Diesmal wurde gespart. Die Prachtausgabe von Carl Maria von Webers Werk Der Freischütz ist nicht ganz so üppig ausgefallen wie die gleichfalls von Mercedes gesponserte Dokumentation über Richard Wagners Zürcher Liaison. Herausgeber ist wiederum die Syqouali Crossmedia AG (ISBN 978-3-9524329-2-1). Sie wurde 2008 von Jens Neubert und Peter Stüber gegründet. Der 1967 in Dresden geborene Neubert betätigt sich als Regisseur, Filmproduzent und Autor. Er hat den Freischütz-Film gedreht, der vor fünf Jahren in die Kinos kam und bei Kritik und Publikum freundliche Aufnahme fand. Inzwischen ist diese Produktion als DVD bei Constantinfilm (HC087848) herausgekommen. Ihr Weiterleben ist gesichert. Nun also der Soundtrack, besser gesagt, die Gesamtaufnahme der Oper aus dem Londoner Abbey Road Studio, die dem Film als musikalische Untermalung diente. Im umfänglichen Textapparat dieser großformatigen Neuerscheinung, die mehr Bildband und Reiseführer denn CD-Album ist, wird darauf kein deutlicher Bezug genommen, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Rechtliche Gründe dürften dafür nicht ausschlaggebend gewesen sein, denn alle Mitwirkenden werden genau in den Kostümen abgelichtet, die sie im Film tragen. Wer vom Film nichts weiß, fragt sich, wie kommen die zu diesem Putz?
Es hätte Sinn gemacht, richtig zuzulangen, DVD und CDs zusammenzuführen, anstatt knauserig den einen Teil vom anderen abzukoppeln. Und es wäre Gelegenheit gewesen, einige irreführende Bemerkungen auf dem DVD-Cover klarzustellen. Dort wird nämlich unter Hinweis auf die „Originalschauplätze in Sachsen“ der Eindruck erweckt, als sei Webers Oper ein dort angesiedeltes Volksstück. Das ist sie nicht. Neubert hatte die Handlung seiner Version zwar in das Jahr 1813 nach Dresden verlegt, lässt sie nicht in Böhmen nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges spielen, wie es bei der Uraufführung der Oper 1821 angezeigt wurde. Das ist ein nicht unproblematischer Kunstgriff. 1813 erreichten die Befreiungskriege gegen Napoleon auf sächsischem Gebiet ihren Höhepunkt. Dörfer und Städte wurden zerstört, die Zivilbevölkerung in das militärische Geschen hineingezogen. Ende August 1813 tobte die Schlacht um Dresden, bei der Napoleon zum letzten Mal gegen die verbündeten Armeen Österreichs, Preußens und Russlands siegte, bevor im Oktober bei Völkerschlacht sein machtpolitisches Ende eingeleitet wurde.
Vor diesem Hintergrund setzt Neubert seinen Freischütz in Szene. Die Geschichte um den Probeschuss geht nach meinem Dafürhalten in diesem historischen Ambiente nicht ganz auf. Offenbar trieben auch Neubert selbst Zweifel um. Er stützt sein Konzept durch einen zusätzlichen Kunstgriff. Noch vor Beginn der Ouvertüre, die nach wenigen Takten von Kanonendonner regelrecht zerschossen wird, lässt er den Mythos als sagenhaftes Puppenspiel anklingen, bei dem sich echte Kinder in echtem Gras unter echten Bäumen räkeln. So realistisch und üppig bleibt die Optik den ganzen Film über. Es wurde nicht gespart. Als habe es die vielen Zumutungen, die diese Oper in den letzten Jahren in Opernhäusern über sich ergehen lassen musste, nie gegeben. Wieder so ein kommerzieller Opernfilm, der den Regeln des Regietheaters misstraut und in die konservativen bunte Bildersprache flüchtet, die schon bei Münchhausen mit Hans Albers bemüht wurde. Auf der CD bleiben die Schießgewehre bei der Ouvertüre im Schrank. Nur in die Dialoge und beispielsweise ins einleitende Getümmel mit dem Spottchor schieben sich lebensnahe Töne aus dem Film in die musikalische Darbietung hinein. Manchmal passt es, manchmal nicht. Ein sehr lebendiges Schwein grunzt hier wie dort. Im Film ist es zu sehen und erklärt sich selbst, auf der CD ist es nur zu hören und macht überhaupt keinen Sinn. Nicht zuletzt durch dieses Tier entpuppt sich die CD-Ausgabe als Abfallprodukt. Auch an anderen Stellen wirken übernommenen Dialogteile nicht schlüssig und zu abgehackt. Warum sprechen die nur manchmal so komisch? Elementare Unterschied zwischen Film und Hörspiel können nicht überbrückt werden.
Unangetastet bleiben die sängerischen Leistungen. Mit Juliane Banse ist die Agathe stimmlich reif besetzt. Sie singt ihre beiden großen Szenen mit Ruhe und Würde. Geht die Stimme in die Höhe oder will sie in Jubel ausbrechen, klingt sie angestrengt und nicht so genau wie in den getragenen Passagen. Die Sonne ihrer Kavatine im dritten Aufzug wird nicht nur von der Wolke verhüllt sondern leider auch von der Stimme. Regula Mühlemann gelingt ein entzückendes Ännchen. Sie füllte die Figur völlig aus, auch, weil sie noch sehr jung und am Beginn ihrer Karriere ist und nicht auf jung machen muss. Selten hatte ich an dieser Figur so viel Freude – und Spaß. Michael König kann sich nicht entscheiden, ob er seinen Max nun dramatisch und zupackend oder mehr lyrisch introvertiert anlegen soll. Er schwank hin und her, klingt mal so, mal so. Optisch kann er durch seine raumgreifende Darstellung wettmachen, was die Stimme nicht hergibt. Auf der CD fällt dieser Teil weg. Im spannungsgeladenen Terzett im ersten Aufzug kommt Michael Volle als Kaspar gegenüber Max nicht richtig zum Zuge – als sei er am Mischpult zurückgedreht worden. Wenn dann noch Kuno (Benno Schollum) hinzutritt, fällt es schwer, die Akteure auseinanderzuhalten. René Pape hat als Eremit zwar seinen großen Auftritt, hebt sich aber in in diese Szene gegen den Ottokar von Franz Grundheber vom Timbre her nicht genug ab. Er bleibt nicht elitär, sondern wird zur Ensemblefigur degradiert. Seinem Erscheinen hätte ein Schuss Magie gut getan. Die ist aber offensichtlich überhaupt nicht gewollt in dieser Produktion. Daniel Harding am Pult des London Symphony Orchestra hat sich für einen ehr klaren Stil entschieden und passt die gesamte Oper der realistischen Szene an. Auch der Rundfunkchor Berlin folgt dieser Lesart.
Der Freischütz als Filmmusik! Das ist vielleicht etwas drastisch ausgedrückt, aber es läuft darauf hinaus. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass nach dem Schluss der Oper – genau wie im Film – noch gut vier Minuten drangehängt wurden. Zunächst glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen. So leise und von irgendwoher kommt es. In das Vogelgezwitscher, Waldesrauschen und Glockegeläut mischen sich wie aus einer fernen, vergangenen Zeit einige musikalische Motive der Oper. Als sei die Natur in ihrer Unschuld wieder hergestellt. Wie Fernsehwerbung für deutschen Wald und Bio-Honig! Auch Meditationsmusiken klingen so und CDs, die zum Einschlafen aufgelegt werden können. Mit dem Freischütz hat das wenig bis nichts zu tun. Rüdiger Winter
(Und übrigens – „Der Feischütz“ ist nicht „Hunter´s Bride“, wie auf dem Cover gleich groß gedruckt, da fehlt der Artikel! „Hunter´s Bride“ klingt wie eine Kneipe in Nord-England; selbst in Englisch heißt Der Feischütz nur Der Freischütz…). G. H.