Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Hochspannung in Luzern

Wilhelm Furtwängler hat sich zeitlebens mit Beethovens Neunter auseinander gesetzt. Er hat das Werk nach Recherchen des Musikpublizisten Herbert Haffner, der eine umfangreiche Biografie über den Dirigenten verfasste, einhundertdrei Mal aufgeführt. Nach bisherigem Stand haben sich dreizehn Aufnahmen erhalten, zwölf sind im Laufe der Jahre zugänglich gewesen, ein Mitschnitt von 1949 aus der Mailänder Scala befindet sich angeblich in Privatbesitz. Welche ist die ergreifendste, gelungenste, gar beste? Darüber ließe sich trefflich streiten. Und es wird auch immer noch gestritten. Fest hingegen steht nur eines: Der Mitschnitt vom 22. August 1954 aus dem Kunsthaus Luzern ist der letzte. Zunächst war er beim Label Tahra in sehr angemessener Klangqualität zu haben. Jetzt hat sich Audite noch einmal die Originalbänder des Rundfunks vorgenommen und ein Remastering auf den Markt gebracht, das diesen Namen auch verdient (95.641). SRF (Schweizer Radio und Fernsehen) hat die Konzerte des traditionsreichen Lucerne Festival, das 1938 mit dem von Arturo Toscanini geleiteten „Concert de Gala“ begann, übertragen. Daraus hat das Label Audite seine eigene Reihe mit – wie es im Booklet heißt – „herausragenden Konzertmitschnitten“ entwickelt. Man darf also gespannt sein, was als nächstes folgt.

Furtwängler hatte die Sinfonie 1954 zweimal aufgeführt. Das erste Konzert fand am 21. August statt. Es spielt das von EMI-Chefproduzent Walter Legge ursprünglich als reines Schallplattenochester gegründete Philharmonia Orchestra London, es singt der Festivalchor Lucerne. Die Solisten sind Elisabeth Schwarzkopf (Sopran), Elsa Cavelti (Alt), Ernst Haefliger (Tenor) und Otto Edelmann (Bass). Ein Vierteljahr nach dem Gastspiel, nämlich am 30. November, ist Furtwängler gestorben. Von zunehmender Schwerhörigkeit geplagt, vom schwierigen Neubeginn nach dem Ende des Nationalsozialismus mit dem zähen Entnazifizierungsverfahren zermürbt, soll ihn der Lebenswille verlassen haben.

Es ist darüber spekuliert worden, ob das nahe Ende in dem Konzert gar schon anklingt. Im Nachhinein weiß man es immer besser. So verführerisch derlei Gedankenspiele sind, ich halte davon nichts. Dafür gibt es zu viele Übereinstimmungen mit vorangegangenen Aufnahmen. Etwa mit der Aufführung der Sinfonie bei der Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg am 29. Juli 1951. Der Mitschnitt ist offiziell bei der EMI herausgekommen und immer wieder neu aufgelegt worden. Die Schwarzkopf und Edelmann waren auch schon dabei. Der unbestimmte, zögernde, ja nervöse Beginn, wie ihn nur Furtwängler hinbekam, das breite Zeitmaß, das hintergründige Scherzo mit den harten, erbarmungslosen Pauken, das hingebungsvolle Adagio, in dessen Verlauf die Zeit stehen zu bleiben scheint, der Mut zu Pausen, in denen sich die Spannung bis zur Unerträglichkeit aufbaut, die Wucht des Finales mit dem rasenden Einstieg, den peitschenden Becken, dem Drängen, der beängstigenden Eile zum Schuss hin. Das exklusive Solistenquartett, aus dem sich die einzelnen, sehr individuellen Stimmen deutlich herausheben und der Chor stehen genau so unter Furtwänglers Bann. Sie sind wie angesteckt. Mehr geht nicht. Ist der letzte Ton verklungen, ist es auch wie eine Erlösung. Länger hält man Furtwänglers Hochspannung nicht aus.

Rüdiger Winter

 

Auch 2015: Strauss geht immer

Das Richard-Strauss-Jahr ist Geschichte. Gedacht wurde 2014 seines 150. Geburtstages. Strauss kam am 11. Juni 1864 in München zur Welt. 2014 hatten aber auch Gluck, der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel (300. Geburtstag) und Rameau (250. Todestag) wenig gefeierte Jubiläen. Da gab es kein besonders großes Aufhebens. Die Feierlaune hielt sich in Grenzen. Stehen runde Jahrestage ins Haus, werden meist jene am meisten gefeiert, die es gar nicht nötig hätten. Strauss ist so einer. Denn es ist eigentlich immer Strauss-Jahr. Nicht nur in Deutschland. Seine Opern, Tondichtungen und Lieder werden ständig und überall aufgeführt, meistens dieselben. Sie sind Renner, mit denen sich Opernhäuser und Konzertsäle locker füllen lassen. Strauss geht immer. Er ist eine sichere Bank für Regisseure, Dirigenten und Sänger. Nach einem Jubiläum ist vor einem Jubiläum. Gewiss werden gelegentlich runder Geburts- oder Todestage auch Zeichen gesetzt, die Aufmerksamkeit verdienen: Rosenkavalierohne Striche im Sommer in Salzburg, an gleicher Stelle zu Ostern die Arabellamit einem zusätzlichen Vers für die Fiakermilli, Schlagobersin München, die selten anzutreffende Feuersnotin Dresden, ein neues Intermezzo und sämtliche Lieder mit Klavierbegleitung auf CD. Das sind für mich Highlights gewesen – und nicht die dreißigste Salomein Wer-weiß-wo.

1-Buch - Strauss, der PatriarchDoch vergessen wir die Bücher nicht. Es gab interessanten Zuwachs und neue Auflagen alter Titel, verteilt über das Jahr. Eine kompakte Edition aller Texte, die Strauss vertont hat, ist nicht darunter. Sie wäre so nötig wie überfällig. Bücher sind besonders haltbar, womöglich haltbarer noch als CDs, auf jeden Fall haltbarer als jede Inszenierung. Sie bleiben lange bei uns. Zeitlosigkeit schwebt über dem neuen Buch Der Patriarch von – jetzt nicht wundern – Arthaus, dem auf Filme spezialisierten Label. Dort waren bereits die wichtigsten Opern auf DVD und die Dokumentation Richard Strauss and his Heroines herausgekommen. Nun also ein Buch mit DVD – oder eine DVD mit Buch? Für eine Reihenfolge kann ich mich nicht entscheiden. Wer sich in die Neuerscheinung mit dem Untertitel Richard Strauss und die Seinen versenkt, fühlt sich von der Pracht der Fotos wie erschlagen. Ich habe Stunden damit zugebracht, konnte mich nicht satt sehen. Vieles ist neu. Das Familienarchiv ist weit geöffnet worden. Strauss in allen Lebenslagen – mit Angehörigen, mit Weggefährten, Künstlern, Sängern und mit Goebbels am Kamin, beim Skat, im Badeanzug, auf dem Eis, im Schnee, auf der Akropolis, unter ägyptischen Palmen. Immer Herr. Selbst Schnappschüsse zeigen ihn mit Haltung. Kein Foto geht daneben. Er sticht immer heraus, egal welchen Alters er ist. Strauss, der Gentleman, der sich offenbar nie gehen ließ und immer die Form wahrte. Sein Kleiderschrank muss beträchtliche Dimensionen besessen haben. Der Mann hatte Geschmack, von frühester Jugend an. Selbst bei der Bergwanderung oder auf dem Pferd ist er in feinsten Zwirn gewandet. Fast immer die selbstgebundene Fliege, nie ohne Weste, am Schreibtisch in der eleganten Hausjacke, die völlig aus der Mode gekommen ist.

Familie Strauss mit dem Schauspieler Emil Tschirch (l.) vor einem Umkleidewagen auf Sylt.

Familie Strauss mit dem Schauspieler Emil Tschirch (l.) vor einem Umkleidewagen in Westerland auf Sylt. Foto: © Richard-Strauss-Familienarchiv/Arthaus

Es wird offenbar, dass es Zusammenhänge gibt zwischen Strauss in seiner äußeren Erscheinung und Strauss als Komponist. Der Bürger als Künstler. Zumindest aber hätte das Thema ein eigenes Kapitel abgeben können. Nun will diese Neuerscheinung nicht nur Bilderbuch sein. Der Inhalt, an dem mehrere Autoren Anteil haben, holt weit aus, bleibt am Buch-Titel nicht sklavisch hängen. Thomas Voigt steuert ausführliche Betrachtungen zu Sängerinnen von Strauss-Partien bei. Frau Pauline, der „Geliebten und Muse“ des Komponisten wird mit Briefen sowie mit Erinnerungen von Gabriele Strauss, der Tochter von Hans Hotter, die den älteren Enkel Richard geheiratet hatte, gedacht. Darin geht es natürlich auch um den handfesten Ehekrach, der Strauss als Vorlage für seine Oper Intermezzo diente. Mit Themen wie „Strauss und das liebe Geld“ oder „Strauss und die Macht“ werden auch jene Seiten seines Lebens gestreift, die ihm Kritik bis völliges Unverständnis einbrachten.

Das Buch und der Film von Marieke Schroeder und Barbara Wunderlich sind inhaltlich eng miteinander verknüpft. Es ist gewiss mehr als fünfzehn Jahre her, dass ich auf einer Reise in den Süden Station in Garmisch machte und entschlossen an der Haustür der Villa Strauss klingelte. Ich wollte hinein. Mir wurde freundlich aufgetan und bedeutet, dass mein Begehren der Familie vorgetragen würde. Ich solle am nächsten Vormittag wiederkommen. So geschah es, und ich wurde eingelassen. Die mit Kunstwerken vollgestopfte Diele, die Treppe nach oben, das Arbeitszimmer mit dem geschwungenen Schreibtisch, der eigens für diesen Raum angefertigte Flügel, das Esszimmer – Behaglichkeit vom Allerfeinsten. Es war ein erbebendes Gefühl, alles, was ich von Fotos kannte, nun im Original vor mir zu sehen. In der oberen Etage das Sterbezimmer, einfach wie die meisten Sterbezimmer großer Geister. Wer durch dieses Haus geht, der kommt Strauss sehr nahe. So will es auch der Arthaus-Film. Gabriele Strauss bittet nun persönlich die Zuschauer herein. Inge Borkh und Brigitte Fassbaender sind schon da. Man kennt sich. Plaudert bei Kaffee und Gebäck wissend über den Meister. Beide Sängerinnen haben mit ihren Strauss-Partien Operngeschichte geschrieben, die Borkh als Elektra, Salome und Färbersfrau, die Fassbaender als Octavian, Klytämnestra, Herodias und Clairon. Die Führung durch die Räume ist sehr persönlich gehalten, selbst Schränke mit der wohl sortierten Tischwäsche tun sich auf. Mit verschieden Gesprächspartnern werden Themen, die auch gedruckt schon abgehandelte wurden, wieder aufgenommen. Die 52 Minuten vergehen wie im Flug.

Rüdiger Winter

Der Patriarch – Richard Strauss und die Seinen, mehrere Autoren, Arthaus Musik, 128 Seiten, sehr viele Fotos, inklusive DVD, ISBN 978-3-86923-200-3.

 

strauzssDer Dokumentarfilm RICHARD STRAUSS AND HIS HEROINES erhält einen der begehrten International Classical Music Awards (ICMA) 2015 in der Kategorie „DVD Documentaries“.  Dazu die Firma Arthaus: RICHARD STRAUSS AND HIS HEROINES folgt der Spur der   unvergesslichen Strauss’schen Heroinnen. Regisseur Thomas von Steinaecker nähert sich mit Interviews großer Strauss-Sängerinnen an das Frauenbild und die feminine Seite des Jahrhundert-Komponisten. Wie keinem anderem gelang es  Richard Strauss, feinste weibliche Gefühle in Musik zu übersetzen. Davon berichten Brigitte Fassbaender, Renée Fleming, Dame Gwyneth Jones und Christa Ludwig. Gleichzeitig erzählt der Film die Geschichte von der bewegten und bewegenden Liebe zu Pauline, der wichtigsten Frau in Richard Strauss’ Universum und treue Gefährtin in 55 Jahren Ehe. Die ICMA werden seit 2011 verliehen und sind der einzige internationale und unabhängige Musikpreis. Die Jury setzt sich aktuell zusammen aus 16 Musikkritikern der wichtigste Musikmagazine, Radiosender und Online-Dienste. Für die ICMA 2015 waren 248 Produktionen von 85 Labels nominiert. Neben den 15 CD- und DVD-Kategorien wurden acht Special Awards ausgelobt. Die Preisverleihung findet am 28. März 2015 mit einem Gala-Konzert des Bilkent Symphony Orchestra  in Ankara statt.. 

Buch - Strauss und WienOrtwechsel. Die Bahn braucht um die sechs Stunden von Garmisch nach Wien. Mit dem Auto geht es auch nicht viel schneller. Zu Straussens Zeiten dürfte die Fahrt länger gedauert haben. Er musste sie sehr oft zurücklegen. Des Kaisers Hauptstadt also, wo Rosenkavalier und Arabella spielen, wo 1916 die zweite und endgültige Fassung der Ariadne auf Naxos, 1919 Die Frau ohne Schatten und 1924 das Ballett Schlagobers uraufgeführt wurden. Das Buch Durch die Hand der Schönheit widmet sich der segensreichen Liaison des Komponisten mit der Stadt. Geschrieben hat es Christoph Wagner-Trenkwitz (auf dem Buchumschlag zu sehen), der österreichische Dramaturg und Musikwissenschaftler, der gelegentlich auch als Moderator auftritt. Ein Mann mit Theatererfahrung und feinem Gespür für die Bühne, einer, der sich auskennt in Wien. Davon lebt das Buch, das schon im Titel mit einem Zitat von Arabellas Mutter Adelaide die Nähe zu Oper sucht. Es ist flott geschrieben, überquellend von Fakten, Ereignissen, Zitaten und Zeitzeugenberichten. Für Spekulationen ist kein Platz. Meine Erkenntnis aus der Lektüre: Strauss und Wien, das ist am Ende doch die Quintessenz der Verwurzelung des Künstlers, obwohl wesentlich mehr Opern aus seiner Feder, nämlich neun, in Dresden erstmals auf die Bühne kamen, obwohl er so viele Jahre im geliebten Garmisch zubrachte, wo er auch starb. In Wien leitete Strauss von 1919 bis 1924 gemeinsam mit Franz Schalk die Hofoper. Er setzte neue Maßstäbe für die Spielplangestaltung, eigene Werke kamen dabei nicht zu kurz, seine Säulenheiligen Wagner und Mozart auch nicht. Deren Werke leitete er oft selbst. In den von Strauss dirigierten Konzertprogrammen fehlte ganz selten ein Stück von ihm. Mancher Abend bestand ausschließlich aus Strauss. Der hatte offenbar kein Problem damit, auf diese Weise auch das eigene Konto, das durch den verloren Weltkrieg leer geräumt war, schnell wieder aufzufüllen. Auf der Habenseite seines Wiener Wirkens steht auch die Rückgewinnung des traditionsreichen Redoutensaal in der Hofburg für Opern- und Konzertaufführungen. Er hatte sich sehr stark dafür gemacht. Auch nach seiner Abdankung als Operndirektor blieb Strauss Wien fast bis zum Ende des Nationalsozialismus verbunden, erwarb eine Villa, die er faktisch mit Originalpartituren bezahlte.

Ein Blick in das "Strauss-Schlössl" in der Wiener Jacquingasse, das der Komponist mit Originalpartituren bezahlte.

Ein Blick in das komfortable „Strauss-Schlössl“ in der Wiener Jacquingasse, das der Komponist mit wertvollen Originalpartituren bezahlte. Foto: © Richard-Strauss-Familienarchiv/Arthaus

In Wien suchte Strauss aber auch die Nähe zu Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach, der 1946 in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde. Obwohl als ausgewiesener Antisemit für die Deportation Zehntausender österreichischer Juden in die Vernichtungslager verantwortlich, breitete er seine schützende Hand über die Schwiegertochter von Strauss, Alice, eine Tochter des jüdischen Industriellen Emanuel von Grab. Nicht aus Menschenliebe, wie es Strauss missverstanden haben mochte, denn er zeigte sich überschwänglich dankbar. Schirach wollte einzig mit der Anwesenheit des bedeutendsten lebenden deutschen Komponisten in „seiner“ Stadt propagandistisch punkten und zeigte sich aus Berechnung gütig. Wagner-Trenkwitz erspart seinen Lesern die harten Fakten nicht. Wer Strauss gerecht werden will, muss ihn einerseits in seiner Not zeigen, der Frau des Sohnes und den Enkeln durch einen Teufelspakt zur Seite stehen zu müssen, andererseits in seiner opportunistischen Schwäche, unter der nationalsozialistischen Herrschaft auch auf eigene Rechnung Kasse zu machen.

Seinen praktischen Nutzen als Nachschlagewerk gewinnt das Buch durch diverse Anhänge und die auch grafisch abgesetzten Dokumentationen der Wiener Aufführungen der Opern von Strauss, die dem Buch ein stabiles Gerüst geben. Es wurden Daten, Besetzungen und allerlei Hintergründe bis hinein in die Gegenwart angehäuft. Dadurch gewinnt es an Aktualität. Ich habe mich besonders gern und ausdauernd bei diesen Abschnitten aufgehalten. Sie vermitteln den außerordentlichen hohen Standard, der in Wien von Anfang an den Werken von Strauss zuteil wurde, bis zu den kleinsten Rollen. Zum Glück hat einiges davon auf Tonträgern überdauert.

Rüdiger Winter

Christoph Wagner-Trenkwitz. Durch die Hand der Schönheit – Richard Strauss und Wien, Verlag Kremayr & Scheriau Wien, 304 Seiten, zahlreiche Fotos, ISBN978-3-218-00911-9

 

Buch Strauss Wiener TheatermuseumDas Wiener Theatermuseum, schon oft für seine opulenten Ausstellungen gerühmt, hat den 150. Geburtstag von Richard Strauss natürlich nicht verstreichen lassen, ohne dem der Stadt so stark verbundenen Komponisten eine grandiose Würdigung zu Teil werden zu lassen. Noch schöner, dass diese temporäre Retrospektive ihren Niederschlag in einem üppig gestalteten Katalog gefunden hat, der die Strauss-Literatur im Jubiläumsjahr nicht unwesentlich bereichert. Nun kann das Museum auf einen reichen Bestand an Material über Strauss und seine Tätigkeit in Wien zurückgreifen, damit allein wollte man sich aber wohl nicht begnügen. Auch das Archiv der Wiener Philharmoniker konnte einiges an Material beisteuern, vor allem aber das Richard-Strauss-Archiv in Garmisch stellte umfangreiche Exponate zur Verfügung.

Entstanden ist keineswegs nur ein hoch interessanter Bildband, vielmehr finden sich auf den reichlich zweihundert Seiten auch sehr lesenswerte Wortbeiträge. Laurenz Lütteken schreibt über Strauss und das 20. Jahrhundert, Jürgen May gibt einen Einblick in die Komponier-Werkstatt, die zeitweilige Wiener Operndirektion von Strauss wird von Andreas und Oliver Lang gewürdigt, von Thomas Leibnitz Wien als atmosphärischer und dramaturgischer Faktor in den Opern von Strauss untersucht. Im Beitrag „Die Bühne als Raum-Bild“ beschreibt Alexandra Steiner-Strauss die Ausstattungen Alfred Rollers für Strauss-Opern. Des Weiteren wird untersucht, welche Rollen Strauss-Librettisten gespielt haben und wie sich Strauss im Dritten Reich verhalten hat. Briefe und Werkautographen aus der Handschriften-Sammlung des Theatermuseums, eine Biographie in Stichworten und Bildern und ein Interview mit der Sängerin Brigitte Fassbaender bereichern den sehr liebevoll und edel mit Fadenheftung gestalteten Band. Besonders prächtig werden die Bühnenbild-und Kostümentwürfe Rollers wiedergegeben, Abbilder einer opulenten Theaterästhetik, die in der Gegenwart mehr und mehr verloren geht. Wie werden wohl einst die zeitgenössischen Dekorationen in einem Buch über Strauss‘ 200. Geburtstag aussehen?

Peter Sommeregger

Christiane Mühlegger-Henhapel und Alexandra Steiner-Strauss: Richard Strauss und die Oper – „Trägt die Sprache schon Gesang in sich…“, Residenz-Verlag, 176 Seiten, zahlreiche Fotos, ISBN 978-3701733354

 

1-Buch - Strauss - Ender„Die Leute bitten um Kritik, aber sie wollen nur gelobt werden.” Dieser Aphorismus des englischen Erzählers William Somerset Maugham findet sich auf der Internetseite des österreichischen Musikwissenschaftlers Daniel Ender, der eines der interessantesten – wenn nicht gar das interessanteste Buch – zum Richard-Strauss-Jahr 2014 vorgelegt hat. Sein Titel: Richard Strauss – Meister der Inszenierung. Damit hat der Autor zumindest aus meiner Sicht gleich am Anfang sein Lob weg. Es ist verdient. Warum? Ender, um die vierzig, hat nach der Matura 1993 am Musikgymnasium Feldkirch zunächst Klavier und Orgel studiert, später Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik und Sprachwissenschaft an der Universität in Wien. Nach der Promotion war er Lehrbeauftragter an diversen Universitäten, wirkte als freier Autor und ist seit 2011 Chefredakteur der Österreichischen Musikzeitschrift. Ein Mann vom Fach, der neue Fragen stellt, sich Strauss zwar mit Respekt nähert, doch nicht in Ehrfurcht erstarrt. Er bohrt tief hinein in dieses lange Komponistenleben, das zwar von zwei verheerenden Weltkriegen betroffen, aber nicht eigentlich in seinen Grundfesten erschüttert wurde.

Nach eigenem Bekunden wollte Ender „keine klassische Biographie“ schreiben, obwohl er genau den einzelnen Lebensstationen folgt. Diese ist auch 75 Jahre nach dem Tod von Strauss noch nicht zu realisieren. Zu unübersichtlich und unerforscht ist die Quellenlage, Strauss widerspricht sich oft selbst, legt absichtlich falsche Spuren, stellt Sachverhalte und Ereignisse nach den unterschiedlichsten Seiten hin genau so unterschiedlich dar. All das will erforscht werden. Briefe, die in die Zehntausende gehen, sind noch nicht vollständig zugänglich. Sie stellen aber die wichtigsten Selbstzeugnisse dar. Strauss war ein äußerst tüchtiger Briefeschreiber. Es liegt also in der Natur der Sache, dass sich in die bisherigen biographischen Annäherungen Fehler, Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Sie werden gern fortgeschrieben und verbreiten sich gerade durch das Internet gleich einer Kettenreaktion. Was einmal unterwegs ist, lässt sich nicht so leicht zurückholen.

Strauss´ Werk selbst ist mitnichten bis in alle Einzelheiten für den allgemeinen Gebrauch erschlossen. Rätsel geben nach wie vor einzelne Fassungen von Opern auf, darunter der 1940 in Weimar neu belebte Guntram. Schallplattenproduktionen sind oft über Unterschiede einfach hinweg gegangen. Booklets werden immer dürftiger. Nachdem erst vor wenigen Wochen vom Label Two Pianists die vermeintlich kompletten Klavierlieder auf CD vorgelegt wurden, einschließlich jener Titel mit Ergebenheitsaderessen an Machthabende des Dritten Reiches, überrascht Ender mit noch einem unappetitlichen Opus für den Generalgouverneur im besetzen Polen, Hans Frank, von 1943. Den Text dazu hatte Strauss selbst verfasst. Im Werkverzeichnis von Franz Trenner (W. Ludwig Verlag), zur weiterführenden Beschäftigung sehr zu empfehlen, wird zumindest der Anfang des Liedes zitiert: „Wer tritt herein so fesch und schlank? Es ist der Freund Minister Frank …“ Frank, ein Kriegsverbrecher der allerschlimmsten Sorte, wurde 1946 in Nürnberg hingerichtet. Offenbar hatte er Strauss vor der Einquartierung von notleidenden Menschen in seiner Garmischer Villa bewahrt, die durch Bombardierungen obdachlos geworden waren. Ender erspart seinen Lesern und Richard Strauss selbst nichts.

Der Autor Daniel Ender. Das Foto entnahmen wir dem Schutzumschlag seines Buches

Der Autor Daniel Ender. Das Foto entnahmen wir dem Schutzumschlag seines Buches

Und doch gewinnt das Kapitel über den Nationalsozialismus kein überproportionales Gewicht. Es wird als Teil des Lebenslaufes verstanden und dargestellt – nicht reißerisch, aber so kritisch wie nötig. Gleich nach Kriegsende gab es Bestrebungen, die Verstrickungen des Komponisten zu glätten oder gar zu tilgen. Sie sind gescheitert, haben im Jahr seines 150. Geburtstages keine Chance mehr. Obwohl Strauss nach dem berühmten, von der Gestapo abgefangenen despektierlichen Brief an Stefan Zweig, den jüdischen Dichter und Librettisten der Schweigsamen Frau, schließlich in Ungnade fiel bei den braunen Machthabern, war er deshalb ebenso wenig Gegner des Regimes wie er kein Nazi war. Für ihm blieben seine Bedürfnisse und die möglichst einträglichen Aufführungen eigener Werke Richtschnur seines Verhaltens. Er sorgte sich um seinen Nachruhm. Dabei scheute Strauss nicht davor zurück, Werke von Verdi oder Gounod zu denunzieren, nur um sich gehörig in den Vordergrund zu schieben in der Nachfolge von Mozart, Beethoven und Wagner. Dabei hatte er das gar nicht nötig. Er war schon zu Lebzeiten ein Klassiker. Und Hitler selbst wird es nicht gern gehört haben, wenn Strauss an Operetten mit Ausnahme der Fledermaus kein gutes Haar ließ. Hitler liebte Operetten und den von Strauss gehassten Franz Lehár.

Ender arbeitet detailreich. Er beruft sich auf sehr viele Quellen und einen Großteil der bislang vorliegenden Strauss-Literatur, deren Verzeichnis im Anhang beträchtlich ist. Niemals verfällt er ins Anekdotische. Oberste Priorität haben Fakten und Zitate. Sein Stil ist klar und elegant. Es macht Spaß, dieses Buch zu lesen. Nur an ganz wenigen Stellen geht der Zeigefinger in Anschlag, wenn Ender seinen Lesern in Klammern gesetzt die Bedeutung solcher etwas aus der Mode gekommenen Worte wie Ukas oder Widerspiel erklären zu müssen meint. Am Schluss bringt er die Rede auf den Film Richard Strauss – ein Leben für die Musik, der 1949 gedreht wurde. Ausschnitte geistern seit Jahren durch die verschiedensten Dokumentationen, die im Fernsehen gezeigt wurden. Ender zählt auf, was in dem Film alles zu sehen ist. Und er zitiert den Sprecher mit den pathetischen Worten: „Unbeirrt von Krisen und Schlagworten ist Richard Strauss seinen Weg gegangen. Als versöhnende Friedensbotschaft klingt seine Musik über die Kontinente und wird im Bewusstsein vieler kommender Generationen fortleben“ – um aus eben diesen Schlagworten den hintergründigen Schluss seines Buches abzuleiten: „Im großen Welttheater war Richard Strauss eine Figur, die es verstand, noch in der ernstesten Lage mit einer Mischung aus emotionaler Dramatik und souveräner Distanz von sich reden zu machen. Die Inszenierung war dabei zumindest ebenso meisterhaft wie das Stück.“

So schön, so gut. Der Autor übersieht, dass der Film in ganzer Länge heute unbekannt ist. Meine Bemühungen, seiner habhaft zu werden, waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Ich würde ihn endlich lieber selbst sehen, statt ihn erzählt oder häppchenweise vorgesetzt zu bekommen. Es wäre wirklich an der Zeit, den Dokumentarstreifen in voller Länge auf DVD zugänglich zu machen. Sonst bleibt es beim „Herrschaftswissen“. So kommt zum dicken Lob für die Neuerscheinung nun doch ein kritischer Einwand hinzu. Die noch so ausführlichste Beschreibung ist zwar gut überlegt, doch letztlich kein Ersatz des Originals.

Meister der Inszenierung! Mir scheint, Daniel Ender hat mit der Wahl dieses Untertitels seines Buches das Wesen des Lebenslaufes von Strauss genau erfasst. Insofern kann es ein Grundstock der noch zu schreibenden großen Biographie sein, die bei diesem Autor in guten Händen läge. Jung genug für diese große Aufgabe ist er ja.

Rüdiger Winter

Daniel Ender: Richard Strauss – Meister der Inszenierung, Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, 349 Seiten, 27 Abbildungen, ISBN 978-3-205-79550-6

P.S. Wie Daniel Ender inzwischen dankenswerter Weise mitteilte, wird die Dokumentation, die nur wenige Minuten dauert, auch im Bundesfilmarchiv Berlin aufbewahrt: http://www.bundesarchiv.de/benutzungsmedien/filme

 

Buch - Strauss-HandbuchWer bei der Salzburger Arabella, Ostern 2014, genau hingehört hat, dem ist nicht entgangen, dass sich die Fiakermilli im zweiten Aufzug irgendwie anders anhörte. Sie hatte auch mehr zu singen als sonst. Wie das? In den einschlägigen Kritiken, die ich gelesen habe, fiel dieser Umstand nicht auf. Ein neues Buch gibt Aufschluss. Es handelt sich um das Richard Strauss Handbuch, pünktlich zum 150. Geburtstag des Komponisten auf den Markt gelangt. Auf Seite 232 ist nachzulesen: „Auf Wunsch des Dirigenten Clemens Krauss erweiterte Strauss im Juli 1942 für eine Neuinszenierung bei den Salzburger Festspielen das Lied der Fiakermilli … um eine achtzeilige Strophe, zu der Rudolf Hartmann den Text lieferte … “ Dieser Zusatz fehle aber in allen Ausgaben – was angesichts des genialen Librettos von Hugo von Hofmannsthal nur zu verständlich ist. Offenbar blieb Strauss doch beim Original. Ist das der Grund dafür, dass die im gleichen Jahr – nämlich 1942 – in Salzburg entstandene Aufnahme, die bei verschiedenen Labels erschienen ist, ebenfalls auf den Zusatz verzichtet? Im Buch führt Ulrich Konrad, Autor des entsprechenden Kapitels, das von Krauss dirigierte Tondokument zwar unter den diskographischen Hinweisen, eine Begründung für die Weglassung liefert er nicht. Dass sich im Strauss-Jahr 2014 Regisseurin Florentine Klepper und Dirigent Christian Thielemann in Salzburg zu der Erweiterung, die allerdings musikalisch nicht sehr viel hermacht, entschlossen haben, ist sehr löblich. So stellt man sich Festivalarbeit vor.

Das Handbuch ist voller solcher interessanter Details, die Fassungen betreffend. Manchmal gibt es sich auch einsilbig. So ist beispielsweise der große Strich in Elektra nicht thematisiert. Im Original hat Elektra in der Auseinandersetzung mit Klytämnestra zum Schluss hin gute dreißig Zeilen mehr Text und Musik. Komplette Aufführungen scheiterten oft daran, dass sich Sängerinnen – wie beispielsweise Inge Borkh – diese enorme zusätzliche Leistung nicht zutrauten. Birgit Nilsson traute sich unter Studiobedingungen mit Georg Solti am Pult bei der Decca. Beim Hinweis auf die Einspielung hätte dieser wichtige Zusatz einem Handbuch wie diesem gut gestanden. Es wäre auch dringend erforderlich gewesen, in der knapp gehaltenen Diskographie zur Frau ohne Schatten die Wiener Produktion von 1955 unter Karl Böhm zu nennen, die bis heute künstlerisch nicht überboten werden konnte. Vergeblich sucht man auch die erste komplette Einspielung, die Wolfgang Sawallisch seinerzeit für die EMI leitete und die bei ihrem ersten Erscheinen 1987 großes Aufsehen erregte. Apropos EMI. So sinnvoll diskographische Tipps im Grunde sind, viele waren bei Erscheinen des Buches bereits hinfällig. EMI, die Maßstäbe setzte bei Strauss-Produktionen, gibt es nicht mehr, und damit sind auch die Bestellnummern verfallen. Pech gehabt.

Richard Strauss mit Michael Bohnen bei den Dreharbeiten zum Rosenkavalier-Stummfilm, der kein Erfolg wurde. Foto: © Richard-Strauss-Familienarchiv/Arthaus

Richard Strauss mit Michael Bohnen bei den Dreharbeiten zum „Rosenkavalier“-Stummfilm, der kein Erfolg wurde. Foto: © Richard-Strauss-Familienarchiv/Arthaus

Im Großen und Ganzen aber reflektiert dieses Buch den aktuellen Stand der Forschung und der praktischen Beschäftigung mit Strauss – auch in seinem kulturpolitischen Wirken, das sich umfangreich dargestellt findet. Ein willkommenes Angebot ist der weiterführende Literaturapparat zu einzelnen Werken und Werkgruppen, der dem praktischen Handbuch wissenschaftlichen Standard verleiht. Entsprechend der Gewichtung im Gesamtwerk bilden die Opern die größte Abteilung mit Inhaltsangabe, Orchesterbesetzung, Entstehungsgeschichte, Kommentar. In den Beschreibungen der Wirkung der Opern führen Verknappungen auch zu Verzerrungen. So ist von „wichtigen Inszenierungen“ die Rede, die in ihrer Wichtigkeit aber nicht erklärt werden, schon aus Platzgründen dürfte das nicht möglich gewesen sein. Auch über die Nennung der „allerbesten Sänger“ ließe sich streiten. Da fehlen zu viele Namen, und nicht alle, die genannt werden, haben das verdient in einem Buch, das für lange Zeit verbindlich sein will. Dicht gedrängte Materialfülle ohne Ende breiten die beiden Kapitel über das Liedschaffen aus, das mit etwa zweihundert Titeln nicht eben klein ist. Autoren sind Elisabeth Schmierer und Christian Thomas Leitmeir. Sie arbeiten die Unterschiede zwischen Klavierliedern und Orchesterliedern genau heraus, ordnen das Liedschaffen in das Gesamtschaffen ein, heben auf die literarischen Vorlagen ab usw. Spannend ist der Hinweis auf die Orchestrierung des Liedes Ganymed von Franz Schubert durch Strauss, das den Beginn der eigenen Beschäftigung mit dieser Liedform markierte, die ihn bis ans Lebensende begleitete. Auch das sagenumwobene allerletzte Klavierlied Malven findet gebührende Würdigung. Thielemann hatte es ebenfalls bei den Salzburger Osterfestspielen auf sehr spektakuläre Weise ins Programm genommen, indem er von Wolfgang Rihm eine Orchesterfassung herstellen ließ, die in den Vortrag der traditionellen Vier letzten Lieder durch Anja Harteros an zweiter Stelle eingegliedert wurde. So wurden aus ursprünglich vier, fünf letzte Lieder. Auch das hatte Festivalniveau. Im Buch konnte diese Lösung noch keine Berücksichtigung finden. Nur so viel ist zu erfahren: Strauss hatte das 1948 komponierte Lied im Todesjahr 1949 der ihm sehr verbundenen Maria Jeritza übereignet, die es Zeit ihres Lebens für sich behielt. Erst 1985 – die Jeritza war 1983 gestorben – wurde das Lied durch Kiri Te Kanawa in New York uraufgeführt.

Allenthalben bekommen Leser einen tiefen Einblick in die Werkstatt des Komponisten. Interessant sind in diesem Zusammenhang Passagen aus dem Handexemplar des Komponisten von Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, die Rückschlüsse auf die Kompositionen zulassen. Beleuchtet wird das Verhältnis zu den Kollegen seiner Zeit mit konkreten Auflistungen von deren Werken, was zu erstaunlichen Vergleichen anregt. Überhaupt macht das Buch in seiner Fülle, die hier nicht annährend erfasst werden kann, Lust, sich Strauss und seinem Umfeld mit neuem Erkenntnisgewinn verstärkt zuzuwenden. Es ist kein Buch, das man auf einen Ritt von vorn bis hinten durchliest. Es will ein begleitendes Nachschlagewerk sein, das zur Hand ist und nicht zu weit oben im Regal stehen sollte, das seiner guten Übersichtlichkeit wegen einen schnellen Zugriff zu allen Werkgruppen zulässt und – ganz wichtig – im Anhang ein Werkverzeichnis enthält. Das ist schon deshalb nötig, um Strauss in seiner Gesamtheit besser verstehen zu können und ihn nicht auf seine populärsten Erfindungen zu reduzieren und festzulegen. Das Buch ist gut lesbar, auch dem musikalischen Laien verständlich, es kommt nicht belehrend daher, sondern vermittelt seinen Gegenstand mit Sachlichkeit und Offenheit.

Rüdiger Winter

Richard Strauss Handbuch, Herausgegeben von Walter Werbeck, Verlag Metzler / Bärenreiter, 583 Seiten, ISBN 978-3-476-02344-5 (Metzler), ISBN 978-3-7618-2058-2 (Metzler/Bärenreiter)

1-Strauss am Schreibtisch

Richard Strauss in Hausjacke am Schreibtisch in Garmisch. Das Bild ist in dem bei Arthaus erschienen Buch Der Patriarch enthalten. Dort sind auch das Familienbild auf Sylt, der Blick in die Wiener Villa und das Probenfoto mit Michael Bohnen abgedruckt. Das große Foto oben zeigt  den Komponisten bei der Zeitungslektüre. Die Fotos stammen aus dem Strauss-Archiv. © Richard-Strauss-Familienarchiv (RSA)/Arthaus

Very British

Der Dirigent Richard Hickox, vor allem in seiner Heimat Großbritannien hoch geschätzt, hinterließ bei seinem plötzlichen Tod im Jahre 2008 eine große Zahl von Schallplattenaufnahmen. Bevorzugt widmete sich der charismatische Künstler englischer Musik verschiedener Epochen. Entsprechend sind auch mehrheitlich britische Komponisten in der Reihe der Wiederveröffentlichungen beim Label Chandos berücksichtigt worden.

Der Dirigent Richard Hickox/Wiki

Der Dirigent Richard Hickox/Wiki

Eine Ausnahme bildet der Elija von Felix Mendelssohn Bartholdy, der hier im originalen Englisch gesungen wird. Das Oratorium war 1846 mit großem Erfolg beim renommierten Musikfestival in Birmingham uraufgeführt worden. Dazu waren die dreihundert Mitwirkenden in einem Sonderzug von London angereist, was für sich genommen schon Aufsehen erregte. Danach arbeitete Mendelssohn das Werk um, indem er Stücke hinzu komponierte, andere veränderte. Elias blieb für lange Zeit in England populärer als in Deutschland. Hickox gelingt mit dem London Symphony Orchestra und dem London Symphony Chorus eine mächtige, gleichwohl transparente Interpretation, unterstützt von den Solisten Willard White, Rosalind Plowright, Linda Finnie, Arthur Davies und Jeremy Budd, die zum Zeitpunkt der Aufnahme 1989 sämtlich noch auf der Höhe ihrer stimmlichen Mittel waren (Chandos CHAN 241-48).

CD ApostlesSir Edward Elgars Oratorium The Apostles, nach dem großen Erfolg seines ersten derartigen Werkes The Dream of Gerontius geschrieben und 1903 ebenfalls in Birmingham uraufgeführt, wurde von Hickox 1990 mit dem gleichen Orchester und Chor wie der Elias eingespielt. Das Werk ist von einer manchmal etwas ermüdenden Getragenheit, mit deutlich über zwei Stunden Spieldauer auch sehr breit konzipiert. Vergleiche mit zeitnah entstandener Musik, beispielsweise von Gustav Mahler, dürften nicht zu Gunsten von Elgar ausfallen. Gleichwohl stehen Hickox auch hier Solisten der ersten Garnitur zur Verfügung: Bryn Terfel als Petrus, Robert Lloyd als Judas und David Rendall als Johannes, um nur die Wichtigsten zu nennen. Chandos CHAN 241-49)

CD TroilusBei Troilus and Cressida von William Walton, uraufgeführt in London 1954, handelt es sich um eine der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sehr beliebten Literatur-Vertonungen. Walton greift dabei nicht auf William Shakespeare zurück, sondern auf das gleichnamige Poem des Dichters Geoffrey Chaucer. Dessen Lebensdaten sind nicht eindeutig. Er starb 1400, vermutlich in London. Die Musik ist eingängig, mit dramaturgisch klug gesetzten Akzenten und verfügt über gut singbare, dankbare Partien. In dieser Aufzeichnung einer Produktion der Opera North von 1994 erklingt die Oper in ihrer rekonstruierten Erstfassung. Zwischenzeitlich hatte Walton eine veränderte Fassung, die von Janet Baker kreiert wurde, angefertigt. Judith Howarth als Cressida und Arthur Davies als Troilus sind genau so gut besetzt wie die Sänger der Nebenrollen. Das English Northern Philharmonia Orchester und der Chorus of Opera North sorgen für eine engagierte Wiedergabe des bis heute erfolgreichen Werkes. (Chandos CHAN 241-50)

CD LucretiaBenjamin Britten, ohne Zweifel der bedeutendste britische Komponist des 20. Jahrhunderts, ist in dieser Reihe mit seiner zweiten, unmittelbar nach dem Welterfolg seines Peter Grimes entstandenen Oper The Rape of Lucretia vertreten. Ganz im Gegensatz zu ihrem Vorgänger handelt es sich bei diesem Werk um eine Kammeroper. Das Orchester besteht gerade einmal aus dreizehn Musikern. Die wenigen Figuren, die neben einem mit jeweils nur einer Stimme singenden männlichen und weiblichen Chor agieren, lassen keine Wünsche offen. Es ist eine Freude, ihnen zuzuhören, wenngleich sie an machen Stellen etwas distanziert wirken. Die Altistin Jean Rigby ist die Lucretia (in der Uraufführung sang Kathleen Ferrier diese Rolle), Alastair Miles ist ihr Ehemann Collatinus, männlicher und weiblicher Chor sind mit Nigel Robson und Catherine Pierard besetzt. Das Ensemble City of London Sinfonia begleitet hoch sensibel diese emotional berührende Stück, Hickox gelingt eine gleichermaßen durchsichtige wie eindrückliche Interpretation. (Chandos CHAN 241-51)

Peter Sommeregger

 

Jaroussky dirigiert sich selbst

Vivaldi – Pietà – Sacred works for alto: Das neue Album von Philippe Jaroussky bei Erato (082564257508) fällt zunächst durch seine elegante Gestaltung auf. Als ob Jaroussky nicht allein schon durch sich selbst, durch seinen guten Namen und seine sympathische Erscheinung genug Werbung für sein neues Kunstprodukt wäre. Nein, es wird optisch und gestalterisch noch großzügig draufgelegt. Zur CD kommt eine DVD, im Innern findet sich ein informatives Booklet in drei Sprachen (Englisch, Französisch und Deutsch) mit einem profunden Text über Vivaldi und seine Werke, die auf der CD erklingen, von Frédéric Delaméa (siehe Anhang). Schließlich kommt der Sänger, der entsprechend dem Inhalt der Musikstücke auf mehreren Fotos wirkungsvoll in Szene gesetzt ist, auch noch selbst zu Wort. Was will man mehr. Wir leben im Zeitalter der Bilder. Das Auge hört mit. So schön können Musikalben sein.

Philippe Jarrousky/Foto Marc Ribes/Warner

Philippe Jarrousky/Foto Marc Ribes/Warner

Der eigentliche Neuigkeitswert dieser Produktion versteckt sich zwischen den Zeilen. Erstmals tritt Jaroussky mit seinem eigenen Ensemble Artaserse in einer erweiterten Orchesterbesetzung in Erscheinung – als Sänger und Dirigent. Aufnahmen in kleiner Besetzung gibt es bereits. Der Name Artaserse stimmt mit dem Titel einer Oper überein, für die Pietro Metastasio das Libretto schrieb und die 1730 erstmals in Rom, komponiert von Leonardo Vinci, aufgeführt wurde. Mehr als neunzig weitere Vertonungen sollten folgen. Jaroussky hatte in einer Produktion der Vinci-Version den Titelhelden gesungen, die bei Erato sowohl auf CD als auch auf DVD gelangte und ihm viel Lob einbrachte. Das Werk ist ihm offenbar wichtig. Nun also Vivaldi, der fast dreißig Jahre älter als Vinci gewesen ist, diesen aber überlebte „Musikalisch und für mich persönlich war es ein bewegendes Abenteuer, eine so große Zahl von Musikern zu dirigieren und dabei gleichzeitig zu singen“, lässt er die Leser des Booklets wissen. Er hoffe, dass „diese Einspielung der Beginn einer neuen Richtung in meinem Leben als Musiker sein wird. Möge Vivaldi mir Glück bringen, wie er erst stets getan hat“. Denkt Jaroussky, der langsam auf die Vierzig zugeht, über seine künstlerische Zukunft nach? Eröffnet sich eine ähnliche Laufbahn, wie sie einst René Jacobs mit Erfolg eingeschlagen hat? Man darf gespannt sein.

Immerhin ist in das Programm – diskret in der Mitte platziert – auch ein rein instrumentales Werk, das Concerto for strings and continuo RV 120, aufgenommen worden, das der Dirigent Jaroussky mit großer Entschlossenheit und gar nicht zögerlich angeht. Noch aber ist der Countertenor auf der Höhe. Ja, ich habe den Eindruck, als sei seine Stimme einerseits noch geschmeidiger und aussagestärker geworden, in den Höhen aber mitunter etwas rau. Der musikalische Auftakt der CD ist mit der Kantate Clarae stellae, scintillate RV 625, virtuos und diesseitig gewählt: „Helle Sterne, funkelt und gebt neuen Glanz der Helle des Tages“, beginnt das Werk in deutscher Übersetzung. Es ist, als spräche sich Jaroussky damit selbst Mut zu für die kommenden Herausforderungen. Inhaltlich und formal fällt das Stück aus dem Rahmen der sehr ernst gehaltenen Neuerscheinung, die mit Pietà überschrieben ist. Pietà, steht einerseits für die Darstellung Marias mit dem Leichnam Jesu Christi, andererseits war das Ospedale della Pietà in Venedig kirchliches Waisenhaus und Musikschule in einem. Antonio Vivaldi, selbst als Priester ausgebildet und tätig, wirkte dort viele Jahre als Violinlehrer. Heute sind in der Pietà noch immer soziale Einrichtungen für Menschen in Not untergebracht. Auf der DVD, die ihn nicht nur bei der Arbeit mit seinem Ensemble zeigt, führt Jaroussky die Zuschauer selbst an den Ort, den jeder Venedig-Reisende kennt, weil sich in unmittelbarer Nachbarschaft die imposante Kirche Santa Maria della Pietà erhebt.

Höchste Konzentration: Jaroussky bei der Aufnahme seiner neuen CD.

Höchste Konzentration: Jaroussky bei der Aufnahme seiner neuen CD – Foto: Screenshot aus der DVD.

Pietà also ist ein weitgehend getragenes Angebot mit dem berühmten Stabat Mater im Zentrum. Mir ist die Kantate Filiae maestae Jerusalem RV 638 („Betrübte Töchter Jerusalems, seht, der König aller, euer König verwundet und mit Dornen gekrönt …“) besonders nahe gegangen. Ein sehr verinnerlichtes Stück, dem Jaroussky eine unnachahmliche Schlichtheit gibt. Es bohrt sich einem ins Herz – und verbreitet doch keine Trauer und Schwermut. Jaroussky entlockt dieser Musik Zuversicht, Hoffnung und Poesie. Eine Wirkung, die von dem gesamten Album ausgeht.

Rüdiger Winter

Und nun der Text von Frédéric Delaméa: Priester und Musiker – in den Jahren nach 1710 sollte Don Antonio Vivaldi, Priester, renommierter Geigenvirtuose und Komponist von Konzerten, für Feste oder Gedenkfeiern von Kirchen und Kongregationen in Brescia, Padua oder Vicenza geistliche Stücke liefern. Zur gleichen Zeit begegneten ihm die heiligen Stätten seiner Heimatstadt Venedig mit Argwohn. In Venedigs Kirchen und vor allem im Markusdom, wo die

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majestätische Polyphonie Gabriellis oder der strenge a cappella-Gesang Legrenzis dominierten, misstraute man offenbar den heiteren Ritornellen, farbigen Orchestrierungen oder ungezügelten Kontrasten, wie sie die neuartigen Werke des prete rosso kennzeichneten. Soweit wir heute wissen, debütierte Vivaldi 1712 also fern von Venedig als Komponist geistlicher Musik – in der Stadt Brescia, wo seine Familie ihre Wurzeln hatte. Genau ein Jahr, bevor er mit Ottone in villa als Opernkomponist sein offizielles Debüt gab, auch dies fern von Venedig – in Vicenza.

Vivaldis Venedig: La Chiesa della Pietà/OBA

Vivaldis Venedig: La Chiesa della Pietà/OBA

Der Confederazione dell‘oratorio di San Filippo Neri in Brescia verdanken wir diese ersten Schritte Vivaldis in die geistliche Musik: das berühmte Stabat Mater, dessen Manuskript heute im Fondo Foà-Giordano der Turiner Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Dieses Werk, das 1939 eine der allerersten Kompositionen Vivaldis gewesen sein dürfte, die dem Publikum des 20. Jahrhunderts dargeboten wurden, war vermutlich am 18. März 1712, dem Gedenktag der Sieben Schmerzens Mariens, in Santa Maria della Pace, der Kirche der Kongregation, uraufgeführt worden. Für die Oratorianer von Brescia, die nur selten um neue Werke ersuchten und deren Repertoire hauptsächlich alte überarbeitete Stücke umfasste, war der Auftrag ebenso außergewöhnlich wie die mit ihm verbundenen Ausgaben, und er bezeugt, welchen Ruf sich Vivaldi inzwischen mit seiner Instrumentalmusik erworben hatte, die in ganz Oberitalien und großen Teilen des übrigen Europas verbreitet war. Die Verantwortlichen der Institution waren zweifellos sehr angetan von diesem ungewöhnlichen Priester und Musiker, der bereits ein Jahr zuvor sein Können bewiesen hatte. Man kann sich mühelos die Wirkung vorstellen, die dieses karge Meisterwerk hervorbrachte, das von einem kleinen Orchester (vier Violinen, ein Violoncello, ein Kontrabass und eine Orgel, die Mitwirkung einer Bratsche ist möglich, aber nicht bezeugt) und einem Kastraten oder eher Falsettisten vorgetragen wurde, wahrscheinlich dem berühmten Filippo Sandri, den die Kongregation gewöhnlich unter hohen Kosten engagierte.

Antonio Vivaldi auf einem Gemälde eines unbekannten Malers. Er wirkte auch als Violinlehrer in Venedig.

Antonio Vivaldi auf einem Gemälde eines unbekannten Malers. Er wirkte auch als Violinlehrer in Venedig.

Von dem mittelalterlichen Text des Stabat, dessen Autorenschaft sich Jacopone da Todi und Papst Innozenz III. noch immer streitig machen, hat Vivaldi nur die ersten zehn Strophen vertont, entsprechend einer Praxis, die sich etabliert hatte, als die Sequenz, die noch nicht offiziell zum Missale Romanum gehörte, während der Vesper gesungen wurde – zehn Strophen, von denen die ersten drei behutsam kontrastiertes musikalisches Material enthielten, das die drei folgenden Strophen exakt nachbildeten. Der erhabene Gesang von Liebe, Schmerz und Frömmigkeit, gestützt von einer äußerst geringen Orchestrierung von gewaltiger Intensität, miteinander wechselnden langsamen (Largo, Adagissimo, Lento) und gemäßigten Tempi (Andante), die in die düstere Welt von f-Moll bis c-Moll modulieren, rührte die Gläubigen in Brescia gewiss zu ebenso vielen Tränen wie die Mutter Christi auf Golgatha. Bis das abschließende Amen, ein ätherischer Wirbel, der auf einem strahlenden Dur-Akkord verklingt, die Pforten des Himmels öffnet … Fern seiner Heimatstadt Venedig hatte sich Vivaldi bei seinem ersten Versuch gleich als Meister bewährt.

Ein Unfall in der Geschichte war allerdings nötig, damit dieser Meister seine ersten geistlichen Stücke für seine Heimatstadt Venedig komponieren konnte. Dieser ereignete sich ein Jahr nach der Uraufführung des Stabat Mater, dank Francesco Gasparini, maestro di coro am Ospedale della Pietà, einer der vier sozialen Einrichtungen der Stadt, die ein Orchester und einen Chor unterhielt, beide von beachtlichem Ruf, und wo Vivaldi die rangvolle Position des maestro di violino bekleidete. Gasparini in seiner Eigenschaft als Chorleiter hatte die Aufgabe, das geistliche Repertoire der Institution zu komponieren und einzustudieren. Am 23. April 1713 allerdings bat er um die Erlaubnis, sich aus gesundheitlichen und familiären Gründen für sechs Monate entfernen zu dürfen. Der maestro verpflichtete sich sicherlich, die Pietà auch weiterhin mit neuen Kompositionen zu versorgen, ließ sich jedoch, nach einer Etappe in Florenz, endgültig in Rom nieder und kehrte nie wieder auf seinen Posten zurück. Unter diesen Umständen wurden Gasparinis Aufgaben, solange noch kein Vertreter benannt war, offiziell Vivaldi übertragen. Dieses ‚Interim‘ dauerte drei Jahre und setzte ihn in die Lage, mit einem beachtlichen Teil seiner geistlichen Musik aufzuwarten.

Philippe Jaroussky an der Kirche Santa Maria della Pietà in Venedig - Foto: Screenshot aus DVD.

Philippe Jaroussky an der Kirche Santa Maria della Pietà in Venedig – Foto: Screenshot aus der DVD.

Am 2. Juni 1715 ließ die Leitung der Pietà Vivaldi eine Gratifikation von 50 Dukaten zukommen (praktisch sein Jahresgehalt), was der Sonderprämie entsprach, die gemeinhin dem maestro di coro gewährt wurde. In ihrem Beschluss rechtfertigte sie diese Maßnahme mit Vivaldis ‚wohlbekanntem Eifer und der erfolgreichen Arbeit, nicht nur in der Unterrichtung der Instrumente, deren Ergebnisse allgemeinen Beifall fanden‘, sondern auch in den ‚vorzüglichen musikalischen Kompositionen, die er seit der Abreise des maestro Gasparini geliefert hat, darunter eine vollständige Messe, Vespern, ein Oratorium, über dreißig Motetten und andere Stücke’. Die genannte Messe enthielt vermutlich das Gloria in D-dur RV 589, das heute ebenso berühmt ist wie Vivaldis Konzerte. Ein ausgefeiltes Meisterwerk in üppigem concertato-Stil, also einem Wechsel von Arien und Chören in kontrastierenden Tempi und Tonarten. Ein meisterhaftes Fresko, dessen jubilierender rhythmischer Puls mit der zarten Sicilienne Domine Deus eine der herrlichsten Pausen einlegt: Von einer solistischen Oboe, wie in dieser Aufführung, oder Violine begleitet (Vivaldi lässt in seinem Autograph die Wahl) offenbart dieser Augenblick der Ewigkeit dem Hörer, wie es Michael Talbot auf den Punkt brachte, ‚die Quintessenz der Lyrik Vivaldis‘.

Vivaldis Venedig: Canalettos Blick auf den Canal´ Grande/OBA

Vivaldis Venedig: Canalettos Blick auf den Canal´ Grande/OBA

Gelobt wurde Vivaldi auch für seine Komposition von ‚über dreißig Motetten‘. In der Tat musste er sich immer wieder in dieser Gattung bewähren, in der die Sänger geistlicher Musik mit Opernsängern konkurrierten. Allerdings gelang es ihm, die herkömmliche Form der Motette (zwei Arien in kontrastierendem Tempo getrennt durch ein Rezitativ und als Abschluss ein Halleluja) zu verfeinern, indem er ihr den unnachahmlichen Stempel seines melodischen und rhythmischen Genies aufdrückte und somit jeder Gefahr einer Standardisierung entging. Unter den 1715 von der Leitung der Pietà genannten Motetten befand sich vielleicht auch die Motette Clarae stellae, scintillate, die er wohl schon mit Blick auf die Heimsuchung Mariens, das Patronatsfest der Pietà am 2. Juli 1715 komponiert hatte und die an jenem Tag von einer Bewohnerin der Institution namens Geltruda vorgetragen wurde. Ein lichtvolles, wenig anspruchsvolles Stück, doch von sicherer Wirkung, auch wenn es weit entfernt war von den virtuosen Motetten, die Vivaldi mit Beginn der 1720er Jahre komponieren würde. Für Motetten dieser Art ist das spektakuläre Werk Longe mala, umbrae, terrores ein beeindruckendes Beispiel; sie würden in den Gottesdienst die funkelnde Sprache der Oper tragen und damit zeigen, auf welch erstaunliche Weise sich geistliche und profane Welt einander näherten.

Aber kehren wir in das Jahr 1715 zurück. Zu den ‚vorzüglichen musikalischen Kompositionen‘, die von den Verantwortlichen der Pietà in ihrer Resolution gerühmt wurden, könnten auch zwei introduzioni al Miserere gehört haben, wahrscheinlich begleitet von einem oder mehreren Miserere. Wenn diese Miserere heute leider verloren sind, so sind uns doch wenigstens die beiden introduzioni erhalten, alle beide für Alt und Orchester, darunter das ungewöhnliche Filiae maestae Jerusalem. Diese introduzione, während Vivaldis produktiven ‚Interims‘ an der Pietà entstanden und vielleicht ebenfalls von Geltruda gesungen, führte die Gläubigen in die tiefste Tiefe geistlicher Inspiration des Priesters und Musikers. Von der herzzerreißenden Klage der ‚betrübten Töchter Jerusalems‘ im einleitenden Rezitativ bis hin zur spektakulären Schilderung des schwankenden Universums im Augenblick des Todes Christi hat Vivaldi ein düsteres, mächtiges Werk geschaffen, dessen tiefempfundenes Feuer nie seine Kraft verliert, nicht einmal in den betont arkadischen Klängen der mittleren Arie. Wie in dem vernichteten Jerusalem, am Fuße der zerschellten Felsen und beim Zerreißen des Vorhangs ist es eine schwarze Sonne, die von Anfang bis Ende dieses absolute Meisterwerk der geistlichen Musik Vivaldis mit einem eisigen Glanz überzieht.

Vivaldis Venedig: Canalettos Blick auf den Markusplatz/OBA

Vivaldis Venedig: Canalettos Blick auf den Markusplatz/OBA

Bis zu seiner Abreise aus Venedig im Jahre 1740 komponierte Vivaldi unter verschiedenen Rechtsbeziehungen und wechselnden Bedingungen weiter geistliche Werke. Zunächst für die Pietà, die in ihrer langen und bewegten gemeinsamen Zeit bei ihm sporadisch Psalmen, Hymnen und Motetten bestellte. Aber auch für andere Kirchen oder Kongregationen in Venedig und anderen Städten, in Italien und im übrigen Europa. Allerdings können wir die uns überlieferten Werke nicht immer mit Sicherheit an einen Kontext knüpfen oder sie einer bestimmten Bestellung zuordnen. Das gilt auch für das heute im Fondo Foà-Giordano der Turiner Nationalbibliothek aufbewahrte Salve Regina in g-Moll RV 618. Diese herrliche Version der Marienantiphon, die von Trinitatis bis zum Adventsbeginn gesungen wird, verwendet ein Orchester mit zwei cori, verstärkt durch zwei Oboen. Vermutlich komponiert zwischen Mitte der 1720er Jahre und Anfang der 1730er Jahre, könnte sie in der Pietà aufgeführt worden sein, steht aber nicht notwendigerweise mit dieser Institution in Beziehung. Im Laufe der sechs Strophen beeindrucken Ausdruckskraft und melodischer Reichtum ebenso wie der ausgefeilte Instrumentalsatz, der sich schon in den ersten Takten der fugierten Ouvertüre ankündigt und in dem herrlichen Wechselspiel zwischen den beiden cori bestätigt wird.

Philippe Jarrousky/Foto Marc Ribes/Warner

Philippe Jarrousky/Foto Marc Ribes/Warner

Dieses Kleinod der geistlichen Musik Vivaldis bezeugt auf bewegende Weise, wie sehr Vivaldi, eine Persönlichkeit voller Gegensätze, in einer Stadt und einer Epoche lebend, die nicht weniger widersprüchlich waren, sein Leben lang versuchte, seine ‚gewaltige Kompositionswut‘, wie es Charles de Brosses ausdrückte, mit den Erfordernissen seines klerikalen Amtes und seinem Glauben in Einklang zu bringen. Denn es war natürlich der Bereich der geistlichen Komposition, wo dieses Paradoxon in erster Linie seinen Ausgleich finden sollte. In diesem Salve Regina wie auch in so vielen seiner riesigen liturgischen Fresken oder in seinen Psalmen gelang es Vivaldi, über seine Suche nach Erfolg und die Erfordernisse der Konvention hinaus, einer wahrhaft geistlichen Inspiration den absoluten Vorrang zu geben, indem er tiefste Andacht mit strahlendstem Jubel mischte. Auf halbem Wege zwischen Altar und Notenpult scheint der Priester und Musiker, ein wunderbarer Maler der menschlichen Seele, hier sein fragiles und schmerzliches Gleichgewicht gefunden zu haben.

Frédéric Delaméa

Jaroussky in vendig 5

 

Das Foto oben/Marc Ribes/Erato und den Text von Frédéric Delaméa (Übersetzung Gudrun Meier) entnahmen wir dem Warner-Pressematerial, das Foto ganz unten ist ein Screenshot aus der beiliegenden DVD. Auf dieser führt Philippe Jaroussky durch das Venedig Vivaldis. Mit dem Programm seiner neuen CD ist er noch in diesem Jahr in Hamburg (Laeiszhalle, 12. Dezember), Berlin (Konzerthaus, 14. Dezember) und Regensburg (Audimax der Universität, 16. Dezember) auf Tournee. Im kommenden Jahr folgen dann weitere deutsche Städte sowie Wien und Luzern.

Edition-Radiomusiken

EditionRadiomusiken: Hinter dem ein wenig sperrigen Titel dieser Box verbirgt sich ein hoch interessantes Projekt der Staatsoperette Dresden, das in Zusammenarbeit mit dem MDR Figaro und Deutschlandradio Kultur sogenannte Radiomusiken aufnimmt.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die sogenannte Gattung der „Radiomusik“, eine in der Zeit der Weimarer Republik und Frühzeit des Rundfunks  entstandene Schnittstelle der Unterhaltungsmusik und verschiedener Strömungen der zeitgenössischen Musik. Auffällig, dass fast alle auf diesen CDs vertretene Komponisten während des Dritten Reiches Berufsverbot erhielten, oder emigrierten. Diese speziell für das Medium Rundfunk komponierten Stücke sind entsprechend ihrer Verwendung sehr pointierte, eingängige Stücke, deren Entdeckung durchaus lohnt. Geschaffen für ein „Lautsprecherpublikum“ und die Übertragung durch ein einziges Mikrophon folgen diese Stücke zwar keiner stilistisch einheitlichen Form, sind aber doch typisch für das neu entwickelte Genre.

Der erste Band der Radiomusiken bei cpo erschien im vergangenen Jahr (8575714)

Der erste Band der Radiomusiken bei cpo erschien im vergangenen Jahr (8575714).

Vertreten sind in dieser Box Franz Schreker mit einer Kleinen Suite, die den erfolgreichen Opernkomponisten einmal von einer anderen Seite zeigt. Ernst Toch mit der „Bunten Suite“ op.48, einer originellen, launigen Schöpfung, der die Kritik nach der Erstsendung attestierte, es würde „im Spielerischen seine glückliche Wirkung erzielen“. Max Butting ist mit zwei Stücken vertreten ,der Sinfonietta mit Banjo (Erste Rundfunkmusik) und Heitere Musik op.38 (Zweite Rundfunkmusik). Mischa Spoliansky präsentiert eine gerade einmal sechsminütige Charleston Caprice für Großes Orchester, die hier nach dem Originalmanuskript eingespielt wurde, da sie bis heute keinen Verleger gefunden hat. Last not least Eduard Künneke, dessen Tänzerische Suite für Jazzband und großes Orchester das eingängigste und nach meinem Geschmack beste Stück dieser Zusammenstellung ist. Wie der Komponist eine Jazzband in das große Orchester einbaut, lohnt allein schon das Hören dieses Stückes Fern aller Operettenseligkeit zeigt sich der Komponist hier von einer ganz neuen Seite. Walter Braunfels, dessen Kompositionen in den letzten Jahren eine erfreuliche Renaissance erleben, ist mit einem Divertimento für Radio-Orchester zu hören. Gefallen können die Stücke  ausnahmslo, mit Ausnahme der Komposition Schrekers handelt es sich um Auftragswerke verschiedener Rundfunkanstalten aus den Jahren 1929 und 1930. Es ist bitter, dass die Laufbahn fast aller dieser Komponisten schon bald nach diesen Kompositionen zumindest zu einem vorläufigen Ende kam. Aufträge von Rundfunksendern waren in dem veränderten kulturellen Klima nach 1933 für diese Musiker nicht mehr zu erwarten.

Das Orchester der Staatsoperette Dresden unter Ernst Theis musiziert mit großer Hingabe, vor allem aber mit Schwung und dem nötigen Pepp, den diese Musik verlangt. Die Idee, diese Musik wieder aufleben zu lassen und auf CDs zu dokumentieren, kann man nur begrüßen, und auf eine ähnlich geglückte Fortsetzung des Projektes hoffen ( (Suites & Overtures for the Radio; Edition  (Suites & Overtures for the Radio; Edition RadioMusiken Vol.2,  2 CD cpo 777 838-2)

Peter Sommeregger

 

Dieses spannende Thema wollten wir gerne vertiefen und baten den spiritus rector der EditionRadiomusiken, Steffen Lieberwirth (der u. a. auch für die erfolgreiche Serie Semperoper Edition bei hänssler profil verantwortlich ist, um seine Ausführungen, die wir der website „Rundfunkschaetze“ entnahmen, wo sich Weiteres und Weiterführendes findet.G. H.

Der “Radio-Zauberer” “Der Radioapparat beginnt zu wachsen und zu leuchten. Er wird zum phantastischen Zauberer, der das Märchen erscheinen läßt”, so heißt es in einer Beschreibung der Sächsischen Staatsoper Dresden zur Inszenierung des Ballets “Der Nussknacker” von Peter Tschaikowski 1928.  Figurine-Zeichnung des Bauhauskünstlers Oskar Schlemmer für diese Aufführung in der Semperoper.

Der “Radio-Zauberer”
“Der Radioapparat beginnt zu wachsen und zu leuchten. Er wird zum phantastischen Zauberer, der das Märchen erscheinen läßt”, so heißt es in einer Beschreibung der Sächsischen Staatsoper Dresden zur Inszenierung des Ballets “Der Nussknacker” von Peter Tschaikowski 1928. Figurine-Zeichnung des Bauhauskünstlers Oskar Schlemmer für diese Aufführung in der Semperoper/Rundfunkschaetze

 “Radiomusiken”: Was heißt denn das? “Radiomusiken” waren Kompositionen, die von nahezu allen Sendegesellschaften bei den bekanntesten zeitgenössischen Komponisten mit dem Ziel in Auftrag gegeben wurden, ein eigenständiges Genre zu entwickeln, das den technischen Möglichkeiten des neuen Massenmediums angepasst sein sollten. Auch Komponisten wie Eduard Künneke (dessen Musik einst sogar in den Sinfoniekonzerten der Berliner Philharmoniker gespielt wurde) oder Edmund Nick, die vornehmlich Unterhaltungsmusik schrieben (CD RadioMusik Vol. 1, 8575714), gehören zu diesem Kreis. Doch die Grenzen innerhalb dieser zeitgenössischer Musik sind fließend, wie die Namen zeigen, denn auch Kurt Weill, Paul Hindemith, Pavel Haas, Ernst Toch oder Franz Schreker, die als bedeutende Neuerer ihrer Zeit in die Musikgeschichte eingegangen sind, zählen zum angesprochenen Komponistenkreis.

Diese Musik entstand, als die deutsche Unterhaltungsmusik ihre letzte Blütezeit erlebte – bevor die Nazis auch diese verfälschten und ihr Ende einleiteten. Die Rundfunkmusiken sind ein Schnittpunkt von Unterhaltungsmusik und verschiedensten Strömungen der zeitgenössischen Musik der Weimarer Republik. Sie zeigen kaum bekannte Facetten einer für das Lautsprecher-Publikum geschaffenen Musik, die ihre Kraft aus den Innovationen der eigenen Zeit nahm. Diese musikalischen Experimente, die für die Live-Übertragung durch nur ein einziges Mikrophon geschrieben wurden, kennen keine musikalischen Grenzen, Tanz und Jazz stehen neben klassischen sinfonischen Formen und avantgardistischen Neuerungen der Zeit. Für das Vergessen dieser Musik sind in vielen Fällen die Verbote und Verfolgungen der jüdischen und politisch nicht konformen Autoren im Dritten Reich verantwortlich.

So bunt und lebendig zu sein, wie das Leben selbst: „Die Aufgabe lautet, einem schier unermeßlichen, aus allen Altern, Ständen und Stufen menschlicher Reife zusammengesetzten Hörerkreise, welcher zum Teil der Natur nahe in einsamen Häusern auf dem Lande, zum Teil dicht aneinandergedrängt – zwischen Eisen und Beton – in den großen Städten lebt, durch das Wunder des Rundfunks das lebendige Leben und die lebendige Kultur des eigenen und aller Völker zu seelischer Erhebung, geistiger Fortbildung und gemütlicher Zerstreuung nahezubringen. (…) Wir wollen in dem, was wir auch immer verbreiten, so bunt sein, wie das Leben selbst (…)“, verkündet ein Postulat aus dem Jahr 1929, entdeckt in einem vergilbt-brüchigen „Jahrbuch des Westdeutschen Rundfunks“.

Und in der Tat, es ist eine spannende Aufgabenstellung, die sich der Rundfunk mit visionärem Blick auf das kommende Jahrzehnt selbst auferlegt hat und deren Umsetzungsstrategien und -Ergebnisse auch heute noch in unserem digital vernetzten Zeitalter zurückblickend neugierig machen …

Projektleiter und unermüdlicher Kämpfer für die Rundfunkschätze: Steffen Lieberwirth/OBA/hänssler

Projektleiter und unermüdlicher Kämpfer für die Rundfunkschätze: Steffen Lieberwirth/OBA/hänssler

Ambitioniert selbstbewusst wie elektrisierend visionär ist er, der deutsche Rundfunk, der gerade einmal ein halbes Jahrzehnt existiert, als 1929 eine vom Westdeutschen Rundfunk proklamierte Aufgabenstellung an die zukunftsweise denkenden Komponisten veröffentlicht wird. Warum sollten die hochmotivierten Musikredakteure jenes seinerzeit konkurrenzlosen Massenmediums nicht selbst schöpferisch aktiv werden und breitenwirksamere wie radiogemäßere Programminhalte anbieten? Heinrich Strobel, einer der wichtigsten Berliner Musikkritiker und Wegbereiter der Moderne, benennt die Ursachen, die zum Umdenken in den Rundfunksendern führen sollten: „Zuerst war die Situation so: der Rundfunk übernahm als neues Instrument der Musikübermittlung die landläufigen Praktiken der Musikpflege. Opern wurden übertragen, die Unterhaltungsmusik wurde vom Café, vom Tanzlokal, vom Biergarten bezogen, Konzerte wurden nach bewährtem öffentlichem Muster von den einzelnen Sendegesellschaften veranstaltet. Man wusste, daß es eine Neue Musik gab. Also setzte man von Zeit zu Zeit auch Neue Musik an. Langsam erkannten die hellhörigen Sendeleiter die Anfechtbarkeit dieser sehr bequemen Methode von Standpunkt des Rundfunks aus. Der Rundfunk schafft in jedem Fall eine neue soziologische Situation. Er kann nicht mit dem musikwilligen, traditionsgesättigten Hörer der Opernhäuser und Konzertsäle rechnen. Vor dem Lautsprecher haben die wenigsten die künstlerische Aufnahmebereitschaft, die sie sich im Konzert auf jeden Fall einzureden bemühen. Also musste man die Programme anders anlegen, musste man Rücksicht auf die verschiedenen Ansprüche nehmen, musste man auch einmal überlegen, welche Art Musik im Rundfunk zur sinngemäßen Wirkung kommt und welche nicht. (…) Aber das steht fest: nur eine deutlich konturierte, klar instrumentierte, nur eine reinliche Musik setzt sich im Mikrophon durch.“ (Heinrich Strobel: „Zur musikalischen Programmpolitik des Rundfunks“, 1930)

heinrich strobelDie politische und wirtschaftliche Situation ist günstig: Der Rundfunk ist „vom ersten Augenblick seines Daseins an eine wirtschaftliche Macht. In einer Zeit allgemeiner finanzieller Depression war hier ein Unternehmer entstanden, der durch seine regelmäßigen und so gut wie sicheren Einnahmen die Möglichkeit hatte, einen Teil der notleidenden Künstlerschaft durch Engagements zu unterstützen. Im Lauf von fünf Jahren hat sich der Rundfunk zu einem Opern- und Konzertinstitut allergrößten Stils entwickelt, dessen Abonnentenzahl in Deutschland in die Millionen geht. (…)“

Finanziell ist der Rundfunk so gut ausgestattet, dass er es sich Ende der 1920er Jahre leisten kann, als Mäzen und Multiplikator für Musiker und Komponisten in Erscheinung zu treten. So vergeben Monat für Monat alle deutschsprachigen Sender Kompositionsaufträge an jene Komponisten, die sich für das neue Medium Radio interessieren und Kompositionen erschaffen wollen, „deren besondere Rundfunkeignung daraus resultieren sollte, dass die für die Übertragung von Musik gewonnenen Erfahrungen gleich bei ihrer Entstehung ausgenützt würden“, so der Leipziger Radiojournalist Ernst Latzko.

der anbruchUnd weiter erfahren wir von ihm in seiner „Rundfunk-Umschau“, dass diese Aufträge geeignet seien, das Schaffen in eine „bestimmte Bahn“ zu lenken, Werke ganz „besonderer Eigenart“ hervorzubringen: „Die von Max Butting propagierte Idee einer ‚Rundfunkmusik‘ wird hier aufgegriffen und einer Verwirklichung nähergeführt. Der Rundfunk begnügt sich nicht mehr mit der allgemeinen Musikliteratur, die er seinen besonderen Gesetzen entsprechend interpretiert, sondern er fördert die Entstehung einer neuen Musik, die nicht erst rundfunkgemäß wiedergegeben sondern gleich rundfunkgemäß konzipiert sein will. Nicht der Kapellmeister soll die in fünf Jahren gemachten Erfahrungen verwerten, sondern der Komponist. Damit ist der Grundstein gelegt zu einer Literatur, die in Inhalt und Form nicht rein musikalischen sondern funkischen Gesetzen folgt. Diese Gesetze werden die zeitliche Ausdehnung der Werke einengen, sie werden gewisse Formen gegenüber anderen bevorzugen – so ist es kein Zufall, dass bisher ein Konzert und eine Suite auf diesem Gebiet entstanden sind, beides Formen, deren Eigenart den Forderungen des Rundfunks entgegenkommt – diese Gesetze werden sich ganz besonders bei der Instrumentation auswirken, die hier wesentlich andere Regeln befolgen muß, sie werden Phrasierung und Dynamik beeinflussen und zu allererst den Stil der Werke bestimmen indem sie eine Musik ins Leben rufen, der Form und Zeichnung wichtiger ist als Farbe, Technik wichtiger als Ausdruck. (…)“

Max Butting/Wikipedia

Max Butting/Wikipedia

Eine wesentliche Hilfestellung zu musikalisch technischen Voraussetzungen des neuen Genres „Radiomusik“ können schließlich 1929 alle interessierten Tonsetzer einer Veröffentlichung der „Baden-Badener Kammermusik“ entnehmen. Als einer der Pioniere der „Radiomusik“ erklärt der Komponist Max Butting erstmals die gestellten Anforderungen: „1.) Dem Wirkungskreis der Rundfunkübertragung, die sich an Hörer verschiedenster Schichten und Bildung in ihrem eigenen Heim wendet, ist im Charakter des Werkes Rechnung zu tragen. 2.) Zu berücksichtigen sind die technischen Eigenschaften des Mikrophons als Übertragungsinstrument: a.) Die Orchesterwerke müssen eine klare Struktur aufweisen. Rauschender, breiiger Orchesterklang ist ungeeignet für das Mikrophon. Zu dick gesetzte und eng gelegte Akkorde sind zu vermeiden. b) Die Klangfarbe der einzelnen Instrumente wird durch das Mikrophon verschieden wiedergegeben. Die Streichinstrumente kommen gut durch. Zu vermeiden sind nur enge Akkorde in mittlerer und tiefer Stimmlage. (* Die Holzblasinstrumente erklingen ausnahmslos klar und deutlich, ohne von ihrem Klangcharakter viel zu verlieren. Das starke Hervortreten der Flöte, besonders in der höheren Lage, ist zu beachten. Im Übrigen ist die solistische Behandlung der Holzbläser vorzuziehen. * Auf vorsichtige Hornbehandlung ist zu achten, weil sich bei nicht erstklassig geblasenem Horn Unsauberkeiten durch das Mikrophon besonders bemerkbar machen. Enger Satz von mehreren Hörnern und ff im Horn ist zu vermeiden. * Die Trompete ist in jeder Lage, auch mit Dämpfer, verwendbar. * Harfe klingt gut, besonders in höherer Lage. * Vorsichtige Schlagzeugbehandlung, insbesondere Vermeidung der großen Trommel; auch die kleine Trommel bekommt einen vollständig veränderten Klangcharakter. Möglichst kein Becken, nur im ff zu besonderer Charakterisierung in einzelnen kurzen Schlägen. * Pauke in einzelnen Schlägen rhythmischer Natur gut, Paukenwirbel im Tutti ist zu vermeiden. * Sehr gut verwendbar sind Holzschlaginstrumente, Xylophon und Holztrommel.) 3.) Was im Rundfunk aufgeführt wird, erhält eben seinen Charakter einmal durch die technisch-musikalische Einschränkung der Mikrophonübertragung; viel mehr aber durch das Gerichtetsein an alle. Und dies erzwingt nun bestimmte Stilprinzipien: * Verständlichkeit am Empfänger * Prägnanz und Kürze * Sinnfälligkeit und Übersichtlichkeit * Der Ort der Handlung ist immer das Alltagszimmer von jedermann.“ („Anbruch“, Januar 1929)

Spielerische Leichtigkeit – das so schwer Umzusetzbare! Über den Beginn des ambitionierten “Entdeckungs-Projektes” schrieben die “Dresdner Neuesten Nachrichten”:  “Anlässlich einer Operettengala der Dresdner Staatsoperette 2005 hörte MDR FIGARO-Musikchef Steffen Lieberwirth den ersten Satz der ‘Tänzerischen Suite’ von Eduard Künneke. Er war von der Musik und ihrer Wiedergabe so begeistert, dass er die Suite für den Rundfunk produziert wollte, und zwar vollständig!”

Der Dirigent Ernst Theis/Foto prosceniium.at

Der Dirigent Ernst Theis/Foto proscenium.at

Mit der Radioausstrahlung landete der Mitteldeutsche Rundfunk dann auch einen wirklichen Volltreffer. Wir erlebten Schlüsselwerke der Zwanziger Jahre. Kurz: wir fühlten und atmeten den Puls jener Zeit. Mehr noch, wir spürten, wie tagesaktuell und lebendig auch nach 80 Jahren noch diese bislang unbekannte Musik ist. Von 2005 bis 2011 nahm sich das Orchester der Staatsoperette Dresden unter der Leitung seines langjährigen Chefdirigenten Ernst Theis in fester Kooperation mit MDR Figaro und seit 2008 auch mit Deutschlandradio Kultur diesem völlig zu Unrecht vergessenen Genre an und spielte ein Reihe dieser sogenannten Radiomusiken für das ihnen zugedachte Medium neu ein. Und das – wie auch seinerzeit – teilweise aus dem original erhaltenen handschriftlichem Aufführungsmaterial.

Das Redaktionsteam: Die „Edition RadioMusiken“ ist eine gemeinschaftliche Dokumentationsreihe der Staatsoperette Dresden, des Kulturkanals des MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNKS [MDR FIGARO] mit DeutschlandRadio Kultur sowie des Archivs der Akademie der Künste Berlin mit dem Klassik-Label cpo; Projektleitung: Steffen Lieberwirth, MDR; Autoren und Historical Research: Uwe Schneider, Ernst Theis, Jens Uwe Völmecke, Steffen Lieberwirt; Recording Supervisor & Digital Editing: Eric Lieberwirth; Executive Producers: Burkhard Schmilgun / Steffen Lieberwirth [MDR]; Cover Painting: Marcellus Schiffer, C Stiftung Archiv der Akademie der Künste; Co-Produktion: cpo / MDR FIGARO / DeutschlandRadio / Staatsoperette Dresden / Archiv der Akademie der Künste Berlin; Recording: Börse Coswig 2006+2007 / Lukaskirche Dresden 2009 / Alter Schlachthof Dresden 2010/ Hochschule für Musik “Carl Maria von Weber” Dresden 2011

 

 

 

Berührendes Abendrot

Ein Hauch von Hollywood weht durch das Foto auf dem Cover. Hollywood in den Dreißiger Jahren. Als die legendären Diven märchenhaft in einer Traumwelt inszeniert wurden, den Niederungen des Alltags völlig entrückt. Anna Netrebko ist in eine wallende Robe gehüllt, die Schultern frei. Der Farbton zwischen Pink und Rubin. Die lange Schleppe flattert im Wind. Die Künstlerin schreitet, schreitet durch Schnee. Die muss doch frieren, ist mein erster Gedanke. Schnee auch auf den Innenseiten des Albums, mit dem die Deutsche Grammophon die große Anhängerschar der gefeierten Sängerin im zu Ende gehenden Richard-Strauss-Jahr beglückt (479 3964). Äste im Schnee, die letzten Hagebutten im Schnee, zwei Menschen auf einer Brücke im Schnee. Dabei hat das Programm dieser CD eigentlich gar nichts mit Schnee zu tun. Es handelt sich um den Mitschnitt eines Konzerts der Staatskapelle Berlin vom August 2014 unter der Leitung von Daniel Barenboim, bei dem die Netrebko im ersten Teil die Vier letzten Lieder sang. Im zweiten Teil dann  Ein Heldenleben. Zwei Werke aus absolut schneefreier Zone. Nun gut, die hübschen Fotos waren wohl noch vorrätig aus dem letzten Winter. Sie müssen auch mal weg. Das lässt sich ja nachzuvollziehen. Schön sehen sie aus.

Auf der CD selbst geht es nicht ganz so traumhaft zu wie auf dem Titelblatt. Die Sängerin muss sich erst hineinfinden in die entrückte Stimmung dieser Lieder. Sie ist um deutliche Aussprache bemüht, hat wohl intensiv am Text gearbeitet und ist über weite Strecken ganz gut zu verstehen. Wenn sie sich denn in nächster Zeit auch im deutschen Fach umtun will – die Elsa ist selbst für Bayreuth angekündigt – muss das auch sein. Potenzial ist vorhanden. Sie steigert sich von Lied zu Lied. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie mit Im Abendrot am meisten berühren kann. Sehr gut gelingen ihr die lyrischen, zurück genommenen Momente, die aber noch besser verbunden werden können, auch mit dem Orchester. Sie zerfallen manchmal in ihre Einzelteile. Muss die Stimme in die Tiefe hinab oder aus der Tiefe heraus, klingt sie in diesen Übergängen leicht unliebenswürdig. Es wäre ungerecht und unfair, die Sängerinnen, die mit diesen Liedern Musikgeschichte geschrieben haben, gegen die Netrebko aufmarschieren zu lassen. Wir schreiben 2014 und leben nicht irgendwo zwischen 1960 und 1975. Aber die Konkurrenz ist nun einmal da und auch auf Tonträgern verfügbar. Man kommt nicht davon los, weil sich Anna Netrebko nicht genug durch eine eigene unverwechselbare Lesart davon abheben kann.

Eine Frage stellt sich: Warum live auf CD? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Sopranistin mit diesen Liedern im Studio viel besser aufgehoben gewesen wäre. Dort ist der Druck weniger stark, dort gibt es die Möglichkeit der Wiederholung, der Korrektur. Die besten Aufnahmen, die ich kenne, sind im Studio entstanden. Selbst Elisabeth Schwarzkopf, die zwei Studioeinspielungen hinterlassen hat, die noch immer Referenzcharakter haben, war mit den Vier letzten Liedern im Konzert weniger überzeugend. Ich hätte es der Netrebko gegönnt, dass sie mit ihrer Aufnahme besser abgeschnitten hätte. Das Zeug dazu hat sie. Nun ist sie eine unter sehr vielen. Eben.

Die geballte Wucht des großen Orchesters nach dem intimen Einstieg halte ich nicht für die allerglücklichste Wahl. Nun ja, Barenboim will auch glänzen, und das tut er. Sein Heldenleben ist rauschhaft und verschwenderisch. Die Knöpfe für die Lautstärke dürfen ruhig etwas weiter aufgedreht werden, sonst wirkt diese Musik nicht. Aber es gibt auch hier wunderbare leise Momente der Einkehr, die besonders Wolfram Brandl mit der Solovioline zu verdanken sind.

Rüdiger Winter

Triumph des Schöngesangs

Der italienische Tenor Enrico Caruso hat geschafft, was heutzutage selbst die perfekteste PR-Kampagne nicht erreichen könnte: Sein Name ist selbst der Oper fernstehenden Menschen ein Begriff und gilt allgemein als Synonym für schönen Gesang. Dass diese bis heute ungebrochene Popularität des Neapolitaners zu immer neuen Editionen seiner umfangreichen Plattenaufnahmen führt, versteht sich von selbst. Caruso hat ca. 250 Schellackplattenseiten aufgenommen, daraus kann man Kompilationen der verschiedensten Art zusammenstellen, wie dies auch schon im Zeitalter der Vinyl-Schallplatte geschehen ist. Seit geraumer Zeit existieren zwei konkurrierende Gesamtausgaben auf CD, die sämtliche bekannte Aufnahmen Carusos enthalten, und dies in sorgfältig restaurierter Form. Ich persönlich bevorzuge die von Ward Marston für Naxos hergestellte Version auf zwölf CDs, sie hat Maßstäbe gesetzt.

Welche Überlegungen für das Label The Intense Media ausschlaggebend waren, jetzt eine 4-CD-Box mit einer repräsentativen Auswahl herauszubringen, ist nicht ganz nachzuvollziehen (600206). Die Aufmachung ist eher spartanisch, das Booklet enthält zweisprachig einen sehr allgemeinen biographischen Artikel, der nicht einmal namentlich gezeichnet ist. Die Trackliste nennt zwar jeweils das Aufnahmejahr, verzichtet aber ansonsten auf die für Sammler so wichtigen Labelnamen und Matrizen-Nummern. Das Klangbild ist durchaus befriedigend, Carusos Stimme scheint mir aber künstlich verstärkt, bei Forte-Stellen wirkt sie etwas plärrend, und es könnte der Eindruck entstehen, der Sänger wäre mitunter gar ein richtiger Brüller gewesen. Beim Hören der Originale wird gerade das Gegenteil deutlich, so gesehen wird diese Edition dem Künstler und seinen Liebhabern nicht gerecht.

Donizetti, Rossini, Verdi, Meyerbeer, Bizet – die Auswahl ist umfänglich, umfasst all jene Arien und Szenen, die es – auch Dank Caruso – zu großer Popularität gebracht haben. „Er singt die Psyche der Melodie“, hatte Richard Strauss über den Sänger gesagt. Ein Satz, der zu Recht am Beginn des Einführungstextes steht.

Peter Sommeregger

 

Ernstes Seelendrama

Der Dirigent Teodor Currentzis bringt es auf den Punkt: „Innerhalb eines einzigen Tages stolpern Leute, die für ihre Geliebten sterben würden, durch eine lächerliche Maskerade und heiraten am Ende ihnen sehr vertraute wildfremde Menschen.“ Keine schlechte Charakterisierung von Mozarts Oper Così fan tutte, vor allem genau das, was Teodor Currentzis in seiner nach dem Figaro mit Spannung erwarteten Einspielung daraus macht (Musicaeterna/Sony 88843095832). Nach dem ersten Durchhören war ich erst einmal erschlagen von so viel Gehörtem, das sich so drastisch von meinen bisherigen Così-Erfahrungen unterscheidet. Der Perfektionist Currentzis schwört sein Ensemble auf eine sehr leidenschaftliche, todernste Lesart dieser hintergründigen Komödie ein. Hier geht es von Beginn an um sehr viel mehr als hundert Zechinen für eine gewonnene Wette.

Teodor Corretzis/Robert Kittel/Sony

Teodor Currentzis vor dem Opernhaus in Perm/Robert Kittel/Sony

Mit einer Leidenschaftlichkeit, die man sonst eher im Don Giovanni verortet, stürzen sich die Protagonisten in das emotionale und musikalische Abenteuer, und nichts klingt, wie ich es gewohnt bin. Wie schon in seiner von mir eben hier hochgelobten Figaro-Einspielung setzt er statt des Cembalos ein Fortepiano für die Rezitativ-Begleitung ein, eine Entscheidung, die sehr positiven Einfluss auf den musikalischen Gesamteindruck hat. Zudem lässt er die Sänger in Verzierungen und Appoggiaturen geradezu schwelgen, aber nicht als Selbstzweck, immer auch als Stilmittel. Extrem die Tempi, aber auch sie stets einer übergeordneten Dramaturgie folgend, die aus dieser Oper das ganz große Seelendrama macht. Fiordiligis „Per pietà“ als langsamste, und die Einleitung zur Hochzeitsszene als schnellste Passage markieren die Extrempunkte dieser Interpretation, die vielleicht nicht Jedermanns Sache ist, mich persönlich aber voll überzeugt. Hier geht es um nichts weniger als das Seelenheil aller Charaktere.

Singt die Fiordiligi: Simone Kermern/Foto Strehlau/Sony

Singt die Fiordiligi: Simone Kermes/Foto Strehlau/Sony

Waren die Gesangssolisten noch die Schwachstelle der Figaro-Einspielung, agiert hier ein klug zusammengestelltes Ensemble mit zum Teil denselben Teilnehmern auf sehr hohem Niveau. Nach ihrer für mich großartigen Figaro-Gräfin gelingt Simone Kermes nun eine beseelte, vor Emotion förmlich berstende Fiordiligi, die ihre ohnehin schwierige Partie noch mit zahlreichen Verzierungen und Trillern schmückt. Im Timbre gut von ihr abgesetzt, aber nicht weniger virtuos die Dorabella der Schwedin Malena Ernman. Die sonst bei dieser Rolle auch gern überbetonte Koketterie bleibt sie weitgehend schuldig, und das ist Teil des dramaturgischen Konzepts. Selbst die Despina der Anna Kasyan kommt ernsthafter daher, als man es in dieser Rolle erwartet. Dafür liefert sie die für mich seit Lisa Otto bei Karajan I überzeugendsten Karikaturen des Doktors und Notars. Zweimal darf sie hell auflachen, in einer Weise, die das Herz wärmt. Auch die Besetzung der männlichen Rollen muss man als geglückt bezeichnen. Der Amerikaner Kenneth Tarver verfügt über einen tenore di grazia und weiß ihn gut einzusetzen. In manchen Passagen vielleicht ein wenig rau, aber auch das mag als Charakteristikum dieser Rolle durchgehen. Christopher Maltman, der erfahrene Don Giovanni, kehrt auch hier ein wenig den Macho hervor und bringt viel interessantes Timbre zum Einsatz, ist zudem stimmlich gut vom Alfonso des Konstantin Wolff zu unterscheiden. Der wird dem Konzept folgend ein wenig seiner Drahtzieher-Rolle beraubt. Currentzis lässt hier eher das Schicksal walten und der sehr zurückgenommene Schluss lässt auch akustisch ahnen, dass ein Happy-End in dieser Geschichte keine Option ist. Sehr viel mehr dramma als giocoso also.

Musicaeterna, das sind Orchester und Chor des Opernhauses Perm, folgt ihrem Chef in seiner sehr klaren und strengen

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Interpretation, besonders sei hier Maxim Emelyanychev am Fortepiano hervorgehoben. Man darf auf die Vollendung der Da-Ponte-Trilogie gespannt sein, der Don Giovanni wurde bereits vor wenigen Wochen in Perm eingespielt.

Peter Sommeregger

Fleiss allein reicht nicht

Sollten Sie wissen wollen, liebe Leser, in welcher Rolle Richard Tauber am 13. Januar 1914 auf der Bühne stand? Es war der Turiddu in Mascagnis Cavalleria Rusticana in der Königlichen Hofoper in Dresden. Und am 10. Februar 1938? An diesem Tag sang er Tamino in Mozarts Zauberflöte an der Wiener Staatsoper. Es gibt aber auch weniger harmlose Daten im Aufführungsverzeichnis des Tenors. Nachdem die deutsche Luftwaffe in der Nacht vom 29. auf dem 30. die schwersten Bombenangriffe auf London geflogen hatte, stand er tags darauf gut achtzig Kilometer entfernt im Hippodrom zu Brighton als Theaterprinz Sou Chong in Lehárs Land des Lächelns auf der Bühne. Wie kam das an? Hatten die Engländer nicht andere Sorgen? Oder war gerade solche Abwechslung willkommen in dieser Zeit? Antworten auf solche Fragen bleibt das Buch Musik war sein Leben – Richard Tauber – Weltstar des 20. Jahrhunderts von Martin Sollfrank schuldig. Vielmehr entsteht der Eindruck, als habe sich Tauber fröhlich durch die zwei größten Katastrophen der Neuzeit, den Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten und verheerenden Verwüstungen, gesungen.

Das ist mein Haupteinwand gegen dieses Buch, das sich einem hohen Anspruch stellt, den es letztlich aber nicht erfüllt. Es lege „Informationen über ein Künstlerleben offen, die man in dieser Fülle, Ausführlichkeit und Sachlichkeit bisher nirgends auf einen Blick erhalten konnte“, wird auf dem Buchdeckel geworben. Erstmals sei Tauber „nicht nur als Sänger, sondern als vielseitiger Musiker, der weltweit gewirkt hat, dargestellt“. Vermutungen und Interpretationen hätten keinen Platz. Was als Vorzug des Buches ausgegeben wird, halte ich für seine Schwäche. So verdienstvoll es ist, in jahrelanger Kleinarbeit alle nachweisbaren Auftritte Taubers zu dokumentieren, der Künstler und Mensch hinter diesen Fakten bleibt fremd.

Allzu Persönliches wird diskret gestreift oder anekdotisch verpackt. Richard Tauber, gefeiert wie kaum ein anderer Sänger vor und nach ihm, kurz nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten von einem SA-Trupp in Berlin als „Judenlümmel“ zusammengeschlagen, schließlich außer Landes getrieben – dieser tragische Lebenslauf erfährt allein durch Fakten keine Entsprechung. Da müsste schon tiefer gebohrt werden. Tauber sei absolut unpolitisch gewesen, heißt es erst zum Ende des Buches hin. Das hinderte ihn übrigens nicht daran, sich den Nationalsozialisten im Mai in einem Brief an das Reichsinnenministerium anzudienen. Solche Widersprüche werden nicht weiter verfolgt. Ich bekenne freimütig, mich nur mit Mühe und der Disziplin des Rezensenten durch die endlosen Listen von Auftritten gequält zu haben, die sich zudem sprachlich auf dünnem Eis bewegen. Wer soll das lesen? Für eine Verwendung des Materials zu Forschungszwecke mangelt es zu oft an akribischen Referenzen. Und an einem seriösen Apparat. Keine Konkordanz, kein Personenverzeichnis. Das ist zu wenig.

Fakten werden nicht selten einfach nur hingeworfen. Ein Beispiel auf Seite 73: „Im Theater an der Wien wurde am Nachmittag des 21. Oktober 1922 eine Festvorstellung für Carl Streitmann gegeben (,Die Fledermaus‘ von Johann Strauß, allerdings ohne Tauber) und anschließend eine Große Festakademie mit verschiedenen Künstlern aus Wiener Theaters. Dabei dirigierte Kammersänger Richard Tauber die ,Zigeunerbaron‘-Ouvertüre und sang zudem unter dem Dirigat Franz Lehárs.“ Wer war doch gleich dieser Streitmann? Ach, ja, ein österreichischer Tenor, (1858-1937), der erste Barinkay. Wer das nicht auf Anhieb weiß, muss sich weiterführende Angaben selbst besorgen. Das Buch, dem Stefan Frey im Vorwort „wissenschaftlichen Standard“ bescheinigt, liefert sie nicht. Es hat kein Personenregister, keine Fußnoten und keine Querverweise. Wenigstens ein summarisches Quellenverzeichnis ist vorhanden, das ist schon mal was. Es lässt die Leser mit einer schier endlosen Flut von Namen und Ereignissen allein. Dafür gibt es sich auffällig titelhörig. Papst reicht da nicht. Pius XI. wird als Seine Heiligkeit bemüht. So viel Zeit muss sein. Der Autor war Soldat.

Sehr verdienstvoll ist die Auflistung der Schallplattenaufnahmen, die an der zeitlich passenden Stelle in die jeweiligen Lebensstationen eingeordnet sind. Eine eigentliche Diskographie wird daraus nicht entwickelt, was schade ist, dem Buch gut zu Gesicht gestanden und es doch noch wichtig gemacht hätte. Für eine Diskographie fehlen zu viele weiterführende Angaben und die Katalognummern. Das Schallplattenerbe Taubers ist so gewaltig wie unübersichtlich. Manche Titel gibt es mehrfach, worauf auch verwiesen wird. Sammler werden also weiterhin mit der Lupe über ihren eigenen Beständen brüten und versuchen, wenigstens eine Grundordnung herzustellen. Nicht alle Einspielungen zeigen Tauber auf der Höhe seines Könnens. Es ist viel Lässliches, Uninspiriertes dabei. Hatte er keine Lust, fühlte er sich nicht aufgelegt, so ist das auch zu herauszuhören. Das Buch ist keine Hilfe, Spreu vom Weizen zu trennen.

Im zweiten Teil lässt sich der Autor auf den Versuch ein, „das Besondere an Richard Tauber“ aufzuspüren – darunter „Stimme und Bühnenausdruck“. Dabei nimmt er auffallend häufig Zuflucht zu Aussagen und Meinungen anderer, zitiert sich durch Kritiken, Zeitungsartikel und Bücher. Es bleibt unklar, was Sollfrank selbst empfindet, wenn er die Stimme Taubers hört, wie er sie bewertet und einordnet, welchen Rang er ihr gibt. Symptomatisch für dieses Manko scheint mir eine Bemerkung an anderer Stelle, wo er auf die erste Begegnung Taubers mit seiner späteren Frau, der Sängerin Carlotta Vanconti, die ihn nach der Scheidung in schwere finanzielle Bedrängnis bringen sollte, zu sprechen kommt. Diese habe über „eine durchaus gepflegte Sopranstimme“ verfügt. Damit ist überhaupt nichts gesagt, es kann alles bedeuten und nichts. Positiv anzumerken sind das Rollenverzeichnis, die Liste der Filme mit Tauber, geordnet nach Premierendatum und eine Aufstellung seiner eigenen nachweisbaren Kompositionen, wobei nicht klar wird, was künstlerisch davon zu halten ist und welche Werke es auf Tonträger geschafft haben.

„Der Mensch Richard Tauber“: Auf Seite 445 endlich dann doch noch das Bemühen, dem Sänger unter dieser wie aus Holz geschnitzten Überschrift etwas näher zu kommen. Mit gemischten Ergebnissen, stilistisch mager. Immer wieder entsteht der Eindruck – wie schon auf einer der ersten Seiten des Buches – als sei der Autor bei bestimmten Ereignissen dabei gewesen, wenn nämlich Vater Tauber mit dem Sohn „ein ernstes Wort“ sprach, das offenbar lediglich auf einer Annahme beruht, nicht aber auf verbürgten Quellen. Anhänge mit vielen Fotos und Faksimiles vermitteln dann doch noch so etwas wie Sinnlichkeit, die für Tauber angebracht erscheint. Auf diesen Seiten habe ich sehr gern verweilt. Trotz aller Einwände, es ist ein Buch der Verehrung des Autors für seinen Helden. So viel Fleiß, so viel Ausdauer – das kann nur Liebe sein. Deshalb möchte ich es auch all jenem empfehlen, die sich mit Richard Tauber beschäftigen und sich bereits gut auskennen in seiner Lebensgeschichte. Wenn auch dieser und jener ungenaue Punkt in dieser Biographie nun korrigiert wurde, für eine erste Begegnung mit diesem Tenor, also zum Kennenlernen, genügt es nicht.

Rüdiger Winter

Martin Sollfrank: Musik war sein Leben – Richard Tauber – Weltstar des 20. Jahrhunderts Ausführliche biografische Dokumentation mit einem Nachwort von Stefan Frey, 527 Seiten mit Anhang und zahlreichen Fotos, Weltbuch Verlag, ISBN 978-3-906212-05-0

 

Klänge der Heimat

Rafael Kubelik – Legendary and Rare Recordings: Die neue Box von The Intense Media (600182) wird dem eigenen Anspruch mehr als gerecht. Um aus seinem umfangreichen Nachlass an Plattenaufnahmen eine Auswahl für zehn CDs zu treffen, ist ein klares Konzept gefragt. Das Label entschied sich – wohl auch aus rechtlichen Gründen – für die frühen Einspielungen. Eine gute Wahl. Dafür muss allerdings in Kauf genommen werden, dass es sich durchweg um Mono-Aufnahmen handelt. In diesem Fall stört das überhaupt nicht. Schließlich gibt es auch bei fast allen Werken die Alternative in breitestem Stereo.

Kubelik ist ein Weltbürger gewesen. Diese geistige Weitläufigkeit steckt in ihm, sie ist aus seinen Interpretationen heraus zu hören. 1948 hat er seine böhmische Heimat, die dem Stalinismus besonders heftig anheimgefallen war, Richtung USA verlassen. Er wirkte sehr nachhaltig in den großen Musikzentren der westlichen Welt und hatte eine lebenslange Neigung zur Oper. In London setzte er sich nachhaltig für Hector Berlioz und seine Troyens ein. Nach dem Zerfall des sozialistischen Regimes kehrte er 1990 im Triumph in seine Heimat zurück und eröffnete mit Smetanas Mein Vaterland das traditionsreiche Musikfestival „Prager Frühling“. Kubelik, seit 1973 schweizerischer Staatsbürger, fand auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag seine letzte Ruhe – in prominenter Gesellschaft. Die Destinn, Dvorák, Schmetana, der Maler Mucha und viele andere haben dort ihre Gräber.

Kubelik hat die Musik seiner Heimat mit in die Welt genommen. Das schlägt sich auch in seiner umfänglichen Diskographie nieder – und folglich auch in der Box. Immer wieder Dvorák. Er war für ihn wie eine Rückversicherung. In die Edition wurden die Sinfonien 7-9 übernommen, mit den Wiener Philharmonikern (7 und 9) und dem Philharmonia Orchestra London (8) eingespielt. Es klingt viel Schwermut an, der langsame zweite Satz der Sinfonie Aus der Neuen Welt ist in Teilen wie auf die Intimität eines Streichquartetts konzentriert. So zart dürfte dieses Largo mit seinen fast dreizehn Minuten selten geklungen haben. Hinzu kommen die Slawischen Tänze und das dunkel leuchtende Cello-Konzert. Die früheste Aufnahme in der Box ist die gelegentlich wild auffahrende üppige Tondichtung Hakon Jarl von Smetana, die thematisch der norwegischen Geschichte entlehnt ist, eingespielt 1945 mit dem Tschechischen Radio Symphony Orchester. Für ihr Alter klingt diese Aufnahme frisch und prachtvoll.

Einen gewichtigen Block für sich bilden die vier Sinfonien von Brahms, die Kubelik 1957 ebenfalls mit den Wiener Philharmonikern eingespielt hat. In der 3. Sinfonie, der sogenannten „Wiesbadener“, ist der Dirigent ganz in seinem Element. Clara Schumann hat die Sinfonie, die gelegentlich eines Kuraufenthaltes im Sommer 1883 in Wiesbaden entstand, so poetisch wie präzise in einem Brief an den Komponistenfreund beschrieben: „Wie ist man von Anfang bis zu Ende umfangen von dem geheimnisvollen Zauber des Waldlebens! Ich könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste. Im ersten entzückt mich schon gleich der Glanz des erwachten Tages, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet, das ist wonnig! Im zweiten die reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um einen herum, daß man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonne der Natur. Der dritte Satz scheint mir eine Perle, aber es ist eine graue, von einer Wehmutsträne umflossen; am Schluss die Modulation ist ganz wunderbar. Herrlich folgt dann der letzte Satz mit seinem leidenschaftlichen Aufschwung: Das erregte Herz wird aber bald wieder gesänftigt, zuletzt die Verklärung, die sogar in dem Durchführungs-Motiv in einer Schönheit auftritt, für die ich keine Antwort finde.“ Unter den Händen von Kubelik ist das alles ganz genau nachzuhören.

Rüdiger Winter

 

Poesie statt Gassenhauer

Ein Werk, das nicht auf Anhieb mit dem Dirigenten Günter Wand verbunden wird, ist Carmina Burana von Carl Orff. Das Label Profil Günter Hänssler hat die NDR-Produktion ausgegraben (PH 12054). Ein genaues Aufnahmedatum wurde nicht mitgeliefert. Im Kleingedruckt ist lediglich 1984 als Jahr der Veröffentlichung durch den Sender genannt. Viel älter dürfte die Aufnahme auch nicht sein. Wand hatte 1982 seinen Posten als Generalmusikdirektor des NDR-Sinfonieorchesters angetreten. Das war der Auftakt zu seiner Alterskarriere, die seinen legendären Ruhm, der auch zwölf Jahre nach seinem Tod noch anhält, begründen sollte. Seine Verehrer, die ohnehin alles mit ihm haben müssen, können sich freuen. Jene, die mit Wand nicht auf so vertrautem Fuß stehen, werden ihn womöglich gerade an Hand dieser Einspielung für sich entdecken. Ich sehe mich irgendwo dazwischen.

Mir geht nicht aus dem Sinn, wie Wand, dieser durchgeistigte zierliche alte Mann mit einer Präzision und Ausdauer das Orchester beieinander hielt und zu einem Ausdruck lenkte, wie er in diesem Moment nicht anders vorstellbar gewesen ist. Er diente der Musik. Konzerte, die ich erlebt habe, sind mir unvergesslich. Seither fällt es mir schwer, ihn „nur“ zu hören und beim Musizieren nicht auch noch leibhaftig zu sehen. Eine CD lässt keine andere Wahl. Seine Carmina kommt mir höchst konzentriert und geschlossen vor. Sie schielt nicht auf die spektakuläre Höhepunkte. Diese werden vielmehr sehr diskret im Kontext des Stückes platziert. Sie fallen nicht heraus. Wand gibt nicht den Gassenhauer. Er sucht und findet die Poesie und die dralle Lebenslust in Wort und Musik. Das über die Maßen strapazierte Werk empfinde ich unter seinen Händen als vergleichsweise maßvoll. Ich konnte es zeitweise wegen Überstrapazierung nicht mehr hören. Wand macht es mir wieder zugänglicher.

Für die Solisten hat es die 1937 in „dunkler“ Zeit uraufgeführte Kantate in sich. Sopran (Maria Venuti) und Tenor (Ulf Kenklies) müssen hoch hinaus, der Bariton (Peter Binder) hat auch gut zu tun. Die Venuti, eine US-Amerikanerin mit italienischen Wurzeln, macht ihre Sache perfekt und hat keinerlei Höhenprobleme, was wirklich etwas heißen will. Es gibt nicht sehr viele Dokumente mit ihr. Das gilt auch für Kenklies, der oft Bach gesungen hat. Als Schwan am Spieß brät er in seiner berühmten Szene „Olim lacus colueram“ tapfer, stilvoll und ohne Übertreibungen vor sich hin. Respekt! Binder bleibt auch nichts erspart. Er kann mit seinem sehr wandlungsfähigen Bariton gar dem Tenor Konkurrenz machen, so viel wird ihm abverlangt. Große Aufgaben hat der Chor. Er setzt sich aus dem Hamburger Knabenchor, Mitgliedern des Opernchors des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover und dem NDR-Chor zusammen. Der Klang der CD ist bestens.

Rüdiger Winter

 

 

Alpine Echos im Kinderzimmer

In der neuesten Staffel der Most-Wanted-Recitals der Decca geht es auf einigen CDs ausgesprochen beschaulich zu. Es gibt keine Leichen, niemand zückt den Dolch, der Giftbecher bleibt im Schrank. Alles, was in der Oper passieren kann, passiert diesmal nicht. In breitestem Stereo breitet sich das Panorama der Alpen aus. Eine akustische Postkarte, noch schöner als die Wirklichkeit. Ein Alphorn ruft. Wer das hört, packt schon mal die Koffer für die nächste Reise in die Schweiz. Musikalisch sind wir bereits mittendrin. Lisa della Casa und Vico Torriani singen Lieder aus unserer Heimat (480 8150).

della casa torrianiUnd wie sie singen. Mal aus der Ferne, mal ganz nah, mal sind sie ihr eigenes Echo. Sie werfen sich die Bälle zu, sind melancholisch, verliebt oder einfach nur bestens gelaunt. Sie passen erstaunlich gut zusammen mit ihren sehr klaren, von der Technik herausgestellten Stimmen, die legendäre Operndiva und der Schlagersänger, der sich gelegentlich auch als Fernsehkoch und Showmaster betätigte. Zunächst liegt das an der gemeinsamen Herkunft. Ob Swiizerdütsch, Italienisch oder Französisch. Sie singen, wie es kommt. Die Schweiz ist vielsprachig. Vor allem aber passen sie deshalb so gut zusammen, weil man ihnen das Volkslied auf der Alm am Ende des Tages doch nicht so richtig abnimmt. Sie spielen eine Rolle, an der sie Spaß haben – und schlafen doch nachts lieber in ihren weichen Betten als auf den harten Pritschen einer Hütte in den Bergen. Was Torrianis Hauptgeschäft war (Schlager und Hotellerie), ist bei Lisa della Casa, der unvergleichlichen Arabella, immer eine Sehnsucht gewesen, der sie gelegentlich nachgab. Sie liebte, was gemeinhin als die heitere Muse gilt. Sie trat in Operetten auf und sogar im „Blauen Bock“, der beliebten Samstagabendshow des Hessischen Rundfunks für die ganze Familie, wo die unverwüstliche Lia Wöhr Äppelwoi ausschenkte. Die etwas Älteren unter uns erinnern sich. Ich sehe sie vor mir mit ihrer betonierten Hochfrisur mit Kameralächeln, charmant und reserviert zugleich. Diese Volkslieder geisterten als bescheidene Kopie seit Jahren durch private Sammlungen. Nun also klingen sie wie neu, wie sie vielleicht nicht einmal auf der alten Platte klangen. Wie habe ich mich danach verzehrt. Nun höre ich die CD, bin zufrieden und um eine Illusion ärmer. Einmal mehr bewahrheitet sich der alte Spruch, dass die Sehnsucht unsere Seele nährt, nicht die Erfüllung.

Was die della Casa und Torriani höchst professionell hinlegen, missglückt der Holländerin Cristina Deutekom, die den Bonus mit einem Promenade Concert bestreitet. Es wurde eine Platte von 1972 hervorgekramt, die getrost hätte im Archiv bleiben können. Mir fällt die Vorstellung schwer, dass sie zwei Jahre später die Saison der Met als Elena in Verdis I vespri sicilani an der Seite von Plácido Domingo würde eröffnen. Wie denn das? Liegt es nur am vergeblichen Versuch, sich mit Liedern von Robert Stolz oder Peter Kreuder radebrechend wienerisch zu geben? Oder klirrt und tremoliert da etwas in den Höhen? An meinen Lautsprechern kann es nicht liegen. Die sind gut. Ich will der Gemeinde, die diese Sängerin immer noch haben dürfe, nicht zu nahe treten. Die Einspielung trägt nach meinem Urteil nicht zu ihrem Nachruhm bei. Decca scheint aber wild entschlossen, in der Most-Wanted-Reihe auch die falschen Perlen zu präsentieren. Wenn schon, denn schon! Auf zur nächsten CD, die es auch in sich hat.

gueden kinderliederHilde Gueden bäckt nämlich Kuchen. Die Gueden, die auch anders kann, gibt diesmal das kleine Mädchen. Wie niedlich. Dabei war sie Mitte Fünfzig, als sie im Wiener Sophiensaal ins Studio ging, um Kinderlieder aufzunehmen (480 8158). Stimmlich geht das fabelhaft. Sie muss sich nicht verstellen. Eine Art Kinderton war dieser Stimme seit jeher eigen. Er war ihr Markenzeichen. Selbst als Daphne oder Violetta Valery, erst Recht aber als Micaela oder Sophie schimmerte er durch. Ihr nimmt man die Kinderlieder ab. Ich wusste bislang nicht, dass es so eine Platte gegeben hatte, die nun auf CD gelangt es. Wundern tut es mich nicht. Es kann ja nicht verkehrt sein, solche Lieder, die auch allerhand Brauchtum verinnerlichen, am Klingen zu halten. „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen“. Warum eigentlich gerufen? Der Text, den man mitschreiben könnte, während sie singt, geht auf eine praktische Tradition zurück. Nachdem das Brot aus dem Ofen geholt war, signalisierten die Bäcker die Nachbarschaft mit einem Horn, dass sie den selbst gebackenen Kuchen brächten, um die restliche Wärme zu nutzen. Heute ließe sich das als ökologisch verkaufen. „Suse, liebe Suse“, „Es klappert die Mühle“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Alle meine Entchen“ … Und so geht lustig fort. Bei der „Vogelhochzeit“, die im schlimmsten Fall kein Ende nimmt, begnügt sich die Sängerin mit fünf Versen. Das reicht auch.

guedenAls Bonus werden Christmas Songs draufgepackt, die ebenfalls eine CD-Premiere sind. Sie stammen aus den frühen Jahren der Sängerin, von 1953, was auch zu hören ist. Ich habe schon mal hineingehört und kam mir vor, als würde ich jetzt schon heimlich Süßigkeiten naschen, die doch unter den Tannenbaum gehören. Weihnachten kann kommen. Im selben Jahr entstanden auch die Aufnahmen einer weiteren Gueden-CD. Sie besteht im Hauptteil aus Mozart. Ganz leicht schwebt Exsultate, jubilate, wenn da nicht die Koloraturen wären, über die rasch hinweg gehuscht wird. Sie sind nicht Sache der Gueden, wie es sich auch in der Arie „L’amerò, sarò cinstante“ aus Il ré patore zeigt. Pamina und Susanna liegen ihr mehr. Was als Bonus ausgewiesen ist, war einst Bestandteil der LP, aus der auch die ersten vier Szenen mit den Wiener Philharmonikern unter Josef Krips stammen. Obwohl die Ordnung in der ganzen Decca-Serie streng und abgezirkelt ist, gilt hier offenbar das Prinzip, die Nummern nach Dirigenten einzuteilen. Auf Krips folgt Clemens Krauss, der noch einmal die Gueden mit Mozart begleitet. Susanne kommt nun mit der so genannten Rosenarie zum Zuge, die genau so klingt wie der sanfte Cherubino. Wüsste man es nicht besser, es würde nicht klar, wer nun wer ist.

schlusnus deccaDrei Namen auf drei weiteren CDs stehen für Ernst und Würde: Heinrich Schlusnus, Hans Hotter und Hermann Prey. Alle drei singen Lieder. Schlusnus (480 8175) widmet sich hauptsächlich Franz Schubert. Als er damit in Wien bzw. in Genf für Decca engagiert wurde, war er Sechzig. Seine Glanzzeiten, in denen seine besten Liedaufnahmen entstanden, lagen hinter ihm. Seine Stimme ist müde geworden. Mit Technik gleicht er aus, was unwiederbringlich verloren ging. Er wählt ein sehr langsames Tempo, das gewöhnungsbedürftig ist. Mit dieser Drosselung gewinnt sein Bariton mehr Kraft. Steigerungen können sich in aller Ruhe aufbauen. Nach drei Liedern empfand ich das als sehr anstrengend, also zu gewollt. Deshalb empfiehlt es sich, die CD in Raten zu hören. Dann stellt sich der starke Eindruck von diesem Vortrag immer wieder aufs Neue ein und verbraucht sich nicht. Trotz aller Defizite hat sich aus den besseren Tagen ein Maß an Ausdruck erhalten, der für Schubert unabdingbar ist. Schlusnus wird von Sebastian Peschko begleitet, der als einer der bedeutendsten Vertreter seines Fachs gilt und sich als Rundfunkpionier unermüdlich für die Verbreitung klassischer Musik einsetzte. Als etwas abrupt wirkt nach so viel Lyrik der überwiegend dramatische Anhang, bestehend aus vier Opernszenen aus Fidelio („Ha! Welch ein Augenblick!“), Tannhäuser („Gar viel und schön“), Falstaff („He, holla! Wirtschaft!“) und Barbier von Bagdad („Heil, diesem Hause . . . Salam aleikum“) mit Otto Edelmann unter Rudolf Moralt von 1953 – etwas dumpfes Mono wie auch die Lieder mit Schlusnus.

hotter 2 deccaFür Hans Hotter (480 8160) kommen die Lieder, bei denen Geoffrey Parsons am Klavier sitzt, zu spät. Dafür klingen sie technisch um Längen besser. Sie wurden 1973 in Stereo aufgenommen. Mehr noch als Schlusnus rettet er sich in die Gestaltung. Was er dabei zustande bringt, grenzt an Wunder. Gelernt ist gelernt. Hotter verfügt über einen endlosen Vorrat an Farben. Er zwingt seinen von Haus aus schweren Heldenbariton gern ins feinste Piano, gibt jedem Wort seine Bedeutung, weil er weiß, was er singt. Dramatische Ausbrüche wie in Hugo Wolfs „Der verzweifelte Liebhaber“ gehen gar nicht mehr. Wenn er doch den feinsinnigen Wolf weggelassen hätte. „Wenn du zu den Blumen gehst“ und „Anakreons Grab“ sind doch nicht für diese Stimme, die ihren Kern verloren hatte. Balladen von Carl Loewe – darunter „Odins Meeresritt“ und „Hochzeitslied“ – gehen ihm viel von diesen Lippen, auch der oft dunkel versonnene Brahms gelingt noch hervorragend.

prey wolf deccaHermann Prey hat solche Probleme nicht. Er war Mitte Dreißig, als er gemeinsam mit Gerald Moore an seine Einspielungen ging. Er konnte aus dem Vollen seines gefälligen Baritons schöpfen. Das tut er auch. Auf der CD (480 8172) werden zwei Platten zusammengeworfen, die mit Abstand von einem knappen Jahr in London produziert wurden. Hugo Wolf und Richard Strauss halten sich mit je vierzehn Titeln die Waage. Der Rest stammt von Hans Pfitzner, den es gar nicht freuen würde, sich wieder einmal eingeklemmt zwischen die beiden zu sehen. Strauss gelingt famos. Prey legt in dessen Lieder jeden Überschwang, der sich denken lässt. Alles ist Gefühl. Nichts wird hinterfragt in diesen Texten, die meisten von Dahn und Bierbaum stammen. Also nicht von Goethe oder Heine. Prey gibt Strauss, was Strauss ist. Schönheit pur, angereichert mit einer Portion Schmalz. Selbst der weniger eingängige Wolf klingt bei Prey gefälliger als sonst.

Rüdiger Winter

 

Solist und Dirigent in einem

Karl Richter – Revealing Bach: Äußerlich lässt die mit achtzehn CDs bestückte Box kaum Erinnerungen an die schönen Schallplatten der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon aufkommen (482 0959). In Inneren schon. Denn die Aufnahmen sind ja dieselben geblieben. In wiefern aber die Ordnung und Konzeption der Platten auf CD übertragen wurde, lässt sich nicht bis in alle Einzelheiten nachvollziehen. Da gibt es neue Zusammenlegungen, weil auf eine CD nun mal viel mehr passt als auf die Platte. Der Ursprung der Archiv Produktionen reicht in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Es sollte zunächst versucht werden, Orgeln und wertvolle Instrumente, die nicht den Zerstörungen anheim gefallen waren, akustisch zu dokumentieren. Daraus wurde mit den Jahren eine monumentale Sammlung, die immer weiter über das ursprüngliche Ziel hinaus wuchs. Die ersten Aufnahmen erschienen noch auf Schelllack, die Hülle am Rand vernäht. So waren sie unverwechselbar und sehr haltbar zugleich. Beigegeben waren umfängliche, musikwissenschaftlich fundierte Informationsblätter. Ein großer Teil des Plattenbestands wurde im Laufe der auf CD übernommen. Nicht alles, was sich in der neuen Box findet, ist also CD-Premiere.

Jetzt geht die Suchereich und Sortiererei los. Was hat man schon, was ist neu aufgelegt? Die erhabene und groß angelegte h-Moll-Messe mit Maria Stader, Hertha Töpper, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau und Kieth Engen gibt es bereits als CD-Album. Warum wurde sie für die Box ausgewählt und nicht etwa die Matthäus-Passion? Ist da Zufall im Spiel? Eine Erklärung, für die auch das schmale Booklet Argumente liefert, könnte sein, dass Richter diesem Werk besonders zugetan gewesen ist. Er hat es im In- und Ausland um die neunzig Mal dirigiert. Erschwert wird die Übersicht, weil die Aufnahmedaten nicht den Tracklisten angefügt, sondern im Anhang versteckt sind. Wohl dem, der eine Lupe zur Hand hat! Muss das sein?

Für die neue Edition spricht, dass sie günstig zu haben ist. Das grenzt schon an Ausverkauf. Sale! So etwas zählt heutzutage auch – allerdings um den Preis, dass das ursprüngliche Konzept praktisch aufgegeben wurde, die Werke in mustergültigen Ausgaben vorzulegen und bekannt zu machen. Dieser Anspruch ist ohnehin nicht mehr haltbar, weil inzwischen Jahrzehnte ins Land gegangen sind. Mehr als fünfzig Jahre alt ist die Hohe Messe in h-Moll. Sie wurde 1961 in München produziert. Inzwischen ist die Bach-Forschung fortgeschritten, die Aufführungspraxis hat sich grundlegend geändert, die Erwartungen des Publikums sind anders geworden. Insofern ist aus der fortschrittlichen und maßstäblichen Archiv Produktion ein durch und durch historisches Monument geworden.

Für mich ist Bach ohne Karl Richter überhaupt nicht vorstellbar, denn ich bin mit ihm groß geworden. Er hat mein üppig gezeichnetes Bach-Bild geprägt. Dazu gehört auch die Vorstellung vom universalen Musiker, die ich in ihm immer verwirklicht sah. Mit dieser Archiv-Sammlung tritt dieses Phänomen deutlicher denn je hervor, weil Richter nicht nur als Dirigent der Messe, der Brandenburgischen Konzerte oder der Orchester-Suiten dokumentiert ist. Bei den Goldberg-Variationen sitzt er selbst am Cembalo. Er spielt und leitet zugleich die diverse Orchester-Konzerte, ist also Solist und Dirigent in einem.

Als Organist scheint er mir in seinem eigentlichen Element. An diesem Instrument machte sich Richter schon 1949 als Thomasorganist in Leipzig einen Namen. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Seine Vorliebe zu den Orgeln von Gottfried Silbermann mag seiner Herkunft geschuldet sein. Richter war wie Silbermann Sachse. Die Orgelkonzerte Nummer 1-6 (BWV 592-597) sind 1978 an der Silbermann-Orgel im Freiberger Dom aufgenommen worden. Damals gab es die DDR noch, der Richter 1951, also zwei Jahre nach ihrer Gründung, den Rücken gekehrt hatte. Seine Einkehr an der alten Wirkungsstätte für die Plattenaufnahme war also nicht selbstverständlich in Zeiten der deutschen Teilung. Sie hatte für ein gewisses Aufsehen gesorgt, das heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Für die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll, wählte Richter allerdings die Orgel in der Jaegersborg Kirche in Kopenhagen. In der Münchner Markus-Kirche, seinem „Stammhaus“, verfügte er gleich über zwei Orgeln, eine wurde extra für ihn gebaut. Sei üppiges und konzentriertes Spiel gefällt mir sehr. Es gibt Filme, die Richter an der Orgel zeigen. Sie sind sehr aufschlussreich, weil er mit einer solchen Leichtigkeit und Sicherheit das gewaltige Instrument zum Klingen bringt, als würde die Musik wie von selbst aus den Pfeifen strömen. Ich hatte bei ihm immer den Eindruck, als spiele sich die Orgel so einfach wie eine Blockflöte. Diese Mühelosigkeit ist ein Alleinstellungsmerkmal aller Aufnahmen der Sammlung. Sie ist unverwüstlich.

Bei den Sonaten für Flöte bzw. Violine und Cembalo holte sich Richter mit Auréle Nicolet (Flöte) und Wolfgang Schneiderhan (Violine) Partner erstens Ranges. Er hatte kein Problem mit solcher Konkurrenz. Es galt immer der Kunst. Einige Solisten, darunter auch Sänger wie die Töpper oder Engen, tauchen in seinem Umfeld und bei den Aufnahmen sehr oft auf. Er legte wohl Wert auf solche Verlässlichkeit. Wer einmal sein künstlerisches Vertrauen hatte, behielt es. Bei Richter habe ich eine Vorstellung davon bekommen, was Vollkommenheit in der Interpretation sein kann. Es geht nur so und nicht anders! Richter lässt da keinen Zweifel aufkommen. Man hört es ständig heraus, dass er von sich überzeugt gewesen ist. Es gibt keine Unsicherheiten, keine Ausrutscher. Deshalb ist er für mich nie eine Modeerscheinung gewesen, auch wenn sich Johann Sebastian Bach heute anders anhört als zu seiner Zeit. Nach seinem frühen Tod im Jahre 1981 ist er immer präsent geblieben durch seine vielen Aufnahmen, durch die starken Erinnerungen seines Publikums in aller Welt, durch Bücher und Filmdokumente. Seine Rastlosigkeit im künstlerischen Wirken bildet einen seltsamen Kontrast zur Ruhe seines musikalischen Stils. Und nun wieder eine umfängliche und empfehlenswerte Edition, die diesem Künstler neue Kränze flicht für die Ewigkeit.

Rüdiger Winter

 

Eine Offenbarung in Stereo

Es rast im Orchester. Zu wilder Hatz werden die Streicher angefacht. Ich kenne keine andere Musik, die die Flucht eines Menschen vor seinen Häschern so glaubhaft ausdrückt wie das Vorspiel zu Richard Wagners Walküre. Natürlich stellt sich diese Wirkung nicht von selbst ein. Es braucht den richtigen Dirigenten. Einen vom Schlage Georg Soltis. Der hat das Zeug dazu. Er holt aus den Musikern heraus, was möglich ist, legt im richtigen Moment lieber noch nach, als dass er zurück nimmt oder dämpft. Zurückhaltung ist seine Sache nicht in dieser Sturmmusik. Er haut drauf. Ich bekenne freimütig, dass mir das im Moment gefällt. Etwas anderes kommt gar nicht in Frage. So und nicht anders. Solti ist ein Verführer. Und er ist einer von den Männern am Pult, die mich live mehr ansprechen und überzeugen als im Studio, wo das Feuer, das er entfacht, nicht ganz so heiß ist wie bei einer Aufführung, für die er brennt.

Der Testament-Mitschnitt, um den es hier geht, stammt vom 2. Oktober 1961 aus dem Royal Opera House, Covent Gaden, London. Im gleichen Jahr hatte er sein Amt als Chef dieses Hauses angetreten, das er zehn Jahre lang innehatte. Was für ein fulminanter Auftakt, der seinen internationalen Ruf als Wagner-Dirigent entscheidend mitbestimmen sollte. Seine Einspielung des bis heute unerreichten Ring des Nibelungen mit den Wiener Philharmonikern hatte zwar bereits 1958 mit dem Rheingold begonnen. Erst 1965 – also vier Jahre nach Soltis Einstand in London – wurde sie mit der Walküre fortgesetzt. Bis auf Hans Hotter als Wotan gibt es zum Glück keine Überschneidungen mit der Studioproduktion. Selbstverständlich ist das nicht. Die Wagnersche Sängerelite reiste seinerzeit ständig um die Welt. An allen großen Häusern gab es deshalb ähnliche Besetzungen. Dank London ist die sängerische Vielfalt größer.

Hotter kommt ans Ende seiner Möglichkeiten, je weiter die Aufführung voran schreitet. Er klingt ziemlich hohl und fahl. Was er aber gestalterisch herausholt, gleicht manches stimmliche Manko aus. Seine Monologe sind wie Krimis. Er zwingt einen, dabei zu bleiben. Hotter ist weit davon entfernt, zum Problem des Mitschnitts zu werden. Er hat erstaunliche Reserven. Mit unerbittlicher Schärfe fährt Rita Gorr als Fricka auf und fällt etwas aus dem Rahmen – und ihrem Wotan hörbar auf die Nerven.

Anita Välkki/OBA

Anita Välkki/OBA

Anita Välkki, die ihre finnische Herkunft auch im Namen trägt, ist die Brünnhilde. Es war ihr erster Auftritt außerhalb Skandinaviens. Ihr leuchtender Sopran ließ aufhorchen. Sie verkörperte im Vergleich zu Mödl, Varnay und Nilsson einen neuen, jugendlichen Typ. Das kam an und gefiel. Sie blieb einige Jahre in London und wurde an viele Häuser weltweit engagiert. 1963 und im Folgejahr wurde sie zu den Bayreuther Festspielen eingeladen, wo sie aber nur die Walküren-Brünnhilde und die 3. Norn in der Götterdämmerung sang. Als Norn wirkte sie auch in der bereits erwähnten Studioaufnahme Soltis mit. Viel mehr Dokumente gibt es nicht. Was ihre weitere künstlerische Entwicklung anbelangt, ist die Nachwelt auf Mutmaßungen und persönliche Erinnerungen von Zeitzeugen angewiesen. Sie lässt sich nicht genau belegen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie schon 1961 über ihre Verhältnisse gesungen hat. Spitzentöne sind oft nicht kontinuierlich erzeugt. Sie reißt die Stimme nach oben, muss Kraft und Energie nachschießen. Ihr Deutsch ist für die damaligen Verhältnisse nicht gut genug. Im Ausdruck bleibt sie hinter den anderen Mitwirkenden um Längen zurück.

Den Ton der gesamten Produktion geben Jon Vickers und Claire Watson als Wälsungenpaar Siegmund und Sieglinde an. Bei beiden ist nicht nur jedes Wort zu verstehen, einschließlich der Konsonanten. Die Partien gehen ihnen wie von selbst über die Lippen. Nichts ist ertrotzt oder erzwungen, sie schöpfen aus dem Vollen. Es gibt nicht die geringsten Schwächen. Sie liefern absolut glaubhafte Rollenporträts ab. Wie Vickers mit seinen an sich ziemlich schweren Tenor Lyrik vom Feinsten erzeugt, macht Staunen. Er legt die gesamte Partie sehr verhalten an, weshalb die Todesverkündigung wie ein Nachtgesang schwebt. Dieses eine Mal hätte ich mir gewünscht, dass Siegmund überlebt. Es ist ein bisschen wie auf einer Partie, wenn der interessanteste Gast zu früh geht. Es wird langweiliger im dritten Aufzug. Michael Langdon, ein in London gefeierter Ochs auf Lerchenau kann als Hunding ziemlich finster und böse werden. Exklusiv ist das Walküren-Ensemble besetzt, darunter Marie Collier, Margareta Elkins und Josephine Veasey. Solti entfacht nicht nur hochdramatische Ausbrüche, er ist an den richtigen Stellen auch ein sehr diskreter Begleiter, der seine Sänger sicher durch den langen Abend trägt.

Der Mitschnitt ist bei Testament in Stereo erschien (SBT4 1495), obwohl auf der Hülle der Box von Mono die Rede ist. Wie bei diesem Label üblich, wird auch diesmal auf die Originalbänder zurückgegriffen, die bei der BBC liegen. In Sammlerkreisen ist die Aufnahme seit längerem, aber in weniger gutem Sound, in Umlauf. Sofort entsorgen! Was jetzt vorliegt, kommt einer Offenbarung gleich.

Rüdiger Winter

 

 

 

Mit der Geige überlebt

Immer wieder hört man von Musikkapellen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Inzwischen existiert auch Literatur darüber, wobei das hier zu würdigende Buch Musik in Auschwitz die wohl älteste Publikation ist. Der Text des Geigers und Komponisten Simon Laks ist schon in mehreren Sprachen und Auflagen verbreitet gewesen. Laks, der 1983 starb, hatte sowohl vor, als auch nach seiner Internierung in Auschwitz komponiert. Auszüge seiner Werke sind auf einer dem Buch beiliegenden CD zu hören und geben einen guten Eindruck seiner originellen Tonsprache, die sich nicht selten jüdischer Volksmusik bedient. Der früh nach Frankreich ausgewanderte Pole setzte nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager seine musikalische Tätigkeit fort.

Bemerkenswert ist der Ansatz dieses Buches: Der Autor vermeidet soweit möglich die Schilderung grausamer Details des Lagerlebens, überwölbt seine Erzählung vielmehr mit einer ironischen Distanz, die ihm wohl das Schreiben, und dem Leser die Lektüre erst möglich und erträglich machen. Auch in dieser Form verliert das, was Laks zu sagen hat, keineswegs an Schrecken. Was ihm gelingt, ist eine plausible Erklärung für die Existenz der Musikkapellen in den Lagern. Sie waren natürlich keineswegs zur Erbauung der Häftlinge gedacht, vielmehr dienten sie der Motivation des Personals, bis hinauf zu den höheren Chargen der SS. Laks räumt auf mit der sentimentalen Mähr, die Schönheit der Musik hätte auch den Geschundenen Trost gespendet. Nüchtern stellt er fest, dass die Musik größtenteils wohl schauderhaft schlecht geklungen hat, nur ein Teil der Kapellen waren jeweils Berufsmusiker, zudem fehlte es an Notenmaterial. Der Segen für die Musizierenden bestand in dem zumindest temporären Schutz vor Schwerstarbeit oder dem Weg ins Gas. Sie waren nicht so leicht zu ersetzen, und ihre Hände mussten für das Spiel geschont werden. Der Autor gehört zu den wenigen Glücklichen, denen durch die Musik in Auschwitz das Überleben gelang. Seine Schilderung ist ein bedeutendes Dokument, dem Musikverlag Boosey & Hawkes, der auch Laks‘ Musik verlegt, ist für diese Neuausgabe zu danken. (2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, 176 Seiten, ISBN 3793140822).

Peter Sommeregger