Zwei Ansätze gibt es, sich dem neuen Band über Spontini und die napoleonische Oper zu nähern, beide sind ebenso politisch wie äthetisch belegt. Oper als Propaganda-Instrument Napoleons ist uns als Erscheinung in unserer Zeit eine interessante Paralelle zum faschistischen Kunstverständnis, wenngleich das napoleonische Zeitalter noch nicht über die totalitären Mittel der späteren Epoche verfügte oder sie anwenden wollte.
Und natürlich war Oper wie Theater stets ein geeignetes Vehikel zur Vermittlung politischer Inhalte (vergl. Friedrich der Große/Montezuma oder Gustav Adolf/ Eneas i Carthago). Zum anderen gibt es in diesem Buch eine opern-ästhetische Diskussion über Form und Musik in der Folge der barocken Oper hin zur Grand Opéra, die ganz unmissverständlich auf Spontinis Beitrag und der von ihm vorangetriebenen Entwicklung der Oper fußt. Berlioz, Meyerbeer, Wagner wären ohne ihn nicht möglich gewesen. Und die Geschichte es Dirigierens hat nachhaltig von ihm profitiert.
Gaspare Spontini zählt zu den am meisten verleumdeten Gestalten der Musikgeschichte, vielleicht noch mehr als Salieri. Seine Herrschsucht, seine Neigung zum Pomp, seine vielen übertrieben scheinende Akribie, seine Vorstellungen von einem „modernen“ Orchester und dessen Disziplin ebenso wie dessen Effekte, seine angebliche Feindschaft Weber und deutschen Komponisten gegenüber und vieles mehr aus seiner Berliner Zeit sind als Legenden in die Literatur eingegangen und nur selten widerlegt worden. Was also ist „dran“ an Spontini, dem „Hofkomponisten“ Napoleons?
Der vorliegende Band in der Reihe Musik und Theater, No. 11 im Weimarer Studiopunkt-Verlag (Hrsg. Detlev Altenburg) vereinigt die Beiträge der internationalen musikwissenschaftlichen Konferenz „Gaspare Spontini und die Oper im Zeitalter Napoleons“, die in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena anlässlich der Wiederaufführung der Oper Fernand Cortez am Theater Erfurt vom 26. bis 28. Mai 2006 im Rahmen des „Deutsch-Französischen Jahres“ in Thüringen zum 200. Jahrestag der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt stattfand. Der nachfolgende Auszug aus dem Vorwort der Herausgeber Detlef Altenburg, Arne Jacobshagen, Arne Langer, Jürgen Maehder und Saskia Woyke beschreibt die Spannbreite des avsierten Projektes:
Gaspare Spontini (1774-1851) war der führende Repräsentant der französischen Oper in der Epoche Napoleons. Wie kaum ein zweiter Komponist seiner Zeit verkörperte er im frühen 19. Jahrhundert die europäische Dimension des Musiktheaters: In Italien geboren und mit der italienischen Theater- und Musikkultur aufgewachsen, diente er sowohl französischen als auch preußischen Monarchen und vermochte eine ganze Epoche künstlerisch zu beeinflussen. Nach ersten Erfolgen auf dem Gebiet der italienischen Oper wirkte er von 1803 bis 1820 in Paris, wo er mit französischen Werken zunächst im Genre der Opera-comique reüssierte (1804 Milton, 1805 Julie). 1807 gelang ihm mit der Tragedie lyrique La Vestale ein sensationeller Erfolg an der Pariser Opéra (Academie Imperiale de Musique). In der Verbindung von statuarisch-klanglicher Monumentalität und einem modernen Verständnis von psychologischer Dramatik im Medium der Musik repräsentiert La Vestale exemplarisch die Opernkultur der Napoleonischen Epoche. Der Kaiser selbst gab daraufhin den Anstoß für die Komposition der zweiten Tragedie lyrique Spontinis, Fernand Cortez ou La Conquete du Mexique (1809), deren Sujet, die spanische Eroberung des Aztekenreiches im 16. Jahrhundert, als Reflex der damals aktuellen Spanienfeldzüge Napoleons verstanden werden musste. Als zweites Hauptwerk der Oper des Empire markiert Fernand Cortez den Übergang von klassizistischen zu neuzeitlich-historischen Sujets exotischer Couleur und zugleich zu einer romantischen Bühnenästhetik. Das zugrunde liegende Handlungsmodell einer in einem historischen Konflikt eingebetteten tragischen Liebesgeschichte zwischen europäischem Eroberer und eingeborener Frau wurde in den folgenden Jahrzehnten für die Dramaturgie der französischen Grand Opera ebenso prägend wie die von Spontini ins Werk gesetzten musikalischen Innovationen.
Die Beiträge sind vielfältig und mehrsprachig. Anno Mungen schreibt zu Beethoven und Spontini und stellt die offensichtlichen Parallelen her. Rüdiger Hillmer lässt uns einen Blick auf das komplexe Aufgabengebiet der napoleonischen Theaterpolitik werfen, auf die Entwicklung der Pariser Theater, auf die staatlichen und zunehmend auch privaten Unternehmungen vor und nach der Gesetzgebung von 1806/1807 und die politische wie gesellschaftliche Funktion der Theater in dieser postrevolutionären Zeit. Olivier Bara lässt sich über Funktion und Bedeutung des Librettos aus (in Französisch – ich erinnere mich an heftige Schlafanwandlungen bei den französischen Beiträge im Meyerbeer-Syposium in Berlin an der Deutschen Oper – aber Französisch muss man eben für Spontini und Meyerbeer können, da hilft nichts).
Ein spannender Beitrag ist der von Matthias Brzoska über die Finaldramaturgie bei Spontini, also das lieto fine und das dramatische Finale, der überraschende deus ex machina und die „véritée historique“, auch im Gegensatz zu Meyerbeer, wo´s meistens tödlich endet, während bei Spontini ja doch das zwar überraschende, aber glückliche Ende angesagt ist. Julia wird befreit, die exotische Amazili kriegt ihren Helden – dies alles auch im Gegensatz zum Sprechdrama, das immer noch im Fahrwasser der alten tragédie steht. Arne Langer widmet sich dem „Künstlerdrama“ Milton, das nur scheinbar im Gegensatz zur heroischen Tragödie steht und das ein anderes Ideal des locus amoenus, das der Kunst und der Zürückgezogen heit, propagiert, wie Napoleon und Josèphine es mit ihrem Landsitz Malmaison vorgaben. Spannend ist auch der Beitrag von Claudio Toscani: „La Vestale – una cornice classice per un conflitto borghese“, also: ein klassischer Rahmen für einen bürgerlichen Konflikt, begleitet von informativen Abbildungen der schleierumflorten Vestale von Corradini bis Canova, ein Topos der bildenden Kunst der Zeit.
Wie propagandistisch ebenso wie stilbildend Spontinis Vestale im französischen Königreich Neapel (1806 – 1815) wirkte belegt Arnold Jacobshagen. Paisiello (Proserpine), Sacchini (Oedipe a Colonne) und vor allem Spontini mit seiner Vestale und später dem Cortez sind hier die Grundfesten des von Murat, später dem Bonaparte-Schwager Joseph und dessen Frau Caroline geförderten französischen Programms an San Carlo. Wie sehr sich die Vestale als feste Größe durchsetzte zeigt die Tatsache, dass sogar Rossini sie in Neapel unter Barbaja dirigierte. Einschneidend und wichtig ist vor allem auch die Entscheidung Josephs, keine Kastratenstimmen für die soprani und Frauen für die musici zuzulassen. Mit Andrea Nozzari als Tenor-Licinius/Licinio auf der Bühne gab es eine ganz entscheidende Wendung im Opernleben Italiens. Man spielte die Übersetzung von Giovanni Schmidt, wie überhaupt namentlich Spontinis Opern in Italienisch gegeben wurden (in dieser Form waren sie lange in Italien verbreitet und länger als in Frankreich zu hören, bis heute). So stand nun ab 1810 erstmals der jugendliche Held als strahlender Tenor im Mittelpunkt und nicht mehr der Kastrat (wie vorher Vellutti im Oedipe).
Dass die Verbreitung der Vestale im italienischen Settecento viel häufiger war als bislang angenommen, beweist Saskia Maria Woiyke in ihrem akribisch auflistenden Aufsatz. Parallel dazu schreibt Herbert Schneider über Spontinis Vestale in ihren deutschen Editionen, woran sich gut nach Axel Schröters Ausführungen zur Vestale und dem Fernand Cortez im Goetheschen Weimar der gegen Ende des Bandes erscheinende Artikel von Anne Henrike Wasmuth anschließt, die im Rahmen ihrer Dissertation über die stürmische Rezeptionsgeschichte der Spontini-Opern in Berlin (E. T. A. Hoffmann, Rellstab, Weber, Graf Brühl etc.) viele Fehlurteile und Überlieferungen beleuchtet und korrigiert, auf den akribischen Dirigenten Spontini hinweist, über Werktreue und Zustand des preußischen Musikwesens der Zeit referiert,. Sehr eindrucksvoll.
Dazu passen auch die Ausführungen von Thomas Betzwieser über die Bedeutung des Metronoms in Spontinis Musik: Die Verwendung des Metronoms hat unzweifelhaft zu einer weitergehenden Differenzierung von Spontinis Partituren geführt, welche sich auch auf andere Parameter des musikalischen Satzes erstreckte. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Spontini deutlich von seinen französischen Komponistenkollegen, deren Werke eine kaum vergleichbare Qualität hinsichtlich des musikalischen Notats aufweisen. Gleichwohl stellt sich vor dem Hintergrund immer ausgefeilter und dichter werdender Anweisungen zu Tempo, Dynamik und Deklamation die Frage nach der Realisierbarkeit dieser Vorschriften.
Joachim Herz steuert einen Aufsatz zu Spontini – erlebt von Richard Wagner – bei. Emilio Sala behandelt eine Parallel-Oper von Persuis, Nina ou la folle par armour von 1813 (die Paisiellos Nina assoziiert) und fügt umfangreiches Notenmaterial zur Dramaturgie des „Ri-uso musicale“ bei. Aber es sind – last but in keinem Falle least – die beiden Aufsätze von Sieghard Döhring und Jürgen Maehder, die in profunder Weise die Thematik des Symposiums erfüllen.
Döhring, Grand-Seigneur der Meyerbeer- und Belcanto-Forschung an der Uni Bayreuth, schreibt über „Spontinis Cortez im Vergleich zu Cherubis Abencérages als musiktheatralischer Spiegel von Napoleons Spanienpolitik“, schreibt über die Wichtigkeit und den Wandel der Bedeutung des Balletts in diesen Opern, über Montage-Strukturen, über die exotische Heldin (wie sie später auch bei Berlioz und Meyerbeer auftritt) und über den Wandel des Ästhetischen zum Politischen und das Aufkommen der romantischen Stimmung. Das Zusammenspiel von gezielter Propaganda angesichts der Eroberungszüge Napoleons mit der sich verändernden Naturauffassung findet hier eine dertailreiche Ausbreitung. Jürgen Maehder, der bedeutende Musikwissenschaftler gerade in diesem Feld, schreibt über die „Eroberung Mexikos im Übergang von der opera seria des Settecentos zur Oper des Empire“. Er streift Grauns Montezuma auf dem Wege zum Fernand Cortez (der Topos des Edlen Wilden, die exotische Heldin, Rousseau und die Folgen etc.), beleuchtet den Zusammenprall der Kulturen und die Kenntnisse Europas von der amerikanischen Welt und deren Rezeption (Marmontel, Voltaire, Vivaldi etc.). Auch dies ein außerordentlich gebildeter Beitrag zu einem spannenden, bis heute gültigen Thema.
Angesichts der bekannten Schwierigkeiten, Beiträge zu einem Symposium dieser Art überhaupt zu publizieren, wiegt die kleine Mäkelei, keinen Index/Glossar zu finden, geringer, wenngleich die Wiederauffindung bestimmter, wiederkehrender Begriffe dadurch erleichtert würde. So ist man als interessierter Leser dankbar für diesen Sammelband der Vielfalt (sehr viele weiterleitende Fußnoten!) und hofft auf Gleiches von der Deutschen Oper in Sachen Meyerbeer-Syposium, was als Begleitung zum Vasco da Gama im Herbst ebendort versprochen wurde! Diese Sammelbände sind wie gute Ausstellungskataloge: kompakter bekommt man´s wirklich nicht. G. H.
Altenburg/ Jacobshagen/ Langer/ Maeder/ Woyke (Hrsg): Spontini und die Oper im Zeitalter Napoleons, Musik und Theater 11, 288. S.; Studiopunkt-Verlag, ISBN 978-3-89564-150-3.