Mit ihrem Konzert in der Hallenser Ulrichskirche hatte Ann Hallenberg für einen Höhepunkt der diesjährigen Händelfestspiele gesorgt. Carnevale 1729 nannte sich das Programm der schwedischen Mezzosopranistin, denn es stellte ausschließlich Werke vor, die in der Karnevalssaison 1729 in Venedig erklungen waren. Wie schön, dass man es nun dank einer Initiative der Firma Pentatone auf 2 CDs nachhören kann (PIC 5186 678).
Gegenüber dem Konzert ist die Reihenfolge der Arien in der Einspielung verändert und deren Anzahl noch erweitert. Die Auswahl auf CD 1 beginnt mit einer Arie des Cosrovio, „Mi par sentir la bella“, aus Giacomellis Gianguir, die in Venedig Senesino gesungen hatte. Mit diesem zärtlich kosenden Siciliano (konzertierend die Oboe) kann auch Ann Hallenberg betören. Die Stimme klingt hier besonders schmeichelnd, weich und warm. Später gibt es aus dieser Oper noch eine an Modulationen reiche Arie der Semira, „Vanne, si“, mit der bei der venezianischen Premiere die große Faustina Bordoni brilliert hatte. Dazwischen finden sich vier Beispiele aus Orlandinis Adelaide, die am 8. Februar 1729, wieder mit der Bordoni in der Titelrolle, aus der Taufe gehoben wurde. Deren Arie aus dem 3. Akt, „Non sempre invendicata“ ist in ihrem energisch-kämpferischen Duktus und der furiosen Koloraturattacke ein starker Kontrast zu der aus dem 2. Akt, „O del mio caro sposo“, die eine schier endlose schmerzlich schwebende Klage in getragenem Tempo darstellt. „Scherza in mar“ ist dann wieder eine effektvolle Primadonnen-Nummer, während das letzte Beispiel, „Vedrò più liete e belle“, ein Solo des Ottone vorstellt, mit dem Senesino triumphiert hatte. In diesem Stück mit Solovioline in französischem Stil sind vor allem delikate Empfindung und sublime Pianokultur gefragt – Hallenberg vermag alle diese Anforderungen und Stimmungen imponierend zu erfüllen.
CD 2 beginnt mit zwei Auszügen aus Albinonis Filandro, der am 24. Januar 1729 herauskam – als Wiederaufnahme eines früheren Erfolgsstückes von 1727 (L’incostanza schernita), wegen der zahlreichen Veränderungen aber wie eine Premiere gehandelt wurde. Die Primadonna Teresa Peruzzi sang die weibliche Hauptrolle der Corina, deren Arien „Il tuo core“ aus dem 1. und „Fior, che a spuntar“ aus dem 3. Akt hier zu hören sind. Ist die erste von zärtlich-kokettem Charakter, gibt sich die zweite energisch auftrumpfend mit virtuosen Koloraturgirlanden. Aus Porporas Semiramide riconosciuta (12. Februar 1729) erklingen die Arie der Titelheldin aus dem 2. Akt („Il pastor“) sowie zwei Soli des Mirteo, mit dem der Kastratenstar Farinelli in Venedig triumphiert hatte. „Bel piacer“ stammt aus dem 1., „In braccia a mille furie“ aus dem 3. Akt. Letzteres ist ein von vielen Sängern dieses Repertoires gern gegebenes cavallo di battaglia wegen seiner immensen Anforderungen an stimmliche Bravour und die einzige Arie dieser Zusammenstellung von insgesamt 14 Nummern, welche keine Weltersteinspielung darstellt. Hallenberg singt die Arie der Semiramide in ihrem wiegenden siciliano-Rhythmus mit schmeichelnder Tongebung, die erste des Mirteo gleichfalls in betörender Sanftheit. Einem Vulkanausbruch gleicht dagegen„In braccia a mille furie“ mit dem furiosen Ausdruck und den halsbrecherischen Koloraturrouladen. Hallenberg klopft damit an die Pforte des Mirakulösen.
Leos Catone in Unica hatte im Teatro San Grisostomo die Karnevalssaison eröffnet – in einer Gipfelbesetzung mit drei Kastraten. Hallenberg interpretiert eine Arie des Cesare („Soffre talor“) und eine der Emilia („Ombra cara“). Erstere ist eine jener beliebten Sturmarien, hier jedoch in einem ungewöhnlich getragenen Tempo, freilich gespickt mit höchsten Schwierigkeiten. Die zweite ist ein klagender Gesang der Witwe des von Caesar besiegten Pompeus von bewegender Größe.
Mit Vincis Pasticcio L’abbandono di Armida, in welchem auch Musik von Porpora und Albinoni zu hören war, endet das Programm. Die Arie „Nave altera“ stammt aus seinem Sigismondo und wurde vom Komponisten von der Tenor- in die Sopranlage verändert. Mit dieser lebhaft bewegten und an Zierwerk reichen Nummer sorgt Ann Hallenberg für einen imponierenden Ausklang ihrer wunderbaren Platte.
Wie in Halle ist auch hier Il pomo d’oro das begleitende Ensemble und ein Glücksfall für die Produktion. Denn unter dem Leiter Stefano Montanari werden die Schönheiten der Musik – ihre Affekte und lyrischen Gefühlsäußerungen – mit inspirierendem Einsatz und höchster Kultur zum Leben erweckt. Ich stehe nicht an zu sagen, dass diese Veröffentlichung die Sängerin auf dem Höhepunkt ihrer Kunst zeigt und unbedingt einen Schallplattenpreis verdient – ob in der Kategorie Vokales oder Alte Musik. Am besten gleich in beiden. Bernd Hoppe