Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Wer singt denn nun wann?

Wer auf der Suche nach Aufnahmen mit Ferdinand Leitner ist, sollte sich zuerst die Frage stellen, was er nicht eingespielt hat. Dieser Dirigent war sehr fleißig. Tamerlano von Georg Friedrich Händel hat er – wie sich jetzt herausstellt – auch aufgenommen. Neunzehn Jahre nach seinem Tod 1996 in Zürich wächst die Händel-Abteilung seiner umfangreichen Diskographie damit auf drei Opern an. Der deutsch gesungene Julius Caesar mit Lucia Popp, Christa Ludwig, Walter Berry und Fritz Wunderlich (Bayerischer Rundfunk 1965/Orfeo) sowie Alcina, bereits in der Originalsprache, mit Joan Sutherland, Norma Procter und Wunderlich (WDR 1959/Deutsche Grammophon), dürften in vielen Sammlungen vorhanden sein. Angesichts ihres Wertes gelangten sie erst im Nachhinein auf offizielle Labels. Ihr erstes öffentliches Leben hatten sie unter diversen inoffiziellen Markenzeichen geführt. Die Alcina ist nicht nur wegen der Besetzung interessant. Sie ist auch deshalb etwas Besonderes, weil das begleitende Orchester ein besonderes ist – die Cappella Coloniensis. Unterstützt und gefördert vom mächtigen Westdeutschen Rundfunk, versuchte sie sich seit ihrer Gründung 1954 um Aufführungen im Stil historischer Aufführungspraxis. Das war neu. 1959, als die Alcina in Köln mitgeschnitten wurde, war ein Händel-Jahr. Es wurde seines 200. Todestages gedacht. Leitner hat damals erstmals die Cappella dirigiert und blieb ihr verbunden. Tamerlano war 1966 wieder ein Produkt dieser segensreichen Zusammenarbeit. Tamerlano wurde nun beim Label Profil Günter Hänssler veröffentlicht, was höchst verdienstvoll ist (PH11029), wenngleich die heutige Händelrezeption die Augenbrauen bis ganz kurz unter den Haaransatz angesichts der doch recht historischen Ausführung heben würde. Aber ich gebe zu, ich höre das gerne so! Was vielleicht eine Altersfrage ist.

Im Booklet nimmt der knapp und allgemein gehaltene Einführungstext aber keinen Bezug zu den Hintergründen und Leitners nachhaltiger Beschäftigung mit diesem Repertoire. Da wurde völlig unnötig gespart. Die Produktion erscheint lediglich als eine von zirka 300 Schallplattenaufnahmen, die „seinen exzellenten Ruf als nahezu grenzenloser Dirigent“ untermauerten. So ein Satz ist natürlich nicht falsch. Aber er reicht nicht. Vielmehr offenbart er erhebliche Informationsdefizite. Das Label verschenk viel. Leitner lässt eine stark gekürzte Fassung spielen. Welche? Spätere Produktionen haben bis zu achtzig Minuten mehr Musik. Kürzungen werden aber nicht deutlich gemacht. Ja, es findet sich in der Trackliste nicht einmal vermerkt, wer was singt. Es sind lediglich die Textanfänger der einzelnen Nummern aufgeführt. Damit können nur sehr vorgebildete Händel-Konsumenten etwas anfangen, die das Werk in und auswendig kennen. Für eine erste Begegnung mit Tamerlano reicht dieses Album leider nicht aus.

Man muss schon die Stimme von Helen Donath genau im Ohr haben, um sich ganz sicher zu sein, wann sie als Asteria in Erscheinung tritt. Ist das geklärt, stellt sich allerdings heraus, dass sie sehr gut zurechtkommt mit der Rolle, obwohl Händel in ihrem Repertoire nicht die Nummer eins gewesen ist. Sie verleiht der unglücklichen Sultanstochter, die um ein Haar zur Giftmörderin geworden wäre, am Ende aber Vergebung erfährt, menschliches Format. Die Bässe von Franz Mazura (Tamerlano) und Kieth Engen (Andronicio) wollen auch auseinander gehalten werden. Mazura machte sich vor allem im Wagnerfach, als Pizarro oder Scarpia einen Namen, folglich bringt ihn niemand zwangsläufig in Verbindung mit Händel. Er ist nicht die erste Wahl. Engen hat zumindest durch seine Mitwirkung in vielen Produktionen von Karl Richter Erfahrungen mit Barockmusik, die ihm nun zu Gute kommen.

Bei allem Fortschritt, den die Aufnahme durch einen sehr leichten, flotten und durchsichtigen Orchesterklang markiert, wird sie durch die Besetzung der beiden männlichen Partien stilistisch zurück geworfen – wirkt inzwischen doch sehr historisch, eben wie man in den 1960ern besetzte. Harnoncourt oder Jacobs waren noch nicht auf dem Plan. In der Uraufführung der Oper 1724 in London wurden beide Rollen von Kastraten gesungen. Eine Praxis, an die in der Neuzeit mit Altstimmen bzw. Countertenören angeschlossen wird. Zwei aus Finnland stammende Sänger, die erfolgreiche Karrieren hatten, auf Tonträgern aber nur selten zu finden sind, komplettieren das Ensemble: die Mezzosopranistin Raili Kostia als Irene und der Bariton Kari Nurmela als Leone.

Wo also auf die Schnelle ein Libretto hernehmen, um der Aufnahme doch noch mit Gewinn folgen zu können? Im Buchhandel scheint es gar nicht verfügbar. Rettung kommt – wie inzwischen so oft – aus dem Netz. Im Wikipedia-Eintrag über Tamerlano ist unter Weblinks eine italienische Ausgabe abrufbar, die sich als PDF herunterladen lässt. Jetzt heißt es, immer den richtigen Anschluss zu finden, die Kürzungen auszumachen. Dazu braucht es eine gute Maus, denn der Text muss heftig gescrollt werden, will man ihn nicht auf vielen Seiten ausdrucken.

Rüdiger Winter

Ein Thema jagt das andere

Wenn ein deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt eigene Aufnahmen einem Label in England zur Verfügung stellt, was ist das? Im besten Fall kulturelle Globalisierung. Im schlimmsten Fall hat sich für Carl Loewes Klaviermusik in seinem Heimatland keine Firma gefunden. Wie dem auch sei, bei Toccata Classics mit Sitz in London ist jetzt als Volume one Piano Music von Loewe veröffentlicht worden mit Linda Nicholson am Klavier (TOCC 0278). Die Engländerin spielt ihr breit angelegtes Repertoire, das vom Barock bis zu Frühklassik reicht, am liebsten auf Instrumenten aus der jeweiligen Zeit. Sie legt Wert auf Authentizität. Für Loewe kommt ein Instrument der berühmten Londoner Klavierbauer-Brüder Collard & Collard zum Einsatz, das um 1850 entstand. Der Klang ist gelegentlich etwas trocken. Aufgenommen wurde im November 2012 im WDR-Funkhaus in Köln. Des Programm der CD enthält die aus fünf Sätzen bestehende Zigeuner-Sonate, die Tondichtung Mazeppa, die Große Sonate in E-Dur und die Alpenfantasie.

loewe cpoLoewes Klaviermusik sprudelt über vor musikalischen Einfällen. Thema auf Thema. Ein Gedanke jagt den anderen, so dass mitunter der Eindruck entsteht, Ausführung und Ausformung der einzelnen Themen kämen zu kurz. Das gilt für beide große Sonaten. Es spricht ein starker musikalischer Mitteilungsdrang aus dieser Musik. Sie prägt sich deshalb rasch ein und kann durchaus auch mal nebenbei gehört werden. Das richtet sich nicht gegen Loewe, das zeugt von seinem überbordenden Talent. Wer sich mit den Balladen, die sein gewaltiges Hauptwerk bilden, auskennt, wird viele Ähnlichkeit feststellen.

Für seine Tondichtung Mazeppa, die mir am besten gefällt, braucht Loewe keine zehn Minuten. Er wurde durch die literarische Vorlage von Lord Byron inspiriert, die 1819 erschienen war – gut zehn Jahre bevor sich Loewe an seine Komposition machte. Liszt kam mit seiner sinfonischen Dichtung, die auf ein Gedicht von Victor Hugo zurückgeht, mehr als zwanzig Jahre danach. Tschaikowski beschäftigte sich mit dem Stoff noch viel später. Seine Oper, die einem Gedicht von Puschkin folgt, wurde 1884 uraufgeführt. Mazeppa, längst zum Hetman, also zum Führer des Kosakenheeres aufgestiegen, ist in die Jahre gekommen und liebt eine junge Frau, die seine Tochter sein könnte. Im Gegensatz zu Tschaikowski wenden sich Liszt und Loewe der legendenumwobenen, rasanten Vorgeschichte zu, die auch Maler zu dramatischen Gemälden inspirierte.

mazeppa

Mazeppa auf dem Rücken seines toten Pferdes: Ausschnitt aus einem Gemälde des französischen Malers Horace Vernet

Mazeppa war als Page an den Hofe des polnischen Königs Johann Kasimir gekommen, der auch über ukrainische Provinzen gebot. Er genoss das Vertrauen des Königs, wurde mit vielen Missionen betraut, schließlich aber hart bestraft als er in sehr vertraulichem Umgang mit der Gattin eines einflussreichen Magnaten überrascht wurde. Dieser soll ihn nackt auf den Rücken seines eigenen Pferdes gebunden haben, das fortan durch die Steppe raste. Nach wenigen Tagen stirbt das Pferd, Mazappa aber wird völlig entkräftet von Kosaken gerettet, zu deren Heerführer er aufstieg. Ähnlich Liszt, der dazu ein großes Orchester zur Verfügung hatte, schildert Loewe ausschließlich den verhängnisvollen Ritt. Das Klavier rast, dem Pferde gleich. Selbst dann, wenn sich die Musik dem Helden, seinen Gedanken, Nöten und Ängsten zuwendet, ist der Hintergrund von Unrast erfüllt. Es ist ganz erstaunlich, wie viel Dramatik und Bildhaftigkeit Loewe aus seinem Instrument herausholen kann – auch hier ganz der Geschichtenerzähler.

Mir ist nicht bekannt, ob Loewe, der 46 seins Lebens als Organist, Kantor, Musikdirektor und Gymnasiallehrer in Stettin zubrachte, jemals die Alpen gesehen hat. Aus seiner Alpenfantasie ist auch Sehnsucht und Aufbruch herauszuhören. Sie ist wie ein entschlossener Aufstieg angelegt also wollte da einer mit großer Entschlossenheit und mit raschem Schritt aus seiner engen Welt ausbrechen und höher und höher hinaus, um dann auf halber Strecke aufzugeben – oder gar abzustürzen. Der Schluss ist abrupt. Ich würde mir wünschen, dass dieser CD noch weitere nachfolgen, denn noch ist ein erheblicher Teil des Gesamtwerkes von Loewe unerschlossen. In jüngster Zeit kommen aber immer neue Titel hinzu. Daran hat das Label cpo erheblichen Anteil mit seiner vorbildlichen Gesamteinspielung aller Lieder und Balladen auf einundzwanzig CDs. Wirklich aller? Zumindest aus der patriotischen Abteilung des Werkverzeichnisses fehlt mancher Titel. Gewiss ist das meiste offenbar sehr lässlich, aber man hätte sich schon gern selbst ein eigenes Bild gemacht.

Rüdiger Winter

Jedem seinen Jonas

Jonas Kaufmann kann nicht nur gut singen, er hat auch etwas zu sagen – wenn ihm denn die richtigen Fragen gestellt werden. Thomas Voigt, Stimmenexperte, Musikjournalist und Reisender in Sachen Oper, stellt solche Fragen. Er kennt Kaufmann gut – und immer besser, seit er „peu a peu“ dessen Presse- und Medienarbeit übernahm. Da fällt schon mal ein „neues“ Buch ab, das sich bei näherem Hinsehen als aktualisierte Neuauflage des Titels „Jonas Kaufmann – „Meinen die wirklich mich?“ von 2010 erweist. Seither hat sich einiges getan, die Neuerscheinung reagiert drauf mit einem inhaltlichen Update und etwa fünfzig zusätzlichen Seiten. Schon das Titelbild ist das glatte Gegenteil von einst. Es ist nicht mehr so fröhlich bunt, sondern gibt sich ganz als hohe Kunst in Schwarz-Weiß wie ein Hollywood-Film aus den 1930er Jahren. Aus dem netten Jungen von nebenan im T-Shirt ist ein tiefsinnig blickender Hochglanzstar im Smoking geworden. Auch das unrasierte kleine Tenor-Doppelkinn ist nun weg. Noch wirkt er wie verkleidet, als sei er hineingeborgt in das nicht ganz perfekte sitzende nagelneue weiße Hemd, unter dessen Manschette nicht ganz so zufällig wie es scheinen will, eine garantiert sündhaft teure Uhr hervorblitzt. Warum nicht. Der Mann verdient ja genug Geld. Er bastelt an seinem Image. Und er sieht nach wie vor blendend aus, was seinem Marktwert nicht abträglich ist. Bei Frauen wie bei Männern.

51jR2ilKWgLReizwörter werden mal eben so fallen gelassen. „Wer hat den Größten, wer hat den Längsten?“ Kaufmann hat kein Problem mit derlei erotischem Geplänkel und kriegt geschickt die Kurve zum Eigentlichen, das sich seriös gibt: „Das Schöne an Oper und Opernstimmen ist ja, dass beide Ebenen angesprochen werden: das Sinnlich-Animalische und das Seelische.“ Er redet über Stimmen, berühmte Kollegen, seine Lehrer, technische Details, über eigene Ängste, Phobien und Niederlagen, über die Callas, die er gern komplette als Isolde gehört hätte (und nicht nur mit dem Liebestod), über Belcanto bei Wagner, Dirigenten, Deutschtümelndes im Lohengrin. Er weiß, wer Georges Thill war, hat sich bei seinem Werther-Studium mit dessen Aufnahmen beschäftigt, wollte mal französischer klingen als die Franzosen, kommt auf die Unterschiede des Faust bei Goethe und Gounod zu sprechen, reflektiert über Aspekte von Eigentherapie bei Don José. Er kommt auf Zeiten zu sprechen, da er „gern wie Wunderlich oder Corelli geklungen hätte“. Schließlich gelangt er aber zu dem Schluss, dass man sich als Sänger nichts Besseres antun könne, als „die eigenen Stimme zu finden“.

So schön, so gut. Bei allem Bemühen des Buches, hipp und jung sein zu wollen, wozu auch das inzwischen unerlässliche „geil“ gehört (ach ja…), gibt es reichlich konservative Anklänge. „Beseelt“ sei ein Wort, dass sich heute kaum noch einer auszusprechen traue, wirft Voigt mehr als Bemerkung denn als Frage ein. ein. Darauf Kaufmann: „Vielleicht, weil es den meisten Menschen zu kitschig klingt.“ Aber wenn man übers Singen rede, sei eben dieses Wort unersetzlich, weil „es einen Zustand“ bezeichne, den man nicht durch Wollen erreiche, sondern durch Geschehenlassen, nicht durch Leistung, sondern durch Sein. Kaufmann als Philosoph. Auch das. Im Liedgesang sieht er die „Königsklasse des Singens“. Dieses Repertoire erfordere „wesentlich mehr Feinarbeit als jede andere sängerische Disziplin, mehr Farben, mehr Nuancen, mehr Differenzierungen in der Dynamik, subtileren Umgang mit der Musik und mit dem Text“. Und so liest es sich fort. Anspruchsvoll und unterhaltsam zugleich.

Der nette Junge von nebenan: So sah das Buch in der ersten Auflage aus.

Der nette Junge von nebenan: So sah das Buch in der ersten Auflage aus.

Bevor das Buch aber inhaltlich in Fahrt kommt, fallen gleich auf den ersten Seiten alle Stichworte, mit denen heutzutage sehr bunte Zeitungen und manche Talk-Shows auszukommen pflegen: Fußball, Kochkunst, Social Networks, Angela Merkel, Skifahrer, Foto-Shooting, Plácido Domingo, Christmas-Show, schöne Russin, roter Teppich, Krafttraining, Anna Netrebko, Thronfolger, Sexsymbol, Model-Image, Fitnessstudio, WM, Magen verkleinern, Latin-Lover-Look, Drei Tenöre – und Brad. Brad? Brad Pitt natürlich, wer sonst? Erst später, und im Personenverzeichnis eingeklemmt zwischen Edith Piaf und Michel Plasson, taucht er mit seinem vollen Namen auf. Wer nicht weiß, wer Brad ist, kann dieses Buch gleich zur Seite legen. Vorerst muss Brad reichen. Man ist ja unter sich, man kennt sich. So erklärt es sich, dass meistens auch nur von Jonas die Rede ist. Jonas dort, Jonas da, Jonas hier, Jonas oben, Jonas unten, Jonas hüben, Jonas drüben. „Jedem zu Diensten zu allen Stunden, umringt von Kunden bald hier, bald dort. So wie ich lebe, so wie ich webe, gibt es kein schön‘res Glück auf der Welt“, sagt wer anders in Rossinis Oper. Es jonast sich so durch die 240 Seiten. Jedem seinen Jonas.

Willkommen bei Facebook. Kaufmann ist ohne das Netz überhaupt nicht mehr vorstellbar. Nun tritt Marion Tung auf den Plan  Sie betreibt die inoffizielle Kaufmann-Website. Die ist sehr gut gemacht. Mit Mühe und Sorgfalt ausgestattet. Immer auf dem Laufenden. Wer wissen, will, wann Kaufmann was und wo gesungen hat, wird genau so fündig wie der Operntourist, der schon mal die Flüge für den nächsten Auftritt in Übersee buchen will. Im Buch wird die Adresse der Website gleich mitgeliefert. Es bleibt auch – auf etwas uncharmante Weise – nicht unerwähnt, dass es sich bei Marion Tung um eine 62-jährige ehemalige Finanzbeamtin handelt, die verwitwet und also „völlig frei“ sei. Frei, um dem Tenor in alle Welt nachzureisen. Live-Sammler kennen sie – virtuell als Adina/Albous auf den Hosentaschenportalen (so behaupten Eingeweihte). Einst hatte sie sich José Carreras verschrieben und diverse Foren im Netz mit seinen Dokumenten überschüttet. Nun ist es Kaufmann. Nach den zitierten Angaben der Witwe Tung kursieren an die 500 Mitschnitte von Aufführungen und Konzerten Kaufmanns. Einen großen Teil davon dürfte sie selbst mitgeschnitten und in diversen Foren verbreitet haben, gehen die Gerüchte. Frage einen Kenner der Szene nach ihr, und er wird dir eine Geschichte erzählen. Da war doch damals was…. Aber nun ist sie sogar offiziell gelitten. Und in den engen Kreis vorgelassen. So wird man als Pirat Hofpersonal.

Sänger gehen heute offenbar viel lockerer mit derlei Fans um. Die mehren ihren Ruhm, weil sie ihn dokumentieren. In Opernhäusern und Konzertsälen ist er schneller verflogen. In den heimlichen Mitschnitten, die durch das Netz rasen, Festplatten und selbstgebrannte CDs füllen, bleibt er bewahrt. Anfrage aus Detroit: Hat jemand den soundsovielten Werther vom soundsovielten Tag in Paris? Habe ich, kommt nach wenigen Minuten die Antwort aus Brüssel! Wieder fünf Minuten später landet genau dieser Werther sechsmal auf dem Rechner der Person, die die Suche auslöste – weil auch andere mitgelesen hatten, die von sich behaupten, einen technisch noch viel besseren Mitschnitt zu besitzen. So ähnlich läuft das. Am Ende ist es völlig egal, wie die Tagesform der Sänger gewesen ist, ob ein Ton saß oder nicht. Manchmal spielt es sogar überhaupt keine Rolle, welches Werk gespielt wurde. Der Mitschnitt als solcher ist es. Kaufmann kann singen, was er will. Und wenn es der Vogelhändler wäre.

Musikkritiker sind nicht die Zielgruppe des Buches. Aber sie können es lesen. So bleibt einem das entzückend bebilderte Kapitel über „Eine ganz normale Kindheit“ aus der Feder einer gewissen Irene Leipprand nicht erspart, die dafür schon im Vorwort mit Dank versehen wird. Sie gibt vor, dass der kleine Jonas Kaufmann eines Tages am östlichen Rand von München während eines Fußballspiels mit improvisiertem Tor, bei dem er sich als „Schreihals“ hervortat, plötzlich „heimbefohlen“ wurde. Ein Fenster im fünften Stock habe sich aufgetan, daraus die Stimme der Mutter ertönte: „Jooooonas! Abendessen!“ (Wer hat nur die vielen O’s gezählt?) Jedenfalls habe der Junge dem Ruf „ohne Murren“ Folge geleistet. Im Treppenhaus sei ihm der Duft von „Rouladen und Kartoffelpürree“ in die Nase gestiegen. Oben angekommen, habe ihn die Mutter an der Wohnungstür „routiniert“ abgefangen. (Was immer darunter zu verstehen ist.) Frau Leipprand will sich genau daran erinnern, dass sich der spätere Weltstar an diesem ganz gewöhnlichen Münchner Abend zuerst die „vermatschten Schuhe“ auszog, dann (in dieser Reihenfolge) Socken und Hemd. Es bleibt nicht unerwähnt, dass beide Kleidungsstücke „in der Wäsche“ landeten. Die Lederhose musste nur trocknen und wurde „später ausgebürstet“. Ob vor dieser pflegerischen Verrichtung oder danach – jedenfalls rief der „Pimpf“ (Pimpf???) mit „lautem Organ“: „Is‘ Papa schon da?“ Aus für die Leser unerfindlichen Gründen drückte die Mutter daraufhin „schnell die Wohnungstür zu“. Stand sie die ganze Zeit offen? Endlich war die Familie um den Tisch versammelt. Dann sei „Fressstille“ (das steht da wirklich!) eingekehrt, und der Vater habe von seinem Arbeitsalltag erzählt. Eines Tages „nickte die Mutti im Sessel schon mal weg“, als sich Jonas beim täglichen „Tastenspiel“ erging (immerhin ein musikalischer Haushalt!). Ach, und dann diese Kälte beim Chorsingen auf den Rathausbalkon, als der Knabe und seine Schwester „gerötete Nasen“ hatten. So geht das wortreich fort in einer Sprache von 1930. Als würde aus Kindertagen von Rudi Schock erzählt. Manche Wörter habe ich seit Jahrzehnten nirgends mehr gelesen. Dazu gehört auch der „Knirps“, der sich beim ersten Opernbesuch wunderte, dass die tote Madame Butterfly am Schluss quicklebendig vor dem Vorhang erschien. Jonas wuchs prächtig heran. Seine Chronistin aus frühen Tagen lässt (fast) nichts unerwähnt, erspäht im Zimmer des Teenagers schon mal einen kleinen Kassettenrecorder und die Fan-Ecke für den FC Bayern München. So bleibt nicht aus, dass der „fröhliche Frechdachs“, mit dem schon mal „die Pferde“ durchgehen“, alsbald auch den „Liebreiz des weiblichen Geschlechts“ entdeckt. Und der staunenden Öffentlichkeit wird mitgeteilt, dass Jonas über ein „südländisches Aussehen“ verfügt. Unser Jonas: Ein Heimatroman im Klein-Heftformat ist nichts dagegen. Ach ja.

Rüdiger Winter

Thomas Voigt: Jonas Kaufmann – Tenor. Henschel/Bärenreiter, 240 Seiten, zahlreiche Fotos, ISBN 978-3-89487-938-9 (Henschel), 978-3-7618-2369-9 (Bärenreiter)

Jarousskys geheimer Garten

Philippe Jaroussky ist im Café Procope eingekehrt. In seiner neuesten CD (rechtzeitig erschienen zur Tournee im März/April, so am 17. 3. in Berlin) spielt dieses berühmte Pariser Etablissement im Quartier Latin eine wichtige Rolle: Green – Mélodies françaises sur poèmes de Verlaine. Es gibt ein Foto, das den Lyriker Paul Verlaine, der von 1844 bis 1896 lebte, im Café zeigt. Es stammt aus seinem Todesjahr. Der Dichter allein auf einem Sofa sitzend, vor ihm der Tisch mit der weißen Marmorplatte. Darauf Schreibzeug, ein nicht näher bezeichnetes Getränk, reichlich bemessen in Glas und Karaffe, der Stock und der Hut. Hüte auf Tischen bringen Unglück, heißt es. Für Verlaine war Unglück keine Bedrohung mehr. Seine zermürbende Liebe zu dem zehn Jahre jüngeren Arthur Rimbaud endete tragisch. Verlaine schoss auf Rimbaud und musste dafür ins Gefängnis.

1-VCD Jaroussky VerlaineIn dieser Zeit entstanden die Romances sans paroles, die Lieder ohne Worte. Den Titel der Sammlung soll Verlaine bei Mendelssohn entliehen haben. Green ist ein Gedicht draus. „Hier siehst du Blätter, Früchte, Blumenspenden / und hier mein Herz, es schlägt für dich allein. / Zerreiß es nicht mit deinen weißen Händen / lass dir die kleine Gabe teuer sein.“ Verlaine gilt als typischer Vertreter des Symbolismus. Jaroussky hat die Wahl, kann sich an dem reichen Werk bedienen – und ist fündig geworden für sein Album, das aus zwei CDs besteht (Erato 0825646166954). Green ist gleich in drei verschiedenen Varianten vertreten – von Gabriel Fauré, André Caplet und Claude Debussy, der dem Dichter übrigens als Kind zufällig begegnet war. Caplet nimmt sich mit mehr als drei Minuten doppelt so viel Zeit wie Fauré, der eine Minute einundvierzig braucht. Debussy liegt mit zwei Minuten sechzehn dazwischen. Caplet (1878-1925) wiederholt die letzte Zeile „… und lass mich, da du schläfst ein wenig ruhn“. Bei ihm klingt das Lied zudem mit einem Nachspiel aus. Allein deshalb hinterlässt es die größere Wirkung. Wie Green werden viele der insgesamt zwanzig ausgewählten Gedichte Verlaines in bis zu drei unterschiedlichen Vertonungen dargeboten. Darin besteht ein großer Reiz. Der Dichter hat auf Komponisten eine starke Anziehungskraft ausgeübt. Kaum ein anderer ist in Frankreich ist so oft vertont worden wie er. Jules Massent fühlte sich genauso inspiriert wie Camille Saint-Sains, Arthur Honegger, Ernest Chausson oder Reynaldo Hahn. Die Stile wechseln wie die Komponisten jünger werden. Das Verbindende ist die Sprache, die für sich genommen ein unverwechselbares Flair entfaltet. Benoit Duteurtre zitiert in seinem lesenswerten Essay im Booklet den Dichter René Chalupt aus einer Studie von 1949: „Das Originelle an Verlaine war, dass er in seinen Gedichten eine neue Musik hören ließ.“

Dr Dichter Paul Verlaine 1896 im Café Procope im Pariser Quartier Latin.

Der Dichter Paul Verlaine 1896 im Café Procope im Pariser Quartier Latin / Repro aus dem Booklet

Musikalisch ist der Auftakt des Albums einschmeichelnd, fast verführerisch. „Im alten einsamen Park, wo es fror, / traten eben zwei Schatten hervor. / Ihre Augen sind rot, ihre Lippen erblassen, / kaum kann man ihre Worte fassen“, lauten die ersten Zeilen von Colloque sentimental in der Komposition von Léo Ferré (1916-1993). Ferré war einer der erfolgreichsten Chansonniers des 20. Jahrhunderts, der auch selbst komponierte. Seine Platten und seine Konzerte im Pariser Olympia sind Legende. Vom Streichquartett wird die Melodie aufgenommen, die das Klavier vorgibt. Jaroussky zieht seine Zuhörer auf einen Schlag tief in dieses Repertoire hinein, das er seinen „geheimen Garten“ nennt. Man kommt nicht davon los, bleibt dabei. Das Album schließt nach knapp zwei Stunden mit Colombine, von Georges Brassens in Töne gesetzt. Brassens, der bis 1981 lebte, war nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller und Dichter, sondern machte sich ebenfalls als Chansonnier einen Namen weit über die Grenzen seiner französischen Heimat hinaus.

Ganz im Stil eines Chansons bewegt sich bisweilen auch Jaroussky, beweist dabei Witz, Charme und Leichtigkeit – holt auf diese Weise Verlaine in die Gegenwart. Er legt den Opernsänger über weite Strecken völlig ab und gibt seiner Stimme eine ganz neue, ja überraschende Richtung, wie es sich schon auf seiner ersten CD „Opium“ mit französischen Melodien ankündigte, die vor fünf Jahren herausgekommen ist. Jaroussky könnte sich gut und gerne auch in diesem Fach mit Erfolg behaupten. Mittlerweile ist er Siebenunddreißig. Kein Alter für einen Sänger. Viel hat er erreicht. Genauso viele Möglichkeiten stehen ihm noch offen. Er braucht ja nirgends anzukommen, wie ein Heldentenor, auf den noch der Tristan oder Otello wartet, um seine Karriere zu vollenden. Bei Jaroussky ist vieles denkbar. Er legt sich nicht fest, probiert sich immer wieder neu aus und erweist sich dabei als außerordentlich entdeckungsfreudig – für sich und für sein Publikum.

1-Opium-CD Jaroussky

Bereits im Jahr 2000 ist die erste CD von Philippe Jaroussky mit  französischen Liedern bei Erato/Warner erschienen.

„Warum sollte ein Countertenor nicht die nötige Einfühlsamkeit und Vokaltechnik haben, um französische Lieder zu singen?“ Diese Frage stellt Jaroussky in einem knappen eigenen Text des Booklets mehr an sich selbst. Es scheint, dass dabei auch Zweifel mitschwingen, was ihn nur sympathischer und überzeugender macht. Gewiss verfügt er über diese Einfühlsamkeit und diese Vokaltechnik. Es ist aber auch zu spüren, wie hart er dafür gearbeitet hat. Nicht jede Nummer überzeugt in allen Details in der musikalischen so wie in der darstellerischen Ausführung. Manche Töne geraten etwas spitz, gar veristisch. Getragene Passagen gelingen in der Regel besser als die stürmischen. Das alles kann auch gewollt sein. Jaroussky geizt nicht mit Gefühlen, lässt viel Nähe zu, ohne sich anzubiedern. Selbst diejenigen, die des Französischen nicht mächtig sind, können ihm problemlos folgen. Warum? Weil er Inhalte plausibel durch Ausdruck, Charme und Pointen transportiert. Auf eine gewisse Weise ist sein Publikum ihm ausgeliefert, was er zu genießen scheint.

Es bleibt ein Wagnis, gut zwei Stunden hintereinander französische Lieder auf Texte von Verlaine vorzutragen. Zumal für einen Sänger dieses Kalibers, der mir atemberaubenden Koloraturen riesige Säle in seinen Bann schlägt, aus dem sich die Menge am Ende solcher Darbietungen nur durch heftige Schreie der Begeisterung befreien kann. Hier nun ist alles ganz anders. Und es ist gut möglich, dass Jaroussky auch enttäuscht, weil er bestimmt Erwartungen nicht erfüllt. Ganz bewusst nicht erfüllt. Ich fühle mich an Marilyn Horne erinnert, die lange Liederabende gern mit Brahms, Mahler und Mozart ausfüllte, das Publikum aber vor allem deshalb gekommen war, weil als Zugaben Arien von Rossini oder Vivaldi zu erwarten waren. Sie tat mir dafür immer ein bisschen leid, leistete aber unnachgiebig Überzeugungsarbeit auf diesem Gebiet. Sie wollte sich nun mal auch als Liedsängerin durchsetzen.

Paul Verlaine (1844-1896) als Troubadour auf einem Gemälde von Frédéric Bazille.

Paul Verlaine (1844-1896) als Troubadour  auf einem Gemälde von Frédéric Bazille / Repro aus dem Booklet

Bei seinen Eroberungen von musikalischem Neuland hat Jaroussky treue Verbündete, wofür er Dankbarkeit empfindet. Einer ist sein langjähriger Bühnenpartner Jérôme Ducros am Piano, der auch die meisten Titel neu arrangierte. Bei neun Nummern kommt das Quatour Ebène hinzu, was – ich sage es ganz offen – auch für willkommene Auflockerung sorgt. In das Lied „La lune blanche“, von Massenet für zwei Stimmen gesetzt, teilt sich Jaroussky mit der Altistin Nathalie Stutzmann. Dieses Lied fließt dahin wie eine Barkarole. Es ist Luxus pur, die viel beschäftigte Altistin und Dirigentin, die auch bei anderer Gelegenheit mit Jaroussky zusammengearbeitet hat, nur für diesen einzigen Titel zu verpflichten.

Vom Glanz fällt auch etwas auf die Ausstattung des Albums. Jaroussky hat sich tatsächlich ins Le Procope begeben, um sich dort ablichten zu lassen, im Sweetshirt – und mit Weste und Gehrock im Stile der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie Verlaine, der sich auf Gemälden und Fotos findet. Von den Komponisten wurden in Teilen seltene Konterfeis aufgetan. Das macht viel her. Alle Texte, darunter die Gedichten selbst, sind dreisprachig – auch in Deutsch – abgedruckt. Der alte Spruch, wonach das Auge mithört, erfüllt sich. Heutzutage sind solche Ausstattungen, die bis in alle Einzelheiten stimmen, selten geworden. Ein anspruchsvoller Inhalt findet seine Entsprechung in der äußeren Form. Gut so.

Die CD ist das Eine. Vor Publikum einen ganzen Abend (am 17. 3. 2015 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie) mit diesem Programm zu bestreiten, ist die eigentliche Herausforderung. Inhaltlich und künstlerisch. Dann kann nämlich nicht mehr probiert, abgewogen, umgestellt, korrigiert oder wiederholt werden. Alles muss sitzen. Jaroussky hat glänzend bestanden. Schließlich war die Produktion des Albums die allerbeste Probezeit. Live wählt er eine neue Reihenfolge. Er beginnt anders und endet anders. Die Auswahl wirkt spontaner, nicht ganz so perfekt ausgeklügelt wie im Studio. Daran hat auch sein langjähriger Begleiter am Flügel, Jérome Ducros, erheblichen Anteil, der zwischen den Liedern mit Klaviermusik von Debussy beeindruckt. Jaroussky braucht auch eine gewisse Zeit, um mit seinen individuellen Mitteln stimmlich in das Idiom dieser Melodien hinein zu finden. Von Lied zu Lied legt er zu. Tragisch-sentimentale Titel wie „O triste étaiut mon ame“ von Charles Bordes gelingen zunächst am besten. Das ist aber nur ein vorläufiger Eindruck. Am Ende kommt es ganz anders. Ein freches und mit Spott gespickte Couplet aus der Buffo-Oper Fisch-Ton-Kan (ein Spitzname, der Napoleon III. angehängt wurde) von Emmanuél Chabrier wird zum umjubelten Rausschmeißer. Es bleibt einem mit samt dem jubelnden Beifall auch noch auf dem Heimweg im Ohr. Der Kammermusiksaal war nicht ausverkauft, was nicht am Sänger, sondern am Programm gelegen haben dürfte, das natürlich weniger Publikum anzieht als rasende Barockarien mit Orchester. Jaroussky weiß das. Für seine Lieder nimmt er auch eine kleine Runde, wo sie besser aufgehoben sind, in Kauf. Mit ihr kann er kommunizieren. Es scheint, als ob er jeden einzelnen im Saal im Blick hat. Als ob er flirtet. So fühlt sich das Publikum sehr ernst genommen. Es hängt ihm an den Lippen. Er dankt es, indem er sich nach dem kräftezehrenden Konzert bestens gelaunt und charmant wie immer zur Autogrammstunde einstellt, Widmungen in die CD-Alben schreibt und artig Fragen beantwortet. Kein Zweifel, dass Jaroussky auch diesmal neue Fans gewonnen hat.

Das Café Procope an der Rue de l’Ancienne Comédie 13 wurde 1686 gegründet. Foto: Screenshot Google Street View

Das Café Procope an der Rue de l’Ancienne Comédie 13. Foto: Screenshot von Google Street View

Sein neues Album erfüllt auch ein Klischee. Es macht irgendwie Lust auf Paris, obwohl nicht die Stadt im Mittelpunkt steht, sondern der Dichter und seine Komponisten, die natürlich alle in der Stadt gelebt haben und deren ganz eigene Melodie in sich aufnahmen. Paris ist immer gegenwärtig wie ein eingebildetes Hintergrundgeräusch. Ich werde endlich Verlaines Grab besuchen auf dem Friedhof von Batignolles in der Rue Saint-Just im Nordosten des 17. Arrondissements, wo auch Schaljapin seine letzte Ruhe fand. Im Jardin du Luxembourg steht die mit seinem Haupt gekrönte Stele des schweizerischen Bildhauers Rodo. Und dann natürlich auch im Café Procope, Rue de l’Ancienne Comédie 13, einkehren. 1686 wurde es vom Italiener Francesco Procopio dei Coltelli gegründet. Älter dürfte kein Kaffeehaus sein in Paris. Es hat alles gesehen und beherbergt, was Rang und Namen besaß in Kunst, Wissenschaft und Politik. Wessen Name nicht selbst auf einem Buchdeckel oder in einer Zeitung stand, drückte sich mit eben solch einem Buch oder solch einer Zeitung in einer Ecke herum und tat so, als ob er dazu gehörte. Heute genügt eine Kreditkarte oder ein gut gefülltes Portemonnaie. Buch und Zeitung können getrost beiseite bleiben. Ich habe ja Jaroussky und seine Lieder im Kopf.

Rüdiger Winter

Foto oben: (c) Marc Ribes

„Erwacht zu neuem Leben“

Noch in diesem Jahr steht ein besonderes Jubiläum ins Haus – der 100. Geburtstag von Elisabeth Schwarzkopf am 9. Dezember. Ihre größten Erfolge hat The Intense Media schon mal in einer Box auf zehn CDs zusammengefasst (232762). Dazu komme ich noch. Auch von Wolfgang Windgassen wird noch zu reden sein, der nun ebenfalls seine Box bekommen hat (600212). Der Vortritt meiner Beschäftigung mit den Sänger-Sammlungen des Labels gehört Martha MödlThe Queen of Drama in Opera (233382), deren Hundertster drei Jahre zurück liegt. In der Sammlung sind ihre besten Jahre zusammengefasst. Das wird ihr mehr gerecht als eine Gesamtschau auf die lange Karriere mit dem bald einsetzenden Verfall der Stimme und dem schwierigen Übergang ins Charakterfach. Die Mödl, das sind für mich in allererste Linie Brünnhilde, Isolde, Kundry – und zwar in Bayreuth. Nirgendwo anders ist ihre Ausstrahlung stärker gewesen als dort. Sie fühlte sich wohl in diesem Klima, gefördert von Wieland Wagner, Knappertsbusch und Keilberth. Das belegen die vielen Mitschnitte, die sich weitgehend in sehr guter Klangqualität erhalten haben, weil im Rundfunk gesendet. Denn wer hat sie schon noch selbst gehört in ihrer Glanzzeit? Die Zeitzeugen werden weniger. Meine persönliche Erinnerung streifen nur ihre letzten Jahre, als der Beifall, der sie überall noch immer umrauschte, mehr der Vergangenheit galt als der jeweiligen Tagesform in den noch so kleinen Rollen.

Mödl-BoxAls ich sie zum ersten Mal sah – als Golde in Düsseldorf – ist mir genau das geschehen. Ich ging nicht wegen der Golde auf die Reise, ich wollte endlich die Sängerin live erleben, von der ich jeden Mucks auf allen möglichen Tonträgern kannte, die für mich der Inbegriff hochdramatischen Singens ist, die mir eine Tür in Wagners Welt aufgestoßen hatte. Das also sollte sie sein? Das ihre Stimme? Ich war nicht enttäuscht. Denn ich hatte ja nichts anderes erwartet als die schlichte Tatsache, sie leibhaftig auf der Bühne zu sehen. Glückliche Umstände wollten es, dass ich sie anschließend sogar noch persönlich traf. In dieser Begegnung erfuhr ich viel mehr über die Wirkung dieser bedeutenden Künstlerin als zuvor in der Vorstellung. Da war sie nun. Viel kleiner und zarter als erwartet, sehr freundlich, natürlich, neugierig, durch und durch Dame im kleinen schwarzen Jackenkleid. Die Beine noch immer wunderschön in den eleganten Schuhen. Sie machte es mir sehr leicht, kam auf mich zu, als würden wir uns ewig kennen und mal eben ganz zufällig wiedersehen. Dadurch wertete sie ihr Gegenüber auf, nicht sich selbst. Mit der dunklen Sprechstimme erinnerte sie mich viel stärker an die Hochdramatischen aus fernen Tagen als mit den Resten ihrer Gesangsstimme als Golde.

Die Mödl war schon zu Lebzeiten ihre eigene Legende. Wer davon eine Vorstellung bekommen will, höre sich in die Box hinein. Gesamtaufnahmen von ganzen Opern können nicht darunter sein, das gibt der Platz nicht her. Zehn CDs – das klingt zunächst viel. Am Ende fehlt es hinten und vorne. Es gibt keine Neuigkeiten. Alles hat es bereits schon im Rahmen anderer Editionen gegeben. Gut bedient wird, wer am Anfang seiner Beschäftigung mit der Mödl steht. Die größte zusammenhängende Szene ist der erste Aufzug der Walküre von 1954 aus Bayreuth unter Joseph Keilberth mit Max Lorenz als Siegmund und Josef Greindl als Hunding. Fortgesetzt wird mit Sieglinde-Szenen aus den folgenden beiden Aufzügen. Nur in diesem einen Jahr hat sie die Sieglinde gesungen, sie lag ihr nicht, was auch zu hören ist. Ihr fehlt es schlicht an Höhe und Atem. Lorenz, nicht mehr der Jüngste, ist ihr kein Partner. Er hat zu tragen an seiner Rolle und singt meist nur für sich selbst. Die Einfügung in das Bayreuther Ensemble der Nachkriegsära wollte ihm wohl nicht mehr gelingen, er war einen anderen Stil gewöhnt. Trotz aller Einschränkungen ist die Entscheidung für dieses Dokument seiner Seltenheit wegen sinnvoll. Von anderem Kaliber ist die Brünnhilde, die der Mödl abgesehen von einigen tückischen Spitzentönen, bei denen ich heute noch die Luft anhalte, mehr liegt. In dieser Rolle kann sich die Stimme wunderbar entfalten und ihre Fähigkeit zu enormen Steigerungen ausleben. So stelle ich mir Wagnergesang vor. Alle großen Szenen – bis auf den fulminanten ersten Auftritt in der Walküre, der unbedingt dazugehört hätte – stammen aus verschiedenen Quellen. Bayreuth steht an erster Stelle mit dem Siegfried-Finale und dem Duett „Zu neuen Taten“ aus Götterdämmerung von 1953 mit Wolfgang Windgassen als Siegfried. Eine knappe halbe Stunde – nämlich die Auseinandersetzung mit Wotan (Ferdinand Frantz) vor dessen Abschied und Feuerzauber – ist der von Wilhelm Furtwängler geleiteten Wiener Studioproduktion der Walküre entlehnt. Den Schlussgesang gibt es zweimal, einmal aus der berühmten Ring-Produktion der RAI Rom von 1953 unter Wilhelm Furtwängler und zum anderen aus dem Studio mit dem von Arthur Rother geleiteten Orchester der Städtischen Oper Berlin, eingespielt 1952.

Bayreuther Ausschnitte aus Parsifal springen etwas unmotiviert zwischen den Jahren 1951 (Hans Knappertsbusch) und 1953 (Clemens Krauss). Es fällt nicht leicht, aus diesem Stückwerk ein genaues Bild von der womöglich besten Leistung der Mödl zu rekonstruieren. Parsifal braucht es nun mal ganz. Dreigeteilt ist der Tristan mit Live-Aufnahmen aus Bayreuth (1952 / Herbert von Karajan), München (1958 / Joseph Keilberth) und aus dem Studio (1954 in gleicher Begleitung wie der Schlussgesang der Brünnhilde unter Rother). Ausgerechnet beim Münchener Liebetsod müssen akustische Mängel hingenommen werden, die unnötig sind, weil es Alternativen gegeben hätte. Die Mödl war nicht nur Wagner. Ihre bedeutendste Leistung außerhalb von dessen Schaffen dürfte die mehrfach dokumentierte Leonore in Beethovens Fidelio gewesen sein, mit der sie 1955 bei der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper dabei war. Mehr Ehre ging damals nicht. Sechs Szenen, darunter die große Arie „Abscheulicher, wo eilst du hin“, rufen ein packendes, ja spektakuläres Opernereignis in Erinnerung. Die Mödl singt um ihr Leben und traf damit wohl genau den Nerv einer Zeit, in der die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten noch so tief saß – auch in Österreich. Leonore noch einmal in einem seltenen Dokument aus Wien, mitgeschnitten 1953 unter Karajan mit der leicht exaltierten Elisabeth Schwarzkopf als Marzelline. Schließlich dürfen auch Ausschnitte aus Furtwänglers Studioaufnahme von 1953 nicht fehlen. Mödl und Studio – das ist nicht die glücklichste Verbindung. Sie war ein Bühnentier, Studio engte sie ein wie ein Käfig. Dem Bemühen, ja alles richtig zu machen, opfert sie ihre Spontaneität. Sie ist plötzlich nicht mehr riskant. Bei Fidelio vor dem Mikrophon kann Furtwängler am Pult noch gehörig gegenhalten, bei anderen Aufnahmen fehlt dieser Impetus. Carmen, Ulrica, Eboli, Preziosilla oder Dido überzeugen mich genau so wenig wie die Lieder von Beethoven. Als Grenzfall kommt mir die Lady Macbeth vor, die es auch in beiden Ausführungen gibt. Während „Nun sinkt der Abend“ und „Dieser Flecken kommt immer wieder“ aus dem Studio zu gewollt wirken, gelingen die selben Szenen 1950 auf der Bühne in Berlin um Längen packender und echter. Wenn dann noch Josef Metternich als Macbeth hinzutritt, lassen mir die unheimlichen Minuten nach der Ermordung des Königs immer wieder einen Schauer über den Rücken laufen. Wie lauernd sich beide stimmlich umschleichen, lässt keinen Gedanken daran aufkommen, dass da manche Note womöglich nicht ganz exakt getroffen ist.

1-Metternich-BoxJa, der Metternich. Er hat seine eigene Box bei Intense, etwas allgemein mit The Great Josef Metternich betitelt (233382). Das stimmt immer, da ist nichts falsch. Ich überlegte, wie man es hätte genauer ausdrücken können und bin auch nicht weiter gekommen. Reichlich Macbeth auch hier. Die Szenen sind CD-füllend. Mit zusätzlichen Ausschnitten wird der Mitschnitt aus Berlin wieder aufgegriffen, der sich auch komplett erhalten hat. Hinzu kommen Auszüge aus der Rundfunkproduktion des WDR unter Richard Kraus, in der Astrid Varnay die Lady gibt. Verdi ohne Ende. Mehr als die Hälfte des Programms ist ihm vorbehalten – zu Recht. Metternich ist mit keinen anderen Komponisten so stark identifiziert worden. Sogar an die Met nach New York hat er es mit Verdi geschafft, was seinerzeit wirklich einem Ritterschlag gleichkam. Leider wird weitestgehend auf Mitschnitte verzichtet, der Schwerpunkt liegt auf den Rundfunkaufnahmen, die in ihrer Menge Legende sind: Macht des Schicksals, Maskenball, Aida, Troubadour, Carlos, Traviata, Othello, Falstaff und natürlich seine Leibrolle Rigoletto – in Deutsch. Korrekt, konzentriert, immer auf dem Punkt. Seine Stimme bohrt sich in die Partien hinein, als wollte er auch die tiefsten Schichten an Ausdruck freigelegen. Metternich, höchst musikalisch und sicher, hatte in seiner besten Zeit zwischen 1950 und 1960 nicht das geringste technische Problem. Er klingt nur immer gleich. Das spricht für ihn, denn es bedeutet auch, dass er immer gleich gut gewesen ist gemessen am Verständnis und den Erwartungen seiner Zeit. Verdi in deutscher Übersetzung mit gestandenen Kammersängern als Partner wie Hans Hopf, Rudolf Schock, Melitta Muszely, Clara Ebers oder Richard Holm hört sich halt anders an als die Originale an der Scala.

Zu Verdi kommt Puccini mit Tosca (Scarpia) und Mantel (Marcel), Leoncavallo mit Bajazzo (Tonio), Giordano mit André Chenier (Gerard) usw. Kein Ende ist in Sicht, denn da wären ja auch noch die Russen, die Franzosen – und das deutsche Fach, das auch seine eigene CD bekommen hat mit Marschner, Wagner, Strauss, Korngold. Metternich kannte keine Grenzen. Er war der Vielseitigsten einer. Und doch gibt sich die Box mit einem spannenden Kapitel seiner Karriere zugeknöpft. Gemeint sind Operette und Musicals. Gasparone (Carl Millöcker) und Zigeunerprimas (Emmerich Kálmán) mit seinem schwelgerischen Bariton wie Butter gehören für mich zu seinen schönsten Leistungen. Er hat auch an der Synchronisation von Kiss Me Kate und Eine Frau für sieben Brüder mitgewirkt.

1-Intense WindgassenAls Der erste Heldentenor in Neu-Bayreuth wird Wolfgang Windgassen gefeiert. Eigentlich hätte er mit der Mödl in eine gemeinsame Box gehört, so eng sind beider Karieren verzahnt. Sie standen oft in ein und derselben Vorstellung auf der Bühne. Ohne die beiden ist der Bayreuth in der Nachkriegszeit überhaupt nicht denkbar. Sie haben sängerische und darstellerische Standards gesetzt. Insofern hat Intense Recht getan, in die jeweilige Box des einen gehörig viel vom anderen zu packen. Beide sind nun in weiteren Szenen aus Walküre, Siegfried, Tristan und Isolde, Parsifal und Fidelio zu hören – wechselweise live und Studio. Sollte ich wählen müssen, ich würde immer für Mitschnitte optieren. Was für Mödl gilt, gilt auch für Windgassen. Das Mirkophon wirkt wie eine Bremse. Sie brauchen die Bühnen, können erst dort alle ihre Möglichkeiten entfalten, auch ihr stimmlichen Ressourcen ökonomisch verwalten. In Mitschnitten geben Sänger viel mehr von sich preis. Windgassen hat rauf und runter alle Wagner-Rollen gesungen, die für ihn in Frage kommen – auch den Rienzi. Alle sind gebührend berücksichtigt, was praktisch dazu führt, dass acht CDs mit Wagner vollgestopft sind. Selbst auf die verbleibenden zwei wurden schnell mal noch zwei Dokumente aus Tannhäuser und Holländer geklemmt – zum einen die Szene aus dem Venusberg mit Margarete Bäumer „Stets soll nur dir, nur dir mein Lied erklingen“, zum anderen der Erik in der Auseinandersetzung mit Senta (Annelies Kupper) „Was muss ich hören“ aus der DG-Gesamtaufnahme unter Ferenc Fricsay.

Spannend und lehrreich zugleich finde ich die verbleibenden hundertzehn Minuten mit Szenen aus Fidelio von Beethoven, Guntram von Strauss, Rose vom Liebesgarten von Pfitzner, Wildschütz von Lortzing, Freischütz und Euryanthe von Weber, sowie Tiefland und Tote Augen von d’Albert. Sie wecken Begehrlichkeiten. Ich hätte gern noch mehr davon gehört. Denn diese Aufnahmen außerhalb des Dunstkreises von Wagner lassen tief in die Werkstatt dieses Sängers blicken. Es wird deutlich, wie er seine relativ kleine Stimme mittels phänomenaler Technik ins große Fach erweitern konnte. Windgassen war ein Heldentenor dank seiner Intelligenz. Das funktionierte auf Dauer nur, weil er zwischendurch immer wieder den Tamino gesungen hat. Von hm können all jene lernen, die sich zu früh und zu ausschließlich auf Wagner werfen.

Rothenberger-BoxDie Fünfte im Bunde dieser Betrachtungen ist Anneliese Rothenbergerdie Stimme für Millionen, wie sie auf ihrer Box bezeichnet wird, die unter dem Label Membran auf den Markt gekommen ist (232764). Das trifft es. Die Rothenberger kennt (fast) jeder. Ihre Fernsehkarriere hat ihr ein großes Publikum, nicht aber immer Beifall der Kritik und der Opernfraktion eingebracht. Es ist eine glückliche Entscheidung, nur solche Aufnahme ins Programm der Edition aufzunehmen, die vor dieser Zeit entstanden sind, nämlich zwischen 1950 und 1958. Damals waren übrigens die Rothenberger, die Mödl und Metternich zeitweise gleichzeitig in Hamburg engagiert. Eine gemeinsame Aufnahme lässt sich allerdings nicht nachweisen. Ach, wäre das schön gewesen. Dafür aber findet sich eine Nummer auf CD 7 als Track 5, die allein die Anschaffung dieser Box lohnt: „Künstlerball bei Kroll“ aus Künnekes Die lockende Flamme. Diese drei Minuten sind für mich eines der rasantesten Operettendokumente, die ich kenne. Die Rothenberger setzt ein Feuerwerk in Gang. Sie rast atemlos durch das Couplet mit einer Textmenge, die selbst Wotans Walküre-Monologe in den Schatten stellt. Sie ist frech, lästert unverschämt. Niemand ist vor dieser scharfen Zunge sicher. Eine ganze Gesellschaft bekommen ihr Fett weg. So frei und unverstellt habe ich sie nie wieder gehört. Am Ende musste ich die CD erst einmal anhalten, um selbst Luft zu holen für das weitere Programm.

Denn das hat es in sich, ist noch reichhaltiger als bei Metternich. Operette, so weit das Ohr reicht. Neben den gängigen Titeln auch seltene Stücke wie Die verschleierte Maja von Michael Jary, Anita und der Teufel von Theo Mackeben oder Anouschka und der Walzerkönig von Rudolph Schmidt. Drei englisch gesungene Szenen aus Gershwins Porgy and Bess mit Lawrence Winters berühren mehr, als dass sie das Idiom dieses Werkes treffen. Schwebend die Gilda mit „Teure Name, dessen Klang“ aus Rigoletto, alles andere als langweilig die versonnene Szene „Bin ich am Wald“ aus Pfitzners Christelflein. Alles, was ich an den späteren Aufnahmen der Rothenberger auszusetzen habe, gerät in Vergessenheit angesichts dieser verschwenderischen Fülle an Begabung und Talent der jungen Frau.

Nun also Elisabeth Schwarzkopf mit ihren „größten Erfolgen“. Ob die Kinderlieder des Gelegenheitskomponisten Walter Gieseking tatsächlich dazu gehören, sei dahin gestellt – auch dann nicht, wenn er selbst am Klavier, seinem eigentlichen Metier, sitzt. Lieder von Carl Loewe, Richard Trunk und Hermann Zilcher sind ebenfalls nicht das, was einem bei Schwarzkopf zu allererst einfällt. Da müssen andere Komponisten her: Strauss, Mozart, Wolf. Die finden sich natürlich auch in der Sammlung. Drei Ausschnitte aus dem Rosenkavalier, zwei davon aus der berühmten EMI-Produktion von 1956 unter Herbert von Karajan, sind gesetzt. Die Schlussszene aus der Gesamteinspielung von Capriccio mit Wolfgang Sawallisch am Pult auch. Ariadne auf Naxos und Arabella kommen hinzu. Wenn ich ihre Arabella höre, verfalle ich jedes Mal in Wehmut, dass keine Gesamtaufnahme zustande gekommen ist. Ehemann und Produzent Walter Legge hielt das Werk damals in seiner Gänze nicht für markttauglich. Er, der gewöhnlich weit in die Zukunft blicken konnte, hatte sich diesmal geirrt. Arabella ist heute aus den Spielplänen nicht mehr wegzudenken.

Dass die Vier letzten Lieder nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst. Es wurde – völlig zu Recht – die erste Einspielung, die Otto Ackermann dirigiert, ausgewählt. Die glitzert nicht so wie die von George Szell dirigierte Stereo-Aufnahme, dafür fließt die Stimme so wunderbar. Sie gilt Kennern nach wie vor als die gelungenste. Mozart ist mit jenen Opern berücksichtigt, die über Jahre zum festen Bestandteil ihres immer kleiner werdenden Repertoires gehörten: Figaro, Don Giovanni, Cosi fan tutte. Die drei Cosi-Szenen sind ausschließlich der frühen Karajan-Produktion entlehnt, bei den anderen beiden Opern wurden verschiedene Quellen angezapft. Lieder dieses Komponisten in frühen Rundfunkproduktionen (1944) mit Michael Raucheisen offenbaren eine Natürlichkeit und Schlichtheit, die später mehr und mehr der Kalkulationen wichen. „Erwacht zu neuem Leben“: Der Beginn des Liedes Frühlingsanfang könnte das Motto dieser, wenn nicht aller Boxen sein. Hugo Wolf kommt mit sechzehn Liedern etwas zu kurz weg. Fast alle ihre vielen Liederabende hatten eine Gruppe von Wolf-Liedern im Programm. Ohne die Kernarbeit von Schwarzkopf und Legge, der schon in den 1930er Jahren für ihn warb, hätte Wolf heute nicht den Stellenwert, der ihm tatsächlich auch gebührt. Die Wahl fiel auf vierzehn Titel aus dem Liederabend 1953 in Salzburg, als Wilhelm Furtwängler am Flügel saß. Im Gänze ist das ein höchst eigenwilliges und unterhaltsames Dokument. Es sollte nicht zerteilt werden. Wie stark die Schwarzkopf das Ausdrucksspektrum bei Wolf-Liedern erweitert und bestimmt hat, wird erst im Studio in der Zusammenarbeit mit Gerald Moore offenbar.

Drei CDs mit Operette, Walzern und leicht gehaltenen Liedern betonen die heitere Seite der Sängerin, von der sie sich gern zeigte. Die Schwarzkopf-Diskographie ist unerschöpflich. Und immer noch kommen neue Titel hinzu. Für neue Ausgrabungen ist der bevorstehende 100. Geburtstag hoffentlich Anlass genug.

Rüdiger Winter

 

Die Posaune weckt die Toten auf

Hat es sich das Label Profil Günter Hänssler anders überlegt? Mit Karl Richter Edition war erst neulich eine CD mit Flötenkonzerten unter Leitung dieses Dirigenten überschrieben. Das ließ hoffen. Nun ist davon keine Rede mehr. Das von Richter geleitete Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart erschien in ganz allgemeiner Aufmachung (PH15006). Ein Grund für die eher schlichte Vermarktung könnte auch darin  bestehen, dass diese Aufnahme eine sehr gute alte Bekannte ist. Sie erschien bereits bei der Teldec unter dem Dach einer Edition. Auch Telefunken war mit einer eigenen Ausgabe auf dem Markt.

Ob nun mit oder ohne neue Edition, an der Musik und ihrer Interpretation ändert das nichts. Die Einspielung stammt vom November 1961. Das ist lange her. Wie bei Richter nicht anders zu erwarten, singt der Münchener Bach-Chor, spielt das Münchener Bach-Orchester. Mit Maria Stader (Sopran) und Hertha Töpper (Alt) sind zwei gestandene Sängerinnen mit entsprechender Erfahrung in diesem Genre aufgeboten. Der gradlinige holländische Tenor John van Kestern ist nicht so oft auf Platten anzutreffen. Insofern ist seine Mitwirkung auch eine diskographische Bereicherung. Er hat nach wie vor seine Anhänger. Etwas aus der Rolle fällt Karl Christian Kohn mit seinem robusten Bass, der mit Kaspar oder Geisterbote besser bedient wäre denn mit Mozart. Sein „Tuba Mirum“ lässt tatsächlich aufschrecken, auch aus dem Quartett ragt er zu stark heraus. Richter war bei der Auswahl seiner Solisten oft sehr eigenwillig. Nicht alle Entscheidungen sind nachzuvollziehen. Er geht das Requiem groß und dramatisch an. Es klingt wuchtig. Als sollten die Toten aufgeweckt werden. Nicht umsonst ist Franz Eder an der Posaune extra erwähnt.

Cd Richter FlötenkonzerteFlötenkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn waren im Dezember  2014 herausgekommen (PH 13055). In dem Album mit zwei CDs findet sich als eine Art Bonus noch die berühmte Ballettmusik „Reigen seliger Geister“ aus der Oper Orpheus und Eurydike für Flöte und Orchester von Christoph Willibald Gluck. Hänssler pflegt das Andenken an Richter. Es dürften also noch weitere Aufnahmen mit diesem Dirigenten zu erwarten sein. Bereits 2012 war die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach mit Irmgard Seefried, Hertha Töpper, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau – ursprünglich Archiv Produktion Deutsche Grammophon – neu aufgelegt worden. Bach ist ein festes Posten im Gesamtkatalog. Für das kommende Jahr – es wird der 330. Geburtstag des Thomaskantors begangen – ist eine Edition mit 36 CDs angekündigt, in der auch Richter vertreten sein wird. 
Richter und Bach sind eins. Wer im Internet auf die Suche geht, findet diese Einheit bestätigt. Bach, soweit Auge und Ohr reichen. Nun war der auch Richters täglich Brot. Richter begann seine musikalische Laufbahn als Kruzianer in Dresden, studierte in Leipzig bei den Thomaskantoren Karl Straube und Günter Ramin, wurde mit 23 Jahren Thomasorganist, führte an seiner späteren Hautwirkungsstätte München den Bach-Chor und das Bach-Orchester zu internationalem Ruhm, reiste mit diesen Ensembles um die ganze Welt, machte unzählige Aufnahmen, die sogar ins Fernsehen und schließlich auf DVD gelangten. Er pflegte einen vergleichsweise groß besetzten Bach, der inzwischen durch die so genannte historisch informierte Aufführungspraxis (HIP) als überholt und historisch gilt. Und doch geht von Richters Interpretationsstil nach wie vor eine sehr elementare Wirkung aus, die viele Anhänger hat. Ich gehöre dazu. 
Richter kann noch mehr als Bach. Er hat sich Händel zugewandt, Brahms, Gluck und Mozart. In dem Gedenkkonzert der Münchner Philharmoniker für den verstobenen Dirigenten Rudolf Kempe, das am 4. Juli 1976 stattfand, setzte er neben der g-Moll-Sinfonie (KV 550) von Mozart die vierte Sinfonie von Robert Schumann auf das Programm. Schade, dass ihm nicht genug Zeit geblieben ist, sein romantische Repertoire zu pflegen und weiter auszubauen. Der Schumann ist hinreißend in seiner Klarheit und in seinem Schwung. Fünf Jahre nach dieser musikalischen Trauerfeier für den Freund war er selbst tot. Das Konzert, von dem sich ein Rundfunkmitschnitt erhalten hat, verdient es, veröffentlicht zu werden. Ein Projekt für Hänssler? Dort gibt es nun Mozart und Haydn. Die Flöte bei den Konzerten spielt der Schweizer Aurèle Nicolet, der oft mit Richter zusammengearbeitet hat. Zwischen beiden stimmt die Chemie. Ihr Zusammenspiel ist von gegenseitiger Zurückhaltung geprägt, der Solist bekommt immer den Vorrang, kann sein virtuoses Können voll entfalten und trägt die grundsolide Interpretation durch Richter mit. Er reißt nie aus. Es ist viel Heiterkeit und Licht in diesen Aufnahmen, zumal die Flöte immer eine gewisse Naturnähe schafft. 
Mit dabei ist auch das berühmte Konzert KV 314, das ursprünglich als Oboenkonzert komponiert wurde und in dem ein Einfall den nächsten jagt. Es lohnt sich, die Aufnahmen mehrfach zu hören, also nicht gleich ins Regal einzuordnen. Ihren ganzen Reichtum, der sehr viel Ruhe und Ausgeglichenheit verbreitet, habe ich erst dadurch erfahren. Zunächst klingen die Konzerte – wenn das Wort denn erlaubt ist – grundanständig. Darin liegt die Gefahr, dass sie zur Hintergrundmusik werden. Wäre das so schlimm? 
Rüdiger Winter

Magische Töne

 

Warum jetzt an Maria Cebotari denken? Am 10. Februar 1910 geboren, am 9. Juni 1949 gestorben. Kein Jubiläum kann also der Anlass sein. Eine neu entdeckte Aufnahme vielleicht? Genau. So ist es. Bei Orfeo ist Der Zaubertrank von Frank Martin als Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 1948 erschienen (C 890 142 A). Endlich. Die Cebotari als Isolde, Isot, wie sie in dem Stück heißt. In Dokumentationen über das Festival sind vier Aufführungen im Landestheater vermerkt, die vorletzte am 24. August wurde im Rundfunk übertragen. Ein originales Band hat sich erhalten. Endlich wurde es aus dem Archiv geholt. Dem Label sei Dank. Damals war es ein Wagnis, das strenge Stück, das weder Oper noch Oratorium ist, anzusetzen, heute dürfte es ein Wagnis sein, damit auf den heiß umkämpften Musikmarkt zu gehen. Reichtümer werden damit nicht zu holen sein. Der Wert misst sich in anderer Währung.

Das Foto zeigt Maria Cebotari in einem PR-Shot als Violetta/La Traviata auf dem Cover einer alten Saga-LP/OBA

Das Foto zeigt Maria Cebotari in einem PR-Shot als Violetta/La Traviata auf dem Cover einer alten Saga-LP/OBA

Nur eine Szene aus dem (in Salzburg deutsch gesungenen) Zaubertrank war in gut sortierten privaten Sammlungen seit Jahren zu finden, wenngleich in ziemlich mieser Klangqualität. Sie ließ mehr ahnen, als dass sich daraus ein Gesamteindruck hätte rekonstruieren lassen. Sie handelt von der Begegnung zwischen Tristan (Julius Patzak) und Isot im ersten Teil. Für mich der eindrucksvollste Moment des ganzen Werkes. Isot antwortet auf die Tristans Frage, was es sei, dass sie quäle: „Die Liebe zu euch.“ Was in der wörtlichen Niederschrift lakonisch klingt, ist in der musikalischen Wiedergabe meilenweit davon entfern. Martin lässt seine Figuren aus dem Chor, der wie in der griechischen Tragödie agiert, immer wieder heraustreten, so auch in dieser Szene. In dieser Loslösung entsteht die überwältigende Wirkung. In der Diskographie von John Hunt (ISBN 9780952582731), die für die genaue Beschäftigung mit der Cebotari unerlässlich ist, heißt es auf Seite 199 über den Zaubertrank – im Original Le vin herbé„unpublished radio broadcast“. Von nun an gilt das nicht mehr.

Maria Cebotari, die aus dem heutigen Moldavien stammt, auf einer Briefmarke ihres Heimatlandes.

Maria Cebotari, die aus dem heutigen Moldavien stammt, auf einer Briefmarke ihres Heimatlandes.

Ich bin mit der Cebotari aufgewachsen. Meine Mutter hatte ihre Filme gleich nach der Premiere gesehen und immer und immer wieder davon erzählt. Deshalb hielt ich sie zunächst für eine Schauspielerin, die sie nur episodenhaft gewesen ist. Ihre bessere Hälfte war und blieb der Gesang. Eine meiner ersten eigenen Schallplatten enthielt Musik aus La Bohéme und Madame Butterfly„Man nennt mich jetzt Mimì“, „Eines Tages sehn wir“ und das Duett „Mädchen, in deinen Augen liegt ein Zauber“ mit dem Tenor Walther Ludwig. Ich bräuchte die Aufnahmen von 1942 gar nicht mehr neu zu hören, obwohl sie längst als CDs im Regal stehen. So tief haben sie sich eingegraben, als sei das Gehirn selbst der Tonträger. Diese elementare Erfahrung habe ich mit kaum einer anderen Sängerin gemacht. Auf mich wirkt die Cebotari immer noch wie ein Naturereignis. Meine Liebe zur Oper ist ohne sie nicht denkbar. Das liegt nicht an mir, das liegt an ihr. Sie öffnet die Ohren. Als ich noch ein Junge war, gab es kaum Operngesamtaufnahmen. Arien und Querschnitte waren die Norm. Das Gros der Aufnahmen mit Maria Cebotari besteht aus solchen Szenen. Mir kam es immer so vor, als würde sie in einer einzigen Arie den Stoff der ganzen Oper verdichten wie der Meisterkoch die Kraft des Fleisches in einer Consumé.

Die Tatiana hat Maria Cebotari - hier mit Autogramm - an der Berliner Staatsoper gesungen.

Die Tatiana hat Maria Cebotari – hier mit Autogramm – an der Berliner und Dresdner Staatsoper gesungen.

Sie singt höchst konzentriert. Bei ihr scheinen die Noten zusammenzurücken. Wohl deshalb ist mir die Arie der Susanne aus Figaros Hochzeit die allerliebste Aufnahme einer Arie geblieben. Sie lockt mit der Stimme, setzt somnambule Dunkelheit verführerisch, erotisch ein. „Endlich naht sich die Stunde…“ Da kann alles und mancher gemeint sein, nicht nur Figaro, auch der Graf, gar der Page. Es ist das Lied der Liebe, das durch die Nacht klingt. Eine Prise Chanson mischt sich bei. „Feuer und Fieber“, überschreibt Jürgen Kesting in seinem Standardwerk Die großen Sänger das Kapitel über die Sängerin und trifft damit ins Zentrum. Die Wirkung ist auch nach mehr als siebzig Jahren nicht verflogen. Kunst und Können verfallen eben nie. Mir scheint, sie stellt den Ausdruck immer über die Technik des Gesangs. Manchmal schleift sie Töne. Das aber gerät zur Gestaltung, wenn Ungenauigkeiten, gar Nachlässigkeiten in den Koloraturen bei Partien wie Konstanze oder Violetta noch wie Stärken wirken. Zumindest fällt es mir schwer, dies ihr als Schwäche anzulasten. Die Cebotari macht aus Individualität ein Markenzeichen. Sie ist unverwechselbar.

Gedenktafel an ihrem Berliner Wohnhaus an der Hessenallee 12 - Foto: Winter

Gedenktafel an ihrem Berliner Wohnhaus an der Hessenallee 12 – Foto: Winter

Jeder Vergleich mit ebenso berühmten Kolleginnen ist so mühsam wie sinnlos. Aber in einem Fall kann ich nicht widerstehen. Das ist die Salome. Es gibt zwei Dokumente, den berühmten Schlussgesang von 1943 und den Londoner Aufführungsmitschnitt des Gastspiels der Wiener Staatsoper von 1947. Konkurrenz in dieser Zeit ist übermächtig. Ljuba Welitsch und Christel Goltz sind die berühmtesten Namen, gelten bis heute als Inbegriff, gar als Nonplusultra. Daran ist nicht zu rütteln. Und doch hat die Cebotari etwas in der Stimme, was die anderen so ausgeprägt nicht haben – Jugend. Sie ist die Kindfrau. Dabei ist sie von den Dreien die Älteste. Als Daphne hätte sie lange vor Hilde Güden die Maßstäbe setzten können. 1943 wurde der Schussgesang eingespielt, der große Erwartungen ans Ganze weckt – zart, verhalten, tastend. Daphne ist selbst erstaunt, was da mit ihr passiert, nämlich das Wunder der Verwandlung. Das Finale aus Ariadne auf Naxos, 1947 mit dem trunkenen Karl Friedrich unter Thomas Beecham entstanden, markiert den Beginn einer neuen Ära in der Karriere der Schallplattensängerin Maria Cebotari.

Eine alte ETERNA-LP jetzt auf CD. Irrtümlich enthielt die die Martern-Arie mit der Schwarzkopf. Das hatte für Verwirrung gesorgt.

Eine alte ETERNA-LP jetzt auf CD bei Berlin Classics. Irrtümlich enthielt sie die Martern-Arie mit der  jungen Elisabeth Schwarzkopf. Das hatte für Verwirrung gesorgt.

Viel Zeit blieb ihr aber nicht, um nun unter wesentlich besseren technischen Bedingungen aufzunehmen. In London hatte sich ihr das berühmte Studio No. 1 in der in der Abbey Road aufgetan. Der allmächtige EMI-Produzent Walter Legge war auf sie aufmerksam geworden. Das versprach mehr Arbeit im Detail, größere Genauigkeit. Ein Exklusivvertrag war abgeschlossen. Legge betreute den Monolog der Ariadne „Es gibt ein Reich“, der ein Jahr später mit den Wiener Philharmonikern eingespielt wurde, nun schon unter Herbert von Karajan. Wie eine beglückende Zugabe bei diesen Aufnahmesitzungen wirkt Saffis Arie „So elend und so treu“ aus dem Zigeunerbaron von Strauß. Ihr Tod beendete diese verheißungsvolle Zusammenarbeit. Endlich ein modernerer Sound. Alles ist besser als Reichsrundfunk, wobei es zur Wahrheit gehört, dass in den 1930er Jahren bis Kriegsende bereits unter sehr soliden Bedingen produziert wurde. Viele Aufnahmen leiden mehr an späteren Bearbeitungen als an den eigenen Geburtswehen. Es scheinen sich ganz Heerscharen von Hobbyrestauratoren an den Dokumenten vergangen haben, so hohl, blechern und übersteuert klingt vieles.

cebotari turandotGroßes Aufsehen wie jetzt der Zaubertrank erregte vor fünfzehn Jahren die Ausgrabung ihrer Turandot, die 1938 beim Reichssender Stuttgart mit Joseph Keilberth am Pult entstand, nachdem sie sie 1933 und 1934 in Dresden auch live gesungen hatte. Aus einem Gerücht um dieses Dokument, an das niemand so recht glauben wollte, war Gewissheit geworden. Das sind beglückende Momente im Leben jedes Sammlers. Einige Fehlstellen am Schluss tun fast nichts zur Sache. Der Gesamteindruck bleibt und wird zu einer Lehrstunde, wie eine lyrische Stimme durch Fokussierung ins Hochdramatische gelenkt werden kann, ohne im klassischen Sinne hochdramatisch zu sein. Nicht ohne Risiko gelingt das. Die Cebotari ist es eingegangen. Für ihre Zeit hat sie ziemlich viele Gesamtaufnahmen hinterlassen. Ebenfalls in Stuttgart wurde ihre vollständige Susanne in Mozarts Figaros Hochzeit mit Karl Böhm am Pult verewigt. Verdis deutsch gesungene und von Karl Elmendorff betreute Luise Miller entstand 1944 in Dresden, die Gabriele in Schoecks Schloss Dürande entstammt einem lückenhaften Mitschnitt der Berliner Staatsoper von 1943. Aus Salzburg gibt es schließlich noch Dantons Tod. Die Cebotari ist die Lucile. Es war die Uraufführung der Oper Gottfried von Einems. Für den schwer erkrankten Otto Klemperer sprang der junge ungarische Dirigent Ferenc Fricsay ein und wurde über Nacht berühmt. Ein Dokument rührt mich immer wieder zu Tränen. Es ist der Mitschnitt der 2. Sinfonie von Gustav Mahler vom 16. September 1948 aus Wien. Am Pult der Philharmoniker stand Bruno Walter. Neun Monate vor ihrem Tod erhebt sich ihr leuchtender Sopran mit unglaublicher Kraft und Intensität über den gigantischen Aparat , um die Auferstehung zu beschwören. „Sterben werd´ ich, um zu leben!

Rüdiger Winter

Frank Martin: Der Zaubertrank. Tristan: Julius Patzak, Isot: Maria Cebotari, König Marke: Endré Koréh, Brangäne: Hilde Zadek, Die Mutter Isots: Maria von Ilosvay, Isot die Weißhändige: Dagmar Herrman, Sprecher: Alfred Poell, Kaherdin: Wilhelm Friedrich, Herzog von Hoel: Karl Dönch; Chor der Wiener Staatsoper, Mitglieder der Budapester Philhamoniker, Dirgent: Ferenc Fricsay; Orfeo  C 890 142 A

Maria Cebotari als Mimì/Künstlerpostkarte/OBA

Maria Cebotari als Mimì/Künstlerpostkarte/OBA

Die Salzburger Aufnahme und die damalige Atmosphäre kommentiert der Musikwissenschaftler Gottfried Kraus im beiliegenden Booklet: (… ) Zurück in den Festspielsommer 1948 und zur Tristan-Version Le vin herbé des Schweizer Komponisten Frank Martin, die in deutscher Übersetzung als Der Zaubertrank ihre szenische Uraufführung erlebte. Martin hatte schon 1938 mit der Konzeption des Werkes begonnen, es aber vermieden, seine Gestaltung des Tristan-Stoffes einer gängigen Kategorie zuzuordnen, Le vin herbé ist keine Oper, auch kein Oratorium im herkömmlichen Sinn und keine Ballade obwohl dieser Begriff es vielleicht noch am besten trifft. Als Vorlage diente dem Komponisten Le Roman de Tristan et Iseut des französischen Dichters und Literaturforscher Joseph Bédier (1864-1938), der die Tristan-Sage aus frühen Quellen und Darstellungen, etwa durch Thomas von England oder Gottfried von Straßburg, zu einem umfassenden Epos zusammengefasst hat. Im Gegensatz zu Richard Wagner, der den Tristan-Stoff frei und unter dem Eindruck seiner Beziehung zu Mathilde Wesendonck sehr individuell gestaltet hat, wird der mittelalterlichen Sage um das Schicksal der beiden durch den Zaubertrank tragisch einander verfallenen Liebenden von Bedier nichts hinzugefügt.

Maria Cebotari als Isot - Foto: Orfeo/Archiv Salzburger Festspiele

Maria Cebotari als Isot – Foto: Orfeo/Archiv Salzburger Festspiele

Drei Kapitel des Romans hat Frank Martin ausgewählt, in welchen die wichtigsten Episoden geschildert werden, und sein Werk dementsprechend in drei Abschnitte gegliedert. Jeder Teil wird von einem Prolog und einem Epilog umrahmt, in welchen dem Chor ähnlich der antiken Tragödie erzählende, kommentierende Passagen anvertraut sind. Auch die eigentliche Handlung wird in mehr oder weniger epischer Form erzählt – aus dem Chorus, der im Original von Einzelstimmen gesungen wird, tritt ein Erzähler (Bariton), und in den einzelnen Szenen werden die handelnden Figuren – Tristan, Isolde, deren Mutter, Brangäne, die Dienerin, König Marke, Tristans Freund Kaherdin und andere – in einer Art freien Sprechgesangs vorgestellt. Anstelle eines Orchesters wählt Martin ein kleines Instrumentalensemble, sieben Streichinstrumente und Klavier, das die Erzählung mit einem eigenartig herben, harmonisch vielschichtigen, doch an manchen Stellen überaus dichten, atmosphärischen Klangteppich unterlegt und illustriert. Diese sparsame musikalische Gestik und die strenge Form der einzelnen Bilder und Episoden geben dem Ganzen holzschnittartigen Charakter, der an mittelalterliche Bilddarstellungen erinnert.

Die Idee Le vin herbé nicht nur konzertant aufzuführen, sondern bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne zu bringen, hatten der Regisseur Oscar Fritz Schuh und der Bühnenbildner Caspar Neher. Sie wählten dafür die deutsche Fassung, die der Komponist gemeinsam mit dem Dichter Rudolf Binding erstellt hatte, sorgsam darauf bedacht, den strengen Stil des Werkes in der deutschen Übersetzung beizubehalten. Und auch in der szenischen Umsetzung machten Schuh und Neher nicht den Fehler, eine dramatische Handlung vorzutäuschen. Auf der relativ kleinen Bühne des Landestheaters kommentierte der in einheitlich graue Kostüme gehüllte Chor das Geschehen, einzig der Sprecher trug ein farbiges gotisches Kostüm, den handelnden Figuren und ihrem rezitativischen Gesang war nur wenig Bewegung gestattet. Die Aufmerksamkeit galt ungeteilt dem eigenartigen Reiz dieser musikalischen Erzählung.

Das Label Preiser hat mehrere CDs mit Aufnahmen der Cebotari im Katalog.

Das Label Preiser Records hat mehrere CDs mit Cebotari-Aufnahmen im Katalog. Hier als Sophie im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss.

Interessanterweise ist in den verschiedenen Darstellungen der Salzburger Festspielgeschichte zu lesen, dieser zweiten Uraufführung sei im Sommer 1948 wenig Erfolg beschieden gewesen. In zeitgenössischen Kritiken liest man es neben manchem Einwand gegen die undramatische Form einer „Nicht-Oper“ aber auch anders. So berichtet die Neue Zürcher Zeitung nach der Uraufführung, dassFrank Martins zu Herzen sprechende Komposition sich bei der szenischen Aufführung im Rahmen der Salzburger Festspiele als höchst lebendiges und bildhaftes Bühnenwerk entpuppt“ habe. (…)  In der in Wien erscheinenden Weltpresse vom 19. August 1948 schreibt Max Graf: „Der größte Reiz der Martinschen Vertonung von drei Kapiteln aus Bédiers Roman von ,Tristan und Isot‘ ist ihr epischer Ton. Sie erzählt mit Singstimmen, einem kleinen Chor und zwölf Saiteninstrumenten und Klavier die Geschichte von Tristans Liebe und Tod, wie ein Trouvere sie an einem nordfranzösischen Hof erzählt haben würde … Die Luft des gotischen Zeitalters liegt über der Musik, die fast durchwegs rezitativischen Charakter hat. Die Harmonien mit den vielen herben, eckigen Quarten in den Chören und im Kammerorchester sind mittelalterlich. Auch wo die Musik nicht die harten Linien eines mittelalterlichen Schnitzwerkes hat, wo sie weich und gefühlvoll wird und wo aus dem Orchester Geige, Viola oder Cello mit tränen-behangener Kantilene sich herausheben, hat die melodische Zartheit den Charakter gotischer Kunst. Man ist, wenn die Chorstimmen hart zusammenstoßen oder Solostimmen psalmo- dieren, in einer alten, fernen Welt, im dreizehnten Jahrhundert, in gotischen Burggewölben, in Kapellen, in denen holzgeschnitzte Madonnen leise lächeln und ein mattes Licht durch kleine gotische Fenster fällt, und in Sälen mit teppichgeschmückten, dicken Steinwänden, in denen ein Vorleser im schwarzen Kleid aus einem Pergamentbuch, das mit vergoldeten Miniaturen geschmückt ist, einen traurigen Roman vorträgt.“

In der sehr guten Diskographie vo John Hunt wird der "Zaubertrank" noch als unveröffentlicht geführt ( ISBN 0-95255827-3-2)

In der sehr guten Diskographie von John Hunt wird der „Zaubertrank“ noch als unveröffentlicht geführt          (ISBN 0-95255827-3-2).

Eindruck und Echo dieses ungewöhnlichen Abends waren stark bestimmt von der außerordentlichen Qualität der Aufführung, für die Salzburg das gleiche Team aufgeboten hatte, das im Jahr zuvor Dantons Tod so eindrucksvoll realisiert hatte und das im Sommer darauf auch die Uraufführung der Antigonae von Carl Orff zum Erfolg führen sollte, In der Wiener Zeitung vom 19. August 1948 schreibt Rudolf Holzer: „Salzburg darf sich zur Ehre anrechnen, daß es dem Werk eine vollendete Aufführung zuteil werden ließ. Der ungarische Dirigent Ferenc Fricsay waltete mit sichtlicher Begeisterung und Hingabe seines Amtes: Julius Patzak und Maria Cebotari waren von außerordentlicher Tiefe beseelter Ausdruckskraft“. Und in der Neuen Zürcher Zeitung (ebenfalls 19. August 1948) heißt es: „Großartig in seiner Intensität und Einfachheit Julius Patzak als Tristan, dem sich auf hohem künstlerischen Niveau Maria Cebotari als Isot, Hilde Zadek als Brangäne und in wundervollem Klangsinn und Deutlichkeit der poetischen Diktion der Chor der Wiener Staatsoper anschlossen. Frank Martin konnte den begeisterten und wahrhaft echten Beifall des Publikums entgegennehmen.“

 

Und selbst in der beliebten Serie der Sammelbildchen in Zigaretten-Schachteln gab es sie/OBA

Und selbst in der beliebten Serie der Sammelbildchen in Zigaretten-Schachteln gab es sie/OBA

In memoriam Ferenc Fricsay: Für die vorliegende Veröffentlichung des Rundfunkmitschnittes der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot vom 24. August 1948 hat uns das Deutsche Rundfunkarchiv dankenswerter Weise Kopien der Originalbänder aus dem Archiv des Berliner Senders RIAS zur Verfügung gestellt. Die Salzburger Festspiele wollen mit dieser Ausgabe nicht nur eine wichtige Uraufführung aus der Nachkriegszeit dokumentieren, sondern auch an einen großen Dirigenten erinnern, der im September 2014 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ferenc Fricsay ist nach den Uraufführungen der Jahre 1947 bis 1949 erst 1961 zu den Festspielen zurückgekehrt, um Mozarts Idomeneo und ein Konzert der Wiener Philharmoniker zu dirigieren. Es sollte der Anfang einer engen Zusammenarbeit des inzwischen zu einem der wichtigsten Dirigenten seiner Generation gereiften Musikers mit den Festspielen werden. Fricsays tragisch früher Tod im Februar 1963 hat diesen Plänen ein Ende gesetzt. Im umfangreichen diskographischen Nachlass Fricsays hat Frank Martins Zaubertrank bisher gefehlt.

Der obige Beitrag aus dem Booklet zur Orfeo-Veröffentlichung, den wir leicht gekürzt haben,  wurde uns von Gottfried Kraus freundlicherweise zur Verfügung gestellt, wir danken sehr! 

Nachtrag: Die beiden Söhne aus der Ehe von Maria Cabotari und des österreichischen Schauspielers Gustav Diessl, der noch vor der Sängerin starb, wurden von dem englischen Pianisten Clifford Curzon und seiner Frau Lucille Wallace-Curzon adoptiert.

 

 

Die „Müllerin“ aus der Wigmore Hall

Wolfgang Holzmair ist ein gern gesehener Gast in der Londoner Wigmore Hall. Der Saal hat einen ausgezeichneten Ruf. Der österreichische Bariton auch. Viele Musiker schwören darauf, dass Kammermusik und Lieder nirgendwo auf der Welt besser klingen als in dieser Halle, die 1901 von der Berliner Pianoforte-Fabrik Bechstein errichtet wurde. Eine eigene CD-Reihe mit Aufnahmen aus der Wigmore Hall legt dafür akustische Beweise vor. Jetzt ist der von der BBC besorgte Mitschnitt von Franz Schuberts Die schöne Müllerin erschienen (WHLive 0072). Er gleicht einer akustischen Offenbarung. Als ich die CD auflegte, wähnte ich mich nicht an den Lautsprechern, sondern mitten im Saal. Es schwingt. Würde zehn Reihen weiter ein Taschentuch zu Boden fallen, man würde es spüren. So plastisch und unaufdringlich zugleich ist die Musik eingefangen. Dabei ist die Aufnahme gut zwanzig Jahre alt, was ihr nicht anzumerken ist. Im Gegenteil. Ich hätte Wetten darauf angeschlossen, dass sie eben erst entstand.

Mir kommt es so vor, als ob Holzmair die Positionen wechselt im Verlauf des Zyklus. Mal ist er selbst Müllerbursche, mal gibt er den Erzähler, dem die Geschichte dieses unglücklichen jungen Mannes allenfalls nahe geht. Mit derlei Wechselspiel kommt Dynamik und Dramatik in den Vortrag. Die Grundhaltung seiner Interpretation bleibt dennoch schlicht und natürlich. Vertieft wird dieser Eindruck dadurch, dass Holzmair so genau mit dem Text umgeht. Er hat nicht nur Respekt vor den Noten, sondern auch vor dem Werk des Dichters Wilhelm Müller. Er verschenkt nicht einen Buchstaben, nicht ein Interpunktionszeichen. Selten ist das so zu hören. Das Konzert, bei dem Geoffrey Parsons am Flügel sitzt, fand am 4. November 1994 statt. Parsons ist nur drei Monate später in London gestorben. Ist es ein Zufall, dass als Zugaben Schuberts Wandrers Nachtlied II und I – und zwar in dieser entgegengesetzten Abfolge – erklangen? Es sind Lieder des Abschieds. „Was soll all der Schmerz und Lust? / Süßer Friede! / Komm, ach komm in meine Brust!“ Das Konzert ist Parsons‘ Schwanengesang.

1-Boesch - SchwanengesangDer Musikmarkt überrascht seit Monaten immer wieder mit neuen Liedproduktionen. Nicht alle Neuerscheinungen sind spektakulär. Florian Boesch, der österreichische Bariton Jahrgang 1971, setzt beim Label Onyx seine Annäherung an Franz Schubert mit Schwanengesang fort (4131). Winterreise und Die schöne Müllerin liegen bereits vor. Bei allen Aufnahmen begleitet Malcolm Martineau. Boesch bleibt im Großen und Ganzen traditionell. Bei genauem Hinhören stellen sich seine Eigenwilligkeit und Individualität ein, womit er sich gegen die starke Konkurrenz wohltuend behauptet. Boesch ist ungemein zurückhaltend und diskret – wenn nicht gar introvertiert in der Darstellung. Er singt diese Lieder mehr nach innen denn nach außen. Er verschießt kein gestalterisches Pulver, kann im Forte dadurch viel besser disponieren. Nichts wirkt überzogen oder überanstrengt. Manche Lieder sind wie gehaucht. Im Klavierpart verbreitet der Pianist jene Unruhe, wie die für viele Lieder Schuberts typisch ist.

1-Holzmair - SchwanengesangWolfgang Holzmair hat sich ebenfalls den Schwanengesang vorgenommen. Seine CD ist bei Preiser Records (PR 90828) herausgekommen. Die Auswahl und Anordnung der Lieder unterscheidet sich etwas im Vergleich mit Boesch. Schließlich ist der Zyklus ja nicht von Schubert selbst, sondern postum zusammengefasst worden. Veränderungen sind also nicht das Problem. Holzmair beginnt mit der Taubenpost, die in manchen Aufnahmen am Schluss steht und bei Boesch fehlt. Diese Post ist nicht die schnellste. Holzmair nimmt sich auffallend viel Zeit. Dietrich Fischer-Dieskau kommt mit einer halben Minute weniger aus. Holzmair lässt die Taube nicht fliegen, sondern sinnt der Botschaft nach, mit der diese symbolhafte Tier „bis zu der Liebsten Haus“ unterwegs ist. Das Lied wird zur programmatischen Einleitung bestimmt, eine kluge Wahl, die der Sänger auch im Booklet genau begründet. Es sei undenkbar, die Taubenpost an den erschütternden Monolog des Doppelgängers quasi anzuhängen. Andere Interpreten hätten andere Lösungen gefunden, die alle ihre Berechtigung haben mögen. Für ihn, Holzmair, spreche für die Taubenpost zum Auftakt freilich auch, dass sie das Publikum sofort in den Schubert-Ton einstimme und dass sie eines von Schuberts Allzeitthemen, die Sehnsucht, zum Inhalt habe. Das leuchtet ein, so kommt es auch gesanglich rüber.

1-CD - Schoene Magelone (Edelmann)Fischer-Dieskau! Niemand, der sich mit Liedern beschäftigt, kommt um diesen Namen herum. Kein Sänger, kein Kritiker, kein Sammler, kein Musikfreund. Das Werk der nächsten Neuerscheinung – Die schöne Magelone von Johannes Brahms – ist eng mit seinem Wirken verbunden. Fischer-Dieskau hat allein schon mindestens vier Aufnahmen hinterlassen. Andere Sänger waren nicht ganz so tüchtig. Immerhin sind derzeit mehr als zehn Einspielungen auf dem Markt. Wer sich diesem Wettbewerb stellen und nicht unbeachtet bleiben will, muss etwas ganz Besonderes bieten. Paul Armin Edelmann, jüngster Sohn des berühmten Heldenbaritons Otto Edelmann, die renommierte Schauspielerin Julia Stemberger und der englische liederprobte Pianist Charles Spencer unternehmen diesen Versuch beim Label Capriccio auf drei CDs (C5225). Drei CDs? Die fünfzehn Lieder werden zweimal geboten, einmal als Werkgruppe allein, schließlich eingebettet in die Prosatexte von Ludwig Tieck als Wundersame Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence mit Liedern op. 33 von Johannes Brahms. Geschafft und nicht vertippt. Der Titel hat es in sich, die Geschichte auch. Für sich genommen bleiben die Lieder viel unzugänglicher als in der originalen textlichen Verortung. Dann erst wird eine Geschichte daraus, die als eine der literarischen Ursprünge der deutschen Romantik gilt. Im Vergleich beider Versionen kommt der Liederzyklus viel deutlicher und packender herüber.

Edelmann, der an seiner prominenten Herkunft auch zu tragen hat, geht sehr eigenständige Wege. Er hat sich seinen eigenes Markenzeichen geschaffen und ist längst nicht mehr nur der Sohn von Otto, bei dem er auch Unterricht genommen hat. Als Kind war er Mitglied der Wiener Sängerknaben und studierte später an der Musikhochschule in Wien. Sein Bariton hat einen schönen ebenmäßigen Fluss. Damit bringt er vorzügliche Voraussetzungen für Liedgesang mit. Noch schöner wäre es allerdings, würde auch jedes Wort zu verstehen sein. Daran hapert es gelegentlich. Die Stemberger interpretiert die Texte leicht, klar und schlicht. Sie nimmt ihnen die Schwere und Umständlichkeit. Dadurch wirken sie sehr zeitgemäß. Es ist eine Freude, ihr zuzuhören.

1-CD RöschmannPortraits: Diesen Titel hat Dorothea Röschmann ihrer CD bei Sony gegeben (88883785852). Nicht ohne Grund, wie sie im Booklet selbst erklärt. Bei Besuchen der berühmten National Portrait Gallery in London habe sie sich von vielen Bildern magisch angezogen gefühlt, Bildern, die sie auf die Idee brachten, Frauenporträts in Liedern von Franz Schubert, Robert Schumann, Richard Strauss und Hugo Wolf nachzuspüren. Solche Konzepte sind nur dann packend, wenn sie in der Realisierung stimmig aufgelöst werden. Das ist hier der Fall. Es lohnt sich, die CD hintereinender zu hören. Die Röschmann steht mit ihrem Können dafür ein, dass keine Langeweile aufkommt. Ihr Sopran klingt kostbarer denn je. Eine innere Erregung, gar ein ganz leichtes Beben halten die Spannung aufrecht. Sie dürfte an jedem einzelnen Titel sehr intensiv gearbeitet haben. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. In diesen Liedern ist ja kein Mangel an Wörtern und Begriffen, die heutzutage niemand mehr verwendet – wie das schimmernde Gemach in Kennst du das Land nach Goethe. Es ist, als würde uns Dorothea Röschmann von diesem Reichtum der Sprache der Dichter, den sie auskostet, etwas zurückgeben. So stelle ich mir Liedgesang 2014 vor.

Überhaupt ist es eine glückliche Wahl, die Mignon-Lieder von Wolf und Schubert kontrastierend in das Programm aufzunehmen. Das gilt auch für das von Benjamin Britten sehr diskret und stilvoll vollendete Lied Gretchens Bitte, das Schubert als Fragment hinterließ. Im Deutsch-Werkverzeichnis wird es allerdings unter dem Titel Gretchen im Zwinger geführt. Während Strauss mit gängigen Werken wie Morgen, Schlechtes Wetter oder Befreit vertreten ist, fiel bei Schumann eingedenk des Museumserlebnisses die Wahl auf den kleinen Zyklus Gedichte der Maria Stuart. Es sind die fünf letzten Lieder dieses Komponisten. Wie Fischer-Dieskau, der sich auch als Liederforscher betätigte, sehr treffend herausgefunden hat, zeigt sich die Musik ganz wortgebunden und scheint die einfache Melodienführung elisabethanischen Songs nachzuahmen.

1-Gerhaher - SchubertMit einer weiteren CD bei Sony (88883712172) führt Christian Gerhaher seine Auseinandersetzung mit dem Liedschaffen von Franz Schubert fort. Er hat bereits einige Aufnahmen vorzuweisen, die von der Kritik einhellig gelobt wurden und auch – was das Wichtigste ist – beim Publikum gut ankommen. Der Bariton setzt Schubert regelmäßig auf die Programme seiner Liederabende. Nach Die schöne Müllerin, Winterreise, Schwanengesang, einer mit Abendlieder verkaufsfördernd betitelten CD und Aufnahmen einzelner Titel in anderen Zusammenstellungen nun eine Auswahl von 24 Liedern, bei denen er wiederum von Gerold Huber am Klavier begleitet wird. Sie sind bereits Mitte 2012 als Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk eingespielt worden. Darunter sind Werke, die in keiner Diskographie der berühmten Liedinterpreten fehlen – Hoffnung, Abschied, Der Zwerg, Wehmut, Der Strom, Lied eines Schiffers an die Dioskuren. Vergleiche können also nach Lust und Laune angestellt werden. Für mich schneidet Gerhaher dabei bestens ab. Er ist längst in die höchste Liga aufgestiegen. Keiner seiner Vorgänger auf diesem Gebiet sitzt ihm mehr im Nacken. Als Hochschullehrer gibt er inzwischen selbst sein Können an jüngere Generationen weiter. Mir gefällt seine Natürlichkeit. Mit seiner Stimme gibt er vielen Liedern ihre Schlichtheit zurück. Er macht keine Dramen daraus, schlüpft in keine Rollen. Besonders deutlich wird das an der schaurigen Ballade vom Zwerg auf einen Text von Matthäus von Collin, die mit großer Zurückhaltung vorgetragen wird wodurch die Geschichte viel glaubhafter wird, als wenn sich der Sänger oder die Sängerin abwechselnd in die handelnden Figuren – Zwerg und Königin – schlüpfen.

1-Persicke - WesendonckNoch einmal die WesendonckLieder von Richard Wagner? Ja, noch einmal, diesmal mit Katharina Persicke. Sie bilden das Finale einer CD made in Netherlands beim Label Coviello Classics (COV 91419). Eröffnet wird das Programm mit den Sieben frühen Liedern von Alban Berg, auf die Proses Lyriques von Claude Debussy folgen. Der Berg ist geglückt. Die junge Sängerin bringt mit ihrem gut geführten und sehr sicher sitzenden lyrischen Sopran eine impressionistische Note hinein. Leicht, wie gehaucht klingt es. Mit dieser Fähigkeit kann sie auch bei Debussy punkten. In den Wesendonck-Liedern gelingen die getragenen, in sich gekehrten Passagen am besten. Muss die Stimme in dramatische Bezirke vorstoßen, reichen ihre natürlichen Ressourcen nicht aus. Sie muss forcierend nachlegen. Deshalb hätte ich ihr zu diesem Zyklus noch nicht geraten. Von Katharina Persicke, die von Pauliina Tukiainen begleitet wird, dürfte in nächster Zeit noch viel zu hören sein. Nach dem Gesangsstudium an den Hochschulen in Dresden und Freiburg erarbeitete sie sich in verschiedenen Opernhäusern mehrere Partien von Mozart, darunter Pamina, Zerlina und Figaro-Gräfin. Meisterkurse belegte sie bei Dietrich Fischer-Dieskau, seiner Frau Julia Varady,

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bei Peter Schreier und Catherine Malfitano.

1-Flaig - WolfAn Hugo Wolfs Liedern versucht sich der Bassbariton Markus Flaig mit seinem Begleiter Jörg Schweinbenz. Sie durften dafür einen in Tübingen aufbewahrten Bechstein-Flügel von 1893 benutzen, den der Komponist selbst gespielt und in einem Brief an die Freundin Melanie Köchert gerühmt hatte. Dieses kostbare Instrument schafft Authentizität. Ihre CD hat das Label Spektral herausgegeben (SRL4-13117). Sechs Danksagungen im Booklet sprechen für ein Projekt, das den beiden jungen Künstlern nicht in den Schoss gefallen zu sein scheint. Es ist ein Produkt der Hingabe, das Respekt und Wohlwollen verdient. Flaig ist noch relativ jung. Ein Geburtsjahr findet sich wie bei Emanuel-Marial nicht, weder im Booklet, noch auf seiner Homepage. Wikipedia gibt 1971 an. Jüngere Sänger scheinen heutzutage zurückhaltend zu sein mit der Preisgabe von derlei persönlichen Daten. Flaig kam über Umwege zum Gesang, hatte zunächst Schul- und Kirchenmusik studiert. 2004 war er Preisträger beim Internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig. Wolf ist schwere Kost. Da hat schon mancher versungen und vertan. Nein, Flaig passiert das nicht. Vor einer Glanzleistung ist er noch weit entfernt. Auf jeden Fall muss er an der Sprache arbeiten. Er ist nicht gut genug zu verstehen für einen Muttersprachler. Gerade bei Wolf, der so viel Wert legte auf seine dichterischen Quellen, muss jedes Wort, jeder Buchstabe deutlich werden. Von Farbe, wie sie die legendären Interpreten seiner Lieder in endlosen Schattierungen aufgetragen haben, noch gar nicht zu reden. Dieser Farbenreichtum fehlt. Mit einer Lesung aus Briefen von Wolf beschließt der Sänger seine CD. Das ist eine gute Idee, zumal er mit seiner sympathischen Sprechstimme auch Talent zu derlei Vortrag hat. In den Texten sind die strengen Anforderungen formuliert, die Wolf an die Kunst ganz allgemein stellte. Selten werden sie im musikalischen Teil der Neuerscheinung erfüllt.

1-Trekel - StraussMit einem Experiment soll mein Exkurs durch neue Lieder-CDs zu Ende gehen. Begleitet von Oliver Pohl wagt sich der Bariton Roman Trekel auf sehr glattes Eis und macht dabei gar keine gute Figur. Warum nur muss er sich auch ausgerechnet auf die Vier letzten Lieder von Richard Strauss werfen? Hätten die Wesendonck-Lieder, deren sich neuerdings immer mehr Sänger frech bemächtigen, nicht genügt? Die sind schon nicht nachzuvollziehen aus Männermund und Männerseele, weil sie diesen ganz konkreten historischen Kontext haben, aus dem sich nicht einfach lösen lassen. Die Strauss-Lieder aber gehen gar nicht, stimmlich nicht. Trekel gurgelt sich schon gleich durch den Beginn. Er rutscht deutlich unter sein eigenes Niveau, weil die Lieder nicht singbar sind für einen Bariton. Strauss würde sich im Grabe umdrehen. Dabei hebt die CD, die vom Oehms auf den Markt gebracht wurde (OC 1811) so fulminant an mit Heimliche Aufforderung. Wäre er doch bei solchen Liedern geblieben. Das Schaffen von Strauss ist so reich für Baritone von der samtigen Sporte, wie er Trekel eigen ist.

Rüdiger Winter

Diana Damrau shokaSchmetterlinge flattern durch die Luft, Grashalme wiegen sich im Wind, Kinder singen, eine Geisha tippelt herein, so mag sich manch einer das Land der aufgehenden Sonne oder das Land des Lächelns vorstellen.Das ist aber auch der spontane Eindruck, der sich beim Lied über die sieben Babys oder dem Lied über den Frühlingsanfang einstellt: sie alle sind das, was man in Japan „Shokda“ nennt, Schul-Hymnen aus dem ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert nach bekannten japanischen Gedichten und übergossen mit einer Musik im gefälligen, westlichen Stil. Auf solche Lieder stieß Kent Nagano, als seine dreijährige Tochter mit ihrer Mutter diese Melodien sang, was dazu führte, dass sich der Dirigent, dessen Familie seit dem späten 19. Jahrhundert in Amerika lebt, erstmals mit diesen Texten und Melodien und offenbar tief verwurzelten Traditionen auseinandersetzte. Daraus entstand ein Konzertprojekt und schließlich die prominent bestückte Kontinent übergreife Einspielung Shoka, die das im März 2010 aufgenommene Orchestre Symphonique de Montréal mit Diana Damrau, die im folgenden Juni in Germering ins Studio ging, zusammenbrachte (Analekta AN 2 9130). Damrau singt das leicht und frisch und in der dreisprachigen Textbeilage lässt sich ihr Japanisch gut verfolgen. Die leicht zugänglichen und kuscheligen Gesänge bereiten möglicherweise auch Kindern und ihren Eltern im Westen Freude, die nicht mit fernöstlichen Traditionen vertraut sind. Schön, wenn Damrau demnächst einen Spaziergang durch Lehàrs Land des Lächelns machen würde.

Janina Baechle capriccioDie Hamburgerin Janina Baechle, die zwischen 2004 und 2010 dem Ensemble der Wiener Staatsoper angehörte, wurde einst durch ihr Ortrud-Einspringen für Agnes Baltsa schlagartig bekannt; dramatische Partien von Wagner und Verdi bilden seither den Kern ihres Repertoires, auf dem Konzertpodium scheint Brahms, neben Mahler, gut zu ihrer geschmeidigen, warmen und vollen Stimme zu passen. Zusammen mit ihrem Pianisten Markus Hadulla wählt Baechle für ihre soeben erschienene Brahms-Einspielung einen ihrem Temperament entsprechenden durchaus dramatischen, packenden und direkten Zugang (Capriccio C5216). Der Höll-Schüler und Karlsruher und Berliner Hochschullehrer begleitet am originalen Brahms-Flügel aus dem Brahms-Museum im österreichischen Mürzzuschlag mit brillanter Verve und aufwühlender Dramatik. Baechle singt die Auswahl, darunter die 9 Lieder op. 32, die fünf Lieder der Ophelia und die vier ernsten Gesänge, mit einer unverstellten und frischen Direktheit, auch schon mit einigen kleinen Sprüngen und Grauzonen an den Rändern der Stimme, guter, textdeutlicher, aber etwas beiläufiger Diktion. In langsamen Liedern, wie „So stehn wir, ich und meine Weide“ und „Es träumte mir“, merkt man, wie gut sie und Hadulla zusammen musizieren und harmonieren.

The Dream of Gerontius ChandosEine große Geschichte, die Geschichte eines sterbenden Menschen und den Kampf seiner Seele, schildert Edward Elgar („This is the best of me“) in seinem im Jahr 1900 unter Hans Richter in Birmingham uraufgeführten und trotz des damaligen Fiaskos seither in England nie von den Konzertpodien verschwunden Oratorium The Dream of Gerontius. The Dream of Gerontius gehörte selbstverständlich zu den Chor-Werken, denen sich Sir Andrew Davis im Frühjahr diesen Jahres im Umfeld seines 70. Geburtstages bei Aufführungen und Aufnahmen mit dem BBC Symphony Orchestra widmete (Chandos CHSA 5140/2). Davis ist Conductor Laureate des Orchesters, nachdem er dort die zweitlängste Periode – neben dem Orchestergründer Adrian Boult – als Chefdirigent amtierte. In die Fußstapfen von Boult, der eine berühmte Fernsehaufführung des Oratoriums realisierte, trat Davis auch mit dieser Wahl. Man kann nur staunen, dass der Dream hierzulande so wenig bekannt ist. Davis wirft seine ganze Erfahrung als Operndirigent (Chicago) in den Ring und realisierte eine bezwingende, dramatisch aufwühlende, orchestral fein modulierte und in den Chorpassagen – BBC Symphony Orchestra – klare Aufführung. Mit einer intensiven, heldentenoralen Darstellung des Gerontius brennt sich Stuart Skelton (Gerontius) ins Zentrum der Aufführung. Manchmal schneidend im Ton, lodernd im Klang, dabei männlich zupackend, großvolumig, immer mitreißend, die strapaziösen tristanschen Dimensionen und Visionen mühelos meisternd. Allerdings: alles andere als ein Sterbender. Die vor allem in den vorgeschalteten Sea Pictures strahlende, als Engel im Oratorium zwar majestätische, aber allgemeine Sarah Connolly und der schwarz-kernige David Soar als Priester fallen daneben kaum ab.

Bernard Kruysen debussyBesondere Aufmerksamkeit auf den vom Institut National de L‘ Audiovisuel veröffentlichten Liedern Debussys, die der französische Rundfunk zwischen 1962 und 1965 mit dem niederländischen Bariton Bernard Kruysen (1933-2000) aufnahm, dürften die fünf von Francis Poulenc wenige Monate vor seinem Tod bei Festival de Menton 1962 begleiteten Titel (IMV 010) finden, wobei Pianist Jean-Charles Richard in den restlichen Aufnahmen keineswegs abfällt. Kruysen singt mit einem offenbar von Natur aus gut sitzenden, herb dunklen Bariton, eloquenter Natürlichkeit und feiner Diktion – er wuchs in der Provence auf. Was Kruysen im informativen Beiheft über Pierre Bernac sagt, dieser habe nämlich weder eine große noch eine schöne Stimme gehabt, gilt auch für Kruysen selbst. Hat man sich erst einmal an das grobkörnige Timbre gewöhnt, merkt man, dass sein Singen nicht unraffiniert und keineswegs so grobschlächtig und plump ist, wie es nicht nur im Vergleich mit dem 15 Jahre älteren Gerard Souzay zunächst erscheint. Die Einfachheit und funkelnde Wortklarheit haben ihren Reiz.

corinne winters songs of spainUnd zum Schluss nach Spanien. Die amerikanische Sopranistin Corinne Winters, eine Mimi, Violetta, Micaela, kommt mit Songs of Spain (GPRrecords GPR 70013) in den unterschiedlichen Dialekten der iberischen Halbinsel. Die Lieder u. a. von Toldrà, Turina, Lavilla, Nin und Montsalvatge singt sie mit überschäumendem Temperament, mal leicht rauchigem, mal dunkel sinnlichem Sopran. Winters verkrallt sich in diese Lieder, setzt brustige, nie ordinäre Töne bei „Aldapeko Mariya“ ein, singt Turinas „Se con mis deseos“ mit brillant guter Höhe und gestaltet – unterstützt von dem stilistisch versierten, atmosphärisch zaubernden Pianisten Steven Blier und dem Gitarristen Oren Fader sowie der israelischen Mezzosopranistin Maya Lahyani im rossinihaften „Si la mar fuera de tinta“ von José Melchor Gomis – einen nicht uncharmanten Spanien-Ausflug.

Vocal Cycles and Romances by Russian Composers Gerzmava2010 gab die abchasisch-russische Sopranistin Hibla Gerzmava als Antonia ihr Debüt an der Met, an die sie als Mimi und Liù zurückkehrte. Mimi sang sie anschließend in München und in Rom, an Covent Garden war sie Donna Anna und Amelia Grimaldi, Vitellia und Donna Anna sang sie in Wien, an ihrem Stammhaus, dem Stanislawski und Nemirowitsch-Dantschenko Theater in Moskau, dessen Ensemble sie seit 1995 angehört, tritt sie außerdem noch als Adina, Violetta und Schwanenprinzessin in Zar Saltan auf. Nach zwei CDs mit Arien von Mozart, Donizetti, Bellini und Verdi unter Marco Armiliato sowie Arien von Bellini, Rossini, Donizetti, Mozart und Verdi unter Vladimir Spivakov veröffentlicht Melodia jetzt Vocal Cycles and Romances by Russian Composers (MEL CD 10 02289), wofür Gerzmava und ihre Begleiterin Ekatarina Ganelia Lieder von Tschaikowsky und Rachmaninov, Prokofjews Fünf Gedichte nach Anna Achmatowa op. 27 und das Madrigal für Sopran und Klavier op. 7 von Nikolai Mjaskowski aussuchten; einige Titel hatte sich vor fünfzig Jahren auch Galina Wischnewskaja für ihre maßstäbliche Aufnahme mit Mstislav Rostropowitsch ausgewählt. Gerzmava ist eine sensible und geschmackvolle Interpretin, ihr dunkel leuchtender, technisch gut gerüsteter Sopran wirkt manchmal schon ein wenig angekratzt, der Klang ist hart, die intime Form schmeichelt ihr nicht durchweg, doch sie verfügt beispielsweise in Tschaikowskys Serenade Où vas-tu, souffle d‘ aurore über eine gewisse Eleganz, auch über die Färbungen, die wir mit russischer Melancholie verbinden und mit denen sie den Hörer ebenso umgarnt wie mit sauberen Höhen, hingegen würde man in Der Kuckuck aufgrund ihres Repertoires eine leichtere Wendigkeit erwarten.

Rolf Fath

kollo acantaPS.: Und dann gibt´s noch die geschmackliche Überraschung des Monats: René Kollo singt Lieder von Udo Jürgens („Musik war meine erste Liebe“). Diese kleine akustische Fragwürdigkeit hat Membran/Acanta aus dem Keller der Ariola-Eurodisc geholt. Es finden sich ein Foto beider vertrauter Herren aus ihrer großen Zeit (die Siebziger?) und dann René (dto.) vorne als Künstler vor einem weißen Flügel abgebildet (ach ja, das hatte man damlas so zu Hause rumstehen). Um dem Ganzen gewisse kitschige Seriosität zu verleihen. Warum?, fragt sich der Betrachter – dann hör ich doch den Jürgens selbst alle Mal lieber, der singt doch immer noch. Aber es bestätigt sich für mich, was ich immer schon über Kollo dachte: Er war der ideale Operettentenor, und der Schmalz von Jürgens Songs läuft gut durch seine schon damals recht trockene Kehle. Wo hier doch so viel von Einsamkeit, Erster Liebe und Fort-Gehen die Rede ist, gefühlvoll unterlegt von den Orchestern Werner Becker und Stefan Klinkhammer sowie einer „Rhythmusgruppe“ (so hieß das damals!). Jaja, Geschmack ist doch ein seltsames Ding… (233925). G. H.

Müdigkeit im Försterhaus

Dieser Freischütz von Carl Maria von Weber ist oft aufgelegt worden. Es gibt ihn in mindestens drei verschiedenen CD-Ausgaben der Deutschen Grammophon, wo er 1959 eingespielt wurde. Sogar ein Querschnitt kommt hinzu. Nun hat sich das Label Urania Records die Einspielung gegriffen mit dem deutlichen Hinweis auf die Urheberschaft der Produktion (WS 121.234). Das ist fair. In diesem Falle aber wirkt es ein bisschen so, als wolle man damit nichts zu tun haben. Die anderen waren es, nicht wir! Nachzuvollziehen wäre es. Denn die Produktion hat auch mit den Jahren nicht gewonnen und keine Patina angesetzt. Sie ist problematisch geblieben. Zumal sie seit jeher in harter Konkurrenz steht gegen die von Joseph Keilberth betreute EMI-Aufnahme. Diese entstand nur ein Jahr zuvor. Ein Geschwisterpaar, zwischen dem keine Liebe aufkommt, weil der ältere Teil von beiden immer vorgezogen wurde wie ein Erstgeborener. Das ist so, seit sie gemeinsam auf dem Markt sind. Nun sind die Sympathien völlig zu Recht so unterschiedliche verteilt.

Jochums Aufnahme findet nicht richtig zusammen. Trotz schöner Momente in den sinfonischen Passagen zerfällt sie in Einzelteile. Es will keine rechte Stimmung aufkommen, obwohl die Dialoge lebensechter und natürlicher gesprochen werden als bei der EMI. Irmgard Seefried kommt zu spät als Agathe. Der einstige Samt dieser Stimme hat viel Glanz verloren und wirkt gelegentlich belegt in der Höhe. Auch Rita Streich als Ännchen ist nicht mehr taufrisch und versucht, Jugendlichkeit durch eine gewisse Aufgeräumtheit herzustellen. Die Idee, den Max mit einem lyrischen Tenor zu besetzten, ist verführerisch. Mehr nicht. In diesem Fall scheitert sie an Richard Holm, der besser bei Jaquino oder David geblieben wäre. Holms Stimme reicht nicht für die dramatischen Teile der Partie, er stemmt sie wie Hanteln im Sportstudio. Schaden nimmt die Diktion. Wörter verwischen. Im Terzett im nächtlichen Försterhaus klingt er nur noch müde. Dabei steht ihm noch der Marsch in die Wolfsschlucht bevor, in der es auffallend sachlich zugeht, als scheine die Sonne und nicht der Mond, dessen Milch dem Libretto nach eigentlich aufs Kraut fallen soll. Für Gestaltung bleibt Holm nicht viel übrig. Aus dem lyrischen wird gelegentlich ein Charaktertenor.

Gegen den Profi Kurt Böhme, der den Kaspar schon 1944 bei Karl Elmendorff in Dresden gesungen hat, kann er nichts ausrichten. Warum also diese von vornherein unglückliche Paarung der beiden Jägerburschen? Die Besetzung der übrigen Partien mit Eberhard Wächter (Ottokar), Albrecht Peter (Kuno) und Paul Kuen (Kilian) sind noch das Beste an der ganzen Produktion. Es singt der Chor und es spielt das Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks.

Rüdiger Winter

Reiner Süss

 

Der Bassbariton Rainer Süß ist tot. Er starb bereits am 29. Januar 2015 im Alter von 84 Jahren in einem Pflegeheim, wie erst jetzt bekannt wurde. Süß stammte aus Chemnitz, war Mitglied des Thomanerchors und ließ sich später als Solist ausbilden. Sein erstes Engagement führte ihn nach Bernburg. Darauf folgte das Landestheater Halle. 1959 wurde er an die Deutsche Staatsoper in Berlin verpflichtet, wo er bereits im Jahr darauf in der Neuinszenierung des Rosenkavalier von Richard Strauss den Ochs übernahm. Die 28 Jahre ältere Clara Ebers als Marschallin hätte seine Mutter sein können. In der Rolle des Octavian trat Ludmila Dvorakova aus Prag ihre erfolgreiche Karriere an diesem Haus an. Der Ochs führte Süß im Jahr 1967 sogar ein einziges Mal an die Wiener Staatsoper. In Berlin trat er in unterschiedlichsten Partien in Erscheinung, wozu auch Leporello, Osmin, Kezal, Falstaff in den Lustigen Weibern von Windsor und der Bartolo in der legendären Inszenierung des Barbier von Sevilla von Ruth Berghaus gehörte. In Uraufführungen von Opern von Paul Dessau hinterließ er vor allem als Puntila neben seinem Knecht Matti von Kurt Rehm starken Eindruck. Ich schätzte ihn in solchen Rollen mehr als im komischen Fach, das er gern mit eigenen Einlagen und Übertreibungen versah, was nicht jedermanns (und mein) Geschmack war.

Süß polarisierte, weil er sich zunehmend auch in Unterhaltungsshows betätigte. Seine eigenen Sendung „Da liegt Musike drin“ aus dem Haus der heiteren Muse in Leipzig, die auch im DDR-Fernsehen lief, machte ihm bei einem breiten Publikum bekannt, das mit Opern von Dessau nicht so viel anzufangen wusste. Süß wurde weniger wegen seines Timbres als durch seine Vielseitigkeit und Umtriebigkeit geschätzt. Mir sagte die nasale Stimme nie zu. Jürgen Kesting erwähnt ihn auch in der neuen Auflage seines Standardwerkes „Die großen Sänger“ in nunmehr vier dicken Bänden auf zweieinhalbtausend Seiten mit keinem Wort. Im ostdeutschen Fernsehen war er noch im hohen Alter hin und wieder zu sehen, sogar in einem „Polizeiruf“ aus Halle, wo er sich als Kammersänger selbst spielt.

Reiner Süß hat viele Schallplatten hinterlassen. Dazu gehört auch der Puntila von 1966. Im Eterna-Radamisto ist er der Farasmene, im berühmten Tannhäuser der EMI mit Elisabeth Grümmer und Hans Hopf der Reinmar von Zweter. Bei Sony Music / Hansa Amiga (97 66304-2) wurden unter dem Titel „Dunkelrote Rosen“ (siehe oben) seine – wie es heißt – größten Erfolge zusammengestellt. Das Programm besteht aus Unterhaltungsliedern, Opern sind nicht darunter. Nach dem Fall der Mauer betätigte sich Süß, der in der DDR mit hohen Auszeichnungen geehrt wurde, auch politisch, trat in die SPD ein, saß zunächst für diese Partei in der Ost-Berliner Stadtverordneten-Versammlung, später sogar im Abgeordnetenhaus. Seine Erinnerungen „Da lag Musike drin“ erschienen 2010. Rüdiger Winter

News aus Camelot

Harrison Birtwistle, heute der Doyen der britischen Komponisten, trat mit einigen erfolgreichen Bühnenwerken hervor, seine Oper Gawain wurde zuletzt auch bei den Salzburger Festspielen 2013 erfolgreich aufgeführt. Birtwistles Stil ist schwer einzuordnen. In seinen frühen Werken gibt es deutliche Anklänge an Strawinsky und Messiaen. Inzwischen hat er aber längst zu einer eigenständigen musikalischen Sprache gefunden, die durchaus ansprechend ist. Das Auftragswerk der Covent Garden Opera in London basiert auf einer mittelenglischen Sage und spielt im ritterlichen Milieu. Viel Mythologisches ist hier verarbeitet, der Librettist David Harsent hat dem Komponisten einen reichlich komplexen Text geschaffen. Im Jahr 1991 erlebte Gawain am Royal Opera House seine Uraufführung, trotz des relativ großen Publikumserfolges überarbeitete der Komponist das Werk, 1994 hatte die revidierte Fassung erneut in Covent Garden ihre Premiere.

Diese Aufführung ist nun bei NMC Recordings, auf dem eigenen Label des Opernhauses als Mitschnitt erschienen (NMC D200). Unter dem Dirigenten Elgar Howarth ist eine stimmlich hochkarätige Besetzung aufgeboten. Der Bariton Francois Le Roux als Gawain, der Bass John Tomlinson in der Rolle des grünen Ritters, dem Gegenspieler Gawains, führen das vokal sehr ausgewogene Ensemble an, wozu auch die Sopranistin Marie Angel und die Mezzosopranistin Anne Howells gehören. Ein wenig enervierend ist der permanent erregte, hohe Ton dieser Musik. Hier klingt jeder Satz bedeutungsschwanger, darunter leidet die Dramaturgie, denn pausenlose Aufgeregtheit lässt den Zuhörer schnell ermüden und stumpft ab.

Die Ausstattung dieses Doppel-Albums lässt keinen Wunsch offen. Das komplette Libretto ist abgedruckt, auch eine übersichtliche Inhaltsangabe und eine biographische Notiz über den Komponisten finden sich darin, sowie Fotos der Produktion. Das Werk, das wahrscheinlich auf Dauer keine große Popularität erlangen dürfte, ist hier zumindest optimal dokumentiert.

Peter Sommeregger

Die Zürcher Liaison

Dreißig mal dreißig Zentimeter, weiße Schrift auf rotbraunem Karton. Sehr fein und repräsentativ. Ein raumgreifendes Format, das sich schwer unterbringen lässt. Das ideale Geschenk also für einen Wagnerfreund. Der kann sich freuen. Ich hätte mich gefreut. Zumal mir nicht in Erinnerung ist, dass es so etwas schon einmal gab – das Hörspiel It must be so und das Hörbuch Eine Liaison in Zürich. Beide Produktionen entstanden bereits zum 200. Geburtstag Richard Wagners im Jahre 2013. Jetzt finden sie sich zusammengefügt in eben dieser gediegenen Box, die bei der Crossmedia AG Zürich (harmonia mundi) erschienen ist. (ISBN 978-3-9524329-0-7). Wagner in Zürich – das ist eine weitläufige Geschichte, in der nicht nur Mathilde Wesendonck eine Hauptrolle spielt, sondern auch ihr Gatte Otto, der den heimatlosen Komponisten großzügig unterstützte. Wesendonck wurde am 16. März 1815 – wie seine Frau und übrigens auch der Dirigent Hans Knappertsbusch – in Elberfeld, heute eine Stadtteil von Wuppertal, geboren. 2015 jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal.

1-Wagner - Liaison in ZürichZeit muss man mitbringen für das gewaltige Geschenk. Es soll ja nicht einfach abgelegt werden und das Schicksal mancher Bildbände über Rembrandt oder die Karpaten teilen, die nur geblättert ungelesen im Regal verschwinden. Die sieben CDs wollen gehört sein. Nebenbei wie mit der Kleinen Nachtmusik geht das nicht. Man muss sich schon hinsetzen, genau zuhören können, sich einlassen, vielleicht auch dieses und jenes Nachschlagewerk in Reichweite haben. Ich fühlte mich ein bisschen in die Zeit zurückversetzt, als es noch kein Fernsehen gab und die ganze Familie sich am Abend vor dem Radioapparat einfand. Und man muss auch etwas Bescheid wissen. Es fliegen einem in dem umfänglichen Hörspiel von Jens Neubert, der auch die Regie führt, Namen der bedeutenden und weniger bedeutenden Menschen aus Wagners Umkreis nur so um die Ohren. Nicht immer ist auf Anhieb zu erkennen, wer nun wer ist.

Richard Wagner ist noch immer allgegenwärtig - als Büste im Park - Foto: Winter

Wagner ist als Büste im Park noch immer allgegenwärtig/ Foto: Winter

Wagner wird von André Eisermann gesprochen. Der ist gut herauszuhören. So sehr ich Eisermann schätze, mit seiner Besetzung wurde eine Chance vertan. Wagner sprach bekanntlich ein derbes Sächsisch. Oft ist das beschrieben worden, sehr genau von Alfred Pringsheim, dem Kunstmäzen, Mathematiker, Förderer der Bayreuther Festspiele und Schwiegervater von Thomas Mann. Pringsheim war selbst Gast in Wahnfried und hat die Diktion Wagners in seinem Tagebuch vortrefflich reflektiert. Warum also muss Wagner bühnenreifes Hochdeutsch reden in einem Hörspiel über sein Zürcher Exil, das sich sehr wohl bei Dialekten, bellenden Hunden oder schreienden Papageien bedient, um Kolorit in das dramatische Geschehen zu bringen. Verstörend wirkt auf mich die in der gesamten Produktion sehr umtriebige Katharina Thalbach als Erzählerin, die sich zudem auch noch in der Ich-Form als Wagner betätigen muss. Damit sich die Hörer besser zurechtzufinden, sind alle 104 Szenen, die jeweils einen eigenen Track haben, mit den in ihnen auftretenden Personen im Begleitbuch aufgelistet. Ruck, zuck ist nachgeblättert. Na klar doch, das war ja der Herwegh und nicht der Liszt. Musik gibt es auch. Mehr zur Untermalung von Proben, mit Chor und ohne Chor, mal am Klavier in einer Gesellschaft, die hörbar zu Tische sitzt und mit schweren Bestecken klappert, mal dröhnt irgendetwas von irgendwoher vor sich hin, nicht immer im richtigen biographischen Zusammenhang. Unerschöpflich ist das Arsenal von Geräuschen aus der Konserve. Aber auch irritierend, weil nur akustische Deko.

Der Blick aus der Villa in den weitläufigen Park - Foto: Winter

Der Blick aus dem Obergeschoss der Villa Wesendonck in den Park/ Foto: Winter

Der Autor gibt vor, mit seinem Hörspiel, dessen Titel „It must be so“ sich etwas unvorhergesehen bei Bernsteins Candide bedient, „die wahre Geschichte über Richard Wagner und Mathilde Wesendonck in Zürich“ erzählen zu wollen. Naja. „Die wahre Geschichte über…“ – das erinnert ein an Überschriften in Boulevardzeitungen. Was ist schon wahr? Als ob bisher etwas unwahr gewesen wäre in der ziemlich gut erforschten und mit Dokumenten belegten Beziehungen zwischen Wagner und der ebenso feinsinnigen wie steinreichen Kaufmannsgattin mit den weitreichenden musikalischen und gesellschaftlichen Folgen. Der wichtigste Schauplatz der „wahren Geschichte“ ist die berühmte Villa Wesendonck in Zürich, Gablerstraße 15, Wohnsitz der Familie zwischen 1856 und 1871. Heute herbergt sie Teile der Sammlung des Museums Rietberg. In den gediegenen historischen Räumen, die sich weitgehend im originalen Zustand befinden, erinnert nichts an die Erbauer. Heilige Figuren aus dem Himalaya oder schweizerische Masken bevölkern Säle, Treppenhäuser und Salons. Sie sind das Letzte, worauf man bei der Spurensuche nach Wagner und Mathilde käme. Unverstellt ist die Aussicht in den Park, der ahnen lässt, was sich seinerzeit hier zutrug. Ja, der öffentliche Park mit dem ständig wechselnden Ansichtskartenblick auf die Villa ist es, was den Besuch lohnt und innere Bewegung aufkommen lässt. Dort findet sich auch das anrührende Grabmal für Klein-Guido, den Sohn der Wesendoncks, der nur drei Jahre alt wurde.

Guido, der Sohn der Wesendoncks, ist in dieser Gruft im Park bestattet - Foto: Winter

Guido, der Sohn der Wesendoncks, ist in dieser Gruft im Park bestattet /Foto: Winter

Das großzügig ausgestattet Begleitbuch des Hörspiels nennt auch andere Adressen der näheren und weiteren Umgebung, die mit Wagner und den Wesendoncks in Verbindung zu bringen sind – bis hin zum Gotthard und dem Berner Oberland. Wagner war ein strammer Wanderer. Ein Satz macht mich dann aber doch stutzig: „Die Alpen erleben, heißt Richard Wagner entdecken.“ Das war mir noch gar nicht bewusst. Jetzt wird es unverstellte Werbung, Hochglanzbroschüre eines Reiseveranstalters. Und siehe da, die Adresse aus dem App Store folgt auf dem Fuß – Richard Wagner in Switzerland. Der Meister auf dem iPhone, immer dabei, immer griffbereit, das neueste Modell gleich abgebildet. Ist das des Pudels Kern? Vielleicht. Wäre das so schlimm? Nein. Mir ist alles Recht, wenn nur Wagner und sein Werk unter die Leute kommt. Ob es auf diese Weise nachhaltig gelingt, darf bezweifelt werden. Es ist ein Versuch. Ein kommerzieller.

In der Wesendonck-Villa gibt es heute Marken statt Devotionalen zu sehen Foto: Winter

In der Villa gibt es heute Masken statt Wagner-Devotionalien zu sehen/ Foto: Winter

Zunächst wartet aber noch das anstrengende Hörbuch auf den entdeckungsfreudigen Wagner-Freund, der sich gerade eben die passende App heruntergezogen hat. Es ist mit einem noch umfangreicheren Buch versehen als als Hörspiel und es locken wieder schöne Bilder, reichlich Lesestoff, Dokumente, Betrachtungen und eine Widmungstext für den Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann. Drei CDs sind reserviert für Briefe Wagners an seine erste Frau Minna (gelesen von Chris Pichler), an Mathilde (Regula Mühlemann), sowie an Freunde (nochmals Katharina Thalbach!). Warum ausschließlich Frauen Briefe vortragen, die ein Mann geschrieben hat, erschließt sich mir nicht, denn die Geschlechterrolle ist in eben diesen Dokumenten ja nicht nebensächlich. Mit solcher Besetzung geht Wirkung verloren. Und wie das mit Briefsammlungen so ist, sie bräuchten eigentlich dringend einen Apparat, der Anlässe, Umstände, Hintergründe, Personen etc. erklärt.

Der stille Gast weiß die Atmosphäre im weitläufigen Park zu genießen - Foto: Winter

Der stille Gast weiß die Atmosphäre im weitläufigen Park zu genießen/ Foto: Winter

Einer Wohltat gleich ist die vierte CD der Hörbuch-Ausgabe endlich ganz Musik. Elisabeth Kulman trägt die Wesendonck-Lieder vor. Nicht sehr entrückt, nicht ganz verständlich, mitunter etwas zerfasert, was auch auf schwierige

akustische Bedingungen bei der Aufnahme hindeutet. Der Begleiter Eduard Kutrowatz sitzt an Wagners Érard-Flügel aus Paris im Museum Luzern. Die Lieder klingen trocken und eng. Es fehlt an Raum. Ich habe dennoch sehr gern zugehört, weil sich am Ende doch noch so etwas wie eine erlösende Wirkung einstellt nach der Strapaze mit gesprochenem Wort. Bei alledem kein Vergleich mit Kirsten Flagstad, die an irgendeiner Stelle mit dem Lied Im Treibhaus in der Orchesterfassung unter Knappertsbusch eingespielt wird. Ärgerlich wie peinlich, dass in einer so aufwändigen Edition, die eine „wahre Geschichte“ erzählen will, der Name einer der ruhmreisten Wagner-Sängerinnen falsch wiedergegeben wird. Die Flagstad schreibt sich nämlich am Ende ohne „t“!

Rüdiger Winter

Das Bild oben zeigt die Villa Wesendonck in Zürich, Gablerstraße 15, vom Park aus./ Foto: Winter

 

From the British isles

Der britische Komponist Arthur Sullivan, im angelsächsischen Raum hoch gepriesen und viel gespielt, konnte in Deutschland im Repertoire nie wirklich dauerhaft Fuß fassen. Diese CD (Dutton CDLX 7310) nimmt sich zweier seiner frühen Werke an, entstanden, noch bevor seine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Librettisten Gilbert begann und das Markenzeichen Gilbert und Sullivan aufkam. Die dramatische Kantate On Shore and Sea war ein Auftragswerk für die Eröffnung der Royal Albert Hall in London im Mai 1871. Komponisten mehrerer Länder wurden um einen Beitrag gebeten, es scheint befremdlich, dass Sullivan keinen britischen Stoff, bzw. Schauplatz wählte, sondern eine Seefahrer-Romanze, mit orientalischen Stilelementen. Trotzdem wurde die Aufführung für ihn zu einem persönlichen Erfolg. Die Musik ist von einer operettenhaften Leichtigkeit, melodiös und durchaus anmutig, allerdings auch eher simpel in ihren musikalischen Einfällen. Ein gefälliges Werk, das gute Laune verbreitet, aber selbst in England nur höchst selten aufgeführt wird.

Die so genannte Masque Kenilworth, eine Art Singspiel mit Tänzen des erst 22-jährigen Sullivan war ebenfalls ein Auftragswerk, damals für das Birmingham Music Festival von 1864, bei dem es auch seine Uraufführung erlebte. Die Handlung nimmt Bezug auf den historischen Besuch von Elizabeth I. auf Schloss Kenilworth, ein Stoff, der auch Donizetti zu einer Oper inspirierte. Einige Nummern aus diesem Werk brachten es zeitweise zu einiger Popularität, inzwischen sind aber auch sie weitgehend vergessen. Als 1964 bei einem Brand fast das gesamte Orchestermaterial zerstört wurde, konnte man dieses aus dem Originalmanuskript Sullivans rekonstruieren.

Da es sich um die bisher ersten Aufnahmen der beiden Werke handelt, sind sie für die Sullivan-Diskographie natürlich von Bedeutung. Die Victorian Opera Northwest unter dem unverwüstlichen Richard Bonynge musiziert mit sehr viel Engagement und Spielfreude, auch der Chor der „John Powell Singers“ und die Solisten Saly Silver, Nico Darmanin, Louise Winter und Donald Maxwell tragen mit frischen, unverbrauchten Stimmen zum Gelingen dieser Einspielung bei. Dauerhaft im Repertoire werden sich die Werke aber wohl nicht halten können.

CD - Cecil ColesMusic from Behind the Lines: Diese im Zusammenhang mit dem Weltkriegsgedenken 2014 wieder aufgelegte CD von 2001 setzt dem 1918 im Alter von nicht ganz dreißig Jahren gefallenen Komponisten Cecil Coles ein spätes Denkmal. Der gebürtige Schotte erhielt seine musikalische Ausbildung in Edinburgh und London. Anschließend setzte er seine Studien in Stuttgart fort, wo er zeitweilig als musikalischer Assistent an der dortigen Hofoper beschäftigt war. Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs kehrte er 1914 gezwungenermaßen nach England zurück und wurde zum Militär eingezogen. Im Norden Frankreichs ereilte ihn schließlich der Tod auf dem Schlachtfeld. Unmittelbar davor hatte er noch an seiner Komposition Behind the Lines gearbeitet, deren Originalmanuskript angeblich deutliche Spuren von Granatsplittern trägt. Coles‘ Kompositionen sind teilweise bis heute nicht im Druck erschienen und haben dementsprechend keine große Verbreitung gefunden. Der Tochter des Komponisten ist es zu danken, dass seine Manuskripte gesammelt wurden, und so das Aufführungsmaterial für diese CD (hyperion CDH 55464) zur Verfügung stand.

Wir hören eine durchgehend ansprechende, dem Ohr freundliche Musik, noch stark den Vorbildern Mendelssohn, Bruckner und Brahms verpflichtet. Die ersten Stücke auf der CD, eine Ouvertüre zu einem Shakespeare-Drama und eine Konzertszene für Bariton entstanden noch in der Schul- bzw. Studienzeit des Komponisten und sind ein Zeugnis großen Talents. Die späteren vier Lieder nach Verlaine, die Suite From the Scottish Highlands und das Torso gebliebene Stück Behind the Lines tragen schon eine eigene Handschrift und lassen es bedauern, dass auch dieses große Talent dem

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Irrsinn des Krieges geopfert wurde.

Das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Martyn Brabbins spielt mit größter Hingabe, die Solisten Sarah Fox (Sopran) und Paul Whelan (Bariton) lassen stimmlich keine Wünsche offen und tragen nicht unwesentlich zum Gelingen dieser Liebesgabe an einen früh Vollendeten bei.

Peter Sommeregger

Marienleben in Bad Ischl

Paul Hindemiths Zyklus Das Marienleben nach Texten von Rainer Maria Rilke begegnet man heute relativ selten in den Konzertsälen. Das mag sicher auch daran liegen, dass die gemäßigte Moderne, zu deren Vertretern man Hindemith zählen muss, aktuell ein wenig aus dem Fokus geriet. Darüber hinaus ist dieser fünfzehn Lieder umfassende Zyklus mit einer Aufführungsdauer von über einer Stunde für Interpreten und Publikum gleichermaßen eine Herausforderung. Die vorliegende Einspielung (cpo 77 817-2) ist am Rande des Lehár-Festivals in Bad Ischl 2014 entstanden und mit dessen Logo ausgestattet. Es fällt zwar nicht leicht, zwischen Lehár und Hindemith eine Verbindung herzustellen, zumindest aber waren die beiden Komponisten Zeitgenossen. Die Sopranistin Maya Boog und der Intendant des Festivals, Michael Lakner, am Flügel, knien sich mit hörbarem Engagement in dieses doch eher spröde und auch gesanglich sehr anspruchsvolle Werk.

Boog beginnt ein wenig flackernd, mit deutlicher Trübung der Intonation, vermag sich aber im weiteren Verlauf erfreulich zu steigern und lässt zumal im Forte eindrucksvolle Töne hören. Mir will es scheinen, als wäre die Sängerin bei den ersten Liedern nicht richtig eingesungen gewesen, was sich bei den über drei Tage hingezogenen Aufnahmen doch leicht hätte korrigieren lassen können. Schade, so bleibt ein recht zwiespältiger Eindruck haften.

1-Reintaler-Lieder (cpo)Der Erfurter Komponist Carl Martin Reinthaler, dessen musikalisches Wirken in Bremen bis 1893 seinen zentralen Ort hatte, ist trotz seiner einst erfolgreichen Opern, Oratorien, Symphonien und zahlreichen Liedern heute nur noch wenigen Spezialisten bekannt. Die vorliegende CD (cpo 777 570-2) mit einer Auswahl von 26 Liedern, die teilweise in Zyklen zusammengefasst sind, ist aber durchaus lohnend, es handelt sich durchwegs um ansprechende Stücke. Der ambitionierte Bariton Peter Schöne, der über eine für sein Stimmfach bemerkenswerte Höhe verfügt, versucht gemeinsam mit dem Pianisten Günther Albers diese Musik wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Ob dies dauerhaft möglich ist, muss bezweifelt werden, fehlt es Reinthalers Musik doch bei aller Gefälligkeit an einer unverwechselbaren Charakteristik. Trotzdem muss man solchen Wiederbelebungsversuchen Respekt zollen, sie sind allemal eine Bereicherung des Repertoires. Hingewiesen sei hier auch auf das bemerkenswerte Online-Projekt Peter Schönes. Unter www.Schubertlied.de ist eine komplette Einspielung aller Schubert-Lieder im Entstehen. Weit über dreihundert Lieder sind bereits aufgenommen und online gestellt. Man darf auf die Weiterentwicklung des Projekts gespannt sein!

Bridge-Lieder (Hyperion)Der englische Komponist Frank Bridge (1879-1941) ist auf dem Kontinent nicht annähernd so populär wie in seiner britischen Heimat. Sein Werk besteht hauptsächlich aus Kammermusik und einigen Tondichtungen für großes Orchester. Große Teile von Bridges Liedschaffen versammelt ein Doppel-CD-Album, das bereits in den 1990er Jahren entstanden ist und nun seine Wiederveröffentlichung erlebt. Es wurden ausgezeichnete britische Liedersänger aufgeboten: die Soprane Janice Watson, Louise Winter, der Tenor Jamie MacDougall und der Bariton Gerald Finley, begleitet von dem Pianisten Roger Vignoles und dem Geiger Roger Chase. Die insgesamt 45 Lieder auf Texte verschiedener englischer Lyriker wie Keats, Tennywon und Shelley entbehren leider nicht einer gewissen Gleichförmigkeit. Für das an Richard Strauss gewöhnte Ohr klingen sie über weite Strecken doch eher enttäuschend, man vermisst eingängige Melodien. Am ehesten können noch jene gefallen, die im volkstümlichen Ton gehalten sind. Für Liebhaber des Komponisten sicher ein Muss, für den Ersthörer aber doch eher gewöhnungsbedürftig. Erschienen ist das Album mit dem Titel „The Songs of Frank Bridge“ bei beim Label hyperion (CDA 67181/2).

Peter Sommeregger

 

Waldemar Kmett

 

Es ist noch nicht lange her, dass an dieser Stelle Mahlers Lied von der Erde unter Carlos Kleiber aus Wien mit Waldemar Kmentt in der Tenorpartie besprochen wurde. Ich hatte mir den Mitschnitt aus Wien auch angehört.

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Und es kam mir ein wenig so vor, als würde die Aufführungen gerade jetzt stattfinden. Wie eine aktuelle Radioübertragung. Es war da keine historische Distanz zu spüren, in der man sich gern genussreich verliert, weil sie einem nichts anhaben kann. Dieser Mitschnitt aber packte mich an, ließ mich nicht los, obwohl er fast fünfzig Jahre alt ist. Er war in der Gegenwart angekommen. So etwas können Sänger und Dirigenten zustande bringen. Es gehört zu den Wundern der Kunst.

Diese CD dürfte die bislang letzte offizielle Aufnahme in der sehr umfangreichen Diskographie von Kmentt gewesen sein. Am 21. Januar 2015 ist er in seiner Heimatstadt Wien gestorben. Er wurde 85 Jahre alt. „Mit ihm ist gewissermaßen der Doyen des Sängerensembles der Wiener Staatsoper, ein Familienmitglied von uns gegangen“, sagte Direktor Dominique Meyer. Tatsächlich hatte er, der auch in aller Welt gastierte, dem Haus am Ring mehr als dreieinhalb Jahrzehnte angehört. Im Laufe dieser Zeit sang er 79 Partien in 1480 Vorstellungen. Diese unglaublich große Ziffer kommt auch dadurch zustande, dass Kmentt mit den Jahren nicht selten bis zu vier verschiedene Rollen in ein und demselben Werk sang. Sie wurden immer kleiner. Aus Tamino wurde der Erste Priester, aus Eisenstein Dr. Blind, aus Bacchus der Haushofmeister – um nur wenige Beispiele zu nennen. Kmentt war kein Star, er war ein Diener der Musik. Und diese Rolle, die die Hauptrolle seines langen Lebens gewesen ist, spielte er fast bis zum Schluss.

Diese DC von ORFEO dokumentiert wichtige Rollen von Waldemar Kmentt an der Wiener Staatsoper.

Diese DC von ORFEO dokumentiert wichtige Rollen von Waldemar Kmentt an der Wiener Staatsoper.

Seine Schallplattenaufnahmen sind Legende. Nicht alle entstanden im Studio. Viele Werke gelangten als Mitschnitte auf Tonträger, nicht immer ganz offiziell. Die Vielseitigkeit dieses lyrischen Tenors, die sich im Aufführungsverzeichnis seines Stammhauses ablesen lässt, ist im akustischen Nachlass noch größer. Es kommen Lieder, Oratorien, Operetten und Opern von Joseph Haydn, Manuell de Falla, Hermann Goetz, Werner Egk und Giuseppe Verdi hinzu. Als Herzog und Manrico war er lediglich an der Volksoper, wo die internationale Konkurrenz in diesem Fach nicht so übermächtig war, zu hören, wie einschlägige Tondokumente belegen. Ein ganz besonderer Fall ist auch Wagner. Mit dem Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg, den er von 1968 bis 1970 sogar bei den Bayreuther Festspielen sang, ging er an Grenzen. Als Froh im Rheingold bei der Decca unter Solti ist er ein Ereignis. Wenn Froh nach dem schweren Gewitter der Regenbogenbrücke den Weg zur Burg Walhall weist, ist es, als könne er den Glanz und den Zauber des phantastischen Ereignisses selbst nicht fassen. In dieser schlichten Liedhaftigkeit ist die Szene für mich einer der anrührendsten Momente im ganzen Ring des Nibelungen. Für diese kleine Rolle einen lyrischen Tenor der Spitzenklasse zu besetzen, ist so klug wie konsequent. Leider wird das nicht immer so gehandhabt. Hier und in der Person von Kmentt kommen sich Wagner und Mozart, der seine eigentliche Domäne gewesen ist, nahe.

kmentt preiserEr gehörte zum sagenumwobenen Mozartensemble der Wiener Staatsoper, das in den 1950er Jahren den nachhaltigen Versuch unternahm, Opern dieses Komponisten in mustergültigen Aufführungen zustande zu bringen. Und zwar so, dass das Ensemble triumphiert, nicht der einzelner Sänger. Dafür bringt Kmentt mit seinem ehr unauffälligen Timbre beste Voraussetzungen mit. Unauffällig im Sinne von sich nicht vordrängeln, in der Zurückhaltung den Kollegen gegenüber, im Versuch, so genau auf den Noten zu bleiben, dass die Stimme zum Transporteur des musikalischen Gedankens wird und nicht zum Mittel von Selbstdarstellung. Seinen stimmlichen Reichtum trägt Waldemar Kmentt nicht als juwelenbesetzten Orden auf der Brust, er trägt ihn im Herzen. Ich bin ihn dankbar. Rüdiger Winter

 

Dazu wie stets ein Auszug aus Wikipedia: Waldemar Kmentt (* 2. Februar 1929 in Wien; † 21. Jänner 2015 ebenda) war ein österreichischer Tenor, der besonders als Opern-Interpret bekannt geworden ist. Waldemar Kmentt maturierte im Jahr 1947 gemeinsam mit seinen Schulkollegen Eberhard Waechter und Fritz Uhl. Ursprünglich wollte er Pianist werden, ab 1949 studierte er Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien, unter anderem bei Elisabeth Radó, Adolf Vogel und Hans Duhan. Schon im Alter von 21 Jahren wurde er eingeladen, die Tenorpartie in Beethovens Neunter Symphonie unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm zu singen. Ab 1951 war er Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, deren Mitglied er über 35 Jahre blieb. Sein Debüt gab er am 26. Juni 1951 als Prinz in Die Liebe zu den drei Orangen von Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Nachdem das Operngebäude im März 1945 bei Bombenangriffen zerstört wurde, wich man bis zur Wiedereröffnung im Jahr 1955 unter anderem in die Volksoper aus, die offizielle Bezeichnung war damals Staatsoper in der Volksoper. Insgesamt verkörperte er am Haus am Ring 79 Rollen in 1480 Vorstellungen, zuletzt trat er dort am 25. November 2005 als Haushofmeister in Ariadne auf Naxos auf. Als junger lyrischer Tenor war er Mitglied des Wiener Mozartensembles. Das Repertoire seiner langen Karriere umfasst mehr als 80 Opern- und Operettenrollen vom lyrischen, jugendlich heldischen bis zum Charakterfach. Er hat an allen großen Opernhäusern sowohl in Europa als auch in Japan und Amerika gesungen. Bei den Salzburger Festspielen war er viele Jahre als Gast zu sehen. Auch trat er bei den Festivals von Bayreuth, Edinburgh und Aix-en-Provence auf. Als Konzertsänger wirkte er unter Herbert von Karajan, Otto Klemperer, Carlos Kleiber, Karl Richter, Karl Böhm, Eugen Jochum, Sergiu Celibidache und Leonard Bernstein. Kmentt leitete von 1978 bis 1995 das Opernstudio am Konservatorium der Stadt Wien, aus welchem viele heute namhafte Sänger hervorgingen, wie z. B. Wolfgang Bankl, Malin Hartelius oder Mehrzad Montazeri. Im Alter von 72 Jahren feierte er sein Met-Debüt mit der Rolle des Haushofmeisters in Ariadne auf Naxos. Danach stand er einige Jahre in kleineren Operncharakterrollen an der Volksoper Wien auf der Bühne. Kmentt starb im Jänner 2015 im Alter von 85 Jahren in seiner Geburtsstadt Wien.

Das Foto oben zeigt Waldemar Kmentt bei einer Talk-Show in 3Sat.