Schlankstimmig

 

Orfeo von  Claudio Monteverdi gilt bekanntlich als erste „richtige“ Oper; wohl auch deshalb gibt es eine ganze Fülle von Live-Mitschnitten aus verschiedenen Opernhäusern, aber auch etliche Studio-Einspielungen. In der jetzt bei naive erschienenen Aufnahme, entstanden Anfang 2020 im Studio in Montpellier, steht wie eigentlich bei Orfeo immer der Sänger der Titelfigur im Zentrum. Hier ist es der Tenor Emiliano Gonzalez Toro, der auch das von ihm  und der Sopranistin Mathilde Etienne 2018 gegründete Ensemble I Gemelli leitet. Letzteres ist neben Toro die Attraktion der Aufnahme, was nicht nur daran liegt, dass dabei ein modernes Faksimile eines Ceterone aus dem Jahr 1601 aus den Sammlungen des Musée de la Musique de Paris gespielt wird. Monteverdi hat in der Orfeo-Partitur ein solches Ceterone, ein Zupfinstrument ähnlich einem Chitarron, aufgeführt. Die Continuo-Passagen bei den Ritornellen und in der Begleitung der Sängerinnen und Sänger bestechen wohl auch wegen dieses heute fast vergessenen Instruments mit selten zu hörenden, abwechslungsreichen Differenzierungen. Auch beim Sänger der Titelrolle sind die überaus variablen Klangfarben auffällig; besonders die großen Szenen im 3.Akt, wenn Orfeo die Unterweltfürsten mit seinem Singen zu überwinden sucht, gelingen eindrucksvoll. Sie reichen von machtvollem Auftrumpfen im Klagen über den großen Verlust bis zu kunstvoll verziertem, einschmeichelndem Gesang. Von dem übrigen Sänger-Ensemble in den kleineren Rollen und dem acht-köpfigen Ensemble Vocal de Poche, bei denen allen die durchweg schlanke Stimmführung gefällt, seien einige hervorgehoben: Emöke Baráth als Musica und Euridice überzeugt mit lockerem, im Ausdruck vielgestaltigem Sopran, was ebenso für Mathilde Etienne als Proserpina gilt. Mit abgerundetem Mezzo macht Alix Le Saux als Speranza und als einer der vier Hirten auf sich aufmerksam. Den Caronte hat man schon schwärzer und tiefgründiger gehört (Jérome Varnier); mit charaktervollem Bass erklärt Nicolas Brooymans als Plutone die schwere Bedingung der Heimführung Euridices. Leider stimmt die Intonation beim hellen Mezzo von Natalie Pérez nicht immer; außerdem produziert die Sängerin der Messagiera derart gerade und übertrieben vibratolose Töne, dass die an sich freudige Botschaft eher kalt rüberkommt. Dies trübt allerdings den sehr positiven Gesamteindruck nur marginal.

Wer Musik der Renaissance mag, der wird mit dieser im Ganzen gut gelungenen Aufnahme bestens bedient (naive V 7176, 2 CD). Gerhard Eckels