Es ist noch nicht lange her, dass an dieser Stelle Mahlers Lied von der Erde unter Carlos Kleiber aus Wien mit Waldemar Kmentt in der Tenorpartie besprochen wurde. Ich hatte mir den Mitschnitt aus Wien auch angehört.
Und es kam mir ein wenig so vor, als würde die Aufführungen gerade jetzt stattfinden. Wie eine aktuelle Radioübertragung. Es war da keine historische Distanz zu spüren, in der man sich gern genussreich verliert, weil sie einem nichts anhaben kann. Dieser Mitschnitt aber packte mich an, ließ mich nicht los, obwohl er fast fünfzig Jahre alt ist. Er war in der Gegenwart angekommen. So etwas können Sänger und Dirigenten zustande bringen. Es gehört zu den Wundern der Kunst.
Diese CD dürfte die bislang letzte offizielle Aufnahme in der sehr umfangreichen Diskographie von Kmentt gewesen sein. Am 21. Januar 2015 ist er in seiner Heimatstadt Wien gestorben. Er wurde 85 Jahre alt. „Mit ihm ist gewissermaßen der Doyen des Sängerensembles der Wiener Staatsoper, ein Familienmitglied von uns gegangen“, sagte Direktor Dominique Meyer. Tatsächlich hatte er, der auch in aller Welt gastierte, dem Haus am Ring mehr als dreieinhalb Jahrzehnte angehört. Im Laufe dieser Zeit sang er 79 Partien in 1480 Vorstellungen. Diese unglaublich große Ziffer kommt auch dadurch zustande, dass Kmentt mit den Jahren nicht selten bis zu vier verschiedene Rollen in ein und demselben Werk sang. Sie wurden immer kleiner. Aus Tamino wurde der Erste Priester, aus Eisenstein Dr. Blind, aus Bacchus der Haushofmeister – um nur wenige Beispiele zu nennen. Kmentt war kein Star, er war ein Diener der Musik. Und diese Rolle, die die Hauptrolle seines langen Lebens gewesen ist, spielte er fast bis zum Schluss.
Seine Schallplattenaufnahmen sind Legende. Nicht alle entstanden im Studio. Viele Werke gelangten als Mitschnitte auf Tonträger, nicht immer ganz offiziell. Die Vielseitigkeit dieses lyrischen Tenors, die sich im Aufführungsverzeichnis seines Stammhauses ablesen lässt, ist im akustischen Nachlass noch größer. Es kommen Lieder, Oratorien, Operetten und Opern von Joseph Haydn, Manuell de Falla, Hermann Goetz, Werner Egk und Giuseppe Verdi hinzu. Als Herzog und Manrico war er lediglich an der Volksoper, wo die internationale Konkurrenz in diesem Fach nicht so übermächtig war, zu hören, wie einschlägige Tondokumente belegen. Ein ganz besonderer Fall ist auch Wagner. Mit dem Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg, den er von 1968 bis 1970 sogar bei den Bayreuther Festspielen sang, ging er an Grenzen. Als Froh im Rheingold bei der Decca unter Solti ist er ein Ereignis. Wenn Froh nach dem schweren Gewitter der Regenbogenbrücke den Weg zur Burg Walhall weist, ist es, als könne er den Glanz und den Zauber des phantastischen Ereignisses selbst nicht fassen. In dieser schlichten Liedhaftigkeit ist die Szene für mich einer der anrührendsten Momente im ganzen Ring des Nibelungen. Für diese kleine Rolle einen lyrischen Tenor der Spitzenklasse zu besetzen, ist so klug wie konsequent. Leider wird das nicht immer so gehandhabt. Hier und in der Person von Kmentt kommen sich Wagner und Mozart, der seine eigentliche Domäne gewesen ist, nahe.
Er gehörte zum sagenumwobenen Mozartensemble der Wiener Staatsoper, das in den 1950er Jahren den nachhaltigen Versuch unternahm, Opern dieses Komponisten in mustergültigen Aufführungen zustande zu bringen. Und zwar so, dass das Ensemble triumphiert, nicht der einzelner Sänger. Dafür bringt Kmentt mit seinem ehr unauffälligen Timbre beste Voraussetzungen mit. Unauffällig im Sinne von sich nicht vordrängeln, in der Zurückhaltung den Kollegen gegenüber, im Versuch, so genau auf den Noten zu bleiben, dass die Stimme zum Transporteur des musikalischen Gedankens wird und nicht zum Mittel von Selbstdarstellung. Seinen stimmlichen Reichtum trägt Waldemar Kmentt nicht als juwelenbesetzten Orden auf der Brust, er trägt ihn im Herzen. Ich bin ihn dankbar. Rüdiger Winter
Dazu wie stets ein Auszug aus Wikipedia: Waldemar Kmentt (* 2. Februar 1929 in Wien; † 21. Jänner 2015 ebenda) war ein österreichischer Tenor, der besonders als Opern-Interpret bekannt geworden ist. Waldemar Kmentt maturierte im Jahr 1947 gemeinsam mit seinen Schulkollegen Eberhard Waechter und Fritz Uhl. Ursprünglich wollte er Pianist werden, ab 1949 studierte er Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien, unter anderem bei Elisabeth Radó, Adolf Vogel und Hans Duhan. Schon im Alter von 21 Jahren wurde er eingeladen, die Tenorpartie in Beethovens Neunter Symphonie unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm zu singen. Ab 1951 war er Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, deren Mitglied er über 35 Jahre blieb. Sein Debüt gab er am 26. Juni 1951 als Prinz in Die Liebe zu den drei Orangen von Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Nachdem das Operngebäude im März 1945 bei Bombenangriffen zerstört wurde, wich man bis zur Wiedereröffnung im Jahr 1955 unter anderem in die Volksoper aus, die offizielle Bezeichnung war damals Staatsoper in der Volksoper. Insgesamt verkörperte er am Haus am Ring 79 Rollen in 1480 Vorstellungen, zuletzt trat er dort am 25. November 2005 als Haushofmeister in Ariadne auf Naxos auf. Als junger lyrischer Tenor war er Mitglied des Wiener Mozartensembles. Das Repertoire seiner langen Karriere umfasst mehr als 80 Opern- und Operettenrollen vom lyrischen, jugendlich heldischen bis zum Charakterfach. Er hat an allen großen Opernhäusern sowohl in Europa als auch in Japan und Amerika gesungen. Bei den Salzburger Festspielen war er viele Jahre als Gast zu sehen. Auch trat er bei den Festivals von Bayreuth, Edinburgh und Aix-en-Provence auf. Als Konzertsänger wirkte er unter Herbert von Karajan, Otto Klemperer, Carlos Kleiber, Karl Richter, Karl Böhm, Eugen Jochum, Sergiu Celibidache und Leonard Bernstein. Kmentt leitete von 1978 bis 1995 das Opernstudio am Konservatorium der Stadt Wien, aus welchem viele heute namhafte Sänger hervorgingen, wie z. B. Wolfgang Bankl, Malin Hartelius oder Mehrzad Montazeri. Im Alter von 72 Jahren feierte er sein Met-Debüt mit der Rolle des Haushofmeisters in Ariadne auf Naxos. Danach stand er einige Jahre in kleineren Operncharakterrollen an der Volksoper Wien auf der Bühne. Kmentt starb im Jänner 2015 im Alter von 85 Jahren in seiner Geburtsstadt Wien.
Das Foto oben zeigt Waldemar Kmentt bei einer Talk-Show in 3Sat.