Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Musik, die aus der Kälte kam

Shakespeares „Othello“ und die „Schlacht von Stalingrad„: Passt das denn zusammen? Auf einer CD schon. Gut 63 Minuten. Da wäre noch Platz gewesen für anderes. Doch besser nicht. Die Rede ist von Filmmusiken, die der armenische Komponist Aram Khachaturian schrieb. An „Othello“ kann ich mich selbst noch sehr gut erinnern. Dieser Film lief einst in der DDR in jedem Kino. Bunt, sehr bunt und ernst und tragisch. Mehr Historiendrama als individuelle Liebestragödie. Charlie Chaplin sprach vom „größten historischen Film, der je gedreht wurde“. Nun ja. Chaplin hatte keine Berührungsängste mit den Russen im Kalten Krieg. Er zahlte dafür. Der Nähe zum Kommunismus verdächtigt, wurde ihm nach einem Auslandsaufenthalt 1952 Rückkehr in die USA verwehrt.

Dem Regisseur Sergej Jutkewitsch brachte der Film 1956 den Regiepreis von Cannes ein. Sergej Bondartschuk, später selbst ein bedeutender Regisseur, hatte die Titelrolle übernommen. Als Desdemona schien Irina Skobzewa wie aus einem Hollywood-Streifen entliehen. Für mich war dieser Othello die erste Begegnung mit Shakespeare. Und nicht die schlechteste. Sie saß, war elementar und gewaltig. Ich denke gern daran zurück und habe den Film erst kürzlich mit einiger Anteilnahme wiedergesehen, wenngleich sich die Wucht des ersten Eindrucks nicht mehr einstellte. Auch Filme haben ihre Halbwertzeit. Die Musik von Khachaturian lässt den Film historischer erscheinen, macht ihn zumindest nicht moderner. Beim Zuschauen wird sie eher als Untermalung wahrgenommen und stört nicht, beim Hören von der CD fehlt die Verbindung zur Handlung, wenngleich die einzelnen Titel inhaltliche Bezüge haben wie Venice oder Othellos Farewell from the Camp. Das reicht nicht. Desdemona hat sogar ein Arioso, das als Vokalisen von Jana Simcisko anrührend vorgetragen wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Musik über weite Strecken zwar sehr lyrisch aber auffallend wehleidig klingt. Im Finale tritt dann der unvermeidliche gefühlsreiche Chor – auch mit Vokalisen – hinzu. Wortlos klagt es sich besser. Der Komponisten hält sich sehr zurück, trumpft nicht so berauscht auf wie sonst.

CD Othello und StalingradDies bleibt der Musik zum Stalingrad-Film vorbehalten, der die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg und den Sieg der Roten Armee erbarmungslos vorführt. Wer sich den Tort antun will, kann diesen Streifen, der auf dem Höhepunkt stalinistischer Götzenverehrung gedreht wurde, bei youtube in düsterem Grau ansehen. Dort gibt es ja auch fast alles. Khachaturian hat 1949 aus der Filmmusik eine Suite zusammengestellt, die auf der CD zu hören ist. Diese CD nun hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Sie wurde im Juli 1989 in der Concert Hall des Slowakischen Rundfunks mit dem dortigen Radio Symphony Orchestra unter Adriano eingespielt. Adriano? Genau! – der 1944 geborene schweizerische Dirigent, der nur unter seinem Vornamen auftritt und für das Label Marco Polo

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tätig war, bei dem die CD auch zunächst erschien. Nun wurde sie von Naxos übernommen (8.573389).

Im Produktionsmonat war der Eiserne Vorhang noch nicht gefallen, die Slowakei noch Teil der sozialistischen Tschechischen Republik, deren Führung besonders Moskau-treu gewesen ist. Sei’s drum. Wer die CD kauft, der dürfte genauer Bescheid wissen, denn sie ist ja nicht unbedingt das ideale Mitbringsel zum Geburtstag von Mutti. Grundsätzlich finde ich es gut, dass auch solche Musik im Angebot ist und bleibt. Denn sie hat ihre Macht über uns Deutsche verloren. Sie ist Geschichte. Noch haben die aktuellen Irrungen und Wirrungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland nach dessen Vereinleibung der Krim den Kunstmarkt nicht erreicht. Gegenseitige Sanktionen betreffen „nur“ Technologien, Waffen auf der einen, Obst und Gemüse auf der anderen Seite. Musik darf nicht reglementiert werden. Sie muss frei bleiben – und handelt es sich auch um einen Propagandaschinken von Aram Khachaturian, der schwer runter geht.

Rüdiger Winter

Das Foto oben ist ein Screenshot aus dem sowjetischen Film Film mit Sergej Bondartschuk als Othello und Irina Skobzewa als Desdemona.

 

 

 

 

Groß, schwer und immer etwas anders

Es ist schon wieder mehr als zwanzig Jahre her, dass die Aufnahmen italienischer Arien mit Jon Vickers bei VAI auf CD erschienen sind. Höchste Zeit also, sie wieder auf den Markt zu bringen. Die Initiative hat Preiser Records ergriffen (PR 93489). Gut so. Eigentlich bin ich ein Verfechter der Eins-zu-eins-Übernahme des Originals, das es einst auch als Langspielplatte gab. Das garantiert die ursprüngliche konzeptionelle Absicht und dokumentiert den Zustand der Stimme zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Preiser schienen die ursprünglich vierundvierzig Minuten LP-Länge wohl zu mickrig und legte noch gehörig drauf. Darf es ein bisschen mehr sein? Wenn es denn sein muss, darf es. So wurde die Arienfolge, die im Juli 1961 von der RCA in Rom mit dem Orchester des dortigen Opernhauses unter Tullio Serafin eingespielt wurde, mit Ausschnitten aus Studio-Gesamtaufnahmen anderer Werke aufgefüllt, die – und das spricht dafür – etwa zur gleichen Zeit entstanden sind wie die Arien-Platte: der monströse Messiah (Thomas Beecham, RCA 1959), Fidelio (Otto Klemperer, EMI 1962), Samson et Dalila (Georges Pretre, EMI 1962), Aida (Georg Solti, Decca 1961/1962) sowie Walküre (Erich Leinsdorf, Decca 1961).

Im Gegensatz zu den einzelnen Arien sind diese ergänzenden Bonus-Aufnahmen in den letzten Jahren ohne großen Aufwand zu beschaffen gewesen, wenn sie nicht ohnehin in den meisten Plattenschränken stehen. Zwar sind die Anfänge und Schlüsse gut geschnitten, so dass der Gedanke an Entnahmen aus Gesamtaufnahmen gar nicht erst aufkommt. In den meisten Fällen ergeben sich die makellosen Schnitte ohnehin aus den Werken, wo es an der richtigen Stelle Generalpausen gibt. Preiser hat – und das spricht wieder einmal für das Label – ausdrücklich die Herkunft aus Gesamteinspielungen ausgewiesen. Stückwerk ist es trotzdem. Das musikalische Ereignis bleiben ohnehin die italienischen Arien und Szenen aus La Gioconda, Don Carlo, L’Arlesina, Pagliacci, Andrea Chénier, Tosca, Il Trovatore und Otello.

Wie ein Fremdkörper hat sich die ebenfalls italienisch gesungene „Ach so fromm“-Arie aus Martha darunter gemischt – groß und schwer gesungen wie das übrige Programm. Bei Vickers klingt eben alles etwas anders. Das machte ihn berühmt, das machte seinen Eigenwert aus. Dadurch polarisierte er auch – bis heute. Für mich ist dieser kanadische Tenor, die 1926 geboren wurde, ohne Alternativen nicht vorstellbar. Habe ich eine seiner Aufnahmen gehört – und ich höre sie immer wieder gern – verlangt es mich sofort nach einer anderen mit einem anderen Sänger. Ich habe stets das Gefühlt, dass man das, was Vickers vorträgt, eigentlich anders singen müsste. Dennoch bin ich nie los gekommen von ihm.

Rüdiger Winter

 

Gottlob Frick

Auf einer Jugendreise geriert ich in Berlin mehr zufällig in eine Aufführung der Götterdämmerung in der Staatsoper Unter den Linden. Den Hagen sang Gottlob Frick. Seine Hoiho-Rufe zu Beginn der Mannen-Szene ließen den großen Saal regelrecht erbeben. So etwas hatte ich bis dahin noch nie gehört in meinem Leben und würde es nie mehr vergessen. Der Name des Sängers aber sagte mir damals nichts, obwohl ich schon für Wagner entflammt war. Das sollte sich bald ändern. Ich sammelte seine Platten, wurde diese Stimme nicht mehr los. Egal in welcher Rolle. Und deren gibt es viele. Seine unverwechselbare Stimme, die aus hundert anderen auf Anhieb herauszuhören ist, wurde für mich zu einem Inbegriff dafür, was Sänger ausdrücken können. Frick ist mir nie über geworden. Den Hagen höre ich immer noch am liebsten von ihm – ob im Studio im gerühmten Ring des Nibelungen unter Solti bei Decca oder live in Bayreuth: Gänsehaut immer noch garantiert. Vor zwanzig Jahren ist er gestorben. Sein künstlerisches Erbe wird von der Gottlob-Frick-Gesellschaft in Ölbronn bewahrt, wo es auch eine Gedenkstätte gibt. Deren Präsident Hans A. Hey erinnert für Operalounge.de an den Sänger. Rüdiger Winter

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Gottlob Frick als König Philipp in Verdis „Don Carlos“ / Foto: GFG

„Das Timbre der Stimme von Gottlob Frick einmal gehört, verliert man nicht aus dem Ohr“: Mit dieser Aussage in seinem Standardwerk „Die großen Sänger“ trifft der deutsche Doyen der Gesangsexperten, Jürgen Kesting den Nagel auf den Kopf. Gottlob Frick, dessen Todestag sich am 18. August 2014 zum 20. Mal jährt, gilt als Inkarnation des schwarzen Basses. Er ist der deutsche Universalbassist, der durch die Vielzahl seiner hinterlassenen Tondokumente und die Unverwechselbarkeit seiner volltönenden, mit außergewöhnlicher Schönheit und fließendem Melos des Gesanges strömenden Stimme bis heute eine Popularität genießt, wie sie wahrscheinlich von keinem anderen deutschen Bassisten erreicht wird. Der international renommierte Kritiker John B. Steane begründete die Aufnahme von Gottlob Frick in seine Liste der 100 bedeutendsten Sänger in „The Great Tradition“ unter anderem mit folgender Charakterisierung: „Was den Wagnerischen basso profondo betrifft, so konnte die neuere Zeit – gemeint sind die 40er – 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts – nur auf einen Namen setzen – Gottlob Frick ein Turm der Stärke im stärksten Ensemble und einer der größten Bassisten überhaupt. Seine Stimme ist trotz des machtvollen Volumens stetig, geschmeidig und schön. Fricks zweieinhalb Oktaven-Bass ist bewundernswert durchgebildet und bleibt in seinem ganzen Umfang voll präzise. Sein Gefühl für Rhythmus ist stark und er kann sowohl Legato als auch Staccato vorbildlich singen, ohne seine Zuhörer um den satten Stimmklang zu betrügen.“

Frick als Boris

In einem Opernquerschnitt als Boris Godunow in der gleichnamigen Oper von Mussorgsky

Gottlob Frick wurde 1906 in Ölbronn als 13. und jüngstes Kind einer Försterfamilie geboren. Sein Gesangstalent entdeckten Kenner beim Singen nach einer Treibjagd. Bereits beim Vorsingen wurde er an die Staatsoper Stuttgart engagiert. 1934 erhielt er den ersten Solistenvertrag in Coburg. Es folgten Engagements in Freiburg und Königsberg. Dort hörte ihn Karl Böhm und verpflichtete ihn an die Dresdner Staatsoper. Über 10 Jahre gehörte Frick dem ruhmreichen Ensemble der Semper-Oper an. 1950 wechselte er an die Deutsche Oper Berlin. Von dort aus begann die glanzvolle nationale und internationale Karriere des Bassisten, die ihn an alle bedeutenden Opernhäuser und Festspielplätze der Welt führte. Allein an der Wiener Staatsoper sang er rund 500 Vorstellungen. In seiner 58 Jahre langen Sängerlaufbahn hat er nahezu all die Könige, die Priester, die Geister, die Finsterlinge des Bassfaches eindrucksvoll verkörpert. Durch den ihm angeborenen Mutterwitz war er auch ein Meister des Heiter-Komischen. Er sang und spielte die heiteren Bühnengestalten der Spieloper so kontrastreich und intensiv, dass all die Trunkenbolde, Plumpsäcke und Schwerenöter vor dem geistigen Auge des Hörers geradezu suggestiv sichtbar werden. Auch als Oratorien- und Konzertsänger hatte Frick große Erfolge.

1971 nach einer umjubelten Aufführung von Wagners Götterdämmerung mit Frick als Hagen in München erklärte der Sänger völlig unerwartet, dass dies sein letzter Wagnerabend gewesen sei. Zum Glück gelang es, ihn noch für gelegentliche Gastspiele hauptsächlich in Wien, München und Stuttgart zu gewinnen. Fricks allerletztes, öffentliches Auftreten fand am 26. Januar 1985 in Heilbronn statt. Frick war während seiner Karriere auf den Bühnen der großen Opernhäuser zuhause, seine Heimat war für den bodenständigen, bescheiden gebliebenen Gemütsmenschen jedoch zeitlebens sein geliebter Geburtsort Ölbronn.

Dorthin – in sein am Waldrand gelegenes Haus – zog er sich zurück, um zu jagen, zu entspannen und den großen Freundes- und Verehrerkreis in dieser geruhsamen Idylle zu empfangen. Besonders häufig besuchte der Tenor Fritz Wunderlich seinen väterlichen Freund. Aus dieser Heimat- und Naturverbundenheit erklärt sich wahrscheinlich auch seine besondere Liebe zum Volkslied. Die warmherzige Persönlichkeit des Sängers wird in seinen Volksliedinterpretationen am ursprünglichsten erlebbar. Frick gestaltet die romantischen Weisen mit ungekünstelter Natürlichkeit und einer Echtheit des Empfindens, die anrührt und ergreift. Am 18. August 1994 ist der König der deutschen Bässe in Begleitung einer riesigen Trauergemeinde auf dem Dorffriedhof seiner Heimatgemeinde zur letzten Ruhe gebettet worden.

Kaum ein anderer Bassist erhielt zu Lebzeiten und postum so zahlreiche Ehrungen wie Gottlob Frick. Dem dreifachen Kammersänger wurden Orden bis hin zum Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ölbronn ehrte seinen großen Sohn und Ehrenbürger mit einem Gottlob-Frick-Weg. In Mühlacker wurde der Konzertsaal im „Mühlehof“ nach dem Sänger benannt. Die Stadt Heilbronn widmete seinem Gedenken einen Platz im Herzen der Stadt. 1995 wurde die Gottlob-Frick-Gesellschaft gegründet. Die wichtigsten Ziele der Gesellschaft sind: Das Andenken an Gottlob Frick und andere Sängerlegenden zu erhalten, junge, hochbegabte Sänger zu fördern und die Begegnung der Generationen zu ermöglichen.

1997 konnte im Rathaus in Ölbronn eine Gedächtnisstätte eingeweiht werden. Hier wurde eine imposante Retrospektive in Bild und Ton, sowie eine Sammlung von Erinnerungsstücken zusammengestellt. Höhepunkt des Wirkens der Gesellschaft ist ein jährliches Künstlertreffen mit Festakt, Festkonzert, Verleihung der Gottlob-Frick- Medaillen und Empfang. An kaum einem anderen Ort versammelt sich eine so große Zahl von Gästen aus dem künstlerischen Bereich, darunter weltberühmte Sängerinnen und Sänger, wie im Operndörfle Ölbronn. Eine weltweite Einmaligkeit ist das originelle Gästebuch, in dem die Händeabdrücke berühmter Künstlerpersönlichkeiten verewigt sind. Die Ausstellung ist ein Who is Who der jüngeren Operngeschichte und reicht von Theo Adam bis Georg Zeppenfeld.

Ein Sängerportrait: Das Foto oben entstammt der Schallplatte von Eurodisc, die noch antiquarisch zu finden ist

Das Foto oben ist der Schallplatte von Eurodisc entnommen, die nur noch antiquarisch zu finden ist

In München findet am 14. September 2014 und in Wien am 12. November 2014 eine Veranstaltung zum Gedenken an den 20. Todestag von Gottlob Frick statt. Wodurch erklärt sich die weiter wirkende Popularität von Gottlob Frick? Selbst der Musikfreund, der ihn nicht mehr persönlich erlebte, spürt in den Tondokumenten: Hier singt ein in sich ruhender Mensch mit der ganzen Ausdrucksskala des begnadeten, gereiften Künstlers. Das Herz, die Seele, inneres Erfülltsein sind es, die in dieser Stimme mitschwingen. Fricks Botschaft, die sich durch seine Sangeskunst mitteilt, wird verstanden über Generationen hinweg – auch noch 20 Jahre nach seinem Tod. Hans A. Hey 

Aus dem Vollen geschöpft

Wer, bitte, ist Tannenhäuser? Der Grafiker, der die Box mit den Opernmitschnitten unter Wilhelm Furtwängler gestaltete, muss ein Verehrer von Ludwig Tieck sein. In dessen Geschichte vom „Getreuen Eckhard“ kommt ursprünglich jemand dieses Namens vor – inzwischen aber längst der Schreibweise angepasst, wie sie auch Richard Wagner für seinen aufmüpfigen Minnesänger wählte – Tannhäuser. Dieser und kein anderer ist natürlich gemeint. Der Druckfehler auf der Außenseite dieser als Würfel gestalteten Neuerscheinung von The Intense Media (600168), der sich auch im Innern hartnäckig hält, ist der Rede nicht wert. Denn Furtwängler hat die Oper gar nicht komplett dirigiert hinterlassen. Es geht lediglich um knapp zwanzig Minuten aus der Wiener Staatsoper, dazu noch verteilt auf die Jahre 1935 und 1936. In die Besetzung der Titelrolle teilen sich Max Lorenz und Gotthelf Pistor. Sie treten nur fragmentarisch in Erscheinung. Die Romerzählung fällt aus. Dafür betet der ungarische Bariton Alexander Sved seinen Abendstern in höchster Verzückung an, was auch nach gut achtzig Jahren noch zu Herzen geht.

Ohne Druckfehler geht es auch in der Trackliste nicht ab. Wenn Tannhäuser im Sängerkrieg die Venus anruft, tut er es in der gedruckten Form mit „Die Göttin der Liebe“. Das könnte ein Schlager sein. Es liegt auf diesem Werk grafisches Ungemach, das sich bei anderen Opern in Petitessen verliert. Wenn beispielsweise im dritten Aufzug des Tristan aus die „alte ernste Weise“ plötzlich die „alte erste Weise“ wird, dann Schwamm drüber. Wenigstens ist Frida Leider richtig geschrieben in der Besetzungsliste von Szenen aus der Londoner Götterdämmerung von 1936 – nämlich ohne das sonst oft übliche und falsche -ie-. Das versöhnt. Auf Furtwängler käme man bei den Tannhäuser-Szenen nicht. Die sehr eingeschränkte Akustik gibt es gar nicht her. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Sinn der Veröffentlichung, die aufs rein Dokumentarische beschränkt bleibt. Eine so große Furtwängler-Edition sollte auch durchgehend nach Furtwängler klingen. Damit sind die kritischen Aspekte weitgehend abgehandelt.

Kirsten Flagstad als Fidelio bei den Salzburger Festspiele

Kirsten Flagstad als ausdrucksstarke Fidelio-Leonore bei den Salzburger Festspielen 1950 / Foto: Flagstad-Archiv Hamar

Alles andere steht auf der positiven Seite. Der bislang im heimischen Regal vorhandene, gut halbe Meter Opern-Furtwängler schrumpft plötzlich auf knappe vierzehn Zentimeter, ein großer Vorteil solcher Boxen. Für das Label stellt sich die Ausgangslage des Materials günstig dar. Es kann in die Vollen greifen. Alle Werke sind – wenn auch über viele Jahre verstreut – bereits auf dem Markt gewesen, mitunter gar unter namhaften Etiketten. So hatte die EMI schon bald ihre schützende Hand auf Liveaufnahmen von Furtwängler gehalten, was gar nicht hoch genug anzurechnen war. Damit wurde ein Gegengewicht zu den Angeboten des grauen Marktes geschaffen, der zwar erst mit den Titeln bekannt gemacht hatte, in der klanglichen Aufbereitung aber an Grenzen stieß. Plötzlich klang Furtwängler wieder ihm gemäßer. Mozarts Hochzeit des Figaro, 1953 in deutscher Sprache in Salzburg mitgeschnitten, erschien 1996 offiziell in der EMI-Festspielreihe, gleiches gilt für die Zauberflöte, Verdis Otello (beide 1951) und Beethovens Fidelio mit Kirsten Flagstad (1950). Eine Aufnahme, die nun beim sehr willkommenen Wiederhören erneut großen Eindruck macht. Die Flagstad, damals schon Mitte fünfzig, lässt ihre stimmlichen Malaisen durch Ausdruck und Eindringlichkeit der Gestaltung vollkommen vergessen. Bei den Salzburger Festspielen wurde Don Giovanni unter Furtwänglers Leitung dreimal mitgeschnitten. Rechnet man den berühmten Film dazu, der auch auf DVD zu haben ist, und bei dem es sich um eine Mischfassung handeln soll, kommt man auf vier Dokumente. Intense Media hat sich – und das ist gut so – für die Aufnahme von 1950 entschieden, die sich in einigen tragenden Partien von den übrigen unterscheidet. Ljuba Welitsch ist die Donna Anna, Tito Gobbi der Don Giovanni und Irmgard Seefried die Zerlina. Die EMI veröffentlichte 1986 den Mitschnitt von 1954 in dem die genannten Partien – wie im Film – von Elisabeth Grümmer, Cesare Siepi und Erna Berger verkörpert wurden. Mit Ausnahme des Films singt Elisabeth Schwarzkopf immer die Elvira.

Ljuba Welitsch, die Salzburger Donna Anna 1950 unter Furtwängler

Ljuba Welitsch sang im 1950 die Donna Anna  im „Don Giovanni“ unter Wilhelm Furtwängler/ Foto: OBA

Was noch aus Salzburg? Der unheimliche Freischütz von 1954 mit der bis zur Unerträglichkeit gespannten Ouvertüre in bester akustischer Verfassung. Elisabeth Grümmer ist die Agathe, Rita Streich das Ännchen, Hans Hopf der Max und Kurt Böhme der Kaspar. Sie brauchen viel Atem und Ausdauer, um dem Dirigenten, der es nicht eilig hat, folgen zu können. Wie nicht anders zu erwarten bei Furtwängler, stellt Richard Wagner die umfangreichste Abteilung der Edition. Überraschungen sind erwartungsgemäß nicht dabei. Tristan und Isolde ist in Auszügen zweimal vorhanden. Einmal von 1947 aus dem Berliner Admiralspalast, dem Ausweichquartier der zerbombten Staatsoper, als sich Frida Leider als Regisseurin versuchte. Zur Erinnerung: Erna Schlüter ist nun die Isolde, Ludwig Suthaus der Tristan. In der Wiener Staatsoper wurden bereits 1941 und 1943 unter ziemlich abenteuerlichen Umständen große Teile aus allen drei Aufzügen festgehalten mit der nicht eben höhensicheren Anny Konetzni und Max Lorenz. Sie sind vor zwanzig Jahren im Rahmen der legendären Edition Wiener Staatsoper – live beim Label Koch/Schwann erstmals erschienen und offenkundig von dort in der selbenTrack-Einteilig übernommen worden. In der Gesamtaufnahme der Meistersinger von Nürnberg von den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943 konnten die Fehlstellen – die Szene „Verweilt! Ein Wort“ nach dem Einleitungschor der Gemeinde und das Quintett in dritten Aufzug – auch nicht ergänzt werden. Wie denn auch? Sie scheinen endgültig verloren.

Den Salzburger "Figaro" in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es ursprünglich bei der EMI.

Den „Figaro“ in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es schon bei der EMI in der Salzburger Festspielreihe

Kein Ruhmesblatt in der umfangreichen Diskographie Furtwänglers sind die Meistersinger, die er 1938 in Nürnberg beim Reichsparteitag der Nationalsozialisten leitete. Sie sind mit vier Szenen dokumentiert, darunter der Fliedermonolog des Sachs (Rudolf Bockelmann), seine Szene „Gut’n Abend, Meister“ mit Eva (Tiana Lemnitz) und der Wach-auf-Chor. Wie mag Furtwängler sich dabei gefühlt haben? Im Publikum langweilten sich reihenweise Funktionäre, denen das Interesse an Wagner erst durch Hitler befohlen werden musste. In seinem Buch „Heroische Weltsicht“ berichtet Sebastian Werr bemerkenswerte Einzelheiten über das „fehlende Interesse an Wagner innerhalb der Bewegung“. Auf der Rückseite der entsprechenden CD-Hülle ist etwas verkürzt die Rede davon, dass die Vorstellung anlässlich des Reichsparteitages nach dem Anschluss Österreichs im März/April 1938 stattgefunden habe. Das ist zwar grundsätzlich richtig. Der Zusammenhang beider historischer Ereignisse ergibt sich aber daraus, dass der Parteitag in diesem Jahr erstmals Reichsparteitag Großdeutschlands genannt wurde. Es sollte übrigens der letzte sein. Nach dem Krieg wurde Furtwängler auch die Teilnahme an dieser gigantischen Propaganda-Veranstaltung der Nationalsozialisten scharf angelastet.

Kirsten Flagstad - hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand - ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition

Kirsten Flagstad – hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand – ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition / Foto: OBA

Fünfzehn von insgesamt einundvierzig CDs belegt der Ring des Nibelungen von 1950 aus der Mailänder Scala. Das schafft. Als es noch keine CD gab, kam die erste Veröffentlichung auf Schallplatten einer Sensation gleich. Bis dahin hatte es keinen kompletten Ring als Livemitschnitt auf Tonträgern gegeben. Frühere Dokumente sind erst lange danach an die Öffentlichkeit gelangt. Inzwischen sind mehrere komplette Veröffentlichungen dieses Ringes auf CD zustande gekommen, die mit der Zeit immer besser im Klang wurden. Davon profitiert auch die Edition. Noch einmal versammelte sich die von Furtwängler angeführte Sängergeneration, die bald abtreten würde, um ihr Zeugnis dafür abzulegen, wie Wagner zu singen ist. Bis heute lässt sich – für Künstler wie für schlichte Opernfreunde – daraus Honig ziehen. Die Aufnahme gleicht einem Monument. Ein Jahr später wurden die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg abgehalten, die auf dem Grünen Hügel – und nicht nur dort – eine neue Zeitrechnung im musikalischen Umgang mit Wagner einleiteten. Die wenigsten Sänger, die in Mailand dabei waren, schafften es in diese Zukunft. Lorenz sprang nur noch zweimal ein, Treptow nahm seinen Mailänder Siegmund nur für die ersten beiden Bayreuther Jahre mit, danach verlegt er sich auf kleinste Rollen. Einzig der 1899 geborene Ludwig Weber, der als Fafner, Hunding und Hagen an der Scala mit dabei war, sang in Bayreuth bis 1961 in allen Rollen, die Wagner Opern für seinen schweren dunklen Bass hergeben.

Die Edition wirbt damit, „erstmals den Versuch“ zu unternehmen, „alle erhalten gebliebenen Tonaufnahmen der von Furtwängler geleiteten Opernaufführungen in Komplettfassungen oder Ausschnitten zu dokumentieren“. Solches Selbstlob kennt man, es ist erlaubt. Klingeln gehört nun mal zum Geschäft. Stimmen tut es nicht. Als Versuch um Vollständigkeit kann die schöne Sammlung durchaus gelten. Es gibt aber – wie bereits angedeutet – noch etliche Mitschnitte mehr, darunter Don Giovanni, Zauberflöte, Fidelio. Oft mehrfach. Und vielleicht kommt ja irgendwann noch etwas dazu.

Rüdiger Winter

 

Lücken im Repertoire geschlossen

Zwei neue Veröffentlichungen mit Liedern der Spätromantik an der Schwelle zur Moderne – das klingt interessant, vor allem weil die Alben zum Teil Repertoire-Lücken schließen. Um es vorweg zu nehmen, die Freude hält nicht lange an. Der Liedgesang, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen wahren Höhenflug erlebte, gehört heute beinahe schon zu den bedrohten, wenn nicht sterbenden Künsten. Macht sich die Krise der Gesangskunst schon in der Oper unüberhörbar bemerkbar, wird sie im bedeutend heikleren und intimeren Liedgesang vollends offenbar.

Marie-Paule Milone nimmt sich auf Solistice des Liedschaffens von Joseph Marx an (SOCD 904). Marx, der über seinen Tod hinaus im übergroßen Schatten von Richard Strauss stand, hinterließ ein reichhaltiges Werk von etwa 150 Klavierliedern. Die Originalität der musikalischen Einfälle bleibt aber deutlich hinter der von Marx‘ Zeitgenossen zurück .Leider ist es der Mezzosopranistin Marie-Paule Milone, die auch als Cellistin auftritt, nicht unbedingt gegeben, den etwas trockenen Stücken Leben einzuhauchen. Idiomatisch durchaus sauber gesungen, lässt die Stimme aber Schönheit des Timbres und akzentuierte Gestaltung vermissen.

CD Lider von den MahlersNicht viel besser gestaltet sich der Versuch von Karen Cargill, Lieder des Ehepaares Alma und Gustav Mahler gegenüberzustellen (Records LC 11615). Die angenehme Überraschung stellen die fünf Kompositionen Alma Mahlers dar. Hier hört man doch sehr viel Eigenständiges, Originelles. Kennt man diese Lieder aber in ihrer instrumentierten Fassung, vermisst man in dieser Aufnahme das Flirren der Streicher, die reicheren Farben des Orchesters. Vieles vom Reiz der Stücke geht so verloren. Das gilt noch viel mehr für die Lieder Gustav Mahlers, die ja alle als Orchesterlieder konzipiert waren. Karen Cargill verfügt über einen leicht klirrenden Mezzosopran, technisch gut geführt, aber mit einer Tendenz zum Schrillen. Dazu kommt noch eine suboptimale Textbehandlung. Liedgesang in einem fremden Idiom ist sehr schwer, was man leider auch hört. Schade!

Peter Sommeregger

Der Komponist als sein eigener Dichter

Der Dichter-Komponist Peter Cornelius ist heute eigentlich nur noch durch seine heitere Oper Der Barbier von Bagdad bekannt, aber auch diese beginnt von den Spielplänen zu verschwinden. Das umfangreiche Liedschaffen des von Liszt und Wagner beeinflussten Komponisten ist dagegen weitgehend unbekannt. Einzelne Zyklen wurden sogar erst posthum veröffentlicht. Cornelius schrieb sich seine Liedtexte größtenteils selbst und griff nicht auf zeitgenössische Lyrik zurück, dies stellt in jedem Fall eine Besonderheit dieses Oeuvres dar.

1-Lieder Cornelius 4In Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk legt Naxos nun das gesamte Liedschaffen Cornelius‘ erstmals auf CD vor. Die Sopranistin Christina Landshamer, der Tenor Markus Schäfer und die Baritone Hans Christoph Begemann und Mathias Hausmann nehmen sich im Wechsel der verschiedenen Liederzyklen an (CD 18.572556 und CD 48.572859). Matthias Veit ist ein durchaus sensibler Begleiter am Klavier. Die teilweise sehr kurzen einzelnen Nummern bestechen einerseits durch einen schlichten, anrührenden Volkston, andererseits macht sich innerhalb der Zyklen auch eine gewisse Gleichförmigkeit bemerkbar, die den Hörgenuss etwas schmälern. Dort, wo der Klavierpart etwas bewegter ausfällt, z.B. in den „Neun Geistlichen Liedern“ werde die einzelnen Stücke schon etwas eigenständiger, prägnanter. Überhaupt scheinen mir die Lieder mit religiöser Thematik im Ganzen gelungener, stärker in Ausdruck und Emotion.

Insgesamt ein sicherlich lohnender Versuch, den Komponisten und sein Liedschaffen der Vergessenheit zu entreissen, aber letztlich doch mehr von dokumentarischem Wert. Ihren Weg in die Konzertprogramme dürften die Lieder dauerhaft wohl nicht finden.

Peter Sommeregger

179 Lieder-Marathon

Immer, wenn ich mich von Strauss erholen muss, greife ich zu Strauss. Zu seinen Liedern. Die Opern kann ich nicht ständig hören, die Orchesterstücke auch nicht. Aber die Lieder schon. Sie sind mir unverzichtbar. Eine ewige Liebe, die nie erkaltet, die sich immer wieder erneuert. Noch fast ein Kind, habe ich die ersten Lieder gehört. Es muss etwas in ihnen sein, was auch junge Ohren aufnehmen können. Strauss ist in seinen Liedern viel zugänglicher, als es zunächst den Anschein hat. Sie sind auf eine unverwechselbare Weise melodiös. Für Brahms oder Schumann habe ich viel länger gebraucht.

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen. © Foto: Ilka Trautmann

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen.
© Foto: Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss hat mehr als zweihundert Lieder komponiert. Auch wenn jetzt die Opernfraktion protestiert, für mich bilden sie das Fundament des ganzen Werkes. Insofern passt es gut, dass zur Feier seines 150. Geburtstages alle seine Lieder mit Klavierbegleitung geschlossen eingespielt wurden, vom ersten bis zum letzten Opus. Die Strauss-Klavierlieder-Edition im Umfang von neun CDs ist beim Label Two Pianists Records erschienen (über Naxos, TP1039312). Es gibt auch andere sehr kompakte Editionen, zum Beispiel von Dietrich Fischer-Dieskau (EMI/Warner) oder Andreas Schmidt (RCA) – von den unzähligen Einzelaufnahmen, auch noch mit Strauss höchst selbst am Klavier, ganz zu schweigen. Irgendein Lied fehlt aber immer. Nun der Anlauf zur Vollständigkeit.

1-CD-Box Alle Klavierlieder StraussDas Liedschaffen lässt sich in mehrere Kategorien einteilen, die reinen Klavierlieder sind die umfänglichste. Davon hat Strauss selbst einige der bekanntesten orchestriert wie „Meinem Kinde“ oder „Morgen“. Wieder andere wie „Traum durch die Dämmerung“ oder „Heimliche Aufforderung“ sind von fremder Hand mit Orchesterbegleitung versehen worden. „Zueignung“ gibt es sogar in zwei Orchesterversionen, einmal von Strauss selbst und dann von Robert Heger, der dieses Handwerk genauso gut beherrschte wie die Dirigierkunst. Die kleinste Gruppe sind die originären Orchesterlieder mit den „Vier letzten Liedern“ im Zentrum. Deren Klavierfassung, die Waltraut Meier und Ljuba Welitsch offiziell eingespielt haben, stammt nicht vom Komponisten. Schließlich hat Strauss selbst fremde Lieder instrumentiert – nämlich Schuberts, „Ganymed“ sowie Beethovens „Ich liebe dich“ und „Wonne der Wehmut“. Sie werden im Werkverzeichnis als eigenständige Stücke aufgeführt. Leider habe ich davon keine Einspielungen ausfindig machen können.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte/Foto Ilka Trautmann/Kreisbote Fassbaender

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte Fassbaender /Foto Ilka Trautmann/Kreisbote 

Zurück zur Klavierlieder-Edition. Brigitte Fassbaender, die umtriebige Leiterin der Richard-Strauss-Festivals in Garmisch im Juni 2014, hat gehörig mitgemischt und dem Ganzen ihren künstlerischen Stempel aufgedrückt. Die Melodramen „Enoch Arden“ nach dem Text von Alfred Tennyson – hier in der üblichen deutschen Übersetzung von Adolf Strodtmann – und „Das Schloss am Meere“ auf ein Gedicht von Johann Ludwig Uhland hat sie für sich selbst reserviert. Die Fassbaender bringt mit ihrem gut gestützten Mezzo für die Sprechrollen gute Voraussetzungen mit. Eine gewisse Monotonie liegt in den Werken selbst begründet, nicht in der Interpretation. Sie stört aber nicht. Der monströse „Enoch Arden“ passt mal gerade auf eine CD. In Garmisch, wo Strauss viele Jahre seines Lebens zubrachte und starb, wurde aufgenommen. Akustisch ist nicht alles geglückt, weil von idealen Studiobedingungen nicht die Rede sein kann. Elan und Begeisterung zeichnen das Unternehmen aus, nicht akustische Akkuratesse. Nur einen Monat hat es gedauert, bis alles im Kasten war. Nicht selten wurden zwölf Stunden hintereinander gearbeitet. Diese Besessenheit ist auch zu spüren in einer gewissen musikalischen Hatz. Für die Arbeit an Details, die für Strauss-Lieder eigentlich unabdingbar ist, fehlte oft die Zeit. Routine aber klingt anders.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. das Foto stammt aus der Box.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. – Das Foto von Marc Gilsdorf stammt aus der Box.

Alle Sänger werfen sich mit einer unglaublichen Hingabe auf ihre Aufgaben. Nicht, dass drauflos gesungen würde. Das nicht. Mich hat die Unbefangenheit und Frische beeindruckt, mit der manches Lied, das man tausendmal gehört hat, plötzlich herüber kommt. Das ist die große Stärke dieser Edition. Ich habe mir den Selbstversuch erspart, möchte aber darauf wetten, dass man locker alle 179 Lieder hintereinander hören könnte und anschließend Strauss immer noch lieben würde. Das würde in etwas neun Stunden dauern. Zur Wahrheit gehört, dass es von vielen Titeln eindeutig bessere Aufnahmen gibt – so es sie überhaupt gibt. Beim Hören musste ich aber nicht einen Moment lang an die Schwarzkopf, die Güden, die Della Casa, an Fischer-Dieskau, Fritz Wunderlich oder Peter Anders denken, die allesamt die vielleicht exemplarischsten Einspielungen hinterlassen haben. Diese Edition gewinnt durch ihre Jugend und ihren Charme. Meist sind die Gesangsleistungen noch mehr Versprechen als Meisterschaft. Und das sind die Mitwirkenden: Anja-Nina Bahrmann, Juliane Banse, Christiane Libor (Sopran) Michelle Breedt, Anke Vondung (Mezzo-Sopran), Jeongkon Choi, Christian Elsner, Brenden Gunnell, Lucian Krasznec, Martin Mitterrutzner (Tenor), Markus Eiche, Manuel Walser (Bariton) Andreas Mattersberger (Bass). In die Begleitung teilen sich Christoph Berner, Burkhard Kehring, Malcolm Martineau, Wolfram Rieger und Nina Schumann. Christoph Eß (Horn-Solo), Yamei Yu (Violin-Solo). Alle sind auch abgebildet, oft im Ambiete der mit Kunstgegenständen vollgestopften Garmischer Villa, bis auf Eduard Schönach, der das kurze Trompeten-Solo am Ende der „Heiligen drei Könige aus dem Morgenland“ bläst. Die Entscheidung für diese Fassung ist genau so lobenswert wie der Einsatz des Horns (Christoph Eß) im Lied „Alphorn“ und der Violine (Yamei Yu) in „Stiller Gesang“. So gehört sich das.

1-Strauss - CD einzeln

Jede einzelne CD ist mit einem anderen Porträt des Komponisten versehen.

Am Beginn steht das „Weihnachtslied“, das Strauss mit sechs Jahren komponierte, am Schluss „Malven“, entstanden im Jahr vor seinem Tod, „mit unerwarteten harmonischen Wendungen und Härten sowie einem klanglich spärlichen Satz“, wie die Musikpublizistin Elisabeth Schmierer im Strauss-Handbuch, das hier bereits besprochen wurde, hervorhebt. Strauss schenkte das Lied der verehrten Maria Jeritza, die es unter Verschluss hielt. Erst nach ihrem Tod wurde es 1985 von Kiri Te Kanawa in New York uraufgeführt und inzwischen auch mehrfach eingespielt. Bei den diesjährigen Osterfestspielen in Salzburg sang Anja Harteros eine von Wolfgang Rihm hergestellt Orchesterfassung, eingefügt in die „Vier letzten Lieder“. Nun ja. Diese Bearbeitung betonte zwar den erstaunlich progressiven Ansatz des alten Strauss, bricht damit aber aus der himmlischen Geschlossenheit des berühmten Zyklus aus. Für ein Festival war das eine gute Idee. Für den Alltag wohl ehr nicht praktikabel. In der Edition singt Juliane Banse „Malven“ leider nicht sehr verständlich. Da fällt es nicht auf, dass der Text von der Schweizer Dichterin Betty Knobel stammt und nicht von Goethe, wie es irrtümlich in der Trackliste heißt. Ein kleiner Tippfehler, der die Qualität des umfangreichen Textapparates, der auch eine Tabelle der Werke nach dem Jahr ihres Entstehens, alle Liedtexte, ein Grußwort der Fassbaender und Biographien der Mitwirkenden enthält, nicht schmälert. Nicht gespart wurde bei eindrucksvollen Fotos von Strauss in unterschiedlichsten Lebenslagen.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert  mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag, das unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

„Richard Strauss: Ein Leben in Liedern“ nennt Jürgen May seinen aufschlussreichen Begleittext, der schon mehr ein Essay ist. Es zeichnet ihn wie die ganze Sammlung aus, dass kein Bogen um dunkle Seiten im Liedschaffen von Strauss gemacht wird. Hier gilt‘s der Vollständigkeit! Gemeint sind die Titel, mit denen sich der Komponist den braunen Machthabern empfahl. Dazu zählt bespielweise das Lied „Das Bächlein“. Damit stattete Strauss im November 1933 bei Propagandaminister Goebbels seinen Dank für die Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer „verehrungsvoll“ ab. Rätselhaft ist, warum Strauss die Vorlage als Gedicht von Goethe ausgibt. Irrtum? Oder Kunstgriff, um das tatsächlich von Charlotte Oth stammende Gedicht in seiner Wirkung auf den Adressaten etwas aufzuwerten? Bei Strauss weiß man das nie so genau. Immerhin träumt das Bächlein in dem schlichten Text davon, dass jener, der es „gerufen aus dem Stein“, werde „mein Führer“ sein. Musikalisch sind Motive aus Schuberts „Schöner Müllerin“ verarbeitet, die auch Goebbels geschätzt haben soll. May vertritt die Auffassung, dass sich derlei Lieder – neben dem „Bächlein“ gehören noch „Sankt Michael“ und „Blick vom oberen Belvedere“ nach Gedichten des nationalsozialistischen Dichters Josef Weinheber dazu, dem Strauss in Wien begegnete, – „von der Gestaltung heutiger Konzertprogramme und Einspielungen disqualifizieren, sofern nicht ein „dokumentarischer Kontext“ gegeben sei.

1-CD-Box Andreas Schmidt StraussDer Bariton Andreas Schmidt, der 153 Lieder von Strauss eingespielt hat mit Rudolf Jansen am Klavier, ließ die strittigen Titel nicht weg („The complete Lieder with Piano“). Sie sind in ihrer Problematik auch nicht explizit ausgewiesen. Jedenfalls gibt es in der nun wieder aufgelegten Sony/RCA-Box von 1999 mit seinen Aufnahmen keinen entsprechenden Kommentar. Sie werden als gegeben hingenommen, dem Werk zugehörig, wie das schon Elisabeth Schwarzkopf und George Szell bei der Einspielung der attraktiveren Orchesterfassung 1969 in London für die EMI handhabten. Der praktische Strauss hatte das 1933 als Klavierfassung komponierte „Bächlein“ zwei Jahre später orchestriert und nunmehr der Sängerin Viorica Ursuleac als Zeichen seiner „wärmsten Dankbarkeit für Marschallin, Kaiserin, Chrysothemis und Arabella“ zukommen lassen. Edita Gruberova singt es in der Sammlung aller Orchesterlieder beim Label Nightingale Classics (NC 000072-2), eingespielt zwischen 1998 und 1999. Im Booklet wird der „unangenehme Beigeschmack“ des Liedes diesmal sehr wohl vermerkt. Als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal hörte, kannte ich die Hintergründe nicht. Meine Unbildung gab mir die Unschuld, mit der ich das Lied fröhlich aufnahm. Mir scheint, dass sich Werke auch aus dem Kontext ihres Entstehens lösen können, wenn sie gut genug sind. Das „Bächlein“ halte ich trotz alledem für ein Meisterwerk.

1-CD - Schwarzkopf Lieder Strauss

Elisabeth Schwarzkopf ist auf dieser CD auch mit dem umstrittenen Lied „Das Bächlein“ zu hören.

Zurück zu Schmidt. Seine Aufnahmen entstanden zwischen 1993 und 1998 für Sony Music im Studio des Senders Freies Berlin. Eine gesammelte Neuauflage gibt es bei RCA (88843015182), erweitert um eine CD mit Frauen-Liedern, die ein Wiederhören mit Juliane Banse bringen. Nicht nur vom Umfang her ist diese Edition für mich maßstäblich. Sie ist auch künstlerisch höchst interessant. Ihr stärkster Eindruck ist die Geschlossenheit der Interpretation. In diesem Falle erweist es sich als Vorteil, dass ein und derselbe Sänger innerhalb weniger Jahren ein Dreiviertel aller Lieder des Komponisten eingespielt hat. Das hätte auch schief gehen können, weil in dieser Konzentration Potenzial an Einförmigkeit und Langerweile lauert. Nicht so bei Schmidt. Er holt aus jedem einzelnen Titel das Höchstmaß an Poesie heraus. Ein schwieriges Unterfangen ist das, denn nicht alle Vorlagen stammen von Goethe und Heine. Nicht immer war Strauss bei der Auswahl seiner Texte wählerisch. Er konnte auch drittklassiger Lyrik etwas abgewinnen – und genau das findet der Sänger heraus.

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Schmidt klingt meist sanft. Obwohl er die Lieder hörbar sehr gut studiert hat, bleibt immer der Eindruck, als taste er sich gemeinsam mit seinem Publikum erst heran. Er nimmt die Zuhörer mit und setzt ihnen kein musikalisches Fertiggericht vor. Schmidt kommt von der evangelischen Kirchenmusik her und hat auch bei Dietrich Fischer-Dieskau studiert. Das hört man auch. Eine bessere Basis lässt sich kaum denken. Doch im Gegensatz zu seinem Meister, dessen Vortragsstil mit zunehmenden Alter etwas apodiktisch wurde, singt Schmidt – wenn der sprachliche Vergleich denn erlaubt ist – ergebnisoffen. Es könnte immer alles auch noch ganz anders sein. – Das Foto oben ist ein Ausschnitt des Titelbildes der CD-Box mit Andreas Schmidt bei RCA.

Rüdiger Winter

 

Tiefer Griff in die Archive

Früher war alles besser! Wirklich? Drei Wiederveröffentlichungen aus dem historischen Bereich geben Anlass, sich auch einmal kritisch mit der guten (noch gar nicht so) alten Zeit auseinanderzusetzen. Da ist zum einen Rossinis L’Italiana in Algeri (Urania Records WS 121.235) aus dem Jahr 1963, ursprünglich bei der Decca erschienen. Auf den ersten Blick ist hier geradezu ein Traumensemble versammelt. Teresa Berganza, Luigi Alva, Fernando Corena, Rolando Panerai. Das ist wahrlich schwer zu toppen, speziell wenn der immer etwas unterbewertete Silvio Varviso am Pult steht.

Inzwischen ist ein halbes Jahrhundert vergangen, es hat eine immer noch anhaltende Rossini-Renaissance gegeben, die Festivals von Pesaro und Wildbad haben für den Komponisten neue Standards geschaffen. Ohne jetzt Namen nennen zu wollen, gibt es heute doch wieder den Typus von Rossini-Tenor und Koloratur-Mezzo, wie er wohl ursprünglich von Rossini gedacht war und ganz anderes mit seiner Stimme anstellen kann, wie die bei aller Kultiviertheit vergleichsweise eindimensionale Teresa Berganza. Auch der elegante Luigi Alva ist bei Mozart sehr viel besser aufgehoben. Am ehesten trifft noch Varviso mit dem Orchestra de Maggio Musicale Fiorentino den passenden Ton, das richtige Tempo.

1-Francesca das RiminiNoch weiter zurück in die Archive führt die Begegnung mit einer über sechzig (!) Jahre alten RAI-Aufnahme von Zandonais veristischem Reißer Francesca da Rimini (Urania Records WS 121.192). Nördlich der Alpen begegnet man diesem Werk höchst selten, kürzlich hat es aber sogar die Met in New York wieder aufgeführt. Die Oper gehört bestimmt nicht zu den großen Würfen ihrer Zeit, bietet aber den drei Protagonisten dankbare, spektakuläre Rollen. Immer vorausgesetzt, die Sänger sind ihren Partien gewachsen. Vom Volumen her haben da weder Maria Caniglia, Giacinto Prandelli und Carlo Tagliabue Schwierigkeiten damit. Die 1951 unter Antonio Guarnieri entstandene Einspielung kommt aber für alle etwas zu spät. Speziell Maria Caniglia, für mich der Inbegriff einer Verismo-Diva, hatte ihre große Zeit in den Dreißiger-Jahren, hier klingt sie teilweise peinigend scharf, auch fehlt es ihr an der notwendigen Durchschlagskraft. Nicht viel besser ergeht es ihren Partnern, diese Besetzung war auch 1951 schon von gestern.

1-FerrierEtwas anders liegen die Dinge bei einer Brahms, Mahler und Gluck gewidmeten CD Kathleen Ferriers (Praga Digitals PD /PSD 350 109). Unglaublich, dass diese Sängerin heute schon über hundert Jahre alt wäre, leider auch schon über sechzig Jahre tot ist. Auch diese Wiederveröffentlichung bekannter Aufnahmen ist wohl den Jubiläen geschuldet. Nach wie vor kann man sich an dem Schöngesang und unverwechselbarem Timbre der Künstlerin nicht satt hören. Wahrhaftig eine Jahrhundertstimme, sofort zu erkennen, und bis heute unerreicht. Bei der Brahms’schen „Alt-Rhapsodie“ begegnet man etwas überrascht Clemens Krauss am Pult, die Mahlerschen Kindertotenlieder dirigiert Bruno Walter, beides Sternstunden der Schallplattengeschichte. Zudem ist die Klangrestaurierung hervorragend, dem Standard der Decca-Box eindeutig überlegen. Ein kleiner Wermutstropfen: das Booklet ist zwar erstaunlich umfangreich, in Teilen aber fehlerhaft, so findet man z.B. bei den Liedtexten auch solche, die auf der CD gar nicht gesungen werden. Sei’s drum!

Peter Sommeregger

 

Die Götter plantschen im Wasser

Mit seltener Einmütigkeit reagierte das internationale Feuilleton, auf die von 2010 bis 2013 parallel für die Mailänder Scala und die Berliner Staatsoper produzierte Neudeutung von Wagners Ring des Nibelungen. Der junge belgische Regisseur und Bühnenbildner Guy Cassiers sah sich herber Kritik ausgesetzt. Die nun als DVD vorliegende Rheingold-Aufführung der Mailänder Scala von 2010 (Arthaus Musik 101 693) bestätigt diese Urteile auf der ganzen Linie. Cassiers hat weder für die optische Gestaltung der Szene, noch für die Führung der Protagonisten ein erkennbares Konzept. In diffusen Räumen entstehen nichtssagende Tableaus, die Sänger, teilweise grotesk überschminkt, sind sich weitgehend selbst überlassen, was bei den erfahrenen Künstlern kein Nachteil sein muss. Die Grundidee dieser Produktion, die Protagonisten teilweise tänzerisch zu doubeln, bzw. die Szene mit choreographischen Elementen anzureichern, ist mit Sicherheit das Letzte, was Wagner für den Ring gewollt hätte. Aber die Intentionen der Komponisten und Dichter spielen bei heutigen Regisseuren keine Rolle mehr, da ist Cassiers keine Ausnahme. Der Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui liefert zwar eine sehr professionelle Arbeit ab, aber es gibt eben nichts Richtiges im Falschen. Der Trend zur Choreographisierung der Opernregie ist unverkennbar, ein offensichtlicher Irrweg, aber erst einmal Mode, eher der nächste Unfug Raum greift.

Auch handwerklich versagt Cassiers, er macht die insgesamt drei Szenenwechsel des Stückes nicht sichtbar, die gesamte Handlung läuft in einem imäginären, nicht näher definierten Raum ab, in dessen Boden Wassergefäße eingelassen sind. Das gibt den Tänzern wie Sängern immer wieder Gelegenheit, ein wenig im Wasser zu plantschen, man beneidet sie nicht um ihre nassen Füße. Völlig verschenkt wird das Finale: Der Einzug der Götter in Walhall findet nur im Orchestergraben statt, auf der Bühne ist einzig Loge zu sehen, der munter von Wasserbecken zu Wasserbecken hüpft. Wahrlich ein Ring für das 21. Jahrhundert, wie das Booklet vollmundig verkündet!

Gerettet wird der Abend einzig durch die Sänger. René Pape als jugendlicher Wotan findet beinahe zu so etwas wie deutschem Belcanto. Er sollte sich aber auf den Rheingold-Wotan beschränken, für den Walküre-Wotan und Wanderer dürfte es ihm (noch) an Volumen fehlen. Stephan Rügamer gibt einen lyrischen, erfreulich textdeutlichen Loge, die Palme aber gebührt dem spielfreudigen, stimmlich äußerst differenzierten Alberich von Johannes Martin Kränzle, für Charakter-Baritone zur Zeit die erste Wahl. Bei den Damen kann einmal mehr die unverwüstliche Fricka der Doris Soffel punkten, die mit warmem, rundem Mezzo keinen Wunsch offen lässt. Erfreulich wohlklingend die Rheintöchter Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya und Marina Prudenskaya. Etwas schartig die Freia der Anna Samuil, und wenig eindrucksvoll auch die Erda Anna Larssons, die zudem durch einen schauderhaften Regieeinfall behindert wird.

Im Graben waltet Daniel Barenboim, der das Orchester der Scala, das nicht unbedingt ein Wagner-Klangkörper der ersten Wahl ist, solide und sicher durch die insgesamt etwas spannungsarme Aufführung lenkt. Die Lust auf die weiteren Teile dieses Ring hält sich in Grenzen.

Peter Sommeregger

 

Korngolds magic Wagner

 

Die Rysanek als Brünnhilde? Das war zunächst nur ein Gerücht. Wer sich schließlich den sündhaft teuren Bildband über die Sängerin leisten konnte, der 1990 bei Hoffmann und Campe herausgekommen war, wusste es aber bald genau: Eher beiläufig war dort in der Diskographie eine Schallplatte mit den Tonaufnahmen aus dem (auch im deutschen Fernsehen gezeigten) Film Frauen um Richard Wagner nach dem Roman Magic Fire von Bertita Harding aufgeführt. Das Label? STV. Das klang nach limitierter Privat-Club-Pressung. Und so ist es auch! Inzwischen wurde die LP bei eben dieser Club-Firma auf CD umgeschnitten und wiederum in einer Edition von tausend Exemplaren auf den Markt gebracht. Nicht nur das. Das Label Filmjuwelen zog dann mit dem Film gleich nach – nun mit dem Titel Magic Fire – Die Richard Wagner Story.

magic fire cd cover-001Alles Warten hat sich gelohnt. Die Rysanek als Brünnhilde ist jedoch leicht übertrieben. Da gibt es einen kleinen Ausschnitt aus dem Schlussgesang der Götterdämmerung, die letzten zehn Zeilen von „Fühl‘ meine Brust auch“. Lohnt sich das? Es lohnt sich! Aufgenommen wurde 1955. Die Rysanek begann gerade ihre große internationale Karriere, in der die Brünnhilde aber nicht vorkommen sollte. Was damals leicht, leuchtend und sehr vielversprechend klang, war abgetrotzt. Ganz sicher wäre diese Sängerin nicht so lange im Geschäft geblieben, hätte sie eine hochdramatische Richtung eingeschlagen. Am Ende ist so eine kurze Sequenz vielleicht doch mehr wert als hundert Mitschnitte als Brünnhilde, wäre es denn dazu gekommen. Die Fans können sich verzehren. Ach, hätte sie doch… Sie hat nicht und das war sehr klug.

1-Wagner - DVD HülleIm krachbunten Film ist die Musik einem Schnelldurchlauf der ersten geschlossenen Aufführung des Ring des Nibelungen 1976 in Bayreuth untergelegt. Mit echtem Pferd Grane, reitenden Walküren und der finalen Katastrophe, bei der die Balken der Gibichungenhalle in den Flammen des Weltenbrandes zusammenkrachen. So dürfte das vorher und nachher nie auf einer Bühne zu sehen gewesen sein. Musikalisch ist das Potpourri nur machbar, weil Erich Wolfgang Korngold das Original den filmischen Erfordernissen angepasst hat. Das klingt flott, irgendwie anders, und ist doch immer Wagner. Korngold hat Respekt vor dessen Musik, jubelt nichts Eigenes unter. Sein Werk ist das Arrangement. Davon versteht er sehr viel. Einige fremde Zutaten beziehen ihre Verwendung aus der Handlung des Films. Als Wagner das erste Mal nach Paris kommt, mischt sich die Marseillaise unter den Fliegenden Holländer, den er noch als Idee in der Tasche hatte. Bei der zum königlichen Lever aufgebauschten ersten Begegnung des armen Schluckers aus Deutschland mit dem gefeierter Giacomo Meyerbeer, den Wagner als scharfen Widersacher empfand, umschmeichelt Musik aus den Hugenotten das Ohr.

Franz Liszt (Carlos Tompson) und seine Tochter Cosima (Rita Gam)

Ein blonder Franz Liszt (Carlos Tompson) und seine strenge Tochter Cosima (Rita Gam)

Biographisch folgt der Film zwar den wichtigsten Ereignissen im Leben Richard Wagners, die Einzelheiten sind oft ziemlich frei gestaltet und streifen den Kitsch. So wurde das „Siegfried-Idyll“ ja nicht etwa kurz nach der Geburt des Stammhalters in Triebschen aufgeführt, sondern erst ein Jahr später in Erinnerung an das freudige Ereignis. Dar Tod in Venedig ereilt Wagner bekanntlich auch ganz anders als im Film, wo er im Beisein von Frau Cosima und Franz List am Flügel Parsifal spielend mit verklärtem Blick gen Himmel fast unmerklich den Geist aufgibt. In Hollywood werden halt Lebensläufe nach eigenen Gesetzen in Szene gesetzt. Wer sich auf den Film einlässt, weiß das. Die Hauptrolle spielt ohnehin die Musik. Die Rysanek muss auch noch die Senta und die Sieglinde geben, Partien, die sie tatsächlich im Repertoire hatte. Neben ihr wirkt noch der junge Hans Hopf episodisch als Tannhäuser, Siegmund und Walter von Stolzing, während Otto Edelmann für Holländer, Hans Sachs und Wotan zuständig ist.

König Ludwig II. (Gerhard Riedmann) steht vor seinem Meister Richard Wagner (Alan Badel)

König Ludwig II. (Gerhard Riedmann) steht vor seinem Meister Richard Wagner (Alan Badel)

Wie damals üblich in solchen Musiker-Biographie-Filmen – es gab jede Menge davon –, werden die Sänger im Vorspann nicht namentlich genannt.  Sie sind nur pauschal aufgeführt gemeinsam mit dem Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper unter der Leitung von Alois Melichar. Dieser hatte nur eine kurze Karriere als Dirigent. Sein Gebiet war die Filmmusik – beispielsweise für „Mutterlied“ mit Maria Cebotari und Benjamino Gigli. Auch ausgesprochene Nazipropagandafilme wie „…reitet für Deutschland“ und „Kameraden“ (beide 1941) finden sich in seinem Werkverzeichnis. Umso erstaunlicher ist es, dass er 1955 für einen US-amerikanischen Streifen herangezogen wurde, wenn auch nur als Dirigent. Genaue Angaben zu den mitwirkenden Sängern liefert die CD, die bei Amazon noch zu haben ist. In den 26 Tracks sind alle Szenen aufgelistet, in denen Musik erklingt – und zwar mit genauem Bezug zum jeweiligen Werk und den Mitwirkenden. Zu erfahren ist auch, dass Korngold selbst für Wagner das Klavier spielt, als der sich von dieser Welt verabschiedet. Rüdiger Winter

Produzent des Albums ist übrigens George Korngold, der 1928 geborene Sohn des Komponisten, der jetzt selbst zu Wort kommen soll. Den nachfolgenden Artikel im originalen Englisch entnahmen wir dem Booklet zur oben genannten CD, daraus auch das Schwarz-Weiß-Foto. Die Farbfotos stammen aus dem Film.

The Lord of the Ring – In early 1954 William Dieterle, the respected film director and an old family friend, approached my father, Erich Wolfgang Korngold, with the idea of supervising and adapting the music of Richard Wagner for his production of Magic Fire, the biography of Wagner’s life, to be shot entirely on location in Germany It had long been Dieterle’s dream to bring Wagner’s life to the screen and Republic Pictures had decided to finance the film from monies frozen in German banks after World War II, monies they could not otherwise transfer to the U.S. Famous for his film-biographies, Dr. Ehlrich’s Magic Bullet, The Life of Emil Zola and Juarez (the latter with music by my father), all highly distinguished and acclaimed motion pictures, Dieterle was the logical choice to attempt dramatization of the life and career of the great German composer.

Erich Wolfgang Korngold gibt dem Wagner-Darsteller Alan Badel Dirigierunterricht.

Erich Wolfgang Korngold gibt dem Wagner-Darsteller Alan Badel Dirigierunterricht/Magic Fire

The screenplay was written by Bertita Harding, based on her book Magic Fire in collaboration with Dieterle (he wrote under the pseudonym of David Chantler) and E.A. Dupont, the renowned German film director. The scenario was long, wordy and Germanic, and tried to cover too much of Wagner’s life, but it was factual and left room to present a large „sampling“ of Wagner’s music without interruption by dialogue or action. My father had retired from films in 1947 to return to composition for the concert and opera stages and had refused many offers to compose music for motion pictures. After first turning Dieterle down, he finally decided to take on the difficult task of adapting Wagner’s music because he was afraid that in less devoted hands the composer’s music would suffer the same fate as had that of many other great musicians whose lives had been brought to the screen by Hollywood.

Republic, known for its productions of low-budget „westerns,“ was not exactly the ideal choice to undertake such a serious project, but they had indeed previously ventured into the field of respectable, prestige films (The Quiet Man) and Dieterle felt he could make the film under their aegis, provided he was allowed a free hand as promised. The conditions for my father’s participation were ideal. He would be free to choose repertoire, artists, orchestra, chorus and the recording venue, and his wishes in music/dramatic matters were to be adhered to without any interference. Then and only then did he accept the offer.

"Magic Fire": Alan Badel als Wagner/Magic Fire CD

„Magic Fire“: Alan Badel als Wagner/Magic Fire CD

At the time, I was a recording engineer in a small studio in Hollywood, trying to break into the motion picture industry — an almost impossible „Catch-22“ proposition, as in order to be hired by a film studio, you had to be a member of the union, and in order to join the union, you had to have been hired by a studio! As a last resort, I decided to resign from my engineering job and go to Germany in the hope that there – without union restrictions – I might be hired to work on Magic Fire. As it turned out I was finally given a job as an apprentice film cutter to Stan Johnson, the well-known film editor, from whom I learned film editing from the ground up. I later became the music editor on the film, the only film I ever worked on with my father, and eventually mixed the music during the final re-recording of the music, sound effects and dialogue. Shooting Magic Fire began in late August 1954, in Schwetzingen, Germany, a small German town equally famous for its white asparagus as for the fact that it boasted one of the few remaining undamaged baroque Court-Theatres. The Lohengrin sequence was filmed there with over 1,000 dress-extras in the audience. I was in charge of the „playbacks,“ entire musical sequences previously recorded in Munich to which the actor-singers mouthed the singing and an orchestra „played.“

Das Finale der nachgestellten Uraufführung der "Meistersinger von Nürnberg" in München

Das Finale der nachgestellten Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ in München/Magic Fire

Suddenly it was discovered that director Dieterle had forgotten his white gloves, without which he absolutely refused to begin shooting any film. He was quite superstitious and also firmly believed in astrology, having signed his contract for Magic Fire at exactly 5:22 a.m. on the day prescribed by his astrologer, thus apparently ensuring the film’s success! A messenger was dispatched to Heidelberg to find white gloves, and when he finally returned, after four hours, shooting could begin. In the meantime, the entire crew, the stars and the extras had waited patiently and the production manager, Lee Lukather, a veteran of Republic westerns, who hated this film and in particular the music which „… cost a bundle …,“ ranted at the loss of time and money (Ironically, this rough and tough man, who only came into his own when real horses were used during the shooting of the Ride of the Valkyries, developed an almost touching attachment to my father.)

This had not been a very auspicious beginning, but nevertheless things began to improve immediately, with Dieterle pushing ever forward with the complicated shooting schedule, which included such locations as the delicately imposing Mark Grafliche Theatre in Bayreuth (Der Fliegende Hollander sequence), the Wagner Festspielhaus in Bayreuth (Der Ring des Nibelungen montage), and the Bavarian State Opera in the Prinz Regenten Theatre in Munich (Die Meistersinger excerpts). While shooting in the Bayreuth Festspielhaus it was discovered that the actor who was to portray the conductor, Hans Richter, had not shown up on the set and Dieterle appealed to my father to take his place so that the filming of the difficult Ring sequences could commence. Dressed in tails and made up with a beard and wig, my father thus made his second cinematic appearance „conducting“ the Ring! (He had previously appeared playing the piano in a short film about the making of A Midsummer Night’s Dream in 1934). the music is the socalled „foreign track,“ a recording made without dialogue to be sent to foreign countries so that they can „dub“ in their respective languages. Thus, many pieces either end abruptly, reflect some „perspective“ effect, or are faded at the end to accommodate changing visual scenes and deletions from the original version. As was his custom, my father played all the solo piano parts, as he had done in all his previous films where called for. Due to ill health, he was not allowed to conduct the music and Alois Melichar, a name undoubtedly familiar to collectors of early Deutsche Grammophon records, where he was a respected chief conductor, was asked to conduct. Their collaboration led to a lasting friendship and Melichar later went on to conduct the first broadcast performance of Korngold’s Symphony in F in Graz, Austria.

Alan Badel hat als Richard Wagner von seinem musikalischen Mentor Korngold viel gelernt

Alan Badel hat als Richard Wagner von seinem musikalischen Mentor Korngold viel gelernt/Magic Fire

Throughout the filming of Magic Fire, my father began to see more and more of his „dreams“ fading. And when we watched the first screening of the rough-cut film, he turned to me with a twinkle in his eye and whispered: „… perhaps Dieterle should have signed his contract at 6:30 in the morning!“ Later, as the film was being shortened more and more, he nevertheless kept his undaunted good humor and once remarked that „… when I had to compress 16 hours of the Ring into five minutes, that was already drastic, but now that they have cut it down to four minutes – that’s too much…“ In the end, Magic Fire, already damaged by a weak script and a not all too awe-inspiring cast, could not survive. Unfortunately, despite a heroic performance by Alan Badel as Wagner, the beautiful camera work of Ernest Haller (Gone with the Wind) and the grand music of Wagner, it was not strong enough to withstand the tamperings of Hollywood executives. It was releasedor, as one of the members of the staff quipped, it „escaped“ – in late 1955 and quickly disappeared, to surface years later on late-night television.

Melodramatisches Ende des Film: Cosima (Rita Gam) am Fenster des Palazzo Vendramin in Venedig, wo Wagner am 13. Februar 1883 starb

Melodramatisches Ende: Cosima (Rita Gam) am Fenster des Palazzo Vendramin, wo Wagner 1883 starb/Magic Fire

The worthwhile efforts of many talents – Dieterle, Korngold, Badel, the great young singers Leonie Rysanek, Otto Edelmann and Hans Hopf – had come to naught, partially due to the almost impossible task of condensing the career of a larger-than-life historic figure to a couple of hours, but mostly because once again, despite firm assurances to the contrary, the film ended up in the hands of persons with very little artistic integrity. When viewed today it has become a series of cliches, and even the music, which my father strived so hard to preserve, is disrespectfully decimated. Unfortunately, not all of the original music sequences, which would have better evidenced the artistic intent of the project, are in existence anymore. Hopefully, the version presented on this record, though already from an earlier, slightly cut fourth generation master, will serve to remind what Magic Fire might have been.“

Magic FireDie Richard Wagner Story. USA 1955, Regie: William Dieterle, 103 Minuten, Mitwirkende: Alan Badel (Richard Wagner), Yvonne de Carlo (Minna), Carlos Tompson (Franz Liszt), Rita Gam (Cosima), Gerhard Riedmann (Ludwig II.) und viele andere. Label: Fernsehjuwelen, Bestellnummer 6414361.

1-DVD - Verdi FilmZeitgleich ist der Mehrteiler „Giuseppe Verdi – Eine italienische Legende“ bei Filmjuwelen herausgekommen, der wesentlich genauer mit der Biographie des Komponisten umgeht als der Wagner-Film mit seinem Helden. Dafür gibt es auch mehr Zeit. Es werden alle wesentlichen Stationen im Leben und Schaffen Verdi in teils grandiosen Bildern abgehandelt. Der Film lebt von diesen farbenprächtigen Einstellungen, die das Team an viele Originalschauplätze führte, bis hin in die Sowjetunion. Dabei wurde nicht gespart. Kostüme, Make-up und Ausstattung sind ihrer Zeit so genau nachempfunden, wie man das sonst nur aus englischen BBC-Serien kennt. Auch diese Produktion richtet sich an ein breites Publikum, hält aber stets darauf, das sich auch jene angesprochen fühlen dürfen, die mit Werk und Lebens Verdi sehr gut vertraut sind. Nicht mehr und nicht weniger will der Film sein. In Gesangsszenen erklingen die Stimmen von Maria Callas und Luciano Pavarotti. In Italien war die Serie ein riesiger Erfolg, ähnlich einem Straßenfeger. Den „Cable ACE Award“ gab es in den USA. Als der Film im Sommer 1983 ins Programm der ARD gehoben wurde, spottete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „In einer aufwendigen Fernsehserie hat nun der italienische Regisseur und Drehbuchautor Renato Castellani den Komponisten wieder zum Leben erweckt.“ Mit dem Abspielen seiner Gassenhauer illustriere Castellani dabei vor allem die Bedeutung Verdis für das „Wunschkonzert-Publikum“. Übrigens fand die deutsche Erstaufführung gleich nach Fertigstellung der Serie im DDR-Fernsehen statt. Rüdiger Winter

Giuseppe Verdi – Eine italienische Legende, Ko-Produktion zwischen Italien, Frankreich, Deutschland, England, Schweden und der Sowjetunion 1982, 529 Minuten in acht Teilen, Regie: Renato Castellani. Mitwirkende: Ronald Pickup (Giuseppe Verdi), Carla Fracci (Giuseppina Strepponi), Giampiero Albertini (Antonio Berezzi), Lino Capolicchio (Arrigo Boito), Eva Christian (Teresa Stolz), Daria Nicolodi (Margherita Barezzi), Jan Niklas (Angelo Mariani), Nino Dal Fabbro (Giulio Ricordi) und viele andere. Label: Fernsehjuwelen, Bestellnummer: 6414274.

 

Viele Königinnen – aber nur eine Rysanek

Leonie RysanekThe Soprano Queen. Es gibt zwar viele Königinnen in diesem Stimmfach. Aber es gab nur eine Rysanek. Sie hatte keine Vorgängerin und keine Nachfolgerin. Sie war eine Ausnahme und ist es in der Erinnerung ihrer sehr zahlreichen Anhänger geblieben. Jene, die sie noch selbst erlebt haben auf den Bühnen dieser Welt, schwören, dass sie nur dort zu ihrer eigentlichen Größe wuchs. Dabei sollen nicht alle Abende zu ihrem Ruhme beigetragen haben, je näher sich die Karriere ihrem Ende neigte. Aber dann gab es immer wieder diese Vorstellungen, bei denen sie mit ihrem flammenden Sopran alles in ihren Bann schlug, was Parkett und Ränge füllte. Selbst zufällige Opernbesucher, die noch nie zuvor von ihr gehört hatten, sollen durch sie für  den Rest ihres Lebens mit Oper infiziert gewesen sein. Die Rysanek war durch Präsenz und Individualität die beste Werberin für diese Kunstform. In die Kulissen des so genannten Regietheaters hätte sie nicht gepasst. Sie war ihr eigenes Regietheater. Unorthodox, wie die Rakete, die an beiden Enden in Flammen steht. Ihre Aufnahmen vermitteln davon zwar eine starke Vorstellung, das Bühnenerlebnis ersetzen sie nicht.

Weit gereist als Sieglinde: Die Rysanek mit Alberto Remedios als Siegmund in Sydney

Weit gereist als Sieglinde: die Rysanek hier mit Alberto Remedios/Siegmund in Sydney/Opera Australia

Dem Label The Intense Media, das sich der Erinnerung an bedeutende Sänger und Musiker verschrieben hat, ist mit seiner Rysanek-Box eine schöne Auswahl gelungen (600 159). Die zehn CDs sind nicht immer randvoll gefüllt, dafür aber werden Szenen aus dreißig Opern aufgeboten. Ihr Repertoire war allerdings viel größer. Kundry, Chrysothemis, Salome, Küsterin, Kabanicha, die späte Klytämnestra oder die Pique Dame-Gräfin sind nicht berücksichtigt. Kein Grund zur Klage. Entsprechende Mitschnitte sind auf allen möglichen Labels weit verbreitet und kursieren unter Sammlern. Dieser Mangel schmälert die Box also nicht. Obwohl ihre Domäne die Bühne gewesen ist, sind ihr auch eine ganze Menge Studioproduktionen gelungen. Lady Macbeth gilt als das Paradebeispiel. Szenen der RCA-Einspielung unter Erich Leinsdorf, die das sensationelle Debüt in der alten New Yorker Met zu wiederholen versucht, belegen das. Aus Studios, auch beim Rundfunk, stammen Ausschnitte aus den komplett eingespielten Opern Fidelio (DG/Ferenc Fricsay), Oberon (WDR/Joseph Keilberth) und Otello (RCA/Tullio Serafin) sowie zahlreiche einzelne Szenen und Arien, darunter „Das war sehr gut, Mandryka“ aus Arabella, „Ich weiß nicht, wer mein Vater war“ aus Tiefland oder die Senta-Ballade aus dem Fliegenden Holländer (alles mit Wilhelm Schüchter am Pult). Holländer gibt es zusätzlich aus Bayreuth. Von dort stammen die gleichfalls größeren Szenen aus Walküre (1951/Herbert von Karajan) und Lohengrin (1958/André Cluytens).

Salome: Paraderolle im berühmten Kostüm

Salome: Paraderolle im berühmten Kostüm/Foto Buhs-Remmler/DOB

Eines meiner liebsten Rysanek-Dokumente ist ihre Gutrune in der Götterdämmerung aus dem Münchener Prinzregententheater, die Hans Knapperstbusch 1955 dort aufführte. Sie ist eine der wenigen dokumentierten Produktionen, die diese Partie vom Rande ins Zentrum rückt und ihr neben der Brünnhilde – gesungen von der aufstrebenden Birgit Nilsson – die Wichtigkeit gibt, die ihr bei genauer dramaturgischer Lesart tatsächlich zukommt. Noch immer werde ich den Eindruck nicht los, dass sich damals eine kommende Brünnhilde abgezeichnet. Tat es aber nicht. Brünnhilde hatte sich für die Rysanek offenbar bereits 1950 erledigt. Damals debütierte sie in der österreichischen Provinz als Walküren-Brünnhilde, ohne dass es eine Fortsetzung gab. Nur im amerikanischen Spielfilm „Frauen um Richard Wagner“ (im Original „Magic Fire“) versuchte sie sich 1954 nochmals mehr anekdotisch in dieser Rolle mit einem kleinen, vom Korngold musikalisch bearbeiteten Ausschnitt aus dem Götterdämmerungs-Schlussgesang. Der Film ist jetzt beim Label Filmjuwelen auf DVD erschienen, die kurze Sequenz macht Lust auf mehr. Zu hören ist eine sehr strahlende und lyrische Brünnhilde, das glatte Gegenteil von Martha Mödl, Astrid Varnay und der Nilsson, die zu dieser Zeit die Spielpläne dominierten und den Stil im Wagnergesang nicht nur positiv für Jahrzehnte prägten.

Eines ihrer Stammhäuser: Die Rysanek vor der Metropolitan Opera -

Eines ihrer Stammhäuser: die Rysanek vor der Metropolitan Opera in New York/Foto Davidson

Es gehört zu den Stärken der Rysanek, dass sie ihre Fachgrenzen Richtung Hochdramatische nie überschritt, was ihr eine lange Karriere beschied. Mit der Elektra im Film von Götz Friedrich wollte sie lediglich ihrem Mentor Karl Böhm einen Gefallen tun. Das Ausdrucksspektrum dieser Partie vermochte sie nicht nachhaltig zu erweitern. Zu groß war die Konkurrenz. Eine der Rollen ihres Lebens durfte in der Box auf keinen Fall fehlen, die Kaiserin in der Frau ohne Schatten von Strauss (großes Foto oben), hier aus der berühmten und nicht zu toppenden ersten Stereo-Schallplattenproduktion der Decca aus Wien mit Böhm am Pult, der diesem schwierigen Stück zu weltweitem Durchbruch verhalf – nicht immer zum Vorteil dieser großen Festspieloper. Denn auch als Kaiserin hat die Rysanek keine echte Nachfolgerin gefunden, die es mit ihr hätte aufnehmen können in der überzeugenden Gestaltung dieser zerrissenen Frau. Sie hat die Kaiserin fast zwanzig Jahre lang gesungen, nur überboten von der Sieglinde, die sie erstmals 1951 bei den Bayreuther Festspielen und letztmalig 1989 an der Wiener Staatsoper sang. Das dürfte Rekord sein. Ein Rekord, der zu Leonie Rysanek passt.

Rüdiger Winter

Klippen bravourös umschifft

Die argentinische Mezzosopranistin Bernarda Fink verbindet man allgemein mit der Szene der Barock- und Alten Musik, unter Renee Jacobs hat sie zahlreiche Opern eingespielt. Auf dieser Solo-CD widmet sie sich ausschließlich dem Liedschaffen Gustav Mahlers, dessen breite Kantilenen ihrem geschmeidigen Organ ausgezeichnet liegen (harmonia mundi HMC 902173). Interessant besonders die ganz frühen Lieder von 1880, bei denen Mahler noch eigene Texte vertonte, aber bereits seinen spezifischen „Wunderhorn-Ton“ entwickelte, der für das gesamte Liedschaffen und die ersten Symphonien so charakteristisch ist.

Die mit 78 Minuten randvolle CD enthält aber auch die zwei großen Zyklen „Lieder eines fahrenden Gesellen“, „Kindertotenlieder“, sowie einzelne Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ und den Rückert-Liedern. Finks Stimme fühlt sich bei Mahler offenbar sehr wohl, und kann den Farbenreichtum ihres schlanken Mezzo voll ausspielen. Nur in einigen exponierten Lagen wird hörbar, dass die Künstlerin sich ihrem sechzigsten Geburtstag nähert. Routiniert und eloquent kann sie aber die meisten stimmlichen Klippen bravourös umschiffen und erfreut mit gut fokussiertem, warmem Ton. Ihre vorzügliche Textbehandlung ist ein weiteres großes Plus, nur manche Passagen hätte man sich vielleicht etwas temperamentvoller gestaltet gewünscht.

Die zum Teil sehr langsamen Tempi bei den Orchesterliedern gehen aber wohl auch auf das Konto des Dirigenten Andres Orozco-Estrada, der zwar insgesamt mit dem Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester und dem Gustav-Mahler-Ensemble ein sensibler Begleiter ist, manche Tempi aber doch extrem breit nimmt. Anthony Spiri als Klavierbegleiter bei den ganz frühen Liedern entledigt sich seiner Aufgabe tadellos. Empfehlenswert für alle Freunde dieser verdienstvollen Sängerin, aber natürlich auch für alle Liebhaber der Mahler’schen Lieder, die hier eine hörenswerte Wiedergabe erfahren.

Peter Sommeregger

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Zwei Zeitgenossen teilen sich eine CD

Über die musikalische Verwandtschaft der Zeitgenossen Beethoven und Cherubini wurde schon verschiedentlich geschrieben und diskutiert. Diese CD (Dabringhaus und Grimm MDG 940 1854-6) unternimmt den reizvollen Versuch, Werke der beiden Komponisten direkt gegenüberzustellen. Beethovens erste „Leonoren-Ouvertüre“, von den prächtigeren, späteren aus dem Repertoire verdrängt, ist ein absolut eigenständiges, schönes Konzertstück, dem man gerne öfter begegnen würde, und das in der Interpretation durch Bertrand de Billy und dem Lausanner Orchester hier zu seinem Recht kommt, ernst genommen zu werden.

Cherubinis einzige Symphonie von 1815, erst 1951 neu herausgegeben, gehört auch nicht gerade zu den viel gespielten Werken. Das mag zum Teil an ihrem ernsten, stellenweise auch spröden Charakter liegen. Strukturell ist das Werk durchaus den Beethoven’schen Symphonien vergleichbar, kommt allerdings mit einer wesentlich kleineren Orchesterbesetzung aus. Adäquat dazu fehlt es den Hauptthemen vielleicht auch an Stringenz und Originalität. In der schlüssigen hier vorliegenden Interpretation füllt es zumindest eine Repertoire-Lücke.

Noch interessanter ist der Vergleich der beiden hier eingespielten Vokalwerke: Beethovens „Ah! perfido“ op.65, stilistisch ein Vorgriff auf die große Leonoren-Arie, und Cherubinis „Vous voyez de vos fils“ aus Medea. Die beiden großen Liebenden werden von der schwedischen Sopranistin Maria Bengtsson porträtiert. Die Sängerin, die sich im Augenblick auf dem Weg in die erste Reihe der Opernhäuser befindet, leiht ihren ausdrucksvollen, sehr persönlich timbrierten Sopran den beiden seelenverwandten Frauen. Bisher mehr für das lyrische Fach und ihr großartiges Piano bekannt, wagt Bengtsson hier den Schritt zu etwas dramatischeren Herausforderungen. Im Oktober wird sie in Wien als Elettra in Mozarts Idomeneo zu hören sein, auch dies ein Indiz für die Erweiterung ihres Repertoires in diese Richtung. Im Studio gelingt dies auch vorzüglich, ihre gut gebildete, technisch brillante Stimme bewältigt die beiden Arien bravourös. Wie weit das kostbare Timbre der Stimme durch solche Ausflüge gefährdet ist, wird die Zukunft zeigen.

Schwer verständlich ist, warum man dieser Sängerin nicht ein Solo-Album gegönnt hat. Bengtsson ist schon seit Jahren international erfolgreich, verfügt nicht zuletzt in Berlin, wo sie jahrelang Ensemblemitglied der Komischen Oper war, und inzwischen auch häufig in der Staatsoper anzutreffen ist, über eine große Fan-Gemeinde. Vielleicht ist hier eine höchst unerfreuliche Tendenz der Branche erkennbar: Man setzt nur noch auf einzelne Künstler, die im großen Stil vermarktet und so penetrant beworben werden, dass selbst Analphabeten diese Namen kennen. Der Rest der Künstler wird gerade einmal verschämt in einem Sammelprogramm versteckt. Anne Schwanewilms kann ein Lied davon singen: ihre letzte CD erschien unter dem Allerweltstitel „Wagner“.

Abschließend muss man aber dem Label Dabringhaus und Grimm großes Lob für eine CD aussprechen, die abseits des Mainstreams sorgfältig produziert ist und speziell im vokalen Teil durchaus begeistern kann.

Peter Sommeregger

Die Lenya ist der Star

In der Reihe der inzwischen sattsam bekannten 10-CD-Boxen von Intense Media ist nun auch eine Zusammenstellung historischer Brecht/Weill-Aufnahmen erschienen (600124). Auch in diesem Fall sind es größtenteils bekannte, schon mehrfach aufgelegte Einspielungen. Und doch, es finden sich einzelne reizvolle Raritäten, so z.B. orchestrale Auszüge aus der Dreigroschenoper unter Otto Klemperer mit der Staatskapelle Berlin von 1930, September-Song mit Frank Sinatra, die Moritat von Mackie Messer von Bertolt Brecht selbst interpretiert, und vieles mehr.

Die gesamte Box wird von den Aufnahmen Lotte Lenyas dominiert, sehr zum Vorteil dieser Edition. Die Lenya, Ehefrau und Witwe Weills, hat nach seinem frühen Tod unermüdlich für die Verbreitung seiner Werke gesorgt, einen guten Teil seiner Rollen hatte er ihr ja auf den Leib geschrieben, und nicht nur deswegen ist sie die uneinholbar berufenste seiner Interpretinnen. Diese Mischung von kühler Schnoddrigkeit, mit einer Prise Wiener Schmäh versetzt, ist unwiederholbar, und bis heute muss sich jede Jenny oder Anna an ihr messen lassen. Die Dreigroschenoper ist hier gleich in mehreren Einspielungen zu hören. Neben der historischen Aufnahme von 1930 in der Besetzung der Uraufführung, auch die inzwischen auch schon nicht mehr ganz frische Einspielung von 1958. Eindeutiger Höhepunkt sind Die sieben Todsünden, 1956 unter Brückner-Rüggeberg eingespielt, dicht gefolgt von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny im gleichen Jahr mit dem gleichen Dirigenten entstanden. Vom „amerikanischen“ Weill ist Lady in the Dark und Down in the Valley enthalten, jeweils in amerikanischen Aufnahmen der 50er-Jahre, die allerdings nicht so recht begeistern können.

So kompakt und übersichtlich hat es diese Aufnahmen bisher nicht gegeben, schon gar nicht für diesen Dumping-Preis. Zugreifen, alle Lotte-Lenya-Fans!

Peter Sommeregger