„Lieder sind wie kleine Opern“

 

Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller ist auf dem Weg zu einer Weltkarriere. Für operalounge.de sprach Corina Kolbe mit ihr über internationale Debüts, die Arbeit mit Kirill Petrenko und ihre erste Solo-CD bei belvedere mit spätromantischen Liedern.

 

Hanna-Elisabeth Müller: Zdenka in München mit Joseph Kaiser/ Foto Wilfried Hösl

Sie feiern zurzeit einen Bühnenerfolg nach dem anderem. Nach Ihrem Einstand als Marzelline in Fidelio an der New Yorker MET waren Sie im Mai erstmals an der Mailänder Scala zu erleben. Das war zugleich Ihr Rollendebüt als Donna Anna in Mozarts Don Giovanni.  Eine meiner absoluten Lieblingsopern! Vielleicht ist das sogar die beste Mozart-Oper überhaupt. An der Bayerischen Staatsoper, wo ich bis zum Ende der Spielzeit 2015/16 festes Ensemblemitglied war, hatte ich schon die Zerlina gesungen. Mit der Partie der Donna Anna bin ich einen großen Schritt weiter vorangekommen. Außerdem übernehme ich bei meinem Debüt am Opernhaus Zürich Anfang nächsten Jahres die Rolle der Ilia in Idomeneo.

Wie hat das Mailänder Publikum reagiert? Italiener sind für ihre große Opernleidenschaft bekannt. Die Atmosphäre im Theater hat mich sehr beeindruckt. Ich hatte das Gefühl, dass die Oper für alle Zuschauer eine Herzenssache ist. Einige von ihnen haben sogar mitgesungen, offensichtlich kannten sie die Arien auswendig. In Deutschland erlebt man das wahrscheinlich nicht so oft.

In Berlin sind Sie kürzlich in Mahlers Vierter Sinfonie mit dem Deutschen Symphonie-Orchester unter Robin Ticciati aufgetreten. Auch das war ein Debüt. Richtig, die Sinfonie habe ich zum ersten Mal mit einem Berliner Orchester gesungen. Das Schwierige daran ist, dass ich bis zum letzten Satz warten muss. Damit alles punktgenau klappt, muss ich im richtigen Augenblick hochkonzentriert sein. Dass man in einer solchen Situation etwas nervös wird, ist wohl ganz normal. Ich hatte erst auch ein bisschen Bedenken, weil ich nicht mittig am Bühnenrand, sondern seitlich im Orchester stand. Dann hat aber alles bestens geklappt. Die Akustik der Berliner Philharmonie ist einfach phänomenal.

Hanna-Elisabeth Müller: Marzelline an der Met mit Adrianne Pieczonka/ Foto Ken Howard/MetOpera

Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen für eine Sopranistin?  Für einen Sopran liegt das Stück eher ungewöhnlich. Es wird daher oft von Mezzosopranen gesungen. Der Gesang ist nicht auf hohe Töne ausgerichtet, man braucht dafür auch viel Tiefe. Vom Brustregister muss man den Übergang zu den engelhaften Pianostellen schaffen, die am Ende der Liedstrophen stehen. Diese wunderschönen leisen Passagen haben etwas Ätherisches an sich.

Nach vier Jahren im Ensemble der Bayerischen Staatsoper sind Sie jetzt freischaffend tätig. Alle Brücken nach München haben Sie deswegen aber nicht abgebrochen. Ich bin glücklich, dass ich von vielen Seiten tolle Angebote erhalte und von der Staatsoper weiterhin als Gast eingeladen werde. Dem Haus bin ich nach wie vor mit dem Herzen verbunden. Im Herbst gehe ich mit dem Bayerischen Staatsorchester als Pamina in der Zauberflöte auf Japan-Tournee. Im nächsten Frühjahr singe ich dann unter Leitung von Kirill Petrenko die Sophie im Rosenkavalier in München und in der Carnegie Hall in New York. Und im Sommer 2018 kehre ich als Zdenka in Arabella nach München zurück.

Hanna-Elisabeth Müller: Donna Anna/ „Don Giovanni“ mit Bernard Richter/ Foto BresciaAmisano/ Teatro alla Scala

Welche Erfahrungen haben Sie mit Kirill Petrenko gemacht? Petrenko ist ein Traumdirigent für das Opernhaus. Wenn er sein Amt als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker übernimmt, werden es die Münchner sicherlich tief bedauern. Als Dirigent ist er überaus detailgenau, klug und aufmerksam. Auf Absprachen mit ihm kann man sich als Sänger hundertprozentig verlassen. Man geht auf die Bühne und ist beruhigt. Ich habe die Arbeit mit ihm immer genossen.

Wie sind Sie überhaupt zum Singen gekommen? In unserer Familie hat Musik von Anfang an eine große Rolle gespielt. Meine Eltern sind leidenschaftliche Konzertgänger, und wir Kinder durften alle ein Instrument lernen. Bis ich Gesangstunden nahm, spielte ich Geige. Zu Hause bekam ich immer viel moralische Unterstützung, sodass ich frei und ohne Zukunftsängste in mein Studium starten konnte. Und gleich nach meinem ersten Vorsingen kam ich in das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Mit meinen Lehrern hatte ich immer großes Glück. Gerade wenn man jung ist, braucht man jemanden, der einem behutsam dabei hilft, die eigene Stimme zu formen und vor Verletzungen zu bewahren.

Welche Rolle hat das Lied für die Entwicklung Ihrer Stimme gespielt? Beim Label belvedere ist gerade Ihre erste Solo-CD „Traumgekrönt“ mit Stücken von Richard Strauss, Arnold Schönberg und Alban Berg erschienen. Meine Stimme ist am Liedrepertoire gewachsen. Erst kurz vor dem Vorsingen an der Staatsoper hatte ich angefangen, Opernarien einzustudieren. Beides ergänzt sich meiner Ansicht nach sehr gut. Lieder sind wie kleine Opern, in die man viele Farben hineinbringen kann. Andererseits sind die Piano-Nuancen, die man beim Liedvortrag gestaltet, auch eine Bereicherung für die Opernpartien. Die Stimme wird dadurch facettenreicher.

In der Oper treten Sie in einem größeren Rahmen auf. Was empfinden Sie, wenn Sie als Liedsängerin den gesamten Abend über im Mittelpunkt stehen? Bei solchen Auftritten habe ich kein Orchester hinter mir und ich kann mich weder in einem Kostüm noch in Requisiten verstecken. Man ist ganz nah beim Publikum, sodass eine intime Atmosphäre entsteht. Die Vorbereitungen für Liederabende sind besonders intensiv, weil man das Programm selbst zusammenstellt und auf die richtigen Übergänge zwischen den Stücken achten muss.

Hanna-Elisabeth Müller und die Pianistin ihrer neuen CD bei belvedere, Juliane Ruf/ Foto Chris Gonz

Wie haben Sie das Repertoire für Ihre neue CD ausgewählt? Bei meiner Suche bin ich auf viele wunderschöne Melodien und Gedichte gestoßen, auch wenn manche Texte bei Strauss für meinen Geschmack etwas zu lieblich sind. Die spätromantischen Lieder von Schönberg und Berg liegen mir schon lange am Herzen. Besonders gefällt mir das Rilke-Gedicht „Traumgekrönt“, das Berg in seinen „Sieben frühen Liedern“ vertont hat. Und bei Strauss finde ich die Art, wie er für die Stimme komponiert hat, wohltuend natürlich. Interessant ist auch, dass in seinem Lied „Malven“ kantige Harmoniefolgen zu hören sind, die ich gar nicht erwartet hätte. Mir ist bewusstgeworden, wie nahe diese drei Komponisten beieinander sind.

Verraten Sie uns zum Schluss noch ein besonderes Rezept, um die Stimme in Form zu halten? Ich versuche eigentlich, so normal wie möglich zu leben. Weder zu gesund noch zu ungesund. Manchmal packt mich allerdings das Grauen, wenn alle Menschen um mich herum husten. Sport und ausreichender Schlaf sind in jedem Fall wichtig. Und Alkohol ist für mich absolut tabu, wenn ich am nächsten Tag Probe habe. Außerdem gehe ich nicht gern auf laute Partys, wo sich alle gegenseitig anschreien. Ein paar Stunden laut zu sprechen, ist für mich anstrengender, als zwei Konzerte zu singen (Foto oben: Hanna-Elisabeth Müller im Studio/ © Chris Gonz Teldex Studio Berlin).