Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Im Schatten der Grossen

 

Was an dieser neuen Johann-Strauss-Aufnahme von  Eine Nacht in Venedig bei cpo (1 CD 8949859) sofort ins Auge fällt sind die Namen: Über dem Titel stehen in gleichgroßen Lettern Johann Strauss und Erich Wolfgang Korngold. Auf Seite 1 des Booklets sieht man dann Porträts der beiden Herren nebeneinander, wiederum gleichgroß. Mit dem Hinweis, dass auf dieser CD die Operette „in der musikalischen Version“ von Korngold sowie in einer „Librettoversion“ von Ernst Marischka zu hören sei. (Später berühmt geworden über die Sissi-Filme mit Romy Schneider.)

Das klingt erst mal nach irgendwie „neu“ und durchaus passend zum Revival, das Korngolds diverse Operettenbearbeitungen in den letzten Jahren speziell über die Musikalische Komödie Leipzig erlebt haben, von wo Das Lied der Liebe (nach Johann Strauss) und Rosen aus Florida (nach Leo Fall) auf Tonträger stammen. Allerdings sind beide bei Rondeau herausgekommen. Will cpo jetzt auf diesen Korngold-Trend aufspringen?

Während es von den gerade erwähnten Werken zuvor keine offiziellen Aufnahmen gab, ebenso wie von vielen weiteren Operettenbearbeitungen Korngolds (insbesondere die für Max Reinhardt erstellte Adaption der Fledermaus), liegt der Fall bei der Nacht in Venedig anders. Denn von dieser 1883er Erfolgsoperette kursieren fast ausschließlich Aufnahmen, die auf Korngolds Fassung von 1923 basieren. Meist erkennt man sie sofort daran, dass der Startenor darauf „Sei mir gegrüßt du holdes Venezia“ und „Treu sein, das liegt mir nicht“ singt, beides Ergänzungen von Korngold für den damals erstmals ins Operettenfach gewechselten Richard Tauber, der als Herzog von Urbino musikalisch aufgewertet werden sollte – zuvor waren im Stück die Komikerrollen von Caramello und Pappacoda der zentrale Dreh- und Angelpunkt. Womit das Stück in Richtung Comedy gerückt war, statt eine Tenorschnulze-mit-Gondeln zu sein.

Die vorliegende cpo-Neuaufnahme stammt aus der Oper Graz, die Produktion wiederum kommt ursprünglich aus Lyon. Dirigent Marius Burkert schrieb mir, cpo habe gezielt eine Aufnahme der Korngold-Fassung gewollt, auf die auch Bernd Krispin im Booklet deutlich hinweist. Was er – und was cpo – allerdings nicht erwähnen: Um welche Korngold-Version handelt es sich hier eigentlich? Die 1923er Adaption ist die allgemein bekannte und hinlänglich oft aufgenommene – von Schwarzkopf/Ackermann bis Schock/Marszalek, von Wunderlich/Walter bis Gedda/Allers –, während die erweiterte Fassung von 1929 bislang nicht eingespielt wurde. Das ist jene Fassung, mit der das Werk in die Wiener Staatsoper einzog mit Maria Jeritza, Adele Kern, Lillie Claus, Hubert Marischka, Josef Kalenberg, Alfred Jerger und Koloman Pataky. (Was für eine Luxusbesetzung!)

Mit Marischka als Caramello betrat damals erstmals ein Operettenstar, der kein Opernsänger war, die Bühne der Staatsoper. „Er spricht seine Texte deutlich aus, sorgt für Laune und Temperament und fürchtet sich nicht, die Heiligkeit des Hauses dann und wann, durch einen derben Witz zu unterbrechen. Den anderen haftet noch ein wenig Würde an“, hieß es in Das kleine Blatt. Und Adaxl meinte: „Er überraschte mit kräftig ins Haus geschmetterten Tönen, zog virtuos alle Register seiner liebenswürdigen Persönlichkeit und hat vor den meisten Opernsängern die sorgfältige Wortbehandlung und, ein vorbildlicher Tänzer, die Sicherheit in der Bewegung voraus.“ Es war die Rolle, die in Wien 1883 Alexander Girardi kreierte.

Abgesehen von der Besetzung 1929 war der wichtigste Unterschied zu 1923, dass Korngold einige neue Tanzpassagen einfügte, die für opulente Ausstattungsmöglichkeiten sorgten – und die mit Jazzelementen gespickt waren. Schließlich bewegte man sich in den Wilden Zwanzigern!

Die Premiere geriet zum Triumph, Kritik erregten nur einige für Wiener Verhältnisse allzu radikale Neuerungen: „Als gleich am Anfang ein entzückender Straußwalzer sozusagen ‚modern rhythmisiert‘ ertönte, malte sich Entsetzen auf den Gesichtern der Straußmusikkenner, und diese einzige, allerdings unerhörte Geschmacklosigkeit muß unbedingt verschwinden – aber was sonst Neues geschaffen wurde, war wunderbar, war genial.“

Außer vereinzelten Xylophonklängen in den Tanzduetten und ein paar markanten Harfen-Glissandi ist das, was cpo unter Dirigent Marius Burkert nun vorlegt aber nicht die „Entsetzen“ auslösende Staatsopernfassung, sondern die vertraute „alte“ Version. Und mit der begibt sich die neue CD in eine massive Konkurrenzsituation.

Egal wie frisch hier teils aufgespielt wird: Diese ausgeglichene Grazer Besetzung hält in keiner Position einem Vergleich mit Stars der Vergangenheit stand, selbst wenn sie sich (löblicherweise) manchmal deutlich an Vorgängern orientierten. So stattet beispielsweise Lothar Odinius seinen Herzog versuchsweise mit Mezza-voce-Effekten aus und gestattet sich hier und da sogar ein Portamento. Aber vom Schmelz eines Tauber – oder Gedda – ist er weit entfernt, vom Draufgängertum eines Schock (besonders in der ersten Aufnahme von 1953 unter Marszalek) fehlt jede Spur. Und dass man die Nummern des Herzogs mit einer gehörigen Portion Rubato und überhaupt Tempofreiheit gestalten sollte, hat Dirigent Burkert nicht erkannt.

Angenehm frisch und silbrig schimmernd im Tonfall ist der Caramello von Alexander Geller, mit dessen Auftritts-Tarantella so was wie Drive in diese Neuaufnahme kommt (immerhin sind wir da bereits bei Track 5!). Aber Hand aufs Herz: Das Gondellied singt Fritz Wunderlich (1960 unter Fried Walter) berückender. Und wenn man die steinzeitliche Klangqualität in Kauf nimmt: Marcel Wittrisch auf der Reichssender-Berlin-Aufnahme von 1938 lässt als Caramello wirklich die gesamte Konkurrenz hinter sich, inklusive Wunderlich, weil er speziell das Gondellied mit so vielen überraschenden Nuancen gestaltet und dann in den entscheidenden Momenten eine solche Strahlkraft entwickelt, dass man auch heute noch staunend dasitzt und denkt: Ja, so und nicht anders! (Seine Tarantella singt er übrigens auch mit einem derart vorwärtsstürmenden Impetus, einer solchen Textdeutlichkeit, dass ihr Fehlen in Graz schmerzlich auffällt.)

Der dritte Herr in der männlichen Hauptrollenrunde ist Ivan Oreščanin als Spaghetti-Koch Pappacoda, den ich als spaßbegrenzt und unschmissig bezeichnen würde, vor allem wenn man ihn vergleicht mit dem jungen Peter Alexander (bei Marszalek 1953). Und über den quasi nicht existenten Senator Delaqua, hier gesungen von Götz Zemann, lässt sich so gut wie nichts sagen, weil er – ebenso wie alle anderen – keinerlei Dialoge hat. Wodurch der Eindruck eines Wunschkonzerts entsteht (mit musikalischen Nummern ohne Wiederholungen bei den Strophen), nicht der einer dramatisch irgendwie interessanten Handlung.

Wie grandios die Dialoge auch auf Tonträger funktionieren können, demonstriert der Reichssender Berlin: mit echter Dialogregie und mit echten Charakterdarstellern. Die Szenen der Senatoren auf der 1938er Aufnahme (Otto Sauter-Sarto als Delaqua, Carl-Heinz Carell als Barbaruccio und Richard Senius als Testaccio) sind ein echtes Kabinettstück, die drei Herren schaffen es sogar zu NS-Zeiten, politische Anzüglichkeiten über unfähige Politiker zu platzieren. Davon spürt man in Graz nichts, weil diese gesamte Handlungsebene auf der Aufnahme fehlt.

Die Paraderolle des Fischermädchens Annina (unvergessen Elisabeth Schwarzkopf auf ihrer Ackermann-Einspielung bei EMI/Warner!) gibt Elena Puszta mit leicht säuerlichem Sopran und ohne jedwede Textverständlichkeit. Und ohne den Charme des Timbres, den Rita Streich oder Lisa Otto verstrahlen. Von Elisabeth Schwarzkopf mal ganz zu schweigen. Mag sein, dass Puszta auf der Bühne besser wirkte als auf CD, aber für alle, die nur eine neue Nacht in Venedig auf Tonträger kaufen wollen, ist das letztlich gleichgültig.

Gleiches gilt für die Senatorengattinnen, hier von Elisabeth Pratscher angeführt mit „So ängstlich sind wir nicht“, ohne Resolutismus und Witz. Man vergleiche das mit Gisela Litz 1967 unter Franz Allers.

Warum also das Ganze? Musikalisch ist diese Einzel-CD so stark gekürzt, dass von einem umfänglichen Musikgenuss nicht die Rede sein kann. Während Ernst Märzendorfer 1987 als Erster die originale Wiener Fassung nach der damals neuen kritischen Ausgabe eingespielt hat, mit Jeanette Scovotti, Karl Dönch, Wolfgang Brendel et al, fehlt bis heute von der legendenumwobenen Berliner Urfassung weiterhin jede Aufnahme, gleichwohl es auch davon eine kritische Ausgabe gibt. (Die natürlich kostspielig ist, was Leihmaterial angeht; weswegen viele Theater lieber bei Korngold/Weinberger bleiben.)

Auf YouTube findet sich ein kurzes Video zur Grazer-Produktion, wo man sieht, dass der Herzog von Urbino so etwas wie ein Karl-Lagerfeld-Verschnitt ist, allerdings ohne erkennbare homoerotische Momente mit Männermodels, sondern umgeben von hübschen Mannequins. Und einem spielfreudigen Alexander Geller als Leibbarbier. Was genau Eine Nacht in Venedig mit Lagerfeld und der Modelwelt zu tun hat – als Karnelvalsburleske – hat sich mir nicht erschlossen. Aber vielleicht war in Lyon ein Lagerfeld-Double als Herzog eine naheliegende Option?

Wer das umwerfende „Sei mir gegrüßt, du holdes Venezia“-Lied in der ursprünglichen Version hören will, kann sich auf der Simplicius-Einspielung (EMI unter Franz Welser-Möst) die Nr. 12a des Titelhelden zu Gemüte führen: „Der Frühling lacht, es singen die Vögelein“. Es ist die unmittelbare Vorlage, die Korngold und Marischka textlich angepasst haben. Martin Zyseet singt sie live 1999 berückend und vor allem: völlig außer Konkurrenz.

Einen solchen Willen, Operette und speziell Eine Nacht in Venedig neu zu denken, hätte ich mir bei cpo gewünscht. Mit der Berliner Urfassung hätte sich auch dieses ansonsten ausgeglichene Ensemble der Grazer Oper zweifellos profilieren und bewähren können. Für die 1929er Version bräuchte man vermutlich mehr Starqualität, um in die Fußstapfen von Jeritza, Kern, Claus, Jerger und Pataky zu treten. Und einen „modernen“ Hubert Marischka als Caramello müsste man auch erst mal finden. Was aber absolut möglich ist, wenn man außerhalb der gängigen Opernverdächtigen schaut und die Musical- bzw. Schauspiel/Kabarett-Szene berücksichtigt. Aber darin war cpo bisher nie besonders versiert. Und als Postskriptum: Bei der Erstaufführung der Korngold-Fassung 1923 im Theater an der Wien war außer Richard Tauber kein einziger Opernsänger beteiligt, bei den Berliner und Wiener Premieren 1883 auch nicht. Mit einer entsprechenden Besetzung hätte sich auch Graz/cpo auf Tonträger außer Konkurrenz bewegen und auf ganzer Linie punkten können. Aber das muss man auch wollen! Kevin Clarke

Häppchen

 

Häppchenweise genießen sollte man die jeweils etwa drei Seiten langen Beiträge, deren 58 an der Zahl das Buch von Eleonore Büning mit dem Titel Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur? ausmachen und das, dem Untertitel nach zu urteilen, „Antworten auf die großen und kleinen Fragen der Musik“ geben soll. Nun gehört die hier zitierte sicherlich eher zu den kleinen, ja eher zu den überflüssigen und vielleicht sogar zu den gar nicht von den Lesern eingereichten, die allwöchentlich in der FAZ am Sonntag in einer wöchentlich erscheinenden Kolumne gestellt wurden und die die Musikkritikerin mal witzig und mal witzelnd, mal tiefgründig und mal abschweifend oberflächlich beantwortet. Bis weit in den Corona-Sommer hinein reichen die letzten Beiträge, so einer nach der Anzahl der Opern von Beethoven, und so dem Jubiläumsjahr des Komponisten gerecht werdend.

Nicht selten stellt die Autorin Behauptungen auf, die sich kaum belegen lassen, wie sie selbst sogleich zugibt, so auch die, dass Friseure immer klein sind, was  sie eigentlich fragen lassen müsste, warum dem so ist- und sie wäre bei der Beantwortung der Frage genau so gescheitert wie bei der auf die eingangs gestellte nach der Häufigkeit des Coiffeurbesuchs. Es geht also nicht immer um ernste, Gehaltvolles erfordernde Themen, sondern oft um reinen Nonsens, der natürlich auch seine Berechtigung hat- und die abschließende, die 58. Frage, Dürfen Stardirigenten Privatjets fliegen, bewegt sich im Grenzbereich zwischen Ernsthaftigkeit und Kabarett.

Wie schillernde Seifenbasen muten viele der Beiträge an, die zu fragiler Größe aufgeblasen werden, um schließlich zu einem Nichts zu zerplatzen, wobei Sprunghaftigkeit zum Gestaltungsprinzip erhoben wird. Man erfährt auch Wissenswertes wie über die mögliche Dauer von Fermaten,    bei „was ist klassisch“ driftet Büning nur ganz am Schluss ab, und scharf und witzig wird die Frage behandelt, ob zwangsläufig Angehörige der Familie Wagner in Bayreuth herrschen müssen.

Manches ist schief, so wenn gefragt wird, wer sich als Erster nach einer Vorstellung verbeugen darf (was ihr als Vorgang an sich wiederholt als Ärgernis erscheint), wo doch der Letzte der Erste, d.h. der „wichtigste“ Künstler ist. Die Zauberflöte soll rassistisch sein, wo doch Papageno so schön sagt:“Es gibt doch auch schwarze Vögle, warum soll es nicht auch schwarze Menschen geben“. Und in den Meistersingern geht es nicht um den Sieg der Genialität über die Regeln, sondern um die Verbindung von beiden. Da wird der  vertrauensvoll mit naiven Fragen sich an den Experten wendende Leser manchmal auf die schiefe Bahn geführt. Über Klaviere und Klavierunterricht hingegen kann er sich bestens unterrichtet sehen oder auch über die Nebensonnen in Schuberts Winterreise. Weniger geschieht das mit der falschen Verwendung des Begriffs „Hasenbrot“ oder der Zuordnung des Edlen Faninal zu den Sopranen, mit dem Prädikat „liebenswürdig“ für Brahms‘ Requiem.

Ihren Wert nicht in einer in der Frage geforderten Information, sondern in der witzigen Art der Darstellung haben Artikel wie die über den Schah und die Zauberflöte, über die Benachteiligung des hohen D gegenüber dem C in der Hörergunst oder auch den Kummerbund.

Mehr Tiefgang hätten trotz des Glossenformats Artikel über die Liebe der Japaner zur klassischen Musik oder die Zwölftonmusik als Holzweg oder Sackgasse verdient. Einigen Mut verlangte die Behauptung, es gebe im Bereich der Oper „homosexuelle Seilschaften“.

Die Empfehlung, nicht mehr als zwei oder drei der kurzen Artikel hintereinander zu lesen, hängt auch mit dem Stil zusammen, der in einer Häufung von Fragen, die keine Antwort finden, in endlosen Aufzählungen von Gleichartigem, die jäh von etwas nicht dazu Passendem unterbrochen werden, in manchmal überbordend Klischeehaften wie den nur einmal in der Woche duschenden Politbarden besteht. Das wirkt zunächst erheiternd, aber zunehmend ermüdend, hängt aber damit zusammen, dass aus vielen kleinen Einzelstücken ein Größeres zusammengefügt wurde. Verschwiegen werden soll nicht, dass das Buch anspruchsvoller ist, als sein Titel vermuten lässt.(225 Seiten, 2020 Benevento; ISBN 978 3 7109 0099 0). Ingrid Wanja

Zu neuen Ufern

 

Eine erstaunliche Entwicklung hat die polnische Sopranistin Aleksandra Kurzak genommen. Nach Partien des lyrischen Koloratursoprans zeigt ihre neue CD bei SONY, aufgenommen im April 2019 in Wien, die Hinwendung zum dramatischen Sopran und sogar Ausflüge in das Fach des Verismo. Desire nennt sich das Porträt (19075883262), aber nicht alle darauf versammelten Partien sind noch Sehnsuchtsobjekte der Sängerin, denn einige von ihnen hat sie bereits auf großen internationalen Bühnen verkörpert – wie die Micaëla in Bizets Carmen in Paris und an der Met. Deren Arie „Je dis“, gesungen mit tiefer Empfindung und leuchtender Stimme, ist der einzige französische Beitrag auf dem Album, das mit seinen fünf Sprachen auch die stilistische Vielseitigkeit der Interpretin beweist. Für die im Original französische Arie der Hélène aus Verdis Les Vêpres siciliennes hat sie die italienische Fassung gewählt, singt also Elenas Siciliana „Mercé, dilette amiche“ – mit Verve und koloraturgewandt. Ebenso wie die beiden anderen Verdi-Heroinen auf der CD – die Elvira aus Ernani und die Trovatore-Leonora – gehört sie noch nicht zu Kurzaks Repertoire. Elviras „Ernani, Ernani involami“ wie Leonoras „D’amor sull’ali rosee“ sind Herausforderungen für einen dramatischen Koloratursopran mit virtuosem Vermögen. Kurzak stellt sich diesen mit beachtlichen Ergebnissen, obwohl man sich für beide Partien einen dunkler getönten Sopran wünschte.

Von Puccini finden sich mit Tosca, Cio-Cio-San und Liù gleichfalls drei Rollen in der Anthologie. Letztere hat sie in London und Wien vorgestellt, die Arie aus dem 1. Akt, „Signore, ascolta!“, berührt ungemein mit ihren schmerzlichen Tönen und ist gesangstechnisch vollkommen. Auch bei der Titelrolle in Madama Butterfly hat sie durch einen Auftritt in Warschau Erfahrungen gesammelt, was die berühmte Arie „Un bel dì“ in ihrem starken Gefühlsspektrum zeigt. Tosca steht auf dem Terminkalender der Sängerin und mit  dem einfühlsamen „Vissi d’arte“ gibt sie einen viel versprechenden Vorgeschmack auf das Debüt. Das italienische Repertoire wird ergänzt durch Adriana Lecouvreurs „Io son l’umile ancella“, das die CD mit sinnlichen Tönen eröffnet, und Neddas „Stridono lassù“ aus den Pagliacci. Während sie die Titelrolle in Cileas Oper für die Zukunft plant, hat sie die Figur in Leoncavallos Tragödie vielerorts gesungen – nach dem Rollendebüt in Zürich an der Met, in Berlin Barcelona und London. Diese Erfahrungen sind bereits in der prägnanten Formulierung des Rezitativs hörbar, und auch die Arie lebt durch den passionierten Einsatz der Interpretin. Nur im hohen Schlusston ist eine leichte Schwankung zu hören.

Verdienstvoll ist der Einsatz der Sopranistin für das slawische Repertoire. In nicht weniger als drei Sprachen stellt sie Frauengestalten aus dem musikalischen Kosmos Tschechiens, Polens und Russlands vor. Während Rusalkas inniges„Lied an den Mond“ aus Dvoráks Oper und Tatjanas leidenschaftliche Briefszene aus Tschaikowskis Eugen Onegin sogar Wunschkonzert-Schlager sind, ist Halkas „O moj malenki“ aus Moniuszkos polnischer Nationaloper selten zu hören. Wie die beiden anderen Partien bringt sie die slawische Seele der Sängerin zum Klingen, ist aber von dramatischerem Zuschnitt. Die Arie zählt zu den Höhepunkten des gelungenen Programms.

Vielseitigkeit beweist auch das Morphing Chamber Orchestra, Vienna, das die Solistin unter Leitung von Frédéric Chaslin begleitet und sich in den unterschiedlichen musikalischen Idiomen kompetent behauptet. Bernd Hoppe

Poster Child

 

Mit seiner im Auftrag dreier Opernhäuser komponierten und 2001 in Dallas uraufgeführten Zola-Oper Thérèse Raquin hat Tobias Picker (* 1954) einen nicht unwesentlichen Beitrag zu neueren amerikanischen Oper geliefert. Zwei Opern waren vorausgegangen, zwei weitere sollten folgen. Darunter immerhin die mit einer großartigen All-Star-Cast 2005 an der Met gegebene American Tragedy. Weitere sind geplant. Daneben hat er sinfonische Musik komponiert, ein Ballett geschrieben. Etwas aus beiden Welten umfasst die Opera Without Words betitelte Naxos-Ausgabe mit zwei jeweils rund halbstündigen Stücken (8.559853). Wobei das „ohne Worte“ nicht ganz stimmt. Zumindest nicht in Bezug auf The Encantadas von 1983. Es handelt sich um ein Melodram für Sprecher und Orchester mit Texten von Herman Melville, der 1854 eine aus zehn Skizzen bestehenden Novelle über seine Reise zu den Galapagos-Inseln bzw. Encantadas veröffentlichte. Den sechs Abschnitte, die sich als die Erinnerungen eines alten Mannes an seine Jugend interpretieren lassen, hat Picker jeweils einen unverkennbare Atmosphäre gegeben, darunter einen parodistischen Walzer für die Pinguine und ein Klaviersolo für den Pelikan im Abschnitt Diversity. Der große John Gielgud (1904-2000) hat das Stück und Melvilles Worte 1999 geadelt und mit dem Houston Symphony Orchestra (Virgin) aufgenommen. Im März 2019 ging Picker in Nashville selbst ins Studio und sprach die sechs Texte zu dem vom von dortigen Nashville Symphony unter Giancarlo Guerrero gelieferten orchestralen Sound.

Gegen die edle Stimme des britischen Jahrhundertschauspielers, die immerhin Alec Guiness mit einer Silbertrompete mit Seidenbelag verglich, kommt der Komponist nicht an. Picker agiert mit wohllautend, gut artikulierender, wenngleich geheimnisloser Stimme. Gielgud spricht Literatur, Picker will packen und erzählen. In der Neuaufnahme klingt das Orchester etwas dominanter, wodurch das illustrative Plätschern und Wüten der Musik fasslicher gerät, die Landschaften in ihrer kompetenten Naturbeschreibung aber doch auch wie Aquarelle im Wartezimmer wirken. Ein amerikanischer Beobachter fand dafür die treffenden Worte, Tobias Picker is a poster child for accessible new music, program music in particular…

Auch das zweite Stück ist „accessible“ bis zur Langweiligkeit. Und irgendwie ist es auch eine Oper, wenngleich sich Opera Without Words im Gewand einer Orchester-Suite versteckt. Das eigentümliche Stück wurde 2016 von Christoph Eschenbach und dem National Symphony Orchestra, das zusammen mit dem Nashville Symphony Orchestra den Auftrag dazu gegeben hatte, aus der Taufe gehoben. Eigentümlich, weil  der Text, der nicht zu hören ist, immerhin von der durch ihren Einsatz für Anatol Ugorski und seit ihrer mit Enzensberger verfassten Hasen-Geschichte Esterházy auch als Schriftstellerin bekannten Irene Dische stammt. Dazu muss man Picker hören, Opera Without Words ist ein Musikdrama über einige faszinierende Menschen, denen ich begegnet bin. Als ich mit diesem Werk begann, machte ich mir Gedanken über Unterschiede und Ähnlichkeiten der Gattungen Orchesterstück und Oper. Ich entschloss mich, an dieses Werk so heranzugehen, als schriebe ich eine Oper. Ich beauftragte eine Librettistin, Irene Dische, und setzte ihr Libretto nicht für Stimmen, sondern für die Instrumente des Orchesters, unbelastet von allen Rücksichten auf Stimmumfang und Gesangstechnik. Nachdem ich die Oper mit Worten abgeschlossen hatte, entfernte ich den Text bis auf wenige Spuren und Reste aus der Partitur. Guerrero und sein Orchester brillieren in dieser unterhaltesamen Suite, die den Instrumenten effektvolle Kommentare zuwirft. Hübsch anzuhören.  Rolf Fath

Ursel Herrmann

 

Ursel Herrmann, am 19. Jänner 1943 im heute polnischen Rynsk (seinerzeit Rheinsberg) geboren, wuchs in der Deutschen Demokratischen Republik auf und studierte an der Freien Universität Berlin, bevor sie zwischen 1980 und 1984 als Dramaturgin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg engagiert wurde. Während dieser Zeit arbeitete sie auch an der Ausstellung Inszenierte Räume, die im Hamburger Kunstverein gezeigt wurde. Seit 1982 war sie an der Seite ihres Ehemanns Karl-Ernst Herrmann (1936-2018) die weibliche Hälfte eines Regieteams, das Mozarts La clemenza di Tito als Debütprojekt im Théâtre de la Monnaie in Brüssel inszenierte und später für dasselbe Opernhaus La finta giardiniera und Die Entführung aus dem Serail auf die Bühne brachte, die auch bei den Wiener Festspielen vorgestellt wurden. Ihre Brüsseler La traviata wurde später in Düsseldorf und ihre Zauberflöte bei der Salzburger Mozartwoche 1991 wiederbelebt. Von 1992 bis 2001 zählten die Herrmanns zu den wichtigsten Regisseuren der Salzburger Festspiele der Mortier-Ära und schufen fünf neue Produktionen: La clemenza di Tito (1992), La finta giardiniera (1992), die Mozart-basierte Szenenfolge Ombra felice (1994), Les Boréades (1999) und Idomeneo (2000). Mit Ferdinand Raimunds Der Bauer als Millionär nahmen sie bei den Wiener Festspielen 1996 an ihrer ersten nichtmusikalischen Zusammenarbeit teil. Zuvor hatten die Herrmanns zwei Händel-Opern aufgeführt, Semele für die Berliner Staatsoper Unter den Linden und die Innsbrucker Festspiele für Alte Musik sowie Giulio Cesare an der Niederländischen Oper in Amsterdam. Von 1994 bis 2002 unterrichteten Ursel und Karl-Ernst Herrmann auch Bühnen- und Kostümdesign an der Akademie der bildenden Künste in München. Im Nationaltheater inszenierte sie mit großem Erfolg Mozarts Opern La clemenza di Tito (2006) und La finta giardiniera (2008). Ursel Herrmann starb am 27. September 2020 im Alter von 77 Jahren in Berlin. (Quelle Narodni Divadlo Prag/ Übersetzung Daniel Hauser)

 

Auf der Spur der Grossen

 

Die Titelrolle in Donizettis Maria Stuarda hat Diana Damrau im April 2018 am Opernhaus Zürich erstmals szenisch verkörpert, einen Monat später an der Deutschen Oper Berlin auch konzertant vorgestellt. So ist es nur folgerichtig, dass sie für ihr neues Recital bei Erato Szenen aus dieser Tragedia lirica ausgewählt hat. Überraschend aber ist die Einbeziehung der beiden anderen Tudor-Königinnen des Komponisten aus Bergamo – Anna Bolena und Elisabetta (Roberto Devereux) -, denn beide hat die deutsche Sopranistin bislang noch nicht interpretiert. Mit diesem Porträt, betitelt Tudor Queens (0190295280932) und aufgenommen im Juli 2019 in Rom, stellt sie sich einer übermächtigen Konkurrenz mit legendären Vorgängerinnen, von Virginia Zeani und Leyla Gencer über Beverly Sills und Montserrat Caballé bis zu Edita Gruberova und Sondra Radvanovsky.

Für ihr Unternehmen hat sich die Sängerin der Unterstützung renommierter Partner versichert – des traditionsreichen Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom und des Dirigenten Antonio Pappano. Sie sorgen für die nötige Energie und italienische Stimmung, befeuern die Solistin, sich dem Strom der Musik hinzugeben, auch das Risiko nicht zu scheuen, wenn es um Wahrhaftigkeit des Ausdrucks geht.

Das Programm folgt der chronologischen Ordnung der drei Werke und beginnt mit der 1830 uraufgeführten Anna Bolena. Deren ausgedehnte Schlussszene„Piangete vuoi/Al dolce guidami/Coppia iniqua“ weist noch an Rossini erinnernde Verzierungen auf, nimmt aber in der energischen Cabaletta schon den frühen Verdi vorweg. Der Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom (Einstudierung: Ciro Visco) leitet die Nummer mit „Chi può vederla“ atmosphärisch ein. Damraus Stimme ist ein lyrischer Koloratursopran, klingt anfangs sehr jugendlich, fast mädchenhaft, findet aber nach dem verinnerlichten „Al dolce guidami“ und dem elegischen „Cielo, a’ miei lunghi spasimi“ am Schluss bei „Coppia iniqua“ zu einem entschlossenen Aplomb, den man so von ihr bislang nicht kannte.

Im Mittelteil gibt es das Finale aus der 1835 uraufgeführten Maria Stuarda. Bei deren Gran Scena e Preghiera und der Aria del Supplizio – auch diese vom Coro mit dem düsteren „O truce apparato“ stimmungsvoll eingeleitet – spürt man die Erfahrungen der Sängerin auf der Bühne und im Konzert. Sie wartet mit zarten Tönen und subtilen Nuancen auf, lässt feinste piano-Gespinste hören, bringt aber vor allem neben der stimmlichen Faszination das Schicksal der Figur dem Hörer bezwingend nahe. In den wenigen Einwürfen des Leicester fällt der strahlende Tenor von Domenico Pellicola auf.

Die Elisabetta aus dem 1837 in Neapel uraufgeführten Roberto Devereux zum Abschluss stellt die größte Herausforderung für die Interpretin dar, denn die Scena ed Aria finale („Vivi, ingrato/Quel sangue versato“) verlangt stärksten dramatischen Aplomb und hohe stimmliche Agilität. Damrau überzeugt hier wieder mit totalem Einsatz und bedingungsloser Hingabe  – sowohl im kantablen „Vivi, ingrato“ als auch in der leidenschaftlichen Cabaletta. Und angesichts der Tatsache, dass sie die Partie noch nie live verkörpert hat, überrascht der lebendige Eindruck, den sie mit ihrer Interpretation hinterlässt. Die CD markiert einen deutlichen Schritt nach vorn in der Entwicklung der Sängerin. Bernd Hoppe

Mercadantes Oper „I briganti“ , 2

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Saverio Mercadante (1795-1870) ist wohl nur eingefleischten Opernkennern bekannt; denn seine zwischen den Jahren 1819 und 1856 entstandenen 57 Werke für das Musiktheater haben ihn alle nicht überlebt, wenn man von Wiederbelebungsversuchen von Il Giuramento, I due Figaro oder La Vestale ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts absieht.  Umso mehr überrascht das „Räuber-Projekt“, das sich das Theater für Niedersachsen (TfN) zur Eröffnung der Spielzeit nach dem Corona-Lockdown vorgenommen hat. Die Trilogie beginnt mit Mercadantes Fassung des Schiller-Dramas, am folgenden Tag gibt es das „Schauspiel-Original“, und nach einer Woche hat die Interpretation des Donlon Dance Collective Premiere, alles übrigens mit demselben recht düsteren Bühnenbild von Belén Montoliú. (…) In Deutschland wurden I briganti erst 2012 beim Rossini-Festival in Bad Wildbad wieder aufgeführt, sodass die Oper auch aus Anlass des 150. Todestags des Komponisten nun am TfN  zum zweiten Mal hierzulande zu erleben ist, Rezension der Aufführung von Gerhard Eckels (dazu auch zeitgleich der ausführliche Artikel von Michael Wittmannb in operalounge.de).

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(…) Das Bühnenbild besteht aus einem großen ineinander verschachtelten „Klettergerüst“, das in vier Teile auseinander und variabel aufgestellt werden kann, was meist auf offener Bühne durch in medizinische Schutzanzüge gekleidete Bühnentechniker geschieht (Aha, Corona-Gefahr!). Die abstrakten Bilder (also kein Schloss, kein Wald usw.) ermöglichen, die Beziehungen der handelnden Personen näher herauszuarbeiten, was dem Regisseur Manuel Schmitt auch gelingt. Dabei gibt es entgegen dem Text Corona-bedingt keine Umarmungen, kein Anfassen, sondern unnatürlich distanzierte Begegnungen, bei denen „spannende neue Ästhetiken“ entstehen, wie der Regisseur im Programmheft meint. Dazu soll wohl auch gehören, dass die Protagonisten oft sozusagen aus der Handlung heraustreten und sich nebeneinander an die Rampe stellen. Fast alle Handlungsträger tragen zeitlose, schwarze Kleidung, auch von Belén Montoliú entworfen; Ausnahme ist der in blau-gelb gekleidete, junge Schiller (Torben Kirchner), den der Regisseur durch fast alle Szenen wuseln lässt, indem er Texte (der Räuber?) schreibt oder das Geschehen staunend betrachtet. Die Räuberbande ist nicht zu sehen (nur aus dem Off zu hören), für sie treten in historischen Kostümen Figuren aus Schillers Dramen auf, wie beispielsweise die Jungfrau von Orleans, Maria Stuart, Luise aus „Kabale und Liebe“ oder Wilhelm Tell. Außerdem ist befremdlich, dass Ermano am Schluss weder sich noch Amelia, dafür aber Schiller ersticht. Man muss nicht alles verstehen!

Nun zur musikalischen Verwirklichung der Belcanto-Oper: Wegen der Abstandsvorschriften auch im Graben war es nötig, die Zahl der Orchestermitglieder von rund 45 auf etwa die Hälfte zu reduzieren. GMD Florian Ziemen hat selbst eine Fassung für ein kleineres Ensemble von 21 Musikern geschaffen; dadurch ist ein dem musikalischen Original erstaunlich nahe gekommenes Klangbild entstanden. Am Premierenabend sorgte die präzise, stets vorwärts drängende Leitung des GMD für einen trotz der kleineren Besetzung kompakten und zugleich differenzierten Klang, zu dem die zahlreichen, ausgezeichneten Instrumenten-Soli gekonnt beitrugen. Die Sängerbesetzung ist bei den hohen Anforderungen, die Mercadante an das stimmtechnische Vermögen der Protagonisten stellt, alles andere als leicht. Er hatte für dieselben vier Sänger geschrieben, die 1835 Bellinis Puritani aus der Taufe gehoben hatten, dabei der damals berühmte Tenor Giovanni Rubini, mit dem Mercadante befreundet war. Wie es der Mercadante-Spezialist Michael Wittmann ausgedrückt hat, „kannte Mercadante deren stimmliche Möglichkeiten ganz genau, und die Partitur erweckt den Anschein, als ob er seinen besonderen Ehrgeiz daran gesetzt hätte, den Sängern best- und schwerstmöglich in die Kehlen zu schreiben.“

Mercadantes Oper „I Briganti“ nach Bad Wildbad 2012 nun am TFN Hildesheim/ Szene/ Foto Marie Liebig

Daran die Leistungen am Premierenabend zu messen, wäre ungerecht, aber das Ensemble hatte beachtlich hohes Niveau. Da ist zunächst die britische Sopranistin Robyn Allegra Parton als Amelia zu nennen. Sie stellte glaubhaft die unter den widrigen Umständen leidende Frau dar; dass sie zu Corrados Arien im Gerüst herum klettern musste, ist ihr nicht anzulasten. Sie führte ihren tragfähigen Sopran gut abgerundet durch alle Lagen und gefiel durch klare Koloraturgeläufigkeit sowie sichere Höhen; besonders gelungen waren die schön ausgesungenen Lyrismen im 3.Akt. Ihr „Gegenspieler“ Corrado war bei dem US-Amerikaner Zachary Bruce Wilson gut aufgehoben; in seiner Darstellung war Corrado weniger schurkischer Bösewicht als heftig unter Amelias Ablehnung leidender Mann. Der Sänger verfügt über einen markanten Bariton, den er schön auf Linie führte, der in den nicht wenigen Koloraturen sicher war und der durchgehend mit starkem Ausdruck imponierte. Für den jungen Koreaner Yohan Kim war es nun alles andere als leicht, mit der technisch schwierigsten Partie der Oper fertig zu werden; er sang zu eindimensional, indem er bei durchgehender Lautstärke kaum differenzierte. Da die extremen Höhen meist gelangen, teilweise aber nur mit merkwürdiger Kopfstimme, muss man leider feststellen, dass er sich hörbar angestrengt durch seine Partie kämpfte.

Der in Hildesheim in vielen unterschiedlichen Bariton- und Bass-Partien bewährte Uwe Tobias Hieronimi gab den „alten Moor“, hier Massimiliano. Inzwischen weist seine Stimme so starkes Tremolo auf, dass sie einfach nicht belkantistisch klingt, wobei die Stimmführung sonst über jeden Zweifel erhaben ist. In den kleineren Partien ergänzten ohne Fehl Neele Kramer als Amelias Vertraute Teresa, der Südafrikaner Eddie Mofokeng als treuer, für Massimiliano sorgender Bertrando und Julian Rohde als Ermanos Freund Rollero.

Der Chor, meist aus dem Off singend, wenn man von einer Szene absieht, in der einige Choristinnen ebenfalls in medizinischer Schutzkleidung auftraten, entwickelte unter dem im Bühnenhintergrund wirkenden Chordirektor Achim Falkenhausen die in Hildesheim gewohnte ausgewogene Klangpracht.

Insgesamt hat das TfN in diesen schwierigen Zeiten eine tolle Leistung vollbracht, was Intendant Oliver Graf nach dem begeisterten Schlussapplaus dankend hervorhob (Premiere am 12. September 2020/ Fotos Marie Liebig). Gerhard Eckels

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Kein Kanon

 

Seltsamerweise erinnere ich mich noch relativ gut an Griffelkin, das Teufelchen im Teufels-Kindergarten und an seine Großmutter. Nicht vielen Opernbesuchern dürfte es ähnlich gehen. Ein wenig darf man sich wundern, unter den 100 Meisterwerken des 20. Jahrhunderts die 1955 zunächst von der NBC in einer Kurzfassung ausgestrahlte und im folgenden Jahr in Tanglewood szenisch aufgeführte Familienoper, die 1973 in Karlsruhe ihre deutsche Erstaufführung erlebte, eingereiht zu sehen. Selbst Lukas Foss dürfte Opernbesuchern nicht allzu vertraut sein.

Doch Bernd Feuchtner, der weitere Merkwürdigkeiten in sein ungemein profundes, dickes und schweres Werk über Die Oper des 20. Jahrhunderts in 100 Meisterwerken (Wolke Verlag,688 S., zahlr. farb. Abb., geb., 978-3-95593-250-3) aufgenommen hat, versteht es klug und kenntnisreich in das jeweilige Werk einzuführen, dass, egal überzeugt man von seiner Auswahl sein mag, eine dichte und informativ zu lesende Geschichte der Oper entsteht. Der 1922 als Lukas Fuchs geboren Foss „war wie Andreas Priwin ein Berliner Junge, bis man die beiden Wunderkinder mit ihren Familien als jüdisch klassifiziere und vertrieb. So werden sie als Lukas Foss und André Previn erfolgreiche amerikanische Komponisten und Dirigenten.“ Feuchtner entfaltet die nicht unspannende Karriere des Lukas Foss und verweist nebenbei auf die Geschichte der amerikanischen Fernsehoper, die mit Menottis Amahl and the Night Visitors einen ersten Höhepunkt erlebte, an den die Kinderoper Griffelkin anknüpfen sollte. Möglicherweise in Ermangelung von Alternativen steht Griffelkin für das Jahr 1955. Jedem Jahr des vergangenen Jahrhunderts ist ein Werk zugeordnet. Man stößt auf Raritäten und Bekanntes. Es gibt Lücken – nicht nur 1919, wo sich Die Frau ohne Schatten gut ausgenommen hätte. Manche Jahre sind dagegen doppelt und dreifach belegt. Strauss ist nur mit der Elektra vertreten, Puccini mit Madama Butterfly, Britten mit Peter Grimes, Henze mit We come to the river. Man stößt aber auf Brands Maschinist Hopkins (1929) – an anderer Stelle verweist Feuchtner auf John Dews wertvolle Bielefelder Arbeit, der wir diese Ausgrabung verdanken – zwei Jahre davor, also 1927, hätte Kreneks Jonny spielt auf gut reingepasst, dafür gibt es 1927 Schoecks Penthesilea und Korngolds Wunder der Heliane. Daniel Sternefelds Mater dolorosa (1935) überrascht ebenso wie Per Nørgǻrds Der göttliche Tivoli (1983 neben Messiaens Saint Francois) – bei der Auswahl spielt viel Selbsterlebtes und Gesehenes eine Rolle. Egal, ob man beim Aufschlagen Saties Sinfonisches Drama Socrate oder Lou Harrisson Puppenoper Young Caesar erwischt, Feuchtners 20. Jahrhundert erweist sich als formidables Lesebuch. Und immer wieder spricht der erfahrene Bühnenpraktiker, der bei seinen Ausführungen zu der 1970 in einer neu kompilierten Fassung der Peking-Oper vorgelegten Oper über das Dorf Schadjiabang meint, „Die Oper würde ich weder empfehlen noch aufführen wollen. Für nichtchinesische Opernhäuser wäre das auch kaum möglich, denn sie arbeitet mit chinesischen Instrumenten und dem Gesangs- und Instrumentalstil der Peking Oper.“ Es folgt eine instruktive Ausführung über die Peking-Oper. Breite und Internationalität und Stilvielfalt soll abgebildet werden. „Meine Auswahl war subjektiv und erhob nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie wollte kein Kanon sein, sondern folgte meinen eigenen Vorlieben“. Das 20. Jahrhundert beginnt für Feuchtner mit Pfitzners Die Rose vom Liebesgarten, am 9. November 1901 in Elberfeld uraufgeführt; der Palestrina von 1917 hat gegenüber Busonis Arlecchino das Nachsehen. Wie Feuchtner im Fall der Rose Kunst- und Musikgeschichte und gesellschaftliche Entwicklungen zusammenpackt, von Elberfeld nach Wien und zu der erfolgreichen Aufführung unter Mahler an der Hofoper steuert, von Klimts Beethovenfries auf Mahlers Reformbewegung kommt und geistes- und literaturgeschichtliches einstreut, beweist den klugen Dramaturgen, der es zudem versteht derart animierend zu erzählen, dass Die Rose vom Liebesgarten plötzlich ganz anders blüht als ich sie in Erinnerung hatte. Die Fotos sind häufig ein wenig grisselig, zur jeweiligen Aufführungsgeschichte hätte man ein paar Zeilen mehr erwartet – so heißt es lapidar über die Zürcher Aufführung, „Als die Rose vom Liebesgarten 1998 in Zürich aufgeführt wurde, meinte der Regisseur sich von dem Werk („ungesunde Mischung von Ideen und Vorurteilen“) wie dem Komponisten („Er ist nicht sonderlich überraschend, dass Pfitzners Tochter Selbstmord beging“) distanzieren zu müssen“. Franz Welser-Möst hatte dirigiert, David Pountney inszeniert und Francisco Araiza und Stephanie Friede die Hauptpartien gesungen, bleiben aber ungenannt. Außerhalb der 100 Operneinführungen gibt es vier Exkurse über den „Weg der Veristen in die Arme von Mussolini“, die „Politische Oper in den USA“, „Oper in Lateinamerika“ und „Berlin, Hauptstadt der DDR“.   Rolf Fath

Cora Canne Meijer

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode der holländische Mezzosopranistin Cora Canne Meijer  (* 11. August 1929 in Amsterdam; † 25. August 2020 in Laren). Sie wird deutschsprachigen Musikliebhabern nicht  im Gedächtnis sein, aber in unserem Nachbarland hatte sie durchaus eine ansehnliche Karriere, besonders in vielen Uraufführungen zeitgenössischer Opern. Und sie ist auf einigen Aufnahmen zu hören, namentlich auf einer 3-CD-Box bei (ehemals) Gala. Nachstehend ein Auszug aus dem bewährten Wikipedia. G. H.

 

Ihr Gesangstudium absolvierte Cora Canne Meijer  am Amsterdamer Konservatorium bei Jan Keizer und bei Ré Koster. Zur weiteren Ausbildung ihrer Stimme ging sie zunächst nach Paris und später nach Wien, wo sie bei Alfred Jerger studierte. Auf der Bühne debütierte sie 1950 in der kleinen Rolle der Annina in La Traviata bei der Niederländischen Oper.  In den ersten Jahren ihrer Karriere erhielt sie in Amsterdam zunächst nur viele kleinere Rollen, übernahm später dort aber auch größere Rollen wie Prinz Orlofsky, Cherubino und die Rosina. So sang sie an der Niederländischen Oper Amsterdam die Titelrolle in der Oper Mignon von Ambroise Thomas. Ihr internationaler Durchbruch erfolgte im Sommer 1956 bei den Festspielen von Glyndebourne als Cherubino.  1960–1962 war sie mit einem Zweijahresvertrag am Opernhaus Zürich engagiert.

Ab den 60er Jahren trat sie immer wieder bei der Niederländischen Oper (DNO) in Amsterdam auf, wo sie eine große Karriere als Mezzosopranistin hatte. Zu ihren Glanzrollen dort gehörte insbesondere die Carmen, aber auch die Sekretärin in Der Konsul. Die Carmen sang sie im Laufe ihrer Karriere über 160 Mal.  In den 80er Jahren gehörte sie an der Niederländischen Oper neben Cristina Deutekom, Adriaan van Limpt und Jan Derksen zu dem ausschließlich aus holländischen Sängern bestehenden Sängerquartett in den Aufführungen von Verdis Il trovatore. Weitere Rollen Canne Meijers bei der Niederländischen Oper waren die Charlotte in Werther und der Komponist in Ariadne auf Naxos.  Ihr letzter Auftritt bei der Nederlandse Operastichting war im November 1986 als Bianca in Brittens The Rape of Lucretia.

Cora Canne Meijer gastierte an verschiedenen französischen Opernhäusern, in Brüssel und Lissabon. 1959 trat sie am Opernhaus von Monte Carlo als Prinz Orlowsky auf, 1970 dort dann als Dulcinée in Don Quichotte von Jules Massenet. Im September 1961 gastierte sie an der Wiener Staatsoper als Cherubino. Im Juni 1958 sang sie beim Holland Festival in Den Haag (Koninklijke Schouwburg) in der Uraufführung der Oper François Villon von Sem Dresden. Im April 1963 gastierte sie am Grand Théâtre de Genève in der Uraufführung von Frank Martins Oper Monsieur de Pourceaugnac, im Juni 1966 sang sie dort in der Uraufführung von Darius Milhauds Oper La mère coupable.  1968 war sie am Opernhaus von Marseille in der französischen Erstaufführung der Oper The Mines of Sulphur von Richard Rodney Bennett zu hören. 1970 sang sie am Opernhaus von Marseille in der Uraufführung von Marina Pineda von Henri Sauguet.

Cora Canne Meijer wirkte nach Beendigung ihrer Bühnenkarriere als Pädagogin am Sweelinck-Konservatorium in Amsterdam und führte Regie bei. Ihren offiziellen Abschied von der Opernbühne nahm sie im März 1996, als sie bei einer Aufführung der Oper Andrea Chénier im Concertgebouw Amsterdam die Rolle der Madelon sang.  1999 trat sie in einer konzertanten Aufführung der Oper Gianni Schicchi in Vredenburg in der Rolle der Zita zum letzten Mal als Sängerin öffentlich auf. Cora Canne Meijer starb im August 2020 im Alter von 91 Jahren im Rosa Spier Huis in Laren.

Tondokumente:  Cora Canne Meijer ist bei  HMV (Isolier in Le Comte Ory vom  Glyndebourne Festival), Philips (Les Noces von Strawinsky), MMS, und Telefunken (Der Tag des Gerichts von Georg Philipp Telemann) dokumentiert. Bei Gala erschien unter dem Titel The Art Of Cora Canne Meijer In Opera eine umfangreiche CD-Kassette mit Radio-Aufnahmen und Live-Mitschnitten aus den Jahren von 1956 bis 1981. (Foto Mon Musée musical)

Mais dans quelle langue?

 

Nachdem der Pharao sein Wort gebrochen und den Hebräern die versprochene Freiheit nicht geben will, droht Moses mit Sturm, Hagel und Feuer. Die Sonne verdunkelt sich. Zu Beginn des zweiten Aktes von Rossinis Moïse et Pharaon où Le paysage de la Mer Rouge (Version 1827/ Irreführend als nur Moise auf dem Cover abgedruckt, Naxos 8.660473-75 ) klagen deshalb Volk und königliche Familie im Pharaonenpalast, Ah! Quel désastre! Oh ciel!  Beim Górecki Chamber Choir aus Krakau löst sich in der undeutlichen Aussprache alles Entsetzen in einem klanglichen Sfumato auf, bleiben Ausdruck und Haltung wenig nachdrücklich. Klare, prononcierte Aussprache ist das Manko dieser Aufführung, die eben nicht den Mosé in Egitto präsentiert, sondern die neun Jahre spätere, inzwischen völlig umgearbeitete, umgestellte, mit neuer Instrumentierung versehene und um die mit den Juden sympathisierende Figur der Königin Sinaïde erweitert französische Oper. Gioachino Rossinis Bibel-Oper war den Umständen der Entstehung geschuldet. Um seinen Vertrag in Neapel zu erfüllen, musste Anfang 1818 so rasch wie möglich eine neue Oper auf die Bühne gebracht werden. Der Zeitpunkt fiel in die Fastenzeit, die traditionsgemäß nur Opern biblischen Inhalts gestattete. Die Wahl fiel auf die im 2. Buch Moses abgehandelte Geschichte von den ägyptischen Plagen und dem Auszug der Juden. Der Erfolg von Mosé in Egitto war, nicht zuletzt wegen der hapernden Bühnentechnik, nicht einhellig, schlug aber im folgenden Jahr mit dem eingefügten Gebet des Moses um, das für Balzac ein Flehen um die Befreiung des italienischen Volkes im Zeichen der Einheit Italiens war.

Man muss zum Vergleich nicht ältere Aufnahmen heranziehen, beispielsweise die Pariser Aufführung unter Prêtre von 1983 oder die noch ältere Aufnahme von 1974 unter John Matheson, wo man den Disput zwischen Joseph Rouleaus Moses und Robert Massards Pharao mitschreiben könnte, um die sprachlichen Schwächen der aktuellen Aufnahme zu erkennen. Die Diktion von Pharao Luca Dall’ Amico bleibt durchgehend schwammig verwaschen, was auch auf sein Duett mit Sohn Aménophis abfärbt, wo Randall Billls, der in Wildbad bereits 2013 in Ricciardo e Zoraide aufgefallen war, als leichter Amoroso immer noch zarte Koloratureleganz anbietet. Dagegen gelingt es Fabrizio Maria Carminati vor allem ab diesem zweiten Akt gut, ein üppiges Gemälde zu entfalten, in dem die einzelnen Farbtupfer nicht stark aufgetragen sind, aber der Gesamtblick überzeugt, ein Cinemascope-Eindruck, der in der Invocation mit anschließendem Quintett oder dem Finale im dritten Akt die breite Leinwand sucht. Carminati bündelte die komplizierten Ensemblesätze und pathosgesättigten Chorszenen mit den engagierten Virtuosi Brunenses, samt der im Festivalrahmen unerlässlichen Ballettszenen im dritten Akt, in sanften Tableaux und verleiht ihnen eine gewisse Einheitlichkeit. Dadurch ist der Gesamteindruck dieser Moise-Aufführung, die nach der Zelmira, der weiteren Großtat des Jahres 2018 bei Rossini in Wildbad, nun ebenfalls auf CD vorliegt (3 CDs Naxos 8.660473-75), weitaus schlüssiger als es die Summe ihrer Einzelteile nahelegen würde. Auch überzeugender als der Live-Eindruck damals in der Trinkhalle in Bad Wildbad.

Große Aktionen mussten es in Paris schon sein, wo biblische Themen im nachrevolutionären Frankreich wieder auf die Bühne gelangten und Erzengel mit Flammenschwertern vom Himmel stießen und im Pasticcio La prise de Jericho die Stadt in Flammen setzten. Wiederaufnahmen von Le Sueurs La mort d’Adam und Kreutzers La mort d’Abel hatten den Weg für Rossinis biblisches Stück bereitet, bei dem das Publikum weniger gespannt war auf den Ausgang der Familienzwistigkeiten im Hause des Pharao und des Moses als auf den im Untertitel angekündigten Zug durchs Rote Meer, das sich teilt und den Hebräern den Weg in die Freiheit weist. Rossini in Wildbad bietet an dieser Stelle nicht das sinfonische Nachspiel mit der Ruhe nach dem Sturm, sondern als Nr. 17 den 3 1/2minütigen Schlussgesang Chantons, bénissons le Seigneur.

Von den Melodien des Premier Compositeur du Roi hatte Balzac gemeint, „dass man um den Thron Gottes so singen mag“. Der aufrüttelnde, eher charaktervolle als ebenmäßige Bass des Weißrussen Alexey Birkus Moses steht auch nach drei Stunden beim Gebet Des cieux où tu resides noch selbstbewusst wie eine Gesetzestafel im Raum. Als Moses-Tochter Anaï gleicht Elisa Balbo Schärfen und Vibrato ihres Soprans durch Hingabe an vokale Zierkunst aus. Mit elegantem Ausdruck wertet Patrick Kabongo den Aron auf, der hier Éliézier heißt. Nicht hinreichend überzeugend der kasachische Bass Baurzhan Anderzhanov als Voix mystérieuse (und den Oziride). Neben Silvia Dalla Benettas Sinaïde wirkt nicht nur der Pharao etwas schlaff. Üblicherweise wird die Partie mit einer dunkleren und volleren Stimme besetzt, doch mit kernigem Einsatz und starkem Willen gestaltet Wildbads vielseitige Primadonna eine königliche Figur, ihr Sopran verschafft sich auch in den großen Ensembles Gehör, das Singen hat Autorität, Kraft und Flexibilität, dass man ihr auch eine furiose Lady Macbeth im französischen Macbeth – demnächst beim Verdi-Festival in Parma (in diesem Jahr alles leider nur konzertant) – zutraut.  Rolf Fath

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Christiane Eda-Pierre

 

Mit großen Bedauern hören wir vom Tode der französischen Sopranistin Christiane Eda-Pierre, sie starb am 5. September 2020 in Paris. Nachstehend wiederholen wir unsere Hommage an sie vom Dezember 2014.

Persönliche Erinnerungen: Unvergessen bleibt mir ihre Vitellia in der berühmten Hermann-Inszenierung der Clemenza di Tito in Brüssel – eine gebieterische, hochgewachsene Frau wirft in der ersten Szene wild und undiszipliniert mit ihren Schuhen um sich und malträtiert ihren grünangemalten Liebhaber (Alicia Nafé), verbreitet Chaos und wunderbaren, cremigen und ganz eigenartig timbrierten Gesang, nur um in der letzten Szene („Non più di fiori“) domestiziert ihre vielen Schuhe angepasst-ordentlich aufgereiht am Bühnenrand aufzustellen, wärend sie diese lange Arie voller Abschied und Resignation singt, diese voller Zwischentöne und voller Geheimnis in der warmen, etwas rauchigen dunklen Sopranstimme. Von da an liebte ich Christiane Eda-Pierre und suchte sie in Paris so viel wie möglich zu hören, auch in London für das Konzert des Benvenuto Cellini. Immer hinterließ sie bei mir einen nachhaltigen Eindruck. Und auch ihre wenigen Musikdokumente sammelte ich, die Gretry- und Philidor-LPs, die Clemenza als LP-Schachtel und später als DVD. Auch der Benvenuto Cellini unter Davis, wo sie eine ebenso kesse wie beseelte Teresa gibt, im Londoner Konzert noch persönlicher als auf der LP/CD. dazu auch eine Entführung mit ihr ebenfalls unter Davis. Live gibts zudem die schöne Jolie fille de Perth von Bizet und einen Docteur Miracle. Umso größer ist die Freude, bei der Decca France auf die Wiederausgabe ihrer beiden ehemaligen Philips-LPs (Airs d´Opéras Comiques: Grétry et Philidor)als gerade herausgekommenen CDs im Doppelpack (4807700, nicht im deutschen Programm der Decca, aber als Import bei Amazon zu haben). Anlässllich dieser Wiederveröffentlichung bei Decca führte der renommierte französische Kollege Christophe Capaci das nachfolgene Interview mit der Sängerin in Paris 2014. G.H.

 

Die Neuauflage bei Decca ist vor allem eine Gelegenheit, Ihrem Liederabend wiederzubegegnen, der André-Ernest-Modeste Grétry (1741 – 1813) und François-André Danican Philidor (1726 – 1795) gewidmet ist, zwei Komponisten der Opéra comique, die bis vor kurzem ziemlich vernachlässigt wurden. Das Album, das zu seiner Zeit große Medienresonanz erzielte, wurde nie auf CD aufgenommen und die Liebhaber haben es schließlich als die Arlesienne der Opernplatten angesehen. Es war tatsächlich eine lange Abwesenheit, die ich mir nicht erklären kann. Umso mehr als die erste Erscheinung Aufsehen erregt hat und wir mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten haben.

In einer Zeit, als die großen lyrischen Soprane nur Mozartarien aufgenommen haben, ein Komponist, den Sie übrigens auch vor allem gesungen haben, warum diese ungewöhnliche Wahl von Grétry und Philidor? Zweifellos aus Liebe zur französischen Sprache. Ich gehöre zu einer Generation, die alles auf Französisch gesungen hat. Meine westindischen Wurzeln, der singende Akzent von La Martinique… Bei uns liebt man es zu „sprechen“. In seinem Reisebericht „Das Lied des Ozeans“ sagt Olivier de Kersauson, dass man auf die Antillen gehen muss, um Französisch zu hören! Man kann uns sehr gut als das „alte Frankreich“ bezeichnen, das der Fortdauer der Sprache verbunden ist: Das bleibt ein schönes Kompliment.

Meine Sprache war ein Kampf und eine Leidenschaft während meiner ganzen Karriere und auch darüber hinaus auch bei meiner Arbeit am Pariser Konservatorium. Ich habe meinen Schüler immer gesagt: „Lernt zuerst französisch zu singen! Erst wenn ihr eure eigene Sprache, die schwer zu singen ist, beherrscht, könnt ihr euch an das fremdsprachige Repertoire wagen.“ Und zwar leichter, wie ich glaube. Grétry oder Philidor? Als ich diese Anthologie vorgeschlagen habe, haben viele die Nase gerümpft. Ist das wirklich Musik? Diese „Musiquette“? Aber nein, das ist ein wichtiges Repertoire, das ist das klassische Fundament (die klassische Gründung) der Opéra comique und das sind meine musikalischen Wurzeln. Meine Ausbildung kommt von hier. Es gibt in diesen Arien eine erstaunliche vokale Länge, ich wage es sogar zu sagen, dass sie generell dynamischer sind als manche von Mozart und dass sie unerhörte musikalische Schwierigkeiten beinhalten. Mit der Hilfe von Roger Blanchard – er hatte die Partitur von Carnéval de Vénise von Campra eingerichtet, den ich beim Festival von Aix-en-Provence im Jahr 1975 gesungen habe – , wurden wichtige Forschungen in der Nationalbibliothek angestellt, um diese Arien von Grétry und Philidor auszugraben. Das war etwas Besonderes, das war kein Mozart-Liederabend mehr.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Aufnahme in London? Ein sofortiges Verständnis mit Neville Marriner! Am ersten Tag haben wir zusammen am Klavier gearbeitet. Dann mit dem Orchester, alles ging sehr rasch, in drei Tagen waren alle Arien „im Kasten“. Kaum so etwas wie eine Probe, um die Tempi festzulegen! Man muss dazu sagen, dass die Academy of St Martin in the Fields ein Ensemble von außerordentlicher Schmiegsamkeit ist, mit warmen Klängen, und die Musiker haben instinktiv die Farbe und den französischen Stil dieser Musik erfühlt. Ist es nicht erstaunlich, dass ich gerade mit Neville Marriner und Colin Davis so viele französische Platten aufgenommen habe? Auf dieser Seite des Ärmelkanals war Michel Plasson ein wenig allein gelassen, aber er hat zumindest das französische Repertoire für die Platte „gemacht“!

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ "Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Ihr Instrument? Der Reichtum eines lyrischen Soprans, seine Wärme und Rundheit, aber eine enorme Koloratur weite, eine ungewöhnliche Beweglichkeit…. Aufeinanderfolgend, aber auch gleichzeitig Lakmé und Antonia, Konstanze und Elettra, Rosina und Imogene aus dem Pirata von Bellini! Eben während dieses Pirata beim Festival von Wexfort im Jahr 1972 rief der italienische Dirigent Leone Magiera aus: „Aber was hast du für eine Stimme, Eda?“ Was Manuel Rosenthal betrifft, so sagte er, dass mein Instrument „undefinierbar“ sei. Eine natürliche Biegsamkeit? Eine eigenständige Gestaltung, die ich teilweise der Höhe meines Gaumens verdanke? Die Tiefe wie die Höhe waren klar und warm, das stimmt. Das hatte nichts zu tun mit der angeblich „schwarzen“ Stimme der Leontyne Price, die ich verehre: Es ist eine Frage der Morphologie, die Backenknochen, die Nasenhöhlen, das, was den Ton macht eben! Weder ich noch Shirley Verrett hatten diese Farbe.

Ihr Repertoire? Von Rameau und Campra zu Messiaen und Chaynes, vom Barock zur Zeitgenössischen, aber auch Händel, Mozart, der romantische Belcanto, die Opéra comique, eine Vielzahl von Oratorien aller Epochen… Persönliche Neugier! Ich hatte vor allem immer viel Glück, ich war immer von Musikern umgeben, die mir Entdeckungen ermöglicht haben. Erinnern Sie sich an Elisabeth Brasseur: Sie leitete den Studentenchor des Konservatoriums von Paris. Wir waren vierzehn in der Klasse, alle Stimmlagen waren vertreten, und wir konnten das gesamte Repertoire machen. Wir konnten den Roi David von Honegger in Angriff nehmen. Gabriel Dussurget engagierte unsere Gruppe für die Produktionen des Festivals von Aix.

Und der große Charles Panzéra! Ich bin seinem Unterricht zuerst in Privatstunden, von 1951 bis 1954, dann bis 1957 am Konservatorium mit Leidenschaft gefolgt: Man hat seinen Einfluss in der französischen Melodie nicht vergessen, aber wussten Sie, dass er seine Pariser Schüler Mahler singen ließ zu einer Zeit, wo das bei uns nicht einmal publiziert war? Er bekam die Partituren aus Deutschland. Ein anderer Bariton, bei dem ich am Konservatorium Kurse gemacht habe, sagte mir: „Du bist anders, kultiviere diese Andersartigkeit! Du bist groß, sei noch größer, wachse!“ Er hatte eine sehr eigenwillige Art, er ließ uns mit dem Rücken zum Publikum singen und forderte dabei noch mehr Intensität, als würden wir nach vor singen: „Ich will alles auf eurem Rücken lesen und hören.“ Was das Repertoire betrifft, wie meine ganze Karriere im Allgemeinen, glaube ich, dass ich gemacht habe, was ich machen wollte, nicht das, was man von mir wollte. Ich bin ein Handwerker des Gesangs. Der Bezug zum Zeitgenössischen war andererseits zumindest zögerlich: „ Mit Ihrer hübschen Stimme singen Sie Zeitgenössisches?“ Aber man kann sich die Stimme auch mit dem klassischen Repertoire ruinieren! Es gibt eine extreme Freiheit in der Gestaltung, ein Fehlen von Anhaltspunkten, die enthemmen. „Der heilige Franz von Assisi“ von Messiaen und „Erzsebet“ von Chaynes, die Pariser Oper hat mir diese Werke angeboten.

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca „Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Die Opéra-Comique, die Pariser Oper, Aix-en-Provence, London, Salzburg, Wien, Moskau und andere berühmte Orte. In den Vereinigten Staaten Chicago, San Francisco und in New York die Met, wo damals wenige französische Sänger eingeladen wurden… Sir Georg Solti wollte, dass ich seine Contessa in Le Nozze di Figaro war für die Amerika-Tournee der Pariser Oper im Jahr 1976. Um mich darauf vorzubereiten, musste ich die Rolle in der Produktion von Giorgio Strehler im Palais Garnier proben: Die wunderbare Margaret Price war in Paris für acht Vorstellungen vorgesehen, und mit unendlicher Großzügigkeit überließ sie mir vier davon und schickte mir ein herzliches Telegramm für die Premiere! So konnte ich danach an der Met debütieren. Ich wurde weiter eingeladen für Konstanze in Die Entführung aus dem Serail und Gilda in Rigoletto, zwei Produktionen, die von James Levine dirigiert wurden, schließlich Antonia in Hoffmanns Erzählungen beim Debüt von Riccardo Chailly.

Das amerikanische Leben war nichts für mich, aber die Met… Jimmy Levine, was für ein Dirigent!  In der Entführung, in einer Interpretation, die der von Karl Böhm in Paris sehr nahe war. Wir standen ungefähr dreihunderttausend Personen gegenüber bei einem Rigoletto im Central Park. Der Star  war Luciano Pavarotti, das Publikum machte aus diesem Abend einen großen Karneval. Levine beruhigte mich: „Sing! Wir sind da, wir machen Musik, das ist alles.“ Ich gab mein Bestes und das Publikum begrüßte mich mit immensem Geschrei: Pavarotti nahm mich an der Hand und führte mich nach vorne in Richtung Publikum. In Les Contes d´Hoffmann in New York liebte ich das Unprätenziöse von Plácido Domingo. Ja, ich hatte dieses Glück… Dennoch ist Abstand nötig, man muss sich selbst finden können, um besser weitermachen zu können. Man kann sich im Operngesang verlieren. Wenn Sie die Bühne verlassen haben, bleiben oft nur ein Hotelzimmer und Einsamkeit. All das ist vergänglich. Was mich betrifft, so wollte ich nie auf der Bühne sterben.

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca "Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca „Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Welche Dirigenten haben Sie geprägt? In der Komischen Oper Jésus Etcheverry. Die (gewerkschaftlich festgelegten!) drei Stunden täglicher Arbeit mit ihm waren viel mehr wert, das war intensiv. Er gab mir Kraft, er hat mich gelehrt, mit meiner Verwundbarkeit umzugehen – dass ein Problem auftaucht und ich nicht mehr singen kann… Serge Baudo: ein großer Dirigent, eine außerordentliche Menschlichkeit! Papagena in Aix. Konstanze in Paris und so viele Konzerte ( La Damoiselle élue von Debussy in Versailles!). So viele Oratorien, die man heute nicht mehr hört. Und auch Sylvain Cambreling, mit dem ich auch Vitellia in La clemenza di Tito in Brüssel gesungen habe, begleitete mich in Pour un monde noir  von Charles Chaynes. Georg Solti natürlich. Ich erinnere mich an eine 9. Symphonie von Beethoven mit dem Pariser Orchester:  Ich liebte es, die Noten von oben zu produzieren, das erspart, die Noten von unten zu nehmen, das stützt das Zwerchfell. Aber das war offensichtlich nicht nach dem Geschmack unseres Dirigenten: „Nein, nein, Christiane, singen Sie, wie soll ich sagen, à la Martinique!“ Seine Art, mir zu sagen: „Keine Konsonanten!“ Mit Karl Böhm, ein Glückszustand, ein außerordentlicher Moment, den ich Rolf Liebermann verdanke. Ohne Klavierprobe stürzte ich mich in „Ach, ich liebte“ der Konstanze direkt mit dem Orchester: Am Beginn verstand ich nicht viel von seinem Schlag, und ich glaube, er war absichtlich ein wenig vage, um mich auf die Probe zu stellen; danach ein Wonnemond! Colin Davis war im Studio ein wenig das Gegenteil von Böhm, und das war sehr gut. Bei Berlioz, der sein großes Projekt war, hatte er sehr genaue Ideen. Während der Aufnahme von Benvenuto Cellini konnte er mehr als eine Stunde mit einem Takt mit Nicolai Gedda verbringen! Eine Gesamtaufnahme von großem Format, das Fernsehen übertrug übrigens Teile davon.

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Meine einzige versäumte Begegnung war die mit Karajan. Wir sollten uns für eine Entführung in Salzburg treffen, aus verschiedenen Gründen kam es nicht dazu. Ich hätte gern mit ihm gearbeitet. Ich fühlte die absolute Leichtigkeit, die er seinen Solisten vermittelte. Schließlich habe ich mit Levine in Salzburg in Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen gesungen.

 

Das Gespräch wurde von dem französischen Musikjournalisten Christophe Capaci im Théâtre National der Opéra-Comique, Paris, am 20. März 2013 geführt, der Autor war so liebenswürdig, uns diesen Artikel zu überlassen. Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung. Und Dank auch an Edoaurd Brane von der Universal France für seine Hilfe. Die so gekennzeichneten Fotos von Colette Masson und Michel Petit stammen aus dem Booklet der wiederveröffentlichten Decca-CDs und sind dem Privatbesitz der Sängerin entnommen, auch dafür Dank. 

 

Zur Person ein Auszug aus Wikipedia: Christiane Eda-Pierre (born March 24, 1932) is a French lyric coloratura soprano of Martiniquan origin, who sang in a wide variety of roles, from baroque to contemporary works. Eda-Pierre was born in Fort-de-France, Martinique, and came to France to study at the Paris Conservatory, where she was a pupil of J. Decrais and Charles Panzéra. She graduated with honors in 1957. The same year, she made her professional debut in Nice, as Leïla in Les pêcheurs de perles. She made her debut at the Opéra-Comique in 1958, as Lakmé, at the Aix-en-Provence Festival in 1959, as Papagen, and at the Palais Garnier in 1960, as Lucia di Lammermoor. She sang there the standard lyric coloratura roles of the French and Italian repertories. She also won great acclaim in Mozart roles, especially, as well as the Countess in Le nozze di Figaro, Donna Anna and Elvira in Don Giovanni, The Queen of the Night. Eda-Pierre was much appreciated in French baroque opera, particularly the works of Jean-Philippe Rameau, including Les Indes galantes, Zoroastre, Les Boréades, and Dardanus. She was also very active on French Radio where she sang in little performed works, such as Rossini’s Le siège de Corinthe, Bellini’s Il pirata, Bizet’s La jolie fille de Perth, as well as Berlioz’s Béatrice et Bénédict and Benvenuto Cellini. She created many contemporary works, such as Capdeville’s Les amants captifs (1973), Chaynes’s Pour un monde noir (1979), and Erszebet (1983). In 1983 she also created the role of the Angel in Olivier Messiaen’s Saint François d’Assise. At the Opéra. Eda-Pierre also appeared to great acclaim internationally, including Lisbon, London, Wexford, Berlin, Hamburg, Vienna, Salzburg, Moscow, Chicago, and New York. She made her Metropolitan Opera debut in 1980 as Konstanze, and went on to sing other roles there: Antonia in Les contes d’Hoffmann and Gilda in Rigoletto. She became a teacher at the Paris Conservatory in 1977, while continuing her career in opera and in concert. The possessor of a beautiful, rich and agile voice, which enabled her to succeed in a wide variety of roles, Eda-Pierre can be heard on several recordings, her three most famous being on the Philips label, as Konstanze in Entführung aus dem Serail and Teresa in Benvenuto Cellini, both under Sir Colin Davis, and an album of arias from the French opéra-comiques of Grétry and Philidor, under Sir Neville Marriner. For the Bizet centenary in 1975 she participated in BBC studio recordings of La Jolie Fille de Perth and Le Docteur Miracle. (Foto oben: Christiane Eda-Pierre: Konstanze in Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorsation de Madame Eda-Pierre“)

Joseph Martin Kraus zum Dritten

 

Einen Opernführer über Aeneas i Carthago und damit über den beinahe unbekannten Joseph Martin Kraus haben wir in einem bereits bei operalounge.de gebracht, ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den vielen Aufnahmen der Kraus-schen Musik bei Naxos (wenngleich auch andere Labels einiges von ihm herausgebracht haben). Nun – als dritte Folge unserer Hommage an den bemerkenswerten deutschen Komponisten am Hofe Gustav III. – bespricht Ingrid Wanja die in Buchform 2015 erschienene, hochanspruchsvolle Dissertation des deutschen Kraus-Kenners Jens Dufner, Musikwissenschaftler in Bonn und international renommierter Spezialist auf dem Gebiet der Gustavianische Oper. Was nicht heißen soll, dass keine weiteren Artikel zu Joseph Martin Kraus bei uns folgen sollen – wir arbeiten daran … G. H.

 

Wer Verdis Un ballo in maschera kennt, dem ist der schwedische König Gustav III. kein Unbekannter, denn während der Komponist noch, um den Königsmord zu verschleiern, sein Werk nach Nordamerika verlegen musste, vergönnte ihm u. a. der Regisseur Götz Friedrich in seiner Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin die beiden Charakterzüge, die auch in der Dissertation von Jens Dufner eine Rolle spielen: weniger die Homosexualität als vielmehr die Leidenschaft für das Theater. Unvergesslich sind dem Berliner Opernbesucher nicht nur die zart-zärtliche Annäherung an den Pagen Oscar, sondern besonders die letzte Szene, wenn der König nach vielen Addios über seinem Puppentheater zusammenbricht. Tatsächlich stand der schwedische König, der tatsächlich 1792 einem Attentat, wenn auch nicht wegen eines vermuteten Ehebruchs, zum Opfer fiel, nicht nur für seine ideologisch eingesetzte, innovative Liebe zum Theater sondern für eine ganze kulturelle Epoche, nämlich die gustavische.

Im Mittelpunkt der Dissertation mit dem Titel Æneas i Carthago von Joseph Martin Kraus- Oper als Spiegelbild der schwedischen Hofkultur steht das Werk des deutschen Komponisten, der die Uraufführung seines Hauptwerkes nicht erlebte, obwohl er zehn Jahre lang daran gearbeitet hatte. Die Oper  wurde posthum ohne sonderlichen Erfolg 1799 in Stockholm uraufgeführt, geriet dann in Vergessenheit, ehe sie 1979 wieder in Stockholm, 1980 in New York in englischer Sprache mit Kristina Söderström und 2006 in Stuttgart in deutscher Sprache aufgeführt und von der Zeitschrift Opernwelt als Wiederentdeckung des Jahres gefeiert wurde.  2011 gab es in Berlin eine konzertante Aufführung unter Lothar Zagrosek. Alle diese Aufführungen brachten stark gekürzte Fassungen mit zum Teil wohl gar nicht von Kraus stammender Musik. Eine historisch-kritische Ausgabe ist also vonnöten, will man der Oper eine Zukunft vergönnen, und der Autor der Dissertation ist bereits mit der Verwirklichung einer solchen als „Bestandteil  des von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur geförderten Projekts  OPERA- Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen“  befasst.

Das Attribut „gustavisches Werk“ verdient es sich nicht nur durch seine Zugehörigkeit zu einer Epoche, sondern auch dadurch, dass der König selbst den Prosaentwurf verfertigte (davon gibt es ein Foto), die Verse stammen von Johan Henrik Kellgren, der auch der Librettist für Kraus‘ erste vor dem König aufgeführte Oper Proserpin war.

Das Buch gliedert sich vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreitend, beginnend mit der Situation der Oper in Schweden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, danach widmet es sich dem Leben und Wirken des Komponisten, schließlich seinem Werk. Von diesem werden die unterschiedlichen Fassungen, das Libretto, die Konzeption und Dramaturgie und schließlich die musikalische Gestaltung untersucht.

Auch für den Historiker interessant sind die Ausführungen über das Opernleben in Stockholm, das Bestreben Gustav III., das Niveau der beiden berühmten Vorgänger und Namensvettern zu erreichen, auch durch die Schaffung einer schwedischen Nationaloper, durch den Bau eines Opernhauses, für dessen feierliche Eröffnung  Æneas eigentlich bestimmt war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Carthago“/ Bühnenentwurf zur Uraufführung von Louis Jean Deprez/Wikipedia

Kraus als Opernkomponist wird gewürdigt, angefangen von dem nur als Bruchstück erhalten gebliebenen Werk Azire, sein Aufstieg zum Hofkapellmeister nach einer jahrelangen Bildungsreise durch Europa. Das wird alles so akribisch wie interessant dargestellt, so wie auch die Entstehungsgeschichte des Æneas, von dem fälschlicher Weise, wie der Verfasser nachweist, behauptet wurde, er sei nur wegen der Flucht der für die Dido vorgesehenen Sängerin Carolina Müller nicht zu Lebzeiten von Komponist und König aufgeführt worden. Für wahrscheinlicher hält der Autor, auch da die Sängerin diese Partie 1799 verkörperte, den finanziellen Aufwand oder die Nichtfertigstellung als Grund dafür, dass man auf ein Repertoirestück zurückgriff.

Kritisch verhält sich Dufner auch gegenüber der Anekdote, die von einem Riesenlob Glucks für Kraus zu berichten weiß. Generell hat er nicht den zweifelhaften Ehrgeiz, nur scheinbar Gesichertes dem Leser als Erkenntnis aufzutischen, sondern bekennt sich dazu, dass vieles, was das Leben und Schaffen von Kraus betrifft, im Dunkel bleiben wird.

Es ist auch von einem zweiten Äneas-Projekt die Rede, auch hier wird zwar das Thema von allen Seiten her beleuchtet, sich aber vor einem vorschnellen Urteil gehütet.

Einen breiten Raum nimmt die Untersuchung des Quellenmaterials ein, das aus der Arbeitspartitur des Kunigliga Teatern Stockholm, der Partiturhandschrift von Frederik Samuel Silverstolpes und der Partiturreinschrift der Akademska Kapellat Uppsala stammt, besteht. Es geht besonders um das Auffinden fremder Zusätze, um den „problematischen“ letzten Akt und um die Frage, ob Kraus das Werk überhaupt vollendet hat.

Das Kapitel über die unterschiedlichen Fassungen des Librettos enthält auch einen „Exkurs zum textkritischen Umgang mit den Librettoquellen“, ein weiteres befasst sich mit dem Libretto, das dem Wiener Silverstolpe zur Verfügung gestellt worden war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – das Buch von Jens Dufner ist eines der wenigen Standardwerke zu dieser Oper/ Peter Lang AG 2015/ ISBN-13: 978-3631647196

Besonders erhellend sind die Ausführungen zur Frage, inwieweit die Wahl mythologischer oder historischer Stoffe Auskunft darüber gibt, auf welcher historischen Entwicklungsstufe sich das kulturelle Leben eines Landes jeweils befindet, wobei er zu der Feststellung kommt, dass Æneas keine rein mythologische Oper mehr ist, dass der rückwärts  gewandte Prolog eine Referenz an Vergil und ein Wandel in der Funktion der Götter von Vergil bis Kraus festzustellen ist. Interessant ist auch, dass sich die Figur des Narbal noch bei Berlioz wiederfinden wird.

Als bemerkenswert erweisen sich die Ausführungen über die Verknüpfung der Figur des Äneas mit der des Kaisers Augustus, bei Vergil durch Venus, bildlich in der Gleichsetzung der Galionsfigur Gustav Adolfs mit der des römischen Kaisers und von da nahtlos zu der Gustavs III. mit dem herrscherlichen Idealbild führend.

Anhand zahlreicher Notenbeispiele wird schließlich die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten, die dem deutschen Komponisten zur Verfügung standen, nachgewiesen, seien es die unterschiedlichen Rezitativformen, sei es der Einsatz des Chores oder sei es die Spannbreite zwischen Nummernarien und weiterführenden Formen.

Eine operngeschichtliche Bedeutung spricht der Verfasser dem Werk in seiner Schlussbetrachtung ab, nicht aber seine Funktion als, was den Inhalt betrifft, Repräsentationsoper mit für die damalige Zeit moderner Musik, vor allem als Möglichkeit  eines Einblicks in die gustavische Oper, die durch die Widersprüche, die in ihr vereint sind, auch für uns interessant ist.

Das Buch ist – wie sich das für Dissertationen gehört –  eine wissenschaftliche, streng spezialisierte Abhandlung, die man  als Opernliebhaber und in Grenzen auch Opernkenner bewundern, aber nicht selber ausreichend kenntnisreich im musikalischen Detail kritisieren kann. Das heißt nicht, dass es nicht auch dem „normalen“  Opernfreund eine Fülle von Interessantem und Lesenswertem bietet. Der Anhang verfügt über eine Formübersicht der Oper, ein Verzeichnis der handschriftlichen und der gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur sowie ein Personenregister (290 Seiten, Internationaler Verlag der Wissenschaften 2015; ISBN 978 3 631 64719 6). Ingrid Wanja

Omaggio veronese

 

Das fünfzigjährige Wirken von Plácido Domingo in der Arena di Verona dokumentiert eine Veröffentlichung auf 2 DVDs bei C major classics/UNITEL mit dem Titel Plácido Domingo Opera Gala (755008). Mit 28 Jahren debütierte der 1941 in Madrid geborene Sänger im historischen Amphitheater als Calaf in Puccinis Turandot und Don Carlo in Verdis gleichnamiger Oper. Das beispiellose Jubiläum seiner Aktivitäten in Verona feierte er im Sommer 2019 im voll besetzten Arenarund mit einem Verdi-Programm – dem Komponisten, der in seiner Laufbahn eine zentrale Rolle einnahm. In drei Bariton-Partien, denn 2009 war er in dieses Fach gewechselt, demonstriert er seine reichen, auf den Bühnen in aller Welt gesammelten Erfahrungen. Stefano Trespidi hat die Szenen im Bühnenbild von Ezio Antonelli, mit dekorativen Video-Projektionen von Tiziano Mancini  und in prachtvollen Kostümen von Silvia Bonetti arrangiert. Jordi Bernàcer dirigiert das Orchester der Arena di Verona mit Verve und Italianità.

Den Auftakt bilden Ausschnitte aus Nabucco, beginnend mit der Sinfonia, die vom Choreografen Giuseppe Picone tänzerisch eher geschmäcklerisch illustriert wird, gefolgt vom berühmten „Va, pensiero“, das der Chor der Arena (einstudiert von Vito Lombardi) klangvoll ausbreitet und sich für ein Dacapo sogar in die Zuschauerreihen begibt. Als Zaccaria ist Marko Mimica von der Deutschen Oper Berlin engagiert im Einsatz. Domingo, mit Auftrittsapplaus begrüßt, ist in Szenen des Titelhelden aus dem 4, Akt zu hören – „Son pur queste mie membra?“, „Porta fatal/O prodi miei“ , „Ah, torna Israello“ und „Oh! Chi vegg’io?“. Der reifen Stimme mangelt es an baritonalem Kern, der Vortrag ist bemüht, doch nie gefährdet und wird mit Jubelstürmen quittiert. Darstellerisch gibt es nicht selten Momente am Rande der Lächerlichkeit. Géraldine Chauvet singt Fenenas Arie passioniert; Anna Pirozzi, die Sopranistin des Abends, ist als Abigaille nur in ihrer tragischen Schlussszene zu sehen.

Im Macbeth, dem Mittelteil des Programms, vom Chor mit der Klage der schottischen Flüchtlinge „Patria oppressa!“ eröffnet, kann sie in der Nachtwandelszene der Lady mit fahlen, verschatteten Tönen beeindrucken. Der Tenor der Gala, Arturo Chacón-Cruz, glänzt bei Macduffs ergreifender Arie „O figli“ mit strömender Fülle und leidenschaftlichem Ausdruck.  Domingo interpretiert wiederum Soli des Titelhelden aus dem letzten Akt – „Pietà, rispetto, amore“ und „Mal per me“. Die Baritonpartie gehört zu den von ihm am häufigsten interpretierten, was sich im souveränen Umgang mit der Musik und der Ausdrucksvielfalt widerspiegelt.

Zum Abschluss gibt es Szenen aus jenem Werk, das Domingos Beginn seiner Bariton-Karriere markierte: Simon Boccanegra. Zunächst kann Chacón-Cruz mit Gabrieles schwieriger Arie „O inferno!“ mit furiosem Einsatz imponieren und danach im Duett mit Amelia (Anna Pirozzi), „Parla, in tuo cor virgineo“, auch seine lyrischen Qualitäten zeigen. Simones Szene mit ihr, „Figlia?…Vecchio inerme il tuo braccio colpisce“ ist eine der längsten und berührendsten Nummern des Pogramms. Ähnlich gewichtig sind Simones Dialog mit Fiesco (Marko Mimica), „M’ ardon le tempia“ und das Finale der Oper „Gran Dio“. Domingo ist mit dieser Partie vertraut wie mit keiner anderen des Bariton-Repertoires und vermag das tragische Schicksal der Figur hoheitsvoll und ergreifend zu vermitteln. Am Ende leuchtet über der Bühne ein Schriftzug aus Fackeln auf: 50 DOMINGO, und beim Erscheinen des Tenors zum Schlussapplaus gibt es sogar noch ein opulentes Feuerwerk. Spektakulärer lässt sich ein Jubiläum nicht feiern. Bernd Hoppe

Zeffiretti lusinghieri

 

Nach Cleopatra und Mozart Arias I von 2016 legt die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann bei ihrer Stammfirma SONY nun das dritte Album vor (19439752372), welches im Februar dieses Jahres in der Schweiz aufgenommen wurde. Wie der Titel Mozart Arias II sagt, widmet es sich erneut Kompositionen des großen Salzburgers. Das Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti Michelangeli begleitet einfühlsam und dynamisch kontrastreich die Solistin, die in neun lyrischen Arien ihre anhaltend jugendlich frische Stimme und das feine Gespür für Farben, Schattierungen und Nuancen hören lässt. Die CD enthält Schönheiten aus Frühwerken des Komponisten, wie Ilias Arie„Zeffiretti lusinghieri“ aus Idomeneo, welche das Programm eröffnet. Schon das Rezitativ „Solitudini amiche“ gestaltet sie mit tiefer Empfindsamkeit und singt die Arie mit träumerischem Ausdruck. Auch Amintas „L’amerò, sarò sostante“ aus Il re pastore und Zaides „Ruhe sanft“ aus dem gleichnamigen Singspiel sind beliebte Nummern gleichermaßen bei Interpretinnen wie Opernfreunden. Erstere schrieb Mozart für den Soprankastraten Tommaso Consoli als zauberhaften Dialog mit der Solo-Violine. Bei Zaides Schlaflied dachte er wohl an seine große Liebe Aloysia Weber. Die eingängige Melodie mit einem herrlichen Oboen-Solo zählt zu den gelungensten Titeln der Platte. Weniger bekannt ist Rosinas „Amoretti“ aus La finta semplice. Die Bitte an die kleinen Liebesgötter ist eine zauberhafte Cavatina mit weiten Bögen von melancholischer Stimmung, von der Interpretin berührend vorgetragen.

Mit Susannas inniger Rosenarie, „Deh vieni non tardar“ aus Le nozze di Figaro erklingt das populärste Stück der Sammlung, aber Regula Mühlemann stellt auch eine wenig bekannte Einlage-Arie, „Un moto di gioia“, aus dieser Oper vor, die gelegentlich als Alternative für Susannas Solo im 2. Akt diente. Hier vernimmt man muntere Töne im Rhythmus eines Deutschen Tanzes. Ähnlich populär wie Susannas Arie ist die der Pamina, „Ach, ich fühl`s“, aus der Zauberflöte. In ihren Anfängen am Opernhaus Zürich war die Sängerin noch als Papagena besetzt. Nun beweist sie, dass sie auch die große lyrische Partie des Werkes mühelos bewältigt und sie darüber hinaus noch mit Herz zerreißenden Tönen auszustatten vermag. Mit Giunias „Parto, m’affretto“ aus Lucio Silla wagt sich die Sopranistin in die Gefilde des dramatischen Koloratursoprans. Mit zerklüfteten Figuren malt schon das Orchester den verzweifelten Zustand einer Frau in existentieller Situation aus, und auch die Stimme spiegelt diesen mit erregter Gesangslinie und hohen staccati wider. Mühlemann bewältigt die virtuosen Anforderungen des Stückes souverän, nur fehlt es dem Sopran dafür an Gewicht. Mit der Konzertarie „Ah se in ciel“, welche Mozart für Aloysia Weber, die inzwischen seine Schwägerin geworden war, komponierte und dabei deren hohes Virtuosentum mit überlangen Koloraturketten und exponierter Notierung bedachte, endet das Programm in stupender Bravour. Bernd Hoppe

Daniele Barioni

 

Mit Freude hörten wir vom 90. Geburtstag des italienischen Tenors Daniele Barioni, am 6. September 2020 Er gehörte zu der verdienstvollen Riege jener Sänger und Tenöre, die namentlich an der Met, aber auch in der italienischen Provinz unersetzlicher Bestandteil von Repertoire-Abenden waren. Er hatte das Pech, in einer Zeit von Di Stefano, Corelli oder Del Monaco zu singen und blieb wie seine Kolleginnen Antonietta Stella oder Leyla Gencer stets in der gewissen B-Kategorie stecken, wenngleich er mit den ganz Großen wie Renata Tebldi oder Maria Callas sang. Seine solide, nicht sonderlich markante, aber hoch zuverlässige Tenorstimme blieb weitgehend im mittleren, lyrischen Fach., wenngleich er auch als Dick Johnson in Puccinis Fanciulla hervortrat. Sammlern ist er von vielen Life-Aufnahmen bekannt, aber es gibt nur recht wenige offizielle Einspielungen von ihm, auf denen sich der Opern-Fan über die gut ausgebildete, gut tragende Tenorstimme freut. Nachstehend eine Würdigung aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens. G. H.

 

Barioni, Daniele, Tenor, * 6.9.1930 Copparo bei Ferrara. Nach einem fünfjährigen Studium bei Attilio Bordonali in Mailand debütierte er am dortigen Teatro Nuovo als Turiddu in »Cavalleria rusticana«. Er sang darauf an italienischen Opernhäusern. Hier hatte er große Erfolge, namentlich in Aufgaben aus dem lyrischen Stimmfach. 1956 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er als Antrittsrolle den Rodolfo in Puccinis »La Bohème« sang. Nach erfolgreichen Auftritten in mehreren Partien (u a. als Cavaradossi in »Tosca«, als Alfredo in »La Traviata« zusammen mit Maria Callas und als Pinkerton in »Madame Butterfly«) an diesem Opernhaus kam es 1958 zu einer skandalösen Mißfallenskundgebung des Publikums während einer Aufführung, so daß er seitdem nicht weiter an der Metropolitan Oper auftrat. Er setzte jedoch sein Wirken an Opernhäusern in seiner italienischen Heimat wie an europäischen und südamerikanischen Theatern als Gast fort und hatte hier in den sechziger Jahren erfolgreiche Auftritte. Er hat auch an der Oper von Philadelphia, in Kanada, in Mexiko und in Ägypten gesungen. Er war verheiratet mit der Pianistin Vera Franceschi († 1966); nach deren frühem Tod zog er sich mehr und mehr aus dem Musikleben zurück. Schallplatten: Auf Metropolitan Record Opera Club existiert ein Mitschnitt aus der New Yorker Metropolitan Oper von 1956, in dem er den Pinkerton in »Madame Butterfly« als Partner von Dorothy Kirsten singt; auf RCA singt er in Puccinis »La Rondine« den Ruggero zusammen mit Anna Moffo (1966), auf Gioielli della Lirica existiert ein Querschnitt durch Puccinis »La Fanciulla del West«. Auch Aufnahmen auf Jolly und auf RAI (hier Solo-Titel).  [Lexikon: Barioni, Daniele. Großes Sängerlexikon, S. 1279 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 187-188) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto Wikipedia)