Warum kam der Winter so früh?

 

Ein Krimi und ein Märchenspiel: zwei Aufführungen vom Glyndebourne Festival, Samuel Barbers Vanessa aus dem Jahr 2018, zugleich die britische Erstaufführung des 1958 an der Met uraufgeführten Stückes, dazu aus dem Jahr 2019 die Rusalka als Reprise der aus dem Jahr 2009 stammenden Inszenierung.

Barber sticht Dvořák. Einigermaßen überraschend. Leicht kann man Barbers Oper, zu der ihm sein damaliger Lebensgefährte Gian Carlo Menotti den Text nach einer der Seven Gothic Tales der Tania Blixen aus den 1930er Jahren geliefert hatte, als Edelkitsch abtun. 20 Jahre wartet die Titelfigur auf die Rückkehr ihres Geliebten Anatol. Umgeben von ihrer Mutter, der alten Baronin, und ihrer Nichte Erika. Der, welcher endlich erscheint, ist nicht Anatol, sondern sein gleichnamiger Sohn. Zunächst sieht es so aus, als interessiere er sich für die leicht verführbare Erika, doch zu unser aller Überraschung heiratet er Vanessa und reist mit ihr nach Paris. Eigentlich ein rechter Schmarrn in Form eines psychologischen Kammerspiels und viel morbider, herbstlich welker Strauss- und Verismo-Reminiszenzen, vorsichtig gesetzten kleinen Arien und einem überwältigenden Schluss-Quintett („To leave, to break, to find“). Als moderne amerikanische Oper taugt das 1905 in einem nicht näher spezifizierten hohen Norden angesiedelte Stück nicht, in Salzburg fiel die ein halbes Jahr nach ihrer Uraufführung inklusive ihres prominenten Ensembles (Steber, Elias, Resnik, Gedda, Tozzi) als Europäische Erstaufführung zu den Festspielen gereiste Produktion aufgrund ihrer hemmungslosen Rückwärtsgewandtheit durch. Vom Staub von „Fremden Blüten“ war die Rede. Seit einigen Jahren bekommt Vanessa wieder Aufwind. Natürlich als Vehikel für Primadonnen, etwa für Kiri Te Kanawa, die sich für diese nachgereichten Blumenstrauß interessieren, den Barber ursprünglich der Callas überreichen wollte, aber auch weil sich mit dieser Geschichte, aus der man nie richtig schlau wird, so schön spielen lässt. Und Schwelgen. Die Aufführung vom Landsitz in Sussex ist mustergültig. Sie spielt mit diesen Versatzstücken wie mit Filmkulissen, denn Keith Warner inszeniert dieses handlungsarme Konstrukt als Psycho-Thriller, versetzt die Geschichte aus dem Anfang in die Mitte des 20. Jahrhunderts, mehr Tennessee Williams als Blixen-Stimmung, lässt auch in der Kleidung und den Frisuren der Damen drei Generationen aufeinanderprallen und schafft im Spiegelkabinett, nicht zu vergessen die wirkungsvolle Wendeltreppe, von Ashley Martin-Davis – die verhängten Spiegel, die den Alterungsprozess der Vanessa nicht spiegeln sollen, sind ein zentrales Thema – eine wohlig landhäusliche Krimistimmung. Das kunstvolle Krimispiel erinnert mich Hans Gefors’ Notorious 2015 in Göteborg, wo es Warner mit der Filmvorlage aufnehmen musste. Auch Warners Vanessa wirkt wie von Hitchcock. Altmeisterliches, durchaus spannendes Suspense-Theater. Mit mysteriösen Nebenhandlungen und schönen Filmschnipseln von Alex Uragallo, etwa in der Chorpassage (In moonlight“) am Ende des ersten Teil – gespielt wird offenbar die revidierte Fassung, für die Barber drei Jahre nach der Uraufführung die vier Akte zu drei zusammenzog. Eine Trackinglist wäre schön gewesen (DVD Opus Arte OA 1289 D). Handwerklich gut gemacht. Wie die Oper, der Jakub Hruša und das London Philharmonic Orchestra allerdings mehr Dringlichkeit verleihen als man gemeinhin mit Vanessa verbindet. In den ersten Momenten sieht man, wie Vanessa ein Kind zur Welt bringt. Ist Erika ihre Tochter? Hat Erika später eine Abtreibung? Unwichtig, ob alle Fragen gelöst werden. So wie die hagere, furchige Rosalind Plowright – sie hatte die Baronin schon 2016 beim Festival im irischen Wexford gesungen – als alte Baronin um die Ecke lugt und durch ihre schwarze, furchteinflößende Präsenz eine Szene prägt, könnte sie direkt vom Set eines Stummfilms kommen. Die Französin Virginie Verrez hat eine schöne Grace Kelly-Frisur und gibt der Erika den glühend starken Mezzo für Momente wie Must the winter come so soon?“ Emma Bell hat die Allüre einer sitzen gelassenen Arabella und Höhenglanz und Zartheit für die fragile Vanessa, wirklich zu berühren vermag sie nicht. Obwohl er sich so flott gibt, bleibt der kaltherzig charakterlose junge Anatol recht langweilig, was auch an Edgars Montvidas’ properen, aber einfarbigen Tenor liegt – wir erinnern uns, die Partie wurde von Nicolai Gedda kreiert. Mit prägnantem Bass singt Donnie Ray Albert die nicht unwichtige Partie des Doktors.

 

Während des Vorspiels ist bereits die weiße Hirschkuh zu sehen, die der Prinz jagt. Melly Stills Inszenierung der Rusalka lebt von solchen tänzerischen Aktionen. Dazu gehören auch die Mimen, die Rusalkas langen Nixenschwanz bewegen, die lebhaften Geister und Nymphen, der bedeutungsschwangere Tand in Rae Smiths angerissenen Naturbildern, der Dvořáks Oper nicht weiterhilft. Ich mochte das schon 2009 nicht, als diese Produktion neu war. Die Reprise von 2019, als dieser Mitschnitt vom 7. August entstand (Bluray Opus Arte OA 807266 D) macht die Sache für mich nicht besser. Ich finde vieles in der Aufführung nur hässlich und kunstgewerblich. Ständig wird irgendetwas geschwungen. Bedeutungsvoll, gut gemeint, Symbol beladen. Gut, Still unterscheidet nicht zwischen Welt der Menschen und Wassergeister. In beiden Welten gibt es Gut und Böse, wobei man nicht genau weiß, wozu die drei heftig ihre Brüste schüttelnden, geilen Weiber gehören, die unter Macbeths Hexen besser aufgehoben wären als in diesem böhmischen Hain (die Stimmen der drei Pennerinnen Vuvu Mpofu, Anna Pennisi und Alyona Abramova harmonieren bestens). Oder der boshafte Wassermann im schmierigen Lange-Unterhosen-Outfit (bei dem unbedeutenden Alexander Roslavets bekommt man nicht den Eindruck, dass es sich um eine erste Fachpartie handelt). Sally MatthewsRusalka ist eine herbe Enttäuschung. Grau wie die Erscheinung ist der Sopran, der sich in der Höhe unschön spreizt, keine Leuchtkraft oder Glanz entfaltet; dass sie ihr Lied an den Mond auf dem Rücken singend begann, war nicht von Vorteil. Köstlich zeichnet Still die Jezibaba, der Patricia Bardons schwerer Mezzo schelmische Züge verlieh. Alix Le Saux ist niedlich als plättendes Kitchen Girl, Colin Judson eine Type als Gamekeeper. Zoya Tsererina macht aus der eiskalten fremden Fürstin, deren hohe Noten sie mit untrügerischer Sicherheit trifft, eine Schwester der Turandot. Sympathisch in seiner zögerlichen Unsicherheit ist der Prinz. Sicherlich ist der Tenor von Evan LeRoy Johnson, der in München den Cassio gesungen hat, etwas klein (2009 war es Brandon Jovanovich). Doch die Stimme sitzt und projiziert gut, er behandelt die heftigeren Passagen vorsichtig und seine sensibel gesteigerte Arie im ersten Akt wie das Schlussduett waren aufregend. Robin Ticciati und das London Philharmonic Orchestra spielen die Musik, als haben sie sich in die Holzbläser-Passagen verliebt, poetisch und stimmungsvoll.  Rolf Fath

 

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