Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Vibrato-Reiches von der Insel

 

Welcher Sopran möchte nicht wenigstens einmal im Leben Tosca, Butterfly, Norma oder Traviata sein, und sei es auch nur auf einer CD mit einigen der Stimme günstig gesonnenen Arien und mit einem Booklet, das sich in drei Sprachen wortreich über selbst dem sporadischen Opernbesucher bekannte Werke äußert (weil vielleicht die eigene Karriere wenig adäquaten Stoff für einen umfangreichen Text aufzuweisen hat?)! Linda Richardson (who???), hat gemeinsam mit der Sinfonia of London unter John Wilson Italian Opera Arias eingespielt und dabei weder Casta Diva, noch È strano oder Un bel di ausgelassen.

Es beginnt mit Pace, pace, wobei die zarte, sensibel geführte Stimme mit etwas zu schmalem Farbspektrum bereits im mezzo forte viel Vibrato gibt und in der Höhe scharf werden kann. Ein feines Piano am Schluss, eine empfindsame Wiederholung des „pace“ täuschen nicht darüber hinweg, dass man sich die Britin schwer in einem typisch italienischen Ensemble vorstellen kann. Es geht weiter mit Violettas È strano, das kapriziös klingt, agogikreich gesungen wird, in der Cabaletta zunehmend piepsig erscheint, zu soubrettig, aber mit einem schönen Spitzenton schon fast versöhnen kann. Warum es keinen Alfredo dazu gibt, ist umso mehr unverständlich, als an anderer Stelle ein Tenor als Butterfly-Rufer auf der CD erscheint. An anderer Stelle ist dann noch Addio del passato aus demselben Werk, wofür allerdings das dramatische Potential fehlt. Für Mimi im dritten Akt hat die Sängerin ein zartes und berührendes „senza rancor“ zur Verfügung, aber insgesamt nicht genug Farbe in der Stimme. Tosca schließt sich an mit unangenehmer, vibratoreicher Schärfe dort, wo die Stimme aufblühen sollte.

Weit besser als Verdi und Puccini gelingen der Sängerin die Auszüge aus Donizettis Anna Bolena, hier überzeugen die schöne Nachdenklichkeit, der elegische Grundton, der kluge Aufbau der Szene und das schöne Ausschwingen der Stimme. Man hat nicht den Eindruck von Überforderung. Amelias zweiter Arie fehlt es an innerer Spannung, daran kann auch der gewaltige Ausbruch kurz vor Schluss nichts ändern. Eine tadellose Kadenz macht Gildas Arie zu einem Hörgenuss, auch wenn man sich die Stimme für das junge Mädchen etwas frischer wünschen kann, aber tadellos gesungen ist Caro nome allemal.

Casta diva darf natürlich nicht fehlen, hat viele Einzelschönheiten wie einen feinen Triller, aber insgesamt stören Schärfen, die Dramatik ersetzen sollen. Senza mamma erfreut durch innige Töne und einen sehr schönen Schluss. Wie viel Mittellage eine Butterfly benötigt, um zu überzeugen, wird im letzten Track hörbar, aber auch hier stehen ein durchaus bemerkbares Verstehen der Figur und  nicht optimale vokale Voraussetzungen nebeneinander (Chandos 20155). Ingrid Wanja         

Für Freunde russischer Musik

 

Bereits vor drei Jahrzehnten legte Dmitrij Kitajenko, mittlerweile achtzig, Rachmaninows opus Die Glocken mit dem Dänischen Nationalen Rundfunk-Sinfonieorchester vor (Chandos). Die nun erschienene Neuaufnahme mit dem Gürzenich-Orchester Köln erweist sich gleichsam als Neuauflage (Oehms OC 470). Die Tempovorstellungen des Dirigenten haben sich im Detail etwas verschoben, so dass der erste und dritte Satz etwas langsamer, der zweite und vierte dafür etwas flotter daherkommen. Diese Sätze bilden die vier menschlichen Lebensabschnitte ab. Das als „Poem für Sopran, Tenor und Bariton solo, gemischten Chor und Orchester“ betitelte Vokalwerk führt bis heute ein ziemliches Schattendasein sowohl auf Tonträger und noch mehr im Konzertsaal. Kitajenkos Solisten sind durch die Bank idiomatisch: Anna Samuil im Sopranpart, Dmytro Popov als Tenor sowie Vladislav Sulimsky in der Rolle des Baritons. Kongenial der Tschechische Philharmonische Chor Brno, einstudiert von Petr Fiala. Ergänzt wird die CD um die noch weniger geläufige Kantate für gemischten Chor und Orchester Johannes Damascenus von Sergej Taneeev. Das dem Kirchenlehrer Johannes von Damaskus gewidmete dreisätzige Werk klingt, trotz Bach-Bezug, insgesamt orthodoxer angehaucht und ist am stärksten in den A-Capella-Abschnitten, gar nicht einmal in den pompösen Orchestermomenten. Wunderbar der leise Ausklang. Eine Entdeckung für den Freund der russischen Musik. Auch klanglich weiß die zwischen 14. und 19. Juni 2018 in der Kölner Philharmonie entstandene Einspielung zu gefallen. Daniel Hauser

Cultural Clashes

 

In einer Kölner Taverne räsonieren Mephisto und Faust über das Menschsein: „Wir alle stellen etwas dar, ich einen Zauberer, ihr einen Gelehrten. Jeder Mensch ist, wenn man Moses glaubt, lediglich ein Abbild Gottes“, so Mephisto, worauf Faust ausführt, „Der Mensch ist geschaffen nach dem Ebenbild des Schöpfers selber, und deshalb sind ihm Eigenschaften, die weder Engel noch Dämonen verstehen.“ Vielgesichtigkeit der Renata, dazu die Mischung aus realistischen Handlungssträngen, Alpträumen, Halluzinationen, sexuellen Anspielungen und das was man neudeutsch als cultural clashes bezeichnen würde faszinierte auch Emma Dante an Sergej Prokofjews Der feurige Engel. Im Mai 2019 inszenierte Italiens Maestra rätselhafter Tanz-Theaters die Oper am Teatro dell’ Opera di Roma (DVD Naxos 2.110663), wo 53 Jahre zuvor Virginio Puecher den Engel herausgebracht hatte.

Das Köln des frühen 16. Jahrhunderts findet Dante (Bühnenbild: Carmine Maringola) in den Katakomben ihrer Geburtsstadt Palermo. Der aus Amerika in das Köln des Jahres 1534 zurückehrende Ritter Ruprecht taucht in der Krypta unter Palermos berühmter Kapuzinergruft auf und trifft auf die in einem der Gräber neben den in Wandnischen gelagerten Mumien aufrecht mit Schlafhäubchen und blassrosa Kostüm ruhende Renata, die ihn von sich stößt und von ihren Erscheinungen erzählt. Als Kind war ihr ein feuriger Engel namens Madiel erschienen, der verschwand, nachdem die Jugendliche körperliche Liebe von ihm erwartete. Wenn der Knecht und die Wirtin Renata als Dirne und Verderberin beschimpfen, dringt der Geist der rustikalen Stegreifkomödie in die Gruft. Vergänglichkeit in Form der als Memento mori mahnenden Gruft und derb ländliche Lebenslust stehen in Dantes Inszenierung selbstverständlich nebeneinander. Selten grell ausgeleuchtet, wie in tänzerischen Aktionen ihrer 15köpfigen Tänzer-Equipe, doch in den erdenen Farben (Kostüme Vanessa Sannino) als selbstverständliche süditalienisch-sizilianische Verschlingung von Mystizismus, Realität und Aberglaube, Wirklichem und jenseitig Phantastischem, Engel und Dämonen.

Vor diesem Hintergrund gewinnen die Geschichte einer von sexuellen Visionen gepeinigten Frau, die Prokofjew zwischen 1919 und 1927 in seiner zweiten Oper komponierte, eine bezwingende Überzeugungskraft. Großartig die mit Büchern und wissenschaftlichen Instrumenten vollgestellte Studierstube im zweiten Akt, die die Atmosphäre der Bibliothek im oberbayerischen Kloster Ettal aufnimmt, wo Anfang der 1920er Jahre weite Teile der Partitur entstanden. Vorlage bildete der gleichnamige, 1907 veröffentlichte teilweise autobiografische Roman des russischen Symbolisten Valerij Brjussov. Der feurige Engel wurde zu Prokofjews Lebzeiten nicht aufgeführt. Erst in Jahr nach seinem Tod erfolgte 1954 in Paris die konzertante und 1955 in Venedig die von Giorgio Strehler betreute szenische Uraufführung. In Russland, wo man die ersten Aufführungen nach Sibirien und Usbekistan verbannt hatte, leite erst 1991 die von Valery Gergiev betreute und in Koproduktion mit Covent Garden entstanden Inszenierung David Freemans am Mariinsky-Theater – Emma Dantes quasi nackte Tanzggeister und Krüppel scheinen fast wie ein Zitat der lauernden Dämonen, die Freemans Konzept bestimmten – eine Kehrtwende in Russland ein. An Renata arbeiteten sich in den letzten Jahre Kosky in Berlin und München, Bieito in Zürich, Treliński in Aix und Warschau ab; Andrea Breth hatte den Feurigen Engel bereits im Vorjahr für das Theater an der Wien vorbereitet.

Renata, in stets neuer Verwandlung, darunter mit einem 18. Jahrhundert-Militärrock wie ihn auch Ruprecht trägt oder einem Hauskleid aus der Zeit, und der sie leidenschaftlich liebende Ruprecht begeben sich auf die Suche nach dem Engel (verkörpert von dem Darsteller Alis Bianca) und unternehmen in diesem Stationendrama eine Reise durch Emma Dantes Italien und finden sich stets vor und zwischen Klostermauern ein, die oftmals nicht gar so Pappkulissenhaft wirken müssten. Dantes Truppe ist für die Halluzinationen der Renata und das stumme Spiel zwischen den Akten zuständig, doch selbst die Orgie im Kloster und die Teufelsaustreibung, bei der Faust und Mephisto aus der Proszeniumsloge zuschauen, wirken gezügelt, werden überstrahlt vom Strahlenkranz der Madonna, der Renata am Ende umgelegt wird, während der Inquisitor ihre Verbrennung befiehlt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Dantes Inszenierung fließ, singt die mit einem sehr schönen Sopran aufwartende Polin Ewa Vesin die Renata, die weniger als Studie über Hysterie à la Salome und Elektra klingt, sondern lyrisch ebenmäßig projiziert und feinnuanciert ist;  quasi mit Italianità – gesungen wird natürlich russisch – doch kraftvoll und durchhaltestark. Ruprecht ist keine dankbare Partie. Leigh Melrose gelingt es, sie attraktiv zu gestalten und in Übereinstimmung mit der fast kammermusikalisch dichten Interpretation von Alejo Perez mit nicht übermäßig großem, etwas einfarbigem Bariton fast ebenso attraktiv zu singen. Das größtenteils russisches Ensemble besitzt hohes vokales Potenzial: Mairam Sokolova als Wahrsagerin und Äbtissin, Sergey Radchenko als Agrippina, Andri Ganchuk als Faust, Maxim Paster mit seinem durchdringend hohen Tenor als Mephisto und Goran Juric als imposanter Inquisitor. Unter Alejo Perez klingt Der feurige Engel weniger wild und expressiv aufgepeitscht als – der dunkel magischen Klosteratmosphäre entsprechend, etwa in den geheimnisvollen Gesängen hinter der Bühne – italienisch mystisch eingedunkelt und präzise ausziseliert.  Rolf Fath

Was wird bleiben?

 

Erscheint ein würdigendes Buch über eine allseits bekannte Persönlichkeit bereits ein Jahr nach deren Hinscheiden, dann kann man sicher sein, dass fast durchweg Lobendes, zumindest Anerkennendes zu vernehmen sein wird. So seien denn gleich zu Beginn und an dieser Stelle zügig die beiden schüchternen Ansätze für Kritik in dem Buch Begegnungen mit Peter Schreier (im Sax-Verlag) das von Matthias Herrmann, ebenfalls Kruzianer,  herausgegeben wurde, vermerkt. Einmal ist vom kritischen Erstaunen von Orchestermitgliedern darüber die Rede, dass der viel beschäftigte Sänger auch noch das Dirigieren übernehme, zum anderen vom Schweigen zu den Ereignissen im Herbst 1989, als sich andere Kulturschaffende wie zum Beispiel Kurt Masur für die Demonstranten, die schließlich das Ende der DDR erzwangen, einsetzten, während der ebenfalls über große moralische  Autorität verfügende Peter Schreier sich nicht äußerte. Im Buch wird aber auch die „Entschuldigung“ mitgeliefert, die besagt, dass der Tenor sich gerade in einer Phase der Erholung befunden habe.

Das Buch gliedert sich in einen besonders umfangreichen Teil, der Zeugnisse von Zeit- und Weggenossen, vor allem natürlich von Musikern über das Wirken des Sängers, Dirigenten und Cembalisten enthält, es folgt ein schmalerer Abschnitt mit Reden anlässlich der Verleihung von Musikpreisen an Peter Schreier, „Aspekte des Wirkens“, durchweg aus dem Jahre 2020 stammend, würdigen des Sängers und Dirigenten Arbeit in Österreich und Japan, außerdem besonders den Bach-Interpreten, schließlich sind die Reden, die auf   der Trauerfeier im Januar 2020 in der Dresdner Kreuzkirche gehalten wurden, abgedruckt, während ein umfangreicher Bildteil und ein Anhang, bestehend aus Personenregister und Präsentation des Herausgebers, den Schluss bilden.

Anekdotisches wird durchaus nicht ausgespart, so im Geleitwort der Scherz Herbert Blomstedts über den gänzlich unpassenden Familiennamen, in der Einführung wird die enge Beziehung Schreiers zu Dresden, von der Geburt bis zur Beerdigungsstätte reichend, hervorgehoben. „Weil ich nun mal eine alte sächsische Provinznudel bin“, will sich der Tenor selbst charakterisiert haben. Die wichtigsten Daten zum Lebenslauf legen davon Zeugnis ab, die in Bezug auf Furtwängler oft erhobene Anklage, er habe den Nazis zu Renommee verholfen, klingt vorsichtig im Beitrag von Hansjörg Albrecht an, wenn er über die Aushängeschilder der DDR Schreier, Adam und Güttler berichtet. Vom Bewunderer zum Kollegen wurde Olaf Bär, der „Demut und Respekt“ gegenüber Bachs Werk mit ihm teilte, bereits 1948 hörte ihn der Hornist Peter Damm als Altus und ist dankbar dafür. Lang ist die Liste der Vorzüge, die der Liedbegleiter Helmut Deutsch mit erstklassiger Diktion, sicherer Intonation, technischer Souveränität aufzuzählen weiß, so dass gelegentliche Spannungslosigkeit daneben kaum ins Gewicht fällt, durch seltene Proben aufgehoben werden kann. Gewagt sind die Vermutungen Peter Gülkes, der in Schreiers Palestrina einen Protest gegen die DDR nicht ausschließen mag, auch wenn der Sänger „auf abgründige Weise“ in der DDR zuhause war. Ludwig Güttler erinnert sich gern an die Heiterkeit während der Arbeit, Hartmut Haenchen an die „musikalische Sensibilität“ beim Kollegen. Eckart Haupt, der zeitweise Untermieter bei den Schreiers war, erwähnt eine gewisse Unbarmherzigkeit des Dirigenten gegenüber Sängern, Robert Holl behauptet: „Er klingt in mir.“

Als „außergewöhnlichen Musiker“ erlebte ihn Marek Janowski bei den Aufnahmen zum Rheingold. Siegfried Matthus schätzte besonders den David in der Karajan-Aufnahme, Christian Thielemann den Schumann-Interpreten. Der Bariton Egbert Junghanns erlebte Schreier zwischen den Polen „Hier gibt‘s alles umsonst“ und „Was wird bleiben?“ Edda Moser sah in Schreier „dieses Begnadete“, Heinz Zednick schätzte die gemeinsamen Abende beim Heurigen.

Die Laudatio zur Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille hielt Brigitte Fassbaender und bekannte, Schreiers Die schöne Müllerin habe sie zu Tränen gerührt, weitere Reden stammen von Reimar Bluth anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik und von Hans John zur Überreichung des Sächsischen Mozartpreises. Günter Jena berichtet vom Neumeier-Projekt Matthäuspassion.

Viele Ausschnitte aus Kritiken finden sich in Markus Vorzellners Aufsatz, der besonders interessant wird durch die Schilderung einer Begegnung von Schreier mit Wunderlich. Fabian Enders vermittelt wohl am eindringlichsten in seinem Beitrag über den Bach-Interpreten die besonderen Vorzüge des Tenors Peter Schreier (S. 196). Alle Beiträge und ihre Verfasser durften zum Nachruhm des Sängers beitragen, der letztgenannte aber dürfte den Gepriesenen besonders freuen (256 Seiten, 2020 Sax-Verlag; ISBN 978 3 86729 263 4). Ingrid Wanja      

Vincent D´Indys „Fervaal“

Es ist – denken wir bei operalounge.de – doch die Aufgabe eines anspruchsvollen Opernmagazins, nicht nur auf seltene Titel der Theatergeschichte hinzuweisen, sondern als Europäer vor allem europäische Opern bekannt zu machen (und damit das akute und sträfliche Versäumnis unserer Opernhäuser mit ihren einseitigen Spielplänen zu korrigieren), die – wie viele der von uns bislang vorgestellten – ursächlich oder begleitend zum nationalen Selbstverständnis der jeweiligen Entstehungsländer beitragen,  dort nationale Entwicklungen zur Eigenständigkeit nach längerer Fremddominanz befördern. Dass Oper eine sozialpolitische Funktion zeigt und gleichzeitig auch ein Seismograph des nationalen Bewusstseins ist ausübt steht ja außer Zweifel. Zwar schlagen sich zwar wichtige politische Ereignisse meist nur mit Verzögerung in den Opernplots nieder, aber auch aktuelle Bestrebungen nach nationaler Einheit und Identität ((und dem Verlust derselben) finden sich in vielen Werken ganz aktuell, oft in Form der Verwendung von Folklore und/oder nationalem Liedgut, oft auch durch Reaktivierung glorioser Siege in der ferneren Geschichte des jeweiligen Landes (so zum Beispiel bei Gounod oder Saint-Saens um die Schmach des deutsch-französischen Krieges vergessen zu machen, auch in Ivan Zajcs Nicola Subic Zrinski, in dem zwar die Türken niedergemacht werden aber die Österreicher gemeint sind; gleiches gilt für Pavlo Carrers Marcos Botsaris oder Naumanns Gustav Wasa und natürlich auch Verdis Nabucco).

In Occitania im schönen, heißen Montpellier am Mittelmeer gab es im Juli 2019 beim Radio-Festival die Wiederentdeckung einer sehr selten aufgeführten Oper des französischen Repertoires in Konzertform, Fervaal von Vincent d‘Indy (1851 bis 1931). Zum ersten Mal 1897 im Brüsseler Monnaie aufgeführt, erfreute sich das Werk schon damals keines großen Zuspruchs und fand nie den Weg in das Repertoire. Die Gründe dafür sucht man sicherlich nicht in der den kommenden Generationen verdächtigen politsichen und moralischen Haltung des Autors (Monarchist, Konservativer, Antisemit, gegen Dreyfus auftretend), sondern eher in der absoluten Abhängigkeit vom Modell Wagner, wenn auch „en francais“. (Wobei die konzertanten Aufführungen im schweizerischen Bern 2009 mit Philippe Rouillon und Sophie Koch nicht unerwähnt bleiben sollen, auch nicht die stark gekürzte und hochidiomatische Radio-Aufnahme aus Paris 1953 mit einem sehr engagierten Jean Mollien in der Titelrolle, erhältlich bei Malibran Records).

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Der Komponist Vincent D´Indy auf dem Cover der Musikzeitschrift La Revue musicale de Lyon/ Radio Festival 2019

Vincent D´Indy ist in Deutschland so gut wie unbekannt – gelegentlich (sehr gelegentlich) gibt es ein wenig Symphonisches von ihm im Konzert, seine „Alpensifonie“ („Jour d’été à la Montagne“/ Sommertag in den Bergen, op. 61 von 1905) oder sein Klavierkonzert. Als bedeutender Komponist kurz vor der Jahrhundertwende aus dem Umfeld des Deutsch-Französischen Krieges ist er bei uns ein absoluter No-Name. Es ist doch erstaunlich, dass angesichts der immensen Erzfeind-Ressentiments zwischen den beiden Ländern jener Zeit ein so unverhohlener Germanismus möglich war – Musik ist ja stets aus ein soziales Phänomen. Ein so wichtiges und vielleicht auch  bizarres Beispiel des französischen Wagnerismus ist es wert, unseren Lesern von operalounge.de vorgestellt zu werden, wäre dies doch eine der vielen Opern, die man sich im Rahmenprogramm von Wagner-Veranstaltungen in Deutschland (Bayreuth?) wünscht. Nachstehend also eine Konzertkritik zur Aufführung in Montpellier und die Einführung des renommierten Musikwissenschaftlers Hervé Lacombe für das Programmheft des Radio-Festivals von  Montpellier (Ein Radio-Mitschnitt von France Musique kursiert untrer Sammlern in exzellenter Klang-Qualität, ein Libretto gibt es auch …). G. H.

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Dazu eine Besprechung des Konzerten von unserem Kollegen Salvatore Podesta: Fervaal ist eine Oper mit einem Prolog und drei Akten, durchdrungen von der spätromantischen Kultur und der musikalischen Ästhetik Wagners, schuldet aber auch dem Zeitgenossen Berlioz einiges, so die Orchesterfarben betreffend, und, allerdings weniger, auch dem stets verleugneten Meyerbeer. Das Libretto oft geschwätzig und sich kostbar gebend, stammt vom Komponisten, der sich von „Axel“ des Schweden Esaias Tegnér inspirieren ließ, aber substanzielle Änderungen an der Vorlage vornahm. D’Indy verwandelte Axel, skandinavischer Soldat in Diensten des Königs, in die junge Marie verliebt und am Schluss der Oper zum Selbstmord gezwungen, in Fervaal, den einzigen Überlebenden des auf die Nubi, die antiken keltischen Götter zurückgehenden Geschlechts, einen keuschen und reinen Helden, der von dem Druiden Arfagard erzogen worden ist. Dieser sieht in seinem Zögling, wenn dieser sich seine Reinheit bewahrt, den kommenden Führer der Kelten und die Wiedergeburt Cravans und des alten Glaubens.

„Fervaal“: Illustration zum 3. Akt/ BNF

Die Handlung wird also von D’Indy nach Gallien versetzt, wo die Kelten gegen die schrecklichen Sarazenen unter der Führung der kriegerischen Maid Guilhen kämpfen, die, nachdem sie im Prolog dem verwundeten Fervaal beigestanden hat, ihn pflegte und beherbergte, sich schließlich in ihn verliebte, welches Gefühl erwidert wurde. Obwohl es Arfagard gelingt, Fervaal davon zu überzeugen, Guilhen zu verlassen, um seinem Schicksal zu folgen, kann nicht einmal die Beschwörung von Kaito, des alten keltischen Gottes, dem Priester klarmachen, dass für die Kelten alles verloren ist von dem Moment an, in dem Fervaal sein Gelübde der Keuschheit gebrochen hat. Der letzte Akt der Oper spielt in den verschneiten Bergen Galliens, vom Blut der sich bis zum letzten Mann bekämpfenden gefärbt, wo Fervaal die sterbende Guilhen trifft, nachdem er Arfagard, das Hindernis für die Wiedervereinigung mit der Geliebten, getötet hat. Als Fervaal das unmittelbare Ende der keltischen Götter nahen sieht, ersteigt er den Gipfel des Berges und hebt  auf seinen Armen die sterbende Geliebte dem Himmel entgegen wie in einer mystischen Apotheose, in der das gregorianische Pange Lingua erklingt, das die Ankunft einer neuen Religion der Rettung und des Lichts, des Christentums, ankündigt. Epos, mystisches Streben dem Unendlichen entgegen, Nationalismus, das sind die wesentlichen Themen in Fervaal.

Serös und professionell, wenn auch ohne geniale Momente, war die musikalische Leitung von Michael Schonwandt, der sich darum bemühte, der Oper Zusammenhalt zu verleihen, Solisten und Chor zu führen und die Spannung auch in den schwächsten und weitschweifendsten Momenten aufrecht zu erhalten, gut das Orchester, sehr eifrig der Chor, aber in einigen Momenten des zweiten und dritten Akts weniger intensiv, als man erwartet hätte.

„Fervaal“: Szene aus der Wiederaufnahme an der Pariser Opéra Comique 1898/ BNF

Die Besetzung zeigt nur drei Hauptrollen, den Duiden Arfagard,die Sarazenenprinzessin  Giulhem und den nordischen Helden und Driden-in-spe Fervaal, der die herausragende Partie hat, umgeben von einer Zahl kleinerer Rollen, die einen positiven Beitrag zum guten Ausgang des Konzertes  leisteten, ohne dass man sie besonders hervorheben müsste. Am wenigsten beeindruckend war der Sänger des Arfagard, Jean-Sébastien Boue, trotz der guten Intentionen und der  perfekten Diktion, es mangelte ihm an Größe und an Überzeugungskraft für die rigorose, fanartische Figur des keltischen Druiden. Die Stimme leidet in den Extremen, Höhe wie Tiefe, daran, dass sie  in den Acuti nach hinten rutscht und bei den tiefen Tönen schwach und unsicher erscheint, es gelingt dem Sänger nicht, die prophetische und mystische Seite der Figur herauszustreichen, seine lange Erzählung im ersten Akt  ist ein Beispiel dafür. Ganz anders  die Guilhen von Gaelle Arquez, sicherlich eher Sopran und nicht Mezzosopran, wie sie selbst meint: Die Stimme, wenn auch beeinträchtigt durch ein nicht besonders persönliches Timbre, ist klangvoll und hat einen guten Sitz, was sich besonders in den wenigen  Höhen bemerkbar macht, die zentrale Zone beherrscht sie mühelos und nur in den Tiefen bemerkt man Probleme. Die Diktion ist hervorragend und auch das Bemühen um die Darstellung, wobei ihr die verliebte Frau besser gelingt als die kriegerische und rachsüchtige.

„Fervaal“: Illustration zur Pariser Erstaufführung/ BNF

Glorreicher Held des Abends ist hingegen Michael Spyres, der mit einer ganz eigenen „naiv enthusiastischen Verrücktheit“, meiner Meinung nach seine Eigenheit, die ungeheuer schwierige Rolle des Fervaal angeht.  Die Länge der Partie und ihre stimmliche Position in der Mitte mit häufigen Ausflügen in die Höhe stellen die Durchhaltekraft des amerikanischen Sängers auf eine harte Probe, der eine gewisse Ermüdung  nur jeweils am Schluss des zweiten und dritten Akts zeigt. Es handelt sich um eine allerhärteste Probe, sei es vokal oder interpretatorisch, die auf ein intensives Studium der Partie hindeutet (die Diktion ist exemplarisch) und auf eine bemerkenswerte Hingabe zum Gesang wie zum Werk. Die Stimme ist schön, robust, gesund und fühlt sich hörbar wohl, mehr in Tiefe und Mittellage als in den Acuti, die bewältigt werden, aber doch etwas schwächer und nicht von so leichter Emission auf Grund der im Zentrum angesiedelten Tessitura sind. Der Darsteller überzeugt vollkommen in der langen Liebesszene im ersten Akt wie auch im transzendenten, mystischen, verzweifelten dritten Akt, während er in den rein heroischen Teilen des zweiten Akts auch an seine Grenzen stößt. Ich bin zwar ein Bewunderer von Michael  Spyres, doch habe ich meine Zweifel: Unterwirft der Sänger seine Stimme nicht allzu großen Anstrengungen? Sicherlich beweist die Wahl dieser Rolle die Absicht des Sängers sein Repertoire zu ändern bzw. zu erweitern ins heroische Repertoire und weg vom Belcanto, wobei Tristan bereits vom Sänger erwähnt wurde. Verrückt vernünftig oder verrückt unvernünftig? Man wird sehen. Salvatore Podesta (aus dem Italienischen von Ingrid Wanja)

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 Den folgenden Artikel von Hervé Lacombe entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors dem Programnmnheft des Konzertes:Fervaal“ oder der französische Wagnerismus: An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehörte Vincent d‘Indy (1851-1931) zu der Generation, die mit Ernest Chausson, Alfred Bruneau und Albéric Magnard dem französischen Wagnerismus seine Bedeutung gab. Nach einigen Jahrzehnten des Widerstands gegen das Wagnersche Repertoire und sein ästhetisches Konzept, verfällt Frankreich seinem Zauber. In den 80-iger Jahren sorgt sich Léo Delibes, damals Professor am Konservatorium: „Der Wagnerismus überrennt und überflutet uns.“  Zu dieser Zeit, genauer um 1889 beginnt D‘Indy, der schon lange von den Ideen des Bayreuther Komponisten überzeugt ist, Fervaal zu komponieren, was ihn bis 1895 beschäftigt. Wie Wagner ist er sein eigener Librettist und wie dieser wendet er sich den Legenden und der Mythologie zu – auf Kosten historischer Themen, die die Produktion der großen französischen Oper ein halbes Jahrhundert dominiert hatten.

Fervaal“: Szenenbild zur Pariser Erstaufführung/ BNF

Die konservative Opéra von Paris verschloss sich deshalb zahlreichen Komponisten, die glücklicherweise in Brüssel ein aufmerksameres Ohr fanden. Das Théâtre de la Monnaie hatte daher das Glück und die Ehre, die Hérodiade von Massenet, Sigurd und Salammbô von Reyer,  Gwendoline von Chabrier, Le roi Artus von Chausson auf die Bühne zu bringen. Dort führt auch D‘Indy sein neues Werk auf, dessen Uraufführung am 22. März 1897 stattfand, nach einigen Schwierigkeiten und außergewöhnlich vielen Proben.

D‘Indy gilt als Führer der „Modernen“. Die Premiere ist ein Ereignis, das von der gesamten Pariser Kritik verfolgt wurde – die Oper wurde zu dieser Zeit von den wichtigsten Zeitungen kommentiert, von spezialisierten Revuen bis zu den großen Tageszeitungen wie „Le Journal des débats“.  Fervaal wird im nächsten Jahr (am 10. Mai 1898) auch in Paris an der Opéra Comique unter der Leitung von André Messager aufgeführt. Man muss bis 1912 warten, um die Oper auch im Palais Garnier zu erleben. Wenn das Werk auch unterschiedlich aufgenommen wird, wird D‘Indy für seine musikalische Schreibweise geschätzt. Foucard, der Journalist des „Gaulois“, fasst das Gefühl eines Teils des Publikums zusammen: „ Man ist verblüfft, überrascht, überwältigt, wenig berührt. Wo wir sprühende Emotion erwarten, ist es eher das Pittoreske und der Einfallsreichtum, die ins Spiel kommen. Außerdem ist das Talent enorm.“ Andere Kritiker sind bedingungslos begeistert. „Ein schönes und großes Werk“, ruft Julien Tiersot in der Zeitung „Temps“ aus, „das zweifellos einen bedeutenden Platz in der französischen Musikgeschichte einnehmen wird.“

D´Indy: „Fervaal“/ Illustration von Paul Destez zum 1. Akt an der Opéra-Comique/ BNF

Die Oper versteht sich gleichermaßen als Wagnersches Erbe und als Ausdruck einer typisch französischen Oper. Die Form folgt den Erfahrungen Wagners: „Handlung“, wie Tristan, eine narrativ organisierte Folge, organisiert in einem Prolog und einer dreigeteilten Geschichte wie in einer Tetralogie; jeder Akt in drei Szenen geteilt, wie Parsifal….  Die Helden, die Ideen, die Situationen, die Worte, die musikalische Schreibweise und die Leitmotive sind von Wagner inspiriert, ohne jemals eine einfache Imitation zu sein. Fervaal hat von Siegfried seine Tapferkeit und seine Erziehung und von Parsifal seine Reinheit. Der Abschwörung der Liebe erinnert an Das Rheingold, während der Druide Arfagard eine  Mischung aus Gurnemanz (Parsifal) und Kurvenaal (Tristan) ist. Die Zauberin Guilhen (eine Art sarrazenischer Armida) erinnert teilweise an Isolde, an Mut und absolute Liebe, andererseits an Kundry, die weiblichen Charme, sexuelle Anziehungskraft und moralische Unreinheit repräsentiert. Kaïto, die ewige Mutter, die die Erde hervorgebracht hat, ist eine keltische Erda mit fantastischen Visionen. Ihre tiefe Kontraaltstimme gepaart mit seltsamen Chortönen, die durch vier Saxophone in der Kulisse verdoppelt werden, verkündet das Orakel: „Neues Leben entsteht aus dem Tod.“

D‘Indy verherrlicht eine Ideologie des Bodens und der Herkunft. Seine Kunst versteht sich als Verherrlichung der Verwurzelung. Der Hauptort der Handlung, die Cévennen, die Wiege seiner Familie, wo er auch einen Wohnsitz hatte, stellt die Handlung an einen genauen Ort. Derselbe Ort, den seine Symphonie cévenole von 1886 verherrlicht. Der Komponist betont, dass er mit seinem von Gebirge und den Ardennen geprägten Drama die Kunst- und Natureindrücke festhalten will, die er während seiner Ausflüge empfunden hat. Eine langsame psalmenartige Melodie von Frauenstimmen, die er in den Bergen gehört hat, inspiriert zu dem Gesang des Hirten am Beginn des 2. Akts. Das Französische, das er verherrlichen will, eröffnet auch eine moralische und religiöse Identität, die sich durch Anleihen von gregorianischen Choral ausdrückt, als Symbol des christlichen Glaubens, der sich nach dem Fall der alten Götter durchsetzt. Er verwendet sogar das liturgische Thema des Pange lingua. Dieser altertümliche populäre und religiöse Aspekt fügt vom musikalischen Standpunkt her der reichen harmonischen Sprache des Jahrhundertendes einen modalen Fond bei, der Teil seiner Einzigartigkeit ist. Fervaal kann auch als eine Art Gegenstück zu Tristan gesehen werden: Am Ende umarmt der Held seine tote Geliebte und steigt zum Himmel auf. D‘Indy ersetzt die von einer Frauenstimme getragene Nacht Wagners durch ein strahlendes Licht und den heroischen Gesang einer männlichen Stimme. Umgeben von einem mystischen Gesang (Chor in der Kulisse) hat Fervaal die letzte Offenbarung: „….ich höre, ich sehe, ich weiß! Der neue Gott befiehlt uns…!“ Es ist nicht die Liebe im Tod, sondern eine Überwindung: „Die Liebe besiegt den Tod.“ Das Orchester strahlt: „Über dem Liebesthema“, so schreibt D‘Indy auf der letzten Seite seiner Partitur, „erscheint der erste Strahl einer idealen Sonne.“

„Fervaal“: Der Autor Hervé Lacombe ist ein renommierter französischer Musik-Wissenschafter, zudem Professor an der Universität von Rennes, und ein Spezialist für französische Opern und Musik/ The Quobuz Blog

Die Reichhaltigkeit der vokalen und instrumentalen Melodien, der rhythmische Einfallsreichtum, die erstaunliche Vielfalt der Orchesterfarben, die Kunst der Modulationen, die der Entwicklung der dramatischen Situationen folgen, die Weite der formalen Konzeption, die Flexibilität der Kontrapunkte, die Wucht der symphonischen Entwicklung, das Flechtwerk der sich ständig neu konfigurierenden Motive machen aus Fervaal eine Partitur von unerhörtem Reichtum. Hervé Lacombe (aus dem Englischen von Daniel Hauser)

Zum Inhalt: Fervaal (Tenor) wird verwundet, als er sich, begleitet von seinem Meister, dem Druiden Arfagard, im Süden Frankreichs befindet. Guilhen (Mezzo), die Tochter eines sarazenischen Emirs, findet und pflegt ihn. Zwischen den beiden entsteht eine gegenseitige Liebe. Aber Fervaal ist für ein großes Schicksal bestimmt, wenn er keusch bleibt. Geheilt muss er nach Cravann, seiner von den Sarazenen bedrohten Heimat zurückkehren und seine Heilsmission erfüllen. Trotz seiner Liebe und auf das Verlangen von Arfagard verzichtet er auf Guilhen, die sich rächt, indem sie das kriegerische Feuer ihrer Truppen anfacht. Zurück in Cravann, wird Fervaal von den Druiden zum Kriegsherrn ernannt. Arfagard ruft die Göttin Kaïto (Kontra-Alt) an, die den Bruch des Schwurs prophezeit und ein neues Zeitalter ankündigt. Fervaal, der gegen sein Keuschheitsgelübde verstoßen hat, gesteht seinen Fehler. Er will durch seinen eigenen Tod sühnen. Der Kampf beginnt, die Kelten haben große Verluste. Guilhen erscheint, Arfagard will sich gegen sie wenden, Fervaal tötet ihn. Nach einer letzten Liebesbegegnung stirbt Guilhen erschöpft. Fervaal nimmt sie in die Arme, küsst sie und steigt hinauf ins Gebirge, bis er in den Wolken verschwindet. Übersetzung Daniel Hauser

Den Artikel von Hervé Lacombe entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors dem Programmheft zur konzertanten Aufführung beim Radio-Festival von Montpellier am 24. Juli 2019, die auch im französischen Radio gesendet wurde. Dank auch an Ingrid Wanja und Daniel Hauser für die Übersetzungen.

Hommage an legendäre Altistinnen

 

Das neue Album der französischen Altistin Nathalie Stutzmann bei ERATO ist ein weiteres Zeugnis ihrer Doppelfunktion als Sängerin und Dirigentin (0190295209551). Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie mit dem französischen Ensemble ORFEO 55 zusammen, mit dem sie inzwischen mehrere CDs herausgebracht hat. Nach der letzten von 2017 (Quella fiamma mit Arie antiche) erschien jetzt eine neue Platte mit dem Titel Contralto, welche leider auch das Ende des Orchesters markiert, da die nötigen Subventionen und finanziellen Zuwendungen ausgeblieben sind. Contralto ist deshalb auch das letzte Dokument einer singulären Zusammenarbeit zwischen einer Sängerin und einem Orchester.

Unter den 13 Gesangstiteln des Programms finden sich vier  Weltersteinspielungen, aber auch Werke populärer Komponisten (Händel, Vivaldi, Caldara, Porpora). Viele schrieben die Partien ihrer Opern für ganz bestimmte Sängerinnen, die für sie als Musen fungierten. Im Auftakt bei Händels Tamerlano und Irenes Arie „Dal crudel“ ist es Anna Vincenza Dotti, die 1724 die Partie kreierte und der mit dieser Aufnahme gedacht wird. Stutzmann ist eine Sängerin mit maskulinem Aplomb und schwarzen Farben. Ihre Stimme ist ganz sicher Geschmackssache, doch auf jeden Fall singulär. Unbestreitbar ist ihre Virtuosität, was sich vor allem in der souveränen Bewältigung der Koloraturläufe zeigt. Eine weitere bedeutende Händel-Interpretin war Francesca Vanini-Boschi, die zwei seiner männlichen Rollen kreierte – den Ottone in Agrippina (1709 in Rom) und den Goffredo in Rinaldo (1711 in London), dessen Arie „Mio cor“ hier  zu hören ist. Stutzmanns Wiedergabe lebt von Vitalität und Energie. 1729 engagierte Händel Francesca Bertolli – vor allem für Hosenrollen, doch ist hier eine Arie der Amise, Schwester des Titelhelden Arminio, im Programm – das stürmische und mit Koloraturen gespickte  „Sento il cor“, welches die Sängerin glanzvoll ausführt. Zu nennen ist auch Anna Maria Antonia, Händels Valentiniano in Ezio und seine Erenice in Sosarme 1732. Deren Arie „Vado, vado al campo“ ist der letzte vokale Beitrag des Albums und noch einmal ein Beispiel für die gestalterische Vehemenz von Nathalie Stutzmann. Eine kurze Karriere in London hatte Anastasia Robinson, doch war sie immerhin in den Premieren von Radamisto 1720 als Zenobia und Giulio Cesare 1724 als Cornelia besetzt. Ihre bedeutendste Rolle aber war die Titelheldin in Bononcinis Griselda, an die hier mit der Arie „Caro Addio“ erinnert wird.

Anna Vincenza Dotti sang auch die Statira in Vivaldis L’incoronazione die Dario, aus der zum Ende der Programmfolge die dreiteilige Sinfonia in C erklingt. Das Orchester hat hier Gelegenheit, einen nachdrücklichen und vielfältigen Schlusspunkt zu setzen.

Eine der wichtigsten  Sängerinnen in Vivaldis Umkreis war Anna Girò, einst seine Schülerin und dann mit 16 Jahren bis zu ihrem Rückzug von der Bühne 20 Jahre später Interpretin in mehr als 30 seiner Opern. Hier ist die Asteria  aus Bajazet mit ihrer Schlussarie „Suena, uccidi“ eingespielt. Nach einem Rezitativ von exaltierter Dramatik ist auch die Arie ungemein erregt, will sich die Prinzessin doch von  ihrem Vater töten lassen. Neben der Girò war die florentinische Kontraltistin Maria Maddalena Pieri eine bedeutende Protagonistin in Vivaldis Schaffen. Sie war vor allem auf männliche Rollen spezialisiert, was mit der Arie des Titelhelden aus Farnace, „Gelido in ogni vena“, dokumentiert wird. Mit ihren frostigen Akkorden in der Einleitung ist sie ein plastisches Gemälde des in den Adern gefrierenden Blutes und auch die Gesangslinie vermittelt eindrücklich den Konflikt der Figur, was die Sängerin mit Tönen von schmerzender Intensität umsetzt, grandios unterstützt vom eindringlich musizierenden Orchester. 1729 wurde in Mantua Tito Manlio mit Teresa Mucci in der weiblichen Hauptrolle der Vitellia uraufgeführt. Ihre Arie „Di verde ulivo“ demonstriert, in welch hohem Maße Vivaldi die virtuosen Fähigkeiten der Interpretin genutzt hat.

Für Vittoria Tesi schrieb Nicola Porpora mehrere Hauptrollen, so 1739 in Neapel die Semiramide riconosciuta, deren Arie „Tradita, sprezzata“ Stutzmann lautmalerisch und mit einer Vielzahl von Farben interpretiert, sowie 1742 in Venedig die Statira, die mit der Arie „Mira d’entrambi il ciglio“ vertreten ist. Stutzmann kann darin vor allem ihre profunde tiefe Lage ausstellen. In seiner 1726 in Venedig uraufgeführten Oper Meride e Selinunte sang Anna Maria d’Ambreville-Perroni die Partie der Ericlea. Deren inniges „Torbido intorno al core“ zeigt die Seelenpein der Figur, in die nicht weniger als drei Männer verliebt sind. Stutzmanns Intensität im Vortrag führt auch zu bohrenden, gar heulenden Tönen. Die Titelrolle der Meride sang die ungleich berühmtere Diana Vico, die auch als Dardano in Händels Amadigi di Gaula und Albina in Antonio Lottis Alessandro Severo reüssierte. Aus beiden Opern erklingen hier die Ouvertüren mit musikantischer Verve und dramatischem Impuls. Schließlich sei die Contessa Giuditta Starhemberg genannt, die in einer Privataufführung von Caldaras Euristeo 1724 in Wien als Erginda auftrat. Deren Arie  „Sotto un faggio o lungo un rio“ ist ein sanftes pastorales Gemälde und eine der Weltpremieren dieses originell konzipierten Albums. Bernd Hoppe

Beeindruckend

 

Keinen Geringeren als Piero Cappuccilli hat sich Ludovic Tézier, so lässt er im Booklet seiner Sony-CD mit Verdi-Arien verlauten, zum Vorbild genommen, und wer es miterlebt hat, denkt sofort an Situationen wie den Wiener Maskenball mit nicht enden wollendem Beifall für „Alla vita“, so dass Riccardo Pavarotti Ungeduld durchblicken ließ, an den Berliner Padre Germont, der mit seinem Krückstock dem verwirrten Dirigenten den Takt klopfte, an den legendären Tenorverwirrer, der vor einer Vorstellung gern mit einem mühelosen hohen C an der Garderobe des Kollegen vorbeimarschierte. Aber auch „pietà, rispetto, amore“ löste der italienische Bariton aus, als er nach eben diesem Titel nach der Pause sein Konzert in der Berliner Philharmonie nicht mehr fortsetzen konnte, so sehr hatte seine Gesundheit der Unfall ruiniert, den er auf der Heimfahrt aus der Arena di Verona in seine Heimatstadt Triest erlitten hatte.

Mit seinem berühmten Vorbild gemeinsam hat der französische Bariton sicherlich den Aplomb, mit dem er seine Partien, wenn diese das erfordern, angeht. So klingt sein Forza-Carlo kraftvoll, wenn nicht gar martialisch, sehr dunkel und damit weniger strahlend als der Italiener, gut konturiert und mit klarer Diktion. Er scheint eher prädestiniert für die düsteren als die Lichtgestalten der Baritonfraktion, manchmal etwas dumpf, mit viel Peng für die Cabaletten und immer voller Nachdruck. Eleganter klingt der französische Posa, ruhiger und mit schönem Fluss der Stimme, dazu mit zwei beeindruckenden Fermaten aufwartend. Gegen Ende der CD gibt es auch noch die italienische Version von Rodrigos Tod.

In Ernani kann  zunächst einmal das Orchestra del teatro comunale di Bologna, es geht doch nichts über ein erfahrenes Opernorchester, unter Fréderic Chaslin mit einem betörenden Vorspiel zur großen Szene des Carlo entzücken, danach kann der Hörer sich davon überzeugen, dass Tezier um die Bedeutung von Rezitativen weiß, auch die kleinen Notenwerte zu ihrem Recht kommen lässt und den „Sommo Carlo“ gebührend zu feiern weiß. Eine farbige mezza voce dokumentiert er mit dem ein weitgespannten Bögen verführerisch klingenden „Vieni meco“.

Wie aus einem Albtraum erwachend singt Tezier die große Szene des Ford, die vielfältigen Gefühlsregungen präzise nachzeichnend, ein Getriebener, der doch die sichere Höhe effektvoll einzusetzen weiß. Mit großer vokaler Geste zeichnet er die Gefühlsverfassung  des Luna nach, lässt die Stimme effektvoll strömen. Sein Padre Germont gibt den Schmerz des sorgenvollen Vaters wider und vermeidet alles nach Routine klingendes Umtata, feierlich klingt der Nabucco des Franzosen, geradezu Mitleid erregend sein Macbeth.

Keine nur auf Gruseleffekte zielende Brunnenvergifternummer ist sein Credo des Jago, sondern nur etwas offener gesungen, verhangen dann zum Schluss, im Piano ausgekostet das „e poi“- und die grässliche Lache am Schluss korrigiert etwas das Bild vom kultiviert und bedacht gestaltenden Sänger. Mit vorgetäuschter Atemlosigkeit sucht Rigoletto nach der geraubten Gilda, eine herrliche Crescendo-Fermate auf „taci“ und eine Superfermate auf „pietà“ lassen den Hörer staunen. Beide Renato-Arien erweisen den französischen Bariton noch einmal als effektvoll und eindringlich gestaltenden Sänger, dem „Eri tu“ geht noch einmal ein kunstvoll gestaltetes Rezitativ voraus, die Fiorituren werden schön ausgesponnen, der Schwellton am Schluss ist ein Höhe- und der Schlusspunkt, ehe noch einmal Rodrigo zu Wort kommt (Sony 19439753632). Ingrid Wanja

Libuse Domaninska

 

Die tschechische dramatische Soipranistin Libuše Domanínská wird Plattensammlern noch ein Begriff sein. Ihre Jenufa unter Bohumil Gregor bei Souprapohon zählt zu den bemerkenswertesten Rollenportraits der auf Dokumenten zu findenden Oper. Sie wurde (* 4. Juli 1924 in Brno; † 2. Februar 2021 in Hodonín) wurde als Libuše Klobásková im Brünner Stadtbezirk Královo Pole geboren. Ihren Bühnennamen Domanínská wählte sie nach der Ortschaft Domanín in der mährischen Slowakei, dem Geburtsdorf ihrer Eltern. In Brünn wurde sieam  Brünner Konservatorium 1940 dort Schülerin von Hana Pírková (1894–1944). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sie ihre Studien bei Bohumil Soběský fort. 1946 absolvierte sie das Konservatorium.In ihrem letzten Studienjahr war sie als Solistin an der Janáček-Oper in Brünn engagiert.

Noch als Studentin am Konservatorium unterzeichnete sie einen Vertrag mit dem Nationaltheater Brünn, dem sie ab der Saison 1945/46 als Ensemblemitglied angehörte. Am 11. Oktober 1945 debütierte sie dort als Blaženka in der Smetana-Oper Das Geheimnis. Marie Řezníčková, eine Ensemblekollegin, wurde dort ihre neue Gesangslehrerin. 1947 sang sie Rusalka, Jitka, Mimì und Margarethe.1948 trat sie erstmals als Gräfin in Figaros Hochzeit auf. Sie übernahm außerdem die Rolle des Aljeja in Aus einem Totenhaus und die Ludiše in Die Brandenburger in Böhmen.

In den ersten vier Jahren ihrer Karriere studierte sie insgesamt 21 Rollen und legte damit den Grundstein für ihr Repertoire. Während ihres Engagements in Brünn verkörperte sie weitere wichtige Rollen der Opernliteratur, wie die Katuška in der Smetana-Oper Die Teufelswand, Xenia in Dimitrij von Antonín Dvořák, Málinka in Die Ausflüge des Herrn Brouček, Tatjana in Eugen Onegin und Jaroslawna in Fürst Igor. Ihre größten Erfolge hatte sie jedoch als Jenůfa und Káťa Kabanová, „die ihre Lebensrollen wurden“.

Ab 1. Januar 1955 war sie Solistin am Nationaltheater Prag, wo sie bis zum 31. Oktober 1990 im Ensemble blieb und ihr Repertoire weiter ausbaute. Sie sang dort Rollen wie Fiordiligi, Elisabeth von Valois, Abigaille, Desdemona, Aida, Lisa, die Titelrolle in Eva von Josef Bohuslav Foerster, Káča und Julia. Ihre offizielle Abschiedsvorstellung gab sie 1985 am Prager Nationaltheater.

1955 gastierte sie mit dem Ensemble des Prager Nationaltheaters in Moskau. 1956 gastierte sie an der Komischen Oper Berlin. 1959 sang sie beim Holland Festival in Amsterdam die Káta Kabanová. 1964 war sie mit dem Prager Nationaltheater zu Gast beim Edinburgh Festival, wo sie die Milada in Dalibor bei der britischen Erstaufführung des Werkes sang. Sie gastierte in Brüssel (1958), Helsinki (1960), Barcelona (1965), am Teatro Colón in Buenos Aires (1968), in Italien (1968) und in Deutschland. Ab der Spielzeit 1957/58 sang sie bis 1968 in über 100 Vorstellungen an der Wiener Volksoper die Rolle der Abigaille in Nabucco.

Ab 1956 war fast jedes Jahr zu Gast im Brünner Staatstheater. Sie sang außerdem am Staatstheater Košice (Štátne divadlo Košice) (1962), am Schlesischen Theater (tschechisch: Slezské divadlo) in Opava (1964, 1969), am Mährischen Theater Olmütz (1964), am Stadttheater Pilsen (1968) und am Antonín-Dvořák-Theater in Ostrava (1973).

Libuše Domanínská machte sich auch als Interpretin von Liedern, Kantaten, Oratorien und vokalen symphonischen Kompositionen einen Namen, darunter Werke von Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Dvořák, Janáček, und in Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten.[2] Zu ihren wichtigsten Leistungen im Konzertsaal gehörte das anspruchsvolle Sopran-Solo in Janáčeks Glagolitischer Messe, mit der sie in vielen Teilen Europas auftrat und die sie auch mit den Dirigenten Břetislav Bakala und Karel Ančerl aufnahm.

Sie war auch eine gefragte Gesangslehrerin. 1974 wurde ihr der Titel „Verdiente Nationalkünstlerin der Tschechoslowakei“ verliehen.1996 erhielt sie den tschechischen Thalia-Preis für ihr Lebenswerk. Libuše Domanínská starb Anfang Februar 2021 im Alter von 96 Jahren.

Sie trat auch im Tschechischen Rundfunk auf, wo sie neben vielen Liedern unter der Leitung des Janáček-Schülers Břetislav Bakala Gesamtaufnahmen von Káťa Kabanová und Das schlaue Füchslein aufnahm. Sie sang auch eine Reihe von Schallplattenaufnahmen ein, u. a. Die Teufelswand (Supraphon 1960, mit Milada Šubrtová als Hedvika) und die Jenufa unter Bohumil Gregor, ebenfalls Supraphon. (Quelle/ Foto Wikipedia).

A Virgil Thomson Portable

 

Virgil Thomson, 1896 in Kansas City geboren, 1989 in hohem Alter in New York gestorben, war einer der einflussreichsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, außerdem Musikschriftsteller und Kritiker. Nach dem Studium an der Harvard University prägte ihn ein Aufenthalt in Paris von 1925 bis 1940. Hier studierte er nicht nur bei der berühmten Kompositionslehrerin Nadja Boulanger, sondern kam in engen Kontakt mit der „Group de Six“ (vor allem Georges Auric, Darius Milhaud, Francis Poulenc, Arthur Honegger) und befreundete sich mit dem unkonventionell-eigenwilligen Werk von Eric Satie. Auch andere Kunstgattungen hatten ihre Wirkung auf den jungen Komponisten. So lernte er in Paris den amerikanischen Maler Maurice Grosser (1903-1986) kennen, der dann sein Lebenspartner wurde. In einem Salon traf Thomson führende Künstler der Zeit. Eine wichtige Mentorin und künstlerische Partnerin wurde die Schriftstellerin Gertrude Stein (1874-1946). Wichtige Ergebnisse der Zusammenarbeit der beiden waren die Musiktheaterwerke Four Saints in Three Acts und The Mother of Us All. Mitte der 1930er-Jahre wandte sich Thomson der Komposition für den Film zu. Für seine Musik für Robert Flahertys Dokumentarfilm Louisiana Story (1948) erhielt er 1949 den Pulitzerpreis für Musik. Thomson war außerdem ein wichtiger Autor zu musikalischen Themen. 1940 veröffentlicht er das einflussreiche Buch The State of Music und in der Folgezeit u. a. The Musical Scene (1945), The Art of Judging Music (1948), Music, Right or Left (1951) oder Music with Words: A Composer’s View (1989).

Virgil Thomson/ Library of America

Virgil Thomson hat praktisch für alle Gattungen der Musik komponiert. Immer aber spielte Kammermusik in den verschiedensten Besetzungen eine große Rolle in seinem Oeuvre. Das belegt die vorliegende Box (Virgil Thomson: Poirtraits, Self Portraits and Songs; 2 CD Everbest)  deutlich. Treibende Kraft und spiritus rector bei diesen 1990 und 1994 zuerst erschienenen und nun wiederveröffentlichten Aufnahmen war Anthony Tommasini, Pianist und seit 2000 Hauptmusikkritiker der New York Times. Tommasini, der den Komponisten in dessen letzten zehn Lebensjahren persönlich kannte und das exzellente, sehr gehaltvolle Booklet für diese Veröffentlichung verfasste, verfügt über eine einzigartige Vertrautheit mit Thomsons Oeuvre. Er schrieb auch die Biographie Virgil Thomson: Composer on the Aisle sowie Virgil Thomson’s Musical Portraits.

CD 1: Portraits and Self-Portraits: Über 70 Jahre hinweg schrieb Thomson um die 150 kleinere Stücke, in denen er Personen aus dem Bekannten- und Freundeskreis und sich selbst portraitierte. Die Arbeitsweise übernahm er von seinen Malerfreunden: Er skizzierte die Stücke in Anwesenheit der zu Portraitierenden – die er liebevoll seine „sitters“ (Sitzenden) nannte –, allerdings wurde bei der Arbeit nicht gesprochen. Um Spontaneität und Fantasie freien Lauf zu lassen, waren die Sitzungen auf maximal 90 Minuten angelegt. Die kurzen Werke zeigen eine große Vielfalt in Besetzung, Farbe, Charakter. Anthony Tommasini (Klavier) versammelte vorzügliche Instrumen–talisten um sich: Sharan Leventhal (Violine), Fenwick Smith (Flöte), Frederic Cohen (Oboe), Ronald Haroutunian (Fagott), Jonathan Miller (Violoncello). Solistisch, im Duo und im Trio vermitteln sie den Reiz dieser Miniaturen sehr eindrücklich. Die Seven Selected Portraits verraten den Einfluss von Satie, die Three Portraits, vom Geiger Samuel Dushkin für Geige und Klavier arrangiert, sind virtuos, tänzerisch, witzig und erinnern an Strawinsky – wohl nicht zufällig, verfasste er doch für Dushkin sein Violinkonzert. Die Six Selected Portraits für Soloklavier haben neoklassizistische, aber auch leicht impressionistische Züge. Jedenfalls schimmert das Französische durch. Die Nr. 6, eine „Akkordstudie“ ist „Tony Tommasini“ gewidmet. Sehr eindrucksvoll, mit weit schwingendem, schwebendem Ton und ganz im Sinne der Bezeichnung „Rapsodico“ spielt Fenwick Smith den ersten, unbegleiteten Satz des Konzerts für Flöte, Streicher, Harfe und Schlagwerk (Uraufführung 1954)

CD 2 : Mostly About Love: Songs and Vocal WorksMostly About Love ist eine Art Querschnitt durch das Vokalwerk des Amerikaners, durchaus repräsentativ, weil Werke aus frühen und späteren Schaffensphasen vorgestellt werden. Thomson verfasste um die 100 Vokalwerke: Lieder, Gesangsduette und –quartette u. a. m. Sie zeigen sein großes Interesse für die Literatur und die starke Verbundenheit mit französischen Autoren. Den Beginn macht Susie Assado (1926) auf einen Text von Gertrude Stein: knapp, lakonisch, wenn nicht minimalistisch – mit einem Sujet und Text zwischen Dada und Nonsense (im besten Sinne). Titelfigur ist eine charmante Gastgeberin die „süssen, süssen, süssen, süssen, süssen [sic!] Tee“ serviert. 1927 entstand, wieder auf einen Text Gertrude Steins Capital Capitals – ein Werk, das „die Provence, ihre Landschaft, ihr Essen und ihre Menschen evoziert, als ein Gespräch zwischen den Städten Aix, Arles, Avignon und Les Baux, hier Capitals One, Two, Three und Four genannt. Es spiegelt auch die Verbundenheit der Dichterin mit dieser sonnigen Region wider, die sie zum ersten Mal als Sanitäterin im Ersten Weltkrieg kennengelernt hatte“. So Virgil Thomson über die Komposition für vier Sänger und Klavier, die nur schwer in eine Gattungs-Schublade passen will: weniger Unterhaltung oder Assoziationen über das Thema „Kapitale“ denn ein „verbales Gefecht mit Stein’schen Statistiken und demographischen Feldstudien als Waffen“ (A. Tommasini). Sehr deklamatorisch, aber auch musikalisch als Sprechgesang mit Klavierpartner, ist es ein Werk, das man – zumal, wenn es so inspiriert und pointiert wie hier vorgetragen wird – auch ganz abstrakt und frei verstehen kann. Pigeons on the Grass Alas schließlich, Rezitativ mit Arie aus der Oper Four Saints von 1935 ist ein weiteres Ergebnis der Zusammenarbeit mit Stein.

Thomson trifft in seinen Vokalkompositionen Inhalt, Ton, Stimmung und Geist der literarischen Vorlagen, seine „Vertonungen“ verstärken oft die Wirkung der Literatur – und verhelfen auch wenig oder unbekannten Werken zur Geltung. Da gibt es Kompositionen mit religiösen Inhalten oder von der Bibel inspiriert wie Praises and Prayers, den 1963 entstandenen Zyklus auf Texte u. a. Franz von Assisis und des Kirchenvaters Augustinus sowie die reizvollen Five Phrases from the Song of Solomon (1926), kurze erotische Gedichte aus dem Hohelied Salomons, ungewöhnlich für Sopran und Schlagzeug besetzt, zum Teil in exotischem Tonfall. Zu den religiös inspirierten Kompositionen zählt auch die zwölfminütige Kantate Oraison Funebre für Solostimme und Klavier von 1930. Vorlage ist ein Trauergebet von Jacques Bossuet (1627-1704), einem in Frankreich berühmten Kanzelredner, Verfasser von Gebeten und Predigten, der auch politisch aktiv war und es sogar zum Bischof brachte. Thomsons Trauer gilt freilich nicht der Königin Henriette-Marie von Frankreich wie bei Bossuet, sondern einem früh zu Tode gekommenen Freund, dem französischen Maler Emmanuel FaŸ.

Virgil Thomson und Gertrude Stein/ virgil-thomson.org

1928 schrieb Thomson den Commentaire sur Saint Jérome auf einen Text des Marquis de Sade, später komponierte er viele Shakespeare Songs und 1959 den Liederzyklus Mostly about Love. Die Gedichte von Kenneth Koch und Thomsons Musik skizzieren verschiedene Aspekte oder Facetten der Liebe: Liebes-Erklärung, Liebes-Erörterung, Einladung zur Liebe. Und in einem Gebet an die heilige Katharina bittet ein Liebender darum, seinen Herzschmerz und seine Schüchternheit zu überwinden, um die Liebe schließlich gelingen zu lassen.

Die vorzügliche Produktion mit Interpreten, die alle auf dem gleichen, hohen Niveau musizieren, ist eine willkommene Wiederver­öffentlichung. Sie hat nichts an Wert oder Bedeutung verloren und eignet sich sehr als Einführung in das Werk dieses ebenso interessanten wie originellen Komponisten, den es in Deutschland noch zu entdecken gilt. Helge Grünewald

 

Informationen: https://www.virgilthomson.org/;    https://en.wikipedia.org/wiki/Virgil_Thomson;    David Dubal spricht mit Virgil Thomson;   https://www.youtube.com/watch?v=-wWLMGTOmRQ  ; https://www.youtube.com/watch?v=O4oMG592NiI;   Interview mit V. Thomson, Cuny TV;   https://www.youtube.com/watch?v=ID0h3zC8M6E

 

Erotische Verwirrungen

 

Der Hutmacher Prosper Aubertin, der mit dem Alltag seines bürgerlichen Lebens unzufrieden ist, träumt von außerehelichen Affären. Er ärgert sich jedoch, Angebote seiner Frau, Tochter und seines Dienstmädchens in den Antworten auf eine anonyme persönliche Anzeige zu finden, die er in den Kummerkasten gestellt hat. Um herauszufinden, was diese Frauen wirklich wollen, lädt er sie alle in eine Villa in Südfrankreich ein. „Dies ist eine bürgerliche Tragödie. Diese Tragödie hätte Sich selbst kennen heißen können und sehr übel enden können. Als ich sie in Alexandrinern schrieb und bevor ich sie der Comédie-Française anbot, dachte ich gut zehn Minuten lang sorgfältig nach … dann habe ich sie zu einer Komödie gemacht“, scherzte Sacha Guitry.

Diese musikalische Komödie, O mon bel Incconue,  ist nach Mozart (1925) die zweite Opern-Zusammenarbeit zwischen dem berühmten Autor und Bon-Vivant Guitry und dem Komponisten Reynaldo Hahn. Zu dieser Zeit genoss der Hahn wohlverdienten Ruhm im Genre des leichten Musiktheaters: Nach Ciboulette (1923) hatte er Erfolg nach Erfolg in den kleineren Theatern von Paris (Le Temps d’aimer, Une Revue, Brummel), und Ô mon bel inconnu , das nun in einer Aufnahme aus Avignon 2019 beim Palazzetto Bru Zane in gewohnten Buch-CD-Format vorliegt, enttäuschte nicht. Le Figaro hob die für Hahn in der Zwischenkriegszeit so charakteristische „Eleganz des Tons und der Unterscheidung der Form“ hervor und betrachtete ihn als den rechtmäßigen Erben von André Messager. Le Ménestrel war ebenso begeistert: „Die Musik von Monsieur Reynaldo Hahn passt zu dem Thema mit einer Vielseitigkeit und Berührungssicherheit, die so etwas wie ein Wunder darstellt. Sie zeigt unvergleichliche Verfeinerung und Taktgefühl und gleichzeitig einen Witz, der Emotionen nicht ausschließt. Sie wird durch eine flotte, ausdrucksstarke und transparente Orchestrierung ergänzt.“ Was will man mehr?

„O mon bel Inconnue“: die bezaubernde Arletty war der Star der Uraufführung/Foto Shazam

Eine perfekte Besetzung gab es für die erste Aufführung: unter der Leitung von Jean Aquistapace und glanzvoll ergänzt durch die bezaubernde Arletty in der Rolle der Félicie (die der Filmfan so betörend aus dem Streifen Les enfants du Paradis mit der Schilderung der Bouffes-Parisiens in Erinnerung hat). Eine solide Komödie der 30iger Jahre also … Hahn liebt suggestive Leichtigkeit; die Kunst der genussvollen Finesse, die sich auf verschiedene Weise zeigt; so kultiviert die Partitur von Oh, mein schöner Unbekannter diese Farbe der komischen Oper, eine leichte Komödie, fast eine Operette. Nach Mozart findet sich das Duo Hahn / Guitry bei einem Thema einer nicht so harmonischen Sippe wieder.

Die Familie Aubertin, Vater, Mutter und Tochter, eine typische Familie von kleinbürgerlichen Kaufleute (Prosper ist Hutmacher) erliegt der Verlockung von Phantasien, die aus brieflicher Korrespondenz entstehen, die geeignet sind, das häusliche und familiäre Einerlei inb Chaos umzuwenden. Statt der gewohntenb Langeweile dieser scheinbar ehrbaren Gemeinschaft, wird diese nun Opfer einer emotionalen Verwirrung und damit das Opfer von Pariser Frivolitäten. Das Verlangen und die zum Teil riskanbten Phantasien bedrohen ernsthaft das Gleichgewicht der Familie; die Erregung, die unhöflichen Worte lassen die sozialen guten Sitten implodieren (dornig, bitter, ganz im Geist von Guitry, der hier seiner neuen Zusammenarbeit mit Hahn seinen Stempel aufdrückt: „Aber Sie haben mich in den Hintern gekniffen“, schreit Antoinette zu Jean-Paul: Man könnte sich heute über eine solche emblematische Naivität der Zwischenkriegszeit wundern, aber die Zeiten waren andere, engere, reglementierte.

Was Hahn hier vor der Banalität rettet, ist die Tiefe und die Finesse unter der Maske einer scheinbaren Gleichgültigkeit (etwa die Rolle von Claude, des falschen Freiers: ausgezeichnet auf der neuen Aufnahme Yoann Dubruque, ausgesprochen natürlich, die Textdeklamation wie eine zweite Natur). Hahn rivalisiert so zwischen Ehrlichkeit und Drama mit seinem großen Vorbild, dem Mozart der Nozze di  Figaro. Bemerkenswert auch der unbestreitbar köstliche Witz von Éléonore Pancrazi in der Rolle der Haushälterin Félicie in der Einspielung aus Avignon. Hier sind zwei dramatische Talente vorhanden, in untadeligem Französisch, mit subtilem und wechselhaftem Ausdruck, die sich deutlich vom Rest der Besetzung unterscheiden. Auch von der inzwischen doch etwas ältlichen Véronique Gens als spöde Antoinette.

Der Dirigent Samuel Jean befördert dieses frivole und lustige Ambiente, vor allem in der Ouvertüre, in jedem Zwischenspiel und jeder Pause, wo nur die Orchesterinstrumente diese delikate Zweideutigkeit gestalten (zu bemerken ist als augenzwinkernde Anspielung auf den französischen Romantizismus das Saxophon, eindeutig ausgeliehen aus dem Orchester von Thomas´ Hamlet). Das Ganze ist gepflegt, lebhaft, stützt sich auf gut gezeichnete Charaktere; wodurch man über das Duo Guitry /Hahn so viel erfahren kann, wie sie Oktober 1933 die Pariser Musiklandschaft der Bouffes-Parisiens auf die Bühne brachten (VÖ 2. Februar 2021; Reynaldo Hahn: O mon bel Inconnue mit Véronique Gens, Olivia Doray, Èleonore Pancrazi, Thomas Dolié, Yoann Dubruque, Carl Ghazarossian, Jean Christophe Laniége; Ortchestra National Avignon-Alpes; Dirigent Samuel Jean; 1 CD Palazzetto Bru Zahn im gewohnten Buchformat in der Reihe Opéra francais mit zweisprachigen Aufsätzen und dto. Libretto). Clothilde Dumas/ Palazzetto Bru Zane (Übersetzungen Ingrid Englitsch/ Daniel Hauser)

Heute passend wie nie

 

Bereits vor einigen Jahren hat der französische Countertenor Philippe Jaroussky barocke Sakralwerke eingespielt – 2005 Motetten für die Jungfrau zwischen Rom und Venedig unter dem Titel „Stabat mater“, 2014 Kompositionen von Vivaldi für Altus mit dem Motto „Pietà“. Jetzt erschien bei Erato sein neues, im Juni des Vorjahres in Frankreich aufgenommenes Album La vanità del Mondo, in welchem er sich Arien aus Oratorien widmet, die von Ende des 17. Jahrhunderts bis ca. 1750 entstanden (0190295179298). Eine Novität ist, dass er sich bei dieser CD auch als Dirigent betätigt und das junge Ensemble Artaserse inspirierend leitet.

Unter den 18 Titeln der Anthologie finden sich nicht weniger als sieben Weltersteinspielungen. Eine solche macht den Auftakt – die Arie des Isacco, „Perché più franco“, aus Pietro Torris Abramo, uraufgeführt 1731 in München. In ihrem lieblichen Melos ist sie für Jarousskys sanfte, keusche Stimme von weicher Textur ein ideales Stück. Vom selben Komponisten stammt auch das Oratorium, welches der CD den Namen gab: La vanità del Mondo. Daraus erklingt die heitere Arie des Piacere „Esiliatevi pene funeste“. Deren muntere Koloraturen absolviert der Sänger im Klang nicht immer ausgewogen. Ähnlich unbekannt wie dieser Tonsetzer, der von 1665 bis 1737 lebte, sind Fortunato Chelleri (1690 bis 1757) und Nicola Fago (1677 bis 1745). Aus dem Schaffen des Ersteren hat der Sänger die Arie des Dio, „Caderà, perirà“, aus Dio sul Sinai ausgewählt. Es ist eine aria di sdegno, also erfüllt von Zorn, wofür dem Interpreten zu wenig Ausdrucksmittel zu Gebote stehen. Aber immerhin bewältigt er die Koloraturläufe souverän. Von Fago ist das Lamento des Messo, „Forz’è pur nel proprio sangue“, aus Il faraone sommerso zu hören. Mit stockenden Akkorden eingeleitet, die bald an lastender Schwere zunehmen, kann der Sänger hier mit lang gehaltenen Noten aufwarten. Antonio Maria Bononcini steht hinsichtlich des Bekanntheitsgrades im Schatten seines Bruders Giovanni Battista, umso verdienstvoller, dass Jaroussky aus dessen La decollazione di San Giovanni Battista eine Arie des Titelhelden, „Bacio l’ombre e le catene“, vorstellt. In ihrem strengen, düsteren Charakter ist sie eine typische ombra-Arie, was sich bereits in der fahlen Einleitung andeutet. Dem Sänger aber fehlen geeignete Farben und die Tiefe klingt matt.

Die weiteren Komponisten sind ungleich populärer – allein voran George Frideric Handel, der mit seinem Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno von 1707 vertreten ist. Die Arie daraus, Piaceres „Lascia la spina“, ist vor allem durch Almirenas „Lascia ch’io pianga“, aus seiner Oper Rinaldo, welche auf dem selben musikalischen Motiv fußt und 1711 heraus kam, ein Schlager geworden. Hier hört man vom Counter schmeichelnde Töne und eine delikate Variation im Da capo.

Alessandro Scarlattis La Giuditta taucht gelegentlich in Konzertsälen und sogar Opernhäusern auf. Jaroussky schlüpft in die Rolle der Amme und gestaltet deren Arie „Dormi, o fulmine di guerra“. Für dieses Schlaflied findet er besonders zärtliche Töne. Auch Benedetto Marcello vertonte dieses Sujet in seinem Oratorium La Giuditta, aus dem der Sänger eine Arie des Achior, „Tuona il Ciel“, auswählte. Sie gehört zur Gattung der arie di furore. Schon in den wenigen Takten der Einleitung ist dieser Typus umrissen, und die Stimme ertönt in fast hysterischer Erregung Mit Johann Adolph Hasse findet sich auch ein deutscher Komponist in der Sammlung. Aus dessen La conversione di Sant’Agostino erklingt des Titelhelden „Il rimorso opprime il seno“. In ihrem aufgewühlten Duktus ist die Arie in glänzendes Beispiel für die Ausdruckskraft des Komponisten und auch ein Höhepunkt der Anthologie.

Nicht weniger als dreimal taucht der Name Antonio Caldara auf. Alle Werke sind Raritäten und dürften nur ausgewiesenen Kennern der Barockszene bekannt sein. Aus Assalonne ist Ioabbes ungestümes „Contro l’empio s’impugni la spada“ zu hören – wiederum eine aria di sdegno, was das Orchester in der Einleitung mit erregten Streicherfiguren hören lässt. Jaroussky greift hier im Ausdruck zu für ihn ungewöhnlich expressiven Mitteln. Aus Santa Ferma ertönt die Arie des Angelo „Amar senza penar“, welche dem Interpreten virtuose Läufe abverlangt. Mit der Arie der Maria di Giacobbe, „È morto il mio Gesù“, aus Morte e sepoltura di Christo beschließt Jaroussky das Programm mit einer ergreifenden Klage. Bernd Hoppe

Eher sinfonisch

 

Das Ereignis der jeweiligen Saison waren die konzertant aufgeführten Wagner-Opern in der Philharmonie unter Marek Janowski, als er noch Chefdirigent des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters war, sämtlich auf CD festgehalten vom Label Pentatone, das sich nun auch des Dirigenten Ausflug in den Verismo mit Puccinis Tabarro und Mascagnis Cavalleria Rusticana, im März 2019 mit der Dresdner Philharmonie aufgeführt, angenommen hat. Gleichermaßen von Regiekapriolen ermüdet bis angewidert, konnten sich Dirigent und Publikum am musikalischen Hochgenuss mit zum großen Teil auch hochkarätiger Sängerbesetzung erfreuen bzw. sich ungestört der Erzeugung desselben widmen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Nicht die Sänger, sondern das Orchester sind das Phänomenale an der Aufnahme der Puccini-Oper. Die weit in die Gefilde des musikalischen Impressionismus reichende Partitur wird  von der Dresdner Philharmonie wunderbar bis in die kleinsten Details ausgekostet, vermittelt gleichermaßen das aus der Ferne vernehmbare Großstadtleben wie die mühsam unterdrückten und schließlich ausbrechenden Gefühle der Protagonisten in einmal zarten Aquarellfarben und dann wieder in angemessen grellem Aufbrausen. Nie zuvor dürfte man die Partitur derartig schillernd und die Handlung kraftvoll ausmalend erfahren haben. Die Dresdner können höchste Erwartungen an kommende musikalische Ereignisse hegen.

Leider ist die Sängerbesetzung nicht auf dem gleich hohen Niveau wie die orchestrale. Man kann keinem der drei Protagonisten vorwerfen, sich nicht hinreichend für seine Partie einzusetzen, im Gegenteil, alle drei tun, zumindest was die Lautstärke betrifft, durchgehend zu viel, stehen unter Dauerstrom und lassen es an Nuancen mangeln.

Vokale Gewalt liegt von Anfang an bei dem Michele von Lester Lynch in der Luft, der im fast pausenlosen Dauerforte grob herrisch und fast bis zum Schluss ohne Differenzierung, zwar mit sicherer Höhe, aber auch mit schlimmen Vokalverfärbungen ( so bei „la pace è nella morte“) die akustische Oberhoheit über seinen Kahn und seine Gattin verteidigt. Mehr Kraftvolles als Verführerisches, von Italianità ganz zu schweigen, vernimmt man auch von dem Luigi von Brian Jagde, der seinem Arbeitgeber an vokal Auftrumpfendem in nichts nachstehen möchte. Melody Moore äußerst in sehnsüchtigen Crescendi Lebensgier und Liebesverlangen, klingt durchweg vollmundig, lässt die Höhen schön aufblühen, kann aber in der Extremhöhe auch schrill klingen. Alle drei sind auch die Protagonisten in Cavalleria, wovon es ebenfalls eine CD gibt.

Die kleineren Partien sind angemessen besetzt, die Frugola von Roxana Constantinescu kann sich besonders profilieren. Aber wäre nicht die Leistung des Orchesters unter Janowski so frappierend, könnte man diese CD „überflüssig“ nennen (Pentatone PTC 5186 773). Ingrid Wanja

Elizabeth Kingdon-Grünwald

 

Kurz vor ihrem 93. Geburtstag ist am 22. Januar 2021 die Opernsängerin und Nürnberger Kulturikone Elizabeth Kingdon-Grünwald verstorben. 1928 in Schenectady im US-amerikanischen Bundesstaat New York geboren, kam sie durch ein Fulbright-Stipendium 1956 nach Deutschland und studierte an der Staatlichen Hochschule für Musik Frankfurt Gesang. Nach einem ersten Engagement am Theater Bielefeld wechselte sie 1963 an die Städtischen Bühnen Nürnberg und sang dort als gefeierte Opernheroine alle wichtigen Partien im jugendlich-dramatischen Fach. Ab 1976 startete sie bei der kurz zuvor gegründeten Pocket Opera Company (POC) eine zweite Karriere und tourte mit der POC durch Franken, Deutschland und die Welt. Unvergessen bleibt ihre Personality-Show „Eliza’s Pocket Paradise“, in der sie sich selbst als fränkisch-amerikanische Nachtigall symbolisch den Kulturpreis der Stadt Nürnberg verlieh, nur um ihn 1984 tatsächlich aus den Händen des damaligen Kulturreferenten Hermann Glaser zu empfangen. Das Geheimnis der umwerfenden Operninterpretationen von „Eliza“ – wie sie von ihren Fans liebevoll genannt wurde – bestand darin, dass sie die Partien trotz ihrer Aura als persiflierende Diva stets auch mit großer innerer Ernsthaftigkeit und hohem gesangstechnischen Niveau auf die Bühne brachte. Dafür wurde sie vom Publikum frenetisch gefeiert und verhalf dem von der Pocket Opera Company etablierten neuartigen Opernstil durch Auftritte bei vielen alternativen Theaterfestivals von Edinburgh über Barcelona bis Wien zum internationalen Durchbruch. Im Jahre 2003 erhielt sie für ihr kulturelles Engagement und Lebenswerk das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt war Elizabeth Kingdon-Grünwald 2014 im Alter von 86 Jahren noch einmal als Aida auf dem Nürnberger Wöhrder See in „My Fair Verdi“ (daraus das Foto oben/ Andrea Legler/ Pocket Opera)und im Kurzfilm „POC 40“ zu erleben. Ihr Leben war die Oper. (Quelle Pocket Opera Company)

Michel Trempont

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Einige der bedeutendsten Sänger des französischen Repertoires stammen aus Belgien. Rita Gorr und José van Dam sind da besonders zu nennen, aber auch der Bariton Michel Trempont, der am 30. Januar im Alter von 92 Jahren verstorben ist. Ausgebildet wurde er in Brüssel bei dem russischen Tenor Joseph Rogatchevsky und debütierte 1952 in Liège als Valentin in „Faust“. 1955 wurde er ans Théâtre de La Monnaie in Brüssel engagiert, wo sein Lehrer Operndirektor war. Hier sang er im Laufe seiner Karriere 140 Rollen. Seit 1962 trat er regelmäßig an den Pariser Opernhäusern auf und begann eine internationale Gastspielkarriere, die ihn nach London, Barcelona, Lissabon, Neapel, Venedig, Mailand sowie in die Vereinigten Staaten, nach Kanada, Mexico, Brasilien und Japan führte.

Zu seinen weltweit gefragten Glanzrollen zählten die Figaros von Rossini und Mozart, Sancho Pansa in Massenets „Don Quichotte“ und Gianni Schicchi. In San Francisco sang er neben seinem französischen und italienischen Repertoire auch Beckmesser (Spielzeit 1986/87). In reiferen Jahren übernahm er mehr und mehr Partien des Charakter- und Bassbuffo-Fachs, in denen er wegen seines komödiantischen Talents große Erfolge hatte: Als Rossinis Dr. Bartolo und Donizettis Mamma Agata, vor allem aber als Sulpice in „La fille du régiment“, mit dem er 1995 ein spätes Debut an der Metropolitan Opera gab. In dieser Rolle stand er sechs Jahre später auch neben dem jungen Juan Diego Flórez in Gran Canaria auf der Bühne. Noch 2005 trat er in Orange in „La Bohème“ neben Roberto Alagna und Angela Gheorghiu auf. Wie sein im vergangenen Jahr verstorbener französischer Kollege Gabriel Bacquier war er bis ins Greisenalter aktiv: Nach der Bühnenkarriere als Pädagoge in Brüssel und Mons und als Juror bei Gesangswettbewerben. Erst 2015, mit immerhin 87 Jahren, setzte er sich endgültig zur Ruhe.

Seine Diskographie ist ansehnlich und vor allem mit den Operetten Jacques Offenbachs verbunden, darunter einige Referenzaufnahmen: „La belle Hélène“ mit Jane Rhodes unter Alain Lombard (Calchas), „Orphée aux enfers“ und „La vie Parisienne“ unter Michel Plasson (als Jupiter respektive Bobinet), „Mesdames de la Halle“ unter Manuel Rosenthal (Madou) und „Les Brigands“ unter John Eliot Gardiner (Pietro). Unter Gardiners Leitung sang er auch Maître André in Messagers „Fortunio“. Auch in Gesamteinspielungen von Grétrys „Richard Cœur de Lion“ und Aubers „Fra Diavolo“ (mit Nicolai Gedda) hat er mitgewirkt. „Opera Nostalgia““ hat aus Anlaß seines Todes auf youtube den Mitschnitt eines Konzerts in Mons veröffentlicht, in dem der 71jährige in prachtvoller stimmlicher Verfassung die Figaro-Arien Mozarts und Rossinis singt, aber auch für so gegensätzliche Figuren wie Almaviva und Don Magnifico noch die nötige stimmliche Flexibilität zeigt. Einige wenige Video-Ausschnitte finden sich im Netz, die seine schauspielerische Präsenz dokumentieren und seine Beliebtheit beim Publikum erklärbar machen (Foto oben: Michel Trempont als Bantison in „Monsieur Beaucaire“, Monnaie, Bruxelles, 1956 Fonds musical Perna, Bruxelles musimern.com) Ekkehard Pluta

Gesungenes für Horn

 

Der Sprache der Musik, den Geschichten, die sie erzählt – und das Ganze ohne Worte – widmet sich Felix Klieser auf seinem neuen Album Beyond Words (Berlin Classics 0301460BC). Seinen Fokus richtet er auf die Vorstellungen, die beim Hören vor dem inneren Auge auftauchen, auf die Emotionen, die die Musik auslöst. Für Beyond Words hat der Hornist verschiedene Arien von Bach, Vivaldi, Händel und Gluck ausgewählt und die teils ganz unterschiedlichen, in sich geschlossenen musikalischen Welten auf individuelle Weise erzählt.

Das Repertoire ist wahrscheinlich für viele Zuhörende mit Erinnerungen verbunden, sind doch für Viele Händels „Hallelujah“ und „Ombra mai fu“ oder Bachs „Bereite dich, Zion“ und „Wohl mir, dass ich Jesum“ habe wohlbekannte Werke. Hier jedoch hört man sie einmal ganz anders: In der Auswahl der barocken Arien und Choräle der großen Meister Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel nimmt das Horn die Rolle der menschlichen Stimme ein, zeichnet die melodischen Bögen nach und imitiert den Klang der Stimme. Begleitet wird er vom 2010 gegründeten Ensemble CHAARTS Chamber Artists aus Zürich, die im Zusammenklang mit Kliesers weichem Timbre den barocken Werken auf modernen Instrumenten neues Leben einhauchen
Wichtig ist für dieses Album jedoch nicht die Virtuosität, sondern der klangliche Ausdruck, sagt Felix Klieser: .“Es muss gut umzusetzen sein. Die Gesanglichkeit und Ausdrucksmöglichkeit des Klangs sollen im Zentrum und im Fokus stehen.“ Den Härenden wird eine Geschichte erzählt, die frei für jede Interpretation ist und zulässt, in eine rein musikalische Welt einzutauchen. .,Sie sollen nicht wissen müssen, was inhaltlich passiert, sondern sich von der Musik leiten lassen.“
Inhaltlich könnten die Geschichten, die die Arien erzählen, unterschiedlicher nicht sein. „Sie handeln von Lob und Preis, von grausamem Schicksal und verlorener Freiheit. Probleme, die bereits zu den Entstehungszeiten der Werke existierten und heute immer noch aktuell sind… Wenn wir Musik spielen, die sehr alt ist, kommunizieren wir mit Ausdrucksmitteln, die die Menschen hatten, bevor es Smartphones gab, Flugzeuge, Autos – und trotzdem ging es in der Musik um dieselben Dinge. Das scheint etwas zu sein, was uns auch heute bewegt, und das finde ich faszinierend.“
Das Universelle, Verbindende und über Jahrhunderte hinweg Aktuelle, das der Musik zugeschrieben werden kann, liegt nicht in der Sprache der Worte. „Es liegt in der Sprache ihres Klangs und den davon hervorgerufenen Assoziationen, Gefühlen und Geschichten, die erzählt werden. .,Man braucht keine jahrelange Alfsbildung, um mit Musik etwas anfangen zu können. Nicht das, was man rüberbringen will als Interpret ist wichtig, sondern, dass etwas ankommt“, sagt Klieser, der diese besondere Sprache wie kein anderer beherrscht. Mit Beyond Words erschafft er einen Raum über die Sprache hinaus – er spricht mit der Musik und der Melodie allein. Ab dem 19. 02. 21 auf Berlin Classics. Quelle Berlin Classics