Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Miloslava Fidlerová-Sopirová

 

Die Opernsängerin und  langjährige Solistin des Prager Nationaltheaters Miloslava Fidlerová-Sopirová (geb. 28. April 1922 in Prag)) starb am 3. September 2020 ebendort. Sie war mehr als 36 Jahre Mitglied des Ensembles. Nachstehend eine Hommage an sie, die wir auf der website der DN Divadelni noviny fanden, die Übersetzung besorgte der google translator, daher Bitte um Nachsicht.

Bereits im September 1941 sang sie die Rolle des Knappen Tebald in Verdis Don Carlos,  kurz nach der Brautjungfer in Webers The Sorcerer,  und sang wiederholt die Rolle der Esmeralda in The Bartered Bride . Die Zusammenarbeit mit Václav Talich war äußerst wichtig für die Weiterentwicklung ihrer Gesangsfähigkeiten. Im Bereich der Bühnenperformance war es der Einfluss von Regisseur Ferdinand Pujman, der sie am Konservatorium unterrichtete. Der junge Sänger wurde gezielt geführt, um vor allem die lyrischen Sopranrollen des tschechischen klassischen Repertoires zu interpretieren, insbesondere die Werke von Bedřich Smetana. Zunächst wurden ihr Rollen eines weniger anspruchsvollen, eher subtilen Typs zugewiesen. Neben den bereits erwähnten Esmeralda und Baruška war es beispielsweise Lidka in Smetanas Zwei Witwen. Václav Talich besetzte sie in der Rolle der Barberinka (damals wurde die Figur Baruška genannt) bis zu seiner Premiere von Mozarts Figaro – Hochzeit im Frühjahr 1943. Ab dem 1. September desselben Jahres wurde sie Solistin an der Nationaltheateroper.

Sie spielte auch in einer Reihe kleinerer Rollen, wie zum Beispiel der Figur von Hostinská in Smetanas Secret , die normalerweise älteren Sängern zugewiesen wird. Sie trat in dieser Rolle auch unter der Leitung von Václav Talich am 31. August 1944 in der letzten Aufführung des Nationaltheaters auf, bevor die Theater von den Besatzern geschlossen wurden.

Und sie trat auch in der Uraufführung nach der Befreiung auf, die Smetanas The Bartered Bride am 13. Mai 1945 war , in der sie erneut die Rolle der Esmeralda spielte. Anfang September folgten kurz hintereinander drei Premieren. In Nováks Zvíkovský rarášek trat sie in der Rolle von Markéta auf, in Fibichs Šárka spielte sie die Rolle von Mlada, die sie später mit Svatava abwechselte, und vor allem hatte sie die Rolle von Vlčenka in Smetanas Brandenburg in Böhmen, die sie in mehreren anderen Produktionen spielte.

Es war klar, dass Talichs Einschätzung seiner Qualitäten richtig war. Unsere erste Opernbühne gewann einen hervorragenden Vertreter einer Vielzahl lyrischer Sopranrollen, insbesondere im tschechischen Repertoire. In ihnen konnte sie ihre saubere, klangvolle, technisch brillant gemeisterte, farbenfrohe Stimme, die Kunst der Cantilena und die Fähigkeit klarer und strahlender Höhen voll anwenden. Sie zeichnete sich immer durch perfekte Ausdrucksweise, Bühnencharme und Charme aus, dank derer sie eine hervorragende Vertreterin junger Mädchen und Naiven war.

Dank der Genauigkeit ihrer Gesangsdarbietung und ihres Bühnencharakters wurde sie zu einer der Hauptstützen des Ensembles und erhielt vom Repertoire des Nationaltheaters ernstere Aufgaben – Smetanas Vlčenka in Brandenburg in Böhmen , Mařenka in The Bartered Bride , Jitka in Dalibor , Anežka in Two Widows , Barče und Vendulka in Kiss , Blaženka in Secret , Kate und Hedwig in der Teufelsmauer , Dvorak Terinka, die Jakobiner und die zweite Waldnymphe in Rusalka , Beatrice in Fibichova Messina , Janaceks Jenufa in Jenufa und die Drei-Málinka Etherea in KunkaAusflüge des Herrn Broucek , Hanif Novak in Lucerna , Xenia in Mussorgskys Boris Godunow und Dvoraks Dimitri , Marcelina in Beethovens Fidelio , Frasquita und Micaela in Bizets Carmen , Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin , Eva in Wagners Meistersinger von Nürnberg , Desdemona in Verdis Otello .

Sie hat schnell Fuß gefasst, besonders in Smetanas Repertoire. Ihre schicksalhafte Oper wurde The Bartered Bride. Sie hat in insgesamt neun Produktionen mitgewirkt, zuerst in der Rolle von Esmeralda und dann in Performances, deren Zahl dreistellig war, in der Rolle von Marenka. Darin übte sie alle ihre Stärken in den Bereichen Gesang, Schauspiel und Persönlichkeit aus und wurde eine ihrer besten Vertreterinnen in der tschechischen Opernszene in ihrer gesamten Geschichte. Zu dieser Zeit galt sie als unsere beste Marenka. Sie sang diesen Charakter und spielte insgesamt neun Studien. In der letzten von ihnen, die das Werk des Dirigenten Jaroslav Krombholec und des Regisseurs Přemysl Kočí war und in der Marenka von Gabriela Beňačková übernommen wurde, war sie Ludmilas Vertreterin bei der Premiere und in Dutzenden anderer Wiederholungen (bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Theater).

In Dalibor spielte sie die Rolle der Jitka, in Hubička wurde sie durch Dutzende von Wiederholungen ersetzt, die fröhliche Barča in anderen zahlreichen Auftritten der ernsthaften Vendulka. Zu ihren Top-Rollen gehörten Blaženka in Tajemství und Katuška in Čertova stěna. In Two Widows tauschte sie schließlich Lidka gegen die dramatische Agnes aus. In vielen Wiederholungen konnten Besucher von Libuše ihre unterstützende Sopranistin in einem Quartett von Schnitter auf einem Bühnenbild hören.

Sie sang in allen Opern von Smetana, trat aber auch in den Werken von Antonín Dvořák, Zdeněk Fibich, Leoš Janáček, Vilém Blodek und Karel Kovařovice auf. Vítězslav Novák, Otakar Jeremiáš, Bohuslav Foerster und andere.

Sie begegnete der Arbeit von Antonín Dvořák zum ersten Mal in der ersten Nachkriegssaison in der Rolle der Sirene in Armida. In Rusalka war sie seit langer Zeit regelmäßig Vertreter von Druhá Zinka , in der Oper SELMA sedlák stellte sie sich zunächst als Comic – Berta und später als sanfte Bětuška, in Dimitrijov spielte sie die Rolle von Xenia und in Král a Uhlár der Charakter Liduška. Einer der Höhepunkte ihrer Arbeit war die Rolle der Terinka in Jakobín . Sie hat in vielen Dutzend Wiederholungen von vier verschiedenen Produktionen gespielt. Sie blieb unserer ersten Opernszene bis zu ihrer Pensionierung am 31. Dezember 1978 treu.

Ihre geschmeidige und sanfte Stimme war für die Interpretation slawischer Musik geeignet. Sie widmete sich aber auch dem Weltrepertoire. Die Aufführung in Konzertsälen zeichnete sich durch perfekte Vorbereitung, Sensibilität und Gesangsfähigkeit aus.

Ihre Gesangsfähigkeiten bleiben in den Filmen von Czechoslovak Radio und Supraphon ( hier ) erhalten. Sie war auch in der pädagogischen Arbeit beschäftigt. In den Jahren 1969–78 unterrichtete sie Solo-Gesang am Prager Konservatorium, von 1978 bis 1992 am Bratislavaer Konservatorium. Am 24. März 2007 wurde sie mit dem Thalia-Preis für ihr Lebenswerk in der Oper ausgezeichnet. 1974 heiratete sie und ließ sich in Bratislava nieder. (Foto oben: als Marenka in der Verkauften Braut, Nationaltheater Prag 1953. Foto von Jaromír Svoboda)

 

Potsdamer Festspieldokument

 

Im Sommer 2020 übernahm Dorothee Oberlinger die Intendanz der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, betitelte ihre erste Saison Musen und dirigierte die Opernproduktion in der Orangerie, Giovanni Battista Bononcinis Polifemo, auch selbst. Die deutsche harmonia mundi/SONY hat die Aufführung dieser Pastorale, uraufgeführt 1702 im Lustschloss von Königin Sophie Charlotte in Lietzenburg, im Juni mitgeschnitten und nun auf  2 CDs veröffentlicht (19439743802). Der Librettist Attilio Ariosti verwendete für seinen Text Mythen der Verserzählung Ovids um den Schäfer Acis, den Zyklopen Polifemo, die Nymphen Galatea und Silla, den Fischer Glauco und die Zauberin Circe. Die Musik enthält zwanzig Nummern, fast alle in Da-capo-Manier komponiert und von sehr virtuosem Anspruch. Am Beginn steht eine Ouvertüre in französischem Stil, welche das von Dorothee Oberlinger gegründete Ensemble 1700 galant und effektvoll musiziert. Die Dirigentin ist mit forschem, straffem Zugriff und einfühlsamer Begleitung der Solisten der Motor der Aufführung. Die Arien kommen Affekt betont und akzentuiert zu gebührender Wirkung, das Continuo mit Laute, Cembalo und Cello sichert einigen eine besonders aparte Stimmung.

Eine exquisite Besetzung garantiert ein hohes gesangliches Niveau, angeführt von Joao Fernandes als Titelheld mit resonantem, auftrumpfendem Bass. Die Überraschung ist der sensationelle Auftritt des jungen brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá als Aci. Die klare Stimme mit einer enormen Reichweite bis in die Extremhöhe von angenehmem, nie grellem Ton übertrifft im ersten Duett an Klangschönheit sogar die von Galatea. Seine Soli „Partir vorrei“  und „ Bella dea“ (mit einer Atem beraubenden Kadenz) markieren die vokalen Glanzlichter der Aufführung. Als Galatea ist die renommierte Barockspezialistin Roberta Invernizzi zu hören, die stilistisch zwar ihre reichen Erfahrungen einbringen kann, doch mit zu reifem, ältlichem Ton der Figur die jugendliche Frische schuldig bleibt. In den eindringlichen Klagen der Partie (wie „Dove sei“) wirkt sie am stärksten. Auch Roberta Mameli ist eine anerkannte Größe in diesem Repertoire. Ihre Silla überzeugt gleichermaßen mit keckem Ausdruck und munteren Koloraturen wie betörenden, flehentlichen Klängen („Soccorrete“). Die Zauberin Circe hatte sie aus Eifersucht in ein Monster verwandelt. Liliya Gaysina sorgte mit furiosem Auftritt und der fulminant hingeschleuderten Arie „Pensiero de vendetta“ für einen dramatischen Kontrapunkt im Gefüge der anderen lyrischen Arien. Glücklicherweise vermag die Liebesgöttin Venere, Silla ihr früheres Aussehen zurück zu geben. Maria Ladurner becirct mit feinem Sopran. Bedingung für Sillas Rückverwandlung war, dass die Nymphe die Zuneigung des Fischers Glauco annehme. Als dieser ist  Helena Rasker ein weiterer Trumpf der Besetzung. Der klangvolle Alt verströmt sich leidenschaftlich in den Gesängen der Zuneigung für Silla, doch steht ihm gleichermaßen auch die ausgewogene, edle Kantilene zu Gebote. Alle Solisten vereinen sich am Ende zum warnenden Schlusschor „Farfalletta che segue l’Amor“. Denn: Der wird den Schmerz finden, der die Lust sucht. Das Sinnbild meint den Schmetterling, der sich der Flamme nähert und verbrennt. Bernd Hoppe

Inès RIVADENEIRA

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode der spanischen Spopranistin Inès RIVADENEIRA (am 3. August 2020 in Madrid), geboren am 2. November 1928 in Lugo (Provinz Valladolid, Spanien); ihr Vater gehörte der Militärpolizei an. Sie sang als Kind im Chor de los Dominicos de San Pablo in Valladolid, dessen Dirigent Heraclio García Sanchez sie zuerst unterrichtete, und der dafür 03sorgte, dass sie mit einem Stipendium der Stadt Valladolid das Real Conservatorio Madrid besuchen konnte. Hier war sie Schülerin von so bedeutenden Sängerinnen und Pädagoginnen wie Lola Rodriguez de Aragón und Angeles Ottein. Nachdem sie mehrere Gesangwettbewerbe in Spanien gewonnen hatte, konnte sie ihr Studium an der Wiener Musikakademie, u.a. bei Erik Werba, vervollständigen. Sie heiratete den Violaspieler des Orquesta Nacionál de España Argimiro Pérez Cobas. 1951 trat sie, noch während ihrer Ausbildung, in einem Konzert in Valladolid erstmals öffentlich auf. Im gleichen Jahr sang sie in Paris in »Don Perlimplín« von V. Rieti, 1952 am Gran Teatre del Liceo in Barcelona in »Soledad« von Juan Manén. Sie hatte ihre großen Erfolge auf dem Gebiet der Zarzuela, trat aber auch in einer Vielzahl von Opernpartien auf. Sie sang in Madrid und Barcelona, in Lissabon, San Sebastian und Oviedo (Preziosilla in »La forza del destino«, Maddalena im »Rigoletto« und Ulrica in »Un Ballo in maschera« von Verdi), in Bilbao (Zita in Puccinis »Gianni Schicchi« und Marcellina in »Le nozze di Figaro«) und hatte 1966 einen ihrer größten Erfolge als Carmen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona. 1964 wirkte sie in der Uraufführung der Oper »El hijo pródigo« von Joaquín Rodrigo mit. Sie trat gastweise in Italien und England (u.a. in London in »El amor brujo« von de Falla unter der Leitung von E. Halffter), in Frankreich und in Marokko auf. 1980 gab sie ein letztes Konzert in der Londoner Albert Hall, zusammen mit Victoria de los Angeles. Seit 1979 nahm sie eine Professur an der Escuela Superior de Canto in Madrid wahr.

Schallplatten: Philips (»El amor brujo« unter Igor Markevitch), zahlreiche Zarzuela-Aufnahmen auf Columbia (»El ultimo romantico« von Soutullo mit Teresa Berganza, »Agua, azucarillos y aguardiente« von Chueca, »La verbena de la paloma« von T. Bretón, »La revoltosa« von R. Chapí) und Alhambra (»Luis Alonso« von Jiménez, »La chula de Pontevedra« von Jiménez, Luna und Brú, »El amigo Melquíades« von Serrano und Valverde). 

 

Sinfonisches, Vokales und Kammermusik

 

Parallel zur baldigen Präsentation des chef d´ouevre Joseph Martins Kraus´, seine Oper  Æneas i CartagoAeneas in Carthago, schauen wir auf den instrumentalen und vokalen „output“ des ebenso fleissigen wie genialen deutschen Komponisten am schwedischen Hofe Gustav III. Gerhard Eckels hat sich mit acht CDs bei Naxos (ein Label, das sich besonders für Kraus einsetzt und mit den Ballettmusiken wenigstens einen kleinen Vorgeschmack auf die große Oper gibt, die in den Achtzigern mal als Aufnahme geplant ware, wozu es allerdings nicht kam) hindurchgehört, chapeau. Lohnend, wie er findet. Nacstehend seine Eindrücke und unser Dank für soviel Durchhaltekraft. G. H.

 

In den Jahren 1996 bis 2007 und 2013 hat NAXOS einen großen Teil des beträchtlichen kompositorischen Schaffens des Deutsch-Schweden Joseph Martin Kraus (1756-1792) aufnehmen lassen.  Einen schönen Überblick über den späten Komponier-Stil des vielseitig begabten Mozart-Zeitgenossen bieten die Instrumentalstücke aus seiner letzten, erst sieben Jahre nach seinem Tod in Stockholm uraufgeführten, monumentalen Oper Aeneas in Carthago. Das  Sinfonieorchester der finnischen Stadt Jyväskylä unter der Leitung des französischen Flötisten und Dirigenten Patrick Gallois führt mit stets durchsichtiger Spielweise von den kontrastreichen Ouvertüren zu Prolog und 1.Akt über Ballette und Märsche bis zur großen Final-Chaconne der Oper. Kraus greift häufig zu tonmalerischen Mitteln, wenn man bereits in der Prolog-Ouvertüre von unberechenbaren Winden aufgewühlte Wellen oder im Ballett Sturm selbigen mächtig aufbrausen hört. Das Herzstück des zweiten Aktes ist die königliche Jagd; hier meint man, die Jäger nach dem kurzen Eröffnungsruf in alle Richtungen davon stürmen zu sehen. In den Märschen sieht man die Krieger geradezu marschieren und in den Tänzen der carthagischen Mädchen diese tanzen. Die Märsche im 3.Akt illustrieren mit  feierlichen Schreitfolgen Didos Gefolgsleute, während die Numidier mit exotischen Klängen, verursacht durch Schlagwerk, Piccolos und Trompeten charakterisiert werden. Ein weiteres gutes Beispiel für Kraus‘ Gestaltungskraft ist die Introduktion zum 5.Akt, wenn die sich zuspitzende Dramatik des Bühnengeschehens deutlich wird (NAXOS 8.570585).

 

Joseph Martin Kraus/ OBA

Das Helsinki Baroque Orchestra hat unter seinem künstlerischen Leiter Aapo Häkkinen im Juni 2013 im finnischen Espoo vier Ouvertüren und sieben Konzertarien aufgenommen. Die Ouvertüren schlagen einen Bogen von Kraus‘ erstem richtigen Erfolg (1781) am Hof des schwedischen Königs Gustav III., der Oper Prosperin in deutlich erkennbarer Gluck-Nachfolge, über die Geburtstags-Ouvertüre (1782) und die Ouvertüre zur Oper Äfventyraren (Abenteurer) bis zur tieftraurigen Begräbnis-Kantate (1792). Das renommierte, auf Barockes spezialisierte Orchester musiziert die frühklassischen Ouvertüren mit akzentreichem Spiel. Dabei sorgt der versierte Dirigent dafür, dass die zahlreichen starken Kontraste zwischen sanftem Streicherklang und unvermittelt hereinfahrenden Trompeten- und Schlagzeug-Stößen effektvoll herausgestellt werden. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen, meist apart instrumentierten Arien, als Zwischenstücke zu Schauspielen und für den Gebrauch im Konzert komponiert, interpretiert die finnische Mezzosopranistin Monica Groop, ebenfalls eine Spezialistin für Alte Musik, mit flexibler, ausgesprochen kultivierter Führung ihrer in allen Lagen ausdrucksvollen Stimme (NAXOS 8.572865).

 

Eine weitere CD enthält die Ballettmusiken von J.M. Kraus. Da hört man zunächst die beiden so genannten Pantomimen, tänzerische Zwischenstückchen zu Lustspielen, die wahrscheinlich zwischen 1769 und 1772 in Kraus‘ Schul- und Studenten-Zeit in Mannheim entstanden sind, wo er das Jesuitengymnasium und das Musikseminar besuchte. Die jeweils kurzen, drei- und viersätzigen Stücke bieten gefällige Musik in passend tänzerischen Rhythmen. Außerdem enthält die CD zwei ganz kurze Einlagen zu Armida von Gluck, ein Schreittanz-ähnliches Menuett im 1.Akt und eine stürmisch anmutende Überleitung im 4.Akt. Im Zentrum der 2005 im schwedischen Örebro eingespielten Aufnahme steht das rund 50-minütige Ballett Fiskarena (Die Fischerin), uraufgeführt 1789 in der Königlichen Oper Stockholm. Das Stück in der Choreografie von Antoine Bournonville, der als der Begründer des Balletts in Skandinavien gilt, war außerordentlich erfolgreich und stand nach der Premiere nahezu 40 Jahre auf dem Spielplan des Opernhauses. Die harmlose Geschichte um ein schönes Fischermädchen, ihren Verlobten und einen um das schöne Mädchen werbenden, aber mit Hilfe von Jacks Freunden arg düpierten Kaufmann wird durch das Auftreten angelsächsischer und ungarischer Fremder angereichert, sodass Kraus die gute Möglichkeit hat, in zahlreichen, abwechslungsreichen Divertissements verschiedenste Folklore musikalisch darzustellen; vieles klingt übrigens wie eine Verbeugung vor dem Zeitgenossen Mozart. Durch besondere Klarheit des Musizierens gefällt das Schwedische Kammerorchester, das von Petter Sundquist souverän geleitet wird (NAXOS 8.557498).

 

Von den mehr als 60 Liedern in sechs verschiedenen Sprachen von J.M. Kraus gibt es 26 Vertonungen deutscher Gedichte, die 2004 sämtlich von NAXOS eingespielt worden sind. Davon stammen die Hälfte von Matthias Claudius, der dem Göttinger Hainbund nahestand, einer zum Sturm und Drang tendierenden literarischen Gruppe von Studenten und deren Freunden, die wesentlich von Friedrich Gottlieb Klopstock beeinflusst waren. Auch Kraus sympathisierte in seiner Göttinger Zeit (1776-78)  mit dem Hainbund und seinen Zielen. Neben Claudius sind bei den wohl 1783 bis 1788 komponierten Liedern deutscher Sprache u.a. auch das Hainbund-Mitglied Friedrich Leopold zu Stolberg, Johann Gaudenz von Salis und natürlich Klopstock vertreten. Kraus bevorzugt zumeist die einfache Strophenform in seinen Liedern, in denen bei schlichter Klavier-Begleitung neben den typisch lyrischen Elementen auch manche dramatischen Entwicklungen nicht fehlen. Besonderen Witz entfalten die Lieder Die Henne, Die Mutter bei der Wiege über die Ähnlichkeit der Nase des Vaters zum Kind (beide M. Claudius) und Die Welt nach Rousseau (mit schrillem Pfiff des Sängers). Aus dem Rahmen der einfach strukturierten Lieder fällt das ungewöhnlich ausgedehnte Lied Abschied, das in rezitativischer Form auf eigene Worte komponiert wie eine Solokantate wirkt. All dies setzen Birgid Steinberger, seit 1993 im Ensemble der Wiener Staats- und Volksoper und Martin Hummel, Professor an der Musikhochschule Würzburg, durchaus gekonnt um. Die Sopranistin gefällt mit klarer, blitzsauberer Stimme, während beim Bariton auffällt, wie unkompliziert und prägnant er die Inhalte der Lieder wiedergibt. Beide überzeugen mit guter Textverständlichkeit und stellen jeweils die Unterschiede der einzelnen Strophen deutlich heraus. Außerdem passen ihre Stimmen in den vier Duetten der Aufnahme bestens überein. Am historischen Hammerklavier begleitet partnerschaftlich mitgestaltend der versierte Pianist Glen Wilson (NAXOS 8.557452).

 

Von den bekannt gewordenen fünfzehn Sinfonien von J.M. Kraus sind zwölf erhalten geblieben, die das Schwedische Kammerorchester unter Petter Sundkvist mit zwei Ouvertüren und drei weiteren sinfonischen Einzelsätzen in den Jahren 1996 und 1998 bis 2000 eingespielt hat. Die erste CD beginnt mit der 1792 erstmalig aufgeführten Ouvertüre mit beträchtlichem dramatischem Impetus zu Voltaires Tragödie Olympie, zu der Kraus außerdem einen Marsch und mehrere Zwischenspiele komponiert hat. Von den drei Sinfonien in Es-Dur, C-Dur und c-Moll dürfte letztere von gewisser Bedeutung sein, ist sie doch Joseph Haydn gewidmet, unter dessen Leitung sie 1783 uraufgeführt wurde. Sie ist stark geprägt von den bei Kraus typischen, teilweise unerwarteten Kontrasten und Akzenten (NAXOS 8.553734).

 

Vol. 2 der Aufnahmen enthält vier Sinfonien in Dur-Tonarten, von denen die in A-Dur und die Sinfonie buffa, eine Art Miniatur-Pantomime, wahrscheinlich bereits in Kraus‘ Mannheimer Studienjahren (1768-1772)  entstanden sind. Bei beiden Werken kann man sich wie so oft bei der Sinfonik des Komponisten gut vorstellen, dass zumindest gedanklich ein dramatisches Geschehen im Hintergrund steht. Auch die Sinfonie in F-Dur – für kleines Orchester, besetzt nur mit Streichern und zwei Hörnern – stammt wohl bereits aus 1775, während die C-Dur-Sinfonie (mit Violin obligato) in seinen ersten Jahren in Stockholm entstanden sein dürfte (NAXOS 8.554472).

 

Auf der dritten CD sind mit einer Ouvertüre drei Sinfonien in Moll-Tonarten zusammengefasst. Die ausdrucksintensive d-Moll-Ouvertüre wurde für den Karfreitags-Gottesdienst 1790 komponiert; zwei Jahre später verwendete sie Kraus zum Auftakt der Begräbnis-Kantate für Gustav III. Die Ouvertüre passt gut zu der wegen des traurigen Anlasses, die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III., berühmt gewordenen Symphonie funèbre in c-Moll, die, beginnend und endend mit dumpfen Trommel-Schlägen, in vier langsamen Sätzen die Bestürzung des Komponisten über den Attentats-Tod des Monarchen ausdrückt. Die wie fast alle Werke dieser Art dreisätzige e-Moll-Sinfonie, 1782 entstanden, ist von zupackender Dramatik und lässt deutlich erkennen, dass Kraus von Antonio Rosetti und Joseph Haydn beeinflusst war. Die viersätzige cis-Moll-Sinfonie weist vor allem im einleitenden Andante di molto auf Christoph Willibald Gluck hin, dessen Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis Kraus ein Vorbild gewesen sein könnte (NAXOS 8-554777).

 

Vol. 4 beginnt und endet mit einer kurzen Reichstagssinfonie und einem Reichstagsmarsch, beide Teil einer zur Parlamentseröffnung im März 1789 zur Werbung für den gegen Dänemark und Russland geführten Krieg komponierten Musik. Für die Es-Dur-Sinfonie (vgl. Vol. 1) schrieb Kraus einen hier veröffentlichten, alternativen langsamen Satz, ein empfindungsreiches Larghetto. Bei den beiden weiteren Sinfonien in F-Dur und D-Dur ist die Autorschaft Kraus‘ zweifelhaft, obwohl in beiden Werken manches an seinen Komponierstil erinnert, wie die wieder starke Akzentuierung oder plötzliche Tremolo-Effekte (NAXOS 8.555305). Insgesamt ist zu den Sinfonien positiv herauszustellen, dass das Schwedische Kammerorchester mit ungemein durchsichtigem Spiel nicht nur die unverbrauchte Frische der akzentreichen Sinfonien mit ihren vielen auch dynamischen Überraschungen aufs Feinste herausgearbeitet hat, sondern auch die tief empfundenen Trauer-Passagen sehr glaubhaft zum Ausdruck bringt. Daran hat natürlich der Dirigent Petter Sundkvist, der für hörbar präzises Zusammenspiel gesorgt hat, wesentlichen Anteil.

 

Eine weitere CD enthält in Erstveröffentlichungen das Violinkonzert C-Dur, die Musik zu der Tragödie Olympie des schwedischen Dichters der Aufklärung Johan Henrik Kellgren und das letzte Ballett-Divertissement aus Kraus’ erster Oper Azire. Bereits früh hat sich der Komponist mit Instrumentalkonzerten beschäftigt: Von den mehreren bis 1778 geschaffenen Werken dieser Art, dabei ein Quadrupel-Konzert für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, ist nur das Violinkonzert C-Dur erhalten. Das gefällige Werk orientiert sich mehr an den virtuosen Konzerten eines Viotti als an den strukturell noch einfacheren von Carl Stamitz oder Joseph Haydn. Die Solistin der vorliegenden Aufnahme ist die japanische Geigerin Takako Nishizaki, die das Konzert gemeinsam mit dem New Zealand Symphony Orchestra unter dem deutschen Dirigenten Uwe Grodd interpretiert. Dabei leidet das Miteinander von Solistin und Orchester darunter, dass die Tutti-Stellen nicht homogen genug sind, weil die Holzbläser teilweise zu sehr aus dem Gesamtklang herausstechen. Dazu kommt, dass die Geigerin die vielen lyrischen Passagen nicht genügend auskostet; im Übrigen bewältigt sie ihren Part auch in den virtuosen Passagen mit manchen Intonationstrübungen allzu routiniert. Die Kadenzen stammen übrigens von dem Kraus-Spezialisten Bertil van Boer, dessen klugen, sehr sorgfältigen Einführungen in den Beiheften fast aller hier besprochenen CDs ganz wesentlich zum Verständnis der eingespielten Werke beitragen.
Die Schauspielmusik zu Kellgrens Tragödie Olympie entstand 1791, als sich herausstellte, dass die für 1792 vorgesehene Uraufführung der monumentalen Oper Æneas i Cartago, deren Librettist Kellgren war, erneut verschoben werden musste. Deshalb erhielt Kraus den Auftrag, eine Schauspielmusik für die Tragödie zu schreiben, deren Premiere schließlich am 7. Januar 1792 stattfand. Für den düsteren Inhalt des Stücks, das im Massenselbstmord der Protagonisten endet, ist der Kompositionsstil von J. M. Kraus mit seinen zahlreichen dramatischen Elementen bestens geeignet.
Als Kraus 1778 nach Schweden kam, machte er sich sogleich an die Arbeit, um das Drama Azire seines Göttinger Kommilitonen Carl Stridsberg zu vertonen. Davon ist leider nur die kurze, fünfsätzige Ballettmusik erhalten, die die vorliegende Aufnahme abschließt. Vor allem zur Schauspielmusik mit seiner mächtigen, wild aufbrausenden Sturm und Drang-Ouvertüre und den wieder höchst akzentreichen Zwischenaktmusiken passt das etwas schroffe Klangbild des neuseeländischen Orchesters deutlich besser als bei der Ballettmusik und dem Violinkonzert (NAXOS 8.570334).
J.M. Kraus hat sich auch mit Kammermusik beschäftigt, überwiegend in seinen ersten Jahren in Schweden und auf der großen Studienreise. Von den über zwanzig Werken für verschiedene Kammermusik-Besetzungen ist etwa die Hälfte für Streichquartett komponiert. Von den übrigen, an denen das Klavier beteiligt ist, haben sich fünf Violinsonaten und ein Klaviertrio erhalten; weitere Trio-Sonaten sind verloren gegangen. Eine Doppel-CD enthält diese Violinsonaten und das Klaviertrio neben einem einfach gestrickten Allegro, wohl gedacht für Studierende der Stockholmer Musikakademie zur Übung des Zusammenspiels von Klavier und Violine. Die Interpreten dieser Werke sind der kanadische, an der Universität von Alberta lehrende Pianist und Cembalist Jacques Després und der in den USA wirkende Geiger Walter Schwede, zu denen im Trio der kanadische Cellist John Friesen hinzutritt. Beim Klaviertrio ist auffällig, dass die Streicher gegenüber dem Klavier keineswegs nur begleitende Funktionen haben, wie es meist in anderen frühklassischen Werken, wie z. B. von Joseph Haydn geschieht. Hier hört man partnerschaftlich ausgewogenes Musizieren, wobei im 3. Satz, einem Ghiribizzo Allegro (launisches Allegro), manches wie italienische Folklore klingt, was die Künstler der Aufnahme mit Elan ausspielen. Die schon 1877 komponierte, zweisätzige d-Moll-Sonate der Sammlung ist eine damals bereits aus der Mode gekommene Continuo-Sonate – bei der späteren Veröffentlichung als Sonata per Violine solo e Basso bezeichnet – , bei der das Cembalo die teilweise virtuos aufspielende Geige „nur“ begleitet. Die übrigen vier jeweils knapp 30-minütigen Sonaten für Klavier und Geige sind dreisätzig und lassen die Instrumente fast durchgehend gleichberechtigt erscheinen. Die Musiker der Einspielung überzeugen in ihrem erfolgreichen Bemühen um spielfreudiges, gefälliges Musizieren, ohne dass sich einer von ihnen unnötig in den Vordergrund drängt (NAXOS 8.570023-24).
Und schließlich gibt es da auch noch eine CD, die all das enthält, was J.M. Kraus für Klavier solo komponiert hat (NAXOS 8.555771). Anders als bei seinen Zeitgenossen ist eher wenig erhalten geblieben, zwei Klaviersonaten sowie fünf Einzelsätze, dabei der musikalische Spaß Zwei neue kuriose Minuetten, gewidmet J.S. Bachs Biograf Johann Nikolaus Forkel, den Kraus in Göttingen kennen gelernt hatte, und ein Schwedischer Tanz. Auch in der Klaviermusik gibt es zahlreiche überraschende stilistische und harmonische Wendungen, die deutlich ins nächste Jahrhundert weisen. Hier ist ebenfalls der kanadische Pianist Jacques Després am Werk, der die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des neben Mozart wohl begabtesten, leider allzu sehr in Vergessenheit geratenen Komponisten angemessen wiedergibt. Gerhard Eckels

 

(Weitere Information zu den CDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Mercadantes „Amleto“ von 1822

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Der hundertfünfzigste Todestag von Saverio Mercadante (getauft 17. September 1795 in Altamura bei Bari; † 17. Dezember 1870 in Neapel) wird von der Musikwissenschaft zum Anlass genommen, in einem groß angelegten Kongress in Neapel, Wien, Altamura und Mailand der musikhistorischen Bedeutung dieses Komponisten nachzuspüren und eine Bilanz der bisherige Forschung zu ziehen. (M. W.) Der renommierte Musikwissenschaftler Michael Wittmann war so liebenswürdig, uns zu diesem Anlass einen Artikel zu schreiben.

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Saverio Mercandate hat 2020 seinen 150. Todestag/ Gemälde von Cefaly/ Wikipedia

M. W.: Die Opernhäuser haben das Ereignis (fast möchte man sagen natürlich) verschlafen. Eine Ausnahme bilden das Theater für Niedersachsen in Hildesheim, das Mercadantes Schillervertonung I briganti (coronabedingt mit reduziertem Orchester, aber szenisch und ungekürzt) auf die Bühne bringt. Davon um die Premiere im September herum weiteres.

Da ist noch Die Oper im Knopfloch, Zürich, die eine  moderne Erstaufführung von Mercadantes Amleto, am 22. Dezember 1822 an der Mailänder Scala uraufgeführten melodrama tragico nach einem Libretto von Felice Romani, für 202angekündigt hat.

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Zum Amleto: Mercadante hatte 1821 mit Elisa e Claudio ebenfalls an der Scala seinen internationalen Durchbruch erlebt und in der Folgezeit für alle wichtigen Theater in Oberitalien geschrieben. Zudem hatte er bereits den Vertrag in der Tasche, der ihn ab 1823 zum Nachfolger Rossinis als Hauskomponist am San Carlo  in Neapel machen sollte. Vorher standen für den Herbst 1822 gleich zwei neue Opern für Mailand an: die recht erfolgreiche Opera semiseria Adele ed Emerico (21. September 1822) und eben der Amleto, am 26. Dezember 1822.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Isabella Fabrica war der erste Hamlet 1822 an der Mailänder Scala 1822/ Wikipedia

Der Theateralmanach der Scala stellt dazu kurz und bündig fest: Mercadante si presenta per la terza volta su queste scene; ma pare che egli vi sia venuto per dimettere quell’alloro che si era procacciato coll‘Elisa e Claudio, che sfrodò poi coll‚Adele ed Emerico e che cadde intieramente coll‘ Amleto, il quale dopo poche sere venne ridotta ad un solo atto, e supplito da una farsa, fintantochè altra Opera di ripiego poté esser posta sulle scene. (Mercadante präsentiert sich zum dritten Mal auf diesen Szenen, aber es scheint so, als sei er gekommen, um den Lorbeer zurückzugeben, den er sich mit Elisa und Claudio verschafft hatte, den er dann mit Adele ed Emerico gemindert hatte und der mit Amelto schließlich fiel, der nach wenigen Abenden auf einen einzigen Akt reduziert wurde und durch ene Farsa ersetzt wurde, bis schließlich eine andere Oper auf die Bühne gebracht werden konnte.)

Freilich kam dieses Fiasco für Mercadante nicht ganz unerwartet. Bereits am 4. Dezember schrieb er in einem Brief an Barbaja:: …Io sono ne’guai, i più grandi, mentre la Belloc non è contenta della sua parte e minacca di far cadere l’opera, ed io son già preparato al più gran fiasco. (Ich befinde mich in Schwierigkeiten, den allergößten, während La Belloc mit ihrer Rolle nicht zufrieden ist und droht, die Oper fallen zu lassen, und ich bin schon auf das größte Fiasko vorbereitet.) Dass sich hinter diesen dürren Worten ein handfester Konflikt verbirgt, ergibt sich schließlich aus einem Dokument vom 30. November 1822, aus dem hervorgeht, dass Teresa Belloc, der als Primadonna die Rolle von Hamlets Mutter Geltrude zugedacht war, offenbar versucht hatte, eine Änderung ihrer Rolle zu erzwingen, indem sie bei der Zensurbehörde angeblich mit ihrer Partie verbundene eccezioni dal lato politico angezeigt hatte. Diese Anzeige wurde durch die Polizeibehörden nicht nur zurückgewiesen, sondern die Sängerin eigens dazu aufgefordert, sich mit aller Kraft für den Erfolg der Oper einzusetzen. Der eigentliche Grund für diese Theater-Intrige dürfte indessen nicht in politischer Besorgnis seitens der Belloc zu suchen sein, sondern in dem Umstand, dass die für die Oper tragende Rolle des Amleto wiederum Isabella Fabbrica zugedacht war, die damit alle Chancen hatte, der Primadonna Belloc den Rang abzulaufen, so dass diese am Ende ihre Partie womöglich doch nur mit halber Kraft sang.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Teresa Belloc war der Superstar an der Mailänder Scala und sang Hamlets Mutter Geltrude/ Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna

Eine etwas andere Erklärung für den Misserfolg der Oper bietet eine handschriftliche Anmerkung, die sich auf dem in der Bibliotheca di Santa Cecilia in Rom aufbewahrten Libretto der Uraufführung findet. Der unbekannte Schreiber notiert: Tutti fanno bene la loro parte, ma la nessuna novità e le frequenti rimem¬branze della Musica già sentita dello stesso Maestro fa si che l’effetto è il più disgraziato, quindi Fiasco. (Alle  machen ihre Rolle gut, aber nichts Neues und die ständigen Erinnerungen an bereits gehörte Musik eben diesen Maestros führen dazu, dass der Effekt  ein sehr undankbarer ist, also ein Fiasko.) In jedem Falle reichte das spektakuläre Desaster aus, um jegliche Chance für eine Folgeinszenierung an einem anderen Theater zu verhindern und bezeichnenderweie gehört Amleto auch zu den ganz wenigen Opern, von denen keine Einzelnummern im Druck erschienen sind.

Trotz dieser Nicht-Rezeption ist Mercadantes Amleto natürlich von beachtlichem musikhistorischen Interesse. Und dies gerade weil er mit Shakespeares Vorlage nur sehr wenig zu tun hat, ja man kann sogar bezweifeln, ob Romani Shakespeares Theaterstück überhaupt gekannt hat. Tatsächlich stellt er in seinem weitschweifigen Vorwort fest: É questo soggetto del presente melodramma ordito sulle tracce di Sackespeare [sic!] e del suo imitatore Ducis. É noto abbastanza che Amleto é l’Oreste, Claudio l’Egisto e Geltrude la Clitennestra; egli e perciò che il poeta ha modellato i caratteri di questi tre personaggi su quelli dei Greci. Lui è sembrato in tal guisa di renderli, se non più interessanti, almeno più addattati alle nostre scene di quello che per avventura non sieno ne l’originale inglese un po‘ troppo fantastico, nella copia del Ducis, a creder suo, troppo fiacco e sbiadata. (Und dieser Gegenstand des jetzigen, auf den Spuren Shakespeares wandelnden Melodramas und seines Imitators Ducis. Es ist ziemlich bekannt, dass Hamlet Orest ist, Claudio Ägisth und Gertrude Klytämnestra ist, der Dichter hat die Personen nach dem griechischen Vorbild modelliert. Hält sie auch für italienische Bühne geeigneter, als es die englischen Charaktere sind. hält er für zu phantastisch, in der Kopie von Duciszu matt und zu blass.) Indem er nun aber in seinem Libretto vor allem den im Hamlet-Stoff angelegten Mutter-Sohn-Konflikt heranzieht, ergibt sich nicht nur eine Parallele zu Orest-Klytemnästra, sondern auch zum Semiramide-Stoff nach Voltaire, den Rossini/Rossi praktisch zeitgleich für das Teatro La Fenice (UA 3. Februar 1823) bearbeiteten.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“/Design von Alessandro SanQuirico für die Oper1822/Wikipedia

Ein Vergleich beider Opern (Amleto – Semiramide)zeigt denn auch, dass sich in beiden Werken eine ganze Reihe von dramaturgisch identischen Situationen finden, die – beinahe überflüssig zu sagen – allesamt von Rossini überzeugender bewältigt wurden und die somit vor allem erkennen lassen, welche Mittel Mercadante damals noch nicht zu Gebote standen. Als Beispiel sei auf das Finale des 1. Aktes verwiesen, der in beiden Opern durch die Geisterscheinung des ermordeten Vaters bestimmt wird. Während jedoch Rossini das szenische Moment als solches hervorkehrt (und damit auf seine Pariser Opern vorausweist) nutzt Mercadante die Situation vor allem zu einem fünfstimmigen Largo a capella, das als Stück von mustergültiger kompositorischer Arbeit doch nur ein typisch neapolitanischer Kunstgriff ist, der sich bis auf Niccolò Jommelli zurückführen läßt. Übrigens sind Adele und Amleto die ersten beiden Libretti, die Romani für Mercadante geschrieben hat. Der hatte sich den ausdrücklich gewünscht. Wenn man den Amleto mit der Semiramide vergleicht, wird aber deutlich, warum Rossi die modernere Librettist war. Romani gewinnt das große Finale des 1. Aktes aus der Geistererscheinung des Vaters. Rossi stellt dies gleich an den Anfang. Das ist innovativ und zeigt sehr schön, dass Rossi wirklich von der Bühne und dem Bühneneffekt her dachte. Romani hingegen war ein Literat, der sich nicht darum kümmerte, wie etwas auf der Bühne wirkt. Dasselbe findet man mit Blick auf die Verteilung der Rollen: bei Romani ist das genau abgezirkelt. S und MS erhalten dieselbe Anzahl von Solonummern, dazu zwei Duette, zwei Terzette und ein Quintett. In der Semiramide spielt diese Arithmetik keine Rolle und Rossi konzentriert sich auf wenige, dafür aber größere Nummern. (Die Idreno-Arien in der Semiramide werden  ja oft auch weggelassen). Aber Rossini hatte da eben schon das „Standing“, um so etwas gegen die Sänger durchsetzen zu können.

Das Finale aus Mercadantes Oper „Amleto“ findet sich auf der Opera Rara Folge „A Hundred Years of Italian Opera“, 1820 – 1830

Eine Einspielung dieses Amleto-Finales ist auf einer CD von Opera Rara zu hören und diese Einspielung verdeutlicht schlagartig das Problem des jungen Mercadante: Durch Nicolo Zingarelli am Konservatorium von Neapel ausgebildet, war er ganz auf die neapolitanische Tradition festgelegt worden, die er erneuern und gegen Rossini ins Feld führen sollte. Mit dem Fiasko des Amleto wurde die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens erstmals deutlich; noch mehr mit dem noch größeren Fiasko, das Mercadantes Dorlice 1824 in Wien machte. Es spricht für Mercadante, daß er sich nach diesen beiden negativen Erlebnissen einer Art kompositorischen Selbstkritik unterzog und ab 1825 sich dezidiert mit den Errungenschaften von Rossinis experimentellen neapolitanischen Opern auseinandersetzte. Michael Wittmann

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Und noch ein Postscript: Saverio Mercadantes frühe Opern sind sicherlich nicht die dringlichsten Desiderate einer modernen Wiederaufführung, auch wenn man diese, wie etwa die Teileinspielung von Maria Stuarda mit grossem Vergnüngen hören kann. Auch der Ausschnitt aus Amleto vermag die Neugier nach mehr zu wecken.

Das Zürcher Unternehmen Die Oper im Knopfloch wirbt für diese Aufführung als „Psycho-Kammerspiel nach Shakespeare“. Vorgesehen sind fünf (!!!) Sängerinnen (!!!) und eine instrumentale Begleitung aus Flöte, Klarinette, Horn und Violoncello. Wenn man das positiv sehen will, könnte  man den lateinischen Spruch zitieren: Ut desint vires …. Wenn man weniger gnädig ist, muss man die Frage stellen: Cui bono? Oder auch: Warum? Mercadante  jedenfalls dürfte man damit keinen Gefallen tun. Bei der Uraufführung in Mailand erlebte sie ein komplettes Fiasco. Sie gehört zu den wenigen Opern Mercadantes, von denen nicht eine einzige Nummer im Druck erschien. Und sie war verantwortlich dafür, dass Mercadante Zeit seines Lebens davon überzeugt blieb, dass eine Opernpremiere am 2. Weihnachtsfeiertag Unglück bringen müsse. Und dass, obwohl die Premiere in Mailand über die allerersten Sänger und das volle Instrumentarium der Möglichkeiten (inclusive Banda militare sul palco) dieses Hauses verfügte. Der Werbe-Gag eines „Psycho-Kammerspieles nach Shakespeare“ führt in die Irre, da die Handlung eben nicht auf Shakespeare zurückgeht und sie Romani explizit für die italienische Opernbühne als ungeeignet darstellt. Michael Wittmann

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Großen Dank an den renommierten Autor, der natürlich operalounge.de-Lesern wie auch der Musikwelt namentlich der Belcanto-Periode als hochgeschätzter Musikwissenschaftler und Fachmann gilt. Er fügte seinem Artikel – exklusiv für, uns – eine ausführliche Aufstellung der musikalischen Nummern der Oper Amleto von Mercadante bei, die den Rahmen unserer Berichterstattung sprengen würde, die wir aber auf Wunsch per mail an Interessenten verschicken. Dank auch an Ingrid Wanja, die wieder für uns die italienischen Zitate Michael Wittmanns übersetzte: Das wird viele Leser freuen. Wir stellen ja eh schon manche Geduld auf die Probe wenn wir vieles in den west-europäischen Kultursprachen bringen (Abbildung oben:“Hamlet“, Gemälde von Füssli/ Tate Gallery London/ Wikipedia). G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Weltersteinspielungen

 

Nach dem sehr vielversprechenden Auftakt der von Naxos verantworteten Reihe einer ersten Gesamteinspielung sämtlicher Ouvertüren von Daniel-François-Esprit Auber geht es nun in die nächste Runde, da Vol. 2 soeben erschienen ist (8.574006). Wiederum zeichnet das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter Dario Salvi verantwortlich, was aufs Neue zum positiven Gesamteindruck beiträgt. Dieses Mal stehen bewusst ganz wenig bekannte Beispiele der Musik Aubers im Mittelpunkt. Insgesamt sieben Opern zwischen 1805 und 1834 wurden berücksichtigt, wobei streng genommen lediglich vier Ouvertüren darunter sind (Le Concert à la cour, ou La Débutante; Fiorella; Julie, ou L’Erreur d’un moment; Léocadie). Ansonsten handelt es sich um Entr’actes und Einleitungen zu diversen Opernakten, also deutlich kürzere und weniger ambitionierte Orchesterstücke (Lestocq, ou L’Intrigue et l’Amour; Couvin, ou Jean de Chimay; La Fiancée). In einem Fall, bei der Oper Julie, wurde zudem das zweiminütige instrumentale Finale beigefügt. Tatsächlich wird diesmal der „leichte“ Auber präsentiert, da keines der enthaltenen Stücke das Gewicht hat, welches man teilweise in Vol. 1 präsentiert bekam. Bis auf zwei Ausnahmen, die Ouvertüren zu Lécadie und Fiorella, handelt es sich durchgehend um Weltersteinspielungen, was die Sache für Liebhaber der französischen Musik des 19. Jahrhunderts freilich umso spannender macht. Wie gesagt, die Gewichtigkeit der Ouvertüren zu La Muette de Portici, Fra Diavolo, Gustave III oder auch Leicester (letztere bekannt aus Vol. 1) darf man diesmal nicht erwarten. Dies gilt auch für das Violinkonzert D-Dur mit der tadellosen Solistin Markéta Čepická, ein sehr frühes, dreisätziges Werk von weniger als 20 Minuten, entstanden um 1805, dessen Schlichtheit in keinem größeren Kontrast zum fast zeitgleichen Violinkonzert Beethovens in derselben Tonart stehen könnte. Gleichwohl liefert dann doch eben dieses Konzert mit seinem Tarantella-artigen Finalsatz womöglich den Höhepunkt dieser CD. Die Aufnahmen entstanden zwischen 4. und 7. Februar 2019 im Haus der Musik in Pardubice und repräsentieren auch technisch den hohen heutigen Standard des Labels. Eine wenig spektakuläre, für den Sammler gleichwohl unerlässliche Neuerscheinung und wichtige Ergänzung der Auber-Diskographie. Daniel Hauser

 

30Viele Melomanen erinnern sich gerne an die Kompilationen von Ouvertures, die in den goldenen Jahren der Schallplatte ihre Herzen erfreuten. Ob von einem einzigen Komponisten wie Beethoven und Rossini oder von unterschiedlichen Tonsetzern, stets freute man sich über Musikstücke, die selten im Konzertsaal oder auf LP und später auf CD zu hören waren. Waren es Opernouvertüren, dann waren diese Zusammenstellungen eine willkommene Einführung zu Bühnenwerken, die auf keinem Spielplan standen. In gewisser Hinsicht überahmen solche Platten dieselbe Funktion wie Übertragungen für ein zwei- oder vierhändiges Klavier im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Seit einiger Zeit sind solche Platten aus der Mode gekommen, vielleicht auch weil viele Theater inzwischen regelmässig Raritäten bieten.

Das Label Naxos hält hingegen an der Tradition fest und hat u.a. eine Anthologie der Sinfonie von Domenico Cimarosa auf 4 CDs veröffentlicht. Jetzt wird ein Zyklus mit den Ouvertüren des Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) gestartet. Auch von diesem Protagonisten der Pariser Oper in der ersten Hälfte des 19. Jh. liegen inzwischen mehrere Bühnenstücke vor. Trotzdem bietet sein umfangreicher Werkkatalog immer noch genügend Ungespieltes, um das Unternehmen zu rechtfertigen. Man hätte sicherlich auch noch mehr in den Archiven gefunden, aber Naxos hat den Fehler begangen, neben einigen Seltenheiten wie den Ouverüren zur „Ciracassienne“ (1861), der „Fiancée“ (1829) oder dem „Enfant prodigue“ (1850) auch inzwischen gut bekannte Stücke („Fra Diavolo“, „Le domino noir“) aufnehmen zu lassen. Ein Fehler, war das, weil dadurch die Mängel der Aufführung noch mehr auffallen. Von einem französischen Orchester wie dem Orchestre de Cannes würde man mindestens einen idiomatischen Zugang zum urfranzösischen Opernkomponisten Auber erwarten, am besten aber Esprit und jene unnachahmliche Mischung aus Ironie und Melancholik, welche die Partituren auszeichnet. Das Orchestre de Cannes klingt indes wie ein Kurorchester am Ende eines überaus anstrengenden Arbeitstages, und das bleierne Dirigat des Österreicher Wolfgang Dörner zeichnet sich durch eine an Stellen schwer erträgliche Schwerfälligkeit aus. Liebhaber der Opéra-comique, die sich diese CD aus Neugier antun wollen, sei empfohlen, ältere Aufnahmen mit Albert Wolff oder Richard Bonynge in Reichweite zu halten, um zu hören, wie Auber tatsächlich klingt  (D.F.E. Auber, Overtures 1 (Circassienne, Cheval de bronze, Domino noir, Frau diavolo, Fiancée, Diamants de la couronne, Marco Spada, Enfant prodigue), Orchestre de Cannes, Wolfgang Dörner, CD Naxos 8573553). Michele Ferrari

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Nicht wesensverwandt

 

Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo  als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich  schon einmal auf CD in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.

Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Kalaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs , aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.

Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucean le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.

Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.

Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber  der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer  kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.

Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Fra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.

Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist  schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.

Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur  das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.

Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Kalaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften  Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger.  Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733). Ingrid Wanja

 

José van Dam …

 

Zu  meinen absoluten Lieblingssängern gehört der belgische Bass-Bariton José van Dam, der am 25. August 2020 seinen 80. Geburtstag beging. Als Westberliner hatte ich das ganz große Privileg ihn als jungen Mann (nur 5 Jahre älter als ich, wie ich gerade feststelle) in seinen Prachtrollen zu hören: Leporello, Masetto, Don Alfonso, vor allem auch Figaro beider Komponisten, Ferrando im Troubadour, Paolo im Boccanegra neben dem ebenfalls sattstimmigen  Ingvar Wixell, als Attila neben alternierend Gundula Janowitz (und den Problemen in der ersten Arie) oder der flamboyanten Lou-Ann Wyckhoff (dto. zweite Arie) und natürlich wieder Wixel sowie Fortune. Als Escamillo alternierter er mit George Fortune, als Doktor Mirakel/Hoffmanns Erzählungen prunkte er mit seiner balsamischen Stimme ebenso wie als Mönch im Don Carlo oder als  Elias im Konzert. Mir ist diese unvergesslich individuelle Stimme so gut im Ohr, dass ich manche Partien wie den Leporello (noch neben Siepi) oder Don Alfonso oder Mozarts Figaro  lange Zeit nicht von anderen hören konnte. Sein Orest war ebenso eine interessante Facette dieser Zeit.

Und zu den SFB-Rundfunkschätzen jener Jahre gehören seine Dokumente aus dem Hans Heiling (neben der DOB-Kollegin Agnes Baltsa als Mutter), Webers Lysiart (neben Els Bolkestein/Eglantine  von der Komischen nebenan), Fürst Igor, Bertram/Robert der Teufel, Tomski/ Pique Dame und den Königskindern -. sein Spielmannslied macht mich heute noch schlucken. Ach ja. Wir haben für ihn geschwärmt.

Natürlich blieb er nicht in Berlin und machte große Karriere mit den Partien seines Fachs, wenngleich vielleicht der Holländer (ein ganz wunderbares Dokument aus Paris unter Varviso), Filippo/Philippe von Verdi oder auch der Boris Godunov ihn an seine  Grenzen führten, aber vor allem als Verdis leidvoller König ist er mir aus Brüssel und London neben Roberto Alagna und in Covent Garden und der interessanten Martine Dupuy unvergesslich. Stets war es seine extraordinäre Diktion, die die Musik trug, in allen Sprachen, die ich von ihm gehört habe. Die mustergültige Verschmelzung von Sprache und Musik, von Singen eben auf der Sprache gab seinen Auftritten und Dokumenten etwas Einzigartiges, Unnachahmliches. Sonores vermählt mit Schönklang, Biss und unglaublicher, topsicherer Technik. Wann hat man das? José van Dam setzte für mich Maßstäbe der Qualität, der gesanglichen Schönheit und der engagiertren Interpretation. Bon anniversaire, Mâitre. G. H.

 

Seine außerordentliche Karriere, die ebenso so glanzvoll wie vielseitig war, dokumentiert der unersetzliche Kutsch-Riemens (Großes Sängerlexikon) mit nachstehendem Artikel. Dam, José van, Baß-Bariton, * 27.8.1940 Brüssel; eigentlich Joseph Van Damme. Ausbildung durch Frédéric Anspach am Konservatorium von Brüssel, wo er sein Diplom für Operngesang und als Gesangslehrer erhielt. Nachdem er mehrere Gesangwettbewerbe gewonnen hatte, debütierte er 1960 am Opernhaus (Opéra de Wallonie) von Lüttich als Basilio im »Barbier von Sevilla«. 1961 kam er an die Grand Opéra Paris (Antrittsrolle: Wagner im »Faust« von Gounod), an der er bis 1965 blieb, und u.a. in »Les Troyens« von Berlioz auftrat und den Escamillo in »Carmen«, aber auch kleinere Partien sang. 1965-67 sang er am Grand Théâtre Genf; hier wirkte er 1966 in der Uraufführung von »La Mère coupable« von Darius Milhaud mit. 1967 wurde er an das Deutsche Opernhaus Berlin berufen und begann nun eine große internationale Karriere. In Berlin sang er den Paolo in Verdis »Simon Boccanegra«, den Leporello im »Don Giovanni« und den Alfonso in »Così fan tutte«. Er gab Gastspiele in Brüssel, Stockholm, an der Covent Garden Oper London (Debüt 1973), in Lissabon und München, bei den Festspielen von Aix-en-Provence und an der Oper von Santa Fé (1967 als Escamillo, zugleich sein USA-Debüt). 1970 debütierte er an der Wiener Staatsoper als Leporello im »Don Giovanni« und leitete damit auch dort eine große Karriere ein.

1972 sang er an der Mailänder Scala den Escamillo in »Carmen«. 1973 gastierte er am Teatro Fenice Venedig als Kaspar im »Freischütz« von Weber, 1973-74 glanzvolle Gastspiele an der Grand Opéra Paris und am Opernhaus von Straßburg. Er gastierte an den Opernhäusern von Lüttich und Zürich, von San Francisco (1970) und Dallas, in Amsterdam und Monte Carlo. 1975 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er im November diesen Jahres als Escamillo debütierte und in einer langen Karriere u.a. den Golo in »Pelléas et Mélisande«, den Colline in »La Bohème«, den Figaro in »Nozze di Figaro«, den Jochanaan in »Salome« von R. Strauss und den Wozzeck von A. Berg sang. Bei den Festspielen von Salzburg trat er 1974-76 und 1979-80 als Titelheld in »Nozze di Figaro« auf, 1974 und 1980-81 als Sprecher in der »Zauberflöte«, 1977-78 als Jochanaan, 1975-77 als Mönch im »Don Carlos« von Verdi, 1980-82 in den vier dämonischen Partien in »Hoffmanns Erzählungen«, 1982 als Alfonso in »Così fan tutte«, 1985-86 als Escamillo, 1993 als Falstaff von Verdi. Seit 1970 wirkte er länger als zwanzig Jahre in den Konzertveranstaltungen der Salzbuger Festspiele mit, u.a. in Beethovens 9. Sinfonie (1976), der »Schöpfung« von J. Haydn (1977, 1982), der Hohen Messe von J.S. Bach (1985), dem »Elias« von Mendelssohn (1984), dem Deutschen Requiem von J. Brahms (1983) und der 8. Sinfonie von Gustav Mahler (1975). Er trat dort in Mozart-Konzerten auf und gab viel beachtete Liederabende. Bereits 1968-72 sang er in den Salzburger Aufführungen von Cavallis »Rappresentazione di Anima e di Corpo«. Bei den Osterfestspielen von Salzburg hörte man ihn als Amfortas im »Parsifal«, als Rocco wie als Minister im »Fidelio«, als Ferrando im »Troubadour« und 1992 als Fliegenden Holländer. Am 28.11.1983 sang er an der Grand Opéra Paris die Titelpartie in der Uraufführung des Opernwerks »Saint François d’Assise« von Olivier Messiaen und wiederholte diese bei Aufführungen im Rahmen der Salzburger Festspiele (1992) und an der Opéra Bastille Paris (1992). 1987 sang er an der Mailänder Scala den Don Giovanni zur 200-Jahrfeier der Uraufführung dieser Oper, 1986 in Brüssel den Boris Godunow von Mussorgsky, 1989 an der Grand Opéra Paris den Wilhelm Tell in der Rossini-Oper gleichen Namens, den er 1991 auch am Grand Théâtre Genf vortrug. Er trat auch als Gast am Opernhaus von Köln und am Nationaltheater Mannheim auf. Beim Festival von Orange sang er 1990 den Mephisto im »Faust« von Gounod, an der Opéra Bastille 1992 wieder die Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen«, am Teatro Colón Buenos Aires 1995 den Titelhelden in Verdis »Simon Boccanegra«, 1996 am Théâtre Châtelet Paris und an der Covent Garden Oper London den König Philipp in Verdis »Don Carlos«. Zu seinen Hauptrollen gehörten neben den Mozart-Partien seines Stimmfachs der Mephisto in »Faust« von Gounod, der Escamillo in »Carmen«, der Golo in »Pelléas et Mélisande« und der Alfonso in »Lucrezia Borgia« von Donizetti. Große Erfolge als Konzertsänger in Chicago, Boston, Los Angeles, Tokio und in den europäischen Musikmetropolen.

 

Schallplatten: HMV (vollständige Opern »Carmen«, »Fidelio«, Jochanaan in »Salome« von R. Strauss, »Pelléas et Mélisande«, »Zauberflöte«, »Ciboulette« von Reynaldo Hahn, »Così fan tutte«, »Aida« und »Simon Boccanegra« von Verdi, »Louise« von Charpentier, »Mireille« und »Roméo et Juliette« von Gounod, »La jolie fille de Perth« von Bizet, »Hoffmanns Erzählungen«, »Guercoeur« von A. Magnard, »Oedipe« von Enescu, Requiem von Gabriel Fauré), Decca (»Un Ballo in maschera« von Verdi, »Carmen«, »Damnation de Faust« von Berlioz, »Figaros Hochzeit«, »Frau ohne Schatten« von R. Strauss), RCA (Verdi-Requiem), DGG (»Parsifal«, »Zauberflöte«, »L’Heure espagnole« von Ravel, »Pelléas et Mélisande«, 9. Sinfonie und Missa solemnis von Beethoven, »Roméo et Juliette« von Berlioz, 8. Sinfonie von G. Mahler), CBS (»Don Giovanni«), Erato (»Pénélope« von Gabriel Fauré, »Dardanus« von Rameau, h-moll Messe von Bach, »L’Enfance du Christ« von [Nachtrag] Dam, José van; nachdem er während zwanzig Jahren dort nicht mehr aufgetreten war, sang er 1981 am Théâtre de la Monnaie Brüssel den König Philipp im »Don Carlos« von Verdi. 1997 gastierte er an der Oper von Rom als Fliegender Holländer, 1998 am Opernhaus von Toulouse als Boris Godunow. 1998 sang er bei den Salzburger Festspielen wieder die Titelrolle in O. Messiaens »Saint François d’Assise«, 1999 an der Oper von Monte Carlo den Escamillo in »Carmen«. – Lit: A. Clark: José van Dam (in »Opera«, 1993). – Schallplatten: Decca (Hans Sachs in den »Meistersingern«), EMI (Frère Laurent in »Roméo et Juliette« von Gounod, Nilakantha in »Lakmé« von Delibes, Titelrolle in Puccinis »Gianni Schicchi«). [Lexikon: Dam, José van. Großes Sängerlexikon, S. 5; (vgl. Sängerlex. Bd. 6, S. 284) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto © Deutsche Oper Berlin / kranichfoto.)

Askese und Sinnlichkeit

 

Eine Box mit 15 CDs und 9 Booklets für die Freunde barocker Vokalmusik gibt NAXOS heraus (8.501505). Es enthält die komplette Sammlung von Claudio Monteverdis Madrigalen (Libri 1 – 9), die zwischen 1587 und 1638 entstanden, ergänzt um die Scherzi musicali von 1632. Die Interpreten sind das 1992 gegründete italienische Vokal- und Instrumental-Ensemble Delitiae Musicae und sein Leiter Marco Longhini. Die Sammlung, exklusiv für NAXOS aufgenommen, nutzt die authentischsten und ungekürzten Editionen und ist – analog zur gängigen Praxis im 16./17. Jahrhundert – nur mit männlichen Stimmen besetzt. Das sichert den a capella-Gesängen einen klaren, keuschen Klang von puristischer Reinheit, der zu dieser asketischen Musik perfekt korrespondiert. Die phänomenale Intonationssicherheit des Klangkörpers soll besonders herausgestellt werden, ebenso die stilistische Reinheit sowie die sich mirakulös mischenden Stimmen.

Das Primo Libro, veröffentlicht in Venedig 1587, komponierte Monteverdi mit 19 Jahren als das dritte Werk seines Schaffens. Bereits hier sind Liebe und Tod als die zentralen Themen der Monteverdischen Musik in Licht- und Schatten-Stimmungen angelegt. Weltersteinspielungen sind „Fuggi cor“ und „Se d’un angel“. Wunderbar schwebende Klänge und reizvolle Echo-Wirkungen vernimmt man im Secondo Libro, welches sich der Liebe und Natur widmet und das der Komponist im Alter von 22 Jahren veröffentlichte. 1592 erschien das Terzo Libro, gewidmet dem Duca di Mantova und der erste durchschlagende Erfolg des Schöpfers. Mit seinen deklamatorischen und auch dissonanten Passagen hebt es sich deutlich von seinen Vorgängern ab. Besonders in „Vattene pur, crudel“ und „Vivrò fra i miei tormenti“ wird das offenbar. Expressivität und Pathos prägen das Quarto Libro mit seinen erotischen Affekten und schmerzlichen Abschieden. Das Quinto Libro von 1605 führt den expressiven Stil des vorherigen weiter und stellt das unglückliche Paar Dorinda/Silvio in den Mittelpunkt. Erst neun Jahre später erschien der nächste Band, der als definitiver Beitrag des Komponisten zum stile antico galt. Er enthält zwei meisterhafte Werke – die „Sestina“, Monteverdis Würdigung für seine 1607 verstorbene Frau, und das „Lamento d’Arianna“ als polyphone Transkription seiner berühmten Opernszene. Das Settimo Libro von 1619 betitelte der Komponist Concerto, denn hier werden die Stimmen vom Basso continuo, welches bereits in der einleitenden Symphonia zu vernehmen ist, begleitet. Beispiele von Monteverdis größten Schöpfungen finden sich im Libro ottavo mit den Madrigali guerrieri et amorosi, welche in dieser Ausgabe erstmals in ihrem Original und ungekürzt präsentiert werden und gleichfalls mit instrumentaler Begleitung erklingen. Interpoliert sind Sinfonien und Tänze von Monteverdis Zeitgenossen Biagio Marini (1694 – 1663). Dessen Sinfonia prima á 3 leitet das posthum veröffentlichte Libro nono ein, welches eines der Meisterwerke des Komponisten enthält – „Zefiro torno“.

Die Scherzi musicali von 1632, welche noch einmal die Themen von Krieg und Liebe aufnehmen, sind ein würdiger Schlussakkord dieser bedeutenden Anthologie. Bernd Hoppe

 

Geheimnisvolle Kratzspur

 

Es könnten die Spuren eines Kampfkaters sein, der seine Krallen gewetzt und dabei große Fetzen Leinwand aus dem Portrait Richard Wagners gerissen hat, das als Cover für Szenen-Macher dient, denn für die zarteren Pfötchen von Laborratten oder die eines anschließend zum Verwesen verurteilten Hasen sind die Spuren einfach zu prägnant. Es handelt sich um den dritten Band als Ergebnis des seit 2017 stattfindenden Diskurs Bayreuth und er trägt den Titel Szenen-Macher, der die Gedanken in eine ganz andere Richtung drängt, in die auf die Regisseure, die in den vergangenen Jahren sich zwar nicht am Portrait, sondern am Werk des großen Komponisten zu schaffen machten, oft in ähnlicher Weise und mit ähnlichem Ergebnis wie die Verunstalter des Cover-Portraits.  Für das, was  schriftlich während des Symposiums festgehalten wurde, zeichnen Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie Luise Maintz als Herausgeber verantwortlich, haben auch gemeinsam ein Vorwort verfasst.

Stephan Mösch, Professor, Mitarbeiter an der Zeitschrift Opernwelt (und ehemaliger Chefredakteur des Magazins), befasst sich mit dem im doppelten Sinn als Jahrhundert-Ring bekannnten Regiewerk von Chereau/Boulez, berichtet auf höchst interessante Weise davon, wie zunächst ganz andere Regisseure im Gespräch waren, so Peter Stein, der die Erstellung eines Konzepts empört ablehnte, den Ring eher als Spielmaterial denn als zu respektierendes Kunstwerk ansah, über Chereau, der ihn als ästhetisches Gefüge betrachtete. Er stellt die Bedeutung von André Glucksmann für den Jahrhundert-Ring heraus und betont die faire Haltung von Wolfgang Wagner gegenüber dem zunächst auf große Ablehnung stoßenden französischen Regisseur, der nicht im Gold, sondern in der Macht, nicht in Alberich, sondern in Wotan Dreh- und Angelpunkt sah. Berührend ist der Brief, den Chereau an Wagner schrieb, und er hätte vielleicht manchen Buh-Rufer zum Schweigen gebracht.

Matthias Pasdzierny berichtet über die Ära Heinz Tietjen, klammert bewusst alles, was nicht streng an seine künstlerische Arbeit in Bayreuth gebunden ist, aus und vermittelt besonders anhand eines Regie-Klavierauszugs von Tristan über dessen Regiehandschrift, ergänzt durch Fotos von der Probenarbeit Erhellendes. Die Frage „Hat Tietjen je gelebt?“ wird eindrucksvoll, ausgewogen und unterhaltsam beantwortet.

Kai Köpp widmet sich der Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts unter dem Titel Die Partitur führt Regie und untersucht den Anteil an Wagners Regie, den die damals allgemein übliche Praxis hatte, und denjenigen, der auf Wagner selbst zurückgeht. Stummfilme und Gestik-Lehrwerke sowie ein Einblick in die Kompositionslehre dienen dabei als Quellen.

Rebecca Grotjahn untersucht, inwiefern für Wagner Wilhelmine Schröder-Devrient als Idealbild einer Mimin galt, in welchem Verhältnis Sprache und Gesang in ihrer Kunst standen, inwieweit das In-der-Rolle-Aufgehen zum Vorbild werden konnte.

Auch die Dramaturgin Kerstin Schüssler-Bach widmet sich Frauen, nämlich Cosima und Winfried Wagner, die sowohl als Frauen wie als Ausländerinnen verunglimpft wurden. Ihre Verdienste um Bayreuth werden gewürdigt, Winfried kommt trotz Hitler-Verehrung bis zum Ende außergewöhnlich gut weg, eher Wieland wird des Intrigantentums bezichtigt. Cosima wird zugestanden, für eine ästhetische Steigerung, reine Arrangements vermeidend, gesorgt , mit Isidora Duncan im Venusberg Neuerungen gewagt zu haben. Dem Meiningertum, dem Cosima anhing, ist eine Diskussionsrunde gewidmet.

Alexander Meier-Dörzenbach und Markus Kiesel befassten sich mit der Ära Siegfried Wagners, seiner heiklen Mission als „künstlerischem Gottessohn“, den Antipoden Wagnerfestspiele als „Befestigungsspiele unseres Glaubens an den deutschen Geist“ und dem Eintreten für Juden als Zuschauer und Mitwirkende. Als bedenklich wird angesehen, dass Bayreuth anders als andere Bühnen bekannte Maler wie Max Slevogt als Bühnenbildner zurückwies. Als „Spagat zwischen Tradition und Moderne“ wird Siegfrieds Bayreuther Zeit  von Meier-Dörzenbach angesehen, während sich Kiesel den baulichen Veränderungen und Erbfolgeproblemen zuwandte.

In einem Gespräch widmeten sich Tobias Kratzer, Regisseur des Tannhäuser 2019, und die Witwe von Joachim Herz, Kristel Pappel, u.a. der Frage, wie sich die Figuren von Venus und Elisabeth zueinander verhalten, dass nicht eine Utopie, sondern ein Nahtoderlebnis vermittelt werden sollte.

Eine Vorschau auf den aus bekannten Gründen noch nicht verwirklichten neuen Ring gibt es mit dem Regisseur Valentin Schwarz und mit Paul Esterhazy unter dem altbekannten Aufruf Wagners:“Kinder! Macht Neues!“. Worin das nun 2021 (hoffentlich) bestehen wird, bleibt noch weitgehend ein Geheimnis.

Zum „Paradigmenwechsel in der Wagner-Regie“ äußern sich Johannes Erath und Wolfgang Nägele, und bei ihnen ist von „fremdenfeindlichem Gedankengut“ und „Kollektivschuld“, von „mit welcher Last leben wir“ die Rede, dann recht unverhofft vom Geheimnis der Liebe, das größer ist als das Geheimnis des Todes sei.

Francis Hüsers und Michael Schulz fragen sich anschließend, ob es, es ist von  Wagner außerhalb Bayreuths die Rede, eine Rückkehr vom Regie- zum Bildertheater gebe, meinen, aus den Peripherien könnten neue Zentren der Wagnerregie werden. Abschließend macht Christoph  U. Maier den Leser mit Richards Wagners Stilbildungsschule bekannt.

Das anregende, vielseitige Buch verfügt über einen reichhaltigen Anhang von Anmerkungen, Informationen zum Diskurs Bayreuth, den Autorenkreis und ein Personenregister (240 Seiten, Bärenreiter Verlag 2020; ISBN 978 3 7618 2492 4). Ingrid Wanja

Kurt AZESBERGER

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode des Tenors Kurt AZESBERGER, am 10. August 2020, geboren am 8. April 1960 in Arnreit (Oberösterreich); er wurde im österreichischen Stift St. Florian erzogen und gehörte dem bekannten Knabenchor des Stiftes an; er war dessen Alt-Solist. Er studierte dann Musik und Gesang am Bruckner-Konservatorium von Linz/Donau und setzte seine Ausbildung an der Musikhochschule in Wien bei Hilde Rössl-Majdan und bei Kurt Equiluz fort. 1987 erwarb er dort das Diplom für Oratorien- und Liedgesang. Nachdem er den Bach-Gesang bei Peter Schreier studiert hatte, wurde ihm 1991 der Mozart-Interpretationspreis der Republik Österreich für junge Künstler verliehen. Er begann nunmehr eine internationale Konzertkarriere. Er sang bei den Salzburger Festspielen (1986 in Beethovens C-Dur-Messe, 1993 in Kodálys »Budavári Te Deum«, 1996 den Evangelisten in der Matthäus-Passion von J.S. Bach und den Klaus-Narr in A. Schönbergs »Gurrelieder«, 1998 in Mozarts C-Moll-Messe und einem weiteren Mozart-Konzert und 2002 den Mönch in Schönbergs »Jakobsleiter«), beim internationalen Brucknerfest in Linz und beim Carinthischen Sommer. Man hörte ihn als Oratorien- und Liedersänger in Amsterdam, in Den Haag und London, und vor allem natürlich in Wien. Es kam dann auch zu Bühnenauftritten, so 1993 am Landestheater von Linz/Donau als Titelheld in der Händel-Oper »Xerxes« (»Serse«). 1993 sang er in Birmingham und in London gemeinsam mit dem Ensemble des Glyndebourne Festivals den Cascada in konzertanten Aufführungen von Lehárs »Die lustige Witwe«. 1994 sang er am Landestheater von Linz/Donau, in der darauf folgenden Spielzeit an der Staatsoper Berlin, 1999 (konzertant) in Köln den Ägisth in »Elektra« von R. Strauss. 1997 gastierte er in der Titelpartie von Mozarts »La clemenza di Tito« an der Wiener Volksoper. Bei den Salzburger Festspielen sang er 1997 (ebenso wie zuvor schon bei den dortigen Osterfestspielen) den Narren im »Wozzeck« von A. Berg und 2000 den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. In Berlin trat er 2000 als Evangelist in der Johannes-Passion von J.S: Bach auf; im Festspielhaus von Baden-Baden sang er den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. 2011 gastierte er als Wirt im »Rosenkavalier« an der Mailänder Scala. In seinem sehr umfassenden Konzertrepertoire nahm auch die zeitgenössische Musik eine wichtige Stellung ein. Seit 2014 bekleidete er das Amt des Stiftskapellmeisters im Kloster Wilhering. Er war Universitätsdozent einer Masterklasse an der Linzer Anton Bruckner Privatuniversität. Er starb ganz unerwartet während eines Urlaubs in Südtirol. Schallplatten: Hänssler-Verlag (»Lazarus« von Fr. Schubert als Nathanael).

Julian Bream

 

Viele meiner Generation werden sich an den britischen Gitarristen Julian Bream erinnern. Seine LPs auf RCA und anderen Firmen waren in vielen Studentenhaushalten zu finden. Seine unvergleichliche Spielart, sein breites Repertoire zwischen viel Barock aber auch modernem Jazz und (für damalige Verhältnisse gemäßigstem ) Pop machten ihn zu einer Kultfigur einer Zeit vor Joan Baez und Christopher Parkening. Ich erinnere mich gut an die Freude, seine Platten im Berliner British Center auszuleihen, wo ein schütteres altes Ehepaar mir die wunderbaren Aufnahmen empfahl und ich sie ausleihen konnte. Julian Bream war wirklich ein Meilenstein in meiner musikalischen Erfahrung. Nachstehend zwei Würdigungen dieses bedeutenden Musikers. G. H.

 

Der bedeutende Gitarrist und Lautenist Julian Bream ist am vergangenen am 21. 8. 2020  im Alter von 87 Jahren gestorben. Das Repertoire des Briten war enorm weit gespannt und reichte von lange vergessener Musik der Tudor-Zeit über das spanische Repertoire von Sor, Turina oder Albéniz bis zu zeitgenössischen Meisterwerken so bedeutender Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze und Tōru Takemitsu. Zahlreiche seiner Alben wurden mit Auszeichnungen, darunter dem Grammy, prämiert. „Die Klangschönheit, ruhige Klarheit, trennscharfe Artikulation und Noblesse von Breams Spiel mussten jeden fesseln“, hieß es über ihn in der Süddeutschen Zeitung/ Quelle/ Foto  Sony

 

Und das tapfere Wikipedia schreibt: Julian Bream (* 15. Juli 1933 in London; † 14. August 2020 in Wiltshire) wurde in Battersea/London geboren und wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf. Sein Vater, Henry George Bream, spielte Jazzgitarre, und der junge Julian Bream war beeindruckt, als er Musik von Django Reinhardt hörte. Er wurde angeregt, Klavier, aber auch Gitarre zu lernen. Nachdem er eine von seinem Vater besorgte Aufnahme von Tárregas Recuerdos de la Alhambra, gespielt von Segovia, gehört hatte, beschloss er, nicht Cricket-Spieler, sondern Gitarrist zu werden. An seinem 11. Geburtstag erhielt Bream von seinem Vater eine Konzertgitarre geschenkt, deren Spiel er als Autodidakt erlernte. Er gewann mit 12 Jahren einen Juniorenwettbewerb auf dem Klavier, was ihm ermöglichte, Klavier und Cello an der Königlichen Hochschule für Musik zu studieren. Sein erstes Konzert mit der Gitarre gab er 13-jährig 1947 in Cheltenham. Schon als Teenager spielte er als klassischer Gitarrist Filmmusik.

Sein Debüt gab er 1951 in der Wigmore Hall in London. Nach dem Militärdienst, währenddessen er in einer Bigband E-Gitarre gespielt hatte, nahm er seine berufliche Karriere wieder auf und gab für einige Jahre Konzerte auf der ganzen Welt. Zum Programm gehörte eine jährliche Tournee durch die USA und durch Europa.

Bream gehörte zu den Musikern, die in der Neuzeit die Laute wieder populär machten. Mit dem Tenor Peter Pears gab Bream als Lautenist in den 1950er- und 60er-Jahren zahlreiche Liederabende mit Werken englischer Renaissance-Komponisten (John Dowland, Thomas Morley usw.); durch diese Zusammenarbeit und als Lautensolist hat Bream einem großen Publikum die Musik des 16. Jahrhunderts, der Elisabethanischen Zeit, nahegebracht. 1960 gründete er das Julian Bream Consort, in dem er Laute spielte, als eine der ersten Musikgruppen zur Aufführung alter Musik auf Originalinstrumenten. (Ein weiterer Lautenist des Julian Bream Consorts war ab 1975 James Tyler). 1963 musizierte er, live übertragen von der BBC, mit dem indischen Musiker Ali Akbar Khan und bereiste anschließend Indien. 1964 wurde er Officer of the British Empire.

Seine Themenabende waren sehr weitreichend. Er spielte Stücke aus dem 17. Jahrhundert, Werke von Johann Sebastian Bach, die für Gitarre arrangiert wurden, Werke des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos, aber auch populäre spanische Stücke.

Viele Komponisten arbeiteten eng mit ihm zusammen und schrieben ihm Werke auf den Leib, darunter Malcolm Arnold, Benjamin Britten, Leo Brouwer, Peter Racine Fricker, Hans Werner Henze, Humphrey Searle, Tōru Takemitsu, Michael Tippett und William Walton. Ein Beispiel ist Brittens 1963 komponiertes Nocturnal after John Dowland, das John Dowlands Come Heavy Sleep weiterentwickelt, eines der bedeutendsten Stücke für klassische Gitarre. Der Komponist Benjamin Britten hatte bei seiner Arbeit an Nocturnal immer Bream im Hinterkopf. Ein weiteres herausragendes für Bream komponiertes Werk sind die Sonaten der Royal Winter Music von Hans Werner Henze. Breams auf die Gitarre übertragene Interpretationen der Klavierwerke Suite española von Isaac Albéniz und Danza No. 5 aus den Danzas españolas von Enrique Granados gelten als Meilensteine der Interpretationsgeschichte.

Im Londoner Verlag Faber Music gab er die Faber Guitar Series mit Notenausgaben für die Klassische Gitarre heraus. Durch seine zahlreichen Auftritte, Fernseh- und Radioübertragungen wurde Bream zu einer Leitfigur für klassische Gitarrenmusik im 20. Jahrhundert. 1967 veröffentlichte er sein Album 20th Century Guitar.

Für das Fernsehen produzierte Bream 1985 „Guitarra! – A musical Journey through Spain“. Diese Filmserie in acht Teilen über die gesamte Geschichte des Instrumentes wurde in mehreren Ländern gesendet und ist auch auf DVD erhältlich. In diesen Filmen spielt Bream außer der klassischen Gitarre auch Vihuela, Renaissance- und Barockgitarre.

#Eine ausführliche DVD erschien 2003 mit My Life In Music von Regisseur Paul Bahner, die drei Stunden Interviews und Konzerte enthält. Graham Wade bezeichnete sie als „den schönsten Filmbeitrag zur klassischen Gitarre überhaupt“. Sein letztes Konzert gab Julian Bream 2002 in Norwich.

 

Vor neuen Aufgaben

 

Noch kein halbes Jahrhundert Lebens- und naturgegeben noch viel weniger Schaffenszeit hinter sich gebracht und schon Memoiren geschrieben, dazu noch mit dem an Grabesstille gemahnenden Titel Der Klang der Stille!? Philippe Jordan, neuer Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, zuvor u.a. der Pariser Oper und der Wiener Symphoniker, hat es getan und nicht nur sich selbst damit einen Meilenstein gesetzt, sondern dem Leser auch eine Fülle von Einsichten, Anregungen und eine immense Bereicherung an Wissen, an Möglichkeiten, Musik bewusster zu erleben, geboten.

Dabei ist von der Stille nur kurz am Anfang und danach erst wieder ganz am Schluss in einem recht kurzen , allerdings um so eindringlicher wirkendem Kapitel die Rede, spielt das Biographische eher eine untergeordnete Rolle, ist das ca. 250 Seiten umfassende, von Haide Tenner aufgezeichnete Buch in drei Teile gegliedert: einen chronologischen, relativ kurz die Biographie umfassenden, den umfangreichen zweiten, in Paris und Wien unterteilten, in dem auf die von Jordan aufgeführten Komponisten eingegangen wird, und einen abschließenden dritten, der thematisch gegliedert ist.

Im Vorwort wird bereits von ersten Begegnungen mit klassischer Musik berichtet, dann vom Musikunterricht, vom Eintauchen in eine andere Dimension, der Spannung zwischen der Stille im Publikum und dem Erklingen des ersten Tons der Musik. Schon hier wird deutlich, dass es dem Dirigenten um mehr geht als um seine Biographie und seine Karriereschritte, um die Vermittlung von spirituellen Erfahrungen, die erst durch Musik möglich werden.

Über Zauberflöte, Holländer, Rheingold und Parsifal vollzieht sich das Erleben von Musik, erleichtert dadurch, dass der Vater ein Dirigent ist, aber zugleich auch begrenzend insofern, als der Sohn es vermeiden wird, zu Lebzeiten des Vaters Werke aufzuführen, die er durch diesen  kennen gelernt hat. Andererseits führt der Vater ihn in das Korrepetitorendasein ein mit einem Rosenkavalier am Chatelet. Lernen wird er nicht durch ein Studium, sondern durch Praxiserfahrung, dazu gehören auch Galeerenjahre wie die Verdis, wenn Jordan mit 21 Jahren in Ulm auch als Orchester- und Sängerpsychologe gefragt ist.

Besonders interessant wird es für den Leser, wenn er immer wieder auf Ausführungen stößt, die erkennen lassen, wie unzufrieden der Dirigent, und da wird er nicht der einzige sein, mit Regieleistungen ist, wie er sieht, dass die Arbeit von Orchester und Sängern unter ihnen leiden kann, wie hässliche Kostüme mitentscheidend sein können über den Misserfolg einer Produktion, dass Regisseure überzeugende Exposés einreichen und doch ganz andere Ergebnisse abliefern können. Jordan scheut nicht davor zurück, das in seinem Buch anzuprangern, aber hat offensichtlich, so beweist es die unsägliche Damnation de Faust in Paris, nichts Wirkungsvolles dagegen tun können. Ähnlich ist es um Konflikte, die ungeeignete Sänger auslösen, bestellt.

An dem Buch erfreut nicht nur die sympathisch uneitle, sachliche Darstellung, sondern auch das Eingehen auf technische Fragen, die den Leser interessieren könnten, so die des Auf-den Schlag-Spielen und das Hinter-dem-Schlag-Spielen oder die Charakteristika, die die Besonderheit einzelner Orchester ausmachen, die wesentlich abhängig sein können von den Forderungen der Dirigenten, so Barenboims an die Staatskapelle oder Harnoncourts an die Zürcher. Junge Dirigenten sollten sich des Autors Ratschlag, mit mittleren Häusern und dazu Gastspielen zu beginnen, zu Herzen nehmen.

Den Galeerenjahren folgen die Aufbau- und diesen die Pionierjahre, und es wird deutlich gemacht, welche Bedeutung jeweils jede dieser Epochen für die Entwicklung einer Künstlerpersönlichkeit hat.

Die beiden großen Hauptteile des Buches sind Paris und damit vor allem der Opernmusik und Wien und damit vor allem der konzertanten Musk und ihren hervorragenden Komponisten gewidmet, es werden aber auch Fragen wie Repertoire oder Stagione, Gäste oder Ensemble, Akustikprobleme der jeweiligen Säle oder ihre Baugeschichte erörtert.

Man erfährt viel und freut sich oft, so wenn für Puccini, von manchen verachtet, eine erfolgreiche Lanze gebrochen wird, man wundert sich manchmal, so wenn König Heinrich und die Seinen als kriegslüstern angesehen werden, aber man kann von einem Schweizer nicht verlangen, dass er weiß, aus welchem Grund der deutsche König gegen die Ungarn zog. Man fühlt sich bereichert durch die Ausführungen über das Rubato bei Wagner und Verdi, den französischen und italienischen Carlos, über die Bemerkungen über den Zeitmonolog der Marschallin und vieles andere.

Werdenden Dirigenten ist das Buch ganz besonders zu empfehlen, denn es mangelt ihm nicht an praktischen Ratschlägen, so zu Salome oder Pelléas, und auch die Anmerkungen über den Gebrauch des Taktstocks oder den Verzicht auf denselben sind erhellend.

Über Wagners Antisemitismus lässt sich nicht streiten, wohl aber darüber, ob Kundry, Alberich oder Beckmesser als jüdische Figuren angelegt wurden. Aber auch das zeichnet ein gutes Buch aus, dass es dazu Anlässe bietet, vor allem, wenn es Anspruchvollstes so klar und nachvollziehbar vermittelt, und wer die Meistersinger liebt, wird sich darüber freuen, dass Jordan an Sachsens Ansprache nichts Anstößiges entdecken kann.

Mit den Wiener Symphonikern hat Jordan viel Schubert, Bach, Beethoven, Brahms, Mahler, später auch Bruckner erarbeitet und vermittelt dem Leser, worauf es ihm dabei ankam, so auch darauf, das Orchesterprofil zu schärfen, gemeinsam zu atmen.

Das Buch schießt mit einem Vorausblick auf die neue Wiener Zeit mit der Staatsoper, an der er 7 Monate verbringen, 30 bis 40 Vorstellungen dirigieren wird. Mozart soll ein Schwerpunkt sein, ein Mozartensemble aufgebaut werden, und das Publikum soll jünger werden.

Es folgen noch kurze, aber inhaltsreiche Kapitel zum Handwerk des Dirigierens, zur Frage, ob es um Realisation oder Interpretation von Werken geht, zur Frage, was eigentlich Erfolg ist. Natürlich fehlt auch nicht der Appell, die klassische Musik angesichts von Dauerberieselung und zugleich Verdrängung aus den Schulen stärker zu fördern, und zum Titel zurück geht es mit einem „Ich wünsche uns allen mehr Stille in dieser lauten Zeit!“  (250 Seiten, Residenz Verlag 2020; ISBN 978 3 70173463 4). Ingrid Wanja       

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“

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Zu den sprichwörtlich unvergesslichen Momenten meines Lebens gehört eine konzertante Aufführung von Aeneas in Carthage, Joseph Martin Kraus´ epische Oper in englisch in der New Yorker Town Hall 1980 mit Elisabeth Söderström als Dido unter der Leitung des Pioniers Newell Jenkins. Allein schon der Beginn mit der unglaublichen, gewaltigen Sturmmusik und dem Aufbegehren der Winde riss mich als junger Mann „vom Hocker“. Und seitdem klingt mir diese Oper im Kopf. Ein rabenschwarzer Versand aus den USA bescherte mir auf Spulenbändern die Mitschnitte aus Stockholm (dto. Jenkins 1979, vorher der 3. Akt. dto. Söderström unter Charles Farncombe) im originalen Schwedisch und gekürzt wie auch die New Yorker Aufführung.

2006 dann kam Stuttgart, szenisch und in passablem neuen Deutsch (Radio) wie ebenso 2011 in Berlin darauf halb-szenisch unter Lothar Zagrosek. Natürlich wiederholte sich der Initialeffekt nicht so ganz und für meine heutigen Ohren, denn die Oper hat auch Längen (und braucht natürlich die Bühne mit allen ihren damals möglichen Zauber-Effekten), aber allein diese irren Ballettmusiken und der erwähnte Prolog rissen immer noch mit. Zagrosek und seine Crews vermittelten in eigens eingerichteten Fassungen doch einen guten Eindruck von der Majestät des Werkes und der unglaublichen musikalischen Erfindung bzw. europäischen Verwandschaft dieses einzigartigen Werkes. Gluck, Piccinni, Sacchini, Salieri  und die napoleonische Truppe grüßen, Spontini, Beethoven und Berlioz sind zu ahnen, Johann Christian Bach ist mit seinen französischen Opern nicht weit, Mozart und sein Idomeneo auch – eine weit nach vorne schauende Oper des Übergangs, in der das Gegenwärtige der damaligen musikalischen Errungenschaften Europas  vereint ist..

Ehrenhalber mit erwähnt: der Dirigent und Musikwissenschaftler Newell Jenkins – einer der Pioniere für Joseph Martin Kraus und Steffani/Foto OBA

Einen Opernführer über Aeneas i Cartago und damit über den beinahe unbekannten Joseph Martin Kraus zu schreiben, ist dringend nötig. Joseph Martin Kraus war ein internationaler Komponist. Aus dem fränkischen Miltenberg am Main stammend (1756 dort geboren), wurde er bei dem als Initiator vieler stilistischer Entwicklungen wichtigen Abbé Vogler in Mannheim ausgebildet (der als Schüler so prominente Komponisten wie Weber oder Meyerbeer hatte und der mit seinem wichtigen schwedischen Werk Gustaf Adolf och Ebba Brahe in einem Opernführer bereits in operalounge.de vorgestellt wurde).

Als ausgebildeter Komponist sieht sich Kraus einer kaum vielversprechenden wirtschaftlichen Situation gegenüber, als er in Göttingen mit dem Schweden Carl Strindsberg zusammentrifft, der ihn überredet, nach Stockholm zu kommen. Aber auch dort hat es Kraus nicht leicht, denn die verstaubte Opernszene ist in fester Hand von anderen Komponisten wie Johann Gottlieb Naumann aus Dresden  von Johan David Zander, Francesco Uttini (dem bezeichnenderweise italienischen Hofkapellmeister), Johann Christian Haeffner u. a.

Drottningholm war der glanzvolle Mittelpunkt der Opernaufführungen für den kunstliebenden Monarchen Gustaf III., durch Verdis und Mercadantes Opern in die Musikgeschichte eingegangen. Gustaf als Herrscher auf einem von Parteien selbstbewussten Adels und reichen Bürgertums nicht unumstrittenen Thron, widmete sich wie Friedrich der Große mit Vorliebe den Künsten, schuf in Schweden ein Gegenstück zum Berliner oder Wiener oder Stuttgarter Hof mit ihrem Kulturzentren. Und so entsprach das neue Drottningholm auch Sanssouci, Schönbrunn oder Ludwigsburg (wollte es zumindest sein). Gustaf war an einer nationalen Kulturszene Schwedens interessiert. Dass er sie mit Zugereisten verwirklichen wollte, entspricht der Tradition des Landes, das ja noch später, zu Zeiten Napoleons, sogar einen französischstämmigen (und bürgerlichen) König erhielt und das stets ein Vielvölkerstaat aufgrund seiner Annektionsgeschichte war. Von einer eigenständigen Musikkultur in Schweden zu sprechen, ist deshalb problematisch.

Joseph Martin Kraus: Ballettmusiken aus der Oper „Aeneas i Cartago“ unter Patrick Gallois  bei Naxos mit einem Cover, das eine Illustration zur Szene widergibt

Kraus jedenfalls tat sich schwer, die Konkurrenz war groß, die Aufträge blieben aus, und er schlug sich mit Auftragskompositionen durch, schrieb heimwehkranke und seine finanzielle und geistige Misere beschreibende Briefe nach Hause, die im Kraus-Museum in Miltenberg liegen. Dann plötzlich, 1779, ändert sich seine Lage, als er Mitglied der Stockholmer Königlichen Musikakademie wird. Mit Hilfe von einflussreichen Freunden, etwa dem Direktor des Königlichen Theaters, Karl von Fersen, gelingt Kraus mit seiner Proserpine auf das Libretto von Kellgren, einem erfahrenen Textdichter, 1781 der Durchbruch, als das Werk in Anwesenheit des Königs aufgeführt wird.

Es gefällt, und von nun an protegiert ihn Gustaf, überreicht ihm die stolze Summe von 500 Reichstalern. Kraus kommt zu Ehrenämtern, wird vom König sogar auf eine musikalische Erkundigungsreise durch Europa geschickt, trifft auf Haydn, Albrechtsberger und den von ihm über die Maßen verehrten Gluck (dessen Orfeo in Stockholm mehr Aufführungen erzielte als in Wien oder Paris). Von seinen Reisen bringt Kraus Informationen über Musikleben und Kultur im Ausland mit, was in seinen musikalischen Stil einfließt. Er wird 1787 Königlicher Musikdirektor. Gustaf und er planen eine große Oper, Aeneas i Carthago, die aber nicht mehr zur Aufführung kommt, denn am 29. März 1792 wird der König von einem Rebell auf einem Maskenball im Schloss erschossen. Kraus komponiert unter dem Eindruck dieses, auch persönlichen Verlustes seine bewegende Trauerkantate auf Gustaf III. und stirbt im Laufe desselben Jahres im gleichen Alter wie Mozart. Erst vier Jahre später kommt Aeneas i Carthago – eine Oper epischen Ausmaßes und ohne Zweifel Kraus‘ Hauptwerk – auf die Stockholmer Bühne.

Der folgende Artikel über die Gustavianische Oper und im besonderen Aeneas i Cartago des eminenten Kraus-Forschers Bertil H. van Boer macht uns mit dem einzigartigen Kultur-Erziehungs-Projekt des schwedischen Königs Gustav III und dieser ebenfalls einzigartigen Monumental-Oper von Joseph Martin Kraus bekannt, die nach ihrem run an der schwedischen Königlichen Hof-Oper 1799 pp. erst wieder im 20 Jahrhundert vorgestellt worden ist – eigentlich auch eine Blamage für die schwedische Kulturszene. Die Musik und die dramaturgisch-musikalische Anlage ist nicht  nur für die Zeit um die französische Revolution herum einzigartig und bemerkenswert. G. H.

Joseph Martin Kraus:  van Boers Studie zu Joseph Martin Kraus bei Indiana University Press (5. September 2014)

Bertil H. van Boer: Ein Gustavianisches Gesamkunstwerk. Die gustavianische Oper wurde in Folge der Bemühungen des aufgeklärten Monarchen eines nördlichen Landes an der Peripherie Kontinentaleuropas, Gustav III. von Schweden, mit dem Ziel geschaffen, ein kulturelles Zentrum zu errichten, das teilweise die neuesten Trends der zentraler  gelegenen europäischen Hauptstädte nachahmte und teils diese unterschiedlichen Strömungen zusammenmischte, um ein bestimmtes kulturelles Umfeld zu synthetisieren, das mit  eben diesen Zentren konkurrieren konnte. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stand Gustavs persönliche Philosophie, eine etwas egozentrische Ideologie, die Schwedens Position als europäische Macht wiederbeleben wollte, welche es während der Stormaktstiden (Großmachtzeit) des vorigen Jahrhunderts innehatte, sowie seine eigene Stellung als absoluter Monarch à la Ludwig XIV. zu festigen, wodurch er der bestimmende Faktor in allen politischen oder kulturellen Belangen wurde. In letzterem versuchte er ein Milieu zu fördern, das die Einheit der Künste betonte und zur Schaffung einer schwedischen Nationaloper führte; trotz der kontinentalen Modelle, auf denen es aufgebaut war, sollte es gleichwohl zu einem tragfähigen nationalen Forum mit einem eigenen Stil und Zweck werden. Um dies zu erreichen, versammelte der König eine Riege namhafter Künstler um sich, von denen jeder ermutigt wurde, das Bestmögliche beizutragen, um neue und revolutionäre kreative Werke hervorzubringen: Der Theoretiker Abbé Michelessi aus dem engen Kreise des Grafen Algarotti sollte Gustavs Berater in allen Bereichen des dramatischen und musikalischen Theaters werden; daneben ausländische Künstler wie der Bühnenbildner Jean Desprez, der Ballettinnovator Anton Bournonville und die Komponisten Joseph Martin Kraus, Johann Gottlieb Naumann, Abbé Georg Joseph Vogler und Johann Christian Friedrich Haeffner aus Deutschland sowie Francesco Antonio Baldassare Uttini, Glucks Nachfolger als Direktor der Mingotti-Theatergruppe, aus Italien. Sie alle wurden ermutigt, nach Norden auszuwandern. Die Librettisten, Schriftsteller, Dichter, Maler und Bildhauer waren jedoch hauptsächlich Schweden, von denen viele unter der direkten Aufsicht des Königs selbst arbeiteten. In der Tat kann gezeigt werden, dass Gustav III. die eigentliche Quelle für viele der Opern und Dramen dieser Zeit war, ein Amateurautor, der zahlreiche Umrisse und Skizzen von Geschichten anfertigte und sich auf etablierte Dichter wie Kellgren stützte, um sie in bearbeitbare Kunstwerke zu verwandeln. Das vielleicht erfolgreichste dieser literarischen Angebote war die Gattung der Opernlibretti, welche die Grundlage für die nationale gustavianische Oper bildeten.

Joseph Martin Kraus: Gustav III. von Schweden Lorenz Pasch (1733 – 1805)/ Wikipedia

Das Phänomen der gustavianischen Oper ist schwer genau zu definieren. Die ersten dieser Opern, an denen Gustav selbst nur am Rande beteiligt war, waren hauptsächlich einfache, populäre Werke; Adaptionen verschiedener Operás-Comiques und Singspiele à la Hiller such as Tillfalle gjor tjufven (Zufall macht den Dieb) und Nu ar hin Ids (das berühmte Der Teufel ist los), die in in zweitrangigen Theatern wie dem Bollhus von Männern wie Carl Stenborg und Carl Envallsson auf die Bühne gebracht wurden. Die zweiten dieser Opern umfassten nationale Dramen wie Gustav Vasa von Naumann, Gustaf Adolf och Ebba Brahe von Vogler sowie kürzere, „nordischere“ Werke wie Olof Ahlstroms Frigga. Die dritten dieser Opern, mit den tiefsten Wurzeln in den großen französischen Dramen von Racine, Marmontel und Quinault kann man in Thetis och Pelee von Uttini, Electra von Haeffner und in den beiden gustavianischen Opern von Kraus, Proserpin und Aeneas i Cartago (auch bekannt als Dido och Aeneas), erblicken. Dieses letzte Werk ist gleichsam die Verkörperung des Gesamtgeistes der gustavianischen Oper; ein komplexes Stück von außergewöhnlicher Länge, das die koordinierten Bemühungen von Librettist, Komponist, Bühnenbildner und Ballettmeister in einem einzigen monumentalen Meisterwerk vereint.

Die Geschichte des Aeneas begann im Sommer 1781. Nach drei Jahren verzweifelter Armut und vergeblichem Kampfes, sich in den schwedischen Musikkreisen zu etablieren, gelang es dem deutschen Auswanderer Joseph Martin Kraus, durch eine private Aufführung seiner Oper Proserpin vor Gustav III. den Posten des stellvertretenden Direktors zu gewinnen. Gleichzeitig stand das neue Opernhaus, das als das beste in Europa konzipiert wurde, kurz vor der Fertigstellung und Kraus erhielt den Auftrag, Aeneas als diejenige Oper zu komponieren, mit der das neue Theater eröffnet werden sollte. Die beabsichtigte Premiere musste jedoch abgesagt werden. Die neue Oper wurde planmäßig mit einem hastig angesetzten Werk von Naumann, Cora och Alonzo, eröffnet, das anstelle von Kraus‘ Werk gespielt wurde.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“/ Bühnenentwurf von Louis Jean Deprez/Wikipedia

Erst 1799, etwa sieben Jahre nach dem Tode des Komponisten, fand schließlich die Uraufführung des Aeneas tatsächlich statt. Aufgrund der enormen Länge der Oper – ungekürzt fast sechseinhalb Stunden – wurde der Dirigent Johann Christian Friedrich Haeffner beauftragt, das Werk auf überschaubare dreieinhalb Stunden zu kürzen. Die originalen Bühnenbilder von Desprez wurden verwendet, und all jene der ursprünglich beabsichtigten Sänger, so sie noch lebten und aktiv waren, sangen ihre ihnen zugedachten Rollen: Frau Müller sang Dido, Carl Stenborg den Aeneas, Herr Karsten den Jarbas, Mlle. Stading die Venus und Frau Haeffner die Juno. Berichte über diese erste Aufführung zeigten jedoch, dass Aeneas kein Erfolg war; das Werk war zu komplex, die Striche zu schädlich und die Musik zu schwierig für den populären Geschmack. Obwohl die Oper in den nächsten zwei Jahren insgesamt sieben Mal aufgeführt wurde und jede aufeinanderfolgende Aufführung mehr öffentliche Anerkennung fand, rechtfertigten die Produktionskosten es nicht, die Oper im Repertoire zu belassen. Fredrik Silverstolpe übersetzte das Libretto später ins Französische; in dieser Form wurde es 1805 in St. Petersburg unter Sigismund Neukomm in Konzertfassung aufgeführt. In jüngerer Zeit (1979) wurde in Stockholm und New York unter der Leitung von Newell Jenkins eine gekürzte Version wiederbelebt (1971 nur der dritte Akt und 1997 ebenfalls konzertant in Stockholm mit Elisabeth Söderström und Johnny Blanc, 1980 in englischer Sprache mit Elisabeth Söderström konzertant in New York; zwei deutschsprachige Aufführungen fanden in Stuttgart 2007 szenisch sowie in Berlin 2011 halbszenisch unter Lothar Zagrosek statt/ G. H.).

Nach Kraus‘ Tod im Jahre 1792 kehrte der Librettist Kellgren als Vorwegnahme der Veröffentlichung seiner eigenen vollständigen literarischen Werke erneut zum Aeneas zurück. Diese überarbeitete Fassung bildete die Grundlage für Haeffners Kürzungen und beinhaltete unter anderem eine vollständige Änderung des ursprünglichen Finales.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas in Karthago“ Staatsoper Stuttgart 2006/ Martina Serafin als Dido/ Foto Schaefer

Um die monumentalen Proportionen des Werkes zu verstehen, muss die Oper zunächst perspektivisch betrachtet werden. Vorweg ist anzumerken, dass Aeneas über einen Zeitraum von fast einem Jahrzehnt konzipiert wurde. Kraus, ein begeisterter Bewunderer von Gluck und eine Nebenfigur des literarischen Sturm und Drang, bezog nicht nur Stilmerkmale dieser beiden Bewegungen ein, sondern auch die vielen Musikstile, denen er während seiner großen Europatournee 1782-1786 begegnet war. Aeneas muss also als zusammengesetzte Oper gesehen werden; eine Synthese, die mit keiner einzelnen Opernform jener Zeit zu vergleichen ist. Zweitens wurde die Arbeit als Mittel konzipiert, um die Stockholmer Öffentlichkeit mit den Bühnenmaschinen und Bühnenmöglichkeiten des neuen Opernhauses vertraut zu machen. Daher wurde absichtlich jede Art von Szenenwechsel und Spezialeffekt eingebaut; von heftigen Stürmen auf See bis hin zu Erdbeben, von magischen Grotten bis hin zu idyllischen Tempelszenen, von opulenten Palästen bis hin zu massigen Schlachten vor den Stadtmauern. Selbst nachdem die ursprüngliche Absicht der Oper keine Rolle mehr spielte, wurde keiner dieser Effekte aus dem Libretto herausgeschnitten, was die Schwierigkeiten bei der Inszenierung des Werkes noch verschärfte.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – der Tenor Johnny Blanc sang den ersten Aeneas im 20. Jahrhundert, er war die Standardbesetzung jener Jahre in Stockholm, hier als Nerone/ Wiki

Die Musik spiegelt diese zahlreichen Szenen- und Stimmungsänderungen in der Vielzahl der in der Partitur enthaltenen Stile wider. Als Komponist ist Kraus sowohl einfallsreich als auch innovativ in der Kombination von Techniken und Stilen aus dem übrigen Europa mit seinem eigenen höchst originellen musikalischen Genie: Man begegnet den heftigen Tonverschiebungen und der Tonmalerei des Sturm und Drang, dem majestätischen französischen Chor, dem italienisch-wienerischen Stil von Haydn oder Mozart und der dramatischen Intensität von Gluck. Tatsächlich scheint der einzige fehlende Stil der des beliebten Singspiels zu sein. In gewisser Weise verleiht diese Verschmelzung der Arbeit ein zukunftsweisendes Gefühl und führt zu vielen fortschrittlichen Stilmerkmalen. Ein Beispiel dafür ist der Prolog, in dem die trojanischen Schiffe von Aeolus‘ Stürmen getroffen werden. Der Doppelchor wechselt kontinuierlich von den angeschlagenen Seeleuten zu den wilden Winden, während das Orchester (mit Piccoli, Holzbläsern, Blechbläsern und Streichern, einschließlich geteilter Bratschen, Violoncelli und Bässe) Tonfarben und Motive verwendet, die zuerst in der Ouvertüre zu hören waren. Es wird ein Hintergrund gemalt für diese gigantische Schlacht.

Zu Joseph Martin Kraus: Elisabeth Söderström war dreimal die Dido in den ersten Aufführungen der Oper „Aeneas in Carthago“ in moderner Zeit/ Foto Alchetron, das nützliche Portal für Information

Der größte Teil der Musik in der Partitur ist jedoch intimer konzipiert. Kraus vermeidet die langen konventionellen italienischen Opernarien mit ihrer umfangreichen Koloratur und Stimmdarstellung und ersetzt sie in den meisten Fällen durch einfache, emotionsgeladene, durchkomponierte Arien und Ensembles. Im Gegensatz zu den meisten Opern dieser Zeit verwendet Kraus ausschließlich begleitende Rezitative. Die Qualität variiert jedoch erheblich, von einfachen Saitenakkord-Interpunktionen à la Hasse bis hin zu komplizierten Accompagnati, bei denen die Unterscheidung zwischen Rezitativ, Arioso und Arie den Anforderungen der dramatischen Handlung untergeordnet ist. Nirgendwo wird dies deutlicher gezeigt als im vierten Akt, wo Aeneas versucht, den emotional labilen Pido von seiner eigenen inneren Qual zwischen Liebe und Pflicht zu überzeugen.

eine Kritik folgt, weil der Verla

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – das Buch von Jens Dufner ist eines der wenigen deutschsprachigen Standardwerke zu dieser Oper/ Peter Lang AG 2015/ ISBN-13: 978-3631647196/ 2015;, eine Kritik folgt – der Verlag sah sich lange Zeit ausserstande, ein Presseexemplar bereitzustellen …

In vielen Szenen wird das Rezitativ im Aeneas zu einem integralen Rahmen für die gesamte Szene, einer Grundlage, auf der ein kunstvolles Gebäude aufgebaut ist. Die formale Struktur und Unterscheidung zwischen Dialog und Lied ist für die Schaffung eines musikalischen Abbildes der laufenden Ereignisse von untergeordneter Bedeutung. Diese Auflösung formaler Parameter ist am auffälligsten im Finale des fünften Aktes, wo Dido, als sie Zeugin der trojanischen Flotte unter Segeln wird, sich vor einem schockierten Publikum von Karthagern das Leben nimmt. Dieses Rezitativ erweitert die Definition von Rezitativ mit seiner integralen Begleitung von Streichern und Bläsern bis an die Grenzen. In der Tat ist der Übergang in die Arie so reibungslos, dass er praktisch unbemerkt bleibt, wenn sich die Musik dem unvermeidlichen Höhepunkt von Didos Selbstmord nähert, wobei letzterer musikalisch durch eine „unheimlichen Dissonanz“ dargestellt wird, die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Akkord zu Beginn des Finales von Beethovens neunter Sinfonie aufweist. Dieses überraschend fortschrittliche und emotionale Finale mit seinem romantischen Tonfall und Gefühl ist weit entfernt vom konventionelleren Finalchor oder dem lieto fine. Es ist ein adäquater Zenit in einer Oper mit vielen musikalischen Höhepunkten.

Es gibt jedoch ein Problem. Eine der größten musikwissenschaftlichen Fragen zum Aeneas ist, ob Kraus seine Oper tatsächlich fertiggestellt hat. Obwohl die Seiten, die ursprünglich Kraus‘ Finale enthielten, aus der Partitur herausgetrennt wurden, zeigen andere Revisionen von Haeffner im fünften Akt, dass Kraus‘ Nachfolger, weit davon entfernt, der unbeholfene Mann fürs Grobe zu sein, nur wenige tatsächliche Änderungen vorgenommen und die Musik mit großer Sensibilität behandelt hat.

Der Autor: Bertil H. van Boer/ Discogs/ Wikipedia hat weitere biographische Informationen über den renommierten Forscher und Musikwissenschatler.

Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Oper ein Werk von monumentalen Ausmaßen ist; ein Bühnenstück, das sowohl die bestmögliche Zusammenarbeit von Komponist, Librettist, Bühnenbildner usw. verkörpert als auch die Philosophie hinter der gustavianischen Oper symbolisiert. Es ist ein Gesamtkunstwerk, wenn auch nicht im wagnerischen Sinne, wo ein Einzelner für jeden Aspekt verantwortlich ist. Der Begriff definiert vielmehr eine Arbeit, die als enge Zusammenarbeit vieler Künstler konzipiert wurde, welche für alle Teile der Produktion verantwortlich sind: Text, Musik, Tanz, Bühnenbild und Rollenbesetzung. Wenn Aeneas unter diesen Aspekten zu betrachten ist, erscheint es notwendig, eine ungeschnittene Fassung in voller Länge zu produzieren. Mit dieser Rekonstruktion ist die Möglichkeit einer Wiederbelebung dieser Essenz der gustavianischen Oper realisierbar geworden. Bertil H. van Boer/ Übersetzung Daniel Hauser

Den Artikel des eminenten Musikwissenschaftlers Bertil H. van Boer übernahmen wir in unserer eigenen Übersetzung aus dem Englischen und mit großem Dank an den Autor aus den „Publikationen der Kgl. Schwedischen Musikakademie N. 45, 1984“ aus Anlass des Symposiums zu „Kraus und das Gustavianische Stockholm“, das im selben Jahr in eben Stockholm in Zusammenarbeit mit der Dresdner Semperoper stattfand. Proserpin von Kraus wurde im Schlosstheater von Drottningholm aufgeführt; im alten Opernhaus gab es Gustaf Wasa von Naumann konmzertant, wonach bei Virgin/EMI auch eine CD-Aufnahme erschien. Zu einer avisierten Aufführung von Kraus´Aeneas i Cartago kam bis es bedauerlicherweise bis heute nicht, wenngleich Naxos daran sehr interessiert war und die meisten musikalischen Dokumente von Kraus im Katalog hat, darunter auch die Ballettmusiken aus der Oper. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den Naxos-Aufnahmen zu Kraus. G. H.

Wir danke im Besonderen Bertil van Boer (dem langjährigen Forscher und Champion für die Gustavianische Oper) für seine spontane Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit, aber auch dem deutschen Fachmann für Kraus, Jens Dufner. Weiter halfen bei der Vorbereitung Klaus Pietschmann, Frederik Wetterquist (Präsident der Kgl. Musikakademie), Kar-Erik Norrman und viele mehr. Danke an alle. Abbildung oben: „Aeneas bei Dido“ von Guerrin/ Louvre/ Wikipedia. G. H.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Erstmals auf CD und toll dirigiert

 

Mehrere Jahrzehnte Rossini-Renaissance haben den Bewunderern des Komponisten aus Pesaro derart viele Neuentdeckungen und CD-Premieren beschert, dass man kaum glauben kann, dass ein Label noch ein gewichtiges Werk aufstöbern kann, das nie aufgenommen wurde. Das ist aber der kleinen, aber feinen Firma Concerto Classics aus Italien tatsächlich gelungen. Die hier eingespielte, über 45 Minuten lange Kantate La riconoscenza („Die Dankbarkeit“) ist zwar ab 1973 mehrmals aufgeführt worden (zuletzt in Pesaro 2019), aber eine Plattenproduktion folgte dem Live-Erlebnis nie. Sie erscheint jetzt in einer Studio-Aufnahme aus Lugano, wo sie schon 2002 zur Aufführung gekommen war.

Rossini schuf die Kantate unter besonderen Umständen. Er bekam um 1820 den Auftrag für eine Kantate, um die Hochzeit des Sohnes von Maria Luisa, der kurzfristigen Königin von Etrurien (1801-1803) von Napoleons Gnaden und nunmehrigen Herzogin von Lucca, musikalisch auszuschmücken. Zwar kam der vielbeschäftigte Rossini nicht dazu, aber er schrieb eine Kantate anlässlich des Besuchs der Herzogin in Neapel im Jahr 1821. Ironie des Schicksals: bei der Uraufführung im privaten Rahmen war Maria Luisa nicht zugegen (sie hörte sie erst 1822). Der Öffentlichkeit wurde die Kantate am 27. Dezember 1821 vorgestellt, kurz bevor Rossini Neapel in Richtung Wien verließ. Das nicht ganz taufrische Abschiedsgeschenk kam gut an, und Rossini verwendete Teile der Komposition für andere Anlässe (aus dem darauf gründenden Vero omaggio von 1822 findet sich eine Cavatina für Sopran auf der CD). Der Komponist war bekanntlich nicht zimperlich, was die Libretti angeht, weil er sich das wie alle Kollegen im damaligen Wahnsinnsbetrieb, der Opernwelt, gar nicht leisten konnte. Für die Riconoscenza hatte er besonderes Pech. Der Verfasser des Textes war Don Giulio Genoino (1773-1856), ein Geistlicher (bis 1848) und Vielschreiber, der die damalige literarische Welt mit Gedichten, Theaterstücken, Libretti (neben der Kantate für Rossini kennt die Fachwelt noch die Farsa La lettera anonima für Donizetti im Jahr 1822) und Schriften bunten Inhalts überschwemmte. Ein neapolitanisches Schlitzohr war er auch: er bekleidete die gut dotierte Stelle eines Bibliothekars im Innenministerium des Königreichs Neapel, aber man munkelte, dass die Bibliothek gar nicht existierte. Im Vorwort seiner Opere liriche („Gedichte“, Bd. 2, Neapel 1825) spricht Genoino davon, dass seine poetische Ader zeitweise „so fruchtlos und stumpf war, dass kein Mittel war, eine Idee zusammen zu basteln“.

Das muss die Gemütslage gewesen sein, in der er sich befand, als er den Text der Cantata pastorale für Rossini schrieb. Man reibt sich die Augen: Genoino lässt Hirten mit gräzisierenden Namen im bukolischen Ambiente auftreten, um wortreich die Lobeshymne der Widmungsträgerin Maria Luisa anzustimmen. Der peinliche, auch sprachlich banale Text könnte von einem Metastasio-Nachahmer um 1780 stammen. Vierzig Jahre später ist der leere Wortschwall aus der Zeit gefallen. Das hinderte Rossini nicht daran, eine brillante, vergnügliche Partitur zu schreiben, die höchste vokale Ansprüche an die Interpreten stellt.

Dementsprechend braucht man dafür nicht nur stilsichere, sondern auch sehr virtuose Stimmen. Das Ensemble, das hier im Rahmen des von Markus Poschner auf mehrere CD angelegten Rossini Project zu hören ist, bemüht sich redlich, den Schwierigkeiten gerecht zu werden. Das gilt vor allem für die Tenor-Partie. Es ist die einzige Rolle, die Rossini für den berühmten Giovanni Battista Rubini (1795-1854) schrieb, den tenoralen Helden der romantischen Generation, der mit der Uraufführung der Puritani 1835 Operngeschichte schrieb. Rubini hatte mehrere Stücke Rossinis im Repertoire, aber es kam nie zu einer engen Zusammenarbeit, auch wenn die beiden noch bis in die 1850er Jahre Briefe austauschten (vgl. Reto Müllers Besprechung der Edition von Rubinis Korrespondenz in: La Gazzetta 29, 2019, S. 113-121). Um Rubinis Technik glänzen zu lassen, schrieb Rossini einige fiese, stratosphärisch hohe Passagen in die Kantate (Arie „Gratitudine, cara ai celesti“). Edgardo Rocha kommt hier rasch an seine Grenzen, zieht sich allerdings insgesamt ehrenvoll aus der Affäre. Der wendige, aber teilweise schneidige Sopran von Michela Antonucci ringt mehr oder weniger erfolgreich mit der Partie der Argene, während Laura Polverellis tremulierende Mezzo-Stimme das Ende einer würdigen Karriere ankündigt. Mirco Palazzi hat kaum etwas zu singen. Das wirkliche Ereignis ist indes Poschners Leietung. Man kann heutzutage wenige Dirigenten nennen, die das deutsche und das italienische Repertoire des 19. Jahrhunderts mit derartiger Souveränität und unfehlbarem Geschmack interpretieren können. Poschner hat Preise für seinen Brahms und seinen Strauss erhalten und sich auch schon als Beethoven-Dirigent hervorgetan (u.a. mit einer denkwürdigen Serie der Symphonien und Klavierkonzerte mit Francesco Piemontesi in Lugano). Man wird von einem solchen Künstler nicht unbedingt erwarten, dass er sich mit vergleichbarer Begeisterung dem gerade nördlich der Alpen immer noch unterschätzten Rossini widmet. Poschner tut das. Nicht nur die schmissig dirigierte, im Detail schön herausgearbeitete Kantate, sondern vor allem das Eröffnungsstück auf der CD lässt aufhorchen. Die Sinfonia (Ouvertüre mit Chor) von Ermione hat man selten mit solcher Wucht dargeboten gehört, und man darf hoffen, dass der Dirigent in Zukunft den Rossini serio erkunden wird. In der Zwischenzeit kann sich jeder Rossini-Liebhaber diese in ihrer Gesamtheit gelungenen und schön aufgemachten CD con riconoscenza zu Gemüte führen. Michele C. Ferrari

 

The Rossini Project, vol. 2: From Naples to Europe. La riconoscenza, Cantata pastorale; Ermione, Elisabetta, ‚Sinfonie; Ausschnitte aus Il vero omaggio und der Cantata a quattro voci con cori (1823): Michela Antonucci (Sopran), Laura Polverelli (Mezzosopran), Edgardo Rocha (Tenor), Mirco Palazzi (Bass), Coro della Radiotelevisione svizzera, Orchestra della Svizzera italiana, Markus Poschner, CD Concerto Classics 2118 (www.concertoclassics.it)