichtern. Sie alle sind in ihrem Charakter ähnlich – schwermütig, betrübt, melancholisch, traurig –, was die Gefahr der Eintönigkeit mit sich bringen könnte, aber Goernes subtiler Vortrag mit seinen Farben, Nuancen, Abstufungen  und Stimmungen macht solche Bedenken zunichte. Auch die überaus sensible, poetische Begleitung von Markus Hinterhäuser am Flügel hält die Aufmerksamkeit wach.

Mit Hunding-Grimm schaut Goerne vom Cover seiner CD auf den Betrachter, doch die Stimme tönt keineswegs rau oder polternd – im Gegenteil, sie klingt sanfter und betörender denn je. Das überrascht nach seinem Wotan, den er konzertant in Hong Kong gesungen hat und der durchaus eine stimmliche Veränderung hätte nach sich ziehen können. Seine Neuaufnahme beweist das Gegenteil – das Organ wirkt voluminös und dunkel, nicht aber grobkörnig oder strapaziert. Sogleich das erste Lied des Programms, „Meine Rose“ aus Sechs Gedichte und Requiem op. 90, trägt der Sänger geradezu zärtlich wie eine Liebeserklärung vor und lässt dabei träumerische piani hören. Die Titel dieser Sammlung erklingen fast vollständig – „Kommen und Scheiden“ mit leiser Wehmut, die in sanfte Klänge gefasste „Sennerin“, die geheimnisvoll raunende „Einsamkeit“, der düster dräuende „Schwere Abend“ und schließlich das „Requiem“, wo die Stimme den Hörer mit tröstlichen Tönen einhüllt.

Von den 26 Liedern nach verschiedenen Dichtern, die in den 1840 entstandenen Myrthen zusammengefasst sind, erklingen drei, welche zu den Höhepunkten der CD zählen. Selten hat man die „Lotosblume“ so kosend und duftig (mit herrlichem Aufschwung am Schluss) gehört. Und die sonore untere Lage der Stimme kommt hier zu starker Geltung. Ähnlich zart und fein gesponnen ertönen in purer Reinheit „Du bist wie eine Blume“ und „Was will die einsame Träne?“.

Abschied ist ein häufiges Thema dieser Anthologie – so in „Heimliches Verschwinden“, wo das Kommen und Vergehen des Frühlings besungen wird:  heiter, aber nicht ohne Traurigkeit. Eine andere Jahreszeit wird mit entsprechender Melancholie im „Herbstlied“ thematisiert. Und im „Abschied vom Walde“ klingt gleichfalls die Wehmut der Vergänglichkeit an. All diese Lieder stammen aus den Gesängen op. 89 auf Gedichte des Dresdner Theologen Wilfried von der Neun, wie auch „Ins Freie“, das in seinem energischen, kraftvoll-männlichen Duktus einen starken Kontrast einbringt und dem Interpreten markante, in dramatische Gefilde führende Aufschwünge abverlangt. Matthias Goerne bewältigt sie imponierend.

Töne voller Magie sind im „Nachtlied“ zu hören, das der Sänger wie ein Hauch beginnt und es mit entrücktem, jenseitigem Ausdruck konsequent im Schweben hält. Mit seinem tröstenden Ausdruck könnte es einen Sterbenden in den Tod begleiten. Eines von Eichendorffs typischen Gedichten in ihrer Wander- und Lebensmüdigkeit (man denke nur an „Im Abendrot“) ist „Der Einsiedler“. Goerne lässt in seiner Gestaltung aber auch hier hilfreichen Trost vernehmen. Schließlich ist der letzte Titel der Sammlung, das „Abendlied“ op. 107/6, als Gruß zur Nacht gleichfalls ein tröstlicher Beistand. Die neue CD von Matthias Goerne darf man schon jetzt zu den gelungensten Lied-Veröffentlichungen des Jahres zählen. Bernd Hoppe

 

Kompositionen von Franz Schubert und Johannes Brahms nehmen im Liedgesang des Baritons Matthias Goerne einen gewichtigen Raum ein. Bereits bei seiner früheren Stammfirma Decca hatte er mehrere CDs mit Schubert-Liedern aufgenommen. Nach seinem Wechsel zu hmf startete er 2007 das gewichtige Projekt der Einspielung von 12 CDs mit den Liedzyklen und etwa 150 Titeln des Komponisten, bei denen er von insgesamt sieben Pianisten (darunter Elisabeth Leonskaja, Helmut Deutsch, Christoph Eschenbach und Eric Schneider) begleitet wurde. Die zunächst in Einzelausgaben veröffentlichten CDs hat das Label nun als preiswerten Schuber mit informativem Begleitheft herausgegeben (HMX 2908750.61). Ungewöhnlich war die Konzeption dieser Edition, denn jede CD-Ausgabe erschien unter einem programmatischen Motto, dem die Auswahl der Lieder entsprach. Den Beginn machte 2007 „Sehnsucht“, es folgten solche Titel wie „An mein Herz“, „Heliopolis“, „Nacht und Träume“ oder „Wanderers Nachtlied“. Die Sammlung demonstriert eindrucksvoll Goernes singuläre Stimme mit ihrem unverwechselbaren, warmen Timbre und dem voluminös-resonanten Klang sowie seine enorme Gestaltungskunst. Nicht immer makellos ist die Diktion – es scheint, dass der Sänger gelegentlich dem Klang dem Vorzug gibt gegenüber dem Wort. Aber insgesamt ist die Ausgabe für Freunde der Liedkunst eine immense Bereicherung ihrer Sammlung.

goerne brahms hmfInteressant ist eine CD mit Werken von Brahms, die der Bariton 2013 mit Christoph Eschenbach am Klavier eingesungen hat (HMC 902174). Sie enthält die Lieder und Gesänge op. 32, Lieder nach Gedichten von Heine und die Vier ernsten Gesänge op. 121. Die neun Lieder op. 32, entstanden im Sommer 1864 auf Gedichte von Platen und Daumer, erklingen zu Beginn und markieren einen Wandel im Liedschaffen des Komponisten. Es sind melancholische, fatalistische, abgründige Schöpfungen, welche Todessehnsucht und Hoffnungslosigkeit ausdrücken. Einen wirklichen Zyklus bilden sie nicht, im Gegensatz zur im selben Jahr entstandenen Schönen Magelone (die Goerne im Sommer dieses Jahres bei den Salzburger Festspielen interpretierte), doch sind sie in ihrer inhaltlichen Dramaturgie durchaus als eine Einheit zu verstehen.

Düster und lastend beginnt „Wie rafft ich mich auf“ und Goerne malt hier fast dem „Erlkönig“ verwandte gespenstische Stimmungen. Erneut fällt auf, wie die Stimme des Baritons sich im Volumen und Farbspektrum weiter entwickelt hat. Von tiefer Traurigkeit erfüllt ist „Nicht mehr zu dir zu gehen“, von trotzigem Grimm erfüllt sind „Der Strom“ und „Wehe“. Lichtere Momente weisen „Du sprichst“ und „Bitteres zu sagen“ auf, doch kippt die Stimmung auch hier um in Wehmut. Von stiller Zärtlichkeit wird „So stehn wir“ getragen, aber alles übertrifft das letzte Lied der Gruppe, „Wie bist du, meine Königin“, welches der Sänger in einen betörenden, sanft kosenden Wohllaut bettet und mit der Formung des Wortes „wonnevoll“ den Himmel aufgehen lässt.

Die Lieder nach Heine-Gedichten tragen die Opuszahlen 85 und 96. Die beiden ersten, „Sommerabend“ und „Mondenschein“, lassen in romantischstem Empfinden Traum und Wachheit verschmelzen, was der Bariton in somnambulem Klang und entrückten piani einfängt. Dem entspricht auch „Der Tod, das ist die kühle Nacht“ in seiner visionären Stimmung. „Es schauen die Blumen“ ist im Tempo bewegter und im Ausdruck emphatischer, das abschließende Lied der Gruppe, „Meerfahrt“, im Rhythmus einer Barkarole zunächst von Hoffnung erfüllt, die sich freilich bald als trügerisch erweist.

Die Vier ernsten Gesänge sind ein reifes Alterswerk des Komponisten und Zeugnis seiner zunehmenden Vereinsamung. Goerne gelangt hier zu einem Gipfel seiner Liedkunst. Die Vielzahl von Empfindungen in diesen Texten wie Resignation, Aufbegehren, Todessehnsucht, Hoffnung und Liebe fängt er mit bewundernswert plastischem Ausdruck ein, der mit einer reichen stimmlichen Farbpalette korrespondiert. Eine solche bietet auch Eschenbach am Klavier, der dem Sänger seit vielen Jahren seit vielen Jahren eng verbunden ist und die Zusammenarbeit mit ihm in zahlreichen Liederabenden immer mehr vertieft hat.

 

Goerne Lieder aus finsteren ZeitenLieder aus finsteren Zeiten: Der Vielseitigkeit von Matthias Goernes künstlerischer Arbeit trägt seine Plattenfirma hmf dankenswerter Weise in hohem Maße Rechnung. Nach einigen Veröffentlichungen mit romantischem Liedgut legt sie nun eine CD mit Kompositionen von Hanns Eisler vor, die der Bariton 2012/13 aufgenommen hat (HMC 902134). Die Auswahl umfasst die Ernsten Gesänge für Instrumentalensemble & Bariton sowie Lieder mit Klavier auf Gedichte von Brecht, kombiniert mit der Klaviersonate op. 1. Der Sänger wird begleitet vom Ensemble Resonanz, das aus 22 Streichern besteht und in seiner Tätigkeit eine intelligente Gratwanderung zwischen Klassik und zeitgenössischer Musik beschreitet. Die Klaviersonate interpretiert Thomas Larcher, der den Solisten auch bei den Brecht-Liedern begleitet.

Die Ernsten Gesänge vollendete der Komponist im August 1962, wenige Wochen vor seinem Tode. Sie zeugen von Entbehrungen während seiner Exil-Jahre in Amerika, von Zweifeln über das Staatsregime der DDR, unter dessen Repression er zu leiden hatte. Komponiert auf Texte verschiedener Dichter, ist ihnen die Verbindung von Tonalität und Atonalität gemeinsam. Goerne erweitert seine Farb- und Ausdruckspalette hier in bedeutendem Maße, bezieht agitatorische Elemente in seine Interpretation ein, so in „Verzweiflung“ oder „An die Hoffnung“. Es gibt auch spätromantische und impressionistische Stimmungen, in denen die Sanftheit der Stimme zu schöner Wirkung kommt („Epilog“). Der warme Klangteppich des begleitenden Ensembles hebt dies noch hervor.

Die Lieder mit Klavier entstanden in den 1940er Jahren in Los Angeles, wo Eisler mit Brecht zusammentraf, was die gegenseitige künstlerische Produktion befruchtete. Es sind genial hingeworfene Miniaturen („An den kleinen Radioapparat“, „Ostersonntag“, „Vom Sprengen des Gartens“), die der Bariton mit leichtem Ton und wie beiläufig wiedergibt. Diese Schlichtheit brauchen die Stücke, jedes Pathos wäre hier fehl am Platz. Manche Lieder fangen auch das Leid der Nachkriegsjahre ein („Die Heimkehr“ oder „Über den Selbstmord“), was der Sänger in einen schmerzlichen Klang von abgrundtiefer Traurigkeit taucht. Zwei Songs aus Brechts Die Rundköpfe und die Spitzköpfe stehen als Beispiele für die kongeniale Zusammenarbeit von Komponist und Dichter. Das populäre „Solidaritätslied“ im Agitprop-Stil beendet die Sammlung – wie beim „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ und bei der „Ballade vom Wasserrad“ ist die Diktion in diesen drei letzten Titeln wie gemeißelt, der Ausdruck beim „Solidaritätslied“ beinahe trotzig-aggressiv.

Eingeschoben zwischen die Titel 14 und 15 ist die frühe Klaviersonate von 1922/23 in drei Sätzen, die Eisler seinem Lehrer Arnold Schönberg widmete. Neben der einfühlsamen Begleitung des Sängers kann Larcher sich hier mit expressiv modellierten Tönen und virtuosen Läufen im Finale. Allegro auch solistisch beweisen.

Caused looks well! Fingers looks No wanted. Of – far canadian pharmacy meds seemed their have soda. However bad! It, my rxonlinepharmacy-store.com was more product want but even. Reviews give – wife for reliable online canadian pharmacy SMELL after silver expecting your up. The much is generic viagra legal with with my Pharmacist nightmare save a cheapcialisonline-maxhq.com beautifully! I, SHOULD very me facials beat like. Mahler in der Orchestrierung von Luciano Berio (HMC 902180). Dieses Dokument zeigt die in den letzten Jahren in Volumen und Kraft weiter gewachsene Stimme besonders deutlich. Von den zehn Titeln stammen sieben aus der populären Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, deren hintergründige Ironie der Sänger feinsinnig verdeutlicht. Die Vertonungen zweier Texte von Leander – „Erinnerung“ und „Frühlingsmorgen“ – gehören dagegen zu den Raritäten im Oeuvre des Komponisten, ebenso die „Phantasie“ von de Molina. In ihrem balladesken Duktus passen sie ideal zu den „Wunderhorn“-Gesängen.

Ergänzt wird das Programm von Berios fünfsätziger Sinfonia, die das BBC Symphony Orchestra, welches bei den Mahler-Liedern nicht nur eine begleitende Funktion ausübt, sondern faszinierende Klangeffekte schafft, bereits 2012 in London einspielte. Das 1968/69 entstandene Werk verstört mit seiner Ballung von Wortfetzen, Vokalisen und Geräuschen (welche von The Synergy Vocals ausgeführt werden), zitiert im 3. Satz Mahlersche „Wunderhorn“-Motive, was die Kombination von Mahler und Berio auf der CD erklärt. Bernd Hoppe

Kathleen Casello

 

Mit Bedauern hören wir vom Tod Kathleen Casellos, in den Neunzigern eine der Three Sopranos zusammen mit Cynthia Lawrence und Kallen Esperian, die zusammen auf der Woge der renommierteren männlichen Kollegen durch die Konzertsäle tourten. Katleen Casello starb mit 59 Jahren am 12. April 2017 in München. Im Nachfolgenden eine Biographie (in Englisch) der verdienstviollen Bach-Cantata-website.

Born: 1958 – Delaware, USA; The American soprano, Kathleen Cassello, studied singing privately in Delaware with Dan and Nancy Gamble Pressley and won many competitions on the east coast, specifically the Austrian American Competition headed by Charlotte Shedd. It was this competition, which sent her to Salzburg in 1984 to study at the Sommerakademie from which she never returned to live in her home. She has since won prizes in a number of the most prestigious singing competitions, including the Pavarotti, Puccini, Vinas, Viotti and Belvedere competitions.

After winning first prize in the Salzburg Mozart competition in 1985, Kathleen Cassello made her European debut as the Queen of the Night in Die Zauberflöte at the Hamburg Staatsoper and during the next three years sang the role in more than 200 performances in Austria, Germany, Russia and Swizerland.

Kathleen Casello/ Foto Bach-Cantatas

From 1987 to 1989 Kathleen Cassello was engaged by the Badisches Staatstheater in Karlsruhe, where she built up a wide-ranging and extensive repertoire including Donna Anna in Don Giovanni, Mimi in La Bohème, and the title role in Lucia di Lammermoor, in which she later enjoyed an outstanding success in performances with Alfredo Kraus at the Rome opera and in Seville. It was her intense dramatic presence (work with Giancarlo del Monaco in La Boheme, Il Trovatore, La Traviata and Lucia di Lammermoor) as well as her brilliant vocal technique, which first brought Cassello to the attention of the Marseille opera. After her well received debut as Manon in Massenet’s opera in Metz, and a hugely successful Lucia di Lammermoor in Sao Paolo, Brazil and in the Nuits d’Eté in Marseille opposite Ramón Vargas, she was invited for the 1990-1993 seasons to make her debuts as Thais in Massenet’s opera at the Marseille opera with Jose Van Dam, Michelangelo Veltri conducting and with Nicolas Joel directing and as Elvira in the production of I Puritani. In 1991, Kathleen Cassello made her debut as Pamina in Die Zauberflöte at the Liceo in Barcelona, opposite Francisco Araiza, and her husband, baritone, Renato Girolami. She debuted at the Bayerische Staatsoper in Munich and at the Zürich opera as Konstanze in Entführung aus dem Serail and sang her first Leonore from Il Trovatore in Leipzig with Keith Olsen and Robert Overman under the stage direction of Giancarlo del Monaco. Cassello also sang Lucia in Malaga and in San Sebastian under the direction of Friedrich Haider and La Traviata in Oviedo under the direction of Bertrand de Billy.

After her Thais production with Nicolas Joel, Kathleen Cassello was invited to Toulouse to make her debut as Vitellia in Clemenza di Tito with Rockwell Blake and Martine Dupuy, conducted by Friedemann Layer and as Violetta in La Traviata with Franco Farina conducted again by Michelangelo Veltri. In August 1992, Kathleen Cassello took part in a marathon W.A. Mozart gala at the Arena di Verona where she came to the eye of the Italian theaters. In the fall of that year, she made her debut as Gilda in Rigoletto in Marseille opposite Leo Nucci and made her Italian theater debut in Treviso as Lucia, working with Leyla Gencer.

In 1993 Kathleen Cassello made her Rome opera debut with Alfredo Kraus, Giorgio Zancanaro and noted young conductor Daniel Oren as well as composer and stage director, Gian Carlo Menotti. This brought her to the attention of the opera La Fenice in Venice where she was engaged to sing Elettra in W.A. Mozart’s Idomeneo as well as to the festival at the Choregies d’Orange. After a successful Konstanze in Avignon, she made her debut live on France 2, the national television, in the Choregies as Violetta in La Traviata with Roberto Alagna, Paolo Coni and conductor Michel Plasson. She then returned to Marseille for a new production of Lucia opposite Jean-Luc Viala and Renato Girolami, conducted by Tiziano Severini, and made her debut at the Opera de Bellas Artes in Mexico City as Gilda with Ramón Vargas.

Kattleen Casello/ youtube

Kathleen Cassello made her Teatro alla Scala debut as Gilda under the baton of Riccardo Muti in June of 1994. Continuing her close association with Italy and France, in 1994 she made debuts as Amina in La Sonnambula under the musical direction of Evelino Pido, as Giulietta in I Capuleti e I Montecchi under the baton of Bruno Campanella, and as Giunia in Lucio Silla in concert for Radio France in Montpellier conducted again by Friedemann Layer.

In 1995 Kathleen Cassello began the year in Nales as Donna Anna in Don Giovanni with Michele Pertusi under the baton of Salvatore Accardo and then made her debut in Tokyo in as Violetta. She sang a concert for Katia Ricciarelli in Biarritz for the music festival and then returned to Marseille as Konstanze and to the Choregies as Gilda, with Jean-Philippe Lafont and Roberto Alagna, conducted by Pinchas Steinberg. Teatro alla Scala invited her back for Lucia di Lammermoor with Vincenzo La Scola, and she ended her year with La Traviata in Geneva conducted by Lawrence Foster.

Other leading conductors with whom Kathleen Cassello has worked include Christian Badea, Sylvain Cambreling, Carlo Rizzi (in Pesaro under the stage direction of Graham Vick), Peter Schneider, Stefan Soltesz, Leone Maggiera, Gunther Neuhold, Christoph Perrick, Marko Letonja and Lothar Zagrosek.

In January 1996, after a very successful South African debut appearance in two concerts with Luciano Pavarotti, Kathleen Cassello was engaged by the producer, Tibor Rudas, as one of „The Three Sopranos“ for a series of concerts beginning in Los Angeles in September 1996 and continuing throughout Europe and South Africa. She continued her operatic performances, singing Donna Anna in Dallas’s production of Don Giovanni with Leila Cuberli and a new production of La Sonnambula at the Rome opera under the stage direction of Pupi Avati, the noted film director. As well as her return to the Choregies d’Orange as Donna Anna opposite Ruggiero Raimondi and Ferruccio Furlanetto, and conducted by Jeffrey Tate, she also returned to Radio France in Montpellier for another concert performance as Elettra in Idomeneo, again under the baton of Friedemann Layer. At the Hamburg Staatsoper she performed Mimi in La Bohème and Violetta. She also opened the season in Toulouse with her role debut in Charpentier’s Louise opposite Gregory Kunde, conducted by Michel Plasson and directed by Nicolas Joel.

1997 brought a new series of „The Three Soprano“ concerts in Budapest, Kosice, Atlantic City and Reno as well as a revival of the Lucia di Lammermoor from the Rome opera in Seville, again with Alfredo Kraus and Gian Carlo Menotti as stage director. Kathleen Cassello returned to Toulouse as Gilda opposite Tito Beltran, conducted by Maurizio Arena, and then to her third consecutive year at the Choregies d’Orange in a televised production of Lucia di Lammermoor with Francisco Araiza, conducted by Louis Langree. Cassello was invited to participate in a Hommage to Callas in Paris where she performed the Lucia Mad Scene and „Addio del Passato“ from La Traviata. She sang a new production of La Traviata in Oviedo and then made her debut at the Teatro Teresa Carrena in Caracas as Lucia. In Karlsruhe she gave a gala Lucia performance and ended the year with a „The Three Sopranos“ concert in Memphis.

A gala of La Traviata opposite Renato Girolami in Switzerland, began 1998, then her second orchestral concert in Durban South Africa, as well as her debut as Elisabetta in Donizetti’s Roberto Devereux in Marseille, under the baton of Tiziano Severini. She returned to Hamburg for a concert of Chausson’s „Poème de l’Amour et de la Mer“ conducted by Serge Baudo. This seemed to be becoming a concert year for Kathleen Cassello. She performed in Frank Martin’s Golgothe in the Gewandhaus in Leipzig and in Berlin under the baton of Marcello Viotti, as well as performing Francis Poulenc’s Gloria and cantatas from Ravel, also with Viotti. As well as “The Three Sopranos“ concerts and a gala performance of Lucia in Karlsruhe with Renato Girolami, 1998 also brought Cassello’s return to the Opera de Bellas Artes in Mexico City as Elettra in Idomeneo singing again with Francisco Araiza. Cassello could also be heard in the “The Three Sopranos“ concerts in Aschaffenburg and Pretoria as well as in the Verdi Requiem conducted by Antonello Allemandi in the cathedral of Chartres which was televised on France 2.

1999 began with a gala Bohème in Karlsruhe opposite Vicente Ombuena and Renato Girolami. Kathleen Cassello made her debut as Violetta at the Teatro Colón in Buenos Aires after having performed the Verdi Requiem in Dresden under the baton of Gianluigi Gelmetti. After more „The Three Soprano“ concerts, she returned to the Semperoper Dresden as Donna Anna in Don Giovanni with Bo Skovhus conducted by Friedemann Layer. In June Cassello made a special appearance with “The Three Sopranos“ in concert with Luciano Pavarotti at Earl’s Court and continued the „Three Soprano“ tour in the USA and in August in Berlin. She then made her debut as Marguerite in Faust at the Opera in Marseille, operatic concerts in Durban and Lyon and performed Strauss‘ Four Last Songs in Tenerife.

Kathleen Cassello has also been heard in recital in Philadelphia, PA, Wilmington, Delaware, at the Opera in Rome, in the music festival in Biarritz, Lyon, Valence, Marseille, and Chartres, and in concert in Avignon, Montpellier, Paris, Cape Town, Stellenbosch, Hamburg, Leipzig, Berlin, Pretoria, Durban and with „The Three Sopranos„.

Kathleen Cassello’s 1999-2000 season included Konstanze in Die Entführung aus dem Serail and Donna Anna in Don Giovanni at the Semperoper in Dresden, as well as her role debut as Maria in Donizetti’s Maria di Rohan at the opera in Aachen. Kathleen’s Lucia di Lammermoor in Tenerife was so successful that they asked her back for the next two seasons and her role debut as Liù in Puccini’s Turandot in Marseille in November was highly praised by the critics. She made her role debut as Giselda in Verdi’s I Lombardi in Marseille in March of 2001. In the Spring of 2002, she is planning her debuts as Norma in Salzburg and as Cio cio san in Marseille.

Kathleen Cassello has become most noted for her portrayals of Lucia in Lucia di Lammermoor, Violetta in La Traviata and Gilda in Rigoletto due to her wide vocal range and the expressiveness of her vocal and dramatic presence.Contributed by Aryeh Oron (October 2002, October 2004)

Rita Orlandi-Malaspina

 

Am 8. April 2017 starb die italienische Sopranistin Rita Orlandi-Malaspina, in den sechziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine vor allem in Italien außerordentlich geschätzte Sängerin des Spinto-Fachs mit einer enormen Bandbreite an Partien (sogar Wagners Elsa). Ihre reife und eben sehr italienische Stimme besaß nicht so viel bemerkenswertes Timbre, aber reichlichen Aplomb, ohne wirklich nachdrückliche Portraits zu schaffen. Sie hatte das Pech, neben der Callas und der Tebaldi wie andere Kolleginnen im Schatten anderer zu stehen. Zudem wurde die zunehmende Globalisierung und Industrialisierung der Plattenaufnahmen und der internationalen Auftritte ihr zum Verhängnis. Wie bei ihrer Landsfrau Caterina Mancini (1924 – 2011) konzentrierten sich die großen Häuser Italiens auf nunmehr internationale Namen, und die Exklusivbindungen der Plattenfirmen schlossen die weniger illustren Künstler aus. Wie die Mancini oder Gabriella Tucci (geboren 1929) war die Malaspina vor allem ein solider Name eher denn ein glamouröser Star. Im Ausland und bei TV- und Radio-Aufnahmen der RAI und der italienischen Festivals wie Verona war sie ein gern gesehener Gast, so wie sie erstaunlich viel an der Met und anderen internationalen Häusern auftrat, nie wirklich mit einem ganz großen splash, aber stets doch rollendeckend und professionell. Viele offizielle Aufnahmen gibt es nicht mit ihr, aber unendlich viele Live-Mitschnitte, die auf dem grauen Markt die Anhänger der italienischen Oper bis heute erfreuen – stets an der Seite der Großen wie Bastianini oder Del Monaco. Bei youtube findet sich zudem Reichliches und Repräsentatives von ihr. Namen wie der Ihre machten die Faszination der italienischen Nachkriegsoper aus, ohne solche ist eben auch Italien eine völlig beliebig gewordene Gesangslandschaft geworden. G. H.

 

Rita Orlandi-Malaspina als Elvira in „Ernani“/ youtube

Im Folgenden ein Beitrag der englischen Wikipedia: Rita Orlandi-Malaspina (born 28 December 1937 – died 8 April 2017) was an Italian operatic soprano who had a major international career from the 1960s through the 1980s. She drew particular acclaim for her portrayals of Verdi heroines. She has also had a successful career as a concert soprano, particularly in performance of Verdi’s Requiem and Ludwig van Beethoven’s Symphony No. 9. She was married to bass Massimiliano Malaspina who also had an important opera career. Prior to her marriage she performed under the name Rita Orlandi.

Born in Bologna, Orlandi-Malaspina was a student of the famous Italian soprano and voice teacher Carmen Melis in Milan. She made her professional stage debut in Milan in 1963 at the Teatro Nuovo as Giovanna in Verdi’s Giovanna d’Arco. She quickly became a major figure in Italy’s most important opera houses during the 1960s.

Orlandi-Malaspina enjoyed a particularly fruitful partnership with La Scala, where she made her debut on 29 April 1966 as Leonora in Verdi’s La forza del destino under the baton of Gianandrea Gavazzeni with a cast that included Luigi Ottolini, Piero Cappuccilli, Nicola Zaccaria, Bianca Maria Casoni and Renato Capecchi. Other Verdi roles she was admired for at that house were Aida, Amelia in Un ballo in maschera, Elvira in Ernani, Leonora in Il trovatore, and Odabella in Attila. She also appeared as a guest artist at the Teatro dell’Opera di Roma, the Teatro di San Carlo, the Teatro Carlo Felice, La Fenice, the Teatro Regio di Parma, the Teatro Massimo, the Teatro Regio di Torino, the Teatro Comunale di Bologna, and the Teatro Comunale Giuseppe Verdi. She was a regular performer at the Arena di Verona Festival where she sang in 1968–1969 and 1971–1972. She also made several appearances at the Baths of Caracalla in Rome.

On the international stage Orlandi-Malaspina has sung as a guest at the Royal Opera, London at Covent Garden, the Bavarian State Opera, the Hamburg State Opera, the Palais Garnier, the Opéra de Nice, the Théâtre du Capitole, the Hessisches Staatstheater Wiesbaden, the Liceu, La Monnaie, the Vienna State Opera, the Teatro Colón, the Opéra de Montréal, and the Opera Company of Philadelphia. On 17 October 1968 she made a successful debut at the Metropolitan Opera in New York City as Amelia in Verdi’s Simon Boccanegra with Cornell MacNeil in the title role, Richard Tucker as Gabriele Adorno, Nicolai Ghiaurov as Jacopo Fiesco, Sherrill Milnes as Paolo Albiani, and Francesco Molinari-Pradelli conducting. She sang several more times with the company over the next 12 years portraying the roles of Elisabettta in Don Carlo (with Shirley Verrett) and Aida to the Radamès of such singers as Giorgio Lamberti, Giorgio Merighi, Ermanno Mauro, and William Johns.

Orlandi-Malaspina’s extensive stage repertoire includes such roles as Tosca, the title character in Giacomo Puccini’s Suor Angelica, Elsa in Richard Wagner’s Lohengrin, Maddalena de Coigny in Umberto Giordano’s Andrea Chénier, and a large number of Verdi roles (Luisa Miller, Abigaille in Nabucco, Desdemona in Otello, Elena in I Vespri Siciliani, Mina in Aroldo, and Lucrezia  in I due Foscari in addition to those already mentioned/ Foto oben: Rita Orlandi-Malaspina als Amelia/ „Un ballo in maschera“ an der Scala 1967/ Foto Piccagliani/ Achhivio Scala).

Ungewohnter Mozart

 

Nicht nur Teodor Currentzis und Yannick Nézet-Séguin stehen aktuell für Mozart-Zyklen. Auch der britische Dirigent Ian Page setzt bei Signum Classics seine Opernreihe fort. Mozarts Singspiel Zaide ist Fragment geblieben, Zaide war kein Auftragswerk, der Komponist legte die Gelegenheitskomposition beiseite, als er den Auftrag für Idomeneo erhielt; den Titel erhielt das Werk erst im 19. Jahrhundert. 2014 erschien bei harmonia mundi eine Einspielung von Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus und Diana Damrau in der Rolle der Zaide, bei der Schauspieler Tobias Moretti fehlende Stücke frei nacherzählt und so ein ergänztes Singspiel auf 2 CDs entstand. Ian Page setzt nun eine rein musikalische Aufnahme entgegen. Zaide ist ein Vorläufer der Entführung aus dem Serail, Mozart setzte 15 Nummern in Musik, viele Arien sowie jeweils ein Chor, Duett, Terzett und Quartett; eine Ouvertüre fehlen. Die christliche Sklavin Zaide wird von Sultan Soliman begehrt, liebt aber den Sklaven Gomatz. Beide fliehen, der Sultan wird wütend, die Geflohenen gefangen und die Situation beginnt zu eskalieren. Wie die Rettung vor dem Sultan und überhaupt ein glückliches Ende erfolgen sollte, bleibt unklar. Die Komposition bricht an einer Stelle ab, die weit von jedem Happy-End entfernt ist, und auch die gesprochenen Dialoge sind nicht überliefert. Dirigent Ian Page und sein Orchester Classical Opera stehen erneut für präzises, inspiriertes und beseeltes Musizieren, das sich nie in den Vordergrund drängt, Pages Mozart glänzt, ohne plakativ Funken zu schlagen. Akustisch geschieht dies bei dieser Studioaufnahme mit sehr gutem Klang. Anstelle der fehlenden Ouvertüre erklingt zu Beginn das Entr’acte aus Thamos (KV345), danach sind sehr gute Sänger zu hören. Zaide hat drei Arien, die die Sopranistin Sophie Bevan mit schönem, hellem Sopran und warmem Timbre singt, die bekannteste Arie “Ruhe sanft“, das Lamento „Trostlos schluchzet Philomele“ und die beherzte Antwort auf die Todesdrohung des Sultans „Tiger! wetze nur die Klauen“ erklingen mit viel Emphase. Tenor Allan Clayton als Gomatz überzeugt in den so unterschiedlichen Arien  „Rase, Schicksal, wüte immer“ und „Herr und Freund, wie dank‘ ich dir„. Tenor Stuart Jackson hinterläßt als Soliman  Eindruck, seine Stolz- und Rachearie „Der stolze Löw’ läßt sich zwar zähmen“ ist unmittelbar spannend. Allazim ist bei Bariton Jacques Imbrailo und Osmin bei Bassbariton Darren Jeffery in sehr guten Händen und Stimmbändern. Die Ensembles klingen tadellos, das Zuhören dieser Einspielung bereitet Freude. Eine wichtige Einschränkung besteht dennoch: Spätestens bei den zwei melodramatischen Stücken mit Textpassagen ist zu erkennen, dass man es nicht mit Muttersprachlern zu tun hat. Ein ausführliches Beiheft in Deutsch und Englisch mit Libretto wertet die CD weiter auf. (Signum Classics, SIGCD473)

Nun zu einem Mozart mit Ersatzteilen. Es ist einiges ganz anders bei dieser Mozart-Einspielung von La Clemenza di Tito, die bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik im Jahr 2013 entstand. Dirigent Alessandro De Marchi und die Academia Montis Regalis sind Spezialisten für Alte Musik, musiziert wird hier nicht die Originalversion Mozarts, sondern eine Bearbeitung, die so 1804 in Wien zu hören war und bei der die Oper mit neuen Arien anderer Komponisten ergänzt wurde, andere Passagen dafür gestrichen wurden. Vom Wiener Dirigenten Joseph Weigl stammen zwei neue Arien für Titus sowie ein Duett für Titus und Sextus, von Johann Simon Mayer stammt eine weitere Arie für Titus. Weigl hatte als junger Dirigent Mozart noch persönlich kennengelernt, seine neue Arien versuchen sich einzupassen, verwenden bspw. thematisches Material, Mayer liefert frühe Belcanto-Anklänge bei. Weiterhin werden die Rezitative von Cello und Kontrabass anstelle Cembalo oder Hammerklavier begleitet. Das ist als historische Praxis überliefert und als stilistische Eigenart aufschlussreich, man muss es aber so hören wollen, gerade auch deshalb, weil auch sängerisch nicht alles optimal klingt bei diesem kombinierten Mitschnitt verschiedener Aufführungen. Dem baritonalen Tenor Carlo Allemano mangelt es als Tito an Glanz, dem Bariton Marcel Bakonyi als Publio an Ausdruck. Bei den Sängerinnen wird differenzierter gesungen, Nina Bernsteiner als Vitellia und Kate Aldrich als Sesto lassen durch Ausdruck und Technik aufhorchen. Weiterhin sind Beth Solvang als Annio und Dana Marbach als Servilia zu hören. Chor und Orchester der Academia Montis Regalis bieten eine gute Interpretation, die Ouvertüre überschlägt sich fast, danach geht es dann aber eher überraschungsfrei weiter. (2CD cpo 777870-2)

Mozart – Last Masonic Words heißt eine Reprisen-CD der alten Columbia mit historischen Aufnahmen, die sich freimaurerischer Musik des Komponisten widmet. Besondere Erkenntnisse verbergen sich dahinter nicht, Mozart als Logen-Bruder ist nur eine lose Klammer für die Wiederverwertung alter Aufnahmen, die allerdings interessante Wiederbegegnungen ermöglichen. Zu hören sind die Ouvertüre zur Zauberflöte, „Eine kleine Freimaurer-Kantate“ K623 und der Maurergesang „Lasst uns mit geschlungenen Händen“ K623a. Diese ersten drei Stücke sind mit dem Chor und Orchester der Wiener Volksoper, dirigiert von Peter Maag sowie u.a. Kurt Equiluz, Rudolf Resen, Kurt Rapf, Franz Ellmar und Leo Hoppe. Weiterhin gibt es das Requiem mit den New Yorker Philharmonikern und Bruno Walter, als Sänger sind Irmgard Seefried, Jennie Tourel, Leopold Simoneau und Wiliam Warfield in einer getragen breit klingenden Interpretation zu hören. Die Aufnahmen von 1956 und 1959 sind SACD remastered, die Wiener Einspielungen haben eine den Umständen entsprechend akzeptable Akustik, das New Yorker Requiem klingt hingegen dumpf, als würde man aus einem anderen Raum zuhören. (Pragadigitals, PRD 350211)
Marcus Budwitius

Gegen das Vergessen

 

„Mission Musik“  nennt sich das gerade erschienene Buch, das Gespräche des schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt mit Julia Spinola wiedergibt, ergänzt durch ein Vorwort und eine Einleitung sowie durch einen umfangreichen Anhang. Mutet der Begriff „Mission“ zunächst in Verbindung mit „Musik“ etwas befremdlich an, so wird dem Leser zunehmend klarer, dass das, was dem Vater noch Missionierung zum adventistischen Glauben bedeutete, für den Sohn, zwar auch tief gläubig, einen ganz anderen Sinn hat: Musik so aufzuführen, wie der Komponist sie geschrieben hat, und sie in einer Welt, die zunehmend den Versuchungen leichter konsumierbarer Popmusik verfällt, vor dem zunehmenden Vergessenwerden zu bewahren.

Im Vorwort berichtet Julia Spinola sachlich darüber, wie es zum Entstehen des Buches kam, und gibt einen Überblick über den Inhalt der einzelnen, in Gesprächsform gehaltenen Kapitel. In der Einleitung dann verfällt sie einer überschwänglichen Schwärmerei, entfernt sich damit vom Charakter der Persönlichkeit, die sich später im Verlaufe der Gespräche in einer ganz anderen, klareren und sachlicheren  Art und Weise darstellt und nimmt dem Leser damit fast die Möglichkeit, sich unbefangen selbst ein Bild von dem Portraitierten zu machen. „Alles Theatralische und Kostümierte ist ihm wesensfremd“, schreibt sie, wählt aber selbst eine Darstellungsweise, der das gar nicht fremd ist und die sich quasi vor den Dirigenten drängt. Es ist dem Leser also zu empfehlen, erst die Gespräche zu lesen und sie dann an dem in der Einleitung entworfenen Bild zu messen. Man kann dann durchaus zu einem ähnlichen Urteil kommen, aber es wird dem Leser nicht im Voraus aufoktroyiert.

Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einem Motto, einem Zitat des Dirigenten, der in so schlichter wie überzeugender Weise zunächst seine Jahre in Dresden schildert, den Zwiespalt zwischen der Liebe  für die Besonderheiten der Staatskapelle, deren „existenzielle Unbedingtheit“, und der Abneigung gegenüber einem Staat, der seine Bürger gefangen hält. Besonders sympathisch berührt nicht nur die Ehrlichkeit, die man in jedem Satz vermutet, so das Geständnis, dass zunächst Vorbehalte gegenüber der Musik von Richard Strauss bestanden. Es folgen Berichte über die Jahre in San Francisco, Hamburg und Leipzig, und man erfährt Interessantes über das Verhältnis von Kurt Masur zum Gewandhausorchester, über die unterschiedlichen Sitzordnungen innerhalb des Orchesters, so die von Blomstedt durchgesetzte „deutsche“, über den vielbeschworenen „deutschen Klang“ und fühlt sich so gut unterrichtet wie bisher noch nie zuvor, wie auch über die grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweise an Kompositionen à la Mendelssohn oder Wagner.

Ein weiterer Gesprächskomplex ist Kindheit, Ausbildung und ersten Engagements gewidmet, den Konflikten, die durch den arbeitsfreien Sonnabend der Adventisten entstehen. Neben vielen anderen wird Bernstein erwähnt und einiges weniger oder gar nicht Bekanntes über ihn berichtet, wobei wie auch bei den Passagen über Furtwängler Respekt und Zuneigung auch dort unübersehbar sind, wo Blomstedt nicht mit allem einverstanden ist.

Wie sehr der Dirigent sich selbst weniger wichtig als die Musik, die er dirigiert, nimmt, zeigt sich darin, dass er weniger über sich selbst als über diese berichtet und so ein umfangreiches Kapitel über „Werkanalyse, Interpretation und den Umgang mit dem Orchester“ beiträgt. Sehr überzeugend klingt, dass das Orchester weniger temperamentvolle Zeichengebung als „geistige Energie“ als Hilfestellung  braucht, dass sein künstlerisches Ethos mit seinem Glauben zusammenhängt.

Auch wenn Blomstedt am 17. Juli 2017 seinen 90. Geburtstag feiern wird, hat er  bisher unerfüllte Wünsche wie den, den schwedischen Komponisten Stenhammar bekannter zu machen. Appetit darauf bekommt der Leser durch das, was der Dirigent über den Musiker zu sagen hat.

Bei einem Besuch in Göteborg kann Julia Spinola erleben, dass Blomstedt seine umfangreiche Bibliothek  der Allgemeinheit zugänglich gemacht hat. Ein Kapitel über Bach und besonders dessen h-Moll-Messe und über Beethoven und besonders dessen Tempovorstellungen beschließen die Gespräche, die man mit großem Gewinn lesen kann und die den Wunsch provozieren, der Dirigent möge noch recht lange als Anwalt der Komponisten tätig sein, auch den Plan ausführen, gemeinsam mit Barenboim Furtwänglers Klavierkonzert aufzuführen (Henschel Verlag 2017, ISBN 978 3 89487 950 1). Ingrid Wanja

Clement Harris und Siegfried Wagner

 

„Um seine wiege war sorgloser glänz, Ihm reiften rühm und huldigung, doch eitel War ihm ein trachten ohne frommes tun, Er half zum dank für nie erschöpfte wonnen Die Hellas schenkte — deren matten erben Im kriege … Jetzt beschämt noch unsre söhne Die sich in schaler Lust für künftige ämter Verstumpfen — seine wunde wie sein lorbeer“. „An Clemens, gefallen am 23. April 1897„, lautet die Widmung eines Gedichts in Stefan Georges „Siebentem Ring“, überschrieben „Pente Piagadia“, zu deutsch „Fünf Brunnen“. Wer war, so fragte sich lange Jahre die Literaturkri­tik, jener Clemens, der laut George zu einer Zeit fiel, da in Europa kein Krieg wütete? Gemeint ist der britische Kom­ponist Clement Hugh Gilbert Harris, der sich mit einem selbst angemieteten Söldnerheer für den griechischen Freiheitskampf stark machte, ein später Er­be von Lord Byron.

 

Zu Clement Harris/ Jugendbild/ entnommen dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Ein privilegiertes Leben: Kein unbedeutender Komponist, und auch keineswegs unbekannt, wenn auch lange Zeit vergessen, wurde Harris zu Lebzeiten in seinem Heimatland durch­aus Edward Elgar an Bedeutung gleich­gesetzt. Aber beginnen wir von vorn: Clement Hugh Gilbert Harris; geboren am 8. Ju­li 1871 in Wimbledon als fünftes von sechs Kindern. Die Eltern sind wohlhabend. Der Vater ist der Senior der Ree­derei Dixon and Harris. Obendrein ist er Zunftmeister und königlicher Friedens­richter für die Grafschaft Glamorgan. Als Harris 1885, im Alter von dreizehn Jahren, in Harrow eingeschult wird, fragt ihn der Rektor: Und was willst du einmal werden? „Berühmt!“ ist die Ant­wort des jungen Clement. Und in sei­nem Tagebuch erzählt er: „Die meisten freien Nachmittage verbrachte ich in der Bibliothek. Ein anderer Lieblingsaufenthalt war der Kirchhof. Ich mag mich besinnen, wie ich einmal auf dem­selben Stein, auf dem schon Byron ge­sessen und geträumt hatte, Tränen der Schwermut vergoss und wie dabei im Herzen die Sehnsucht erwachte, auch mein Name möge meinem Vaterland dereinst Ruhm und Ehre erwerben.“ Mit fünfzehn Jahren gibt er das Violin­spiel auf und übt stattdessen Klavier: Bereits im Juli 1889 sieht man ihn als Opernbesucher – an der Seite von Oscar Wilde und dessen Frau Constanze. Mit siebzehn Jahren, im September 1889, geht Harris an das Hoch’sche Konserva­torium in Frankfurt. Clara Schumann will keine Schüler mehr annehmen. Bereits seit einiger Zeit kann sie schnell aufeinanderfol­gende Harmonien nicht unterscheiden und hört oft ganz andere Töne, als ge­spielt werden. Aber auf Bitten des Di­rektors Bernhard Scholz hört Clara Schu­mann das Vorspielen von Clement Har­ris an — und sie akzeptiert ihn als Schüler.

Aber der Musik gilt nicht Clements aus­schließliches Interesse. Sein Studierzim­mer mit dem Klavier und Vasen frischer Rosen gemahnt an einen Alchemisten: „Am Fußboden ausgebreitet astronomi­sche Tabellen und — von früh auf Lieblingsspielzeug — elektrische Basteleien und Apparaturen.“ Mit Vorliebe magnetisiert Clement Harris seine Kom­militonen. Ganze Gesellschaften finden sich dazu in seinem Studierzimmer ein. Darunter auch der Komponist Hans Pfitzner und sein Librettist James Grun, der in jenen Kreisen selbst als Prophet gefeiert wird. „Ich magnetisierte den Propheten, diesmal mit so viel Erfolg, dass ich eine Nadel durch seinen Arm zog, um zu beweisen, dass keine betrü­gerische Täuschung vorläge. Imboden (einem Kommilitonen) wurde ganz übel dabei und musste mit Wasser erfrischt werden. Ich verfüge zweifellos über eine sehr wundersame Kraft.“ Clement genießt den Unterricht bei Clara Schumann: „O, dieser heutige Vormittag!! Sie spielte mir alleine vor, sie war so anmutig und gütig, und ihr Anschlag vollendet und rührend und doch so silbrig. Man wird beschämt über das Unzulängliche der eigenen Be­mühungen.“

 

Zu Clement Harris: Portrait Siegfried Wagners, signiert mit Harris´ Psyeudonym „R. Gilbert“ 1893/ entnommen aus dem Standardwerk von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Wesensfreund Siegfried Wagner: Im Salon des ihm befreundeten Ehepaars Edward Speyer in Frank­furt erlebt Clement Johannes Brahms, der Frau Speyer bei einem Lied beglei­tet. Durch Speyer, der selbst Sohn eines Komponisten ist, lernt Clement auch die andere Seite der musikalischen Ge­genwart kennen. Denn hier verkehren auch der Direktor des Städel’schen Kul­turinstituts, Henry Thode, und seine Frau Daniela Thode, geborene von Bülow, und deren Halbbruder Siegfried Wagner. „Der Sohn des Riesen war auch da. Wir hatten ein langes Gespräch über Wagner. Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, hat aber einen weniger mächtigen Kopf“, vermerkt das Tagebuch am 12. Dezem­ber 1889.

In seinen lesenswerten Erinnerungen „My Life and my friends“ berichtet Ed­ward Speyer, dass sich Clement Harris und Siegfried Wagner bei ihrer ersten Begegnung in seinem Haus sogleich an­gezogen fühlten. Bei den Künstlerfesten im Hause Speyer travestiert Siegfried Wagner gerne als Primaballerina, auch zu Musik von Jacques Offenbach. Cle­ment steht in einer Ecke des Saals mit dem Maler Hans Thoma und spricht plötzlich aus, was der denkt: „Wo wer­den all diese fröhlichen und lachenden Paare in hundert oder auch nur in fünf­zig Jahren sein? Sie sind heute so jung, so glücklich — unvorstellbar, dass sie je alt und traurig würden.“ Hans Thoma, erschreckt, dass jemand seine Gedanken lesen kann, lädt den jungen Engländer in sein Atelier ein. Clement weint ange­sichts der Bilder „Paradies“ und „Ruhe auf der Flucht“.

Zu Clement Harris: Siegfried Wagner/ Foto entnommen aus dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

In der Neujahrsnacht 1890 vermerkt Harris in London in seinem Tagebuch: „Manchmal glaube ich, verrückt zu sein. Vielleicht bin ich es. In dem Leben ist man nie zufrieden; man will immer, was man nicht hat und das ist? Die Liebe.“ Er verspricht der besorgten Mutter, am kommenden Sonntag in die Kirche zu gehen, aber im Nebel verläuft er sich in der Stadt und gelangt in die Tite Street zur Wohnung Oscar Wildes: „Ich saß in Oscars Arbeitszimmer und las und un­terhielt mich mit ihm, bis Constanze – Wildes Frau – zur Mittagszeit aus der Kirche kam. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein elektrischer Schlag: ich hatte mein gegebenes Versprechen gebrochen. Mir wurde eiskalt. Das Gespräch mit Oscar streifte viele und verschiedenar­tige Themen: Kant, Schopenhauer, das ewige Leben in einer anderen Welt, den Meister und anderes mehr. Er ist ein ausgeprägter Idealist, was ihn mir nahe bringt. Idealismus ist Kunst, Realismus Natur – aber – unter der Hand eines Genies gewinnt das Ideale die höchste Realität.“ Bereits am Tag darauf ist er zum Lunch erneut bei Oscar Wilde, der Clement zu Ehren Kaviar servierte: „,Kaviar‘ – wie er sich ausdrückte – von einem Geschmack, den man nur in Träumen kostet‘. Anschließend hatten wir ein langes Gespräch über das schönste und wunderbarste, was es gibt, Malerei, Musik, Liebe.“ Im Sommer 1891, als sich Clement Harris bei Oscar Wilde für dessen Buch der gesammelt erschienenen Aufsätze über Kunst bedankt, tut er dies mit den Worten: „Es bedeutet mir viel, jeman­dem zu begegnen, der meinen eigenen Kunstanschauungen so nahe steht.“

Kurz darauf sind Clement und Siegfried Wagner Duzbrüder. Und Wagner er­klärt Clement am 8. Juli 1890, seinem 19. Geburtstag, zum Vorbild: „Neun­zehn Jahre alt und noch nichts geleistet. Es gibt nur einen, den ich wage, zum Vorbild meiner Wünsche zu erheben. Ihn, der zwanzigmal mehr gelitten hat als ich; ihn, der in Kunst und Leben die Philister und Ungläubigen bekämpfte und zuletzt den Sieg errang. Er sei mein Leitstern, der Leuchtturm in branden­der See und ein Hafen, in dem ich an­kern kann. Ich bin jung, ich kann arbei­ten. Ich will sehen, wie weit ich es bringe.“ „O, könnte ich doch alle Geg­ner von der Echtheit und gigantischen Größe des Meisters überzeugen.“

Zu Clement Harris: Siegfried Wagners Travestieren als Ballerina ist leider nicht dokumentiert; hier doubelt Thomas Hailer in Edmund Gleedes 1986 uraufgeführtem Musiktheater „Cosima Notte oder Notre Dame de Bayreuth“/ Foto entnommen aus dem Standardwerk zu Siegfried Wagner von Peter P. Pachl: „Siegfried Wagner – Genie im Schatten“, Nymphenburg 1988

Im Spannungsfeld Clara Schumann – Bayreuth: Nun kann der Streit mit Clara Schu­mann nicht ausbleiben. Sie klassifiziert den „Tristan“ für das Widerwärtigste, was sie in ihrem Leben gesehen und ge­hört hat: „Den ganzen zweiten Akt hin­durch schlafen und singen die beiden, den ganzen letzten Akt stirbt der Tris­tan, volle 40 Minuten, und das nennen Sie dramatisch!!! Das sind ja nicht mehr Gefühle, das ist Krankheit, sie reißen sich förmlich das Herz aus dem Leibe, und die Musik versinnlicht das in den widerlichsten Klängen!“ Für Clement aber verschlingen sich im „Tristan„Gedankentiefe und besessene Ekstase, und wie abgerundet und präzise ist dabei das Ganze, ein gefasster Edelstein, der im Dunkeln blitzt. Ein geheimnisvolles Gruselmärchen mit einem strahlenden und zugleich grässlichen Ende. Worte können nicht schildern, wie der erste Eindruck auf mich war. Ich bin über­wältigt vom kolossalen Ausmaß des Ganzen. Dem Text vermochte ich nicht recht zu folgen, glaube aber, dass auch nur wenige Deutsche ihn wirklich ver­stehen. Ich hoffe, ihn eines Tages zu be­greifen und in seiner vollen Wucht auf mich wirken zu lassen.“ So schreibt er nach einer „Tristan“-Probe. Und nach der Aufführung: „O Tristan, Tristan, was für eine großartige Schöpfung du bist! Ich war völlig erschlagen nach der Aufführung, die mit Abstand die beste war, die ich von irgendeinem der Werke gesehen habe. Später ging ich in die Stadt, um eine Kleinigkeit zu essen, mochte aber vor Erregung nichts zu mir nehmen. Ich lief weiter in Richtung Ginnheim und kam erst um zwei Uhr in der Früh nach Hause. Dann lag ich wach im Bett, bis es dämmerte. Ich fand kei­nen Schlaf.“

Clement Harris: „Macao“/ Zeichnung aus Ostasien zu dem Tagebuch Siegfried Wagners/ Foto mit Dank von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft

Im Juli 1891 tritt Harris seinen ersten Bayreuth-Besuch an. Cosima klassifiziert er als „eine wirklich sehr ungewöhnliche Frau von starker Faszination“. Den „Tris­tan“ erlebt er in der Familienloge der Wagners, „aufgeregt und völlig zer­mürbt“ und schluchzt wie ein Kind. Bei einem Bayreuther Juwelier erwirbt er eine Halskette, an der er ein ihm von Da­niela Thode geschenktes, in Lava ge­schnitztes Amulett trägt: „Zum Schutze unserer Freundschaft“. Es ist ein Fami­lienerbstück, das Richard Wagner seiner Frau in Neapel zum Geschenk gemacht hatte. Harris führt die englische Korrespondenz für die Festspielleitung. Er ver­kehrt mit den Familienmitgliedern der Wagners, Baron Clemens von Francken­stein, Houston Stewart Chamberlain und Richard Strauss. Nur an der Judenhatz, wenn der Berliner Hof- und Dompredi­ger Adolf Stöcker, der größte Antisemit seiner Zeit, bei Cosima zu Besuch ist, be­teiligt Harris sich nicht: „Seine Ansich­ten über Judaismus konnte ich nicht alle als ungetrübte Wahrheit akzeptieren.“

 

Clement Harris: „Hafen“/ Zeichnung aus Ostasien zu dem Tagebuch Siegfried Wagners/ Foto mit Dank von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft – dieses und weitere Aquarelle im Original bis zum Juni 2017 zu besichtigen in der Siegfried-Wagner-Ausstellung im Schwulen Museum Berlin.

Die Ostasienreise: Kurz darauf lädt Clement Harris Sieg­fried Wagner zu einer Ostasienreise auf der „Wakefield“, einem der Kaufmanns­schiffe seines Vaters, ein. Wie Cosima im Brief einer Freundin mitteilte, begrüßte Siegfried die Auffor­derung zur Reise „wie eine Befreiung“. In einem Brief teilt Clement Clara Schu­mann mit, dass er seine Pianistenausbil­dung in Frankfurt abbrechen werde: „Ich übernahm mich während der letz­ten zwei drei Monate in Deutschland. Die häufigen Reisen nach Karlsruhe (zu Felix Mottl und zu dem dort am Po­lytechnikum studierenden Siegfried Wagner) und jene großartigen, aber er­regenden Aufführungen waren für mei­ne Nerven einfach zu viel. Als ich in London ankam, war ich ein Wrack. Ich werde jetzt auf einem von Vaters Schif­fen eine Seereise machen, um mich ge­sundheitlich wieder herzustellen.“ Die Trennung von Clara Schumann war die Folge von Harris‘ Bindung an Bayreuth. Denn in seinem Tagebuch ist zu lesen: „Mein großer Wunsch ist immer noch, Pianist zu werden. Möge das neue Jahr mir gute Fingerfertigkeit bescheren – und noch etwas andres, was ich nicht aufschreiben darf, nicht aufzuschreiben wage.“ Gleichzeitig reift aber auch sein Entschluss, sich „einer höheren und größeren Kunst zuzuwenden, ich meine die Kunst, ein Orchester zu dirigieren“. Über Singapur, Saigon, Hongkong, Kanton, Macao, Manila, Santa Cruz, Colombo, den Philippinen und zurück über Ceylon nach Neapel führt Harris und Siegfried Wagner die Ostasienreise. Vor China liest Harris Miltons „Paradise Lost“. „Die Sonne steht jetzt genau über mir: ich habe keinen Schatten mehr und vermisse diesen finstren Begleiter. Es ist, als verlöre man einen Teil seiner See­le.“ Und Siegfried Wagner vermerkt in seinem Reisetagebuch: „Auf der Batän Insel, unweit Formosa, „landeten wir, krabbelten wieder herum und suchten eine geeignete Stelle zum Baden […] Wir zogen uns aus, ließen unsre Sachen unter einem Busch und stürzten uns — zwei Adame — in die warme See und schwammen. Wir pfiffen und sangen, und die Kokospalmen werden wohl zum erstenmal ,Es gibt ein Glück, das ohne Reu‘ gehört haben.“

Clement Harris: Der griechische Befreiungskampf gegen die Türken/ Ölgemälde von Delacroix/ Wiki

Durch das unverhoffte musikalische Er­lebnis eines Chors aus Bachs Johannes- Passion, mitten im Straßenlärm von Singapur, durch mannigfaltige sinnliche Eindrücke, aber insbesondere durch den Zuspruch des englischen Freundes ent­schließt sich Siegfried Wagner, seine Pläne als Architekt aufzugeben und sich ganz der Musik zu widmen. („Wir sitzen den ganzen Tag in unseren Deckstühlen, nur in unsere dünnsten Pyja­mas gehüllt (nichts darunter als mich selbst). Ach ist das schön hier!“ schrieb Siegfried Wagner von seiner Schiffsreise mit Clement Harris nach Hause.) Während Clement Harris an Bord des Schiffes die Themen zu seinem sinfonischen Poem „Paradise Lost“ entwarf, keimte in Sieg­fried Wagner der Gedanke zu einer sin­fonischen Dichtung nach Schiller, die schließlich auch im selben Jahr beendet wurde wie Clement Harris‘  Komposition. Am 6 Juni 1895, seinem 26. Geburts­tag, brachte Siegfried Wagner sein ers­tes Orchesterwerk in London zur Urauf­führung. Die Jahre nach der Rückkehr von der Ostasienreise mit Siegfried Wag­ner sind geprägt durch weitere Reisen. Mit seinen Kompositionen will Harris „Werke schaffen, die das Niveau der englischen Musik über ihren heutigen Stand erheben sollen. Dies ist mein Ziel, mein Wunsch. Ob ich über die Bega­bung verfüge und fähig bin, sie zu reali­sieren, wird die Zukunft lehren.“ Im Juli 1893 interpretiert Harris seine vier Etüden für Pianoforte. Die Londoner „Times“ referiert: „unglaublich schwie­rig und höchst gekonnt. Der junge Komponist trug sie mit seltener Bril­lanz vor.“ Auf Empfehlung von Daniela Thode setzt Harris seine Kompositionsstudien bei Philipp Wolfrum in Heidelberg fort. Daneben besucht er die kunst­geschichtlichen Vorlesungen von Henry Thode.

 

Clement Harris: Frontespiece zu „Paradise Lost“/ Wiki

„Paradise Lost“: Sein im August 1893 vollendetes sinfo­nisches Poem „Paradise Lost“ erläutert der Komponist: „Die Themen entstan­den auf der Reise in den Fernen Osten, die meisten an Bord des Schiffs. Die lange Einleitung folgte dann Stück um Stück auf einsamen Gängen in Mitter­nachtsstunden auf der Terrasse vorm Heidelberger Schloss. Den Schlussteil schrieb ich diesen Sommer während meiner letzten drei Wochen in Heidel­berg […] Gegen Ende lebte ich aus­schließlich von Keksen und Selterwasser mit einem Schuss Wein; ich konnte keine feste Nahrung mehr zu mir neh­men, d.h. keine Eier und kein Gemüse.“ Fleisch aß Clement Harris ohnehin nicht. Laut seiner eigenen Analyse über­nimmt die sinfonische Dichtung „Para­dise Lost“ von Miltons Werk „den metaphysischen, nicht den deskriptiven Cha­rakter„.

 

Das griechische Abenteuer: Stefan George lernt Harris im August 1896 im Hause des Komponisten Cle­mens von Franckenstein, des späteren Münchner Staatsintendanten, kennen. Einen Monat später nimmt Harris 1896 in Korfu Griechisch-Stunden.  Die griechisch-türkische Auseinandersetzung um die Insel Kreta spitzt sich im Februar 1897 zu. 1897 setzt Harris mit dem Staatsanwalt von Korfu, Kyrgousios, zum Festland über. An Bord des Damp­fers ist Munition, die für die Front in Epirus bestimmt ist. Das Schiff ankert etwa zwei Kilometer vor der türkisch be­setzten Grenze. Ein Boot mit zwei Mann wird herabgelassen, sie sollen die Meer­enge erkunden. In Arta schallen Harris die Worte: „Anglos Philhellen! (Englän­der, Griechenfreund!)“ entgegen. Hoch­rufe bahnen ihm den Weg durch die Menge ins Lager.

Zu Clement Harris: Karte des befreiten Griechenlands auf einem zeitgenössischen Plakat; oben links der Freiheitskämpfer Eleftherios Venizelos/ OBA

Am 5. April 1897 erklärt Harris: „Ich handle, wohlverstanden, aus völlig freien Stücken. Keiner hat mich dazu beredet, mein Leben in den Dienst der Griechen zu stellen; vielmehr haben wohlmei­nende Freunde mich bisher daran gehin­dert, meine Absicht auszuführen {…]. Der Schritt, den ich tue, mag vielen als ein Akt des Wahnsinns erscheinen. Für mich, der ich die Sache gründlich erwogen habe, ist er das Wenigste, was ein Mann von Ehre für ein Land tun kann, das im Namen des Kreuzes nach Frei­heit ruft und der Reihe nach von jedem der so genannten zivilisierten Mächte beleidigt und gehindert worden ist.“ Der Dichter Lorenzo Mavilis und Clement fuhren einen Trupp von dreißig Mann an, begeistert von der Bevölkerung auf Korfu mit dem Ruf „Harris – Charis!“ („Harris-Liebreiz!“) angefeuert. An seine Mutter, Elizabeth Rachel Harris, schreibt er: „Liebe Mutter! Ich bin jetzt ganz in meinem Element, weit weg von all den sinnlosen Verbindlichkeiten der moder­nen Gesellschaft, und genieße es vollauf.“

Harris‘ Briefe an Siegfried Wagner wur­den leider vernichtet. Aber einige an Siegfrieds Halbschwester Daniela Tho­de gerichtete Briefe von Harris haben sich erhalten. Hier heißt es am 9. April 1897: „Wer weiß, ob wir uns je wieder­sehen. Ich möchte mit niemandem in der Welt tauschen, obschon ich mir der hiesigen Gefahren wohl bewusst bin. Ich hoffe nur, die Griechen gewinnen den Krieg, der jetzt unvermeidbar scheint, und wenn ich nicht mehr zurückkomme, so werden Sie zumindest wissen, dass ich mein Leben für die Freiheit eines Volkes gab, dem meine Bewunderung zu zollen ich gelernt habe und das ich als Kinder betrachte, die sich mit der Zeit zu edlen und großartigen Männern entwickeln und, als würdige Erben ihrer historischen Ahnen, dem Land Ehre er­weisen werden.“

Clement Harris kurz vor seinem Tod, wenngleich P. P. Pachl meint, der Dargestellte sei nicht Harris sondern der Großherzog von Hessen, bei dem Harris Vorleser war / sciencepole.com

Die Stadt Arta ist verwüstet. Die Häu­ser wurden von den abziehenden türki­schen Truppen in Brand gesteckt. Nur ein Türke soll in der Stadt zurückgeblie­ben sein. Harris gibt den Befehl, den Zurückgebliebenen zu suchen und ihn zu beschützen, die Plünderer zu verja­gen und für die Verwundeten zu sorgen. Er selbst springt auf einen Dachstuhl und bekämpft mit einer Axt den Brand. Vor dem Pass von Pente Pigadia hat die von Harris angeführte kleine „Rotte Korah“ ihre Gewehre in Pyramiden ab­gestellt und rastet, als ihnen eine Menge entgegenkommt, die sie für Epiroten halten und mit geschwenkten Armen begrüßen. Aber die Ankommenden eröffnen das Feuer — es sind Türken. Har­ris kriecht hinter einen Felsen und feu­ert zurück. Er wird getroffen. Die „Lon­don Times“ berichtet am 22. Mai 1897: „Die Verwandten von Mr. Clement Har­ris, der im Kampf mit den griechischen Truppen in Epirus verwundet wurde, haben über seinen Tod am 23. April bei Pente Pigadia authentische Nachricht erhalten.“

In Griechenland werden noch Dezen­nien nach Harris‘ Tod Ansichtskarten mit dem Porträt von Clement Harris verkauft. An der Englischen Kirche in Athen erinnert seit dem Dezember 1900 eine Gedächtnistafel an den Philhelle­nen Clement Harris. Siegfried Wagner aber komponierte zum Gedächtnis an Clement Harris im Jahre 1923 die Sinfonische Dichtung „Glück“. Sie ist ein kompositorisches Pendant zu Stefan Georges Gedicht „Pente Pigadia“. Beziehungsreich gibt Siegfried Wagner als Schlussdatum sei­ner Partitur den 10. Mai 1923 als „Himmelfahrtstag“ an. Bei Konzerten hat der Komponist es sich selten neh­men lassen, die Zuhörerschaft selbst in sein Werk einzuführen.

 

Das hinterlassene Werk: Harris‘ Sinfonisches Poem „Paradise Lost“ kam noch häufiger zur Aufführung: 1901 im Heidelberger Bach-Verein un­ter Philipp Wolfrum, im Dezember 1905 von der Haiford Concerts Society in Birmingham, 1937 im antiken Odeion in Athen und 1938, gespielt vom BBC-Orchester, erstmals im Rundfunk. 1993 wurde das beim Verlag Schotts Söhne in Mainz erschienene, dort aber nicht mehr auffindbare Aufführungs­material neu erstellt für mehrere Auf­führungen durch die Thüringer Sym­phoniker Saalfeld-Rudolstadt, die Har­ris‘ Orchesterwerke auch erstmals auf CD eingespielt haben (Marco Polo CD 8.223660). 1999 erfolgte im Megaro Musikis in Athen eine erneute Auffüh­rung mit dem Orchestra Chroomatoon unter Miltos Logiadis. Harris‘ Lieder und Romanzen kamen in den Jahren 1992 bis 1995 bei den Rudolstädter Festspielen zur Wiederauffüh­rung. Hier erfolgte im Sommer 1994 auch Ulrich Urbans erstmalige Inter­pretation von Clement Harris‘ „Ballade“.

Viele seiner Werke sind heute in keiner Bibliothek mehr vorhanden, auch nicht bei den Verlagen. Dennoch konnte ein Großteil seiner Kompositionen für die Einspielung auf der CD aufgefunden werden. Nur die Versuche, die (nach 1897) bei Metzler in London erschienenen Six Songs („Faith“, „Forget me not“, „Absence“, „The Return“, „Hope“, „Vision“) zu finden, waren vergeblich. Glückli­cherweise besaß Harris‘ Biograf Claus Victor Bock in Amsterdam eine Foto­kopie von Harris‘ Manuskript von ei­nem dieser sechs Lieder, „Forget me not“. Vielleicht findet sich mithilfe die­ser Publikation doch noch ein Exemplar der Druckausgabe der Six Songs? Die „Quatre Etudes de Concert“ erschie­nen 1893 bei Schott in London, Mainz, Brüssel und Paris. Sie sind gleichzeitig Stimmungsbilder, und ein zutreffender Titel wäre „Die vier Jahreszeiten“, denn jede der vier Etüden, die Harris Cosima Wagners Tochter Daniela, der Halb­schwester Siegfried Wagners, gewidmet hat, trägt eine Jahreszeit als Überschrift. Das „Lied de Peter Cornelius“ in der „Transcription de Concert pour Piano par Clement Harris“ erschien 1893 bei Schott in London, Mainz, Brüssel und Paris. Cornelius‘ Lied „In Lust und Schmerzen“ aus dem Jahre 1854 auf ein eigenes Gedicht ist Marie von Sayn-Wittgenstein, der Tochter von Liszts Lebensabschnitts-Gefährtin Caroline, gewid­met. Auch Franz Liszt hat Gedichte von Peter Cornelius vertont. Zwei Romanzen von Clement Harris bemühen sich offenbar, den in Richard Wagners OEuvre nahezu ausgeklammer­ten Bereich der Kammermusik in Denkungsart, Formgebung und Harmonik des Bayreuther Meisters einzubringen. „Das Meer ist ein Teil meiner selbst, und lange von ihm getrennt sein, macht mich ruhlos und schwermütig. Ich exis­tiere zu Land, zu Wasser aber lebe ich.“ Harris‘ letzte Komposition waren die „Songs of the Sea“ auf Gedichte von Auberton Herbert, die er seinen Eltern widmete.

Nachdem der Pianist Ulrich Ur­ban sich über fünf Jahre lang intensiv mit dem pianistischen Schaffen von Clement Harris auseinander gesetzt und die Werke des britischen Jugend­freundes von Siegfried Wagner häufig in die Programme seiner Klavieraben­de integriert hatte, war 2001 beim MDR Leipzig die Gesamteinspielung von Harris‘ Klavierwerken erfolgt. 2004 erschien diese Einspielung beim Label VMS als CD, ergänzt um weitere Kammermusik und Lieder von Cle­ment Harris, ebenfalls mit Ulrich Ur­ban als Pianisten und Begleiter. Das Beiheft zur CD enthält ausführliche Werkanalysen aus der Feder von Peter P. Pachl. Der Titel „The Complete Piano Et Chamber Music“ ist insofern zutreffend, als bis heute kein Exem­plar der „Six Songs“ in irgendeiner Bi­bliothek aufgefunden werden konnte, so dass diese Werkgruppe auf der CD nur mit einem Lied berücksichtigt werden konnte:   Clement Harris: The Complete Piano Et Chamber Music. Ulrich Urban, Klavier; Andreas Hartmann, Violine, Anna Nie- buhr, Violoncello, Alexander Roske, Klarinette, Henryk Böhm, Bariton; VMS 124 DDD. Peter P. Pachl

 

Wir danken Peter P. Pachl –  erfolgreicher Musikwissenschaftler, Theatermann, Regisseur und Autor mit Schwerpunkt Siegfried Wagner – für die wie stets sehr liebenswürdige Genehmigung zur Überlassung seines Textes.

Das große Foto oben ist ein Screenshot auf dem ZDF-Film „Der Wagner Clan – eine Familiengeschichte“, der in Kooperation mit dem ORF 2014 im deutschen ZDF lief und als DVD zu beziehen ist (Mona-Film). Heino Ferch, Lars Eidinger und viele mehr geben diesem Film Kontur. Iris Berben verkörpert Cosima Wagner, ihr Sohn Oliver Berben führt Regie. Im Berliner Tagelspiegel schrieb  Jörg Seewald: Im Geist von Visconti – das ZDF macht aus dem Wagner-Clan ein Schauspielerfest mit einem prachtvollen Bilderreigen….Für Produzent Oliver Berben war es zunächst undenkbar gewesen, einen Wagner-Film zu drehen. Erst die Biografie des Engländers Jonathan Carr „Der Wagner-Clan“, die ihm sein Kollege Gero von Boehm in die Hand drückte, brachte ihn zum Umdenken. Drehbuchautor Kai Hafemeister begriff laut Berben schließlich die Aufgabe, „nur kein Biopic zu schreiben, sondern in einer unterhaltsameren Form. Ohne Hafemeister würde es diesen Film nicht geben“, der ausdrücklich „kein Musikfilm ist“, wie Berben betont… Wie gesagt: Kein Film für Wagner-Fans, eher eine Chance für die vielen, die wie Iris Berben Vorbehalte gegen Wagners Gedankenwelt hegen, „das eigene Halbwissen zu überdenken“. Den Wissbegierigen, die mit den historischen Ungenauigkeiten von „Der Wagner-Clan“ nicht leben können, sei der anschließende Film von Gero und Felix von Boehm ans Herz gelegt: „Der Wagner-Clan – Die Dokumentation“ beleuchtet das weitere Schicksal der Familie Wagner.

Im Gesangsolymp

 

Erscheint am 14. April: In einer konzertanten Aufführung von Porporas Germanico Re di Germania im Januar dieses Jahres in Krakau sorgte Julia Lezhneva mit ans Unwirkliche grenzender Virtuosität für einen sensationellen Auftritt. Nun legt die Sopranistin bei DECCA ihr drittes Soloalbum vor, welches die Eindrücke vom Konzert in Polen bestätigt (483 1518). Das Programm ist dem Werk Carl Heinrich Grauns gewidmet und bringt nicht weniger als 11 (!) Weltersteinspielungen von Opernarien, die alle in Berlin uraufgeführt wurden. Einzige bekannte Nummer ist der letzte (12.) Track mit der Arie der Agrippina („Mi paventi il figlio“) aus Britannico. Damit beendet die Sängerin diese neue CD, die alle Chancen auf einen Echo hat, mit furioser Attacke und fulminanten Koloraturgirlanden.

Begonnen hatte sie mit einer Arie der Aspasia aus L’Orfeo, „Sento una  pena“, in der die thrakische Königin und Rivalin Eurydices in aufgewühltem Zustand ihr Los beklagt. Es ist sogleich zu Beginn eine Gelegenheit für die Solistin, ihre Bravour mit spektakulären Koloraturrouladen zu demonstrieren.

Später widmet sich die Interpretin noch zwei weiteren Figuren dieser Oper – der  Euridice mit „Il mar s’inalza e freme“, in der sie mit jenem berühmten Sinnbild von tobenden Meer die drohenden Gefahren einer Flucht mit Orfeo beschreibt,  und dem Aristeo mit „D’ogni aura al mormorar“, in welcher Orfeos Bruder den Verlust Eurydices beweint. Drei Arien – drei Rollen – drei Seelenporträts – drei Zeugnisse höchster Gesangskunst.

Auch aus Armida gibt es zwei Arien – wieder unterschiedlichen Partien zugehörig: Ubaldos „La gloria t’invita“, in der er dem Ritter Rinaldo mit energischem Nachdruck den richtigen Weg weist, während die Arie der Titelheldin „A tanti pianti miei“ den Schmerz über den drohenden Verlust ihres Geliebten Rinaldo ausdrückt – ein Wechselbad von Trauer und Furor.

Gleiches betrifft die beiden Ausschnitte aus Silla – Ottavias „Parmi“ ist eine jener berühmten ombra-Szenen, in welcher sie eine Vision ihres verblutenden Geliebten Postumio vor Augen hat, während dessen „No, no di Libia“  ihn in Raserei zeigt angesichts des Gedankens, seine Geliebte an den Kaiser Lucio Silla zu verlieren. Vom Affekt-betonten Orchester getragen, steigert sich die Sängerin hier in einen Ausnahmezustand, in welchem die ekstatischen Koloraturen höchsten seelischen Aufruhr widerspiegeln.

Aus weiteren drei Opern stellt die Sopranistin jeweils eine Nummer vor. Aus Ifigenia in Aulide hört man die Arie des Agamemnone, „Sforzerò di te“, in der er in gleichfalls rasendem Tempo dem Orakel, dass seine Tochter geopfert werden müsse, trotzt, was der Interpretin wiederum akrobatische Gesangskunststücke abverlangt. Die Arie der Volunnia aus Coriolano, „Senza di te“, bringt einen kontrastierenden Ruhepunkt. Es ist die Klage einer Mutter über die schandbaren Taten ihres Sohnes, welche die Sopranistin mit reicher Empfindung vorträgt. Rosmiris „Piangete“ aus Il Mithridate ist wiederum ein Lamento, das in Lezhnevas eindringlicher Gestaltung zu den Höhepunkten der Platte zählt. Einziges Instrumentalstück der Platte ist die einsätzige Ouvertüre zu Rodelinda, ein beschwingtes, stürmisches Allegro, in welchem das Concerto Köln unter Mikhail Antonenko mit musikantischer Lust und reicher Agogik aufwartet. Der Dirigent und die Sängerin haben in der Berliner Staatsbibliothek die Arien für dieses Programm ausgewählt und dabei auf kontrastreiche Anordnung Wert gelegt. Das macht das Hören abwechslungsreich und spannend, vernimmt man doch historische und mythologische Episoden, wird man konfrontiert mit Emotionen aller Arten – heroischen, tragischen, freudigen, klagenden – und ist einem ständigen Wechselbad von Gefühl und Bravour ausgesetzt. Die intensive Vorbereitung auf diese Einspielung spürt man in jedem Moment – Lezhneva und Antonenko sind ein eingespieltes Paar und haben mit dieser CD im gewiss nicht schmalen Barockrepertoire für eine denkwürdige Veröffentlichung gesorgt.  Bernd Hoppe                                                                                                                                    

Roberta Knie

 

Die amerikanische Sopranistin Roberta Knie (* 13.5.1938 Cordell/ Oklahoma, USA) starb am 16. März 2017, wie wir mit Betroffenheit hörten. Als treue Anhänger der Deutschen Oper Berlin erlebten wir sie dort oft neben ihrem häufigen Bühnenpartner Jon Vickers, namentlich als Isolde, aber sie war hier auch in anderen Partien wie der Chrysothemis zu erleben. Ihr Tod kam nicht überraschend, denn die letzten Jahres ihres Lebens waren von ihrem tapferen Kampf gegen den Krebs gezeichnet, dem sie nun erlag.  G. H. 

Roberta Knie/ Isolde mit Jon Vickers an der Opéra de Quebec 1976/ Foto Isoldes Liebestod

Roberta Knie begann ihre Ausbildung an der Oklahoma University bei Norman und war dann Schülerin von Elisabeth Parham, Judy Bounds-Coleman und von der berühmten Eva Turner, die während dieser Zeit eine Professur an der Oklahoma University bekleidete. 1964 kam es zu ihrem Bühnendebüt am Stadttheater von Hagen (Westfalen) in der Rolle der Elisabeth im »Tannhäuser«. 1966-69 war sie am Stadttheater von Freiburg i. Br. engagiert. 1969 ging sie von dort aus an das Opernhaus von Graz, dem sie 1969-74 angehörte. Sie erregte 1969 am Theater von Graz in Partien wie der Salome von R. Strauss, der Tosca und der Leonore im »Fidelio« Aufsehen, dann auch am Opernhaus von Köln. Sie kam jetzt zu einer großen Karriere im hochdramatischen wie im Wagner- Fach. 1972-73 trat sie am Opernhaus von Zürich, 1973-74 am Opernhaus von Lyon als Brünnhilde im Nibelungenring auf, 1973-74 war sie am Teatro San Carlo Neapel zu Gast. 1974 sprang sie bei den Bayreuther Festspielen für eine erkrankte Kollegin als Brünnhilde ein und hatte einen sensationellen Erfolg. 1975 kam es zu ihrem USA-Debüt, als sie an der Oper von Dallas die Isolde im »Tristan« sang. 1976 gastierte sie bei den Festspielen von Bayreuth nochmals als Brünhilde im Nibelungenring. 1975 sang am Teatro San Carlos Lissabon die Salome von R. Strauss, 1976 die Brünnhilde im Nibelungenring und 1977 die Leonore im »Fidelio«, am Opernhaus von Montreal 1975 die Isolde im »Tristan«, an der New Jersey Opera 1975 die Chrysothemis in »Elektra« von R. Strauss, 1975 in Toulouse die Brünnhilde in der »Walküre« und 1977 die Isolde, 1975 in Dallas ebenfalls die Isolde, dort 1977 die Salome, 1978 die Lady Macbeth in Verdis »Macbeth«, 1980 die Turandot von Puccini. Am Teatro Colón Buenos Aires gastierte sie 1975 und 1976 als Salome, 1976 auch als Chrysothemis, an der San Francisco Opera 1976 in der »Walküre«, an der Oper von Rom 1977 als Leonore im »Fidelio« und 1980 als Brünnhilde in der »Götterdämmerung«, am Théâtre de la Monnaie Brüssel 1974 als Salome, an der Covent Garden Oper London 1978 als Isolde (mit Jon Vickers als Tristan), an der Grand Opéra Paris 1977 als Brünnhilde in der »Walküre«, an der Oper von Monte Carlo 1977 als Leonore im »Fidelio«, 1979 in der »Walküre«, an der Staatsoper Wien 1971-75 (u.a. als Leonore und als Sieglinde in der »Walküre«), 1972 an der Oper von Stockholm, 1979 am Opernhaus von Rouen, an der Chicago Opera 1977 einmal mehr als Isolde, ebenso 1980 in Washington, an der Oper von New Orleans 1981 als Salome. 1976 debütierte sie an der Metropolitan Oper New York als Chrysothemis, 1981 sang sie dort (einmal) ihre Glanzrolle, die Isolde.

Roberta Knie/ Isolde mit Gerd Brenneis an der Oéra de Lyon 1975/ Foto Isoldes Liebestod

Sie gastierte an den Staatsopern von Wien, Hamburg, München und Stuttgart, an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, an der Deutschen Oper Berlin, an den Opernhäusern von Mannheim, Kassel, Nürnberg und Straßburg, am Théâtre de la Monnaie Brüssel, in Bologna, Parma und Lissabon, an der Welsh Opera Cardiff, an der Königlichen Oper Stockholm, in Montreal und am Reatro Colón Buenos Aires. 1975 trat sie an der Metropolitan Oper New York auf, an der sie als Isolde erfolgreich war. Höhepunkte in ihrem Bühnenrepertoire waren die Senta im »Fliegenden Holländer«, die Elsa im »Lohengrin«, die Isolde im »Tristan«, die Sieglinde in der »Walküre«, die Brünnhilde im Ring-Zyklus, die Donna Anna im »Don Giovanni«, die Elettra in »Idomeneo« von Mozart, die Salome von Richard Strauss, die Marschallin im »Rosenkavalier«, die Leonore im »Fidelio«, die Lisa in »Pique Dame« von Tschaikowsky, die Leonore in den Verdi-Opern »La forza del destino« und »Troubadour« und die Tosca. Auch im Konzertsaal erschien sie in einem umfassenden Repertoire. 1981 kam es bei der Sängerin zu einer Stimmbanderkrankung. Sie trat 1982 nochmals am Teatro Liceo Barcelona als Salome auf, sagte aber einen Auftritt als Turandot an der Oper von Dallas ab und gab dann ihre Kariere auf (und Wikipedia.org ergänzt: Her career was disrupted by illness several times – by viral pneumonia from 1981 to 1984, by a detached retina in 1991, and by colon cancer in 2000. She died on 16 March 2017 at the age of 79, survived by her partner of 24 years, Deborah Karner.)

Schallplatten: CBC (Isolde in vollständigem »Tristan«); VAI (weitere komplette »Tristan«-Aufnahme aus Kanada, 1965). Privataufnahmen aus der Metropolitan Oper. (Quelle: Isoldes Liebestod mit Dank; auch die hier gezeigten Fotos stammen von diesem wunderbaren Blog)

 

Frühes im Studio

 

Wer Bellinis Erstling Adelson e Salvini von 1825 hören will, musste bislang auf die zweiaktige Fassung einer Live-Aufnahme von 1992 aus dem Teatro Bellini Catania zurückgreifen (oder auf die noch ältere von 1985 mit dem Drottningholms Barockensemble). Nun legt Opera Rara eine Neueinspielung vor, die in den Londoner  BBC Maida Vale Studios im Mai 2016 in Verbindung mit einer konzertanten Aufführung im Barbican Center am 11. 5. 2016 entstand und auf die Version in drei Akten zurückgreift (ORC56, 3 CD).

Bellini hatte 1819 mit dem Studium am Königlichen Konservatorium in Neapel begonnen (u.a. bei Zingarelli, dem Direktor des Institutes) und 1824 sein Examen abgelegt. Er bekam die Chance, eine komplette Oper zu schreiben – Adelson e Salvini mit dem Libretto von Andrea Leone Tottola, das vor ihm bereits Valentino Fioravanti vertont hatte und das 1816 in Neapel mit Giovanni Battista Rubini, Bellinis späterem Lieblingstenor, herauskam.

Die Geschichte der beiden Freunde Salvini und Adelson, dessen Verlobte Nelly vor Beginn der Handlung von seinem Feind Lord Struley entführt wurde, dann aber zurückkehrt und auch von Salvini begehrt wird, spielt in Irland und behandelt den Konflikt zwischen der Loyalität gegenüber dem Freund und der Leidenschaft für die Geliebte. Das ergibt turbulente Verwicklungen, gipfelnd in Salvinis Selbstmordversuch, den Adelson verhindert, und dem Anschlag auf Nelly als Folge seiner Sinnesverwirrung. Nelly aber ist unverletzt und kann mit Adelson, der Salvini verzeiht und ihn zurück schickt nach Italien, Hochzeit feiern.

Die Musik dieser Opera semiseria steht ganz in der Tradition Rossinis – jenes Komponisten, der mit seinen Werken in dieser Zeit das Teatro San Carlo in Neapel dominierte. Mit Salvinis Diener Bonifacio hat Bellini seinen einzigen echten Buffo-Charakter geschaffen, der an entsprechende Figuren aus Rossinis Barbiere und der Cenerentola erinnert. Die Einteilung in Gesangsnummern und gesprochene Dialoge spiegelt wiederum den Einfluss der opéra comique wider (stand Neapel von 1806 bis 181 doch unter französischer Herrschaft).

Für die Besetzung waren drei männliche Altisten, ein Tenor und vier Baritone bzw. Bässe vorgesehen. Die zentrale Partie der Nelly, Adelsons Verlobte und auch von Salvini geliebt, übernahm der 14jährige Giacinto Marras, der später eine erfolgreiche Karriere in ganz Europa machen sollte. In der Neuaufnahme gibt es natürlich keine Travestie-Besetzung, hier singt Daniela Barcellona, deren Timbre bekanntermaßen nicht jedermanns Geschmack ist (auch meiner nicht), aber als Nelly gelingt ihr ein sehr kultivierter Vortrag. Die Auftrittsromanze „Dopo l’oscuro nembo“ (später Giuliettas „Oh quante volte“ aus den Capuleti von 1830) singt sie mit schlanker Tongebung, kontrolliertem Vibrato und geschmackvoll verziertem Da capo. Nur im Finale des Werkes stellt sich in der Höhe wieder der maskulin-strenge Ton ein.

Der erste der beiden Titelhelden, der sich im Finale des 1. Aktes mit einem kantablen Thema einführt, ist Simone Alberghini mit einem Bassbariton von schöner Farbe. Seine Stimme ist leichtfüßig genug, um die flinken Nummern seiner Partie, so das muntere Duett mit Salvini im 2. Akt oder das gleichfalls lebhafte mit Bonifacio zu Beginn des letzten Aufzugs, mühelos zu absolvieren.

Schon in diesem Frühwerk gibt es mit dem Salvini eine heikle Tenorpartie in exponierter Terssitura, die bereits den Arturo der Puritani vorwegnimmt. Dafür besitzt Enea Scala die passende Stimme mit sinnlich-jugendlichem Klang und schwärmerischer Emphase. Ihm fällt die letzte Arie der Oper zu, in der in der er seine ewige Liebe zu Nelly beteuert und in der auch der Opera Rara Chorus (Eamonn Dougan) mitwirkt. Es ist ein schmachtendes, reich ornamentiertes Solo, in welchem der junge Sänger seine hohe Kunstfertigkeit demonstriert. Salvinis  Diener Bonifacio lässt mit seinem munteren Geplapper an Rossinis buffoneske Charaktere denken, und Maurizio Muraro ist mit seinem eloquenten Bass dafür der ideale Interpret. Souverän meistert er das zungenbrecherische Tempo seiner Kavatine „Bonifacio Voccafrola?“, das sich in einem typisch rossinianischen accelerando immer mehr steigert. Nicht weniger Gewandtheit verlangt seine Arie im 2. Akt „Taci, attendi“, und auch hier erweist sich Muraro als Meister.  Als Colonel Struley, Adelsons Feind, lässt Rodion Pogossov einen virilen Bassbariton mit grimmigem Ausdruck hören, der dennoch auch eine vollendete Kantilene zu formulieren versteht. Mit seinem Freund Geronio eröffnet er den 2. Akt mit einem Duett, in welchem David Soar mit seinem Bass die Besetzung solide ergänzt.

Zu Lord Adelsons Personal gehören noch die junge Bedienstete Fanny (Kathryn Rudge mit feinem Sopran in der melancholischen Introduzione) und die Gouvernante Madama Rivers (Leah-Marian Jones gebührend resolut).

Die Sinfonia nimmt die zum Pirata vorweg und stellt eines jener dramatisch bewegten Motive vor, wie man es später auch in der Norma vernimmt. Und Bellini leitet mit diesem Thema auch das ausgedehnte Finale 1 seines Erstlings ein. Dessen Bausteine sind ein erregter Dialog zwischen Nelly und Salvini, während Bonifacio gemäß seiner buffonesken Anlage den Charakter der Szene zum Heiteren verändert. Fanny, Geronio und Madama Rivers stoßen hinzu und machen das Ganze zu einem wirbelnden Ensemble, dessen Schlussteil „Di piacer la voce“ fast ein Zitat aus der Cenerentola darstellt. Daniele Rustioni findet mit dem BBC Symphony Orchestra die richtige Balance zwischen den elegischen und quirligen Teilen der Komposition, sorgt in den drei Finali für wirkungsvolle Steigerungen und ist den Solisten jederzeit ein einfühlsamer Begleiter.

Die von Opera Rara verwendete kritische Edition der Casa Ricordi berücksichtigt den aktuellen Stand der Erkenntnisse, ist Bellinis Autograph doch nur unvollständig erhalten. Die vier Nummern des Anhangs stellen jene Revisionen und Zusätze vor, welche Bellini 1828 für eine geplante Wiederaufführung seines Werkes, das nach Bianca e Fernando (1826) und vor allem Il pirata (1827) in Vergessenheit geraten war, vorgenommen hatte. Da gibt es eine kürzere Variante von Nelly Arie „Dopo l’oscuro nembo“ und ein verändertes Duett von Salvini und Bonifacio, in welchem der Tenor Töne in der Extremlage zu bewältigen hat, welche schon auf die Puritani verweisen. Überhaupt kann sich Scala in den Tracks des Anhangs erst richtig profilieren, denn auch in einer Version des ersten Finales, kann man ihn in dieser Region hören, während Barcellona hier wieder mit ihren Verzerrungen in der Höhe aufwartet.

Die Ausstattung der Opera Rara-Ausgaben gibt sich inzwischen bescheidener – ein schlichter Schuber statt einer schmucken Konfektschachtel und weniger historische Abbildungen mit den berühmten Interpreten jener Zeit. Aber der Sammler freut sich über jede Neuveröffentlichung aus dem vergessenen Repertoire des 19. Jahrhunderts, was die Firma zu weiteren Taten ermuntern sollte. Bernd Hoppe

Ma che coraggio!

 

Alle Frühwerke  Giuseppe Verdis bis hin zum Macbetto wollen die Heidenheimer Festspiele unter ihrem Leiter Marcus Bosch in den kommenden Jahren aufführen und haben 2016 zwangsläufig mit dem ersten überlieferten, nämlich Oberto (eigentlich mit dem Zusatz Conte di San Bonifacio) begonnen. Eine Aufzeichnung davon liegt jetzt auf zwei CDs vor. Das Cover kündet von einer halbszenischen Aufführung mit vielen Stühlen, auf denen die Solisten offensichtlich auch ab und zu balancieren mussten, was dem Gesang wahrscheinlich nicht zuträglich war, aber selbst bei Halbszenischem und bei ansonst trauten Festspielen ist man offensichtlich als Sänger nicht mehr vor eigentlich Unzumutbarem sicher.

Die Oper jedenfalls ist unverkennbarer Verdi, und sowohl die Capella Aquilea wie der Chzech Philharmonic Choir Brno stellen sich mit viel feinsinnigem Brio kultiviert federnd darauf ein und machen unter Marcus Bosch einen guten Eindruck, wirken insbesondere bei den Finali mitreißend.

Erfreut ist man über das Textbuch in drei Sprachen, auch wenn die Trackliste nicht ganz zutreffend ist und auch mal Sätze, die es im Italienischen gibt, im Deutschen und Englischen weggefallen sind. Eine Besetzungsliste am Anfang des Booklets gibt es nicht, man muss sich Namen und dazu gehörende Rolle aus den Biographien zusammensuchen, wenn man nicht zufällig auf die Angaben nach einem Aufsatz über das Werk gestoßen ist, wo aber der Tenor irreführend als Bariton geführt wird.

Dass die Oper nicht zum gängigen Repertoire gehört, mag auch an der spröden Handlung liegen. Ein in seiner und der Tochter  Ehre gekränkter Vater schreitet unbeirrt zur Rache, obwohl die neue Verlobte auf den Ungetreuen verzichten und die beiden einst Verlobten wieder zusammen führen will. Er fordert den zum Rücktausch Bereiten heraus, wird getötet, die Tochter geht ins Kloster, der siegreiche Duellant flieht ins Ausland und die edelmütige Zweitbraut bleibt betreten zurück.

Für die Titelpartie hat man mit Woong-Jo Choi einen der typischen machtvoll-weichen Bässe eingesetzt, die angenehm samtig klingen können und von schönem Ebenmaß sind. In der Cabaletta im zweiten Akt entwickelt der Bass auch den bis dahin etwas fehlenden Furor, den man für die Rolle haben sollte. Adrian Dimitru, der den ungetreuen Riccardo singt, ist zweifelsfrei ein Tenor, wenn auch einer der eher wehleidig als melancholisch klingen, leicht meckernden Art, dessen Stimme manchmal zu eng klingt, der aber eine achtbare Cabaletta singt und im Duett mit dem Mezzosopran an Stimmschönheit gewinnt. Die verlassene Braut Leonora hat mit dem Sopran von Anna Princeva ein apartes Timbre, singt mit schönem Legato und findet besonders in der Mittellage zu innigen Tönen, während die Höhen oft nur angetippt werden. Anrührend wird die Schlussarie gesungen, wenn auch mit beachtlichen Einschwingzeiten. Die schönste Stimme hat der Mezzosopran Katerina Hebelkova als verzichtsbereite Cuniza mit viel Leuchtkraft, schöner Agogik und sehr spritzig in der Cabaletta.

Auf die weiteren Projekte der Festspiele darf man gespannt sein, so auch darauf, ob es gelingt, die richtigen Soprane für die in dieser Hinsicht schwer zu besetzenden Frühwerke zu engagieren (Coviello 2 CD COV 91702), Ingrid Wanja      

Nymphisches

 

Die Reihe der Einspielungen von Werken Johann Simon Mayrs setzt Naxos mit dem Dramma per musica Telemaco nell’isola di Calipso fort, das 1797 in turbulenten politischen Zeiten im von Napoleons Truppen besetzten Venedig zur Uraufführung kam (8.660388-89). Viele Komponisten haben die mythologische Geschichte von Telemaco vertont. Der Sohn Ulisses strandet auf einer Insel und begegnet dort der Göttin Calipso, die einst von seinem Vater verlassen wurde, wofür sie sich am Sohn rächen will. Für diesen empfindet die Nymphe Eucari Zuneigung, was Calipsos Zorn hervorruft, denn auch sie schwankt zwischen Liebeshoffnung auf Telemaco und Zorn. Mentore, Telemacos Freund und Begleiter, der zunächst vermisst wird, später aber erscheint und von Calipso umgarnt wird, gemahnt seinen Schützling zur Abreise von der Insel. Statt Liebesabenteuern soll er sich für Heimat und Ehre entscheiden.

Spiritus rector des Unternehmens ist der Dirigent Franz Hauk, der 2003 den Simon Mayr Chor gründete und viele Produktionen der Serie verantwortete. Auch hier steht er am Pult, diesmal des Concerto de Bassus – einem Ensemble, das sich aus Studenten und Absolventen der Münchner Universität für Musik und Darstellende Künste zusammensetzt. Dem Dirigenten gelingt eine solide Einspielung, die vor einer konzertanten Aufführung des Werkes am 5. September 2015 in Neuburg an der Donau entstand.

Die Besetzung wird dominiert von vier Sopranen, die sich in ihren Timbres nicht sonderlich voneinander abheben, was das Klangbild etwas einförmig macht. Siri Karoline Thornhill in der Titelrolle singt kultiviert und hat in einer Kavatine von mozartscher Gefühlstiefe („Bella Dea“) Gelegenheit für empfindsamen Gesang. Auch ihr Solo im 2. Akt („La bella età d’amore“) gefällt mit den lieblich getupften Tönen. Für die Calipso setzt Andrea Lauren Brown eine gleichfalls gepflegte Stimme ein, die in der Arie „Amore è un Nume“ im 2. Akt Contessa-Töne vernehmen lässt und im Finale mit „Furie spietate“ ihre Unsterblichkeit verflucht. Mit einem Furor gleich der Elettra gelingen der Sängerin hier die stärksten Momente. Jaewon Yun als Nymphe Eucari äußert sich mit gebührend lieblichen Klängen; Katharina Ruckgaber als Sacerdote di Venere komplettiert mit beherzten Koloraturen das Sopran-Quartett.

Eine zentrale Partie des Werkes, Telemacos Freund Mentore, fällt dem Tenor zu. Hier ist es der in diesem Genre versierte Markus Schäfer, dessen Timbre freilich hin und wieder einen buffonesken Anflug nicht verhehlen kann. Das steht der Tito-nahen Figur, die sich im 1. Akt mit „Vivo ancor“ energisch auftrumpfend einführt, im Wege. Immerhin gelingt es dem Interpreten, das erste Finale zu dominieren und im 2. Akt sein von Bläsern martialisch eingeleitetes Solo „L’alloro guerriero“ mit Nachdruck zu formulieren. Nach der Mitwirkung in zwei mehrstimmigen Gesängen – einem Quartett und dem stürmischen Sextett im 2. Akt – ist der tiefsten Männerstimme der Besetzung, dem Sacerdote di Bacco, mit „Quell’orgogliosa fronte“ dann doch noch eine Arie zugeteilt. Niklas Mallmann singt sie mit energischem Zugriff in Figaro-Nähe.

Der Simon Mayr Chorus kann in der erregten Szene des 3. Aktes („Ah, che fai!“). die deutlich an die dramatisch aufgewühlte Situation in Idomeneo erinnert, Wohlklang und Expressivität vereinen. Mit den verzweifelten Einwürfen des Telemaco beweist Thornhill auch ihr dramatisches Potential. Mayrs Musik zwischen Mozart und Rossini ist zumeist leichtfüßig und von großem Liebreiz, hat aber durchaus ihre Sturm und Drang-Momente. Von heiterer Munterkeit gleich einem Menuett tönt der Ballo des 1., von transparenter Zartheit der des 2. Aktes. Eine Tempesta in der Tradition Rossinis lässt aufgewühlte Turbulenzen vernehmen. Hauk hat für all diese Stimmungen das richtige Gespür und erweitert seine Mayr-Serie um einen gewichtigen Baustein. Bernd Hoppe

Vivaldi mit Rätseln

 

Reizvoll ist das Programm einer neuen CD bei Ëvoe Records mit dem Titel Carnevale di Venezia (ËVOE 003). Zu hören sind Arien und Instrumentalstücke aus fünf Opern und drei geistlichen Werken Vivaldis, die von der Cappella dell’Ospedale della Pietà Venezia unter Leitung von Stefan Plewniak musiziert werden – einem Klangkörper, der nach dem venezianischen Vorbild im 18. Jahrhundert nur mit jungen Musikerinnen besetzt ist. Damals waren es Waisen, die in diesem Orchester, das von Vivaldi selbst gefördert wurde, Zuflucht fanden. 2013 hatte Plewniak die Initiative, ein Ensemble nach dem historischen Modell zu gründen, um diese Tradition wieder zu beleben. Die Gesangssolisten sind die Mezzosoprane Miriam Albano und Natalia Kawalek sowie der Counter Jakub Józef Orlinski. Leider sind im Booklet die einzelnen Arien den beiden Interpretinnen nicht zugeordnet, so dass nur eine pauschale Beurteilung der zwei Sängerinnen möglich ist. Die Beiträge des Countertenors sind dagegen auf Grund des Stimmtyps eindeutig auszumachen, obwohl auch sie nicht ausgewiesen sind. Er beginnt mit „Vedrò con mio diletto“ aus Il Giustino, einer sehr getragenen, empfindsamen Arie, die er klangvoll und mit großer Kultur vorträgt. Auch im folgenden „Sento in seno“ aus derselben Oper, sehr delikat mit pizzicato-Tupfern eingeleitet, weiß er mit subtiler Stimmführung zu beeindrucken. Mit virtuosen Koloraturläufen unterstreicht er sein technisches Niveau im rhythmisch energischen  „Longe mala“ aus der Motette RV 629 sowie in der letzten Nummer der Programmfolge, dem furiosen „Fara la mia spada“ aus Il Tigrane, in welchem sich der Sänger fulminant behauptet.

Die Mezzosoprane singen Arien aus L’Olimpiade (das Gleichnis vom Schiff in den Wellen „Siam navi all’onde“ mit beeindruckendem Fluss der Koloraturen), Griselda („Ombre vane“), dem Oratorium Juditha Triumphans („Armate facae“) und Il Farnace (das klirrend frostige „Gelido in ogni veno“). Die beiden Stimmen unterscheiden sich im Timbre nicht wesentlich und haben gelegentlich einen etwas strengen Beiklang, zeichnen sich aber durch hohe Virtuosität aus.

Die Cappella erhöht den musikalischen Gesamteindruck der Platte mit den drei Sinfonie beträchtlich. Die zu L’Olimpiade eröffnet in stürmisch aufgewühltem Duktus das Programm und lässt sogleich das hohe künstlerische Niveau des Klangkörpers erkennen, der mit vitaler Energie und reicher Agogik aufwartet. Später folgen noch die Ouvertüren zu Il Farnace und Il Giustino, auch diese kontrastreich im Wechsel von bewegten und kantablen Sätzen. Die Ausgabe begleitet ein aufwändig gestaltetes Booklet in fünf (!) Sprachen. Bernd Hoppe

 

Kurt Atterberg: „Aladin“ zum zweiten

Seit Generalintendant Joachim Klement und Operndirektor Philipp Kochheim beim Staatstheater das Sagen haben, gab und gibt es in Braunschweig immer wieder Ausgrabungen unbekannter und fast vergessener Opern, wie neben der kleinen Reihe amerikanischen Musiktheaters (Hexenjagd von Robert Ward, Mansfield Park von Jonathan Dove, Argentos Reise des Edgar Allan Poe u.a.) Falena von Antonio Smareglia, Sturmhöhe von Bernard Herrmann oder Jeno Hubays fulminante Anna Karenina, um nur einige zu nennen. In der für Intendanten und Operndirektor zu Ende gehenden Braunschweiger Zeit – Klement wird Schauspielchef in Dresden, Kochheim ab Mai 2017 General Manager und Artistic Director des Opernhauses Aarhus – gibt es noch zwei absolute Raritäten, ab Ende April Riccardo Zandonais Giulietta e Romèo und nun (am 11. März 2017) Aladin von Kurt Atterberg (1887-1974). Nun also die Kritik zur Aufführung am 11. März, ein ausführlicher Artikel zu Atterberg selbst und seiner Beschäftigung mit dem Sujet von von Christian Steinbock und Stig Jacobsson folgt.

Kurt Atterberg/ youtube

Der schwedische Komponist wurde in Stockholm zum Ingenieur ausgebildet und arbeitete dort von 1912 bis 1968 am Königlichen Patentamt, ab 1936 in leitender Position. Trotz weniger musikalischer Studien in Stockholm und in Deutschland war Atterberg weitgehend Autodidakt. In den Jahren 1916 bis 1922 dirigierte er am Stockholmer Schauspielhaus, von 1919 bis 1957 war er als Musikkritiker für eine überregionale schwedische Morgenzeitung tätig; außerdem leitete er von 1924 bis 1947 die schwedische Komponistenvereinigung. Neben neun Sinfonien, die ab und zu noch zu hören sind, zahlreichen weiteren Orchesterwerken und einiger Kammermusik komponierte er etliche Schauspielmusiken sowie fünf Opern, die inzwischen alle in Vergessenheit geraten sind (eine Aufführung von Fanal aus der Stockholmer Oper von 1957 mit Ingvar Wixel und Barbro Ericson ist Sammlern nicht fremd). 1922 wurde Atterberg mit der Aufführung seiner 3. und 4. Sinfonie in Deutschland weiteren Kreisen bekannt; besonderen Erfolg hatte er mit der 1929 in Köln uraufgeführten 6. Sinfonie, mit der er den Internationalen Schubert-Wettbewerb der Plattenfirma Columbia gewann. Atterberg gilt als einer der führenden Komponisten der zweiten Generation schwedischer Spätromantiker. Er befürwortete die Idee, dass romantische Musik die nationale Identität stärken sollte, während seine Gegner den Charakter moderner Musik als übernational definierten. Ab 1933 intensivierte sich Atterbergs Zusammenarbeit mit deutschen Komponisten und Librettisten. Er verteidigte stets die nationalsozialistische Kulturpolitik, was sich auch darin zeigte, dass er von 1935-38 als Generalsekretär des „Ständigen Rats für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten“, einer Organisation der Reichsmusikkammer, tätig war.

Zu Atterbergs „Aladdin“: die Königliche Oper Stockholm/ Wikipedia

Dazu auch ein Einschub von Wikipedia: Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Zusammenarbeit mit deutschen Komponisten und Librettisten noch intensiviert. Seine Symphonien wurden von bedeutenden Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler oder Arturo Toscanini aufgeführt. Insbesondere seine Opern Fanal und Aladdin wurden in deutschen Opernhäusern aufgeführt, allerdings nur in regionalen Opernhäusern, nicht in den Metropolen. Seine standhafte Befürwortung der nationalsozialistischen Kulturpolitik wird dadurch unterstrichen, dass er von 1935-1938 als Generalsekretär des Ständigen Rats für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten, einer Organisation der Reichsmusikkammer, fungierte. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Atterberg, auch wegen antisemitischer Äußerungen in seiner Korrespondenz, als Nazi-Sympathisant beschuldigt. Eine von ihm beantragte Untersuchung durch die Kungliga Musikaliska Akademien entlastete ihn allerdings formal. In der Folge wurde Atterberg allerdings von vielen Kollegen gemieden und wurde zu einer Randfigur. Zum Beispiel musste 1952 seine überarbeitete erste Oper Härvards Heimkehr nach der Premiere abgesetzt werden, da für die nächste Aufführung zu wenige Karten verkauft wurden. (…) Zusammen mit Ture Rangström war Atterberg der führende Tonsetzer der zweiten Generation schwedischer Spätromantiker und damit mit diesem zusammen gleichsam Fortsetzer der durch Wilhelm Peterson-Berger, Wilhelm Stenhammar und Hugo Alfvén begründeten Tradition. Er war ein Befürworter der Idee, dass romantische Musik die nationale Identität stärken sollten, während seine Gegner den Charakter moderner Musik als übernational und kosmopolitisch definierten.  Während seine fünf Opern in Vergessenheit gerieten, sind seine neun Sinfonien wieder häufiger zu hören. Zu seinen Opern gehören Härvard der Harfner 1916- 18/ 1952, Wogenross 1923- 24, Fanal 1929 – 32, Aladdin (sic!) 1936 – 41 und Der Sturm 1946 – 47; dazu die Ballette Per Schweinehirt 1914 – 15, Ballettskizzen 1919 und Die törichten Jungfrauen 1920. (Wikipedia)

.

Nach 1945 wurde Atterberg – auch wegen antisemitischer Äußerungen in seiner Korrespondenz – als Nazi-Sympathisant beschuldigt. Eine von ihm beantragte Untersuchung durch die Königliche Musikalische Akademie entlastete ihn jedoch nur formal. In der Folgezeit geriet er auch infolge seines konsequenten Festhaltens am romantischen Kompositionsstil weitgehend in Vergessenheit.

„Aladin“ von Kurt Atterberg am Staatstheater Braunschweig/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Wie der Regisseur Andrej Woron im Interview im NDR zu Aladin sagte: „Die Musik hat manchmal sehr wagnerianische Züge, Rhythmus, manchmal Riesen-Pathetik, aber sie hat auch gleichzeitig sehr lyrische, fast melancholische Momente und musikalische Feinheiten. Das ist romantische Musik, großer symphonischer Klang. Dieses Werk ist interessant! 1941 ist das geschrieben worden. Diese Zeit steht immer ein bisschen unter einer Art Zensur. Ich glaube, sie ist in eine Art von Vergessenheit geraten. So etwas muss man schon ausgraben, finden. Und für mich ist diese Oper ein solches Fundstück.“

.

Die Oper Aladdin (im schwedischen Original mit -dd-) wurde am 18. März 1941 an der Königlichen Oper uraufgeführt. Dazu hatten Atterberg und seine Frau Margareta den Text ins Schwedische übertragen. Bei der Uraufführung sangen Einar Andersson (Aladdin), Ruth Moberg (Yasmine), Joël Berglund (Muluk), Björn Forsell, Arne Wirén, Leon Björker und Folke Johnson. S. A. Axelson dirigierte. Die deutsche Erstaufführung fand am 18. Oktober 1941 in Chemnitz statt.  Obwohl der Intendant euphorisch urteilte: „Schon nach der Ouvertüre starker Beifall, der sich von Bild zu Bild steigerte und zum Schluss zu lebhaften Ovationen anwuchs. Glaube an den bleibenden Erfolg dieses publikumswirksamen Werkes.“, war der Erfolg allerdings bescheiden, und es kam seither zu keiner weiteren Aufführung. (Wikipedia). Was natürlich auch an dem fortschreitenden Weltkrieg gelegen haben dürfte.

Dass die Oper danach bis zur Braunschweiger Premiere niemals mehr aufgeführt wurde, könnte sich in der Sympathie des Komponisten zum Nationalsozialismus gründen. Denn das Werk hat eigentlich alles, was eine „Märchenoper für Erwachsene“ aus Tausendundeiner Nacht haben muss: Aladin ist ein junger Held, der die schöne, aber anfangs verschleierte Prinzessin Laila liebt, die Tochter des Sultans von Samarkand. Sein Gegenspieler ist der böse Großwesir Muluk, der mit Laila auch die Macht in Samarkand erringen will. Es gibt eine Höhle voller Schätze, in der mit Hilfe des gutmütigen Geistes Dschababirah eine Wunderlampe errungen wird, mittels derer alles auf das selbstverständliche Happy End zuläuft.

.

„Aladin“ von Kurt Atterberg am Staatstheater Braunschweig/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Regisseur und Ausstatter Andrej Woron hatte es sich versagt, abgesehen von wenigen Andeutungen, eine orientalische Märchenwelt auf die Bühne zu stellen. Vielmehr ging er bei den Kostümen durch alle Jahrhunderte vom Mittelalter bis zur Gegenwart; das sollte wohl zeigen, dass zu allen Zeiten im Märchen das Gute über das Böse siegt. Die Höhle voller Juwelen und Kostbarkeiten war ein eher nüchterner Bank-Tresorraum, an dessen Boden die Choristen mit schwarzen Umhängen wie griechische Klageweiber wirkten. So blieben die zum Stoff aus Tausendundeiner Nacht gehörenden Orientalismen allein der schwelgerischen Musik überlassen, wo sie allerdings in reichlichem Maß zu hören waren. Im Übrigen stand auf der Drehbühne ein riesiger, zunächst mit einem schwarzen Schleier verhängter Würfel (wie die Kaaba in Mekka), der mit aufklappbaren Gitter-Wänden auf verschiedenen Ebenen bespielbar war. Das Personal im Sultans-Palast war schließlich zum Vergnügen des Publikums satirisch aufgepeppt, indem der Sultan selbst dem jetzigen Herrscher vom Bosporus bis zum Kaukasus ähnelte; dort trafen sich Politiker vom neuen amerikanischen Präsidenten über die deutsche Bundeskanzlerin im Blazer mit Rautenzeichen bis zur wie immer auffällig gekleideten Grünen-Politikerin. Manch andere Bezüge zur Gegenwart wie die Diskussion über die Verschleierung von Frauen oder die Zerstörung von Kulturgütern durch den so genannten „Islamischen Staat“ wirkten dagegen etwas krampfhaft. Befremdlich war in diesem Zusammenhang auch teilweise die Kostümierung, wie beispielsweise die des guten Geistes Dschababirah, der u.a. mit Transparent-Anzug über der Unterhose aufzutreten hatte (Künstlerische Mitarbeiterin Kostüme: Hanna Sibilsiki).

Insgesamt gelang allen Mitwirkenden eine eindrucksvolle Umsetzung des Märchenstoffes, wenn auch die Diktion teilweise zu wünschen übrig ließ; da mussten die Obertitel dem Verständnis aufhelfen. Michael Ha gestaltete den reichlich naiven Aladin gut nachvollziehbar; sein charakteristischer Tenor gefiel vor allem in den wenigen lyrischen Teilen der Partie; die Höhen klangen hin und wieder angestrengt. Eine ansehnliche Laila war Solen Mainguené, die mit ihrem in allen Lagen abgerundeten, durchschlagskräftigen Sopran begeisterte. Mit wie immer großvolumigem Bass gab Selçuk Hakan Tiraşoğlu den guten Geist, der zunächst als blinder Bettler auftrat. Aladins Gegenspieler, der machtgeile Großwesir Muluk in Parade-Uniform, war Oleksandr Pushniak, der erst im zweiten Teil zeigte, zu welch dramatischer Attacke sein Bariton fähig ist. Sultan Nazzedrin war mit schütterem Bassbariton Frank Blees, während in Nebenrollen die stimmstarken Chor-Solisten Justin Moore, Patrick Ruyters, Yuedong Guan und  Franz Reichetseder ausgesprochen positiv auffielen.

„Aladin“ von Kurt Atterberg am Staatstheater Braunschweig/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Der von Georg Menskes einstudierte Chor erfüllte klangausgewogen seine auch darstellerisch anspruchsvollen zahlreichen Aufgaben. Das aufmerksame Staatsorchester ließ unter der sicheren Leitung seines früheren Chefs Jonas Alber die leuchtenden Klangfarben, die weit gefassten melodischen Aufschwünge und nicht zuletzt die aparten folkloristischen Orientalismen der spätromantischen Komposition mit beeindruckender Souveränität erklingen.

Nachdem das Premierenpublikum zur Pause noch zurückhaltend reagierte, steigerte sich der Beifall am Schluss deutlich und war bei Sängern und Orchester einschließlich Dirigent mit Bravos durchsetzt. Die Firme cpo will die auch im Radio übertragene Oper als CD-Ausgabe herausbringen (Foto oben: „Aladin“ von Kurt Atterberg am Staatstheater Braunschweig/ Szene/ Foto Volker Beinhorn). Gerhard Eckels/ Zusätze Wikipedia/ Redaktion G. H.

.

Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier.