Ein Werk, das nicht auf Anhieb mit dem Dirigenten Günter Wand verbunden wird, ist Carmina Burana von Carl Orff. Das Label Profil Günter Hänssler hat die NDR-Produktion ausgegraben (PH 12054). Ein genaues Aufnahmedatum wurde nicht mitgeliefert. Im Kleingedruckt ist lediglich 1984 als Jahr der Veröffentlichung durch den Sender genannt. Viel älter dürfte die Aufnahme auch nicht sein. Wand hatte 1982 seinen Posten als Generalmusikdirektor des NDR-Sinfonieorchesters angetreten. Das war der Auftakt zu seiner Alterskarriere, die seinen legendären Ruhm, der auch zwölf Jahre nach seinem Tod noch anhält, begründen sollte. Seine Verehrer, die ohnehin alles mit ihm haben müssen, können sich freuen. Jene, die mit Wand nicht auf so vertrautem Fuß stehen, werden ihn womöglich gerade an Hand dieser Einspielung für sich entdecken. Ich sehe mich irgendwo dazwischen.
Mir geht nicht aus dem Sinn, wie Wand, dieser durchgeistigte zierliche alte Mann mit einer Präzision und Ausdauer das Orchester beieinander hielt und zu einem Ausdruck lenkte, wie er in diesem Moment nicht anders vorstellbar gewesen ist. Er diente der Musik. Konzerte, die ich erlebt habe, sind mir unvergesslich. Seither fällt es mir schwer, ihn „nur“ zu hören und beim Musizieren nicht auch noch leibhaftig zu sehen. Eine CD lässt keine andere Wahl. Seine Carmina kommt mir höchst konzentriert und geschlossen vor. Sie schielt nicht auf die spektakuläre Höhepunkte. Diese werden vielmehr sehr diskret im Kontext des Stückes platziert. Sie fallen nicht heraus. Wand gibt nicht den Gassenhauer. Er sucht und findet die Poesie und die dralle Lebenslust in Wort und Musik. Das über die Maßen strapazierte Werk empfinde ich unter seinen Händen als vergleichsweise maßvoll. Ich konnte es zeitweise wegen Überstrapazierung nicht mehr hören. Wand macht es mir wieder zugänglicher.
Für die Solisten hat es die 1937 in „dunkler“ Zeit uraufgeführte Kantate in sich. Sopran (Maria Venuti) und Tenor (Ulf Kenklies) müssen hoch hinaus, der Bariton (Peter Binder) hat auch gut zu tun. Die Venuti, eine US-Amerikanerin mit italienischen Wurzeln, macht ihre Sache perfekt und hat keinerlei Höhenprobleme, was wirklich etwas heißen will. Es gibt nicht sehr viele Dokumente mit ihr. Das gilt auch für Kenklies, der oft Bach gesungen hat. Als Schwan am Spieß brät er in seiner berühmten Szene „Olim lacus colueram“ tapfer, stilvoll und ohne Übertreibungen vor sich hin. Respekt! Binder bleibt auch nichts erspart. Er kann mit seinem sehr wandlungsfähigen Bariton gar dem Tenor Konkurrenz machen, so viel wird ihm abverlangt. Große Aufgaben hat der Chor. Er setzt sich aus dem Hamburger Knabenchor, Mitgliedern des Opernchors des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover und dem NDR-Chor zusammen. Der Klang der CD ist bestens.
Rüdiger Winter