Mit seltener Einmütigkeit reagierte das internationale Feuilleton, auf die von 2010 bis 2013 parallel für die Mailänder Scala und die Berliner Staatsoper produzierte Neudeutung von Wagners Ring des Nibelungen. Der junge belgische Regisseur und Bühnenbildner Guy Cassiers sah sich herber Kritik ausgesetzt. Die nun als DVD vorliegende Rheingold-Aufführung der Mailänder Scala von 2010 (Arthaus Musik 101 693) bestätigt diese Urteile auf der ganzen Linie. Cassiers hat weder für die optische Gestaltung der Szene, noch für die Führung der Protagonisten ein erkennbares Konzept. In diffusen Räumen entstehen nichtssagende Tableaus, die Sänger, teilweise grotesk überschminkt, sind sich weitgehend selbst überlassen, was bei den erfahrenen Künstlern kein Nachteil sein muss. Die Grundidee dieser Produktion, die Protagonisten teilweise tänzerisch zu doubeln, bzw. die Szene mit choreographischen Elementen anzureichern, ist mit Sicherheit das Letzte, was Wagner für den Ring gewollt hätte. Aber die Intentionen der Komponisten und Dichter spielen bei heutigen Regisseuren keine Rolle mehr, da ist Cassiers keine Ausnahme. Der Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui liefert zwar eine sehr professionelle Arbeit ab, aber es gibt eben nichts Richtiges im Falschen. Der Trend zur Choreographisierung der Opernregie ist unverkennbar, ein offensichtlicher Irrweg, aber erst einmal Mode, eher der nächste Unfug Raum greift.
Auch handwerklich versagt Cassiers, er macht die insgesamt drei Szenenwechsel des Stückes nicht sichtbar, die gesamte Handlung läuft in einem imäginären, nicht näher definierten Raum ab, in dessen Boden Wassergefäße eingelassen sind. Das gibt den Tänzern wie Sängern immer wieder Gelegenheit, ein wenig im Wasser zu plantschen, man beneidet sie nicht um ihre nassen Füße. Völlig verschenkt wird das Finale: Der Einzug der Götter in Walhall findet nur im Orchestergraben statt, auf der Bühne ist einzig Loge zu sehen, der munter von Wasserbecken zu Wasserbecken hüpft. Wahrlich ein Ring für das 21. Jahrhundert, wie das Booklet vollmundig verkündet!
Gerettet wird der Abend einzig durch die Sänger. René Pape als jugendlicher Wotan findet beinahe zu so etwas wie deutschem Belcanto. Er sollte sich aber auf den Rheingold-Wotan beschränken, für den Walküre-Wotan und Wanderer dürfte es ihm (noch) an Volumen fehlen. Stephan Rügamer gibt einen lyrischen, erfreulich textdeutlichen Loge, die Palme aber gebührt dem spielfreudigen, stimmlich äußerst differenzierten Alberich von Johannes Martin Kränzle, für Charakter-Baritone zur Zeit die erste Wahl. Bei den Damen kann einmal mehr die unverwüstliche Fricka der Doris Soffel punkten, die mit warmem, rundem Mezzo keinen Wunsch offen lässt. Erfreulich wohlklingend die Rheintöchter Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya und Marina Prudenskaya. Etwas schartig die Freia der Anna Samuil, und wenig eindrucksvoll auch die Erda Anna Larssons, die zudem durch einen schauderhaften Regieeinfall behindert wird.
Im Graben waltet Daniel Barenboim, der das Orchester der Scala, das nicht unbedingt ein Wagner-Klangkörper der ersten Wahl ist, solide und sicher durch die insgesamt etwas spannungsarme Aufführung lenkt. Die Lust auf die weiteren Teile dieses Ring hält sich in Grenzen.
Peter Sommeregger