Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Kurt Masur

 

Kurt Masur hat am Tage seines Todes, die aktuelle Berichterstattung beherrscht. Diese Meldung stand zumindest in den deutschen Nachrichtensendungen an der Spitze. Das ist nicht immer so, wenn eine bedeutende Persönlichkeit des kulturellen Lebens abtritt. Leider. In diesem Falle galt das ehrende Gedenken der politischen Nachrichtenredaktionen und der politischen Klasse nicht so sehr dem Dirigenten, sondern vielmehr dem Akteur der historischen Ereignisse am Vorabend des Mauerfalls in der DDR. Masur hatte bei den Montagsdemonstrationen im Zentrum von Leipzig, wo er als Chef des Gewandhausorchesters wirkte, zur Gewaltlosigkeit aufgerufen und war selbst mitmarschiert, um der Freiheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Er war sogar als Staatspräsident der wenig später von der Mauer befreiten DDR im Gespräch. So weit ging das. In ihrer Agonie litt die abstrebende DDR eben oft an Übertreibungen.

CD Masur TschaikowskiFür einen Dirigenten, der sich eher in Konzertsälen auskannte, war die Straße ein ungewöhnliches Terrain. Das kam damals an – auch in den USA, wo der Chefposten bei den New Yorker Philharmonikern frei wurde. Bei der Berufung Masurs 1991 dürfte sein spektakuläres Engagement auf Leipzigs Straßen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Wie der SPIEGEL berichtete, war „Manhattans Kulturszene“ von dem Leipziger Dirigenten so berauscht gewesen, dass selbst die New York Times, „in klassischen Gefilden sonst eher Hardliner, zum High-Tick abhob“. Masur, so zitiert das Nachrichtenmagazin das Weltblatt, sei offenbar „eine intelligente Mischung aus Furtwängler, Toscanini, Bernstein und Otto von Bismarck“.

Dabei war Masur – zumindest nach außen hin – nicht der klassische Regimegegner in der DDR. Vielmehr war er nicht selten in Gesellschaft der Mächtigen, soll sich dem Vernehmen nach sogar mit Honecker geduzt haben. Für Leipzig setzte er sich für den Neubau des Gewandhauses ein, der von der SED als Zeugnis für die Überlegenheit ihrer Kulturpolitik gepriesen wurde. Das Konzerthaus, das nach außen hin nicht sonderlich elegant wirkt, ist – wenn man so will – auch sein Denkmal. Masur war in der DDR hoch geehrt – beim Publikum und bei der Führung.  Mit höchsten Auszeichnungen bedacht – mehrfach mit dem Nationalpreis, mit dem Staatsorden Banner der Arbeit, dem Stern der Völkerfreundschaft – genoss er seinen durch musikalische Leistung erworbenen Ruhm. Je älter er wurde, umso größer wurde die Entourage. Bei einer großen Galaveranstaltung zu seinem 80. Geburtstag in Leipzig wurde sogar der Entertainer Harald Schmidt als Moderator bemüht.

CD Masur Brahms-RequiemDer Dirigent starb am 19. Dezember 2015 im Alter von 88 Jahren in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut. Er hatte bis 2002 die Philharmoniker in New York geleitet. Masur litt an Parkinson, was er auch öffentlich machte, und konnte zuletzt nur noch vom Rollstuhl aus dirigieren. Er stammte aus dem niederschlesischen Brieg, heute Brzeg, wo er am 18. Juli 1927 geboren wurde. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs machte ihn die polnische Stadt sogar zu ihrem Ehrenbürger. Zunächst hatte Masur Elektriker gelernt. Nach Kriegsende studierte er in Leipzig Klavier und Orchesterleitung, führte die Ausbildung aber nicht zu Ende. Nichtsdestotrotz wurde er als Solorepetitor eingestellt. Dank seiner außergewöhnlichen Begabung arbeitete er mit Orchestern in Erfurt, Halle, Leipzig zusammen und trat 1958 seine erste führenden Posten als Musikalischer Oberleiter am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin an. Aus dieser Zeit stammt auch seine wohl erste Opernproduktion für den Rundfunk, nämlich Joseph Haydns List und Liebe mit Hanne-Lore Kuhse, Martin Ritzmann und Reiner Süß, die ebenfalls am Anfang ihrer erfolgreichen Karrieren standen.

CD Masur MendelssohnWas bleibt? Masur war ein ganz hervorragender Dirigent und Musikerzieher, dem traditionellen Bild des deutschen Kapellmeisters verpflichtet. Dieser Typ Dirigent stirbt aus: Er war einer der letzten, wenn nicht gar der letzte. Von „Dirigentengenie“ zu sprechen wie es der Mitteldeutsche Rundfunk im Titel einer Sendung tat, ist nun wirklich zu hoch gegriffen und eine rein journalistische Erfindung, die Masur nicht gerecht wird. Seine Interpretationen, die in vielfältiger Form auch auf Tonträgern überliefert sind, zeugen von einer großen Ernsthaftigkeit und Schlichtheit – eine Schlichtheit, bei der immer die Musik den Vorzug hat. Der Dirigent tritt dahinter bescheiden zurück. Er ist Inspirator, Arrangeur und Wächter über die Genauigkeit des musikalischen Ereignisses. Bei Masur hört man Beethoven, Mendelssohn,  Schumann oder Brahms pur. Man hört den Komponisten und nicht so sehr den Dirigenten. Das war seine Intension, deshalb wurde er geschätzt. Viele seiner Aufnahmen werden Bestand haben.

1-Masur Ariadne auf naxosSchade, dass er vergleichsweise wenige komplette Opern auf Tonträgern hinterlässt, obwohl er sich dem Genre immer verbunden fühlte.  Mit offiziellen Aufnahmen aus dem Studio ist der Operndirigent Masur nicht sonderlich reich gesegnet. Seine Produktionen zeichnen Akkuratesse und Stimmigkeit aus. Zu nennen sind Fidelio mit Jeannine Altmeyer und Siegfried Jerusalem, Schumanns Genoveva mit Edda Moser, Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau, die Ariadne auf Naxos mit Jessye Norman, Edita Gruberova, Julia Varady und Paul Frey. Von Wagner hat sich nur ein Tristan-Mitschnitt aus dem La Fenice von 1971 erhalten, in dem Gunilla Af Malmborg und Hermin Esser die Titelpartien singen. Als wesentlich spannender erweisen sich – schon wegen des Repertoires – neben der schon erwähnten Haydn-Oper die weiteren Rundfunkaufnahmen. Sie werden allesamt im Deutschen Rundfunkarchiv aufbewahrt. Wann, wenn nicht jetzt wäre ein Anlass, sie die Öffentlichkeit zurückzugeben. Aus Leipzig gibt es einen dritten Akt von Glucks Orpheus und Eurydike mit der alternden, dafür aber umso bewegenden Tiana Lemnitz sowie Johanna Blatter und Erna Roscher als Amor. Rudolf Wagner-Régenys Günstling wurde sowohl als Film wie auch als Audioversion mit teilweise unterschiedlicher Besetzung eingespielt. Euryanthe von Weber ist Ingeborg Wenglor in der Titelrolle, Sigrid Ekkehard als Eglantine und Gert Lutze, dem berühmten Bachsänger, die später in den Westen ging, als Adolar überliefert. Borodins Fürst Igor gibt es mit Anna Tomowa-Sintow, Annelies Burmeister, Wolfgang Anheisser und Eberhard Büchner und die einst sehr populäre Oper  Enoch Arden von Otmar Gerster mit Ingeborg Zobel. Auf seine Zeit an der Komischen Oper Berlin, als dort noch Felsenstein Intendant war, geht ein Farbfilm von Verdis Otello in deutscher Sprache zurück, der als DVD bei Arthaus zu haben ist.    Rüdiger Winter

Magie des Augenblicks

 

Die Schwarzkopf gibt es zweimal. Live und im Studio. Nur einmal habe ich sie im Konzert erlebt. Bei einem Liederabend am 27. Mai 1973 im Prager Rudolfinum. Sie ging auf die Sechzig zu, hatte ihre Opernkarriere bereits beendet und sang nur noch Lieder. Und die reichlich. Bis 1978 bereiste sie die ganze Welt. Jährlich im Schnitt zwanzig Konzerte zwischen Tokio und New York. Immer häufiger fand sich das Wort „Abschied“ auf den Programmzetteln und Plakaten. Letztmalig ist sie am 19. März 1979 in Zürich aufgetreten. Da saß ich nun in dem wunderbaren Saal nicht weit von der Moldau. Vor Spannung und Aufregung berstend. Das Licht ging aus. Sie schwebte heran, in meergrünblauen Chiffon gehüllt. Brillanten funkelten im Lichte des Scheinwerfers. Es war der Auftritt einer Königin, die sich zur Erfüllung der wichtigsten Aufgabe anschickte, die es für sie gab – dem Dienst an der Kunst! Ein magischer Augenblick. Wer ihr im privaten Leben begegnet ist, auf der Straße etwa oder in einem Hotelfoyer, dem fiel sie nicht gleich auf, so schlicht gab sie sich. Im Angesicht des Publikums aber, das ihr mit großer Erwartung entgegen sah, vollzog sich die majestätische Verwandlung. Nicht ganz zufällig sind die Ähnlichkeiten mit Marlene Dietrich oder der britischen Queen, mit denen sie auch das hohe Lebensalter teilte. Am 9. Dezember 2015 wäre Elisabeth Schwarzkopf Hundert geworden. Sie starb mit neunzig Jahren.

schwarzkopf songs you loveZurück nach Prag. Der Beginn mit Schuberts „Was bedeutet die Bewegung“ war zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere schon ziemlich gewagt. Das weiß ich jetzt. Damals hätte sie auch „Hänschen klein“ singen können. Es wäre mir egal gewesen. Ich wollte sie sehen und hören. Meine musikalischen Erinnerungen setzen erst mit dem Fortschreiten des Abends ein, als sich das Auge an den optischen Glanz gewöhnt hatte und das Ohr wieder in seine elementaren Rechte eintrat. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Immer hatte sie Hugo Wolf im Gepäck, meist zum Ende des Programms. Wäre ich nicht schon als Verehrer dieses Komponisten nach Prag gekommen, ich wäre es an diesem Abend geworden. In diesem einen Lied – ob im Konzert oder von der Konserve – offenbarte sich für mich ihr Können in Dynamik, Ausdruck und musikalischer Gestaltung auf beglückende Weise. Diese Ruhe und Konzentration. Als sei Singen die einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. „Kennst du das Haus? / Auf Säulen ruht sein Dach. / Es glänzt der Saal, / es schimmert das Gemach.“ Wenn dereinst niemand mehr eine Vorstellung davon hat, wie das ist, wenn etwas schimmert oder was denn nun unter einem Gemach zu versehen ist – von Elisabeth Schwarzkopf werden solche Dinge in ihrer poetischen Bedeutung bewahrt.

Schwarzkopf Cover 1Es wimmelt nur so vor Live-Aufnahmen in ihrem Nachlass. Mozart ist der größte Posten. Von der Gräfin im Figaro existieren mindestens sieben Varianten aus Salzburg, Mailand, London und Amsterdam. Eine – und das ist für mich die absolute Aufnahme – ist sogar in Deutsch. Wilhelm Furtwängler bestand 1953 bei den Salzburger Festspielen darauf, weil er die Originalsprache dem Verständnis der Handlung abträglich fand. An zweiter Stelle kommt die Elvira im Don Giovanni mit nachweisbaren Mitschnitten aus Salzburg (allein drei unter Furtwängler), Wien, London und New York. In fünf Radioübertragungen hat sich die Fiordiligi erhalten. Ein bizarrer Sonderfall ist die Pamina in der Zauberflöte, die es live nicht im originalen Deutsch gibt. Als die Sängerin 1948 in Covent Garden engagiert wurde, musste sie die Rolle – wie damals dort Brauch – in Englisch singen. Sie wollte ganz sicher sein und wissen, ob meine Aussprache klar war und die Betonung und Emphase der Worte zu Mozarts Musik passten“. Daher nahm sie „jede Note der Pamina-Partie auf“ – mit Klavier. Das Dokument, das einen tiefen Einblick in die Werkstatt der Sängerin eröffnet, wurde 1999 von Testament in einem Doppelalbum mit bis dahin unveröffentlichten Aufnahmen herausgegeben. Zwei komplette Mitschnitte aus der Mailänder Scala (1955) und von der RAI in Rom (1953) – beide Male von Herbert von Karajan geleitet – sind in Italienisch. Deutsch gibt es nur die Erste Dame in der Studioproduktion der EMI von 1964 und – als 22jährige Chorsängerin – in der berühmten Einspielung unter Thomas Beecham 1937 in Berlin (diverse Firmen). Kenner der Stimme legen ihr Hand dafür ins Feuer, die damals sehr obertönige Stimme mit guten Kopfhörern sogar herauszuhören.

schwarzkopf mozart emiIch gehöre nicht zu denen, die sich ihren Abschied deutlich früher gewünscht hätten, als sie noch auf dem Höhepunkt war. Wäre dies geschehen, hätte ich sie ja in Prag verpasst. Nun ja. Leichter zu hören wurde sie nicht, je näher sich die Sängerlaufbahn ihrem Ende neigte. Defizite, die noch von den frühen Überforderungen als Elsa und Elisabeth unter Karajan an der Mailänder Scala oder als Butterfly in London hergerührt haben mögen, konnten letztlich trotz ihrer superben Technik nicht mehr ausgeglichen werden. Klarheit und Diktion gingen verloren, die aber Ruhe blieb. Töne, nicht selten etwas gurgelnd produziert, wurden dunkler, die Aussprache undeutlicher. Dramatische Passagen gerieten ins Schimpfen. Verschleiß ist den späten Mitschnitten und Produktionen deutlich anzuhören – als böse Ahnung auch in Dokumenten vom Beginn ihrer Weltkarriere wie Leonores „Abscheulicher! Wo eilst du hin?“ aus Beethovens Fidelio, 1954 mit Karajan am Pult aufgenommen. Im letzten Moment verließ die Sängerin diesen Irrweg.

Die kommentierte Auflistung ihrer Aufnahmen füllt ein ganzes Buch: Elisabeth Schwarzkopf – A Career on Record von Alan Sanders und J.B. Steane, 1995 in Englisch bei Duckworth erschienen (ISBN 0-7156-2656-6). Es berücksichtigt auch die ganz frühen offiziellen Dokumente, nicht aber Mitschnitte wie eine der Nonnen in der Oper Palla de‘ Mozzi von Gino Marinuzzi, die 1940 in Berlin ihre deutsche Erstaufführung erlebte und in Ausschnitten beim Reichsrundfunk überdauert hat oder den Hirten im Berliner Tannhäuser von 1938. Dafür finden sich aber die legendären Muggen verzeichnet, mit denen die Schwarzkopf Aufnahmen von Kollegen komplettierte – ihnen damit jedoch nicht selten die Show stahl: Fjodor in der Todesszene des Boris Godunow von Boris Christoff oder Brangäne in Ausschnitten mit Ludwig Weber aus dem dritten Aufzug von Tristan und Isolde. Nach wie vor wird darüber spekuliert, in welchen Plattenproduktionen sie Kolleginnen mit Spitzentönen aushalf, die diese nicht mehr zur Verfügung hatten. Kirsten Flagstad in der EMI-Aufnahme von Tristan und Isolde unter Furtwängler ist der prominenteste Fall. Er kam durch Indiskretion heraus, die Flagstad verließ tiefgekränkt die EMI und wechselte zur Decca für das Reingold über. In Karajans Falstaff aus London soll sie auch nicht nur als Alice mitgewirkt haben. Kein Aufhebens wurde auch darum gemacht, dass die Schwarzkopf die Dialoge der Marzelline für Ingeborg Hallstein in der EMI-Fidelio-Aufnahme unter Klemperer spricht (spricht?).

Schwarzkopf Cover 3Das CD-Ereignis im Jubiläumsjahr ist eine neue Auflage ihrer kompletten EMI-Recitals von 1952 bis 1974 in einer prächtigen Box bei Warner (0825646026050). Alle meine Prager Lieder sind aus dem Studio darunter. Die einstige Hauslabel der Schwarzkopf war von Warner übernommen worden. Sie hat es nicht mehr erlebt. Sämtliche Hüllen der 31 CDs sind den originalen Aufmachungen nachgebildet wie sie zuerst in England auf den Markt kamen (schreibt die Firma). Was einst auf einer LP vorlag ist nun auf einer CD untergebracht. Keine Füller, keine Boni. So gehört sich das. Zumindest dieses eine Mal wurde das wohl kalkulierte akustische Erbe dieser Sängerin nicht wie ein Steinbruch benutzt, aus dem sich nach Gutdünken bedient wird. In der Vergangenheit hatten etliche Wiederauflagen inhaltlich darunter gelitten, dass die ursprüngliche Konzeption der Recitals durch neue Zusammenstellungen aus den verschiedensten Jahren verloren ging. Oft war auch der Klang uneinheitlich oder wurde – was noch schlimmer ist – durch rabiate Bearbeitungen nur scheinbar angeglichen. Dieses Problem ist in dieser Edition aus der Welt. Alle Aufnahmen, oft noch in Mono produziert, sind einem so gründlichen wie dezenten Remastering unterzogen worden. Herausgekommen ist ein sehr samtiger und weicher Sound, der auch eine Vorstellung davon gibt, wie natürlich Mono geklungen hat und wie schwer es vor allem Walter Legge, dem Produzenten und Ehemann der Schwarzkopf, der noch aus der Schelllackära kam, gefallen ist, auf Stereo umzusteigen. Beide, Legge und die Schwarzkopf, sind Grenzgänger der Aufnahmetechnik. Das ging bekanntlich so weit, dass der EMI-Rosenkavalier von Strauss, dieser Luxusartikel der Langspielplattenära – zweimal eingespielt und inzwischen auch in beiden Versionen veröffentlicht – in Mono am Vormittag und in Stereo nachmittags aufgenommen wurde. Insofern wird Legge, ohne den die Karriere der Schwarzkopf gar nicht denkbar gewesen wäre, in die Ehrung mit einbezogen.

Schwarzkopf Cover 4Die berühmten vier Song Books, einmalig, weil so wohlkalkuliert und abgewogen, gab es in dieser Form bisher nur als LP. Endlich ist wieder nachzuvollziehen, was sich die Sängerin und Legge dabei gedacht haben. Sie holten den klassischen Liederabend ins Studio – nicht ohne belehrenden Touch. So und nicht anders sollte es sein! Dazu gehört, dass sich die Programme mit den Jahren zunehmend den stimmlichen Ressourcen anpassten. Mehr noch. Selbst auf den originalen Coverbildern alterte die Schwarzkopf. Das fällt noch mehr auf, liegen sie nebeneinander auf dem Tisch. Lieder dominieren mit gut zwei Dritteln der 31 CDs. Den Anschluss bildet der komplette Mitschnitt des berühmten Liederabends, den die Schwarzkopf gemeinsam mit Victoria de los Angeles und Dietrich Fischer-Dieskau als „Homage to Gerald Moore“ am 20. Februar 1967 in London gegeben haben. Sie feierten gemeinsam den Pianisten, der sie durch viele Jahre ihres künstlerischen Lebens mit Verständnis, Diskretion und Hingabe begleitet hatte. Bisher gab es von diesem legendären Konzert nur Auszüge auf einer EMI-CD, die zudem den Eindruck erweckt hatte, als handele es sich um eine ganz beliebige Veranstaltung. Nun die Gesamtaufnahme, die – und das ist die Ausnahme der Sammlung – mit der schon erwähnten Fidelio-Arie und Ah! perfido aufgefüllt wurde. Dass Wolf-Lieder in London auch zum Vortrag kamen, versteht sich von selbst. Das Italienische Liederbuch nach Gedichten des ersten deutschen Literatur-Nobelpreisträgers Paul Heyse gibt es komplette aus dem Studio mit Fischer-Dieskau und in Auszügen, die von der Schwarzkopf allein bestritten werden. Beide Male mit Moore.

Schwarzkopf Cover 5Ein Lied soll herausgegriffen werden, weil es die Kunst der Sängerin nach meinem Empfinden auf exemplarische Weise veranschaulicht. Nummer 19: „Wir haben lange Zeit geschwiegen, / Auf einmal kam uns nun die Sprache wieder. / Die Engel, die herab vom Himmel fliegen, / Sie brachten nach dem Krieg den Frieden wieder. / Die Engel Gottes sind herabgeflogen, / Mit ihnen ist der Frieden eingezogen. / Die Liebesengel kamen über Nacht / Und haben Frieden meiner Brust gebracht.“ Das Schweigen liegt bleiern auf den Seelen der Liebenden. Deklamatorisch der Beginn, wie hingesprochen. Ein ganz typischer Schwarzkopf-Einstieg in ein Lied. Als hätte die Sprachlosigkeit keine Noten. Unmerklich steigt die musikalische Linie an, während die „Engel Gottes“ herabfliegen. Wenn das hier so aufgeschrieben steht, ist es nahe am Kitsch. In der Umsetzung aber ist es genial gelöst. Dem Adverb „wieder“ kommt die größte Bedeutung zu, um die melodische Kurve stimmlich anzuheben. Beim ersten Mal legt die Sängerin vor dem Wort eine hörbare Pause ein, als ob sie staunt, es nicht fassen kann, dass die Sprachlosigkeit tatsächlich überwunden sein soll. In das Innehalten mischt sich gar ein leichtes Misstrauen, das erst im zweiten „wieder“ musikalisch erlösend aufgehoben wird. Ein Adverb! Musikalisch so tief ausgeschöpft! So habe ich das bei keiner anderen Sängerin gehört – obwohl es viele schöne andere Aufnahmen gibt. Oft wurde der Schwarzkopf Manierismus vorgeworfen, was ich nie verstanden habe. Ist da etwas dran? Eine Antwort gibt sie im Booklet selbst. Der Musik-Journalist und -Schriftsteller Thomas Voigt, den ich für den profundesten Schwarzkopf-Kenner halte, zitiert sie mit den Worten: „Das schreibt einer dem anderen nach, ohne sich vielleicht mal einen Gedanken darüber zu machen, warum hohe Frauenstimmen im reiferen Alter bei bestimmten Tönen und vor allem in den Übergangslagen oft eine andere Farbe nehmen müssen.“

Schwarzkopf - Albumblatt

„Doch umsonst ist meine Mühe…“ Ein Albumblatt von Elisabeth Schwarzkopf vom November 1977. Es befindet sich im Besitz des Autors dieses Beitrags.

In meiner Wohnung hängt ein Albumblatt von ihr mit einem eigenhändigen, sehr hintersinnigen Zitat: „Doch umsonst ist meine Mühe“. Es stammt aus dem Spanischen Liederbuch von Wolf. Oft denke ich darüber nach, wie sie diese Worte wohl verstanden wissen wollte. Gönnte sie sich einen Anflug von Selbstironie oder war sie am Ende nicht überzeugt von der Nachhaltigkeit ihres Lebenswerks? Sollte sich die gnadenlose Tortour durch die Studios, Opernhäuser und Konzersäle dieser Welt doch nicht gelohnt haben? Was würde bleiben? Traute sie denen, die nach ihr kamen und die sie immer wieder als große Hoffnung bezeichnete, doch nicht zu, die Maßstäbe, die sie selbst gesetzt hatte, zu bewahren? Nahm sie die jungen Sänger in ihren Meisterkursen deshalb so hart heran, weil sie selbst hart gegen sich war, weil sie wusste, dass Begabung nicht ausreicht, um als Sänger zu bestehen?

Schwarzkopf Cover 6Es ist bezeichnent, dass Elisabeth Schwarzkopf lediglich zwei klassische Opernquerschnitte, die auch als solche auch produziert worden sind, hinterlassen hat: Troilus and Cressida von William Walton und Arabella von Richard Strauss. Sie sollte ursprünglich die Cressida bei der Uraufführung 1954 in London singen. Daraus wurde nichts, weil Walton zu langsam arbeitete und sich inzwischen andere Verpflichtungen angehäuft hatten. Mit den Studio-Szenen sollte vor allem dem Freund Walton ein Gefallen getan werden. Nur gut, denn die feinsinnige Aufnahme erweist sich in der Wiederauflage als Genuss pur. Arabella, 1954 eingespielt, ist „ein Fall von andrer Art“. Damals, zu Beginn der Langspielplattenära, hätte sich eine Gesamtaufnahme dieser Oper nicht verkauft. So blieb es bei den Szenen, was heute, wo so viele Arabellas auf dem Markt herumschwirren, genauso bedauerlich wie unvorstellbar ist. Was gibt es noch? Das Weihnachts- und das Operetten-Album. Eines so unverzichtbar wie das andere. Die Romantischen HeroinenElisabeth und Elsa von Wagner – sind ebenso dabei wie die wie die beiden großen Szenen der Agathe aus Webers Freischütz, bei denen mir jedes Mal der Atem stockt, so stark ist der Bann dieses Konzentrats gestalterischer Kraftanstrengung. Sie sind als Bestandteile einer Gesamtaufnahme gar nicht vorstellbar. Es scheint bereits alles gesagt. Wer, bitte, sollten auch die Partner sein? In der Schwarzkopfschen Lesart bleiben die Szenen Solitäre. Am ehesten kommt so etwas wie Ensemblegeist noch bei der nächtlichen Szene mit der Ortrud von Christa Ludwig auf. Auch diese knapp zwanzig Minuten sind nachzuhören und machen manches Dokument der Neuzeit überflüssig. Übrigens ist seinerzeit auch die „Ozean“-Arie der Rezia aus Webers Oberon eingespielt worden. Sie blieb – aus gutem Grunde? – bis jetzt unveröffentlicht.

Mein Favorit unter den Recitals der Warner-Edition aus dem Archiv der EMI ist nach wie vor die spätere Aufnahme der Vier letzten Lieder von Strauss mit dem von George Szell geleiteten Radio-Sinfonie-Orchester Berlin von 1965. Es ist nicht sehr lange her, dass bei Orfeo ein Mitschnitt dieser Lieder von den Salzburger Festsielen 1962 mit István Kertész am Pult der Berliner Philharmoniker herausgekommen ist. Während die Sängerin im drei Jahre jüngeren Mitschnitt schon an Grenzen kommt und sich sogar an einer Stelle im Text verheddert, kann sie im Studio alle Register ziehen und noch einmal eine Leistung vollbringen, die vor Publikum schon nicht mehr oder niemals möglich war. Die Schwarzkopf gibt es eben zweimal.  Rüdiger Winter

Das große Foto oben ist ein Ausschnitt des Deckblattes der neuen Warner-Edition. 

Glamour mit Licht und Schatten

 

Das Gärtnerplatztheater in München ist hundertfünfzig geworden. Gefeiert wurde das Jubiläum jedoch außerhalb, weil das Haus saniert wird. Ein vergrößerter Neubau ersetzt das Bühnenhaus, Betriebs- und Proberäume entstehen ebenfalls neu. Auf den modernsten Stand werden die technischen Anlagen gebracht. Begonnen haben die Arbeiten im Mai 2012, abgeschlossen sollen sie Ende 2016 sein. So steht es schwarz auf weiß in dem Buch „150 Jahre Gärtnerplatz Theater“ von Stefan Frey, erschienen bei Henschel. Ob das zu schaffen ist, fragt sich derzeit die lokale Presse in München. Kulturbaustellen haben in Deutschland nicht den besten Ruf. In Berlin

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muss die Eröffnung der Staatoper Unter den Linden immer wieder verschoben werden, in Hamburg kommt der Bau der Elbphilharmonie nicht so voran, wie ursprünglich gedacht. In München geht bekanntlich vieles schneller als im Rest der Republik. Warten wir also ab.

Gärtnerplatz Theater BuchDas Buch, repräsentativ in seinen Ausmaßen, seiner Gestaltung und in seinem Inhalt, will nicht in die Zukunft schauen, es zieht Bilanz, dokumentiert ein spannendes Kapitel Theatergeschichte. Nur zum Schluss hin, im Epilog, wagt Michael Stallknecht einen Ausblick indem er mit den „Erfolgen eines Hauses wie der Komischen Oper in Berlin“ liebäugelt, wo Intendant Barrie Kosky das dritte Berliner Opernhaus in den letzten Jahren „elegant in dem Spannungsfeld zwischen avanciertem Opernhaus und Unterhaltungstheater“ positioniert habe, in dem sich auch das Gärtnerplatztheater bewege – kommt aber alsbald zu der Erkenntnis, dass „München nicht Berlin“ sei und es auch nicht werden solle. Gut so.

Eröffnet wurde das Haus am Gärtnerplatz, der noch immer eine gesuchte Adresse im Zentrum Münchens ist, am 4. November 1865. Es sollte ein Bürgertheater sein, „nicht höfischer Repräsentation verpflichtet“, wie es in dem Buch heißt. Die Genehmigung war eine der ersten Amtshandlungen des jungen Königs Ludwig II. Er stimmt allerdings nur unter den Bedingung zu, dass Oper, Ballett und klassische Dramen ausgeschlossen und dem Nationaltheater vorbehalten blieben. Mit einer List, die typisch bleiben sollte für das Haus, wurde dieses Gebot schon bei der Einweihung dahingehend unterlaufen, dass aus Offenbachs opéra bouffe Salon Pitzelberger ein Operetteneinakter als „heitere musikalische Soiree in der Vorstadt“ wurde. In Anlehnung daran wird das Stück zum Gründungsjubiläum wieder in den Spielplan genommen und hat am 14. Januar 2016 in einer der Ausweichspielstätten des Gärtnerplatztheaters, der Reithalle an der Heßstraße, Premiere.

Die übersichtliche Anordnung macht die Lektüre leicht. So ein Buch dürfte niemand entschlossen von Anfang bis Ende durchlesen wie einen Roman. Es ist auch ein Bilderbuch, sinnlich und aufwändig gestaltet, vollgepackt mit hinreißenden Fotos von Künstlern und aus Aufführungen, Innen- und Außenansichten, Theaterplakaten, Bauzeichnungen. Ein kurzer Blick in Schmuddelecken wie die Herrentoilette und das gusseiserne Waschbecken für Orchestermusiker im Jahr 1937 bleibt auch nicht aus. Alles in allem ist dieser Bildband ein Triumph der Ästhetik klassischer Buchgestaltung. Schön, dass es so etwas noch gibt! Es zieht den Betrachter und Leser hinein in eine Welt, die unwiederbringlich untergegangen ist, verhilft aber auch der Gegenwart mit ihren völlig neuen Herausforderungen zu ihrem Recht. Niemals verfallen die Autoren in Klagen darüber, dass früher alles besser war. Es war nur anders, anders schön, anders schwierig. Und doch kommt Wehmut auf. Soll es auch. Einmal dabei gewesen sein, wenn Deliy Trexler als Herzogin von Chicago in ganz großer Theaterrobe aufrauschte, Alfred Jerger als Kreneks Jonny aufspielte, Richard Tauber seinen unwiderstehlichen Schmelz verabreichte, stimmlich genauso viele Tränen vergoss wie das Publikum und Magda Schneider noch frivol war. Wie ein Schwamm sog das Theater in sich auf, was Rang und Namen hatte. Und es hatte meistens Glück mit seinem Intendanten. Es konnte nur erfolgreich funktionieren, weil im Hintergrund ganze Heerscharen von Frauen und Männern wirkten und wirken, deren Namen auf keinem Programmzettel stehen. Auch sie wurden in dieser Chronik nicht vergessen und kommen sogar ins Bild.

Das Haus am Gärtnerplatz ist ein klassisches Rangtheater mit Balkon und drei Rängen. Foto im Ausschnitt © Ida Zenna

Das Haus am Gärtnerplatz ist ein klassisches Rangtheater mit Balkon und drei Rängen. Foto im Ausschnitt © Ida Zenna/ Gärtnerplatztheater

Es scheint, als hätten sich die sechzehn Autoren der einzelnen Kapitel, die im Wesentlichen durch die historische Abfolge der Geschichte geprägt sind, auch stilistischen aufeinander abgestimmt. Bei aller Sachbezogenheit schreiben sie flott und unterhaltsam. Das Mitteilungsbedürfnis ist groß. Es wurde spürbar Wert darauf gelegt, möglichst jeden Satz mit Fakten vollzupacken, damit auch ja nichts ausgelassen bleibt, was sich in diesen 150 Jahren zugetragen hat – zwei verheerende Weltkriege, Sturz der Monarchie, die fragile Demokratie der Weimarer Republik mit ihrem grellen Unterhaltungsbedürfnis, die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, der das deutsche Judentum zum Opfer fiel, die Bombardierung, der entschlossene Neubeginn, das Wirtschaftswunder. Alle diese Ereignisse berührten auch das Theater, das beim letzten Bombenangriff auf München am 21. April 1945 schwer getroffen wurde. Haus und Ensemble waren Teil dieser wechselvollen Geschichte – als Oper und auf der Seite der Täter. Es läuft einem noch heute ein kalter Schauer über den Rücken beim Blick auf ein teilweise faksimiliertes Fotoalbum, das den Besuch des Ensembles im KZ Dachau im Juni 1941 dokumentiert und den „lieben Künstlern“ den schriftlichen Dank des SS-Kommandanten für „einen frohen und heiteren Nachmittag“ einbrachte.

Als akribische Fleißarbeit entpuppt sich die aussagekräftige Aufführungschronik des Theaters durch Elke Schöniger und Thomas Siedhoff. Sie listet alle Stücke auf, die unter den jeweiligen Direktoren und Intendanten gegeben wurden, von 1865 bis heute. Die Fülle ist überwältigend. Eine Premiere jagte die andere. Über die meisten Stücke ist das Gras des Vergessens gewachsen. Nicht selten lassen allein die Titel ahnen, wie frivol, frech und es zugegangen sein muss in der einstigen Vorstadt. Der Druck, das Publikum mit immer neuen Angeboten bei Laune halten zu müssen, scheint enorm gewesen zu sein. Mit den Jahren nimmt die Menge der Produktionen ab. In Zeiten der Not ebenfalls. Vornehmlich mit Operetten marschierte das Theater ohne Pause durch den Ersten Weltkrieg. Spielpläne aus der Endzeit des Hitlerfaschismus lesen sich heute unfreiwillig grotesk: Gitta. Eine Fahrt ins Blaue von Carl Heinz Rudolph und Paul Thieß, Der Liebling des Welt von Richard Bars und Christof Schulz-Gullen (1942), Lisa, benimm doch! von Peter Fabricius, Ernst Friese und Rudolf Weys (1943), Moral von Ludwig Thoma (1944) und – als letzte Vorstellung Der Nibelungen Not von Max Mell als Gastspiel des des Staatsschaupiels, dessen Spielstätte bereits den Bomben zum Opfer gefallen war. Vor Beginn des Umbaus im Mai 2012 gab es kaum mehr als zwölf Produktionen in der Spielzeit. Im Jahr nach der Eröffnung des Hauses waren es gut zehnmal so viele, wobei zu berücksichtigen ist, dass an manchen Abenden oft zwei Stücke hintereinander gegeben wurden. Rüdiger Winter

Stefan Frey: Dem Volk zur Lust – 150 Jahre Gärtnerplatz Theater, Henschel, 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-89487-784-2. Das Foto oben (Ausschnitt / © Maren Bornemann) zeigt das Theater, das derzeit umgebaut wird, bei Nacht. Es wurde uns ebenso freundlicherweise wie das Bild aus dem Zuschauersaal vom Staatstheater am Gärtnerplatz zur Verfügung gestellt.

Brünnhilde an der langen Leine

 

Testament überrascht mit einer CD, die zu Recht als „previously unpublished ausgewiesen ist (SBT 1508). Sir John Barbirolli dirigiert Mozart und Wagner mit dem Hallé Orchestra, dessen Chef er fünfundzwanzig Jahre gewesen ist. Er hat sich Zeit seines Lebens mit Richard Wagner beschäftigt. Gesamtaufnahmen sind in seiner umfangreichen Diskographie bis jetzt aber nicht nachzuweisen. Nur Ouvertüren, Vorspiele, einige hochkarätig besetzte Szenen, ein konzertanter zweiter Tristan-Aufzug mit Kirsten Flagstad, Eyvind Laholm und den New Yorker Philharmonikern von 1939. Damals war er noch deren Chef. Sonst nichts. Im Booklet der neuen CD ist zu lesen, dass Barbirolli von der EMI eingeladen worden war, die Plattenproduktion der Meistersinger von Nürnberg in der DDR zu leiten. Er lehnte ab, weil er sich seinem Kollegen Rafael Kubelik solidarisch verbundene fühlte, der dazu aufgerufen hatte, alle Länder auch künstlerisch zu boykottieren, die sich an der der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 beteiligte hatten. Darunter war die DDR. 1970 übernahm Herbert von Karajan die Aufgabe in Zusammenarbeit mit der Ostberliner Plattenfirma Eterna.

Barbirolli gehörte zu den ersten Dirigenten, die Szenen aus Wagners Opern in Konzerten singen ließen. In den USA waren solche Programme sehr beliebt, später auch in Großbritannien. 1964 und 1965 veranstaltete er solche Konzerte in Manchester und Sheffield. Als Solistin war Anita Välkki mit dabei. Sie hatte 1961 als Walküren-Brünnhilde in Covent Garden Aufsehen erregt (der Mitschnitt ist ebenfalls bei Testament herausgekommen) und war daraufhin auch nach Bayreuth engagiert worden. Auf der Testament-Neuerscheinung ist sie mit dem Schlussgesang der Brünnhilde aus Götterdämmerung zu hören.

Die Sopranistin Anita Välkki begann ihre internationale Karriere im Wagner-Fach in London. Das Foto entnahmen wir dem Booklets der Testament-CD.

Die Sopranistin Anita Välkki begann ihre internationale Karriere im Wagner-Fach in London. Das Foto entnahmen wir dem Booklet der Testament-CD.

Die aus Finnland stammende Välkki singt stilistisch sehr sicher. Ihre Stimme ist geschmeidig, nicht zu dunkel, nicht zu hell. Niemals grell. In der Höhe ausgewogen. Für Wagner sind das beste Voraussetzungen. Barbirolli hält sie an der langen Leine. Sie braucht viel Atem, Kraft und Ausdauer, um seinen gedehnten Tempovorgaben folgen. Der Vorteil ist, es geht nichts unter. Sie hat alle Zeit der Welt, um Details auszuformen – musikalisch und textlich. „Ruhe, ruhe, du Gott!“ Selten ist das so wörtlich genommen wie in dieser Aufnahme. Und doch fehlt etwas. Ein letztes Quäntchen Ausdruck und Emphase, das diesen Ritt der tödlich verletzten Wotans-Tochter ins Feuer glaubhaft machen könnte. Trotz dieser Einschränkungen, die nicht auf die Goldwaage gelegt werden sollen, wäre die Välkki heute ein unangefochtener Weltstar. Damals stand sie noch in harter Konkurrenz zur Nilsson. Und die Erinnerungen an Martha Mödl und Astrid Varnay waren auch noch sehr frisch.

Die rein musikalischen Nummern stammen auch aus der Götterdämmerung: Morgendämmerung und Siegfried Rheinfahrt sowie der Trauermarsch, von Barbirolli mit mächtigen Steigerungen versehen. Von Wolfgang Amadeus Mozart ist die Sinfonie Nr. 40 in g-Moll zu hören, groß und etwas erdenschwer, doch einzigartig federnd beim berühmten Beginn. Sämtliche Werke wurden am 21. Januar 1964 in der Town Hall in Manchester für die BBC aufgenommen, noch in Mono. Es wird nicht ganz klar, ob Publikum dabei war oder nicht. Entsprechende Geräusche, die darauf hinweisen, sind nicht aufzumachen. Aber das sagt nichts. Techniker können heutzutage beim Remastering jedes Klatschen, Husten und Rascheln herausfiltern. Rüdiger Winter

Hanne-Lore Kuhse

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Spurensuche im Berliner Nordosten. Wo Pankow und Prenzlauer Berg aufeinander treffen, dort hat sie gelebt. Ein passender Ort. Zumal damals in der DDR. In Pankow wehte noch ein Hauch von Großbürgerlichkeit. Den Prenzlauer Berg hatten die Künstler in Beschlag. Die Opernsängerin Hanne-Lore Kuhse  (1925-1999) wohnte auf dieser Grenze in der Schonenschen Straße. Wenngleich Zufall, passt auch der Straßenname. Schonen hieß einst die südlichste Provinz Schwedens, direkt an der Ostsee gelegen.

Ihre Bindungen an den Norden bestanden lebenslang. Sie wurde 1925 in Schwaan an der Müritz geboren. Es zog sie immer wieder dorthin. Der nordische Dialekt schlug bis zum Schluss durch. Selbst im Gesang. In Rezitativen und Dialogen sowieso. In einer Gesamtaufnahme der Zauberflöte (Suitner, ehemals Eterna/ Eurodisc), in der sie die Erste Dame singt, kann das nachgehört werden. Gestorben ist die Sängerin 1999 in Berlin. Ihr Wunsch war es, in Schwaan begraben zu werden. So geschah es auch. Dieser Stadt blieb sie treu, die Stadt ihr auch. Posthum wurde sie zur Ehrenbürgerin ernannt. Ihr Berliner Wohnhaus steht noch. Sträucher und Bäume haben den Garten in Besitz genommen. Die Rosenstöcke, denen ihre Liebe galt, haben überdauert. Ein heimlicher Blick über den Zaun. Hoffentlich sieht mich jetzt niemand. Ich habe Mühe, das alte Bild vom Haus, in dem ich gelegentlich freundlich aufgenommen wurde, wiederzufinden. Die Kuhse war eine perfekte Gastgeberin, empfing den Besucher im eleganten Hauskleid. Der Kaffee wurde in silbernem Geschirr serviert. Bei aller Distanz ließ sie keinen förmlichen Abstand aufkommen. Ihren Gästen gab sie das Gefühl, der Mittelpunkt des Geschehens zu sein und nicht sie selbst, die berühmte Sängerin.

Die Eterna-LP ist inzwischen auch auf CD bei Berlin Classics erschienen.

Erweitert um einen Bonus ist die Eterna-LP inzwischen auch auf CD bei Berlin Classics erschienen.

Erstmals hörte ich sie im Radio. Da war ich nicht älter als Vierzehn. Noch heute sehe ich mich in den Lautsprecher des Apparats hineinkriechen. Sie war oft zu hören. Oper war für mich Hanne-Lore Kuhse. Erst mit der Zeit kam ich hinter ihre Kunst. Großes, sich in der Mittellage reich verströmendes Volumen. Eine Stimme, die auch im Piano noch hochdramatisch ist. Ein Freund sagt, sie singe so erfüllt. Das stimmt. Immer natürlich, niemals auf den vordergründigen Effekt erpicht. Dem Werk verpflichtet und gegen die Verlockung immun, Grenzen zu durchbrechen. Ein heller, leuchtender Klang, dem es aber an Tiefe gebricht. Muss sie hinunter, verliert die Stimme an Kraft und Ausdruck. Sie besaß, was heute immer mehr verloren geht – ein unverwechselbares Timbre. Auch das weniger erfahrene Ohr dürfte sie mit Sicherheit unter hundert anderen heraushören. Später entdeckte ich für mich Ähnlichkeiten mit Eileen Farrell oder Helen Traubel, die sogar über Stimmliches hinausgehen. Auf Fotos lachen alle drei ganz herzlich. Am Ende will es gar scheinen, als hätten sie denselben Schneider gehabt. Schade, dass sich die Kuhse im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kolleginnen nicht auch außerhalb der Oper künstlerisch betätigte – einen kurzen Fernsehausflug in die Operette nicht mitgerechnet –, es ließen sich gewiss noch mehr Gemeinsamkeiten feststellen.

Ein Bild auf den Anfängerzeit  1953 in Schwerin: Hanne-Lore Kurse als Frick im "Rheingold". Wotan ist Heinrich Geduldig. Foto: OBA

Ein Bild auf der Anfängerzeit 1953 in Schwerin: Hanne-Lore Kuhse als Fricka im „Rheingold“ mit Heinrich Geduldig als  Wotan/ Foto: Archiv Kuhse

Zunächst war ihr in der DDR der Beginn einer bedeutsamen Karriere beschieden. Gleich nach dem Studium an den Konservatorien von Rostock und Berlin das erste Engagement an den Städtischen Bühnen Gera, wo sie sofort mit der Fidelio-Leonore konfrontiert wird. Ein gewagter Anfang, der ihr womöglich auch stimmliche Ressourcen kostete. Dann, von 1952 bis 1959, Staatstheater Schwerin mit Brünnhilde und Turandot und bis 1964 Opernhaus Leipzig. Bereits 1954 zur Kammersängerin ernannt, folgt sie 1964 einem Ruf an die Berliner Staatsoper, wo sie zwar wieder Fidelio– Leonore sowie Tosca, Donna Anna, Isolde, Abigail, Lady Macbeth und eine missglückte Turandot gab. Doch alsbald wurde es dort ruhig um sie. Die Gründe liegen im Dunkeln. Dem Vernehmen nach soll die im Ausland Gefeierte auch Feinde gehabt haben. Zur Wahrheit gehört, dass sie sich künstlerisch zu überleben begann. Der Typ der gestandenen Kammersängerin war nicht mehr gefragt. Es drängten jüngere Talente auf die Bühnen, denen die Rollen, die sie verkörperten, auch äußerlich mehr abgenommen wurden. Sie selbst trug es mit Fassung – und wohl auch mit Humor. Also dann eben Provinz! In Berlin Stimme des Falken, in Jena und in Magdeburg Brünnhilde. Und eben die Auftritte in den USA, wo sich niemand daran störte, wenn Frauen nicht über die Maße einer Barbiepuppe verfügten.

Hanne-Lore Kuhse mit Erich Leinsdorf in Boston. Der Dirigent schätzte die Sängerin und begleitetet sie auch in Paris und London. - Foto: OBA

Hanne-Lore Kuhse mit Erich Leinsdorf in Boston. Der Dirigent schätzte die Sängerin und begleitetet sie auch in Paris und London/ Foto: Archiv Kuhse

Doch zurück zu den Fakten. Die besagen, dass Hanne-Lore Kuhse ihre größten künstlerischen Erfolge außerhalb der DDR in den USA beschieden waren. New York 1967, Philharmonic Hall im Lincoln Center, Vier letzte Lieder von Richard Strauss und Ferruccio Busonis Turandot mit Plácido Domingo als Calaf. Isolde mit dem Heldentenor Ernst Gruber (Tristan), Ramón Vinay (Kurwenal) und Blanche Thebom in Philadelphia. Der Mitschnitt ist bei Ponto erschienen Als Partnerin von Jon Vickers (Siegmund), Ingrid Bjoner (Sieglinde), Thomas Stewart (Wotan) und Nicola Moscona (Hunding) war sie die Brünnhilde in der Walküre der Connecticut Opera in Hartfort. In der Hollywood Bowl trat sie an der Seite von Jess Thomas in einem großen Wagnerkonzert in Erscheinung. Thomas war auch ihr Siegmund im ersten Walküre-Aufzug in Boston, der sich als Mitschnitt in privaten Sammlungen erhalten hat. Dort gastierte sie auch als Lady an der Seite von Kostas Paskalis (Macbeth) und Simon Estes (Banquo). Als Erich Leinsdorf das US-amerikanische Publikum in Tanglewood mit der Leonore, der Urfassung des Fidelio, vertraut machen wollten, holte er die Kuhse für die Titelpartie. Florestan war George Shirley, Pizarro Tom Krause. Leinsdorf schätzte die Kuhse und besetzte sie sogar als Fricka in konzertanten Szenen aus dem Rheingold, eine Rolle, die sie zuletzt Mitte der fünfziger Jahre in Schwerin gesungen hatte. Im französischen Rundfunk wurde erst vor wenigen Jahren ein Leinsdorf-Konzert des National Orchestra of France von 1968 erneut ausgestrahlt, das mit dem Schlussgesang der Brünnhilde aus der Götterdämmerung endete.

Eva Rieger kommt in ihrem Buch über Friedelind Wagner auch auf die Kurse zu sprechen (Pieper, ISBN 978-3-492-05489-8).

Eva Rieger kommt in ihrem Buch über Friedelind Wagner auch auf die Kuhse zu sprechen (Pieper, ISBN 978-3-492-05489-8).

Ein greifbar nahes Debüt als Isolde an der Met scheiterte an den Bürokraten in Ostberlin. Das Visum lag nicht rechtzeitig vor. Ihr erstes namhaftes Gastspiel auf internationalem Parkett absolvierte die später Weitgereiste 1956 in Nizza – und zwar als Senta im Fliegenden Holländer. Auf dem Programmzettel standen mit Hans Hotter (Holländer), Arnold van Mill (Daland) und Günther Treptow (Erik) prominente Namen. Später war sie oft London anzutreffen, wo die von ihrer Freundin Friedelind Wagner veranstaltete erste komplette Aufführung der Siegfried-Wagner-Oper Der Friedensengel für großes Aufsehen sorgte. Gemeinsam mit dem Dirigenten Leslie Head gelang es Friedelind, den Widerstand ihrer Mutter Winifred, die von Aufführungen der Opern ihres Mannes Siegfried nicht viel hielt, zu überlisten. Als Eigentümerin der Rechte stimmte sie schließlich der Aufführung zu uns reiste sogar selbst in London an. Die Kuhse sang die Mita, die weibliche Hauptfigur, Martha Mödl Frau Kathrin, die im Werk vielbeschäftigte Mutter des Wilfried (Raffaele Polani). Das Konzert in der Queen Elizabeth Hall vom 23. November 1975 gelangte über einen Rundfunkmitschnitt auf CD (Living Stage). In ihren Buch über Friedelind Wagner hat die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger auch dieses spannende Kapitel berührt. Unveröffentlicht hingegen blieb bisher das BBC-Band der konzertanten Aufführung des Kobold von 1980. Wieder stand Head am Pult.

Diese RCA-LP mit einem klassischen Liederprogramm ist in New York produziert worden und nur noch antiquarisch erhältlich.

Diese RCA-LP mit einem klassischen Liederprogramm ist in New York produziert worden und nur noch antiquarisch erhältlich.

Sammler müssen keinen Mangel an Kuhse-Dokumenten beklagen. Von den offiziellen Titeln ist das meiste inzwischen als CD zugänglich. Allen voran die oft aufgelegte Gesamtaufnahme von Tiefland (zuletzt Brilliant Classics), die in der Diskographie dieser Oper nach wie vor einen ersten Rang behaupten dürfte. Nur noch musikhistorisch interessant ist Radamisto (Berlin Classics) aus Halle. Eine Aufnahme, die den Wandel der Zeiten gut überstanden hat, sind die Wesendonck-Lieder von Wagner und die Vier letzten Lieder von Strauss mit dem von Vaclav Neumann geleiteten Gewandhausorchester Leipzig. Ihr eigentliches Opernrepertoire, in dem neben Wagner auch Verdi präsent war, ist auf Tonträgern leider nur bruchstückhaft überliefert. Don Carlos (Elisabeth), Die Macht des Schicksals (Leonore), Macbeth (Lady) gibt es zumindest scheibchenweise, ebenso Isolde, Elsa, Senta. Ihre Diskographie ist nur auf den ersten Blick relativ schmal, weil nicht alle Dokumente auf Platte bzw. CD gelangten. Die meisten Aufnahmen entstanden beim DDR-Rundfunk und werden im Deutschen Rundfunkarchiv in Babelsberg aufbewahrt. Dazu kommen private Mitschnitte. Immerhin gibt es mit Hanne-Lore Kuhse siebzehn Operngesamtaufnahmen – live und Studio. Darunter sind Verdis Troubadour, Glucks Iphigenie in Tauris, Mussorgskys Boris Godunow und sogar Haydns La vera costanza. Mitgerechnet ist eine Rundfunk-Fidelio-Produktion, von der nur die Szenen der Leonore überlebten. Auch die im Rahmen der DVD-Felsenstein-Edition veröffentlichten Hoffmanns Erzählungen gehören in diese Aufzählung. Die Kuhse singt die Stimme der Mutter, wird aber weder im Vor- noch im Abspann erwähnt, was peinlich ist. Wer also die Edition besitzt, mache sich eine ergänzende Notiz.

Eine der gelungensten Einspielungen von Hanne-Lore Kuhse sind die "Vier letzten Lieder" und die "Wesendonck-Lieder"  - erschienen bei Berlin Classics.

Eine der gelungensten Einspielungen von Hanne-Lore Kuhse sind die „Vier letzten Lieder“ und die „Wesendonck-Lieder“ – ehemals Eterna und nun bei Berlin Classics.

Zudem existieren etliche Werke als sogenannter Querschnitt. Vierzehn Titel sind Chorwerke im weitesten Sinne, darunter dreimal Beethovens Neunte, Bruckners Te Deum, die Glagolitische Messe von Janácek oder das Deutsche Requiem von Brahms. Die Zahl der einzelnen Arien, Duette und Szenen aus Opern, darunter Mitschnitte aus Leipziger Anrechtskonzerten, beläuft sich auf fast fünfzig. Zugegeben: Statt der C-Dur-Messe, der Kantate auf den Tod Joseph II. oder der Konzertarien von Beethoven – mit Ausnahme von Ah, perfido! – hätte ich doch lieber das Verdi-Requiem, Schumanns Paradies und die Peri, Haydns Schöpfung oder Schönbergs Erwartung im Schrank. All das hat sie gesungen. Freilich findet sich auch in ihrem Plattennachlass gänzlich verzichtbare sozialistische Meterware. Wer hat man schon etwas von Siegfried Köhlers Reich des Menschen nach Gedichten des Dichters der DDR-Nationalhymne Johannes R. Becher, von Günter Geislers Oratorium Schöpfer Mensch oder dem Mansfelder Oratorium von Ernst Hermann Meyer hört? Eine Bildungslücke wäre dies nicht. Wer sich eine Vorstellung von Kuhses Gespür für Modernes machen will, sollte zu den Bruchstücken für Gesang aus Wozzeck und der Lulu-Suite mit dem Todesschrei greifen. Oder nach dem War Requiem von Britten, das sie zu einem verklärenden Schluss führt. Die von Herbert Kegel geleitete Eterna-Plattenproduktion, in der auch Peter Schreier und Günther Leib mitwirken, taucht immer mal wieder bei Ebay auf.

Hanne-Lore Kurse und Friedland Wagner mit Winifred Wagner in Bayreuth.- Foto: OBA

Hanne-Lore Kuhse und Friedelind Wagner mit Winifred Wagner in Bayreuth/ Foto: Archiv Kuhse

Wie in den Konzertsälen, so im Studio – immer wieder Lied. Wolf, Berg sind auf CD zugänglich. Strauss und Wagner waren schon genannt. Alle Sammleranstrengungen wert ist eine von RCA in New York eingespielte Liederplatte, die neben Wolf auch Schubert und Brahms enthält. Als private Pressung, die endlich auch offiziell ans Licht kommen sollte, existiert auf zwei Platten der Mitschnitt eines Abends im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth vom August 1966: Carl Philipp Emanuel Bach, Mozart, Mahler, Schumann, Strauss, wieder Wesendonck-Lieder – und Siegfried Wagner. Nach Auffassung von Peter P. Pachl, des Begründers der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft, drangen dessen Lieder erst mit diesem Konzert ins „Bewusstsein der musikliebenden Öffentlichkeit“.

Noch auf dem Höhepunkt widmet sie sich der Lehrtätigkeit, wurde eine gesuchte Gesangspädagogin – als Professorin an der DDR-Hochschule für Musik, bei internationalen Meisterkursen, die von Friedelind Wagner in England angeboten wurden und ganz privat zu Hause. Eine ihrer Schülerinnen war Gabriele Schnaut. In den schon erwähnten Buch von Eva Rieger erinnert sie sich an ihre Lehrerein Hanne-Lore Kuhse: „Die Arbeit mit ihr tut mir sehr gut, ja, ich glaube, uns beiden macht es viel Spaß und Freude.

Kuhse - Isolde mit Friedelind PhiladelphiaSpiegelbild: Das Foto links zeigt Hanne-Lore Kurse 1967 in der Garderobe des Opernhauses von Philadelphia vor Beginn einer Vorstellung von Tristan und Isolde. Ihr zur Seite Friedelind Wagner. Die Ähnlichkeit mit dem Großvater Richard ist bei letzterer unverkennbar. Beide Frauen waren eng befreundet. Das Bild wurde dem Autor des Beitrages noch von Hanne-Lore Kuhse persönlich überlassen/ Atchiv Kuhse.

Mahler aus Hamburg und Kiel

 

Klaus Tennstedt war ein überaus tüchtiger Dirigent. Obwohl er sehr viele Platten eingespielt hat – darunter den kompletten Mahler bei der EMI –, kam er aus dem Schatten seiner berühmteren zeitgenössischen Kollegen nie heraus. Als ich mir vor vielen Jahren eine der Mahler-Sinfonien anschaffen wollte, wurde ich gewarnt. Lass das sein, der Tennstedt ist langweilig. Solche Urteile werden dem Mann, der 1971 aus der DDR in den Westen geflohen war, nicht gerecht. Das habe ich inzwischen selbst herausgefunden. Jetzt ist bei Profil Günter Hänssler die 5. Sinfonie von Gustav Mahler herausgekommen, aufgenommen 1980 mit dem NDR Sinfonieorchester (PH 13058). Tennstedt war um diese Zeit dessen Chef, bis er 1983 von Georg Solti die Leitung des London Philharmonic Orchestra übernahm.

Tennstedt ist sehr um Ausgleich bemüht. Sein Mahler klingt weniger wild und aufbrausend. Brüche sind sanfter. Das berühmte Adagietto wirkt schlichter und nicht ganz so entrückt. Er schützt es vor Anfechtungen ins Kitschige. Ist das ein Grund, warum der Dirigent auch missverstanden wurde? Die Hamburger Aufnahme entstand an nur einem Tag, nämlich am 19. Mai. Das spricht für einen Mitschnitt, was aber nicht sein kann. Tontechniker hätten Wunder vollbringen müssen, um auch das letzte Hüsteln und Knistern des Publikums herauszuwaschen. Es ist aber kein Laut zu vernehmen – außer Musik. Als Ort der Aufnahme wird die Laeiszhalle genannt, das schöne Stammhaus des NDR-Orchesters, das den Zweiten Weltkrieg überlebt hat. Wie mancher Hamburger, kann auch ich mich als Berliner an diesen Namen noch immer nicht gewöhnen. Und ich muss jedes Mal nachdenken, wie der sich nun eigentlich schreibt. Dabei hat er in der empfohlene Aussprache einen schlichten Klang – nämlich Leißhalle. Sei’s drum. 1980, zum Zeitpunkt der Produktion, war das berühmte Haus, das 1908 fertig gestellt wurde, gemeinhin als Musikhalle bekannt. Dabei ist Laeiszhalle nicht neu. Gleich nach der Eröffnung sollen beide Namen parallel verwendet worden sein. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bürgerte sich Musikhalle ein – alles kurz und gut nachzulesen bei Wikipedia. Wer es noch genauer wissen will, findet auch Bücher zum Thema. Nun also ausschließlich Laeiszhalle, was auch als Referenz an das Hamburger Reederer-Ehepaar Carl Heinrich und Sophie Christine Laeisz zu verstehen ist, die zwei Millionen Mark für den Bau spendeten.

Im zweiten Programmteil bleibt Tennstedt bei Mahler. Die Kindertotenlieder werden von Brigitte Fassbaender mit viel Bruststimme in den dramatischen Steigerungen und großer Ruhe in den verinnerlichten schwermütigen Passagen gesungen. Auffällig ist die atmosphärische Nähe zwischen der Sinfonie und diesem Liederzyklus. Beide Werke in ein CD-Album zu packen erweist sich als vorzügliche Idee der Herausgeber. Wieder spielt das Sinfonieorchester des NDR. Die Aufnahme stammt ebenfalls von 1980, allerdings nicht aus der Hamburger Musikhalle, sondern aus dem Kieler Schloss. Wobei der Name dieses Gebäudes etwas sehr hoch gegriffen ist. Das richtige Schloss ist verschwunden. Es brannte nach einem Bombenangriff 1944 bis auf die Grundmauern herunter, die Ruine wurde abgetragen und 1961 durch einen strengen Neubau auf den historischen Fundamenten ersetzt, der mehr an ein Bürohaus denn an eine Residenz aus dem 16. Jahrhundert erinnert. In diesem Gebäude, das im unteren Teil durch einen Anbau erweitert wurde, befindet sich auch das Kieler Schloss genannte Kulturzentrum mit einem großen Saal.

Tennstedt hatte eine besondere Beziehung zu Kiel. Das Opernhaus der Stadt berief ihn 1972 zu seinem Generalmusikdirektor – ein Jahr, nachdem er die DDR Richtung Westen verlassen hatte. Das war ein Aufstieg. In der DDR hatte er eher eine Nebenrolle gespielt. Tennstedt wirkte in Halle und Chemnitz (damals noch Karl-Marx-Stadt), stieg schließlich an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul sowie am Staatstheater Schwerin zu leitenden Positionen auf und war auch der Komischen Oper Berlin mit einem Gastvertrag verbunden. Diese Spuren seines Wirkens sind weitgehend verwischt. Erfreulich ist, dass sein Name in der Dokumentation „Richard Wagner in der DDR “ von Werner P. Seiferth auftaucht. Darin werden beispielsweise in den 1950er Jahren eine Walküre in Karl-Marx-Stadt und ein Fliegender Holländer als Repertoirevorstellungen in Leipzig nachgewiesen. Als Dirigent der Premieren wird Tennstedt schließlich beim Rheingold am 27. Oktober und bei der Walküre am 1. November 1962 in Schwerin genannt. Daraus sollte eigentlich eine zweite Nachkrieg-Gesamtproduktion des Ring des Nibelungen werden, die aber in den ersten beiden Teilen stecken blieb.  Rüdiger Winter

„Der Freischütz“ als Filmmusik

 

Diesmal wurde gespart. Die Prachtausgabe von Carl Maria von Webers Werk Der Freischütz ist nicht ganz so üppig ausgefallen wie die gleichfalls von Mercedes gesponserte Dokumentation über Richard Wagners Zürcher Liaison. Herausgeber ist wiederum die Syqouali Crossmedia AG (ISBN 978-3-9524329-2-1). Sie wurde 2008 von Jens Neubert und Peter Stüber gegründet. Der 1967 in Dresden geborene Neubert betätigt sich als Regisseur, Filmproduzent und Autor. Er hat den Freischütz-Film gedreht, der vor fünf Jahren in die Kinos kam und bei Kritik und Publikum freundliche Aufnahme fand. Inzwischen ist diese Produktion als DVD bei Constantinfilm (HC087848) herausgekommen. Ihr Weiterleben ist gesichert. Nun also der Soundtrack, besser gesagt, die Gesamtaufnahme der Oper aus dem Londoner Abbey Road Studio, die dem Film als musikalische Untermalung diente. Im umfänglichen Textapparat dieser großformatigen Neuerscheinung, die mehr Bildband und Reiseführer denn CD-Album ist, wird darauf kein deutlicher Bezug genommen, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Rechtliche Gründe dürften dafür nicht ausschlaggebend gewesen sein, denn alle Mitwirkenden werden genau in den Kostümen abgelichtet, die sie im Film tragen. Wer vom Film nichts weiß, fragt sich, wie kommen die zu diesem Putz?

Es hätte Sinn gemacht, richtig zuzulangen, DVD und CDs zusammenzuführen, anstatt knauserig den einen Teil vom anderen abzukoppeln. Und es wäre Gelegenheit gewesen, einige irreführende Bemerkungen auf dem DVD-Cover klarzustellen. Dort wird nämlich unter Hinweis auf die „Originalschauplätze in Sachsen“ der Eindruck erweckt, als sei Webers Oper ein dort angesiedeltes Volksstück. Das ist sie nicht. Neubert hatte die Handlung seiner Version zwar in das Jahr 1813 nach Dresden verlegt, lässt sie nicht in Böhmen nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges spielen, wie es bei der Uraufführung der Oper 1821 angezeigt wurde. Das ist ein nicht unproblematischer Kunstgriff. 1813 erreichten die Befreiungskriege gegen Napoleon auf sächsischem Gebiet ihren Höhepunkt. Dörfer und Städte wurden zerstört, die Zivilbevölkerung in das militärische Geschen hineingezogen. Ende August 1813 tobte die Schlacht um Dresden, bei der Napoleon zum letzten Mal gegen die verbündeten Armeen Österreichs, Preußens und Russlands siegte, bevor im Oktober bei Völkerschlacht sein machtpolitisches Ende eingeleitet wurde.

DVD Freischütz Harding

Der Freischütz-Film ist auch auf DVD erschienen – Constaninfilm (HC087848)

Vor diesem Hintergrund setzt Neubert seinen Freischütz in Szene. Die Geschichte um den Probeschuss geht nach meinem Dafürhalten in diesem historischen Ambiente nicht ganz auf. Offenbar trieben auch Neubert selbst Zweifel um. Er stützt sein Konzept durch einen zusätzlichen Kunstgriff. Noch vor Beginn der Ouvertüre, die nach wenigen Takten von Kanonendonner regelrecht zerschossen wird, lässt er den Mythos als sagenhaftes Puppenspiel anklingen, bei dem sich echte Kinder in echtem Gras unter echten Bäumen räkeln. So realistisch und üppig bleibt die Optik den ganzen Film über. Es wurde nicht gespart. Als habe es die vielen Zumutungen, die diese Oper in den letzten Jahren in Opernhäusern über sich ergehen lassen musste, nie gegeben. Wieder so ein kommerzieller Opernfilm, der den Regeln des Regietheaters misstraut und in die konservativen bunte Bildersprache flüchtet, die schon bei Münchhausen mit Hans Albers bemüht wurde. Auf der CD bleiben die Schießgewehre bei der Ouvertüre im Schrank. Nur in die Dialoge und beispielsweise ins einleitende Getümmel mit dem Spottchor schieben sich lebensnahe Töne aus dem Film in die musikalische Darbietung hinein. Manchmal passt es, manchmal nicht. Ein sehr lebendiges Schwein grunzt hier wie dort. Im Film ist es zu sehen und erklärt sich selbst, auf der CD ist es nur zu hören und macht überhaupt keinen Sinn. Nicht zuletzt durch dieses Tier entpuppt sich die CD-Ausgabe als Abfallprodukt. Auch an anderen Stellen wirken übernommenen Dialogteile nicht schlüssig und zu abgehackt. Warum sprechen die nur manchmal so komisch? Elementare Unterschied zwischen Film und Hörspiel können nicht überbrückt werden.

Unangetastet bleiben die sängerischen Leistungen. Mit Juliane Banse ist die Agathe stimmlich reif besetzt. Sie singt ihre beiden großen Szenen mit Ruhe und Würde. Geht die Stimme in die Höhe oder will sie in Jubel ausbrechen, klingt sie angestrengt und nicht so genau wie in den getragenen Passagen. Die Sonne ihrer Kavatine im dritten Aufzug wird nicht nur von der Wolke verhüllt sondern leider auch von der Stimme. Regula Mühlemann gelingt ein entzückendes Ännchen. Sie füllte die Figur völlig aus, auch, weil sie noch sehr jung und am Beginn ihrer Karriere ist und nicht auf jung machen muss. Selten hatte ich an dieser Figur so viel Freude – und Spaß. Michael König kann sich nicht entscheiden, ob er seinen Max nun dramatisch und zupackend oder mehr lyrisch introvertiert anlegen soll. Er schwank hin und her, klingt mal so, mal so. Optisch kann er durch seine raumgreifende Darstellung wettmachen, was die Stimme nicht hergibt. Auf der CD fällt dieser Teil weg. Im spannungsgeladenen Terzett im ersten Aufzug kommt Michael Volle als Kaspar gegenüber Max nicht richtig zum Zuge – als sei er am Mischpult zurückgedreht worden. Wenn dann noch Kuno (Benno Schollum) hinzutritt, fällt es schwer, die Akteure auseinanderzuhalten. René Pape hat als Eremit zwar seinen großen Auftritt, hebt sich aber in in diese Szene gegen den Ottokar von Franz Grundheber vom Timbre her nicht genug ab. Er bleibt nicht elitär, sondern wird zur Ensemblefigur degradiert. Seinem Erscheinen hätte ein Schuss Magie gut getan. Die ist aber offensichtlich überhaupt nicht gewollt in dieser Produktion. Daniel Harding am Pult des London Symphony Orchestra hat sich für einen ehr klaren Stil entschieden und passt die gesamte Oper der realistischen Szene an. Auch der Rundfunkchor Berlin folgt dieser Lesart.

Der Freischütz als Filmmusik! Das ist vielleicht etwas drastisch ausgedrückt, aber es läuft darauf hinaus. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass nach dem Schluss der Oper – genau wie im Film – noch gut vier Minuten drangehängt wurden. Zunächst glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen. So leise und von irgendwoher kommt es. In das Vogelgezwitscher, Waldesrauschen und Glockegeläut mischen sich wie aus einer fernen, vergangenen Zeit einige musikalische Motive der Oper. Als sei die Natur in ihrer Unschuld wieder hergestellt. Wie Fernsehwerbung für deutschen Wald und Bio-Honig! Auch Meditationsmusiken klingen so und CDs, die zum Einschlafen aufgelegt werden können. Mit dem Freischütz hat das wenig bis nichts zu tun.   Rüdiger Winter

 

(Und übrigens – „Der Feischütz“ ist nicht „Hunter´s Bride“, wie auf dem Cover gleich groß gedruckt, da fehlt der Artikel! „Hunter´s Bride“ klingt wie eine Kneipe in Nord-England; selbst in Englisch heißt Der Feischütz nur Der Freischütz…). G. H.

Der fröhliche Wanderer

 

Ist es denn auch wirklich Schubert? Es ist Schubert! Und es ist auch keine Bearbeitung. Trotzdem klingt die Schöne Müllerin bei Rudolf Schock irgendwie anders. Weil ihr Schock seinen ganz unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Damit ist nicht nur das Timbre gemeint. Der Sänger grübelt nicht über diese und jene Ausdrucksnuance, versucht sich nicht in Tiefgang wie Fischer-Dieskau. Exegese liegt ihm fern. Wie in keiner anderen Aufnahme gerät der Zyklus in die Nähe von Wanderliedern. Er unternimmt nicht einmal den Versuch, die gute Laune abzulegen. Er singt drauflos, kann nicht anders. Er ist halt so, es ist sein Stil. Unverstellt und geradezu. Auch deshalb war und ist Schock so unglaublich populär. Bis heute. Am 4. September 2015 wurde seines 100. Geburtstages gedacht.

Aus diesem Anlass hat das schweizerische Label Relief, das sich leider etwas rar gemacht hat am Markt, diese Müllerin neu aufgelegt. Sie war 1959 von der Electrola produziert worden, hatte sich zur Rarität gemausert und liegt nun erstmals auf CD vor (CR 3006). Zeit wurde es. Am Klavier sitzt Gerald Moore, dem die Welt unglaubliche viele und bedeutende Liederplatten und Liederabende zu verdanken hat. Er folgt seinem Solist, schlägt ebenfalls optimistische Töne an. Nach zehn Liedern wird deutlich, dass sich Schock nicht zu steigern vermag und kein erkennbares Konzept hat. Ein Lied klingt wie das andere. Er zieht Töne gern nach oben, um sie dann etwas forciert herauszupressen. Ein technischer Defekt, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Auf diese Weise löst Schock seine Probleme mit der knappen Höhe. Mich stört das nicht. Etwas albern klingt es aber, wenn er sich beispielsweise im letzten Lied ins Falsett flüchten muss, um Töne außerhalb seiner natürlichen Tessitura zu treffen. In solchen Momenten rutscht seine durchweg sympathische und sehr empfehlenswerte Darbietung ins Triviale ab. Zur Müllerin werden noch drei Lieder gepackt: Auf dem Wasser zu singen, Nacht und Träume und Der Musensohn. Relief hat das Andenken an Schock immer sehr hochgehalten. Nun also die Lieder-CD, die trotz ihrer Eigenarten, die ja gleichzeitig ihre Besonderheit sind, dankbare Käufer finden wird.

CD Schock PortraitDieser Tage sind mir auf einem Berliner Flohmarkt die Erinnerungen von Rudolf Schock in die Hände gefallen. Das Buch ist 1986 im Herbig-Verlag erschienen. Schock, der im selben Jahr starb, hat es schreiben lassen. Sein Titel: „Ach, ich hab in meinem Herzen…“ Dieses Zitat stammt aus der 1936 in Hamburg uraufgeführten Oper Schwarzer Peter von Norbert Schultze. Für den Film Der fröhliche Wanderer hat Schultze das ursprüngliche Duett zu einem Lied für Schock, der selbst mitspielt, umgearbeitet. Wie das Lied ist der ganze Film eine Schnulze. In Dokumentationen, Büchern und Kund Datenbanken ist der Spott der Kritiker bis heute nicht verflogen. Schock machte sich wohl nichts daraus, weil er das Publikum auf seiner Seite wusste. Dennoch finde ich es irritierend, dass der Sänger sein reiches künstlerisches Schaffen unter dieses flüchtige Motto gestellt wissen wollte. Je älter er wurde, umso mehr sah er offenbar die Rolle seines Lebens als Fernsehstar. Nicht von ungefähr beginnen auch die Memoiren in diesem Metier: „Stille herrscht im Saal. Langsam wird auf der Bühne das Licht eingezogen, die Scheinwerfer richten sich auf mich …Unser Rudi. Ich bin mit Schock groß geworden. Noch bevor ich eine seiner Opernplatten unter die Finger bekam, nahm ich ihn ausschließlich als Mann auf dem Bildschirm wahr, genauso wie Frankenfeld, Kulenkampff oder Hänschen Rosenthal. Als das Farbfernsehn aufkam, fiel mir als erstes auf, dass seine Haare dunkelbraun wie Kastanien gefärbt waren.

CD Schock geht zu MaximDer Radius seiner Karriere war begrenzt. Nur selten ist er über den deutschsprachigen Raum hinaus gekommen, mehrfach nach London, zu Konzerten nach New York und Philadelphia. Viel mehr nicht. Dafür war er so tüchtig und unerschrocken wie sonst niemand auf seinen (fröhlichen) Wanderungen zwischen den Genres. Er kannte keine Berührungsängste, sang noch unter Furtwängler Beethoven und Wagner, wurde in Bayreuth als Stolzing gefeiert, war bei der Uraufführung von Liebermanns Penelope in Salzburg mit dabei, schwebte durch diverse Heimatfilme, nahm zwischendurch seinen berühmten ersten Freischütz unter Keilberth auf, konkurrierte mit Klein-Heintje, sang unter vielen Weihnachtsbäumen, arbeitete ein enormes Operettenrepertoire ab, war der Star mehrerer guter Opernverfilmungen, verbreitete im „Blauen Bock“ gute Laune, machte auch vor Schuberts Winterreise nicht halt. Seine Platten sind Legende. Sechzig klein bedruckte Seiten braucht es für die Diskographie in seinem Buch. Nicht mitgezählt sind die vielen Fernsehauftritte, bei denen er immer auch sang. So lässlich ich vieles von und mit Schock finde, so sehr hat mich diese Umtriebigkeit immer fasziniert. Viele Aufnahmen, die er hinterlassen hat, höre ich gern. Meistens komplette Opern oder Szenen.

Seine Operetten sind mir oft zu leichtfüßig, zu hingehuscht, zu glatt, statt des künstlerischen Gehaltes mehr die Umsatzzahlen im Blick. Offenbar waren sie von vornherein wohl auch als Massenware gedacht. Warum auch nicht? Im Archiv der EMI / Electrola, das jetzt bei Warner Classics gelandet ist, werden viele Einspielungen verwahrt. Ein Querschnitt einzelner Szenen ist jetzt auf zwei einzelnen CDs neu aufgelegt worden. „Da geh ich zu Maxim“ ist die eine betitelt (825646109951), die andere versteht sich als „A Portrait“ (5099961534223). Beide sind im Rahmen der preiswerten Serie Inspiration herausgegeben worden, kein Schnickschnack, nur mit den allernötigsten Informationen versehen. Ohne viel Federlesens wurden die Nummern zusammengestellt. Auf dem Portrait vertragen sich Cavaradossis letzte Arie „Und es blitzen die Sterne“ aus Puccinis Tosca sehr gut mit dem weinseligen Chianti-Lied von Gerhard Winkler. Das echte Italien trifft auf ein Italien, wie es sich die Nachkriegs(west)deutschen vorstellten. Auf der CD klingt eines wie das anderes. Das muss man auch hinbekommen. Unser Rudi kann das. Bei der Operetten-Auswahl wurde sich auch nicht lange aufgehalten. Von Bettelstudent über Madame Pompadour und Paganini zum Graf von Luxemburg – alles Selbstläufer.

CD Carmen Rudolf SchockDie Neuauflage der Carmen von Bizet, 1961 für die deutsche Electrola produziert wie fast alle Schock-Aufnahmen, nun auch bei Warner, ist eine gute Entscheidung (5099991230027). Schock singt an der Seite von Christa Ludwig den Don José, Hermann Prey den Escamillo, Melitta Muszely die Micaela. Es wird Deutsch gesungen, in der Rezitativfassung, mit der die Oper 1874 für Wien – und

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damit zwei Jahre nach der Uraufführung in Paris – ihren eigentlichen Siegeszug begann, der bis heute anhält. Es ist nicht die erste Aufnahme von Schock, der den José auch auf der Bühne gesungen hat. Bereits 1954 war das Werk bei Bayerischen Rundfunk unter Eugen Jochum eingespielt worden. 2004 hatte das schweizerische Label Relief die Aufnahme erstmals veröffentlicht. Sie ist schon deshalb von besonderem Interesse, weil sie – ebenfalls in deutscher Übersetzung – der Originalfassung mit den gesprochenen Dialogen nachempfunden ist. Schock spricht selbst.

Ein ausgesprochenes Highlight verstreckt das Label The Intense Media in seiner Geburtstagsbox für Schock, die Mozart-Gesamtaufnahmen enthält (600227). Gemeint ist der Mitschnitt der Eröffnungsvorstellung der neuen Hamburgischen Staatoper am 15. Oktober 1955 mit der Zauberflöte. Einige Szenen waren bereits vor einiger Zeit in der Sammlung „Rudolf Schock – Nachklang einer Stimme“ veröffentlicht worden. Nun also das komplette Dokument mit originaler Ansage und prominenter Besetzung. Schock ist der Tamino. Eine gewisse Knappheit ist schon damals in der Höhe feststellbar. Mit seinem langsamen Tempo, das auf der gesamten Aufführung mitunter wie Blei lastet, mutet der Dirigent Leopold Ludwig dem Sänger sowie dem gesamten Ensemble sehr viel zu. Colette Lorand aus Zürich, die die Königin der Nacht singt, geht darüber in ihrer zweiten Arie fast die Luft aus. Sie muss ihre Koloraturen regelrecht hinter sich her schleppen. Auch Arnold van Mill als Sarastro braucht einen langen Atem, um seine Auftritte durchzuhalten. Mit dieser Zauberflöte ist die amerikanische Sopranistin Anne Bollinger, die Schülerin von Lotte Lehmann gewesen ist, mit einer Hauptrolle dokumentiert – und zwar als Pamina mit etwas unstetem Ton. Krankheitsbedingt musste sie ihre Karriere frühzeitig beenden. Sie starb mit nur 43 Jahren. Niedlich gibt sich Anneliese Rothenberger als Papagena. Die anderen Aufnahmen sind gute alte Bekannte, denen man gern wieder begegnet. Die Entführung aus dem Serail entstand 1954 beim NDR unter Hans Schmidt-Isserstedt mit Schock als Belmonte. In den Dialogen wird er durch einen Sprecher ersetzt. Sein von Karl Böhm begleiteter Idomeneo wurde 1956 bei den Salzburger Festspielen mitgeschnitten. Die Cosi fan tutte (Ferrando) schließlich ist wiederum eine Rundfunkproduktion, diesmal von 1957 bei Bayerischen Rundfunk. Dirigent ist Eugen Jochum.

Box Schock Mozart-OpernRichard Wagner ist ein Kapitel für sich im künstlerischen Leben von Rudolf Schock. Mit Blick auf seinen 100. Geburtstag hat The Internes Media eine weitere Edition herausgebracht und darin genau dieses besondere Kapitel angerissen (600255). Mehr nicht. Eine 10-CD-Collection hat bei Wagner ihre Grenzen. Berücksichtigt wurden Der fliegende Holländer, Die Meistersinger von Nürnberg und Lohengrin (alle EMI). Die großen Ausschnitte aus Rheingold sind ein Sonderfall. Sie stammen aus einer NDR-Produktion von 1953, die mit großer Verspätung zuerst bei Walhall herausgekommen ist. Es gibt noch mehr Wagner mit Schock. Gleich zwei Rollen singt er in Furtwängler legendärem Tristan von 1952, nämlich den Seemann und den Hirt. In einem als Querschnitt produzierten Rheingold mit besonderen musikalischen Überleitungen, die so nicht von Wagner stammen, ist er – wie in der NDR-Produktion – der Froh. Und genau richtig besetzt. Eine Hauptrolle ist Froh nicht. Dafür hat er eine der schönsten Melodien zu singen, die ich von Wagner kenne: „Zur Burg führt die Brücke, leicht, doch fest eurem Fuß. Beschreitet kühn ihren schrecklosen Pfad!“ Deshalb sollte der Froh so luxuriös wie nur möglich besetzt werden. Dem Publikum muss der Atem stocken vor so viel Schönheit und musikalischem Ebenmaß. Produktionen aus jüngster Zeit sind meist nicht wählerisch bei der Auswahl ihrer Froh-Solisten. Oft geht der Auftritt sogar völlig unter. Mit seinem strahlenden Tenor, so leicht geführt wie die Regenbogenbrücke leicht ist, schafft es Schock, genau diese kurze Szene nach dem Gewitterzauber zu einem Höhepunkt – wenn nicht dem Höhepunkt des ganzen Werkes zu machen. Schock ist genau richtig. Er hat die Rolle auch auf der Bühne verkörpert, am Beginn der Karriere 1936 in seiner Heimatstadt Duisburg. Im selben Jahr wurde er als 1. Tenor für den Chor der Bayreuther Festspiele engagiert.

1-Box Schock singt WagnerAuf seine erste und einzige große solistische Aufgabe in Bayreuth musste er noch ein Vierteljahrhundert warten. Wieland Wagner, der 1958 mit Schock in Hamburg den José in Carmen erarbeitet hatte, hielt offenbar viel von ihm und lud ihn im Jahr darauf für den Stolzing nach Bayreuth ein. Das sorgte für reichlich Aufmerksamkeit, inklusive Kopfschütteln. Schock hatte zu dieser Zeit bereits in ganz anderen Rollen Furore gemacht. Mit diversen Operetten zum Beispiel und als Franz von Schober in dem krachbunten Spielfilm Dreimädlerlhaus, in dem der Schauspieler Karlheinz Böhm vorgibt, Franz Schubert zu sein. Auch die der Samstagabend-Unterhaltung verpflichtete TV-Karriere kündigte sich bereits an. Bei allen diesen Gegensätzen passte Schock zum Stolzing, der der auch völlig neue Töne anschlägt, dann kleinbeigibt und sich schließlich in den erlauchten Kreis der Meistersinger aufnehmen lässt. Für mich ist er ein unkonventioneller Stolzing. Mit seiner lyrischen Stimme ist er mir sogar lieber als ein klassischer Heldentenor. Er überzeugt mich mehr, ist glaubwürdiger. Und es wird einmal mehr deutlich, dass Wagner auch mit Mozart- und Operettenerfahrung gesungen werden kann. Dafür gibt es ja auch andere Beispiele wie der fast gleichaltrige Wolfgang Windgassen, Franz Völker oder Marcel Wittrisch. In dieser Tradition steht Schock. Damals soll er sich mit weiteren Plänen für Wagner getragen haben.

Aus einem Interview ist überliefert, dass er sich sogar den Siegmund habe vorstellen können. Daraus wurde nichts. Wer weiß, wofür es gut war. Bühnenauftritte in Wagner-Opern sind bei Schock sehr übersichtlich. Letztlich siegte bei ihm wohl die Einsicht, mit seinen stimmlichen Mitteln hauszuhalten. Den Walther von Stolzing hat er nur 1959 in Bayreuth gesungen. Ein einziger Auftritt ist im Jahr darauf an der Wiener Staatsoper dokumentiert. Als Lohengrin ist er 1957 in Braunschweig und 1959 in Hamburg und Bremen aufgetreten. Dazu der bereits erwähnte Froh. Viel mehr kommt nicht zusammen. Statt der Meistersinger unter Kempe hätte sich der von Erich Leinsdorf dirigierte Bayreuther Mitschnitt besser gemacht, der zuletzt vor fünf Jahren bei Myto erschien. Hingegen ist die Studioproduktion noch genauso zu haben ist wie der Holländer und Lohengrin. Ich möchte den Sammler sehen, der sie nicht schon im Schrank hat. Rüdiger Winter

Ein Mitschnitt wie aus dem Studio

Sebastian Weigle gilt als Sachwalter der Opern von Richard Strauss. Wo immer er diese Werke dirigiert, sind ihm freundliche Kritiken sicher. Die Frau ohne Schatten, 2003 an der Oper Frankfurt von Christof Nel in Szene gesetzt und von Weigle musikalisch betreut, brachte ihm die Auszeichnung als Dirigent des Jahres ein. Mit einer Wiederaufnahe im Herbst 2014 hat er an diesen Erfolg anschließen können. Ein Mitschnitt, der jetzt beim Label OehmsClassics herausgekommen ist (OC 964), legt davon Zeugnis ab. Wie dem Booklet zu entnehmen ist, wurde eine ganze Serie, die sich über zwei Monate erstreckte, aufgenommen. Techniker an den Mischpulten konnten sich daraus bedienen. Sie bevorzugten eine radikale Variante. Publikumsgeräusche sind eliminiert. Es wird weder gehustet, geräuspert oder geraschelt, und gibt keinen Beifall, was etwas schade ist. Aktschlüsse im Opernhaus geben dem Publikum die Möglichkeit, sich von Spannungen durch einen Aufschrei der Begeisterung zu befreien oder aber eine weniger gelungene Leistung mit einen scharfen Buhkonzert zu quittieren. So ist das seit jeher auf dem Theater. Ich habe noch keine Frau ohne Schatten erlebt, bei der es nach dem Ende des zweiten Aufzuges keine lautstarke Entladung im Publikum gegeben hätte – so wie ein Donnerschlag nach einem gewaltigen Blitz. „Übermächte, sind im Spiel! Her zu mir!“ Auf die Beschwörung der Amme, zu der das Färberhaus in Stücke gerissen wird, folgt nun Stille wie nach den Vier letzten Liedern. Da fehlt mir was. Das ist wie Strandspaziergang ohne Meeresrauschen. So zu tun, als sei die Liveaufnahme dem Studio entsprungen, erweist sich wieder einmal als die unvollkommenste Lösung bei der Verwertung von Mitschnitten.

Dennoch. Die zusammengestückelte Aufführung sitzt. Es läuft alles glatt. Mit seiner Interpretation hat Weigle die inzwischen sehr lange Liste von Mitschnitten und Studioproduktionen des Werkes, das seinen Ausnahmewert und Festspielcharakter längst eingebüßt hat, bereichert. Wer eine Neigung zu diesem schwierigen Stück besitzt, wird um die Anschaffung nicht herum kommen. Sie lohnt sich. Auch wegen der Sänger, die einen guten Job machen, auch wenn ich mir hier und da etwas mehr Farbe, Persönlichkeit und Individualität gewünscht hätte. Als kaiserliches Paar treten Burkhard Fritz und Tamara Wilson auf, ihre Pendant aus der arbeitenden Bevölkerung sind Terje Stensvold und Sabine Hogrefe als Barak und seine Frau. Die Amme wird von Tanja Ariane Baumgartner gesungen, der Geisterbote von Dietrich Volle. Alle sind bestens aufgelegt, scheuen aber das Risiko. Als wollten sie keine Fehler und ja alles richtig machen. Vielleicht haben den Sängern die Mikrophone zu sehr im Nacken gesessen. Bei allem Respekt vor der vorzüglichen Gesamtleistung, die Produktion wirkt weichgespült.

Weigle gelingt eine sehr geschlossene Darbietung, die niemals in Einzelteile zerfällt, obwohl das Werk von vielen Einzelteilen lebt, sinfonischen wie sängerischen. Er hält den viel beschworenen Bogen, wählt ein Tempo ohne Hast, welches es den Sängern gestattet, ihre Partien verständlich auszusingen. Sie werden das sehr zu schätzen gewusst haben. Es gibt immer Stellen und Szenen, auf die das Publikum im Saal oder am Lautsprecher gebannt wartet. Ob es nun der Gesang der Wächter zum Ende des ersten Aufzuges ist oder die Violine vor dem großen Auftritt der Kaiserin im dritten. Weigle isoliert diese betörenden Momente nicht, nimmt sie als Teil des Ganzen. Plötzlich sind sie da. Etwas weniger spektakulär und prominent, weil das, was sie vorbereitet, auch nicht vernachlässigt wird. Dieser Dirigent richtet alle Aufmerksamkeit aufs Ganze. Deshalb klingt seine Aufnahme sehr geschlossen.

Striche habe ich nicht ausmachen können. Es wird die komplette Fassung gespielt, einschließlich des vollständigen Melodrams der Kaiserin. Das ist so vorbildlich wie riskant, weil die Sänger auch hörbar an ihre Grenzen kommen, je weiter der Abend voran schreitet. Stehen sie erst einmal auf der Bühne, können ihnen weder Techniker mit ihren Mischpulten, noch der Dirigent Weigle selbst helfen. Sie müssen da durch. Über weite Strecken herrscht eine vorbildliche Wortverständlichkeit, wie das bei diesem Werk leider nicht immer der Fall ist. Im hochdramatischen Hin und Her zwischen Kaiserin, Amme, Barak, dessen Frau und mehreren geheimnisvollen Erscheinungen in dritten Aufzug ist dann kaum mehr etwas zu verstehen. Es geht drunter und drüber, wie in der sich zuspitzenden Handlung selbst. Auch ein nachträglich bearbeitetet Mitschnitt kommt hier an seine Grenzen. Produktionen aus dem Studio klingen naturgemäß klarer, weil es bei der Aufnahme bessere Möglichkeiten gibt, die Stimmen auseinander zu halten, zu experimentieren, wenn etwas nicht auf Anhieb gelingt. Ein Mitschnitt bleibt ein Mitschnitt.      Rüdiger Winter

„Mozarts göttliches Lächeln“

 

Diesem Leuchtenden begegnet zu sein, ihn ein Stück seines Weges begleitet zu haben, ist ein Geschenk, das man nur mit Dankbarkeit empfangen kann.“ Mit diesen Worten von 1964 wird Dietrich Fischer-Dieskau im Booklet der 37-CD-Box mit sämtlichen Opern und Vokalwerken zitiert, die Ferenc Fricsay für die Deutsche Grammophon aufgenommen hat. Fischer-Dieskau fühlte sich dem Dirigenten völlig zu Recht verpflichtet. Er hat ihn zu einigen seiner schönsten Einspielungen verholfen. Nie hörte ich den Bariton freier, gelöster und natürlicher singen als unter Fricsay, der auch seine Soloplatte mit französischen und italienischen Arten leitete. Als ich mir jetzt seinen Don Giovanni, Papageno und den Gluckschen Orpheus wieder anhörte, fand ich das eindrucksvoll bestätigt. Die Opern sind zwischen 1955 und 1958 eingespielt worden. Dem Conte di Almaviva im Figaro konnte ich meine frühere Begeisterung nicht mehr ganz so vorbehaltlos abgewinnen. Die Stimme ist etwas spröder und härter geworden. Koloraturen gehen dem Sänger nicht mehr wie von selbst über die Lippen. Fischer-Dieskau singt mehr mit dem Verstand, sein Interpretationsansatz ist intellektueller. Produziert wurde der Figaro 1960. In der Karriere von Fischer-Dieskau vollzieht sich um diese Zeit eine Wende. Er verliert nach meinem Eindruck seine stimmliche Unschuld.

Fricsay - Opernedition DGMit der neuen Box (00289 479 4641) vollendet die Deutsche Grammophon ein ehrgeiziges Projekt, das im vergangenen Jahr mit der Wiederveröffentlichung aller sinfonischen Werke auf 45 CDs begann (0289 479 2691). 2014 wäre Fricsay hundert Jahre alt geworden. Eine Vorstellung, die bei einem Mann, der keine Fünfzig wurde, schwer fällt. Fricsay ist immer jung geblieben. Nun sind noch einmal 37 CDs dazu gekommen, so dass sich die gesammelten Werke auf 82 CDs erhöhen. Nicht mitgerechnet sind Produktionen beim Rundfunk und weitere Mitschnitte, die bei anderen Labels wie Audite und Hänssler herausgekommen sind. Audite hat sogar eine eigene Edition mit mindestens zehn Alben aufgelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass noch mehr hinzukommt. Zuletzt legte Orfeo Frank Martins Zaubertrank aus Salzburg vor. Fricsay hatte dieses musikdramatische Werk, halb Oper, halb Oratorium, bei den Festspielen 1949 mit Maria Cebotari und Julius Patzak in den Hauptrollen zur Aufführung gebracht. Im Großen und Ganzen wurde der Nachlass des Dirigenten gut erschlossen. Dessen Lordsiegelbewahrer ist und bleibt die Deutsche Grammophon, mit der Fricsay bereits 1948 einen Exklusivvertrag abgeschlossen hatte, an dessen Beginn Tschaikowskys 5. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern stand. Damit war zugleich das Ende der Schalllackplattenära gekommen.

Fricsay Don Giovanni DGIn vielerlei Hinsicht ist Fricsay ein Neuerer gewesen – künstlerisch wie technisch. Als hätte er ein Fenster aufgestoßen, durch das ein ganz frischer Wind hereinwehte. Die unmittelbaren Erinnerungen verblassen. Zeitzeugen wachsen nicht nach. Wer ihn noch in der Oper oder im Konzert erlebt hat, vergisst das jedoch nie. Ein alter Freund, auf dessen musikalisches Urteil ich sehr viel gebe, berichtete immer wieder, dass Fricsay ihn regelrecht elektrisiert habe. Man sei nicht wieder von ihm losgekommen, ganz gleich, welches Werk auf dem Programm stand. Mozart oder Strawinsky. Das Entscheidende sei immer die Musik gewesen. Dennoch hat Fricsay – wie alle Dirigenten – Vorlieben gepflegt. Mozart war sein Ein und Alles. Er scheut sich nicht, das in sehr euphorische Worte zu kleiden. „Mozart ist einer der Größten, der je auf dieser Erde gelebt hat“, sagt er in einem akustischen Selbstporträt von 1962, das der Edition beigefügt ist. Aus Fricsays Mund klingt dieses Werturteil wie der Weisheit letzter Schluss, absolut stimmig und völlig unanfechtbar. Mit Mozart werde ein Musiker nie fertig. Wenn man nur für diesen einen Komponisten auf die Welt gekommen wäre, hätte das Leben schon einen Sinn, so Fricsay.

Fricsay Zauberflöte DGMit vierzehn CDs beansprucht Wolfgang Amadeus Mozart denn auch fast die Hälfte des Platzes, den die Edition zu bieten hat. Don Giovanni war schon im Zusammenhang mit Fischer-Dieskau in der Titelrolle genannt. Mit Sena Jurinac (Anna) und Maria Stader (Elvira) entschied sich Fricsay für ausgesprochen lyrische Stimmen. Irmgard Seefried als Zerlina konnte ihre Erfahrungen aus dem Wiener Mozart-Ensemble beisteuern. Ernst Haefliger, der Don Ottavio, war Fricsays Entdeckung und sein Ideal eines Mozart-Tenors. Er setzte ihn auch als Belmonte in der Entführung aus dem Serail, als Tamino in der Zauberflöte und als Idamante bei der Salzburger Produktion von Idomeneo von 1961 ein. Alle drei Opern sind in der Sammlung enthalten, Idomeneo als Mitschnitt, die übrigen aus dem Studio. In den italienisch komponierten Opern, die auch in der Originalsprache gesungen werden, fällt die rasante Gestaltung der Rezitative auf. Sie sind wie aus einem Guss, stehen gestalterisch den Arien, Duetten und Ensembles um nichts nach. Bei den Aufnahmen muss allergrößte Sorgfalt darauf verwendet worden sein, ohne, dass die harte Arbeit zu spüren ist. Alles fließt ganz unbeschwert dahin. Es grenzt an Wunder, wie sich Inhalte und Handlungsverläufe auch demjenigen erschließen, der des Italienischen nicht mächtig ist. Selten war ich von Rezitativen so hingerissen wie im Don Giovanni und im Figaro. Leider gibt es keine Cosi fan tutte. Sie war in Salzburg geplant, sollte auch eingespielt werden. Fricsay wäre genau der Richtige für dieses hintersinnige Werk gewesen. Mit welchen göttlichem Lächeln habe Mozart darin die Liebe behandelt, sagte er in seinem Interview. „Mozart flüstert uns zu, mit der Liebe ist es nicht leicht umzugehen.Man lache, aber es treffe einen ins Herz.

Fricsay Arien mit FiDi DGNeben den Opern findet sich auch die berühmte Einspielung der Großen Messe in c-Moll von 1959 mit dem beglückenden „Laudamus te“ des Soprans der Stader in der Box. Für mich durch ihre Klarheit und Leuchtkraft eine der bedeutendsten Mozart-Einspielungen. Mit dieser Aufnahme habe ich Mozart lieben gelernt. So muss es klingen. Ich komme von der Aufnahme nicht los, obwohl die Messe seither vielfach eingespielt worden ist. Sie ist mein Maßstab, klingt in meinem Ohren völlig zeitlos. Sie könnte gestern aufgenommen worden sein, wenn es denn einen geben würde, der es Fricsay gleich tut, in seiner Liga spielte. Als Langspielplatte gelangte diese Messe in einer ungarischen Pressung auch in den Osten. Später entdeckte ich sogar eine sowjetische Pressung in einer sehr abgelegenen sibirischen Stadt. Mitten im Kalten Krieg. Mir kam es immer so vor, als habe Fricsay mit seinem Mozart den Eisernen Vorhang überwunden, bevor der tatsächlich in sich zusammenfiel. Auch das Requiem darf nicht fehlen. Es ist die sehr frühe Aufnahme mit Elisabeth Grümmer, Gertrude Pitzínger, Helmut Krebs und Hans Hotter, die stilistisch nicht an die Messe herankommt, zumal Hotter viel zu mächtig klingt und mit seiner Wotanstimme fast den Rahmen sprengt.

Mit dem Namen Ferenc Fricsay ist der Übergang vom Mono- ins Stereozeitalter verknüpft. 1958 kamen die ersten Stereo-Platten auf den Markt. Diese technische Revolution schlägt in der Sammlung bereits hörbar durch, wenngleich die meisten Einspielungen noch in Mono sind. In einem Werk, nämlich der Studio-Produktion von Haydns Jahreszeiten aus dem Jahr 1961, geht der Umbruch sogar mittendurch. Frühling, Sommer, Herbst, sind noch in Mono, der letzte Teil, der Winter, bereits in Stereo. Das dürfte Seltenheitswert haben in der Geschichte der Tonträger. Mir ist kein anderes Beispiel bekannt. Nicht in allen alten Ausgaben ist das so deutlich gekennzeichnet wie in der exakten Dokumentation der Edition. Die erste Einspielung des Oratoriums stammt von 1952 und ist demzufolge durchweg in Mono. Sie hebt sich durch ihre Besetzung mit Elfride Trötschel, Walther Ludwig und Josef Greindl heraus. In einem Internet-Klassikforum verbreitete sich unlängst ein Sammler mit der Auffassung, dass ihm Monoaufnahmen gar nicht erst ins Haus kämen. Stereo müsse es sein. Mit ihm möchte ich nicht tauschen. Ich würde mich ja um den halben Fricsay bringen. Meine geliebte Messe könnte ich behalten, die ist nämlich Stereo. Interessiert hat mich das nie wirklich, weil es mir nicht wichtig war, hinter Fricsay und Mozart zurückstand. Erst jetzt, als ich die Messe wieder höre, werde ich mir des sicher nicht unwichtigen Details bewusst. Gewiss soll und muss Musik auch gut klingen. Im Falle von Fricsay gelten für mich andere Maßstäbe, treten die technischen Aspekte etwas zurück. Keine Aufnahme wird allein dadurch genialer, dass sie in Stereo produziert ist.

Fricsay Holländer DGDie Herausgeber gönnen sich den Luxus, den Jahreszeiten gleich auch das Requiem von Giuseppe Verdi zweifach anzubieten, einmal aus dem Studio (1953), das oft die Berliner Jesus-Christus-Kirche war, und dann noch als Live-Mitschnitt von 1960, gekoppelt mit den Quattro pezzi sacri. Zwischen beiden Dokumenten liegen sieben Jahre, für Fricsay entscheidende Jahre. Immer ist Maria Stader der Sopran. Marianna Radev, zu scharf in der ersten Aufnahme wird später durch die fulminante und sinnliche Oralia Dominguez ersetzt. Helmut Krebs und Gabor Carelli, die Tenöre, sind ihren Aufgaben im Vergleich mit der harten Konkurrenz bei diesem Werk nicht gewachsen, was so auch für die Bassisten Kim Borg und Ivan Sardi gilt. Es fehlt ganz einfach an stimmlichem Glanz. Nur aus dem Aufnahmejahr 1954 heraus, ist auch das Stabat Mater von Rossini zu verstehen. Mit dem Tenorpart tut sich Haefliger diesmal schwer. Ich zögere nicht, den Verdi und den Rossini mit dem Etikett „streng historisch“ zu versehen. Denn das sind sie. Heute wirkt dieser Versuch, beide Werke dem deutschen Publikum näher zu bringen, über weite Strecken naiv und harmlos.

Auffällig ist Fricsays Hinwendung zu Werken, die seinerzeit im deutschsprachigen Raum wenig bekannt waren. Dazu gehört Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg. Unter Fricsays Leitung haben sich zwei Dokumente erhalten. Am Beginn steht der Mitschnitt einer konzertanten Aufführung 1953 in Stockholm mit Birgt Nilsson und Bernhard Sönnerstedt. Bemerkenswert ist, dass der Ungar Fricsay das Werk seines Landsmannes in Schweden deutsch singen lässt. In dieser Fassung nahm er die Oper auch 1958 mit der Töpper und Fischer-Dieskau für die Deutsche Grammophon auf. In die Kategorie von Stücken, die dem Label nicht die größten Umsätze beschert haben dürften, gehören auch Oedipus Rex von Igor Stravinsky mit der Stammbesetzung Haefliger, Töpper, Sardi sowie Zoltán Kodálys Psalmus Hungaricus, Studio und live, beide Male mit Haefliger. In der Edition und mit zeitlichem Abstand haben diese Werke, die heutzutage zum Standardrepertoire gehören, ihren revolutionären Schrecken verloren. Sie sind Klassiker geworden. Fricsay hat damit das musikalische Angebot stark bereichert und inspiriert.

Fricsay Fidelio DGWas noch? Der Fidelio mit Leonie Rysanek und Haefliger soll nicht unerwähnt bleiben, auch wenn er fast in jedem Plattenregal steht, früher in einer schönen Plattenbox, stabil wie der Einlegeboden für einen Kleiderschrank, dann in vielen unterschiedlichen CD-Alben, jetzt – wie alle anderen Titel der Edition auch – der originalen Erstausgabe optisch nachgestaltet. Bei Wagners Fliegendem Holländer von 1952 mit Josef Metternich ist es Zeit, endlich wieder einmal daran zu erinnern, dass es sich um eine Maßstäbe setzende Grammophon-Produktion handelt. Zu oft ist sie bei Billiglabels verramscht worden. Es war die erste, ausschließlich für den Plattenmarkt entstandene Aufnahme.

Entzücken und Wehmut zugleich überkommt mich bei der Fledermaus von Johann Strauß, die ich mir auf einen Ritt wieder anhören musste. Erst einmal im Player, findet sich einfach keine Gelegenheit, die Aufnahme anzuhalten. Fricsay schüttelt sie, mit einer Prise Mozart und Rossini versehen, ganz locker aus dem Ärmel. Ach, wäre ihm doch mehr Zeit für Operetten geblieben. Seine Diskographie wäre noch reicher, wenn sich das überhaupt vorstellen lässt. Kaum Wünsche lässt die Besetzung offen. Anny Schlemm als Rosalinde und Rita Streich als Adele sind wie geboren für das Genre. Helmut Krebs fühlt sich als Alfred viel wohler denn als Tenor, der im Verdi-Requiem das „Ingemisco“ zu bestehen hat. Und dann erst Peter Anders als Eisenstein. Fricsay muss ihn geschätzt haben, denn er hatte ihm auch als Solist für einen Strauß-Abend 1951 im Berliner Titania-Palast verpflichtet, der inzwischen bei Audite herauskam. Peter Anders ist neben der Cebotari und der Trötschel der dritte Künstler, der früh aus dem Leben gehen musste – genauso wie der Maestro, der mit allen dreien erfolgreich zusammenarbeitete. Es gibt da keinen ernstzunehmenden Zusammenhang. Außer, man glaubt daran, dass die Götter jene schon in jungen Jahren zu sich holen, die sie am meisten lieben. Mir scheint, diese neue Ausgabe der Fledermaus klingt besser als die bisherigen. Leichte Übersteuerungen sind wie weggeblasen. Das Klangbild ist ausgeglichen, die von dem einst allmächtigen Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen betreute Rezitativfassung vermittelt durch geschickte Platzierung der Mitwirkenden einen Anflug von Stereophonie. Eine schöne Illusion.   Rüdiger Winter

Hinzuweisen ist auf die Bonus-DVD in der Edition. Fricsay probt und dirigiert in den Filmdokumenten mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin den Zauberlehrling von Paul Lukas und die Háry János Suite seines Lehrers Zoltán Kodály. Foto oben youtube.

La Gloria d`Italia….

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Nur ein kleiner Kreis ausgewählter Sammler und aficionados weiß, dass die Amerikanerin Anne McKnight als Anna De Cavalieri in die italienische Nachkriegsgeschichte des Gesangs eingegangen ist und sich dort als bemerkenswerter spinto-Sopran einen leuchtenden Namen gemacht hat (das Foto oben zeigt sie im Kostüm der Turandot/HeiB). Sie starb am 29. August 2012 in ihrem langjährigen Wohnort Lugano und hatte dort ihren Lebensabend – nach einer erfüllten Karriere fast nur in Italien – verbracht. In der Tat gilt sie – wie ihre Soprankollegin Südtirolerin Ina del Campo oder die ältere Amerikanerin Dusolina Giannini – als Italienerin, war sie doch die ideale Verkörperung des italienischen melodramma und eine der in jener Zeit zahlreichen erstklassigen Sängerinnen für das große Repertoire wie die Frazzoni, Guerrini, Mancini oder auch Pobbe. Ihre kraftvolle, hochindividuelle und sofort wiedererkennbare Stimme hatte absolut keine Mühe mit ihren Partien, von denen sie zahlreiche im Gepäck hatte: Wally, Sakuntala, Elena/Boito, Turandot/Busoni und Puccini, Rossana/Alfano, Lucrezia/Respighi oder Loreley, aber eben auch Aida und das klassische Fach. Bemerkenswert und für mich die schönste (und weitgehend einzige offizielle) Aufnahme ist ihre Armide von Gluck, die sie bei der RAI einspielte (und die auf Melodram als LP erschien), aber sie gab auch dessen Alceste, sang in vielen Uraufführungen mit und war eben diese risikofreudige Mischung aus amerikanischer Unvoreingenommenheit und italienischer Tradition. Als Anne McKnight wurde sie am 27.August 1924 in Aurora/Illinois geboren, nahm Unterricht bei den renommierten Lehrern Gilderoy Scott und Evan Evans und später bei Giuseppe Pais in Italien. Ihre Anfänge begannen unter ihrem eigenen Namen an der New York City Opera als Marschallin(!); 1961 sang sie die Turandot (auf dem Foto im Kopfschmuck der Partie/Heinsen/Wilhelm) und Tosca in Rio. Dann kam das Engagement nach Italien, wo sie in Folge fast ausschließlich auftrat – neben einigen Einladungen in Brüssel 1964 als Tosca und als Norma in Toulouse 1964. „Zu Hause“, in Italien, sang sie vor allem für die RAI und dort viele moderne Werke, aber eben auch in allen Häusern von Brescia bis Turin, Cremona und Padua, vor allem in Rom. Sie war dort Tosca, Matilde/Tell, Turandot/Puccini, Fedora und viele andere Opernheldinnen mehr. Sie hat meines Wissens als offizielles Dokument nur die Armide bei Melodram hinterlassen, aber die zahlreichen Rundfunkmitschnitte kursieren unter Sammlern und hinterlassen ein memento einer großen, wirklich bedeutenden spinto-Sängerin, wie es sie heute nicht mehr gibt.

Caterina Mancini als Norma an der Scala 1958/HeiB

Caterina Mancini als Norma an der Scala 1958/HeiB

Nur wenige kennen noch das bizarre Foto der dicken Frau mit der Handtasche, eingerahmt voneiner ähnlich umfangreichen Dame und in der Mitte ein beleibter alter Herr mit einer Hose fast unterm Kinn – Caterina Mancini neben Lucia Danieli und dem Dirigenten Tullio Serafin im Pausenchat bei den Philips-Aufnahmen zu Rossinis Mosè 1956. Die Biederkeit der Optik täuscht, denn mit Caterina Mancini steht/sitzt eine der wichtigsten Nachkriegssängerinnen Italiens vor uns, die wie Maria Vitale nur wegen der glamouröseren Kolleginnen Tebaldi, Stella oder Callas ins Vergessen geraten ist. Sie starb am 21.Januar dieses Jahres (geboren wie ihre Kollegin oben ebenfalls 1924, am 10.November). Wie die Kolleginnen Vitale, Frazzoni und andere bereits genannte war auch sie der Felsen, auf dem das Opernleben der Nachkriegszeit in Italien ruhte, sie war die große Protagonistin der Verdi-Gedenkfeiern 1951 und nahm bei der RAI (weitgehend übernommen durch die Cetra, heute Warner) einen riesigen Verdi-Katalog auf, den sie sich mit Maria Vitale teilte. Vieles aber hat nicht den Weg auf die CD gefunden und kursiert nur unter den Fans, namentlich Attila oder Oberto mit ihr zeugen von der großen, üppigen und schönen Stimme, die sich furchtlos durch Abigaille ebenso durcharbeitete wie durch die Norma Tosca oder Santuzza (beide bei Philips/LPs). Ihr triumphales memento ist eine Forza als Soundtrack des Opernfilms bei der RAI Anfang 50 und ein Mitschnitt aus Philadelphia in derselben Partie (mit Prevedi). Eine absolut tolle, hinreißende „Allzweckwaffe“ ist hier zu hören, eine Stimme und Sängerin, die an heutigen Theatern die meisten Partien bestreiten könnte und die in ihrer Heimat in den 50ern/60ern in so populären Häusern wie Neapel oder Palermo und eben viel beim Radio sang. Ein später Nabucco aus Hilversum (auf CD) soll nicht unerwähnt bleiben, auch nicht ihre Amelia in der Erstaufführung von Donizettis Duca d´Alba 1951 oder ihre Elisabetta von Rossini zu Ehren der Krönung der britischen Monarchin 1953 (beide Melodram etc.). Die Mancini wurde in Genzano bei Rom geboren und starb in der Ewigen Stadt. Sie debütierte als Verdis Giselda 1950 in Florenz, an der Scala 1951 als Lucrezia Borgia. Sie nahm an der Verdi- Renaissance teil, sang aber eben auch viele spinto-Partien wie Gioconda oder Tosca. Ab 1960 zog sie sich aus gesundheitlichen Gründen allmählichvon der Bühne zurück und lebte in Rom, 1963 sang sie den Altpart (!) im Messias an der Dallas Opera anlässlich der Gedenkfeier für Kennedy. Mehrere Anfragen zu einem Interview scheiterten an ihrem schlechten Gesundheitszustand – nun starb sie im Januar letzten Jahres – was für ein Verlust. Auch mit ihr ging eine ganze Ära von erfülltem, erfühltem und hochindividuellem Gesang zu Ende.

Ebe Stignani als Santuzza an der Met/HeiB

Ebe Stignani als Santuzza an der Met/HeiB

Die große Ebe Stignani wäre in diesem Jahr, am 10.Juli, 101 Jahre alt geworden (sie starb am 5. Oktober 1974) – und auch an sie muss erinnert werden, denn sie war in ihrer langlebigen Karriere die „italienische Oper“ schlechthin. Noch neben der 30 Jahre jüngeren Callas ist sie 1951 auf einem Norma-Foto zu sehen (in London), wo die jüngere sie als „Oh giovinetta“ anredet, was sicher ein Lächeln auf die Gesichter des Londoner Publikums zauberte. Aber ihre sopranlastige helle Mezzostimme war und ist für die Adalgisa so viel mehr geeignet als die robust-dunklen „Mutterstimmen“ der vielen Kolleginnen in dieser Partie (bis heute). Ihre Langlebigkeit war durchaus auch für jüngere Kolleginnen ein Fluch, denn die Simionato erzählt, wie lange sie gebraucht hatte, bis endlich die Stignani abtrat und den Platz für eine Nachfolgerin freimachte, was sie dann auch geworden ist. Die Stignani wurde in Neapel geboren, ging dort ans Konservatorium, debütierte um 1925 als Amneris, war dann an der Scala Eboli unter Toscanini und blieb dem Hause treu bis zum Ende ihrer Karriere, sie sang alle großen italienischen Mezzopartien, aber auch Ortrud, Brangäne oder Dalila (in Italienisch) unter De Sabata. Außerhalb Italiens trat sie vermehrt in San Francisco auf, auch an der Met als Amneris und 1952/57 neben Maria Callas als Adalgisa in Covent Garden (und in der für mich wirklich besten Callas-Norma bei der RAI 1955). Die für jene Zeit obligate Südamerikatour jener Jahre führte sie nach Buenos Aires, aber sie sang auch in den europäischen Hauptstädten, sogar in Berlin (1933, 1937 und 1941 im Rahmen der entente cordial mit Italien). Neben den traditionellen Rollen ihres Faches war sie auch in zeitgenössischen Werken zu hören – Respighis Lucrezia oder Lattuadas Cathos zählten zu ihren Erfolgen. 1958 nahm sie ihren Bühnenabschied und lebte in Imola, wo sie verheiratet war und einen Sohn hatte. Ihre Stimme scheint mir in den zahlreichen Dokumenten (bei Cetra, EMI und auf dem grauen Markt) eine sehr flexible, umfangreiche zu sein, sopranbetont und von gutem Atem und erstklassiger Technik getragen. Der Ton selbst kann unangenehm sein, kann auch scharf werden, aber sie kann ebenso weite Kantilenen spinnen und dramatisch außerordentlich zupacken, wie als Dalila mit tollen Glottis. Ihre Eboli ist gefährlich, man möchte ihr nicht im dunklen Garten begegnen, ihre Adalgisa (Callas oder Cigna wesentlich früher) zeigt, dass sich die helle Mezzostimme über die langen Jahre kaum veränderte und ihre Jugendlichkeit bewahrt hatte. Auch die Stignani gehört zu jener Gruppe legendärer italienischer Sänger, die mir als jungem Mann am Beginn meiner Sammlerkarriere beispielhaft die Lust zur Oper beigebracht hat. Fortunati noi! G. H.

Fehltritt mit Carmen

 

Der heute sicher nicht mehr sehr vielen bekannte Dirigent Leo Blech wurde 87 Jahre alt. Sein langes, an Ereignissen reiches Leben auf nur hundert Seiten abhandeln zu wollen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu noch im Format A 6. Die Schriftenreihe Jüdische Miniaturen gibt aber nun mal nicht mehr Platz her. So sind die Vorgaben. Es blieb also keine Wahl. Verknappung und Konzentration können auch von Vorteil sein. So ein Büchlein lässt sich gut verstauen, man ist schnell durch, findet Stellen und Sätze, die einem wichtig und nachdankenswert erscheinen, leicht wieder, merkt sich Einzelheiten, gelungene wie weniger gelungene. Fast jeder Satz ist ein Fakt. Ich habe das im Verlag Hentrich & Hentrich unter Schirmherrschaft des Centrum Judaicum erschienen Büchlein über den Komponisten, Kapellmeister und Generalmusikdirektor mit Erbauung und Gewinn gelesen. Auch deshalb gern gelesen, weil es an einigen Stellen zum Widerspruch herausfordert. Solche Bücher sind mir die liebsten.

2013 wurde das Grab von Leo Blech in Berlin eingepennt, der Stein später an anderer Stelle wieder aufgestellt. Foto: Sommerroggen

2013 wurde das Grab von Leo Blech in Berlin eingeebnet, der Stein später an anderer Stelle wieder aufgestellt. Foto: Sommeregger

Der Einstieg von Herausgeberin Jutta Lambrecht ist kämpferisch. Zu Recht. 2013 hatte Berlin unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt“ auch im öffentlichen Straßenbild jener jüdischen Künstler gedacht, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Blech war einer von ihnen. Und genau in diesem Jahr wurde sein Grab auf dem idyllischen Friedhof an der Berliner Heerstraße, wo auch Dietrich Fischer-Dieskau, Frida Leider, Margarete Klose und Frieda Hempel ihre letzten Ruhestätten haben, dem Erdboden gleichgemacht. Der Stein – wie es im Text noch gnädig heißt – „abgesägt und hingeworfen gegenüber auf der Wiese“. Man könnte es auch viel deutlicher formulieren. Ungläubigkeit machte sich breit, Protest regte sich. Auch ich habe damals fassungslos an diesem Ort gestanden, an dem sich ein völlig emotionsloser Verwaltungsakt auf unterster Ebene vollzogen hatte. Liegefristen waren ausgelaufen. Ein Grab wird „aufgelassen“, heißt es in Amtsdeutsch. Behördliche Erklärungsversuche blieben halbherzig. Dem Protest ist es zu verdanken, dass der Stein wieder aufgerichtet wurde. Nun steht er da, fünf Meter weiter und nicht am originalen Ort und ist allein schon dadurch eine Mahnung der besonderen Art. Bürokratie verfolgte Blech noch über seinen Tod hinaus. Plötzlich war mir wieder deutlich geworden, wie hohl Gedenken an Opfer sein kann, wenn es zum Ritual erstarrt, sich selbstständig macht und nicht mit konkreten Inhalten ausgefüllt wird.

So sieht der Grabstein von Leo Blech und seiner Frau Martha jetzt aus. Besucher legen oft Blumen nieder. Foto: Winter

So sieht der Grabstein von Leo Blech und seiner Frau Martha auf dem Friedhof an der Heerstraße jetzt aus. Besucher legen oft Blumen nieder. Foto: Winter

Das kleine Buch will ein Denkmal der besonderen Art sein, eines, das man auch bei sich tragen kann. Ist es Oberflächlichkeit, ist es der Verknappung geschuldet? Manche Fakten werden einfach nicht hinreichend ausgebreitet und hinterfragt. Im Lebensabriss zu Blech, den Peter Sühring beigesteuert hat, erscheint auch der einflussreiche Lehrer, der Komponist Engelbert Humperdinck, dieser „letzte Privatsekretär und Assistent“ Wagners „mit so eigenen Kopf“ dass er diesem – gemeint ist Wagner – „ab und an etwas zu Ende komponieren durfte – beispielsweise die Verwandlungsmusik im Parsifal“. Das ist genauso zweifelhaft wie die Feststellung historisch falsch ist, dass die glanzvolle Ära an der Berliner Staatsoper Unter den Linden durch „die Übergabe der politischen Macht an die NSDAP“ zu Ende ging. Wer hat da was übergeben? Kürze rächt sich auch, weil sich die komplizierten Themen im Lebenslauf von Leo Blech offenkundig doch nicht so rasch und flott abhandeln lassen. Das gilt auch für die Umstände seiner Emigration. Bis 1937 wirkte Blech als Generalmusikdirektor an der Staatsoper in Berlin und ging erst 1938 ins Exil nach Riga – von dort aus über Berlin nach Schweden. Nun muss sich kein rassistisch Verfolgter für die Umstände seiner Flucht rechtfertigen. Das ganz bestimmt nicht.

Wenn aber fast achtzig Jahre später ein so dramatisches Kapitel eines Lebens nacherzählt wird, sollten die Fakten schon etwas deutlicher hervortreten. Fest steht, dass Blech 1941 nach dem Überfall durch Truppen Hitlerdeutschland Riga verließ. Seine Deportation soll unmittelbar bevorgestanden haben. Dass er sich dieser mit einem per Kurier übermittelten Hilfeersuchen beim Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen, den „letzten noch lebenden Preußischen Generalmusikdirektor zu retten, entziehen konnte, wirkt in dieser Verkürzung zu glatt. Als ob sich Barbaren um Ämter und große Verdienste von gestern geschert hätten. Jedenfalls bekam Blech freies Geleit. In der schwedischen Botschaft in Berlin, so ist zu lesen, nahmen er und seine Frau ihre Visa in Empfang. In anderen Quellen ist davon die Rede, Blech habe von seiner Abreise nach Stockholm auch noch an seiner einstigen Wirkungsstätte, der Staatsoper, Station gemacht. Das entspricht offenbar nicht den Tatsachen.

In der Biographie der Sängerin Marta Fuchs gibt es auch einen interessanten Hinweis auf Leo Blech.

In der Biographie der Sängerin Marta Fuchs gibt es auch einen interessanten Hinweis auf Leo Blech.

In den Buch „Marta Fuchs – Das schwäbische Götterkind“ von Roswitha von dem Borne und Johannes Lenz, 2010 im Stuttgarter Mayer-Verlag erschienen (ISBN 978-386783-010-2), ist zu lesen: „Am 1. Juni 1933 erfolgte die Kündigung aller jüdischen Mitglieder der Berliner Staatsoper – außer Leo Blech, Alexander Kipnis und Emanuel List, die Hitler Winifred Wagner für Bayreuth versprochen hatte.“ Diese Spur, die mir interessant und plausibel erscheint, fand ich nirgendwo sonst verfolgt – auch nicht in dem neuen Büchlein. Sollte sie doch ins Leere laufen? Und noch ein Satz, der in seiner schwer erträglichen Harmlosigkeit und Naivität völlig fehl am Platz ist in dieser Miniatur. Sühring beschreibt die Aufnahme Blechs nach seiner Rückkehr aus dem Exil: „Das Berliner Opernpublikum bereitete ihm einen stürmischen Empfang, so, als sei seit der letzten La-Bohéme-Aufführung unter Blech im Jahr 1937 nichts passiert, oder gerade weil dazwischen so viel Schlechtes passiert war und Blech trotzdem zu seinem Berliner Publikum zurückgekehrt ist.

Kommt Sühring im Lebensabriss auf den Komponisten Leo Blech zu sprechen, hat er viel mitzuteilen. Leser gewinnen sogar einen Eindruck davon, wie einzelne Werke geklungen haben. Auf Tondokumenten lässt sich kaum etwas nachhören. In gut sortierten privaten Sammlungen findet sich der Einakter Versiegelt, 1954 beim damaligen NWDR eingespielt unter der Leitung von Herbert Sandberg, dem Schwiegersohn von Blech. Für die Rolle der Else war aus Stockholm die junge Elisabeth Söderström angereist. Das Werk erstreckt sich über weite Strecken im Parlandostil, hält aber immer wieder zu hinreißen melodischen Einfällen inne.

In ihren Memoiren beschreibt Birgit Nilsson auch ihre Begegnung mit Blech. Ihre Kritik soll dem Dirigenten abträglich gewesen sein.

In ihren Memoiren beschreibt Birgit Nilsson auch ihre Begegnung mit Blech. Ihre Kritik soll dem Dirigenten abträglich gewesen sein.

Das Kapital über die Zeit in Schweden bezieht seine Schwäche vor allem aus dem zweifelhaften Konstrukt, dass „eine eventuelle negative Färbung von Blechs Ruf in Schweden“ der Sängerin Birgit Nilsson zuzuschreiben sei. Warum? Sie hat in ihren 1997 in deutscher Übersetzung im Wolfgang Krüger Verlag (ISBN 3-8105-1310-5) erschienen Memoiren „La Nilsson“ die gemeinsame Arbeit mit Blech bei einer Aufführung von Webers Freischütz geschildert und soll diese Episode immer wieder auch gesprächsweise wiederholt haben. Sie stand am Beginn ihrer glanzvollen Karriere und sang erstmals auf der Bühne die Agathe im Freischütz – von Angst und Lampenfiber geschüttelt. Am Pult Leo Blech. In der großen Arie „betrog“ sie – wie es heißt – den „Maestro“ um „eine Viertelnote“. Daraufhin krachte es. Eine Erfahrung, die auch andere Sänger mit Blech machten. Am Ende erlösende Versöhnung. Blech erinnerte sich nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit Freude an die Nilsson, und wünschte sie sich 1951 bei einer konzertanten Aufführung des ersten Aufzuges der Walküre im Berliner Titania-Palast als Sieglinde. Es war ihr erstes Auslandsgastspiel. Übrigens werden die Leo-Blech-Episoden in dem Buch von der Nilsson glänzend erzählt. Ich frage mich ernsthaft, wie sie nach so langer Zeit noch nachwirken sollen auf die Erinnerung an Blech in Schweden? Das Kapitel bei Blech ist auch sprachlich dünn. Für die Übersetzung der zehn Seiten mit teilweise sehr langen Sätzen aus dem Schwedischen mussten drei (!) Personen eingesetzt werden. Respekt vor der fremden Leistung hätte es geboten, auch noch Susanne Dahmann, die das Buch der Nilsson ins Deutsche übertragen hat, als Vierte zu nennen. Die Zitate daraus folgen nämlich Wort für Wort ihrer Übersetzung, ohne dass es kenntlich gemacht wird.

Leo Blech auf einer Fotografie, die in der Sammlung Manskopf der Frankfurter Universitätsbibliothek aufbewahrt wird.

Der junge Leo Blech auf einer Fotografie, die in der Sammlung Manskopf der Frankfurter Universitätsbibliothek aufbewahrt wird.

Seine größten Stärken offenbart das Buch, wenn Leo Blech selbst zu Wort kommt. Rüdiger Albrecht durchforstete Interviews in Rundfunk- und Zeitungsarchiven, die nach Blechs Rückkehr 1949 (im Buch etwas technokratisch Remigration genannt) entstanden. Daraus hat er Zitate zusammengestellt und redaktionell in Zusammenhänge gebracht. Das liest sich sehr gut. Blech nach Beendigung seiner Karriere 1953: „Mein Schluss am Pult, der war ja Carmen. Da machte ich einen Fehltritt, in meinem Alter soll man das nicht und mit Carmen schon gar nicht. Und da stürzte ich doch am Pult und hatte einen Bluterguss am Knie. Das war wie eine Warnung, jetzt ist Zeit, Schluss zu machen. Und ich muss mir sagen, nach 62 Jahren … nach 62 Jahren strammer Arbeit hatte ich ein Recht, aufzuhören.“ Höchst informativ ist auch das Kapitel „Leo Blech und die Schallplatte“ von Peter Sommeregger, der auch Erinnerungen von Zeitzeugen – darunter Frida Leider, Erna Berger und Helge Rosvaenge – zusammengestellt hat. Angesicht des großen Umfangs der Diskographie konnten nur die wichtigsten Einspielungen erwähnt werden. Sammler dürften sich zu weiterführenden Recherchen ermuntert fühlen. Für mich das interessanteste Blech-Dokument, das in der Diskographie nicht noch einmal erwähnt wird, weil zuvor schon an anderer Stelle genannt, ist die filmische Aufnahme des Meistersinger-Vorspiels. Es kann – wie auch in einer Fußnote vermerkt – im Internet auf youtube angesehen und angehört werden. Die Korrektur des dort genannten Aufnahmejahres 1929 in jetzt 1932 ist notwendig.

Ganz nebenbei ist die Miniatur mit ihren hundert kleinformatigen Seiten ein Lehrstück über die Entstehung und Herstellung mancher Bücher im Jahr 2015 in Deutschland. Der Band mit der Nummer 173 (ISBN 978-3-95565-091-9) ist hübsch gestaltet und mit zahlreichen Fotos ausgestattet. Er wirkten fünf Autoren und vier Übersetzer mit. Obwohl in einem seriösen Verlag erschienen, mussten die Druckkosten offenbar privat aufgebracht werden. Namentlich werden dafür fast siebzig Spender genannt, darunter das Joseph-Schmidt-Archiv, die Mariann Steegmann Foundation, der Ortus-Verlag sowie die Staatskapelle Berlin. Arme, bemitleidenswerte Autoren, für die am wenigsten abfallen dürfte. Trotz kleiner Einwendungen, ist dieser Neuerscheinung eine große Verbreitung zu wünschen.  Rüdiger Winter

Löbejün findet Anschluss an die Welt

 

Den Kirchturm von St. Petri zu Löbejün erwähnt Carl Loewe bereits im zweiten Satz seiner Selbstbiographie. In dessen Schatten stand das Haus, in dem er am 30. November 1796 zur Welt gekommen ist. Es existiert nur noch auf einer Zeichnung, die seine Tochter Julie bei einem Besuch 1885 angefertigt hat. Da war Loewe lange tot. Er starb am 20. April 1869 in Kiel. Vom gewaltigen Turm dürfte das bescheidene Kantorenhäuschen, in dem auch der Schulunterricht stattfand, fast erdrückt worden sein. Ganz in der Nähe öffneten sich die unheimlichen Gruben und Schächte, aus denen Steinkohle ans Licht gefördert wurde. Ein Jahr vor Loewes Geburt wurde die erste Dampfmaschine aufgestellt. In das mittelalterliche Glockengeläut mischten sich die neuen Töne des aufkommenden Industriezeitalters. In Balladen und Liedern, die sein Hauptwerk bilden, läutet und hämmert es. Glocken, Kirchen, Türme sind allgegenwärtig. Ein ganzer Liederkreis ist mit Der Bergmann überschrieben. Und noch zum Ende seines Lebens hin verschmelzen in der Ballade Agnete, opus 134, die Erinnerung an die geliebte Mutter mit dem Wunsch, „noch einmal der Orgel, der Kirchglocken Klang“ zu hören. Loewe dürfte in seinem Balladen und Lieder mehr preisgegeben haben von sich, als das relativ dürre biografische Material hergibt. Auf die Forschung wartet noch ein großes Betätigungsfeld. Bis heute hat sich niemand an eine Biographie gemacht, die diesen Namen verdient.

Das Loewe-Haus in Löbejün im Schatten der mächtigen Kirche St. Petri.

Das Loewe-Haus (links) auf seinem mächtigen Fundament im Schatten der Kirche St. Petri/ Winter

Wer sich für Loewe interessiert, für den ist seine Geburtsstadt die erste Adresse. Am bequemsten ist die Anreise mit dem Auto. Busse nach Halle, der nächstgelegenen Großstadt, fahren nicht im Stundentakt. Einen Bahnanschluss gibt es längst nicht mehr. Löbejün ist abgehängt. Doch nicht immer braucht es Schienen und Straßen. Ein berühmter Sohn verbindet auch das kleinste Städtchen ganz automatisch mit dem Rest der Welt. In Löbejün, das heute mit Wettin eine Gemeinde bildet, hat die Internationale Carl Loewe Gesellschaft ihren Sitz. Im Laufe der Zeit haben zahlreiche Besucher, darunter viel Prominenz, den Weg in das beschauliche Städtchen gefunden. Namhafte Künstler treten bei den Festtagen, die seit 2002 alle zwei Jahre stattfinden, auf – Kurt Moll, Roman Trekel, Iris Vermillon, der auf Loewe spezialisierte Pianist Cord Garben, der die Solisten der Gesamteinspielung aller Lieder und Balladen bei cpo begleitet. Selbst der scheue Dietrich Fischer-Dieskau, der sich sehr verdient gemacht hat um Loewe, ist noch in seinen späten Jahren gemeinsam mit seiner Frau, der Opernsängerin Julia Varady, angereist, um bei den Festtagen 2004 die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft entgegenzunehmen. Sogar Udo Jürgens, der mit seinen eigenen Kompositionen Säle füllte wie einst auch Loewe, stand auf der Gästeliste. Das Festival hat sich etabliert, zumal sehr attraktive Spielstätten zur Verfügung stehen, um die manch größere Stadt Löbejün beneiden dürfte. Das Geld, das dafür in die Hand genommen wurde – ob aus der Landeskasse, aus Föderdertöpfen und von freigiebigen Sponsoren – ist gut angelegt.

Schatzmeisterin Heidelore Rathgen im Gespräch mit dem Sänger Haakon Schaub und Operalounge-Chefredakteur Geerd Heinsen (rechts).

Schatzmeisterin Heidelore Rathgen im Gespräch mit dem Sänger Haakon Schaub und Operalounge-Chefredakteur Geerd Heinsen (rechts) / Winter

Schatzmeisterin Heidelore Rathgen ist eine perfekte Gastgeberin. Sie führt die Besucher wie durch den eigenen Besitz. Das ist verständlich. In Löbejün hat der Erfolg viele Väter – und Mütter. Schaut her, das haben wir geschaffen. Ein neues Selbstbewusstsein ist entstanden. Löbejün lebt mehr denn je mit und für Loewe. Als promovierte Mathematikerin kann die Schatzmeisterin rechnen und mit Geld umgehen. Mit wem sie verhandelt, der geht als Kämpfer für Loewe aus dem Gespräch. Wäre ich dem Werk Loewes nicht längst sehr zugetan, in Löbejün hätte ich allein durch diesen Besuch meinen neuen Lieblingskomponisten gefunden. Löbejün steckt an. Es haben sich Bürger zusammengetan, die dem Andenken an den berühmtesten Sohn der Stadt viel Zeit, Energie und Sachverstand widmen. Sie leben für Loewe, der allgegenwärtig ist. Eine Straße trägt seinen Namen. Vor dem Rathaus steht die monumentale Büste aus einheimischem Porphyr. Sie ist der Ersatz für jene Bronze von 1896, die im Kriegsjahr 1942 eingeschmolzen wurde. Die originale Form hatte sich erhalten.

Das Denkmal des Komponisten auf dem Marktplatz wurde dem ursprünglichen Bronzeguss nachgebildet.

Das Denkmal des Komponisten auf dem Marktplatz wurde dem ursprünglichen Bronzeguss nachgebildet/ Winter

Der rote Stein ist weithin sichtbar in der mit auf- und absteigenden Straßen und Wegen durchzogenen Stadt. Auch vom Vorplatz des Carl-Loewe-Museum, das die Zentrale der Gesellschaft bildet. Es ist in jenem Backsteinbau untergebracht, der 1886 auf 1887 auf den Grundmauern des ursprünglichen Geburtshauses errichtet wurde. Hell und freundlich empfängt das Museum seine Gäste, als wäre der Schatten der Kirche geschrumpft. Bei der Sanierung – so dezent wie geschmackvoll gelungen – wurde ganze Arbeit geleistet. So schnell bröckelt kein Putz mehr. Der Muff des Schulhauses ist verflogen. Licht und frische Luft brechen herein – und tun vor allem Loewe gut. Vergangenheit trifft hier auf Gegenwart und Zukunft. Es ist kein Museum im herkömmlichen Sinn. Es gibt keinen Stuhl, auf dem Loewe gesessen, kein Bett, in dem er geschlafen, kein Klavier, an dem er nachweislich gespielt hat. Einrichtungsgegenstände aus der Zeit des Komponisten, eine Büste, einige originale Autographen, Bilder und Gedrucktes wollen anregen, Atmosphäre schaffen und kein museales Abbild seines Daseins darstellen, was auch gar nicht möglich wäre. Loewe verbrachte den größten Teil seines Lebens als Musikdirektor in Stettin und zog erst als kranker Mann nach Kiel, wo eine Tochter lebte. Der Nachlass ist verstreut.

 

Auf dem Grammophon aus der Sammlung des schottischen Historiker Ian Lilburn werden Loewe-Platten gespielt.

Auf dem Grammophon aus der Sammlung des schottischen Historikers Ian Lilburn werden vorzugsweise Loewe-Schelllack-Platten gespielt/ Winter

Die Schatzkammer beherbergt der Dachboden. Auf zweitausend verschiedenen Tonträgern – darunter 550 Schelllackplatten – sind Kompositionen von Loewe festgehalten. Meistens Lieder und Balladen. Der Präsident der Gesellschaft, Andreas Porsche, im zivilen Beruf Arzt, spricht von der „weltweit größten und umfangreichsten“ Sammlung dieser Art. Die Fülle lässt nicht den geringsten Zweifel an dieser Aussage zu. Zusammengetragen wurde sie von dem aus Schottland stammende Historiker Ian Lilburn, der in London lebte und dort 2013 gestorben ist. Lilburn weilte selbst noch mehrfach in Löbejün, wo er das Andenken an den Komponisten bestens aufgehoben fand. Deshalb überließ er dem Museum seine Sammlung, die ein einzigartiges Zeugnis der Leidenschaft darstellt. Besucher erfahren, wie dieser Mann einst in seinem Londoner Haus Loewe vor ausgesuchten Gästen zelebriert hat. Sein Erbe, wozu auch Abspielgeräte und eine handgeschrieben Diskographie gehören, lassen noch in Löbejün eine Ahnung davon aufkommen.

Eine Auswahl auf zwei CDs ist von der Gesellschaft inzwischen als so genannten Lilburn Collection aufgelegt worden, die nur im Museumsshop gekauft und bestellt werden kann. Sie macht sowohl äußerlich als inhaltlich sehr viel her, ist die denkbar beste Ehrung des freigiebigen Spenders aus dem fernen London. Für mich zählt sie letztlich noch mehr als die Benennung des Museumsvorplatzes nach Lilburn. Tontechnisch wurde die Edition von Christian Zwarg betreut, den jeder Sammler kennt, der sich mit historischen Aufnahmen beschäftigt. Zwarg lässt das originale Klangbild unangetastet, befreit die Quellen bei der Übertragung auf CD lediglich von starkem Knistern oder Verzerrungen. Aufnahmen, die durch seine Hände gehen, dürften eine ziemlich genaue Vorstellung vom künstlerischen Impetus eines Sängers in seiner Zeit vermitteln. Die älteste Aufnahme der Collection entstand 1904. Am Klavier begleitet von Bruno Seidler-Winkler, der auch als Dirigent wirkte, singt der Bariton Hermann Gura die Ballade Der Edelfalk. Er ist der Sohn von Eugen Gura, dem ersten Gunther in Richard Wagners Götterdämmerung 1876 in Bayreuth. Von ihm wird noch die Rede sein. Versammelt sind dreißig Sängerinnen und Sänger, die sich in der Schelllackära mit Loewe beschäftigt haben, darunter Paul Bender, Robert Büssel, Carl Rost, Paul Knüpfer, Arthur van Eweyk, Martin Abendroth, Cornelius Bronsgeest, Heinrich Schlusnus, Gerhard Hüsch, Wilhelm Rode, Sigrid Onegin und Lula Mysz-Gmeiner, die Schwiegermutter von Peter Anders, in dessen Repertoire Loewe nur eine nebensächliche Rolle spielte. In Wirklichkeit ist die Namensliste viel länger.

Ene Auswahl aus der Sammlung von Ian Lilburn wurde von der Carl-Loewe-Gesellschaft als  Collection herausgegeben.

Ene Auswahl aus der Sammlung von Ian Lilburn wurde von der Carl-Loewe-Gesellschaft als Collection herausgegeben/ Winter

Bei der Auswahl wurde auf Vielseitigkeit Wert gelegt. Nicht nur die Selbstläufer wie Die Uhr oder Archibald Douglas, sondern auch Die Dorfkirche oder Die Mutter an der Wiege. Im Schelllackzeitalter war die Lowe-Interpretation stark durch Wagner geprägt, wie er im Bayreuth der Cosima-Ära zelebriert wurde. Deklamatorisch, getragen, mitunter schleppend. Balladen gerieten in vielen Einspielungen zu Musikdramen en miniature, zumal sie gern in Orchesterfassungen geboten werden, deren Herkunft meist unbestimmt ist. Eines der grellsten Beispiele dafür ist Die Uhr mit Richard Tauber, der sich nicht aus seinem Lehár-Korsett befreien kann. Zwischentöne oder ironische Anspielungen, wie sie sich bei Loewe zuhauf finden, gehen zu oft in der Bedeutungsschwere unter. Historische Aufnahmen können historischer nicht klingen, wie eingehüllt in einem Schwall von Mottenpulver. Dass Loewe zeitweise fast dem Vergessen anheimfiel, erklärt sich für mich auch aus der Art, wie er jahrzehntelang vorgetragen wurde und auf Schallplatten in die bürgerlichen Wohnstuben der Kaiserzeit Einzug hielt. Es gibt sogar Platten, auf denen nur der Klavierpart eingespielt wurde – sozusagen zum Mitsingen für jedermann.

Mit der Aufnahme aller Lieder und Balladen hat das Label cpo Pionierarbeit geleistet.

Mit der Aufnahme aller Lieder und Balladen hat das Label cpo Pionierarbeit für Loewe geleistet. Die Edition enthält 344 Titel. Die meisten sind Premieren.

Wie Wagner selbst ihn gesungen haben wollte und selbst gesungen hat, ist nur mittelbar nachzuvollziehen. Er schätze vornehmlich den dramatischen Gehalt. Im Januar 1881 vermerkt Frau Cosima in ihrem Tagebuch: „R. trägt einige Balladen von Loewe vor, wie er sagt, um zu zeigen, was an uns Germanen verlorengegangen ist.“ Loewe galt etwas in Wahnfried. Noch in Venedig, drei Monate vor seinem Tod, fantasierte er auf einem neuen Flügel und ließ dabei auch – wie es Cosima ausdrückt – den „Jüngling von Elvershöh“ mit einfließen. Gemeint ist die frühe Ballade Elvershöh, die noch an anderer Stelle des umfangreichen Tagesbuchs erwähnt wird wie auch Herr Oluf, Der Wirtin Töchterlein und der in seiner Dramatik an Shakespeare erinnernde Edward nach einer Übersetzung von Herder aus dem Schottischen. Ein unheimliches Dialogstück zwischen Mutter und Sohn, ähnlich der Ballade Walpurgisnacht, die bei Cosima den Titel „Hexen“ trägt. So wird sie – diesmal ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter – auch in einigen älteren Ausgaben bezeichnet. Loewe selbst soll diesen Namen auch gebraucht haben.

Eine wichtige Quelle in diesem Zusammenhang ist die Autobiographie Mein Leben von Lilli Lehmann, die bei der ersten geschlossenen Aufführung des Ring des Nibelungen 1876 in Bayreuth die Woglinde sang: „Bei Wagner kamen wir … allabendlich zusammen … nur Liszt nebst den nächsten Bayreuther Freunden waren diesem Kreise zugestellt. Gura sang viel Löw’sche Balladen, die Wagner ganz besonders liebte. Hier war es auch, wo er mir Löwes Ballade Walpurgisnacht vorsang, deren Bedeutung er besonders hervorhob und Jos. Rubinstein aufstehen hieß, um sie selbst zu begleiten, weil er (gemeint ist Rubinstein) den Geist des Gedichts resp. der Komposition nicht richtig erfasste.“ Wagner habe sich verwundert gezeigt, dass die Ballade „nie gesungen würde, die doch mächtig sei, und legte sie mir besonders ans Herz“. Obwohl die Lehmann mehr als zehn Lieder aufgenommen hat, Loewe ist leider nicht dabei.

Der Berliner Bassbarition Haakon Schaub singt "vom Geländer". Die-"Erlkönig"-Noten wurden am Museum in Metall gestochen.

Der Berliner Bassbarition Haakon Schaub gibt vom Geländer „Erkennungshilfe“: Die-„Erlkönig“-Noten wurden am Platz vor dem Museum in Metall gestochen.

Es gehört zu den unerklärlichen Merkwürdigkeiten der Loewe-Rezeption, dass die Walpurgisnacht – ohne Zweifel eine seiner bedeutendsten Schöpfungen – erst um das Jahr 2000 herum für die cpo-Gesamtaufnahme von der Sopranistin Gabriele Rossmanith eingespielt wurde. Eine andere Aufnahme konnte ich nicht auftreiben, was übrigens auch für das berührende Weihnachtslied Des fremden Kindes heiliger Christ gilt, das einzig 1937 von Karl Erb eingespielt wurde und nun erstmals wieder in der Edition ebenfalls mit Gabriele Rossmanith auftaucht. Loewe galt immer als Männerdomäne. cpo hat durch seine Ausgrabungen auch mit diesem Klischee gebrochen. An der Edition sind acht Sängerinnen mit 168 von 344 Nummern beteiligt. Das ist faktisch Parität. Ein Blick in die Vergangenheit ergibt ein ganz anderes Bild. In etwa habe ich 1300 verschiedene Aufnahmen erfasst und verglichen. Spitzenreiter ist nach meinen Berechnungen – berücksichtigt wurden nur die Studioaufnahmen – Tom der Reimer mit nahezu fünfzig verschiedenen Produktionen, gefolgt von Odins Meeresritt und Die Uhr (je 42, Karl Valentins skurrile Verballhornung nicht mitgerechnet), Prinz Eugen (34), Heinrich der Vogler (33), Archibald Douglas (28), Der Nöck (25). Von Dietrich Fischer-Dieskau stammen die meisten Aufnahmen. Ich habe 61 gezählt. Allein deshalb wurde er in Löbejün völlig zu Recht geehrt. Hermann Prey, der auch mehrere Landspielplatten hinterließ, kommt auf 48. Ihm folgt Josef Greindl mit 45, dann Hans Hotter mit 41. Erfreulich ist, dass ein noch sehr aktiver Sänger – nämlich der bereits genannte Roman Trekel – mit der Aufnahmen von 39 Liedern und Balladen auf dem nächsten Platz liegt. Noch spielt keine Frau in dieser Liga.

So sah das ursprüngliche Geburtshaus von Carl Loewe in Löbejün aus. Es hat sich als Zeichnung seiner Tochter Julie erhalten und wird im Museum gezeigt.

So sah das ursprüngliche Geburtshaus von Carl Loewe in Löbejün aus. Es hat sich als Zeichnung seiner Tochter Julie erhalten und wird im Museum gezeigt.

Mit einem zeitgemäßen Angebot, das Anerkennung und Aufmerksamkeit verdient, ist die Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (Slub) in Dresden an die Öffentlichkeit getreten. Sie hat ihren Bestand an Schelllackplatten digitalisiert und das Archiv der Stimmen online gestellt, darunter mehr als hundert Titel von Carl Loewe. Es gibt zahlreiche Überschneidungen mit den Löbejüner Beständen, was ganz normal ist. Loewe-Platten waren weit verbreitet. Mein ganz persönliches Aha-Erlebnis auf dieser Plattform ist Ernst Busch, der „Barrikaden-Tauber“, der also doch nicht nur Arbeiterkampflieder gesungen, in Filmen gespielt und auf der Bühne des Berliner Ensembles gestanden hat. Busch sang auch Loewe – das Hochzeitlied und Der alte Goethe sind 1949 in der Gründerzeit des DDR-Labels Eterna aufgenommen worden.

1996, zum 200. Geburtstag Loewes, gab es in Halle eine wissenschaftliche Konferenz, deren Ergebnisse in der Schriftenreihe des Händel-Hauses veröffentlicht wurden. Das gehaltvolle Buch ist noch erhältlich und wird auch in Löbejün im Museums-Shop angeboten (ISBN 9-910019-11-0). Forschungsergebnisse wirken nach. Es wurden einzelne Balladen und Werkgruppen untersucht, Vergleiche mit anderen Komponisten angestellt, die erhellenden familiengeschichtlichen Aspekte durch den in Löbejün lebenden Loewe-Forscher Henry Joachim Kühn, der auch noch weitere bedeutsame Publikationen veröffentlicht hat, beleuchtet usw. usf. Keinem Experten aber war die Verbreitung der Werke von Carl Loewe auf Tonträgern ein gesondertes Thema wert. Dabei gibt es genügend Stoff her, auch für die Forschung auf diesem Gebiet. Kann ein Komponist nicht gehört werden, verfällt er erbarmungslos dem Vergessen. Loewe war diesem Schicksal nahe und ist ihm hoffentlich für immer entronnen. Die Wissenschaft allein kann Musik nicht retten. Sie muss klingen, ob auf Tonträgern oder im Konzertsaal. In Löbejün ist beides gegeben.        Rüdiger Winter

 

Ein Schaukasten des Museum ist dem Spender der umfangreichen Sammlung von Tonträgern mit Werken Carl Loewes gewidmet: Ian Lilburn. Auf dem großen Foto oben Bücher, Platten und Cds aus den Beständen des Autors dieses Beitrages zu sehen. Fotos: Winter

Ein Schaukasten des Museum ist dem Spender der umfangreichen Sammlung von Tonträgern mit Werken Carl Loewes gewidmet: Ian Lilburn. Auf dem großen Foto oben sind Bücher, Platten und CDs aus den Beständen des Autors dieses Beitrages zu sehen/ Fotos: Winter

 

Unvergleichlich

 

Unvergleichliche Sena Jurinac. Bei Immortal Performances liegt das aufregende Album mit bislang unveröffentlichten Erstaufnahmen vor – Lieder zum Klavier aus Zagreb 1944 auf Lackfolie erhalten (ein betörendes Nebbie Respighis oder auch zwei Wesendoncklieder), dazu weitere Testaufnahmen für die EMI aus London 1950 mit Moore am Klavier (unglaublich intensiv die noch ganz helle Stimme in Mendelssohn-Liedern oder in Schuberts Forelle) und – mir bislang nicht bekannt – die „Vier letzten Lieder“ unter Busch vom Dänischen Rundfunk 1951, die Stimme hier leuchtend-mädchenhaft und erfüllt in jeder Phrase.

Die berühmte EMI-Aufahme: "Idomeneo" im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birtgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive

Die berühmte EMI-Aufahme: „Idomeneo“ im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birtgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive

Angekoppelt sind wenig bekannte Ausschnitte aus Operetten und Opern aus den frühen Fünfzigern, angeführt von dem absolut bezaubernden Couplet aus Gasparone (allein schon deswegen würde ich diese Ausgabe kaufen), dazu weiteres vom deutschen Rundfunk der frühen Jahre (Fledermaus, Figaro, Manon) sowie die Duette und Arien unter Ackermann vom SWR 1952 mit Peter Anders. Ach, es ist eine köstliche Lust, diese wunderbare Stimme in diesen frühen Aufnahmen zu hören – diese Süße und dieses Versprechen auf (dann auch eingetretenes) Großes gehen ans Herz. Danke dafür  und meine uneingeschränkte Empfehlung (immortalperformances.org IPCD1013/1-2).

 

Das gilt auch für die gerade mir wieder in die Hand geratene Così fan tutte bei Immortal Performances (vorher bei anderen, aber nun dank der Zusammenarbeit mit dem Brüder-Busch-Archiv und der Karlsruher Max-Reger-Stiftung absolut und gewinnbringend anhörbar) aus London, als bei den Proms 1951 die Glyndebourne-Equipe unter Fritz Busch eine konzertante Vorstellung ihrer legendären Aufführung aus den Susasex Downs gab. Was für eine Besetzung! Sena Jurinac, die wirklich Unvergleichliche, hier ganz am Anfang ihrer Karriere, jung und noch hell im Ton, den sie wenig später mit einem dunkleren, pathosreicheren eintauschte.Diese Fiordiligi volle Poesie und auch einer gewissen Unschuld, voller Würde und Leuchtkraft schließt sich an die obigen Lieder an und stellt wie diese  für mich kostbare un d beglückende Dokumente einer in meinem Herzen ruhenden Sängerin dar. Ihr damaliger Ehemann Sesto Bruscantini macht einen merkurialischen Don Alfonso in gewohnter Spielfreudigkeit und beispielhafter Diktion. Marko Rothmüller, nach England emigrierter Bariton, übertzeugt mit gutsitzendem, markantem Ton. Richard Lewis war nie mein Ding, und auch hier finde ich ihn als Guglielmo steif und troppo brittico, Alice Howland war mir vorher kein Begriff, und sie ist kein Vergleich zur späteren Kollegin Blanche Thebohm, singt aber ordentlich wie auch die etwas piepsige Isa Quensel als qirlige Despina (das ist ja das Attribut, das man immer für diese Partie aufbringt). Chor und Orchester profitieren von Fritz Buschs überragender Leitung – Brio und Agogik paaren sich mit dunklem Schwung, der aus der Così ein Drama macht, ohne die helleren Seiten zu vernachlässigen. Absolut und unbedingt habenswert (2CD Immortal Performances IPCD 1004-2 mit informativer Ausstattung in Englisch). G. H.

 

Und apropos: Erstmals ungekürzt auf CD kam 2013 die ganz wunderbare Aufnahme des Mozartschen Glyndebourne-Figaro von 1955 bei EMI heraus und nun hoffentlich wieder bei Warner erscheinend (ungekürzt, weil nun die original eingespielte Basilio-Arie enthalten ist – die im Booklet der LP-Ausgabe angegebene Marcellina-Arie hingegen wurde nicht aufgenommen oder zumindest nicht veröffentlicht, was wirklich schade ist), und weil auf 3 CDs nun also aufgefüllt mit den Sinfonien 38 und 39, die Vittorio Gui ebenso wie die Oper energisch, unvergleichlich kraftvoll-männlich, federnd, witzig und wie ein Ping-Pong-Tennis-Spiel dirigiert. Im Dialog fliegen die Erwiderungen und Dialoge wie auf der Bühne hin und her, und man goutiert die dichte Tonregie des Regisseurs Carl Ebert, der die Glyndebourne-Produktion kongenial auf der damaligen LP (eine der ersten Stereo-Aufnahmen der EMI) als lebendiges Theater umsetzte. Gesungen wird – bis auf den kleinen Ölfleck der Rise Stevens als matronaler Cherubino – absolut prachtvoll. Ich stehe nicht an zu sagen, dass dies der Figaro aller Träume ist, denn Sena Jurinac (hier als Contessa in der besagten Produktion/OBA), Sesto Bruscantini, Franco Albanese, Hughues Cuenod (irre ölig als Basilio), Monica Sinclair (dto als köstlichste Marcellina) sowie Jeanette Sinclair sind nicht zu überbieten. Graziella Sciutti wurde gegen die Bühnen-Susanna der Elena Rizzieri ausgetauscht – hier flutscht die Sprache nur so. Die Tempi – brisk, aber nicht schnell – und der ganze musikalische Duktus schaffen eine ganz eigene Atmosphäre, der (im Stil der Zeit – und sehr willkommen angesichts mancher steriler Aufnahmen heute – mit Türenschlagen und Fensterscheiben-Klirren) man gebannt lauscht, von der man einfach gepackt ist. Ich kenne kaum einen anderen Figaro so spannend und so gut gesungen/dirigiert – bitte Warner: schnell wieder herausbringen!  G. H. 

Homestory mit Suchtfaktor

 

Diese Musik strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Alles, was an der Symphonia Domestica von Anfang an bemängelt wurde, kann auch zu ihren Gunsten ausgelegt werden. Einer der ersten und prominentesten Kritiker war der französische Schriftsteller und Weltbürger Romain Rolland. Sein Einwand nach der Uraufführung 1904, Strauss habe sich wieder nur mit der eigenen Person beschäftigt, geistert seither durch die Literatur und hat auch Eingang ins Booklet zu einer neuen Einspielung unter Marek Janowski gefunden. Sie ist beim Label Pentatone erschienen, einem Zusammenschluss von Deutschlandradio Kultur, Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin (PTC 5186 507). Übrigens hatte Strauss auf den Einwand von Rolland sehr gelassen reagiert: „Ich sehe nicht ein, warum ich keine Sinfonie auf mich machen sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon und Alexander. Beide Sätze sind in die Musikgeschichte eingegangen.

Strauss gewährte mit dem Werk tatsächlich Einblicke in seine Familienleben, eine Art musikalische Homestory, wie sie heutzutage gern in Zeitungen und im Fernsehen angeboten werden. Insofern empfinde ich dieses Werk als durchaus modern und zeitgemäß. Als Arbeitstitel ist „Mein Heim. Ein sinfonisches Selbst- und Familienporträt“ überliefert.“ Alle Mitwirkenden sind mit einem eigenen Thema versehen. Der Komponist widmete die Symphonia seiner „lieben Frau und unserem Jungen“. Dazu passt das wunderbare Foto der Familie auf dem Cover. Es dürfte um 1905 entstanden sein und gleicht in Arrangement und Kolorit einem Jugendstilkunstwerk. Rolland riet Strauss brieflich, das Werk doch ohne Programm aufzuführen. Darauf entgegnete Strauss, wer „wirklich Musik zu hören verstehe, brauche es wahrscheinlich gar nicht“. Im Booklet ist das alles nachzulesen. Strauss dürfte Recht behalten haben. Vom ursprünglichen Drum und Dran ist nur mehr der Titel übrig geblieben. Die Musikwissenschaft rümpft gelegentlich noch immer die Nase. Ungeachtet dessen setzte sich das Stück durch, erscheint regelmäßig auf Konzertprogrammen und wurde oft eingespielt. Kaum ein Dirigent hat einen Bogen darum geschlagen, selbst Furtwängler nicht. Aktuell sind viel mehr als zwanzig verschiedene Einspielungen auf dem Markt.

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Nun also die von Janowski geleitete Produktion. Der Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters hat sich in jüngster Zeit verstärkt mit Strauss beschäftigt und in Berlin auch Elektra und Daphne konzertant aufgeführt. Seine Interpretation empfiehlt sich allein schon durch das betörende Klangbild. So schön kann Musik von der CD klingen – wenn es denn eine so genannte Hybrid Multichannel SACD ist. Bei diesem Aufnahmeverfahren wird eine höhere digitale Auflösung des Audiosignals verwendet als bei der herkömmlichen Audio-CD. Raumklang lässt sich ohne Datenreduktion speichern. Das Ergebnis ist noch genauer, noch detailreicher, noch differenzierter. Für die Klangfarben von Strauss nahezu ideal. Nur ersetzt auch das ausgebuffteste technische Verfahren nicht den Mann am Pult und sein Orchester, das ebenfalls aus Menschen besteht. Sie müssen sich aber darüber im Klaren sein, was möglich ist bei der Aufnahme. Janowski spart nicht mit Pathos, poltert, wo es etwas zu poltern gibt, kann ironisch sein und kostet die idyllischen Momente genüsslich aus. Unter seinen Händen gerät das Stück zu blankem Genuss mit Suchtfaktor.

Ergänzt wird das Programm mit dem Poem für Männerchor und Orchester Die Tageszeiten aus dem Jahr 1927, mit dem Janowski, sein Orchester und der der Rundfunkchor Berlin auch nicht allein sind auf dem Markt. Es verwendet Verse von Joseph von Eichendorff und wurde vom Wiener Schubertbund in Auftrag gegeben. Dem Vernehmen nach soll sich Strauss zunächst an der gewünschten Textauswahl gestoßen haben, weil wenige sich einige Jahre zuvor Hans Pfitzner für seine Kantate Von deutscher Seele ebenfalls bei Eichendorff bedient hatte. Umso verwunderlicher ist es, dass dem einleitenden originalen Gedicht Der Morgen noch der kleine Vers „Wenn der Hahn kräht“ vorangestellt ist, der sich bei Pfitzner auch findet. Ansonsten gibt es keine textlichen Überschneidungen. Der Zyklus ist Spätromantik vom Feinsten und nimmt Stimmungen vorweg, die erst viel später im Gesang der Wächter in der Frau ohne Schatten, in Daphne oder in den Vier letzten Liedern aufklingen. Rüdiger Winter