Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Ernstes Seelendrama

Der Dirigent Teodor Currentzis bringt es auf den Punkt: „Innerhalb eines einzigen Tages stolpern Leute, die für ihre Geliebten sterben würden, durch eine lächerliche Maskerade und heiraten am Ende ihnen sehr vertraute wildfremde Menschen.“ Keine schlechte Charakterisierung von Mozarts Oper Così fan tutte, vor allem genau das, was Teodor Currentzis in seiner nach dem Figaro mit Spannung erwarteten Einspielung daraus macht (Musicaeterna/Sony 88843095832). Nach dem ersten Durchhören war ich erst einmal erschlagen von so viel Gehörtem, das sich so drastisch von meinen bisherigen Così-Erfahrungen unterscheidet. Der Perfektionist Currentzis schwört sein Ensemble auf eine sehr leidenschaftliche, todernste Lesart dieser hintergründigen Komödie ein. Hier geht es von Beginn an um sehr viel mehr als hundert Zechinen für eine gewonnene Wette.

Teodor Corretzis/Robert Kittel/Sony

Teodor Currentzis vor dem Opernhaus in Perm/Robert Kittel/Sony

Mit einer Leidenschaftlichkeit, die man sonst eher im Don Giovanni verortet, stürzen sich die Protagonisten in das emotionale und musikalische Abenteuer, und nichts klingt, wie ich es gewohnt bin. Wie schon in seiner von mir eben hier hochgelobten Figaro-Einspielung setzt er statt des Cembalos ein Fortepiano für die Rezitativ-Begleitung ein, eine Entscheidung, die sehr positiven Einfluss auf den musikalischen Gesamteindruck hat. Zudem lässt er die Sänger in Verzierungen und Appoggiaturen geradezu schwelgen, aber nicht als Selbstzweck, immer auch als Stilmittel. Extrem die Tempi, aber auch sie stets einer übergeordneten Dramaturgie folgend, die aus dieser Oper das ganz große Seelendrama macht. Fiordiligis „Per pietà“ als langsamste, und die Einleitung zur Hochzeitsszene als schnellste Passage markieren die Extrempunkte dieser Interpretation, die vielleicht nicht Jedermanns Sache ist, mich persönlich aber voll überzeugt. Hier geht es um nichts weniger als das Seelenheil aller Charaktere.

Singt die Fiordiligi: Simone Kermern/Foto Strehlau/Sony

Singt die Fiordiligi: Simone Kermes/Foto Strehlau/Sony

Waren die Gesangssolisten noch die Schwachstelle der Figaro-Einspielung, agiert hier ein klug zusammengestelltes Ensemble mit zum Teil denselben Teilnehmern auf sehr hohem Niveau. Nach ihrer für mich großartigen Figaro-Gräfin gelingt Simone Kermes nun eine beseelte, vor Emotion förmlich berstende Fiordiligi, die ihre ohnehin schwierige Partie noch mit zahlreichen Verzierungen und Trillern schmückt. Im Timbre gut von ihr abgesetzt, aber nicht weniger virtuos die Dorabella der Schwedin Malena Ernman. Die sonst bei dieser Rolle auch gern überbetonte Koketterie bleibt sie weitgehend schuldig, und das ist Teil des dramaturgischen Konzepts. Selbst die Despina der Anna Kasyan kommt ernsthafter daher, als man es in dieser Rolle erwartet. Dafür liefert sie die für mich seit Lisa Otto bei Karajan I überzeugendsten Karikaturen des Doktors und Notars. Zweimal darf sie hell auflachen, in einer Weise, die das Herz wärmt. Auch die Besetzung der männlichen Rollen muss man als geglückt bezeichnen. Der Amerikaner Kenneth Tarver verfügt über einen tenore di grazia und weiß ihn gut einzusetzen. In manchen Passagen vielleicht ein wenig rau, aber auch das mag als Charakteristikum dieser Rolle durchgehen. Christopher Maltman, der erfahrene Don Giovanni, kehrt auch hier ein wenig den Macho hervor und bringt viel interessantes Timbre zum Einsatz, ist zudem stimmlich gut vom Alfonso des Konstantin Wolff zu unterscheiden. Der wird dem Konzept folgend ein wenig seiner Drahtzieher-Rolle beraubt. Currentzis lässt hier eher das Schicksal walten und der sehr zurückgenommene Schluss lässt auch akustisch ahnen, dass ein Happy-End in dieser Geschichte keine Option ist. Sehr viel mehr dramma als giocoso also.

Musicaeterna, das sind Orchester und Chor des Opernhauses Perm, folgt ihrem Chef in seiner sehr klaren und strengen

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Interpretation, besonders sei hier Maxim Emelyanychev am Fortepiano hervorgehoben. Man darf auf die Vollendung der Da-Ponte-Trilogie gespannt sein, der Don Giovanni wurde bereits vor wenigen Wochen in Perm eingespielt.

Peter Sommeregger

Fleiss allein reicht nicht

Sollten Sie wissen wollen, liebe Leser, in welcher Rolle Richard Tauber am 13. Januar 1914 auf der Bühne stand? Es war der Turiddu in Mascagnis Cavalleria Rusticana in der Königlichen Hofoper in Dresden. Und am 10. Februar 1938? An diesem Tag sang er Tamino in Mozarts Zauberflöte an der Wiener Staatsoper. Es gibt aber auch weniger harmlose Daten im Aufführungsverzeichnis des Tenors. Nachdem die deutsche Luftwaffe in der Nacht vom 29. auf dem 30. die schwersten Bombenangriffe auf London geflogen hatte, stand er tags darauf gut achtzig Kilometer entfernt im Hippodrom zu Brighton als Theaterprinz Sou Chong in Lehárs Land des Lächelns auf der Bühne. Wie kam das an? Hatten die Engländer nicht andere Sorgen? Oder war gerade solche Abwechslung willkommen in dieser Zeit? Antworten auf solche Fragen bleibt das Buch Musik war sein Leben – Richard Tauber – Weltstar des 20. Jahrhunderts von Martin Sollfrank schuldig. Vielmehr entsteht der Eindruck, als habe sich Tauber fröhlich durch die zwei größten Katastrophen der Neuzeit, den Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten und verheerenden Verwüstungen, gesungen.

Das ist mein Haupteinwand gegen dieses Buch, das sich einem hohen Anspruch stellt, den es letztlich aber nicht erfüllt. Es lege „Informationen über ein Künstlerleben offen, die man in dieser Fülle, Ausführlichkeit und Sachlichkeit bisher nirgends auf einen Blick erhalten konnte“, wird auf dem Buchdeckel geworben. Erstmals sei Tauber „nicht nur als Sänger, sondern als vielseitiger Musiker, der weltweit gewirkt hat, dargestellt“. Vermutungen und Interpretationen hätten keinen Platz. Was als Vorzug des Buches ausgegeben wird, halte ich für seine Schwäche. So verdienstvoll es ist, in jahrelanger Kleinarbeit alle nachweisbaren Auftritte Taubers zu dokumentieren, der Künstler und Mensch hinter diesen Fakten bleibt fremd.

Allzu Persönliches wird diskret gestreift oder anekdotisch verpackt. Richard Tauber, gefeiert wie kaum ein anderer Sänger vor und nach ihm, kurz nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten von einem SA-Trupp in Berlin als „Judenlümmel“ zusammengeschlagen, schließlich außer Landes getrieben – dieser tragische Lebenslauf erfährt allein durch Fakten keine Entsprechung. Da müsste schon tiefer gebohrt werden. Tauber sei absolut unpolitisch gewesen, heißt es erst zum Ende des Buches hin. Das hinderte ihn übrigens nicht daran, sich den Nationalsozialisten im Mai in einem Brief an das Reichsinnenministerium anzudienen. Solche Widersprüche werden nicht weiter verfolgt. Ich bekenne freimütig, mich nur mit Mühe und der Disziplin des Rezensenten durch die endlosen Listen von Auftritten gequält zu haben, die sich zudem sprachlich auf dünnem Eis bewegen. Wer soll das lesen? Für eine Verwendung des Materials zu Forschungszwecke mangelt es zu oft an akribischen Referenzen. Und an einem seriösen Apparat. Keine Konkordanz, kein Personenverzeichnis. Das ist zu wenig.

Fakten werden nicht selten einfach nur hingeworfen. Ein Beispiel auf Seite 73: „Im Theater an der Wien wurde am Nachmittag des 21. Oktober 1922 eine Festvorstellung für Carl Streitmann gegeben (,Die Fledermaus‘ von Johann Strauß, allerdings ohne Tauber) und anschließend eine Große Festakademie mit verschiedenen Künstlern aus Wiener Theaters. Dabei dirigierte Kammersänger Richard Tauber die ,Zigeunerbaron‘-Ouvertüre und sang zudem unter dem Dirigat Franz Lehárs.“ Wer war doch gleich dieser Streitmann? Ach, ja, ein österreichischer Tenor, (1858-1937), der erste Barinkay. Wer das nicht auf Anhieb weiß, muss sich weiterführende Angaben selbst besorgen. Das Buch, dem Stefan Frey im Vorwort „wissenschaftlichen Standard“ bescheinigt, liefert sie nicht. Es hat kein Personenregister, keine Fußnoten und keine Querverweise. Wenigstens ein summarisches Quellenverzeichnis ist vorhanden, das ist schon mal was. Es lässt die Leser mit einer schier endlosen Flut von Namen und Ereignissen allein. Dafür gibt es sich auffällig titelhörig. Papst reicht da nicht. Pius XI. wird als Seine Heiligkeit bemüht. So viel Zeit muss sein. Der Autor war Soldat.

Sehr verdienstvoll ist die Auflistung der Schallplattenaufnahmen, die an der zeitlich passenden Stelle in die jeweiligen Lebensstationen eingeordnet sind. Eine eigentliche Diskographie wird daraus nicht entwickelt, was schade ist, dem Buch gut zu Gesicht gestanden und es doch noch wichtig gemacht hätte. Für eine Diskographie fehlen zu viele weiterführende Angaben und die Katalognummern. Das Schallplattenerbe Taubers ist so gewaltig wie unübersichtlich. Manche Titel gibt es mehrfach, worauf auch verwiesen wird. Sammler werden also weiterhin mit der Lupe über ihren eigenen Beständen brüten und versuchen, wenigstens eine Grundordnung herzustellen. Nicht alle Einspielungen zeigen Tauber auf der Höhe seines Könnens. Es ist viel Lässliches, Uninspiriertes dabei. Hatte er keine Lust, fühlte er sich nicht aufgelegt, so ist das auch zu herauszuhören. Das Buch ist keine Hilfe, Spreu vom Weizen zu trennen.

Im zweiten Teil lässt sich der Autor auf den Versuch ein, „das Besondere an Richard Tauber“ aufzuspüren – darunter „Stimme und Bühnenausdruck“. Dabei nimmt er auffallend häufig Zuflucht zu Aussagen und Meinungen anderer, zitiert sich durch Kritiken, Zeitungsartikel und Bücher. Es bleibt unklar, was Sollfrank selbst empfindet, wenn er die Stimme Taubers hört, wie er sie bewertet und einordnet, welchen Rang er ihr gibt. Symptomatisch für dieses Manko scheint mir eine Bemerkung an anderer Stelle, wo er auf die erste Begegnung Taubers mit seiner späteren Frau, der Sängerin Carlotta Vanconti, die ihn nach der Scheidung in schwere finanzielle Bedrängnis bringen sollte, zu sprechen kommt. Diese habe über „eine durchaus gepflegte Sopranstimme“ verfügt. Damit ist überhaupt nichts gesagt, es kann alles bedeuten und nichts. Positiv anzumerken sind das Rollenverzeichnis, die Liste der Filme mit Tauber, geordnet nach Premierendatum und eine Aufstellung seiner eigenen nachweisbaren Kompositionen, wobei nicht klar wird, was künstlerisch davon zu halten ist und welche Werke es auf Tonträger geschafft haben.

„Der Mensch Richard Tauber“: Auf Seite 445 endlich dann doch noch das Bemühen, dem Sänger unter dieser wie aus Holz geschnitzten Überschrift etwas näher zu kommen. Mit gemischten Ergebnissen, stilistisch mager. Immer wieder entsteht der Eindruck – wie schon auf einer der ersten Seiten des Buches – als sei der Autor bei bestimmten Ereignissen dabei gewesen, wenn nämlich Vater Tauber mit dem Sohn „ein ernstes Wort“ sprach, das offenbar lediglich auf einer Annahme beruht, nicht aber auf verbürgten Quellen. Anhänge mit vielen Fotos und Faksimiles vermitteln dann doch noch so etwas wie Sinnlichkeit, die für Tauber angebracht erscheint. Auf diesen Seiten habe ich sehr gern verweilt. Trotz aller Einwände, es ist ein Buch der Verehrung des Autors für seinen Helden. So viel Fleiß, so viel Ausdauer – das kann nur Liebe sein. Deshalb möchte ich es auch all jenem empfehlen, die sich mit Richard Tauber beschäftigen und sich bereits gut auskennen in seiner Lebensgeschichte. Wenn auch dieser und jener ungenaue Punkt in dieser Biographie nun korrigiert wurde, für eine erste Begegnung mit diesem Tenor, also zum Kennenlernen, genügt es nicht.

Rüdiger Winter

Martin Sollfrank: Musik war sein Leben – Richard Tauber – Weltstar des 20. Jahrhunderts Ausführliche biografische Dokumentation mit einem Nachwort von Stefan Frey, 527 Seiten mit Anhang und zahlreichen Fotos, Weltbuch Verlag, ISBN 978-3-906212-05-0

 

Klänge der Heimat

Rafael Kubelik – Legendary and Rare Recordings: Die neue Box von The Intense Media (600182) wird dem eigenen Anspruch mehr als gerecht. Um aus seinem umfangreichen Nachlass an Plattenaufnahmen eine Auswahl für zehn CDs zu treffen, ist ein klares Konzept gefragt. Das Label entschied sich – wohl auch aus rechtlichen Gründen – für die frühen Einspielungen. Eine gute Wahl. Dafür muss allerdings in Kauf genommen werden, dass es sich durchweg um Mono-Aufnahmen handelt. In diesem Fall stört das überhaupt nicht. Schließlich gibt es auch bei fast allen Werken die Alternative in breitestem Stereo.

Kubelik ist ein Weltbürger gewesen. Diese geistige Weitläufigkeit steckt in ihm, sie ist aus seinen Interpretationen heraus zu hören. 1948 hat er seine böhmische Heimat, die dem Stalinismus besonders heftig anheimgefallen war, Richtung USA verlassen. Er wirkte sehr nachhaltig in den großen Musikzentren der westlichen Welt und hatte eine lebenslange Neigung zur Oper. In London setzte er sich nachhaltig für Hector Berlioz und seine Troyens ein. Nach dem Zerfall des sozialistischen Regimes kehrte er 1990 im Triumph in seine Heimat zurück und eröffnete mit Smetanas Mein Vaterland das traditionsreiche Musikfestival „Prager Frühling“. Kubelik, seit 1973 schweizerischer Staatsbürger, fand auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag seine letzte Ruhe – in prominenter Gesellschaft. Die Destinn, Dvorák, Schmetana, der Maler Mucha und viele andere haben dort ihre Gräber.

Kubelik hat die Musik seiner Heimat mit in die Welt genommen. Das schlägt sich auch in seiner umfänglichen Diskographie nieder – und folglich auch in der Box. Immer wieder Dvorák. Er war für ihn wie eine Rückversicherung. In die Edition wurden die Sinfonien 7-9 übernommen, mit den Wiener Philharmonikern (7 und 9) und dem Philharmonia Orchestra London (8) eingespielt. Es klingt viel Schwermut an, der langsame zweite Satz der Sinfonie Aus der Neuen Welt ist in Teilen wie auf die Intimität eines Streichquartetts konzentriert. So zart dürfte dieses Largo mit seinen fast dreizehn Minuten selten geklungen haben. Hinzu kommen die Slawischen Tänze und das dunkel leuchtende Cello-Konzert. Die früheste Aufnahme in der Box ist die gelegentlich wild auffahrende üppige Tondichtung Hakon Jarl von Smetana, die thematisch der norwegischen Geschichte entlehnt ist, eingespielt 1945 mit dem Tschechischen Radio Symphony Orchester. Für ihr Alter klingt diese Aufnahme frisch und prachtvoll.

Einen gewichtigen Block für sich bilden die vier Sinfonien von Brahms, die Kubelik 1957 ebenfalls mit den Wiener Philharmonikern eingespielt hat. In der 3. Sinfonie, der sogenannten „Wiesbadener“, ist der Dirigent ganz in seinem Element. Clara Schumann hat die Sinfonie, die gelegentlich eines Kuraufenthaltes im Sommer 1883 in Wiesbaden entstand, so poetisch wie präzise in einem Brief an den Komponistenfreund beschrieben: „Wie ist man von Anfang bis zu Ende umfangen von dem geheimnisvollen Zauber des Waldlebens! Ich könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste. Im ersten entzückt mich schon gleich der Glanz des erwachten Tages, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet, das ist wonnig! Im zweiten die reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um einen herum, daß man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonne der Natur. Der dritte Satz scheint mir eine Perle, aber es ist eine graue, von einer Wehmutsträne umflossen; am Schluss die Modulation ist ganz wunderbar. Herrlich folgt dann der letzte Satz mit seinem leidenschaftlichen Aufschwung: Das erregte Herz wird aber bald wieder gesänftigt, zuletzt die Verklärung, die sogar in dem Durchführungs-Motiv in einer Schönheit auftritt, für die ich keine Antwort finde.“ Unter den Händen von Kubelik ist das alles ganz genau nachzuhören.

Rüdiger Winter

 

Poesie statt Gassenhauer

Ein Werk, das nicht auf Anhieb mit dem Dirigenten Günter Wand verbunden wird, ist Carmina Burana von Carl Orff. Das Label Profil Günter Hänssler hat die NDR-Produktion ausgegraben (PH 12054). Ein genaues Aufnahmedatum wurde nicht mitgeliefert. Im Kleingedruckt ist lediglich 1984 als Jahr der Veröffentlichung durch den Sender genannt. Viel älter dürfte die Aufnahme auch nicht sein. Wand hatte 1982 seinen Posten als Generalmusikdirektor des NDR-Sinfonieorchesters angetreten. Das war der Auftakt zu seiner Alterskarriere, die seinen legendären Ruhm, der auch zwölf Jahre nach seinem Tod noch anhält, begründen sollte. Seine Verehrer, die ohnehin alles mit ihm haben müssen, können sich freuen. Jene, die mit Wand nicht auf so vertrautem Fuß stehen, werden ihn womöglich gerade an Hand dieser Einspielung für sich entdecken. Ich sehe mich irgendwo dazwischen.

Mir geht nicht aus dem Sinn, wie Wand, dieser durchgeistigte zierliche alte Mann mit einer Präzision und Ausdauer das Orchester beieinander hielt und zu einem Ausdruck lenkte, wie er in diesem Moment nicht anders vorstellbar gewesen ist. Er diente der Musik. Konzerte, die ich erlebt habe, sind mir unvergesslich. Seither fällt es mir schwer, ihn „nur“ zu hören und beim Musizieren nicht auch noch leibhaftig zu sehen. Eine CD lässt keine andere Wahl. Seine Carmina kommt mir höchst konzentriert und geschlossen vor. Sie schielt nicht auf die spektakuläre Höhepunkte. Diese werden vielmehr sehr diskret im Kontext des Stückes platziert. Sie fallen nicht heraus. Wand gibt nicht den Gassenhauer. Er sucht und findet die Poesie und die dralle Lebenslust in Wort und Musik. Das über die Maßen strapazierte Werk empfinde ich unter seinen Händen als vergleichsweise maßvoll. Ich konnte es zeitweise wegen Überstrapazierung nicht mehr hören. Wand macht es mir wieder zugänglicher.

Für die Solisten hat es die 1937 in „dunkler“ Zeit uraufgeführte Kantate in sich. Sopran (Maria Venuti) und Tenor (Ulf Kenklies) müssen hoch hinaus, der Bariton (Peter Binder) hat auch gut zu tun. Die Venuti, eine US-Amerikanerin mit italienischen Wurzeln, macht ihre Sache perfekt und hat keinerlei Höhenprobleme, was wirklich etwas heißen will. Es gibt nicht sehr viele Dokumente mit ihr. Das gilt auch für Kenklies, der oft Bach gesungen hat. Als Schwan am Spieß brät er in seiner berühmten Szene „Olim lacus colueram“ tapfer, stilvoll und ohne Übertreibungen vor sich hin. Respekt! Binder bleibt auch nichts erspart. Er kann mit seinem sehr wandlungsfähigen Bariton gar dem Tenor Konkurrenz machen, so viel wird ihm abverlangt. Große Aufgaben hat der Chor. Er setzt sich aus dem Hamburger Knabenchor, Mitgliedern des Opernchors des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover und dem NDR-Chor zusammen. Der Klang der CD ist bestens.

Rüdiger Winter

 

 

Alpine Echos im Kinderzimmer

In der neuesten Staffel der Most-Wanted-Recitals der Decca geht es auf einigen CDs ausgesprochen beschaulich zu. Es gibt keine Leichen, niemand zückt den Dolch, der Giftbecher bleibt im Schrank. Alles, was in der Oper passieren kann, passiert diesmal nicht. In breitestem Stereo breitet sich das Panorama der Alpen aus. Eine akustische Postkarte, noch schöner als die Wirklichkeit. Ein Alphorn ruft. Wer das hört, packt schon mal die Koffer für die nächste Reise in die Schweiz. Musikalisch sind wir bereits mittendrin. Lisa della Casa und Vico Torriani singen Lieder aus unserer Heimat (480 8150).

della casa torrianiUnd wie sie singen. Mal aus der Ferne, mal ganz nah, mal sind sie ihr eigenes Echo. Sie werfen sich die Bälle zu, sind melancholisch, verliebt oder einfach nur bestens gelaunt. Sie passen erstaunlich gut zusammen mit ihren sehr klaren, von der Technik herausgestellten Stimmen, die legendäre Operndiva und der Schlagersänger, der sich gelegentlich auch als Fernsehkoch und Showmaster betätigte. Zunächst liegt das an der gemeinsamen Herkunft. Ob Swiizerdütsch, Italienisch oder Französisch. Sie singen, wie es kommt. Die Schweiz ist vielsprachig. Vor allem aber passen sie deshalb so gut zusammen, weil man ihnen das Volkslied auf der Alm am Ende des Tages doch nicht so richtig abnimmt. Sie spielen eine Rolle, an der sie Spaß haben – und schlafen doch nachts lieber in ihren weichen Betten als auf den harten Pritschen einer Hütte in den Bergen. Was Torrianis Hauptgeschäft war (Schlager und Hotellerie), ist bei Lisa della Casa, der unvergleichlichen Arabella, immer eine Sehnsucht gewesen, der sie gelegentlich nachgab. Sie liebte, was gemeinhin als die heitere Muse gilt. Sie trat in Operetten auf und sogar im „Blauen Bock“, der beliebten Samstagabendshow des Hessischen Rundfunks für die ganze Familie, wo die unverwüstliche Lia Wöhr Äppelwoi ausschenkte. Die etwas Älteren unter uns erinnern sich. Ich sehe sie vor mir mit ihrer betonierten Hochfrisur mit Kameralächeln, charmant und reserviert zugleich. Diese Volkslieder geisterten als bescheidene Kopie seit Jahren durch private Sammlungen. Nun also klingen sie wie neu, wie sie vielleicht nicht einmal auf der alten Platte klangen. Wie habe ich mich danach verzehrt. Nun höre ich die CD, bin zufrieden und um eine Illusion ärmer. Einmal mehr bewahrheitet sich der alte Spruch, dass die Sehnsucht unsere Seele nährt, nicht die Erfüllung.

Was die della Casa und Torriani höchst professionell hinlegen, missglückt der Holländerin Cristina Deutekom, die den Bonus mit einem Promenade Concert bestreitet. Es wurde eine Platte von 1972 hervorgekramt, die getrost hätte im Archiv bleiben können. Mir fällt die Vorstellung schwer, dass sie zwei Jahre später die Saison der Met als Elena in Verdis I vespri sicilani an der Seite von Plácido Domingo würde eröffnen. Wie denn das? Liegt es nur am vergeblichen Versuch, sich mit Liedern von Robert Stolz oder Peter Kreuder radebrechend wienerisch zu geben? Oder klirrt und tremoliert da etwas in den Höhen? An meinen Lautsprechern kann es nicht liegen. Die sind gut. Ich will der Gemeinde, die diese Sängerin immer noch haben dürfe, nicht zu nahe treten. Die Einspielung trägt nach meinem Urteil nicht zu ihrem Nachruhm bei. Decca scheint aber wild entschlossen, in der Most-Wanted-Reihe auch die falschen Perlen zu präsentieren. Wenn schon, denn schon! Auf zur nächsten CD, die es auch in sich hat.

gueden kinderliederHilde Gueden bäckt nämlich Kuchen. Die Gueden, die auch anders kann, gibt diesmal das kleine Mädchen. Wie niedlich. Dabei war sie Mitte Fünfzig, als sie im Wiener Sophiensaal ins Studio ging, um Kinderlieder aufzunehmen (480 8158). Stimmlich geht das fabelhaft. Sie muss sich nicht verstellen. Eine Art Kinderton war dieser Stimme seit jeher eigen. Er war ihr Markenzeichen. Selbst als Daphne oder Violetta Valery, erst Recht aber als Micaela oder Sophie schimmerte er durch. Ihr nimmt man die Kinderlieder ab. Ich wusste bislang nicht, dass es so eine Platte gegeben hatte, die nun auf CD gelangt es. Wundern tut es mich nicht. Es kann ja nicht verkehrt sein, solche Lieder, die auch allerhand Brauchtum verinnerlichen, am Klingen zu halten. „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen“. Warum eigentlich gerufen? Der Text, den man mitschreiben könnte, während sie singt, geht auf eine praktische Tradition zurück. Nachdem das Brot aus dem Ofen geholt war, signalisierten die Bäcker die Nachbarschaft mit einem Horn, dass sie den selbst gebackenen Kuchen brächten, um die restliche Wärme zu nutzen. Heute ließe sich das als ökologisch verkaufen. „Suse, liebe Suse“, „Es klappert die Mühle“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Alle meine Entchen“ … Und so geht lustig fort. Bei der „Vogelhochzeit“, die im schlimmsten Fall kein Ende nimmt, begnügt sich die Sängerin mit fünf Versen. Das reicht auch.

guedenAls Bonus werden Christmas Songs draufgepackt, die ebenfalls eine CD-Premiere sind. Sie stammen aus den frühen Jahren der Sängerin, von 1953, was auch zu hören ist. Ich habe schon mal hineingehört und kam mir vor, als würde ich jetzt schon heimlich Süßigkeiten naschen, die doch unter den Tannenbaum gehören. Weihnachten kann kommen. Im selben Jahr entstanden auch die Aufnahmen einer weiteren Gueden-CD. Sie besteht im Hauptteil aus Mozart. Ganz leicht schwebt Exsultate, jubilate, wenn da nicht die Koloraturen wären, über die rasch hinweg gehuscht wird. Sie sind nicht Sache der Gueden, wie es sich auch in der Arie „L’amerò, sarò cinstante“ aus Il ré patore zeigt. Pamina und Susanna liegen ihr mehr. Was als Bonus ausgewiesen ist, war einst Bestandteil der LP, aus der auch die ersten vier Szenen mit den Wiener Philharmonikern unter Josef Krips stammen. Obwohl die Ordnung in der ganzen Decca-Serie streng und abgezirkelt ist, gilt hier offenbar das Prinzip, die Nummern nach Dirigenten einzuteilen. Auf Krips folgt Clemens Krauss, der noch einmal die Gueden mit Mozart begleitet. Susanne kommt nun mit der so genannten Rosenarie zum Zuge, die genau so klingt wie der sanfte Cherubino. Wüsste man es nicht besser, es würde nicht klar, wer nun wer ist.

schlusnus deccaDrei Namen auf drei weiteren CDs stehen für Ernst und Würde: Heinrich Schlusnus, Hans Hotter und Hermann Prey. Alle drei singen Lieder. Schlusnus (480 8175) widmet sich hauptsächlich Franz Schubert. Als er damit in Wien bzw. in Genf für Decca engagiert wurde, war er Sechzig. Seine Glanzzeiten, in denen seine besten Liedaufnahmen entstanden, lagen hinter ihm. Seine Stimme ist müde geworden. Mit Technik gleicht er aus, was unwiederbringlich verloren ging. Er wählt ein sehr langsames Tempo, das gewöhnungsbedürftig ist. Mit dieser Drosselung gewinnt sein Bariton mehr Kraft. Steigerungen können sich in aller Ruhe aufbauen. Nach drei Liedern empfand ich das als sehr anstrengend, also zu gewollt. Deshalb empfiehlt es sich, die CD in Raten zu hören. Dann stellt sich der starke Eindruck von diesem Vortrag immer wieder aufs Neue ein und verbraucht sich nicht. Trotz aller Defizite hat sich aus den besseren Tagen ein Maß an Ausdruck erhalten, der für Schubert unabdingbar ist. Schlusnus wird von Sebastian Peschko begleitet, der als einer der bedeutendsten Vertreter seines Fachs gilt und sich als Rundfunkpionier unermüdlich für die Verbreitung klassischer Musik einsetzte. Als etwas abrupt wirkt nach so viel Lyrik der überwiegend dramatische Anhang, bestehend aus vier Opernszenen aus Fidelio („Ha! Welch ein Augenblick!“), Tannhäuser („Gar viel und schön“), Falstaff („He, holla! Wirtschaft!“) und Barbier von Bagdad („Heil, diesem Hause . . . Salam aleikum“) mit Otto Edelmann unter Rudolf Moralt von 1953 – etwas dumpfes Mono wie auch die Lieder mit Schlusnus.

hotter 2 deccaFür Hans Hotter (480 8160) kommen die Lieder, bei denen Geoffrey Parsons am Klavier sitzt, zu spät. Dafür klingen sie technisch um Längen besser. Sie wurden 1973 in Stereo aufgenommen. Mehr noch als Schlusnus rettet er sich in die Gestaltung. Was er dabei zustande bringt, grenzt an Wunder. Gelernt ist gelernt. Hotter verfügt über einen endlosen Vorrat an Farben. Er zwingt seinen von Haus aus schweren Heldenbariton gern ins feinste Piano, gibt jedem Wort seine Bedeutung, weil er weiß, was er singt. Dramatische Ausbrüche wie in Hugo Wolfs „Der verzweifelte Liebhaber“ gehen gar nicht mehr. Wenn er doch den feinsinnigen Wolf weggelassen hätte. „Wenn du zu den Blumen gehst“ und „Anakreons Grab“ sind doch nicht für diese Stimme, die ihren Kern verloren hatte. Balladen von Carl Loewe – darunter „Odins Meeresritt“ und „Hochzeitslied“ – gehen ihm viel von diesen Lippen, auch der oft dunkel versonnene Brahms gelingt noch hervorragend.

prey wolf deccaHermann Prey hat solche Probleme nicht. Er war Mitte Dreißig, als er gemeinsam mit Gerald Moore an seine Einspielungen ging. Er konnte aus dem Vollen seines gefälligen Baritons schöpfen. Das tut er auch. Auf der CD (480 8172) werden zwei Platten zusammengeworfen, die mit Abstand von einem knappen Jahr in London produziert wurden. Hugo Wolf und Richard Strauss halten sich mit je vierzehn Titeln die Waage. Der Rest stammt von Hans Pfitzner, den es gar nicht freuen würde, sich wieder einmal eingeklemmt zwischen die beiden zu sehen. Strauss gelingt famos. Prey legt in dessen Lieder jeden Überschwang, der sich denken lässt. Alles ist Gefühl. Nichts wird hinterfragt in diesen Texten, die meisten von Dahn und Bierbaum stammen. Also nicht von Goethe oder Heine. Prey gibt Strauss, was Strauss ist. Schönheit pur, angereichert mit einer Portion Schmalz. Selbst der weniger eingängige Wolf klingt bei Prey gefälliger als sonst.

Rüdiger Winter

 

Solist und Dirigent in einem

Karl Richter – Revealing Bach: Äußerlich lässt die mit achtzehn CDs bestückte Box kaum Erinnerungen an die schönen Schallplatten der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon aufkommen (482 0959). In Inneren schon. Denn die Aufnahmen sind ja dieselben geblieben. In wiefern aber die Ordnung und Konzeption der Platten auf CD übertragen wurde, lässt sich nicht bis in alle Einzelheiten nachvollziehen. Da gibt es neue Zusammenlegungen, weil auf eine CD nun mal viel mehr passt als auf die Platte. Der Ursprung der Archiv Produktionen reicht in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Es sollte zunächst versucht werden, Orgeln und wertvolle Instrumente, die nicht den Zerstörungen anheim gefallen waren, akustisch zu dokumentieren. Daraus wurde mit den Jahren eine monumentale Sammlung, die immer weiter über das ursprüngliche Ziel hinaus wuchs. Die ersten Aufnahmen erschienen noch auf Schelllack, die Hülle am Rand vernäht. So waren sie unverwechselbar und sehr haltbar zugleich. Beigegeben waren umfängliche, musikwissenschaftlich fundierte Informationsblätter. Ein großer Teil des Plattenbestands wurde im Laufe der auf CD übernommen. Nicht alles, was sich in der neuen Box findet, ist also CD-Premiere.

Jetzt geht die Suchereich und Sortiererei los. Was hat man schon, was ist neu aufgelegt? Die erhabene und groß angelegte h-Moll-Messe mit Maria Stader, Hertha Töpper, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau und Kieth Engen gibt es bereits als CD-Album. Warum wurde sie für die Box ausgewählt und nicht etwa die Matthäus-Passion? Ist da Zufall im Spiel? Eine Erklärung, für die auch das schmale Booklet Argumente liefert, könnte sein, dass Richter diesem Werk besonders zugetan gewesen ist. Er hat es im In- und Ausland um die neunzig Mal dirigiert. Erschwert wird die Übersicht, weil die Aufnahmedaten nicht den Tracklisten angefügt, sondern im Anhang versteckt sind. Wohl dem, der eine Lupe zur Hand hat! Muss das sein?

Für die neue Edition spricht, dass sie günstig zu haben ist. Das grenzt schon an Ausverkauf. Sale! So etwas zählt heutzutage auch – allerdings um den Preis, dass das ursprüngliche Konzept praktisch aufgegeben wurde, die Werke in mustergültigen Ausgaben vorzulegen und bekannt zu machen. Dieser Anspruch ist ohnehin nicht mehr haltbar, weil inzwischen Jahrzehnte ins Land gegangen sind. Mehr als fünfzig Jahre alt ist die Hohe Messe in h-Moll. Sie wurde 1961 in München produziert. Inzwischen ist die Bach-Forschung fortgeschritten, die Aufführungspraxis hat sich grundlegend geändert, die Erwartungen des Publikums sind anders geworden. Insofern ist aus der fortschrittlichen und maßstäblichen Archiv Produktion ein durch und durch historisches Monument geworden.

Für mich ist Bach ohne Karl Richter überhaupt nicht vorstellbar, denn ich bin mit ihm groß geworden. Er hat mein üppig gezeichnetes Bach-Bild geprägt. Dazu gehört auch die Vorstellung vom universalen Musiker, die ich in ihm immer verwirklicht sah. Mit dieser Archiv-Sammlung tritt dieses Phänomen deutlicher denn je hervor, weil Richter nicht nur als Dirigent der Messe, der Brandenburgischen Konzerte oder der Orchester-Suiten dokumentiert ist. Bei den Goldberg-Variationen sitzt er selbst am Cembalo. Er spielt und leitet zugleich die diverse Orchester-Konzerte, ist also Solist und Dirigent in einem.

Als Organist scheint er mir in seinem eigentlichen Element. An diesem Instrument machte sich Richter schon 1949 als Thomasorganist in Leipzig einen Namen. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Seine Vorliebe zu den Orgeln von Gottfried Silbermann mag seiner Herkunft geschuldet sein. Richter war wie Silbermann Sachse. Die Orgelkonzerte Nummer 1-6 (BWV 592-597) sind 1978 an der Silbermann-Orgel im Freiberger Dom aufgenommen worden. Damals gab es die DDR noch, der Richter 1951, also zwei Jahre nach ihrer Gründung, den Rücken gekehrt hatte. Seine Einkehr an der alten Wirkungsstätte für die Plattenaufnahme war also nicht selbstverständlich in Zeiten der deutschen Teilung. Sie hatte für ein gewisses Aufsehen gesorgt, das heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Für die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll, wählte Richter allerdings die Orgel in der Jaegersborg Kirche in Kopenhagen. In der Münchner Markus-Kirche, seinem „Stammhaus“, verfügte er gleich über zwei Orgeln, eine wurde extra für ihn gebaut. Sei üppiges und konzentriertes Spiel gefällt mir sehr. Es gibt Filme, die Richter an der Orgel zeigen. Sie sind sehr aufschlussreich, weil er mit einer solchen Leichtigkeit und Sicherheit das gewaltige Instrument zum Klingen bringt, als würde die Musik wie von selbst aus den Pfeifen strömen. Ich hatte bei ihm immer den Eindruck, als spiele sich die Orgel so einfach wie eine Blockflöte. Diese Mühelosigkeit ist ein Alleinstellungsmerkmal aller Aufnahmen der Sammlung. Sie ist unverwüstlich.

Bei den Sonaten für Flöte bzw. Violine und Cembalo holte sich Richter mit Auréle Nicolet (Flöte) und Wolfgang Schneiderhan (Violine) Partner erstens Ranges. Er hatte kein Problem mit solcher Konkurrenz. Es galt immer der Kunst. Einige Solisten, darunter auch Sänger wie die Töpper oder Engen, tauchen in seinem Umfeld und bei den Aufnahmen sehr oft auf. Er legte wohl Wert auf solche Verlässlichkeit. Wer einmal sein künstlerisches Vertrauen hatte, behielt es. Bei Richter habe ich eine Vorstellung davon bekommen, was Vollkommenheit in der Interpretation sein kann. Es geht nur so und nicht anders! Richter lässt da keinen Zweifel aufkommen. Man hört es ständig heraus, dass er von sich überzeugt gewesen ist. Es gibt keine Unsicherheiten, keine Ausrutscher. Deshalb ist er für mich nie eine Modeerscheinung gewesen, auch wenn sich Johann Sebastian Bach heute anders anhört als zu seiner Zeit. Nach seinem frühen Tod im Jahre 1981 ist er immer präsent geblieben durch seine vielen Aufnahmen, durch die starken Erinnerungen seines Publikums in aller Welt, durch Bücher und Filmdokumente. Seine Rastlosigkeit im künstlerischen Wirken bildet einen seltsamen Kontrast zur Ruhe seines musikalischen Stils. Und nun wieder eine umfängliche und empfehlenswerte Edition, die diesem Künstler neue Kränze flicht für die Ewigkeit.

Rüdiger Winter

 

Eine Offenbarung in Stereo

Es rast im Orchester. Zu wilder Hatz werden die Streicher angefacht. Ich kenne keine andere Musik, die die Flucht eines Menschen vor seinen Häschern so glaubhaft ausdrückt wie das Vorspiel zu Richard Wagners Walküre. Natürlich stellt sich diese Wirkung nicht von selbst ein. Es braucht den richtigen Dirigenten. Einen vom Schlage Georg Soltis. Der hat das Zeug dazu. Er holt aus den Musikern heraus, was möglich ist, legt im richtigen Moment lieber noch nach, als dass er zurück nimmt oder dämpft. Zurückhaltung ist seine Sache nicht in dieser Sturmmusik. Er haut drauf. Ich bekenne freimütig, dass mir das im Moment gefällt. Etwas anderes kommt gar nicht in Frage. So und nicht anders. Solti ist ein Verführer. Und er ist einer von den Männern am Pult, die mich live mehr ansprechen und überzeugen als im Studio, wo das Feuer, das er entfacht, nicht ganz so heiß ist wie bei einer Aufführung, für die er brennt.

Der Testament-Mitschnitt, um den es hier geht, stammt vom 2. Oktober 1961 aus dem Royal Opera House, Covent Gaden, London. Im gleichen Jahr hatte er sein Amt als Chef dieses Hauses angetreten, das er zehn Jahre lang innehatte. Was für ein fulminanter Auftakt, der seinen internationalen Ruf als Wagner-Dirigent entscheidend mitbestimmen sollte. Seine Einspielung des bis heute unerreichten Ring des Nibelungen mit den Wiener Philharmonikern hatte zwar bereits 1958 mit dem Rheingold begonnen. Erst 1965 – also vier Jahre nach Soltis Einstand in London – wurde sie mit der Walküre fortgesetzt. Bis auf Hans Hotter als Wotan gibt es zum Glück keine Überschneidungen mit der Studioproduktion. Selbstverständlich ist das nicht. Die Wagnersche Sängerelite reiste seinerzeit ständig um die Welt. An allen großen Häusern gab es deshalb ähnliche Besetzungen. Dank London ist die sängerische Vielfalt größer.

Hotter kommt ans Ende seiner Möglichkeiten, je weiter die Aufführung voran schreitet. Er klingt ziemlich hohl und fahl. Was er aber gestalterisch herausholt, gleicht manches stimmliche Manko aus. Seine Monologe sind wie Krimis. Er zwingt einen, dabei zu bleiben. Hotter ist weit davon entfernt, zum Problem des Mitschnitts zu werden. Er hat erstaunliche Reserven. Mit unerbittlicher Schärfe fährt Rita Gorr als Fricka auf und fällt etwas aus dem Rahmen – und ihrem Wotan hörbar auf die Nerven.

Anita Välkki/OBA

Anita Välkki/OBA

Anita Välkki, die ihre finnische Herkunft auch im Namen trägt, ist die Brünnhilde. Es war ihr erster Auftritt außerhalb Skandinaviens. Ihr leuchtender Sopran ließ aufhorchen. Sie verkörperte im Vergleich zu Mödl, Varnay und Nilsson einen neuen, jugendlichen Typ. Das kam an und gefiel. Sie blieb einige Jahre in London und wurde an viele Häuser weltweit engagiert. 1963 und im Folgejahr wurde sie zu den Bayreuther Festspielen eingeladen, wo sie aber nur die Walküren-Brünnhilde und die 3. Norn in der Götterdämmerung sang. Als Norn wirkte sie auch in der bereits erwähnten Studioaufnahme Soltis mit. Viel mehr Dokumente gibt es nicht. Was ihre weitere künstlerische Entwicklung anbelangt, ist die Nachwelt auf Mutmaßungen und persönliche Erinnerungen von Zeitzeugen angewiesen. Sie lässt sich nicht genau belegen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie schon 1961 über ihre Verhältnisse gesungen hat. Spitzentöne sind oft nicht kontinuierlich erzeugt. Sie reißt die Stimme nach oben, muss Kraft und Energie nachschießen. Ihr Deutsch ist für die damaligen Verhältnisse nicht gut genug. Im Ausdruck bleibt sie hinter den anderen Mitwirkenden um Längen zurück.

Den Ton der gesamten Produktion geben Jon Vickers und Claire Watson als Wälsungenpaar Siegmund und Sieglinde an. Bei beiden ist nicht nur jedes Wort zu verstehen, einschließlich der Konsonanten. Die Partien gehen ihnen wie von selbst über die Lippen. Nichts ist ertrotzt oder erzwungen, sie schöpfen aus dem Vollen. Es gibt nicht die geringsten Schwächen. Sie liefern absolut glaubhafte Rollenporträts ab. Wie Vickers mit seinen an sich ziemlich schweren Tenor Lyrik vom Feinsten erzeugt, macht Staunen. Er legt die gesamte Partie sehr verhalten an, weshalb die Todesverkündigung wie ein Nachtgesang schwebt. Dieses eine Mal hätte ich mir gewünscht, dass Siegmund überlebt. Es ist ein bisschen wie auf einer Partie, wenn der interessanteste Gast zu früh geht. Es wird langweiliger im dritten Aufzug. Michael Langdon, ein in London gefeierter Ochs auf Lerchenau kann als Hunding ziemlich finster und böse werden. Exklusiv ist das Walküren-Ensemble besetzt, darunter Marie Collier, Margareta Elkins und Josephine Veasey. Solti entfacht nicht nur hochdramatische Ausbrüche, er ist an den richtigen Stellen auch ein sehr diskreter Begleiter, der seine Sänger sicher durch den langen Abend trägt.

Der Mitschnitt ist bei Testament in Stereo erschien (SBT4 1495), obwohl auf der Hülle der Box von Mono die Rede ist. Wie bei diesem Label üblich, wird auch diesmal auf die Originalbänder zurückgegriffen, die bei der BBC liegen. In Sammlerkreisen ist die Aufnahme seit längerem, aber in weniger gutem Sound, in Umlauf. Sofort entsorgen! Was jetzt vorliegt, kommt einer Offenbarung gleich.

Rüdiger Winter

 

 

 

Mit der Geige überlebt

Immer wieder hört man von Musikkapellen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Inzwischen existiert auch Literatur darüber, wobei das hier zu würdigende Buch Musik in Auschwitz die wohl älteste Publikation ist. Der Text des Geigers und Komponisten Simon Laks ist schon in mehreren Sprachen und Auflagen verbreitet gewesen. Laks, der 1983 starb, hatte sowohl vor, als auch nach seiner Internierung in Auschwitz komponiert. Auszüge seiner Werke sind auf einer dem Buch beiliegenden CD zu hören und geben einen guten Eindruck seiner originellen Tonsprache, die sich nicht selten jüdischer Volksmusik bedient. Der früh nach Frankreich ausgewanderte Pole setzte nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager seine musikalische Tätigkeit fort.

Bemerkenswert ist der Ansatz dieses Buches: Der Autor vermeidet soweit möglich die Schilderung grausamer Details des Lagerlebens, überwölbt seine Erzählung vielmehr mit einer ironischen Distanz, die ihm wohl das Schreiben, und dem Leser die Lektüre erst möglich und erträglich machen. Auch in dieser Form verliert das, was Laks zu sagen hat, keineswegs an Schrecken. Was ihm gelingt, ist eine plausible Erklärung für die Existenz der Musikkapellen in den Lagern. Sie waren natürlich keineswegs zur Erbauung der Häftlinge gedacht, vielmehr dienten sie der Motivation des Personals, bis hinauf zu den höheren Chargen der SS. Laks räumt auf mit der sentimentalen Mähr, die Schönheit der Musik hätte auch den Geschundenen Trost gespendet. Nüchtern stellt er fest, dass die Musik größtenteils wohl schauderhaft schlecht geklungen hat, nur ein Teil der Kapellen waren jeweils Berufsmusiker, zudem fehlte es an Notenmaterial. Der Segen für die Musizierenden bestand in dem zumindest temporären Schutz vor Schwerstarbeit oder dem Weg ins Gas. Sie waren nicht so leicht zu ersetzen, und ihre Hände mussten für das Spiel geschont werden. Der Autor gehört zu den wenigen Glücklichen, denen durch die Musik in Auschwitz das Überleben gelang. Seine Schilderung ist ein bedeutendes Dokument, dem Musikverlag Boosey & Hawkes, der auch Laks‘ Musik verlegt, ist für diese Neuausgabe zu danken. (2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, 176 Seiten, ISBN 3793140822).

Peter Sommeregger

 

 

Musik, die aus der Kälte kam

Shakespeares „Othello“ und die „Schlacht von Stalingrad„: Passt das denn zusammen? Auf einer CD schon. Gut 63 Minuten. Da wäre noch Platz gewesen für anderes. Doch besser nicht. Die Rede ist von Filmmusiken, die der armenische Komponist Aram Khachaturian schrieb. An „Othello“ kann ich mich selbst noch sehr gut erinnern. Dieser Film lief einst in der DDR in jedem Kino. Bunt, sehr bunt und ernst und tragisch. Mehr Historiendrama als individuelle Liebestragödie. Charlie Chaplin sprach vom „größten historischen Film, der je gedreht wurde“. Nun ja. Chaplin hatte keine Berührungsängste mit den Russen im Kalten Krieg. Er zahlte dafür. Der Nähe zum Kommunismus verdächtigt, wurde ihm nach einem Auslandsaufenthalt 1952 Rückkehr in die USA verwehrt.

Dem Regisseur Sergej Jutkewitsch brachte der Film 1956 den Regiepreis von Cannes ein. Sergej Bondartschuk, später selbst ein bedeutender Regisseur, hatte die Titelrolle übernommen. Als Desdemona schien Irina Skobzewa wie aus einem Hollywood-Streifen entliehen. Für mich war dieser Othello die erste Begegnung mit Shakespeare. Und nicht die schlechteste. Sie saß, war elementar und gewaltig. Ich denke gern daran zurück und habe den Film erst kürzlich mit einiger Anteilnahme wiedergesehen, wenngleich sich die Wucht des ersten Eindrucks nicht mehr einstellte. Auch Filme haben ihre Halbwertzeit. Die Musik von Khachaturian lässt den Film historischer erscheinen, macht ihn zumindest nicht moderner. Beim Zuschauen wird sie eher als Untermalung wahrgenommen und stört nicht, beim Hören von der CD fehlt die Verbindung zur Handlung, wenngleich die einzelnen Titel inhaltliche Bezüge haben wie Venice oder Othellos Farewell from the Camp. Das reicht nicht. Desdemona hat sogar ein Arioso, das als Vokalisen von Jana Simcisko anrührend vorgetragen wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Musik über weite Strecken zwar sehr lyrisch aber auffallend wehleidig klingt. Im Finale tritt dann der unvermeidliche gefühlsreiche Chor – auch mit Vokalisen – hinzu. Wortlos klagt es sich besser. Der Komponisten hält sich sehr zurück, trumpft nicht so berauscht auf wie sonst.

CD Othello und StalingradDies bleibt der Musik zum Stalingrad-Film vorbehalten, der die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg und den Sieg der Roten Armee erbarmungslos vorführt. Wer sich den Tort antun will, kann diesen Streifen, der auf dem Höhepunkt stalinistischer Götzenverehrung gedreht wurde, bei youtube in düsterem Grau ansehen. Dort gibt es ja auch fast alles. Khachaturian hat 1949 aus der Filmmusik eine Suite zusammengestellt, die auf der CD zu hören ist. Diese CD nun hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Sie wurde im Juli 1989 in der Concert Hall des Slowakischen Rundfunks mit dem dortigen Radio Symphony Orchestra unter Adriano eingespielt. Adriano? Genau! – der 1944 geborene schweizerische Dirigent, der nur unter seinem Vornamen auftritt und für das Label Marco Polo

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tätig war, bei dem die CD auch zunächst erschien. Nun wurde sie von Naxos übernommen (8.573389).

Im Produktionsmonat war der Eiserne Vorhang noch nicht gefallen, die Slowakei noch Teil der sozialistischen Tschechischen Republik, deren Führung besonders Moskau-treu gewesen ist. Sei’s drum. Wer die CD kauft, der dürfte genauer Bescheid wissen, denn sie ist ja nicht unbedingt das ideale Mitbringsel zum Geburtstag von Mutti. Grundsätzlich finde ich es gut, dass auch solche Musik im Angebot ist und bleibt. Denn sie hat ihre Macht über uns Deutsche verloren. Sie ist Geschichte. Noch haben die aktuellen Irrungen und Wirrungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland nach dessen Vereinleibung der Krim den Kunstmarkt nicht erreicht. Gegenseitige Sanktionen betreffen „nur“ Technologien, Waffen auf der einen, Obst und Gemüse auf der anderen Seite. Musik darf nicht reglementiert werden. Sie muss frei bleiben – und handelt es sich auch um einen Propagandaschinken von Aram Khachaturian, der schwer runter geht.

Rüdiger Winter

Das Foto oben ist ein Screenshot aus dem sowjetischen Film Film mit Sergej Bondartschuk als Othello und Irina Skobzewa als Desdemona.

 

 

 

 

Groß, schwer und immer etwas anders

Es ist schon wieder mehr als zwanzig Jahre her, dass die Aufnahmen italienischer Arien mit Jon Vickers bei VAI auf CD erschienen sind. Höchste Zeit also, sie wieder auf den Markt zu bringen. Die Initiative hat Preiser Records ergriffen (PR 93489). Gut so. Eigentlich bin ich ein Verfechter der Eins-zu-eins-Übernahme des Originals, das es einst auch als Langspielplatte gab. Das garantiert die ursprüngliche konzeptionelle Absicht und dokumentiert den Zustand der Stimme zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Preiser schienen die ursprünglich vierundvierzig Minuten LP-Länge wohl zu mickrig und legte noch gehörig drauf. Darf es ein bisschen mehr sein? Wenn es denn sein muss, darf es. So wurde die Arienfolge, die im Juli 1961 von der RCA in Rom mit dem Orchester des dortigen Opernhauses unter Tullio Serafin eingespielt wurde, mit Ausschnitten aus Studio-Gesamtaufnahmen anderer Werke aufgefüllt, die – und das spricht dafür – etwa zur gleichen Zeit entstanden sind wie die Arien-Platte: der monströse Messiah (Thomas Beecham, RCA 1959), Fidelio (Otto Klemperer, EMI 1962), Samson et Dalila (Georges Pretre, EMI 1962), Aida (Georg Solti, Decca 1961/1962) sowie Walküre (Erich Leinsdorf, Decca 1961).

Im Gegensatz zu den einzelnen Arien sind diese ergänzenden Bonus-Aufnahmen in den letzten Jahren ohne großen Aufwand zu beschaffen gewesen, wenn sie nicht ohnehin in den meisten Plattenschränken stehen. Zwar sind die Anfänge und Schlüsse gut geschnitten, so dass der Gedanke an Entnahmen aus Gesamtaufnahmen gar nicht erst aufkommt. In den meisten Fällen ergeben sich die makellosen Schnitte ohnehin aus den Werken, wo es an der richtigen Stelle Generalpausen gibt. Preiser hat – und das spricht wieder einmal für das Label – ausdrücklich die Herkunft aus Gesamteinspielungen ausgewiesen. Stückwerk ist es trotzdem. Das musikalische Ereignis bleiben ohnehin die italienischen Arien und Szenen aus La Gioconda, Don Carlo, L’Arlesina, Pagliacci, Andrea Chénier, Tosca, Il Trovatore und Otello.

Wie ein Fremdkörper hat sich die ebenfalls italienisch gesungene „Ach so fromm“-Arie aus Martha darunter gemischt – groß und schwer gesungen wie das übrige Programm. Bei Vickers klingt eben alles etwas anders. Das machte ihn berühmt, das machte seinen Eigenwert aus. Dadurch polarisierte er auch – bis heute. Für mich ist dieser kanadische Tenor, die 1926 geboren wurde, ohne Alternativen nicht vorstellbar. Habe ich eine seiner Aufnahmen gehört – und ich höre sie immer wieder gern – verlangt es mich sofort nach einer anderen mit einem anderen Sänger. Ich habe stets das Gefühlt, dass man das, was Vickers vorträgt, eigentlich anders singen müsste. Dennoch bin ich nie los gekommen von ihm.

Rüdiger Winter

 

Gottlob Frick

Auf einer Jugendreise geriert ich in Berlin mehr zufällig in eine Aufführung der Götterdämmerung in der Staatsoper Unter den Linden. Den Hagen sang Gottlob Frick. Seine Hoiho-Rufe zu Beginn der Mannen-Szene ließen den großen Saal regelrecht erbeben. So etwas hatte ich bis dahin noch nie gehört in meinem Leben und würde es nie mehr vergessen. Der Name des Sängers aber sagte mir damals nichts, obwohl ich schon für Wagner entflammt war. Das sollte sich bald ändern. Ich sammelte seine Platten, wurde diese Stimme nicht mehr los. Egal in welcher Rolle. Und deren gibt es viele. Seine unverwechselbare Stimme, die aus hundert anderen auf Anhieb herauszuhören ist, wurde für mich zu einem Inbegriff dafür, was Sänger ausdrücken können. Frick ist mir nie über geworden. Den Hagen höre ich immer noch am liebsten von ihm – ob im Studio im gerühmten Ring des Nibelungen unter Solti bei Decca oder live in Bayreuth: Gänsehaut immer noch garantiert. Vor zwanzig Jahren ist er gestorben. Sein künstlerisches Erbe wird von der Gottlob-Frick-Gesellschaft in Ölbronn bewahrt, wo es auch eine Gedenkstätte gibt. Deren Präsident Hans A. Hey erinnert für Operalounge.de an den Sänger. Rüdiger Winter

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Gottlob Frick als König Philipp in Verdis „Don Carlos“ / Foto: GFG

„Das Timbre der Stimme von Gottlob Frick einmal gehört, verliert man nicht aus dem Ohr“: Mit dieser Aussage in seinem Standardwerk „Die großen Sänger“ trifft der deutsche Doyen der Gesangsexperten, Jürgen Kesting den Nagel auf den Kopf. Gottlob Frick, dessen Todestag sich am 18. August 2014 zum 20. Mal jährt, gilt als Inkarnation des schwarzen Basses. Er ist der deutsche Universalbassist, der durch die Vielzahl seiner hinterlassenen Tondokumente und die Unverwechselbarkeit seiner volltönenden, mit außergewöhnlicher Schönheit und fließendem Melos des Gesanges strömenden Stimme bis heute eine Popularität genießt, wie sie wahrscheinlich von keinem anderen deutschen Bassisten erreicht wird. Der international renommierte Kritiker John B. Steane begründete die Aufnahme von Gottlob Frick in seine Liste der 100 bedeutendsten Sänger in „The Great Tradition“ unter anderem mit folgender Charakterisierung: „Was den Wagnerischen basso profondo betrifft, so konnte die neuere Zeit – gemeint sind die 40er – 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts – nur auf einen Namen setzen – Gottlob Frick ein Turm der Stärke im stärksten Ensemble und einer der größten Bassisten überhaupt. Seine Stimme ist trotz des machtvollen Volumens stetig, geschmeidig und schön. Fricks zweieinhalb Oktaven-Bass ist bewundernswert durchgebildet und bleibt in seinem ganzen Umfang voll präzise. Sein Gefühl für Rhythmus ist stark und er kann sowohl Legato als auch Staccato vorbildlich singen, ohne seine Zuhörer um den satten Stimmklang zu betrügen.“

Frick als Boris

In einem Opernquerschnitt als Boris Godunow in der gleichnamigen Oper von Mussorgsky

Gottlob Frick wurde 1906 in Ölbronn als 13. und jüngstes Kind einer Försterfamilie geboren. Sein Gesangstalent entdeckten Kenner beim Singen nach einer Treibjagd. Bereits beim Vorsingen wurde er an die Staatsoper Stuttgart engagiert. 1934 erhielt er den ersten Solistenvertrag in Coburg. Es folgten Engagements in Freiburg und Königsberg. Dort hörte ihn Karl Böhm und verpflichtete ihn an die Dresdner Staatsoper. Über 10 Jahre gehörte Frick dem ruhmreichen Ensemble der Semper-Oper an. 1950 wechselte er an die Deutsche Oper Berlin. Von dort aus begann die glanzvolle nationale und internationale Karriere des Bassisten, die ihn an alle bedeutenden Opernhäuser und Festspielplätze der Welt führte. Allein an der Wiener Staatsoper sang er rund 500 Vorstellungen. In seiner 58 Jahre langen Sängerlaufbahn hat er nahezu all die Könige, die Priester, die Geister, die Finsterlinge des Bassfaches eindrucksvoll verkörpert. Durch den ihm angeborenen Mutterwitz war er auch ein Meister des Heiter-Komischen. Er sang und spielte die heiteren Bühnengestalten der Spieloper so kontrastreich und intensiv, dass all die Trunkenbolde, Plumpsäcke und Schwerenöter vor dem geistigen Auge des Hörers geradezu suggestiv sichtbar werden. Auch als Oratorien- und Konzertsänger hatte Frick große Erfolge.

1971 nach einer umjubelten Aufführung von Wagners Götterdämmerung mit Frick als Hagen in München erklärte der Sänger völlig unerwartet, dass dies sein letzter Wagnerabend gewesen sei. Zum Glück gelang es, ihn noch für gelegentliche Gastspiele hauptsächlich in Wien, München und Stuttgart zu gewinnen. Fricks allerletztes, öffentliches Auftreten fand am 26. Januar 1985 in Heilbronn statt. Frick war während seiner Karriere auf den Bühnen der großen Opernhäuser zuhause, seine Heimat war für den bodenständigen, bescheiden gebliebenen Gemütsmenschen jedoch zeitlebens sein geliebter Geburtsort Ölbronn.

Dorthin – in sein am Waldrand gelegenes Haus – zog er sich zurück, um zu jagen, zu entspannen und den großen Freundes- und Verehrerkreis in dieser geruhsamen Idylle zu empfangen. Besonders häufig besuchte der Tenor Fritz Wunderlich seinen väterlichen Freund. Aus dieser Heimat- und Naturverbundenheit erklärt sich wahrscheinlich auch seine besondere Liebe zum Volkslied. Die warmherzige Persönlichkeit des Sängers wird in seinen Volksliedinterpretationen am ursprünglichsten erlebbar. Frick gestaltet die romantischen Weisen mit ungekünstelter Natürlichkeit und einer Echtheit des Empfindens, die anrührt und ergreift. Am 18. August 1994 ist der König der deutschen Bässe in Begleitung einer riesigen Trauergemeinde auf dem Dorffriedhof seiner Heimatgemeinde zur letzten Ruhe gebettet worden.

Kaum ein anderer Bassist erhielt zu Lebzeiten und postum so zahlreiche Ehrungen wie Gottlob Frick. Dem dreifachen Kammersänger wurden Orden bis hin zum Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ölbronn ehrte seinen großen Sohn und Ehrenbürger mit einem Gottlob-Frick-Weg. In Mühlacker wurde der Konzertsaal im „Mühlehof“ nach dem Sänger benannt. Die Stadt Heilbronn widmete seinem Gedenken einen Platz im Herzen der Stadt. 1995 wurde die Gottlob-Frick-Gesellschaft gegründet. Die wichtigsten Ziele der Gesellschaft sind: Das Andenken an Gottlob Frick und andere Sängerlegenden zu erhalten, junge, hochbegabte Sänger zu fördern und die Begegnung der Generationen zu ermöglichen.

1997 konnte im Rathaus in Ölbronn eine Gedächtnisstätte eingeweiht werden. Hier wurde eine imposante Retrospektive in Bild und Ton, sowie eine Sammlung von Erinnerungsstücken zusammengestellt. Höhepunkt des Wirkens der Gesellschaft ist ein jährliches Künstlertreffen mit Festakt, Festkonzert, Verleihung der Gottlob-Frick- Medaillen und Empfang. An kaum einem anderen Ort versammelt sich eine so große Zahl von Gästen aus dem künstlerischen Bereich, darunter weltberühmte Sängerinnen und Sänger, wie im Operndörfle Ölbronn. Eine weltweite Einmaligkeit ist das originelle Gästebuch, in dem die Händeabdrücke berühmter Künstlerpersönlichkeiten verewigt sind. Die Ausstellung ist ein Who is Who der jüngeren Operngeschichte und reicht von Theo Adam bis Georg Zeppenfeld.

Ein Sängerportrait: Das Foto oben entstammt der Schallplatte von Eurodisc, die noch antiquarisch zu finden ist

Das Foto oben ist der Schallplatte von Eurodisc entnommen, die nur noch antiquarisch zu finden ist

In München findet am 14. September 2014 und in Wien am 12. November 2014 eine Veranstaltung zum Gedenken an den 20. Todestag von Gottlob Frick statt. Wodurch erklärt sich die weiter wirkende Popularität von Gottlob Frick? Selbst der Musikfreund, der ihn nicht mehr persönlich erlebte, spürt in den Tondokumenten: Hier singt ein in sich ruhender Mensch mit der ganzen Ausdrucksskala des begnadeten, gereiften Künstlers. Das Herz, die Seele, inneres Erfülltsein sind es, die in dieser Stimme mitschwingen. Fricks Botschaft, die sich durch seine Sangeskunst mitteilt, wird verstanden über Generationen hinweg – auch noch 20 Jahre nach seinem Tod. Hans A. Hey 

Aus dem Vollen geschöpft

Wer, bitte, ist Tannenhäuser? Der Grafiker, der die Box mit den Opernmitschnitten unter Wilhelm Furtwängler gestaltete, muss ein Verehrer von Ludwig Tieck sein. In dessen Geschichte vom „Getreuen Eckhard“ kommt ursprünglich jemand dieses Namens vor – inzwischen aber längst der Schreibweise angepasst, wie sie auch Richard Wagner für seinen aufmüpfigen Minnesänger wählte – Tannhäuser. Dieser und kein anderer ist natürlich gemeint. Der Druckfehler auf der Außenseite dieser als Würfel gestalteten Neuerscheinung von The Intense Media (600168), der sich auch im Innern hartnäckig hält, ist der Rede nicht wert. Denn Furtwängler hat die Oper gar nicht komplett dirigiert hinterlassen. Es geht lediglich um knapp zwanzig Minuten aus der Wiener Staatsoper, dazu noch verteilt auf die Jahre 1935 und 1936. In die Besetzung der Titelrolle teilen sich Max Lorenz und Gotthelf Pistor. Sie treten nur fragmentarisch in Erscheinung. Die Romerzählung fällt aus. Dafür betet der ungarische Bariton Alexander Sved seinen Abendstern in höchster Verzückung an, was auch nach gut achtzig Jahren noch zu Herzen geht.

Ohne Druckfehler geht es auch in der Trackliste nicht ab. Wenn Tannhäuser im Sängerkrieg die Venus anruft, tut er es in der gedruckten Form mit „Die Göttin der Liebe“. Das könnte ein Schlager sein. Es liegt auf diesem Werk grafisches Ungemach, das sich bei anderen Opern in Petitessen verliert. Wenn beispielsweise im dritten Aufzug des Tristan aus die „alte ernste Weise“ plötzlich die „alte erste Weise“ wird, dann Schwamm drüber. Wenigstens ist Frida Leider richtig geschrieben in der Besetzungsliste von Szenen aus der Londoner Götterdämmerung von 1936 – nämlich ohne das sonst oft übliche und falsche -ie-. Das versöhnt. Auf Furtwängler käme man bei den Tannhäuser-Szenen nicht. Die sehr eingeschränkte Akustik gibt es gar nicht her. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Sinn der Veröffentlichung, die aufs rein Dokumentarische beschränkt bleibt. Eine so große Furtwängler-Edition sollte auch durchgehend nach Furtwängler klingen. Damit sind die kritischen Aspekte weitgehend abgehandelt.

Kirsten Flagstad als Fidelio bei den Salzburger Festspiele

Kirsten Flagstad als ausdrucksstarke Fidelio-Leonore bei den Salzburger Festspielen 1950 / Foto: Flagstad-Archiv Hamar

Alles andere steht auf der positiven Seite. Der bislang im heimischen Regal vorhandene, gut halbe Meter Opern-Furtwängler schrumpft plötzlich auf knappe vierzehn Zentimeter, ein großer Vorteil solcher Boxen. Für das Label stellt sich die Ausgangslage des Materials günstig dar. Es kann in die Vollen greifen. Alle Werke sind – wenn auch über viele Jahre verstreut – bereits auf dem Markt gewesen, mitunter gar unter namhaften Etiketten. So hatte die EMI schon bald ihre schützende Hand auf Liveaufnahmen von Furtwängler gehalten, was gar nicht hoch genug anzurechnen war. Damit wurde ein Gegengewicht zu den Angeboten des grauen Marktes geschaffen, der zwar erst mit den Titeln bekannt gemacht hatte, in der klanglichen Aufbereitung aber an Grenzen stieß. Plötzlich klang Furtwängler wieder ihm gemäßer. Mozarts Hochzeit des Figaro, 1953 in deutscher Sprache in Salzburg mitgeschnitten, erschien 1996 offiziell in der EMI-Festspielreihe, gleiches gilt für die Zauberflöte, Verdis Otello (beide 1951) und Beethovens Fidelio mit Kirsten Flagstad (1950). Eine Aufnahme, die nun beim sehr willkommenen Wiederhören erneut großen Eindruck macht. Die Flagstad, damals schon Mitte fünfzig, lässt ihre stimmlichen Malaisen durch Ausdruck und Eindringlichkeit der Gestaltung vollkommen vergessen. Bei den Salzburger Festspielen wurde Don Giovanni unter Furtwänglers Leitung dreimal mitgeschnitten. Rechnet man den berühmten Film dazu, der auch auf DVD zu haben ist, und bei dem es sich um eine Mischfassung handeln soll, kommt man auf vier Dokumente. Intense Media hat sich – und das ist gut so – für die Aufnahme von 1950 entschieden, die sich in einigen tragenden Partien von den übrigen unterscheidet. Ljuba Welitsch ist die Donna Anna, Tito Gobbi der Don Giovanni und Irmgard Seefried die Zerlina. Die EMI veröffentlichte 1986 den Mitschnitt von 1954 in dem die genannten Partien – wie im Film – von Elisabeth Grümmer, Cesare Siepi und Erna Berger verkörpert wurden. Mit Ausnahme des Films singt Elisabeth Schwarzkopf immer die Elvira.

Ljuba Welitsch, die Salzburger Donna Anna 1950 unter Furtwängler

Ljuba Welitsch sang im 1950 die Donna Anna  im „Don Giovanni“ unter Wilhelm Furtwängler/ Foto: OBA

Was noch aus Salzburg? Der unheimliche Freischütz von 1954 mit der bis zur Unerträglichkeit gespannten Ouvertüre in bester akustischer Verfassung. Elisabeth Grümmer ist die Agathe, Rita Streich das Ännchen, Hans Hopf der Max und Kurt Böhme der Kaspar. Sie brauchen viel Atem und Ausdauer, um dem Dirigenten, der es nicht eilig hat, folgen zu können. Wie nicht anders zu erwarten bei Furtwängler, stellt Richard Wagner die umfangreichste Abteilung der Edition. Überraschungen sind erwartungsgemäß nicht dabei. Tristan und Isolde ist in Auszügen zweimal vorhanden. Einmal von 1947 aus dem Berliner Admiralspalast, dem Ausweichquartier der zerbombten Staatsoper, als sich Frida Leider als Regisseurin versuchte. Zur Erinnerung: Erna Schlüter ist nun die Isolde, Ludwig Suthaus der Tristan. In der Wiener Staatsoper wurden bereits 1941 und 1943 unter ziemlich abenteuerlichen Umständen große Teile aus allen drei Aufzügen festgehalten mit der nicht eben höhensicheren Anny Konetzni und Max Lorenz. Sie sind vor zwanzig Jahren im Rahmen der legendären Edition Wiener Staatsoper – live beim Label Koch/Schwann erstmals erschienen und offenkundig von dort in der selbenTrack-Einteilig übernommen worden. In der Gesamtaufnahme der Meistersinger von Nürnberg von den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943 konnten die Fehlstellen – die Szene „Verweilt! Ein Wort“ nach dem Einleitungschor der Gemeinde und das Quintett in dritten Aufzug – auch nicht ergänzt werden. Wie denn auch? Sie scheinen endgültig verloren.

Den Salzburger "Figaro" in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es ursprünglich bei der EMI.

Den „Figaro“ in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es schon bei der EMI in der Salzburger Festspielreihe

Kein Ruhmesblatt in der umfangreichen Diskographie Furtwänglers sind die Meistersinger, die er 1938 in Nürnberg beim Reichsparteitag der Nationalsozialisten leitete. Sie sind mit vier Szenen dokumentiert, darunter der Fliedermonolog des Sachs (Rudolf Bockelmann), seine Szene „Gut’n Abend, Meister“ mit Eva (Tiana Lemnitz) und der Wach-auf-Chor. Wie mag Furtwängler sich dabei gefühlt haben? Im Publikum langweilten sich reihenweise Funktionäre, denen das Interesse an Wagner erst durch Hitler befohlen werden musste. In seinem Buch „Heroische Weltsicht“ berichtet Sebastian Werr bemerkenswerte Einzelheiten über das „fehlende Interesse an Wagner innerhalb der Bewegung“. Auf der Rückseite der entsprechenden CD-Hülle ist etwas verkürzt die Rede davon, dass die Vorstellung anlässlich des Reichsparteitages nach dem Anschluss Österreichs im März/April 1938 stattgefunden habe. Das ist zwar grundsätzlich richtig. Der Zusammenhang beider historischer Ereignisse ergibt sich aber daraus, dass der Parteitag in diesem Jahr erstmals Reichsparteitag Großdeutschlands genannt wurde. Es sollte übrigens der letzte sein. Nach dem Krieg wurde Furtwängler auch die Teilnahme an dieser gigantischen Propaganda-Veranstaltung der Nationalsozialisten scharf angelastet.

Kirsten Flagstad - hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand - ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition

Kirsten Flagstad – hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand – ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition / Foto: OBA

Fünfzehn von insgesamt einundvierzig CDs belegt der Ring des Nibelungen von 1950 aus der Mailänder Scala. Das schafft. Als es noch keine CD gab, kam die erste Veröffentlichung auf Schallplatten einer Sensation gleich. Bis dahin hatte es keinen kompletten Ring als Livemitschnitt auf Tonträgern gegeben. Frühere Dokumente sind erst lange danach an die Öffentlichkeit gelangt. Inzwischen sind mehrere komplette Veröffentlichungen dieses Ringes auf CD zustande gekommen, die mit der Zeit immer besser im Klang wurden. Davon profitiert auch die Edition. Noch einmal versammelte sich die von Furtwängler angeführte Sängergeneration, die bald abtreten würde, um ihr Zeugnis dafür abzulegen, wie Wagner zu singen ist. Bis heute lässt sich – für Künstler wie für schlichte Opernfreunde – daraus Honig ziehen. Die Aufnahme gleicht einem Monument. Ein Jahr später wurden die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg abgehalten, die auf dem Grünen Hügel – und nicht nur dort – eine neue Zeitrechnung im musikalischen Umgang mit Wagner einleiteten. Die wenigsten Sänger, die in Mailand dabei waren, schafften es in diese Zukunft. Lorenz sprang nur noch zweimal ein, Treptow nahm seinen Mailänder Siegmund nur für die ersten beiden Bayreuther Jahre mit, danach verlegt er sich auf kleinste Rollen. Einzig der 1899 geborene Ludwig Weber, der als Fafner, Hunding und Hagen an der Scala mit dabei war, sang in Bayreuth bis 1961 in allen Rollen, die Wagner Opern für seinen schweren dunklen Bass hergeben.

Die Edition wirbt damit, „erstmals den Versuch“ zu unternehmen, „alle erhalten gebliebenen Tonaufnahmen der von Furtwängler geleiteten Opernaufführungen in Komplettfassungen oder Ausschnitten zu dokumentieren“. Solches Selbstlob kennt man, es ist erlaubt. Klingeln gehört nun mal zum Geschäft. Stimmen tut es nicht. Als Versuch um Vollständigkeit kann die schöne Sammlung durchaus gelten. Es gibt aber – wie bereits angedeutet – noch etliche Mitschnitte mehr, darunter Don Giovanni, Zauberflöte, Fidelio. Oft mehrfach. Und vielleicht kommt ja irgendwann noch etwas dazu.

Rüdiger Winter

 

Lücken im Repertoire geschlossen

Zwei neue Veröffentlichungen mit Liedern der Spätromantik an der Schwelle zur Moderne – das klingt interessant, vor allem weil die Alben zum Teil Repertoire-Lücken schließen. Um es vorweg zu nehmen, die Freude hält nicht lange an. Der Liedgesang, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen wahren Höhenflug erlebte, gehört heute beinahe schon zu den bedrohten, wenn nicht sterbenden Künsten. Macht sich die Krise der Gesangskunst schon in der Oper unüberhörbar bemerkbar, wird sie im bedeutend heikleren und intimeren Liedgesang vollends offenbar.

Marie-Paule Milone nimmt sich auf Solistice des Liedschaffens von Joseph Marx an (SOCD 904). Marx, der über seinen Tod hinaus im übergroßen Schatten von Richard Strauss stand, hinterließ ein reichhaltiges Werk von etwa 150 Klavierliedern. Die Originalität der musikalischen Einfälle bleibt aber deutlich hinter der von Marx‘ Zeitgenossen zurück .Leider ist es der Mezzosopranistin Marie-Paule Milone, die auch als Cellistin auftritt, nicht unbedingt gegeben, den etwas trockenen Stücken Leben einzuhauchen. Idiomatisch durchaus sauber gesungen, lässt die Stimme aber Schönheit des Timbres und akzentuierte Gestaltung vermissen.

CD Lider von den MahlersNicht viel besser gestaltet sich der Versuch von Karen Cargill, Lieder des Ehepaares Alma und Gustav Mahler gegenüberzustellen (Records LC 11615). Die angenehme Überraschung stellen die fünf Kompositionen Alma Mahlers dar. Hier hört man doch sehr viel Eigenständiges, Originelles. Kennt man diese Lieder aber in ihrer instrumentierten Fassung, vermisst man in dieser Aufnahme das Flirren der Streicher, die reicheren Farben des Orchesters. Vieles vom Reiz der Stücke geht so verloren. Das gilt noch viel mehr für die Lieder Gustav Mahlers, die ja alle als Orchesterlieder konzipiert waren. Karen Cargill verfügt über einen leicht klirrenden Mezzosopran, technisch gut geführt, aber mit einer Tendenz zum Schrillen. Dazu kommt noch eine suboptimale Textbehandlung. Liedgesang in einem fremden Idiom ist sehr schwer, was man leider auch hört. Schade!

Peter Sommeregger

Der Komponist als sein eigener Dichter

Der Dichter-Komponist Peter Cornelius ist heute eigentlich nur noch durch seine heitere Oper Der Barbier von Bagdad bekannt, aber auch diese beginnt von den Spielplänen zu verschwinden. Das umfangreiche Liedschaffen des von Liszt und Wagner beeinflussten Komponisten ist dagegen weitgehend unbekannt. Einzelne Zyklen wurden sogar erst posthum veröffentlicht. Cornelius schrieb sich seine Liedtexte größtenteils selbst und griff nicht auf zeitgenössische Lyrik zurück, dies stellt in jedem Fall eine Besonderheit dieses Oeuvres dar.

1-Lieder Cornelius 4In Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk legt Naxos nun das gesamte Liedschaffen Cornelius‘ erstmals auf CD vor. Die Sopranistin Christina Landshamer, der Tenor Markus Schäfer und die Baritone Hans Christoph Begemann und Mathias Hausmann nehmen sich im Wechsel der verschiedenen Liederzyklen an (CD 18.572556 und CD 48.572859). Matthias Veit ist ein durchaus sensibler Begleiter am Klavier. Die teilweise sehr kurzen einzelnen Nummern bestechen einerseits durch einen schlichten, anrührenden Volkston, andererseits macht sich innerhalb der Zyklen auch eine gewisse Gleichförmigkeit bemerkbar, die den Hörgenuss etwas schmälern. Dort, wo der Klavierpart etwas bewegter ausfällt, z.B. in den „Neun Geistlichen Liedern“ werde die einzelnen Stücke schon etwas eigenständiger, prägnanter. Überhaupt scheinen mir die Lieder mit religiöser Thematik im Ganzen gelungener, stärker in Ausdruck und Emotion.

Insgesamt ein sicherlich lohnender Versuch, den Komponisten und sein Liedschaffen der Vergessenheit zu entreissen, aber letztlich doch mehr von dokumentarischem Wert. Ihren Weg in die Konzertprogramme dürften die Lieder dauerhaft wohl nicht finden.

Peter Sommeregger

179 Lieder-Marathon

Immer, wenn ich mich von Strauss erholen muss, greife ich zu Strauss. Zu seinen Liedern. Die Opern kann ich nicht ständig hören, die Orchesterstücke auch nicht. Aber die Lieder schon. Sie sind mir unverzichtbar. Eine ewige Liebe, die nie erkaltet, die sich immer wieder erneuert. Noch fast ein Kind, habe ich die ersten Lieder gehört. Es muss etwas in ihnen sein, was auch junge Ohren aufnehmen können. Strauss ist in seinen Liedern viel zugänglicher, als es zunächst den Anschein hat. Sie sind auf eine unverwechselbare Weise melodiös. Für Brahms oder Schumann habe ich viel länger gebraucht.

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen. © Foto: Ilka Trautmann

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen.
© Foto: Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss hat mehr als zweihundert Lieder komponiert. Auch wenn jetzt die Opernfraktion protestiert, für mich bilden sie das Fundament des ganzen Werkes. Insofern passt es gut, dass zur Feier seines 150. Geburtstages alle seine Lieder mit Klavierbegleitung geschlossen eingespielt wurden, vom ersten bis zum letzten Opus. Die Strauss-Klavierlieder-Edition im Umfang von neun CDs ist beim Label Two Pianists Records erschienen (über Naxos, TP1039312). Es gibt auch andere sehr kompakte Editionen, zum Beispiel von Dietrich Fischer-Dieskau (EMI/Warner) oder Andreas Schmidt (RCA) – von den unzähligen Einzelaufnahmen, auch noch mit Strauss höchst selbst am Klavier, ganz zu schweigen. Irgendein Lied fehlt aber immer. Nun der Anlauf zur Vollständigkeit.

1-CD-Box Alle Klavierlieder StraussDas Liedschaffen lässt sich in mehrere Kategorien einteilen, die reinen Klavierlieder sind die umfänglichste. Davon hat Strauss selbst einige der bekanntesten orchestriert wie „Meinem Kinde“ oder „Morgen“. Wieder andere wie „Traum durch die Dämmerung“ oder „Heimliche Aufforderung“ sind von fremder Hand mit Orchesterbegleitung versehen worden. „Zueignung“ gibt es sogar in zwei Orchesterversionen, einmal von Strauss selbst und dann von Robert Heger, der dieses Handwerk genauso gut beherrschte wie die Dirigierkunst. Die kleinste Gruppe sind die originären Orchesterlieder mit den „Vier letzten Liedern“ im Zentrum. Deren Klavierfassung, die Waltraut Meier und Ljuba Welitsch offiziell eingespielt haben, stammt nicht vom Komponisten. Schließlich hat Strauss selbst fremde Lieder instrumentiert – nämlich Schuberts, „Ganymed“ sowie Beethovens „Ich liebe dich“ und „Wonne der Wehmut“. Sie werden im Werkverzeichnis als eigenständige Stücke aufgeführt. Leider habe ich davon keine Einspielungen ausfindig machen können.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte/Foto Ilka Trautmann/Kreisbote Fassbaender

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte Fassbaender /Foto Ilka Trautmann/Kreisbote 

Zurück zur Klavierlieder-Edition. Brigitte Fassbaender, die umtriebige Leiterin der Richard-Strauss-Festivals in Garmisch im Juni 2014, hat gehörig mitgemischt und dem Ganzen ihren künstlerischen Stempel aufgedrückt. Die Melodramen „Enoch Arden“ nach dem Text von Alfred Tennyson – hier in der üblichen deutschen Übersetzung von Adolf Strodtmann – und „Das Schloss am Meere“ auf ein Gedicht von Johann Ludwig Uhland hat sie für sich selbst reserviert. Die Fassbaender bringt mit ihrem gut gestützten Mezzo für die Sprechrollen gute Voraussetzungen mit. Eine gewisse Monotonie liegt in den Werken selbst begründet, nicht in der Interpretation. Sie stört aber nicht. Der monströse „Enoch Arden“ passt mal gerade auf eine CD. In Garmisch, wo Strauss viele Jahre seines Lebens zubrachte und starb, wurde aufgenommen. Akustisch ist nicht alles geglückt, weil von idealen Studiobedingungen nicht die Rede sein kann. Elan und Begeisterung zeichnen das Unternehmen aus, nicht akustische Akkuratesse. Nur einen Monat hat es gedauert, bis alles im Kasten war. Nicht selten wurden zwölf Stunden hintereinander gearbeitet. Diese Besessenheit ist auch zu spüren in einer gewissen musikalischen Hatz. Für die Arbeit an Details, die für Strauss-Lieder eigentlich unabdingbar ist, fehlte oft die Zeit. Routine aber klingt anders.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. das Foto stammt aus der Box.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. – Das Foto von Marc Gilsdorf stammt aus der Box.

Alle Sänger werfen sich mit einer unglaublichen Hingabe auf ihre Aufgaben. Nicht, dass drauflos gesungen würde. Das nicht. Mich hat die Unbefangenheit und Frische beeindruckt, mit der manches Lied, das man tausendmal gehört hat, plötzlich herüber kommt. Das ist die große Stärke dieser Edition. Ich habe mir den Selbstversuch erspart, möchte aber darauf wetten, dass man locker alle 179 Lieder hintereinander hören könnte und anschließend Strauss immer noch lieben würde. Das würde in etwas neun Stunden dauern. Zur Wahrheit gehört, dass es von vielen Titeln eindeutig bessere Aufnahmen gibt – so es sie überhaupt gibt. Beim Hören musste ich aber nicht einen Moment lang an die Schwarzkopf, die Güden, die Della Casa, an Fischer-Dieskau, Fritz Wunderlich oder Peter Anders denken, die allesamt die vielleicht exemplarischsten Einspielungen hinterlassen haben. Diese Edition gewinnt durch ihre Jugend und ihren Charme. Meist sind die Gesangsleistungen noch mehr Versprechen als Meisterschaft. Und das sind die Mitwirkenden: Anja-Nina Bahrmann, Juliane Banse, Christiane Libor (Sopran) Michelle Breedt, Anke Vondung (Mezzo-Sopran), Jeongkon Choi, Christian Elsner, Brenden Gunnell, Lucian Krasznec, Martin Mitterrutzner (Tenor), Markus Eiche, Manuel Walser (Bariton) Andreas Mattersberger (Bass). In die Begleitung teilen sich Christoph Berner, Burkhard Kehring, Malcolm Martineau, Wolfram Rieger und Nina Schumann. Christoph Eß (Horn-Solo), Yamei Yu (Violin-Solo). Alle sind auch abgebildet, oft im Ambiete der mit Kunstgegenständen vollgestopften Garmischer Villa, bis auf Eduard Schönach, der das kurze Trompeten-Solo am Ende der „Heiligen drei Könige aus dem Morgenland“ bläst. Die Entscheidung für diese Fassung ist genau so lobenswert wie der Einsatz des Horns (Christoph Eß) im Lied „Alphorn“ und der Violine (Yamei Yu) in „Stiller Gesang“. So gehört sich das.

1-Strauss - CD einzeln

Jede einzelne CD ist mit einem anderen Porträt des Komponisten versehen.

Am Beginn steht das „Weihnachtslied“, das Strauss mit sechs Jahren komponierte, am Schluss „Malven“, entstanden im Jahr vor seinem Tod, „mit unerwarteten harmonischen Wendungen und Härten sowie einem klanglich spärlichen Satz“, wie die Musikpublizistin Elisabeth Schmierer im Strauss-Handbuch, das hier bereits besprochen wurde, hervorhebt. Strauss schenkte das Lied der verehrten Maria Jeritza, die es unter Verschluss hielt. Erst nach ihrem Tod wurde es 1985 von Kiri Te Kanawa in New York uraufgeführt und inzwischen auch mehrfach eingespielt. Bei den diesjährigen Osterfestspielen in Salzburg sang Anja Harteros eine von Wolfgang Rihm hergestellt Orchesterfassung, eingefügt in die „Vier letzten Lieder“. Nun ja. Diese Bearbeitung betonte zwar den erstaunlich progressiven Ansatz des alten Strauss, bricht damit aber aus der himmlischen Geschlossenheit des berühmten Zyklus aus. Für ein Festival war das eine gute Idee. Für den Alltag wohl ehr nicht praktikabel. In der Edition singt Juliane Banse „Malven“ leider nicht sehr verständlich. Da fällt es nicht auf, dass der Text von der Schweizer Dichterin Betty Knobel stammt und nicht von Goethe, wie es irrtümlich in der Trackliste heißt. Ein kleiner Tippfehler, der die Qualität des umfangreichen Textapparates, der auch eine Tabelle der Werke nach dem Jahr ihres Entstehens, alle Liedtexte, ein Grußwort der Fassbaender und Biographien der Mitwirkenden enthält, nicht schmälert. Nicht gespart wurde bei eindrucksvollen Fotos von Strauss in unterschiedlichsten Lebenslagen.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert  mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag, das unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

„Richard Strauss: Ein Leben in Liedern“ nennt Jürgen May seinen aufschlussreichen Begleittext, der schon mehr ein Essay ist. Es zeichnet ihn wie die ganze Sammlung aus, dass kein Bogen um dunkle Seiten im Liedschaffen von Strauss gemacht wird. Hier gilt‘s der Vollständigkeit! Gemeint sind die Titel, mit denen sich der Komponist den braunen Machthabern empfahl. Dazu zählt bespielweise das Lied „Das Bächlein“. Damit stattete Strauss im November 1933 bei Propagandaminister Goebbels seinen Dank für die Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer „verehrungsvoll“ ab. Rätselhaft ist, warum Strauss die Vorlage als Gedicht von Goethe ausgibt. Irrtum? Oder Kunstgriff, um das tatsächlich von Charlotte Oth stammende Gedicht in seiner Wirkung auf den Adressaten etwas aufzuwerten? Bei Strauss weiß man das nie so genau. Immerhin träumt das Bächlein in dem schlichten Text davon, dass jener, der es „gerufen aus dem Stein“, werde „mein Führer“ sein. Musikalisch sind Motive aus Schuberts „Schöner Müllerin“ verarbeitet, die auch Goebbels geschätzt haben soll. May vertritt die Auffassung, dass sich derlei Lieder – neben dem „Bächlein“ gehören noch „Sankt Michael“ und „Blick vom oberen Belvedere“ nach Gedichten des nationalsozialistischen Dichters Josef Weinheber dazu, dem Strauss in Wien begegnete, – „von der Gestaltung heutiger Konzertprogramme und Einspielungen disqualifizieren, sofern nicht ein „dokumentarischer Kontext“ gegeben sei.

1-CD-Box Andreas Schmidt StraussDer Bariton Andreas Schmidt, der 153 Lieder von Strauss eingespielt hat mit Rudolf Jansen am Klavier, ließ die strittigen Titel nicht weg („The complete Lieder with Piano“). Sie sind in ihrer Problematik auch nicht explizit ausgewiesen. Jedenfalls gibt es in der nun wieder aufgelegten Sony/RCA-Box von 1999 mit seinen Aufnahmen keinen entsprechenden Kommentar. Sie werden als gegeben hingenommen, dem Werk zugehörig, wie das schon Elisabeth Schwarzkopf und George Szell bei der Einspielung der attraktiveren Orchesterfassung 1969 in London für die EMI handhabten. Der praktische Strauss hatte das 1933 als Klavierfassung komponierte „Bächlein“ zwei Jahre später orchestriert und nunmehr der Sängerin Viorica Ursuleac als Zeichen seiner „wärmsten Dankbarkeit für Marschallin, Kaiserin, Chrysothemis und Arabella“ zukommen lassen. Edita Gruberova singt es in der Sammlung aller Orchesterlieder beim Label Nightingale Classics (NC 000072-2), eingespielt zwischen 1998 und 1999. Im Booklet wird der „unangenehme Beigeschmack“ des Liedes diesmal sehr wohl vermerkt. Als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal hörte, kannte ich die Hintergründe nicht. Meine Unbildung gab mir die Unschuld, mit der ich das Lied fröhlich aufnahm. Mir scheint, dass sich Werke auch aus dem Kontext ihres Entstehens lösen können, wenn sie gut genug sind. Das „Bächlein“ halte ich trotz alledem für ein Meisterwerk.

1-CD - Schwarzkopf Lieder Strauss

Elisabeth Schwarzkopf ist auf dieser CD auch mit dem umstrittenen Lied „Das Bächlein“ zu hören.

Zurück zu Schmidt. Seine Aufnahmen entstanden zwischen 1993 und 1998 für Sony Music im Studio des Senders Freies Berlin. Eine gesammelte Neuauflage gibt es bei RCA (88843015182), erweitert um eine CD mit Frauen-Liedern, die ein Wiederhören mit Juliane Banse bringen. Nicht nur vom Umfang her ist diese Edition für mich maßstäblich. Sie ist auch künstlerisch höchst interessant. Ihr stärkster Eindruck ist die Geschlossenheit der Interpretation. In diesem Falle erweist es sich als Vorteil, dass ein und derselbe Sänger innerhalb weniger Jahren ein Dreiviertel aller Lieder des Komponisten eingespielt hat. Das hätte auch schief gehen können, weil in dieser Konzentration Potenzial an Einförmigkeit und Langerweile lauert. Nicht so bei Schmidt. Er holt aus jedem einzelnen Titel das Höchstmaß an Poesie heraus. Ein schwieriges Unterfangen ist das, denn nicht alle Vorlagen stammen von Goethe und Heine. Nicht immer war Strauss bei der Auswahl seiner Texte wählerisch. Er konnte auch drittklassiger Lyrik etwas abgewinnen – und genau das findet der Sänger heraus.

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Schmidt klingt meist sanft. Obwohl er die Lieder hörbar sehr gut studiert hat, bleibt immer der Eindruck, als taste er sich gemeinsam mit seinem Publikum erst heran. Er nimmt die Zuhörer mit und setzt ihnen kein musikalisches Fertiggericht vor. Schmidt kommt von der evangelischen Kirchenmusik her und hat auch bei Dietrich Fischer-Dieskau studiert. Das hört man auch. Eine bessere Basis lässt sich kaum denken. Doch im Gegensatz zu seinem Meister, dessen Vortragsstil mit zunehmenden Alter etwas apodiktisch wurde, singt Schmidt – wenn der sprachliche Vergleich denn erlaubt ist – ergebnisoffen. Es könnte immer alles auch noch ganz anders sein. – Das Foto oben ist ein Ausschnitt des Titelbildes der CD-Box mit Andreas Schmidt bei RCA.

Rüdiger Winter