Neue Recitals

 

 

Classic Vienna klingt irgendwie nach André Rieu. Nicht doch. Dahinter verbirgt sich ein anspruchsvoll ausgewogenes Programm, das Lena Belkina auf ihrem zweiten Album vorlegt (Sony Classics 88985441842). Die in Taschkent geborene, in der Ukraine aufgewachsene und in Kiew sowie in Leipzig ausgebildete Mezzosopranistin war ab 2009 für drei Jahre Ensemblemitglied der Oper Leipzig und sang dann Kleines an der Wiener Staatsoper (Flora und die Zweite Elfe), aber auch die Zweite Dame und Cherubino. Sie trat in Pesaro auf, war häufig Rossinis Aschenputtel und wird im Herbst in Genf die Rosina und 2018 in Lausanne die Elena in La donna del lago singen. Bereits im Frühjahr 2015 hat sie in Wien mit dem Radio Sinfonieorchester des ORF unter dem 33jährigen Noch-GMD des Gerhart-Hauptmann-Theaters Andrea Sanguinetti, die gleich mit der Così-Ouverture aufhorchen lassen (es folgen noch Glucks Armide-Ouverture und die Sinfonia aus Haydns Acide e Galatea) das stilsichere Mozart-Gluck-Haydn-Programm aufgenommen. Mit ihrem klangvoll dunklen, weich abschattierten, bruchlos durchgebildeten Mezzosopran gibt Belkina dem Sesto („Parto, ma tu ben mio“) und Idamante („Il padre adorato“) ein Gesicht und singt Szene und Rondo „Ch’io mi scordi di te“ ebenso brillant wie in den lyrischen Passagen erfüllt. Belkina ist eine geschmackvolle und kultivierte Sängerin, deren Vortrag Eleganz und Ausdruck verbindet und deren Stimme sich in den lyrisch-elegischen Gluck-Szenen (Orfeos „Che puro ciel“ und Parides „Oh, del mio dolce ardor“) und Haydns freilich auch leidenschaftlich geschärfter Szene der Berenice („Berenice, che fai?“), wo sie manchmal von verhangener Grobkörnigkeit ist, am schönsten entfaltet. Temperament zeigt sie in Costanzas „Se non piange un’ infelice“ aus Haydns Isola disabitata.

 

Bei ihrem Bayreuth-Debüt 2013 als Freia in Castorfs Ring hatte die damals 37jährige Schwedin Elisabet Strid wenig Fortune. Noch einmal kehrte sie im folgenden Jahr zurück, dann suchte sie, die in ihrer Geburtsstadt Malmö und in Stockholm ausgebildet wurde und ihren Durchbruch 2006 als Rusalka hatte, ihr Glück andernorts. Als Senta in Düsseldorf, Chrysothemis in Helsinki, Salome und Siegfried-Brünnhilde in Leipzig. Oder es zog sie nach Sofia, wo sie im Mai 2016 mit dem Bulgarian National Radio Symphony Orchestra unter Ivan Anguelov Leuchtende Liebe aufnahm, eine Leistungsschau in Sachen Wagner von der Ada in Die Feen über Elisabeth, Senta, Elsa, Isolde und Sieglinde bis zu Brünnhildes „Ewig war ich“, der sie Leonores „Abscheulicher! Wo eilst hin? vorangestellt hat (Oehms Classics OC 1882). Die Fidelio-Leonore gerät ihr noch zögerlich, ein wenig flach in der Tiefe und vorsichtig in der Höhe, doch bereits ihrer Senta merkt man die Bühnenerfahrung an. Strid singt mit heller, klarer, jugendlich-dramatisch zupackender Attacke und rechter Durchschlagskraft, ohne jedoch besonders individuell zu wirken. In der sauber austarierten „Hallenarie“ der Elisabeth ist der Klang raumgreifend groß und leuchtend, doch in der Höhe auch unstet flackernd; bei „Allmächt’ ge Jungfrau“ wirkt sie, wie auch bei Elsas „Einsam in trüben Tagen“, nicht sehr involviert bzw. fehlt es der Stimme an Wärme und Innigkeit. Ein wenig davon zeigt sie in Isoldes „Liebestod“, als Sieglinde („Der Männer Sippe“ und „Du bist der Lenz“), aber auch in Brünnhildes zartem „Ewig war ich“, doch insgesamt scheinen ihr die dramatischen Höhepunkte eher zu liegen. Da ist man dann auch zufrieden, dass die Aufnahme mit 53 Minuten nicht übervoll ausgefallen ist.

 

Fast schon ein Altmeister mit einer umfangreichen Diskographie ist der Erfurter Stephan Gentz, der bereits seit zwei Jahrzehnten im Geschäft ist bzw. auf den Konzertprodien, seltener auf der Opernbühne, aber als Lehrer auch am Pariser Conservatoire anzutreffen ist. Ebenso lange währt die Partnerschaft mit Michel Dalberto, mit dem er im Frühjahr 2017, ergänzt um das Klavierstück D 946, Schuberts Schwanengesang aufnahm (aparté music AP 151) und die André Tubeuf im Beiheft (frz., engl. und dt.) sehr schön beleuchtet. In der posthum als Schwanengesang veröffentlichten Sammlung von 14 Liedern auf Texte von Rellstab, Heine und Seidl zeigen Gentz und Dalberto wie eng und meisterhaft sie als Duo verschmolzen sind, wie gleichermaßen instinktiv und klug beobachtend sie auf einander reagieren und Momente von theatralischer Intensität erzeugen. Das zeigt sich in den behutsam und dicht ausgebreiteten Rellstab-Liedern, deren Texte nicht das Niveau Heines erreichen – und die bei der Aufnahme von den restlichen Liedern durch das zweite Klavierstück D 946 getrennt wurden. Das Duo beschwört eine feine, grau getönte, intensive Winterreise-Atmosphäre, die den Schwanengesang aber nicht duster einebnet, sondern auch das heitere „Ade! Du muntere, du fröhliche Stadt“ zur Geltung bringt. Genz singt mit fahlen Farben, gebrochen im Ausdruck, sehr zurückgenommen im Klang, behutsam, leise, fast flüsternd und uneitel, Die Diktion ist fabelhaft. Wie gekonnt er über die gesamte Palette an Klangfarben und einen schönen Ton verfügt, zeigt Genz mit seinem hier kraftvoll und energisch eingesetzten Bariton beispielsweise in „Am Meer“ und „Der Doppelgänger“.

 

Einen leichteren Spaziergang unternimmt die französische Harfenistin Sandrine Chatron, die sich für A British Promenade durch die englische Musik des 20. Jahrhunderts die Cellistin Ophélie Gaillard und den Tenor Michael Bennett als Begleiter geholt hat (aparté music AP 140). Der Spaziergang führt vorbei an Bedeutendem und (viel) weniger Bedeutendem. Im (nur englischsprachigen) Beiheft wird darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl der ausgewählten Komponisten an den Hochschulen des Königreiches ausgebildet wurde und einige später wiederum hier lehrten – Herbert Howells, Eugène Goossens, Edmund Rubbra und Britten am Royal College of Music, Granville Bantock und York Brown an der Royal Academy of Music; Die Stücke entstanden in den 1920er bis 60er Jahren und dürften für interessierte Hörer eine Fundgrube sein. Wann hört man schon Werke von Cyrill Scott und Grace Williams, die allerdings insofern eine Ausnahme darstellen, da sie in Frankfurt und Wien ausgebildet wurden. Rolf Fath