Der Dirigent Richard Hickox, vor allem in seiner Heimat Großbritannien hoch geschätzt, hinterließ bei seinem plötzlichen Tod im Jahre 2008 eine große Zahl von Schallplattenaufnahmen. Bevorzugt widmete sich der charismatische Künstler englischer Musik verschiedener Epochen. Entsprechend sind auch mehrheitlich britische Komponisten in der Reihe der Wiederveröffentlichungen beim Label Chandos berücksichtigt worden.
Eine Ausnahme bildet der Elija von Felix Mendelssohn Bartholdy, der hier im originalen Englisch gesungen wird. Das Oratorium war 1846 mit großem Erfolg beim renommierten Musikfestival in Birmingham uraufgeführt worden. Dazu waren die dreihundert Mitwirkenden in einem Sonderzug von London angereist, was für sich genommen schon Aufsehen erregte. Danach arbeitete Mendelssohn das Werk um, indem er Stücke hinzu komponierte, andere veränderte. Elias blieb für lange Zeit in England populärer als in Deutschland. Hickox gelingt mit dem London Symphony Orchestra und dem London Symphony Chorus eine mächtige, gleichwohl transparente Interpretation, unterstützt von den Solisten Willard White, Rosalind Plowright, Linda Finnie, Arthur Davies und Jeremy Budd, die zum Zeitpunkt der Aufnahme 1989 sämtlich noch auf der Höhe ihrer stimmlichen Mittel waren (Chandos CHAN 241-48).
Sir Edward Elgars Oratorium The Apostles, nach dem großen Erfolg seines ersten derartigen Werkes The Dream of Gerontius geschrieben und 1903 ebenfalls in Birmingham uraufgeführt, wurde von Hickox 1990 mit dem gleichen Orchester und Chor wie der Elias eingespielt. Das Werk ist von einer manchmal etwas ermüdenden Getragenheit, mit deutlich über zwei Stunden Spieldauer auch sehr breit konzipiert. Vergleiche mit zeitnah entstandener Musik, beispielsweise von Gustav Mahler, dürften nicht zu Gunsten von Elgar ausfallen. Gleichwohl stehen Hickox auch hier Solisten der ersten Garnitur zur Verfügung: Bryn Terfel als Petrus, Robert Lloyd als Judas und David Rendall als Johannes, um nur die Wichtigsten zu nennen. Chandos CHAN 241-49)
Bei Troilus and Cressida von William Walton, uraufgeführt in London 1954, handelt es sich um eine der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sehr beliebten Literatur-Vertonungen. Walton greift dabei nicht auf William Shakespeare zurück, sondern auf das gleichnamige Poem des Dichters Geoffrey Chaucer. Dessen Lebensdaten sind nicht eindeutig. Er starb 1400, vermutlich in London. Die Musik ist eingängig, mit dramaturgisch klug gesetzten Akzenten und verfügt über gut singbare, dankbare Partien. In dieser Aufzeichnung einer Produktion der Opera North von 1994 erklingt die Oper in ihrer rekonstruierten Erstfassung. Zwischenzeitlich hatte Walton eine veränderte Fassung, die von Janet Baker kreiert wurde, angefertigt. Judith Howarth als Cressida und Arthur Davies als Troilus sind genau so gut besetzt wie die Sänger der Nebenrollen. Das English Northern Philharmonia Orchester und der Chorus of Opera North sorgen für eine engagierte Wiedergabe des bis heute erfolgreichen Werkes. (Chandos CHAN 241-50)
Benjamin Britten, ohne Zweifel der bedeutendste britische Komponist des 20. Jahrhunderts, ist in dieser Reihe mit seiner zweiten, unmittelbar nach dem Welterfolg seines Peter Grimes entstandenen Oper The Rape of Lucretia vertreten. Ganz im Gegensatz zu ihrem Vorgänger handelt es sich bei diesem Werk um eine Kammeroper. Das Orchester besteht gerade einmal aus dreizehn Musikern. Die wenigen Figuren, die neben einem mit jeweils nur einer Stimme singenden männlichen und weiblichen Chor agieren, lassen keine Wünsche offen. Es ist eine Freude, ihnen zuzuhören, wenngleich sie an machen Stellen etwas distanziert wirken. Die Altistin Jean Rigby ist die Lucretia (in der Uraufführung sang Kathleen Ferrier diese Rolle), Alastair Miles ist ihr Ehemann Collatinus, männlicher und weiblicher Chor sind mit Nigel Robson und Catherine Pierard besetzt. Das Ensemble City of London Sinfonia begleitet hoch sensibel diese emotional berührende Stück, Hickox gelingt eine gleichermaßen durchsichtige wie eindrückliche Interpretation. (Chandos CHAN 241-51)
Peter Sommeregger